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Sebastianszell


Katta

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Was nun?

 

Nun, was wir zuerst erzählen müssen, bevor wir dem Palatingardisten, Pfarrer Freihintener, dem Kapplan, Silke und dem Kätzchen Sirrisusus ins Dunkel folgen, ist natürlich, was in der Zwischenzeit mit dem Rest der Pilgergruppe geschieht, die wir ja nicht einfach vor dem Vatikan stehen lassen können - obwohl, können könnten wir schon, diese Figuren samt Leiterwagen sind unserer Willkür und unserem Wohlwollen anheim gefallen und anbefohlen, und dies wird hoffentlich auch in den nächsten Postings einmal thematisiert und küchenphilosophisch untersucht werden.

 

Zuvor aber darf ich mich schon ein wenig freuen auf die Begegnungen und Örtlichkeiten, durch die unsere kleine Benediktische Delegation von allen Sebastianszell-Mitwirkenden gescheucht und geleitet werden. Als da wären die Ohrenschmalzgrotten, das Perpetuum nobile, Theresa die stigmatisierte Kanalratte, Wutkristalle, Latrinenlichtlein, sabbernde Sumpfmaden, der Hüter des eiligen Grals, ein Fiat-Luchs, der Chor der summenden Märtyrer - um nur einiges zu nennen.

 

Das Kloster der Kattharuinen

 

Doch vorher müssen wir noch den Rest der Pilgergruppe samt Hunden und Leiterwagen unterbringen. Wie sie von dem Platz vor dem Eingang des Vatikans, auf dem sie sich von Pfarrer, Kapplan, Silke und Kätzchen, zum Glück nicht für immer, trennten, zu ihrer Unterkunft fanden, da steht uns eine Fülle wirrseligster Fügungen zur Verfügung, vom schon einmal benutzten Wirbelsturm a la Shakespeare bis zur Verhaftung, dem Einschiffen auf einer Sträflingsgaleere, mehrjähriger oddyseeischer Irrfahrt und so weiter und so fort zur am Ende glücklichen Rückkehr - aber nein. Wir werden stattdessen schlichtweg berichten, wie es war. Die "Tourist Information di Roma" vermittelte sie zum Kattharuinenkloster auf dem Monte Pincio, dem geheimnisvollsten der mehr als sieben Hügel in der ewigen Stadt. Erschöpft trafen sie am Abend dort ein.

 

Die Kattharuinen sind eine nur lose der katholischen Kirche verbundenen Mönchsgemeinschaft, die einer skurrilen Form des Prädestinationsglaubens anhängen. Und zwar glauben die Kattharuinen oder auch Kattharuinenser, dass sie in einer eigenen Welt leben, die sie "Bastianszellen" nennen. Alles, was in diesen Zellen geschieht, so die feste Überzeugung der Mönche, wird durch eine wechselnde Zahl höherer Wesen gesteuert, von deren Launen, Freuden sowie vor allem der Qualität ihres Frühstückskaffees alle Bewohner dieser Welt abhängig sind. Schon der Genuss eines Schlucks zu heißen Kaffees könne dazu führen, ihr gesamtes Kloster vom Monte Pincio zum Quirinianhügel zu versetzen, nur aus Unachtsamkeit. Als erste habe die Göttin Kattha oder Attak - das ist umstritten, eine Minderheit der Mönche bezeichnet sich selber als Attakurinen oder auch Attakanten - ihre Welt erschaffen, später seinen andere Götter hinzugekommen: der wirre Knallfonz, das Pizzapingulein und manche mehr. Um diese Götter nicht zu erzürnen, sprechen sie deren Namen nicht aus, sondern bewegen nur ihre Lippen, so dass lediglich aus der Mundstellung und dem Figurieren des Gesichtes zu ahnen ist, ob sie nun Attak, Knallfonz oder Pizzapingulein nicht auszusprechen sich bemühen.

 

Der Glaube der Kattharuinen

 

Im Glauben der Kattharuinen gibt es keinen stetigen Fluss der Zeit. Sprungartig bewege sich das Geschehen vorwärts, "von Post zu Post", wie Abt Sülze, der ehrwürdige Prior der Gemeinschaft, in seinen "Briefen aus der Katakombe" es postuliert hat. Die Zukunft entscheide sich von Post zu Post, die Vergangenheit versinke im digitalen Nirwana, die Gegenwart aber stehe wie festgefroren im katakombischen Raum-Zeit-Kontinuum, und nur durch tiefe Versenkung, Kasteien, Gebet und rituelle Geschlechtsakte seien die Götter zu einer Änderung ihrer einmal getroffenen Entschlüsse zu bewegen. Diese seltene Änderung bereits getroffener göttlicher Entscheidungen, von einfachen Gläubigen Wunder genannt, von den Eingeweihten als "Editieren" bezeichnet, gilt den Kattharuinensern als Beweis für die Existenz der Götter.

 

Die Mönche stellten den Leiterwagen in den Stallungen des Klosters unter, fegten für die Pilger und ihre Hunde einige der seit unausdenklichen Zeiten leerstehenden, nach Ansicht anderer Mönche aber gerade erst entstandenen, weil in dieser Sekunde geposteten Zellen, wiesen den erschöpften und staubbedeckten Gästen den Weg zu den Bädern ("geradeaus gemischte Sauna und Lapidarium, der Whirlpool ist hier links") und luden sie zum anschließenden Begrüßungsessen (Kerbelsüppchen, geschmortes Kaninchen flämische Art mit Backpflaumen und Gnocchi, Aprikosenschaum mit Vecchia Romagna flambiert) ins Refektorium ein.

 

"Über den Fortgang dieser Geschichte aber", so sprach Abt Sülze als Tischgebet, "und ob sie nun im Kattharuinenkloster oder im unterirdischen Gang am Vatikan weitergeht, entscheiden, wie stets, die Götter."

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Mischapinguin
der Hüter des eiligen Grals

saß mitsamt seiner schwärenden Wunde versonnen in seinem grottendunklen Höhlengang und paßte auf, daß der Gral ihm nicht enteilt. Da erschien auf dem Gral plötzlich eine Schrift:

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"Bedecke die schwärende Wunde!" Hastig warf der Hüter ein Stück Sackleinen über das Bild der splitternackten Versucherin, die nach der Verfügung der Gralsritter (Vigilien XXXIV, Faszikel 9) unter dem Namen "schwärende Wunde" als Sinnbild der nicht endenden erotischen Ablenkung das Hüten des eiligen Grals zu einer Aufgabe gemacht hatte, der nicht einmal Eunuchen sich auf Dauer gewachsen fühlen konnten.

 

Es war nur eine Sekunde, doch sie reichte dem hastigen Kelch, von der Apfelsinenkiste, auf der er gestanden hatte, zu kollern. Und wären nicht in diesem Moment Silke - im flackernden Licht einer Chiantiflaschentropfkerze fast so schön wie die schwärende Wunde - , der Kapplan mit seinen glutvoll schwarzen Augen, Pfarrer Freihintener, der Gardist und vor allem das schwarze Kätzchen mit dem weißen Fleck unter dem Kinn um die Felsecke gekommen und hätte sich nicht das Kätzchen auf den Kelch gestürzt als sei es ein Wollknäuel, der Gral wäre entkommen.

 

So aber...

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Mischapinguin

So aber schnappte sich Sirrisusus den kullernden Kelch und brachte ihn brav dem verdutzten Kapplan. "Seht, auf dem Kelch erscheint eine Leuchtschrift", flüsterte dieser: "Es wird jemand kommen, und die erlösende Frage stellen." "Was bedeutet das?" flüsterte nun Pfarrer Freihintener. Der vermeintliche Schweizer Gardist deutete stumm auf den Gralshüter, und der Kapplan trat forsch an diesen heran, um die Frage zu stellen: "Sagt, Onkel, wie kommen wir zu Papst Benedikt?"

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"Es tut mir von Herzen leit...", sprach der brave Pfarrer, und mit einem gewaltigen Knarren öffnete sich eine in der Wand verborgene Tür.

Die Pilger sahen ihren Geistlichen mit maßloser Bewunderung an, denn sie ahnten nicht, dass der Pfarrer mit seiner üblichen Nuschelei aus "Herzen leit" ein "Herceloyde" gemacht hatte! Er hatte den Namen jener lieblichen Maid ausgesprochen, deren Gahmuret, der edle Recke begehrt hatte und sich mit ihr vermählte. Und sie wussten auch nicht, dass deren Sohn, der edle Parzival, später der König von Monsalvat werden sollte. Und da sie das alles ohnehin nicht wussten, bemerkten sie auch nicht die schwarzweisse Elster, die angeflogen kam und mit ihren Krallen Sirrisursus packte und mit dem Krächzer "Feirefiss!" aufstieg.....

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Mischapinguin

Wohl aber bemerkten sie, wie der grimmige Gralshüter plötzlich wieder jung und kräftig wurde und eine völlig neue Lebensfreude ausstrahlte. Er trat an die Gruppe heran.

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Wohl aber bemerkten sie, wie der grimmige Gralshüter plötzlich wieder jung und kräftig wurde und eine völlig neue Lebensfreude ausstrahlte. Er trat an die Gruppe heran.

"Folgen wir Feirefiss...", sprach er und

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Mischapinguin

"er wird uns zu Benedikt bringen, dem obersten Hüter des eiligen Grals, der mir die Aufgabe übertragen hat, diesen zu bewachen." Hastig stolperte er in den dunklen Seitengang, in dem der eilige Gral eilig sein Licht anknipste. "Feirefiss!! Feirefiss, wo bist du??", rief der Hüter, und aus der Ferne vernahm unsere Gruppe ein Flügelschlagen und ein klägliches Miauen. Der leuchtende Gral übernahm nun die Führung, und die anderen versuchten, mit ihm Schritt zu halten. Plötzlich wich der Gral eilig zur Decke aus, und da vernahmen auch die anderen ein bedrohliches Rauschen. Pfarrer Freihintener schlug sich entsetzt die Hände vor das Gesicht, als er einen Thronwagen auf sich zurasen sah, den ein schöner Jüngling steuerte. Hinter ihm thronte ein Prachtgebilde, dem Kapplan deuchte, es sei ein König reich und milde. Der schöne Knabe rief: "Bin die Verschwendung, bin die Poesie!"

So, jetzt dürfen die Küchenphilosophen wieder eingreifen, weil wir ja gar nicht wissen, ob der Knabe den zitierten Text kennt, oder ob er weiß, daß nur wir für ihn zitieren und es ihn selbst außerhalb der Texte gar nicht gibt... :lol:

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In diesem Moment begriff Silke das Gekritzel, das sie an der Wand der Katakombe, gleich hinter dem Eingang, gesehen hatte: "Auch ich bin unermeßlich reich. JWVG 1787".

 

(Momentchen bitte, geht heute noch weiter.... :lol:

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"Bin die Verschwendung, bin die Poesie" hatte poetisch der schöne Jüngling auf dem Thronwagen gerufen,

 

...und poetisch geht es weiter

 

„Die Bedeutung der Gestalten

würde gerne ich entfalten“

jammerte der Pfarrer bänglich –

Silke, dafür nicht empfänglich,

sah ihn, der den Wagen lenkte.

Jener seinen Blick drauf senkte,

und sie sprach: „Man muss gestehn:

Erstlich bist du jung und schön.

Halbwüchsger Knabe bist du; doch die Frauen,

sie möchten dich ganz ausgewachsen schauen.“

Da schöpfte auch der Pfarrer Mut,

sprach: „Dieser, der als Prachtgebilde

Hier auf dem Wagenthrone prangt.

Verratet mir, ach seid so gut –

Er scheint ein König reich und milde -

Wie man wohl seine Gunst erlangt!

Dem Kapplan schwoll die Zornesader:

„Was schwatzt du mit dem Hinterlader?

Ein Geldsack ist’s, ein goldnes Vieh.

Was nützen Reichtum, Poesie -

Schluss hier mit Faust, mit Goethe Schluss,

ich such jetzt nach Sirrisusus!“

 

Und mochten nun auch Gold und Krönchen fliegen

Von Plutus’ Hand – sie eilten rasch vorbei,

ließen die Perlen und die Spangen liegen,

traten die funkelnd’ Kleinode zu Brei.

Wussten sie doch aus der Konstanzer Uni:

Zu Dreck wird jeder so erhaschte Hunni.

bearbeitet von Alfons
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Wir sind immer noch in den Katakomben...

 

...und folgen erstens einem käsig leuchtenden Kelch, zweitens einem schwarz-weißen Vogel, drittens einem schwarz-weißen Kätzchen und haben viertens einen zum Glück wieder – nach so vielen Jahren – genesenen Menschen an unserer Seite; nein, er läuft schon voraus, Licht schimmert vor uns...

 

Es weitet sich der Höhlengang,

und unter einem Überhang –

 

oh, pardon, wir sind ja in einem ganz anderen Stück. Also bitte auch anderes Versmaß...

 

Die Höhle weitet sich zum Saal

Von Kerzenbündeln hell erleuchtet

Als brenne dort ein ganzer Wald.

Und an der Tafel, die der Last

Der Speisen mühsam widerstand nur,

saß grinsend nun Herr Fairifis,

der elsterartigen Gestalt zwar ledig,

doch weiter elsterartig bunt.

Und in der Hand – nein, nicht den Gral, den kann doch

Der ungetaufte Mohr nicht sehn.

Nein, in der Hand ’nen Hühnerknochen,

und mit dem zart gesottnen Fleisch

fütterte Fairifis das Kätzchen.

Die Luft roch noch nach teurem Ambra,

Nelke, Kardamom, Muskat,

womit der Hüter des Pokales,

the Keeper of the hurried Quaich,

beseitigte den Wundgestank.

Verzeiht, sprach da ein blasser Ritter,

Anfortras’ Schreiber offenbar,

und wendete sich zu den Gästen,

verzeiht, dass ich vor ein paar Postings

die wahre Art der schwärend’ Wunde

euch frech verbarg. Wer spricht schon gern

in Gegenwart von edlen Damen

von einem eitrig’ Hodensack?

Nun ward geschmauset und gezecht,

der Gral, er schwoll von rotem Wein,

der Gral war Frucht der Seligkeit

war Füllhorn aller Erdensüße,

er reichte nah an das heran,

was man vom Himmelreich erzählt.

 

Doch mitten im Schmausen löste sich von der Höhlendecke ein Schatten, wurde zur pelzigen Kugel, die schwer auf die Tafel schlug. „Eine Ratte!“ kreischte der Pfarrer. Das räudige Tier richtete sich auf, Blut troff von seinen Pfoten. Schwankend krallte sich die Ratte, nur auf den Hinterläufen stehend, an einer blakenden Kerze fest, an der nun einzelne Tropfen hellroten Blutes hinab rannen, fixierte den sich bekreuzigenden Kapplan und sprach:

 

Verlohrne Christenheit! Es ist mit dir geschehn!

Jerusalem Europens ist verstokkt.

Jehova der verwirfft dein falsches Jesusflehn!

Ich sehe dich, wie Sodom, angeblokkt.

VVer faehrt herab zur prob,

Ob du gemacht so grob?

Wer kommt zur Stadt? Welch zulauff? So gar schnell?

Nichts helffen Romas waell.

Rom verleuhret seinen Stuhl

Und versinkt in schwefelpfuhl!

 

„Theresa, die stigmatisierte Kanalratte“, flüsterte der bleiche Schreiber des alten Königs, als das Tier glühenden Auges – es war das linke, aus der Höhle des anderen floss Blut – mit der Bußpredigt fortfuhr:

 

Verhoent, verspeit, vernarrt,

Getoedtet, schmachverscharrt.

Gott aergert A.L.L.S., vveil er sein vvort verzeucht,

das keiner doch erreicht.

 

Betroffenes Schweigen in der Runde, als die Ratte sich auf alle vier Pfoten niederlässt, langsam, eine rote Spur auf der Tafel hinterlassend, auf Silke zu kriecht und sagt: „Na, wie war ich? Superschau, wa?“

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Mischapinguin
Ich schmeiss mich weg.... *totlach*.... ich schreib nachher weiter....

:lol: Ich auch!!! :):)

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Silke zuckte nicht mal mit einer Augenbraue und stiess die stinkige, stigmatisierte Kanalratte beiseite. Der kreischende Pfarrer, der sich auf die spärlichen Überreste des Thronsessels gerettet hatte, spähte zwischen seinen Fingern hervor, während der "Schweizer Gardist" mit seiner Hellebarde drohte...

Wie vom Geist erfüllt, richtete sich plötzlich Sirrisursus auf und maunzte:

 

"Die Welt im Wandel zeigt sich mir

gefunden ist der Weg nach hier

wo funkelnd Steine leuchten klar

und Reden werden offenbar.

Den Weg wir suchten lange Zeit

gefährlich war es und auch weit

ein Wunder zu Beginn geschah

nun ist das Ziel erstaunlich nah.

Ich sage Euch, miau, miao

wir sollen alle werden froh,

denn schnurr, radatz und girigro

Die Pforte liegt verschlossen do.

Ein Rätsel geb ich Euch ihr Leute,

die mich errettet von Köters Meute

So hört und gebet artig acht,

was Euch den Weg nun offen macht:

Drei Berge kenne ich im Haus

der erste ruht sich lang schon aus.

Doch seine Knochen ruhen nicht

wo Pilger suchen sie erpicht

auf Segen und auf heiligen Schein.

Wo mögen sie zu suchen sein?

Miau, Mio, so find den Knochen

und bist du drunter her gekrochen,

findst du jenen heiligen Schrein

in welchem weisse Bänder sein,

die seine Brüder tragen nun,

da seine Gebeine hier lang ruhn.

Find den Schrein, schnurrischnurra

einen Sternen findst du da

und kannst du ihn zärtlich umfassen

öffnet sich ein neue Gassen

hinauf, hinauf, wir sind am Ziel

in Gottes weitem Erdenspiel."

 

347_FL_2005.jpg

bearbeitet von Katta
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Über den vermuteten Fortgang

des Romanfragments „Sebastianszell“

 

 

 

Forschungsbericht

des Dekans der Fakultät für verloren gegangene Hochsprachen

der Universidad de Antofagasta,

Dr. Slabomir Lallschwall-Strohdresch

 

 

Teil 1

 

Eines der großen Rätsel der um das Jahr 2050 untergegangenen neu-mittelgermanischen Literatur ist das Fragment „Sebastianszell“, das in drei bruchstückhaft erhaltenen Computerausdrucken auf Papier in den Musealbibliotheken von Neu-Rom, Bad Dallas und Antofagasta aufbewahrt wird.

 

„Sebastianszell“ ist insofern von Bedeutung für die moderne Romantheorie, als hierin das früheste Zeugnis des so genannten Klitter-Romans gesehen wird, einer literarischen Form, die seit bald hundert Jahren zur deduktiv-erzählenden Romanform schlechthin geworden ist. Ihre ständigen Stilbrüche, Abirrungen, falschen Spuren und fallen gelassenen Erzählfäden gelten als adäquates Stilmittel, um im Gegensatz zur früher bevorzugten Vielschichtigkeit die Vielfädigkeit des Romangeschehens als Abbild des modernen Lebens darzustellen. Dazu bedient sich der Autor des Kunstgriffs, fiktive unterschiedliche Roman-Autoren einzuführen, die sich wiederum unterschiedlicher Stillagen bedienen. (Siehe „Von der Diskrepanz zur Synkopie - die Theorie des spätneuzeitlichen Klitter-Romans“, von Basilikus Kondorman-Dorenkeppel, Neu-Rom 2182).

 

Der Fund

 

Bei Ausgrabungen 2189 in Mittelgermanien, nahe der Ruinen der Stadt Schumirode (nach anderer Lesart Kerpen-Schumdorf) fanden Archäologen eine Mappe mit Blättern, die in dem trockenen Wüstenklima Mittelgermaniens fast unversehrt erhalten geblieben sind. Die Blätter stammen mit hoher Wahrscheinlichkeit vom Sebastianszell-Verfasser selber oder einem der Mitverfasser - sofern man der Ansicht des geschätzten Kollegen Grentz D. Biel (University of the Real Jesus, Bad Dallas) anhängt, bei dem Verfasserkollektiv handele es sich nicht um fiktive, sondern tatsächlich reale Personen - eine Ansicht, die von der Mehrzahl der Linguisten abgelehnt wird.

 

Die neun Blätter (NOT-SEB I - IX) enthalten handschriftliche Notizen zu einer Fortsetzung von Handlungssträngen des Sebastianzell-Romans und beziehen sich in weiten Passagen auf den Sirrisusus-Monolog, mit dem die bisher bekannten Fragmente des Werkes enden.

 

Dieser Fund beendete mit einem Schlag die Jahrzehnte anhaltenden Spekulationen, ob „Sebastianszell“ in der bisher vorliegenden Form nicht doch als abgeschlossenes Werk zu betrachten sei. Nein, keinesfalls. Die Notizen deuten auf umfangreiche Fortsetzungen hin, die allein von der Fülle der Themen erkennen lassen, dass der ursprüngliche Umfang von „Sebastianszell“ mindestens das Doppelte der bislang gesicherten Texte enthält oder enthalten sollte - ob die Fortsetzung tatsächlich wie geplant ausgeführt wurde, ist umstritten.

 

Drei Berge – Abendland?

 

Endgültig entschieden ist nun auch der Streit um die Bedeutung der „drei Berge“ im Sirrisusus-Monolog ("Drei Berge kenne ich im Haus / der erste ruht sich lang schon aus"): Entgegen gültiger Lehrmeinung bezieht sich diese Stelle nicht auf das Zitat des ehemaligen mittelgermanischen Staatslenkers Theo der Heuss (um 1860 - 1963) von den „drei Hügeln, von denen das Abendland seinen Ausgang genommen hat: Golgatha, Akropolis und Capitol“.

 

Damit erledigt sich eine ganze Forschungsrichtung und leider auch eine zweijährige wissenschaftliche Deutungsarbeit des Verfassers (siehe meine

Dissertation: "Die Idee des christlichen Abendlandes im Spiegel der Sebastianszell-Fragmente", Antofagasta 2166).

 

Was aber ist nun das Besondere an den Notizen, die uns der Sebastianszell-Autor in seiner ledernen Mappe hinterlassen hat? Es ist zweierlei. Zum einen eine Lösung des Rätsels, das im Sirrisusus-Monolog gestellt wurde. Zum anderen eine Reihe von Fortsetzungsvarianten, die zumindest in Umrissen einen Plan des Romans erahnen lassen, in dem die wahre Absicht des Verfassers (oder Verfasser-Kollektivs, wie G. D. Biel sagen würde) erkennbar wird, ein Abbild der germanisch-europäischen Welt im Zerrspiegel bereits damals untergegangener Riten und Mythen zu „erblödeln“.

 

 

Antofagasta, im Juni 2191

 

Fortsetzung folgt...

bearbeitet von Alfons
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Ich krieg mich nicht mehr ein, Alfons.... *TränenausdenAugenwisch*

 

Also gut, ich mache weiter.... sonst enden wir eines Tages noch im Eppelsheimer-Köttelwesch.... :lol:

 

 

Die wackeren Pilger starrten Sirrisusus verwirrt an, der sich wieder auf alle viere niedergelassen hatte und nun seine Pfötchen leckte. Der Pfarrer gab nur ein ersticktes "Hmpf" von sich, als sich in einem der Gänge etwas bewegte und eine merkwürdige Gestalt erschien, bekleidet mit olivfarbenen Cargohosen und einem breitkrampigen Hut, welcher ihm tief ins Gesicht hing. Am seltsamsten erschien ihnen jedoch, dass er mit einem Kompaß gegen die Wände deutete und dann geheimnisvolle Zahlen und Abkürzungen auf einen gewaltigen Notizblock schrieb.

Ihm folgten zwei junge Frauen, die sich lebhaft auf einer altertümlichen, scheinbar deutschen Sprache unterhielten und dann und wann in lautes Gelächter ausbrachen. Die Pilger wunderten sich - da sie ja auch Sirrisusus bei sich hatten - weniger über den Lemuren, den die eine auf der Schulter trug, noch über den Pinguin, der den beiden Maiden auf den Fuß folgten, sondern vielmehr darüber, dass, sobald die eine einen Satz in jener fremdartigen Sprache von sich gegeben hatte, die andere mit einem Exemplar des Parzivals winkte und beide zu lachen begannen.

Der Pfarrer fasste sich zuerst ein Herz und sprach die drei Gestalten an.

"Werte Damen, guter Herr, wir haben uns hier in den Scavi verlaufen und sind nun auf der Suche nach etwas, was unser guter Sirrisusus hier uns in rätselhafter Form aufgegeben hat. Aber eigentlich möchten wir zum Papst und ihm diesen reizenden und klugen Kater überreichen, denn er ist vom Himmel gefallen und das ist doch ein Zeichen."

Während der Mann noch einige Zeichen auf seinen Block machte, sagte die Dunkelhaarige zur Blonden "Ich würde sagen, das deutet auf Gottfried hin.", und lockte Sirrisusus, der ihr mit Schnurren um die Beine strich. Die Blonde zündete sich eine Zigarette an und meinte: "Naja, Wolfram eher nicht."

Und wieder brachen beide in lautes Lachen aus.

Schliesslich beruhigten sie sich wieder und der Mann antwortete: "Werter Herr Pfarrer, wir sind auch auf Erkundigungstour in den Scavi, denn wir sind Literaturwissenschaftler und haben hier unten unseren Faden verloren. In den Archiven von Neu-Rom, Bad Dallas und Antofagasta sind nämlich Textfragmente eines Romans aufgetaucht, in welchem ein ebensolcher Sirrisursus eine wesentliche Rolle spielt."

Die Dunkelhaarige nahm Sirrisusus auf den Arm und kraulte ihm unterm Kinn. Da fing der Kleine seinen Monolog von vorne an.

"Hast du das gehört, Mischa?", meinte die Blonde zu ihrem Pinguin, der eifrig hinter ihr herwatschelte, "Das ist es! Das ist der berühmte Monolog aus dem von uns gefunden Textfragment."

"Und wo ist jetzt das Problem?", sprach die Brünette und kraulte das Kätzchen weiter.

"Wir vermögen nicht die geheimnisvollen Worte unseres Katers zu deuten."

Der Pinguin hüpfte aufgeregt auf und ab und gab ein helles Schnattern von sich.

"Richtig, Mischa.", antwortete die Blonde und deutet auf den Mann mit dem Kompass. "Unser Alfons, das müsst ihr wissen, hat nämlich mit seinem Kompass die Spuren Schumirodes verfolgt, die bis hierher reichen."

"Und wir sind Experten für Berge.", antwortete die Brünette. "Große Berge, kleine Berge... aber das ist ja kein Rätsel, was Euch dieser kleine Matz hier vorgegeben hat, sondern ganz eindeutig ein Hinweis."

"Aber allein in Rom gibt es doch sieben Hügel!", wetterte der Schweizer Gardist und die Blonde drohte ihm mit ihrer Zigarette. "Schwätz itt soviel, du Kaschperle."

"Also: Drei Berge. Ist doch klar. Was hat Sirri gesagt?

Drei Berge kenne ich im Haus

der erste ruht sich lang schon aus.

Doch seine Knochen ruhen nicht

wo Pilger suchen sie erpicht

auf Segen und auf heiligen Schein.

Wo mögen sie zu suchen sein?

Auf dem ersten, steht doch dieses Kirchlein hier. Der zweite ist der regierende Papst. Easy. Und der dritte? Nun, wer ist der Fels, der sich schon lange hier ausruht und dessen Gebeine hier in den Scavi gefunden worden sind?"

"Ich weiss es, ich weiss es!", hüpfte der Gardist auf und ab. Doch Silke war es, deren lieblicher Mund die Antwort gab. "War es am Ende der Heilige Petrus selbst?"

"Na also.", antwortete der Mann und schrieb eine neue Zahl auf seinen Block, nachdem er Silke mit seinem Kompass untersucht hatte.

bearbeitet von Katta
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"Und wo suchen Pilger seine Gebeine?"

"Die meisten in der Krypta", antwortete der Kapplan. "Doch wie meine selige Gevatterin mir einst glaubwürdig versicherte, ruhen die Gebeine doch nicht dort, in der kleinen Kiste, in der man das Pallium und den Fischerring aufbewahrt."

Die Blonde stiess plötzlich einen Schrei aus und huschte in eine dunkle Ecke, in der Mischa durch einen schmalen, bislang unentdeckten Gang davongewatschelt war. Auch Sirri und der Lemur hatten sich dort davon gemacht....

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Die Sumpfmaden

 

Mit einem lemurenhaften Tempo, dass selbst der durchtrainierte Palatingardist Mühe hatte, Schritt zu halten, rannten die Boten aus der zukünftigen Vergangenheit durch die moderigen Gänge tief unter den Mausoleen im Untergrund des Vatikans, dort, wo 1930 Jahre zuvor in den Neronischen Gärten blutige Bacchanalien gefeiert worden waren, wo Rotwein und Christenblut flossen. Im Flackern der Fackeln meinte der Kapplan das blitzeumzuckte Bild der strengen Kybele zu erkennen. Hier irgendwo muss ihr Heiligtum gestanden haben, das Phrygianum – ein Spuk, ein Flimmern vor seinen Augen – vorbei. Rennen. Hallende Schritte. „Ein Kreuz mit dem Kopf nach unten“ murmelte verstört Pfarrer Freihintener. Dann rutschte er aus auf der schlickigen Spur, die sabbernde Sumpfmaden auf ihrer alljährlichen Bußprozession am Tag des heiligen Falko, Abt von La Cava, gezogen hatten - also gerade heute.

 

Bei dieser Prozession in den Gängen römischer Katakomben bilden die sabbernden Sumpfmaden metergroße Flächen, jede Made verschlingelt mit der vor und hinter, verschlungelt mit der neben und afterneben ihr, dass es aussieht wie ein bleicher wogender wimmelnder Teppich aus Maden, und wer das Pech hat, von einer solchen Madenwoge überschleimt zu werden, legt in seinem weiteren Leben ein sehr, sehr ungewöhnliches promiskuitives Verhalten an den Tag, das (Hä? Nein, kein Verdauungssaft, Sumpfmaden gewinnen ihren Schleim aus den Geschlechtsdrüsen gelähmter Grottengimpel. Aber jetzt bitte keine Zwischenfragen mehr) ein Verhalten, das Biologen direkt auf die Einwirkung des Madenschleims zurück führen. Zum Glück für Pfarrer Freihintener war die Prozession gerade um wenige Minuten vorbei.

 

Tiefe Orgeltöne hallten getragen-dumpf aus den namenslosen Gängen vorkonstantinischer Totenstädte („Nekropolis“ für Orgel vierhändig von Theo Brandmüller, nach einem Gemälde von Paul Klee, wie der Kapplan im Laufen quasi beiläufig anerkennend vermerkte), als die rasante Gruppe, der Pfarrer schon komatös schnaufend, die ausgetretenen Stufen einer breiten Steintreppe hinauf hetzte, dunkelbraune Blutspritzer an einigen der Stufen nicht achtend (zum Glück für den Ruf einer anderen, gar nicht einmal weit entfernten Treppe) und sich in weiten, durch 15-Watt-Glühbirnchen schwach beleuchteten grottengrauen Hallen wieder fand, als eine helle Stimme sie plötzlich stoppte: „Warum rennen wir eigentlich so?“ fragte Silke.

 

„Stimmt eigentlich“, blinzelte die Blonde. „Immer wenn ich Gräber sehe, muss ich rennen. Das Lara-Croft-Syndrom.“

 

„Naja, hier gibt es ja Gräber genug!“ Silke wieder. „Wo sind wir jetzt eigentlich?“

 

„Moment, ab hier kenne ich mich aus.“ Die merkwürdige Gestalt in olivfarbenen Cargohosen und breitkrempigem Hut griff in Cargohosentasche 13 (linkes Bein außen) und zog eine Karte heraus: „Hier, in der Nekropolis der Ägypter.“

 

necropolisstpetersplan.jpg

 

"Schaut her, keine 50 Meter von hier muss die Muro Rosso sein. Dort, glaubte man früher, soll Simon Petrus begraben liegen."

 

(Geht gleich weiter).

bearbeitet von Alfons
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Adieu, mein kleiner Gardeoffizier...

 

Dies ist nun der Moment, in dem sich der Palatingardist, der die Pilger durch die unterirdischen Gänge begleitet hat, heimlich zur Seite und aus dieser Geschichte hinaus stiehlt.

 

Mit welcher Hinterlist war er von seinem Erdenker in die Pilgergruppe eingeschleust worden! Und welche Möglichkeiten der Handlungsfädenverzwirbelung hätte er geboten! Man bedenke: Eine 1850 gegründete, 1970 aufgelöste treu zum Papst stehende militärische Truppe, deren einstige Mitglieder die Schmach dieser Auflösung nicht verwinden können. Heimliche Treffen. Verschwörungen, in die namhafte Prälaten verwickelt sind. Geheime Gänge, geheime Bünde, geheime Konten. Waffenlager. Unterwanderung der Schweizergarde. Der Anschluss an die Sebastianszell-Pilger, um in die Nähe des Papstes zu gelangen. Entdeckung, Aufruhr, Säbelklirren. Kampf Mann gegen Mann. Schwere Reiterei in den Fluren des Vatikan. Die Nationalgarde greift ein. Der Lateran ist Brückenkopf der Aufständischen, Mörser wummern, amerikanische Luftlandetruppen besetzen den Petersplatz, Papst Benedikt schlägt ein Hilfsangebot von Al Kaida aus, versehentliche Zündung eine Neutronenbombe auf Castel Gandolfo, im Gegenschlag wird der Kölner Dom ausradiert, und dann läuft die Handlung wirklich aus dem Ruder....

 

Oder wie sonst bitte - um mich jetzt einmal selber zu zitieren - können wir uns „das trockene Wüstenklima Mittelgermaniens“ erklären, wo in „den Ruinen der Stadt Schumirode“ im Jahr 2189 genau diese Blätter gefunden werde, die ich hier gerade schreibe? Vorbei. Wieder eine Weltkriegs-Chance vertan. Leb wohl, kleiner Palatingardist.

 

Jenseits und Hirsebrei

 

Wo wir gerade bei Handlungsfäden sind: Was macht eigentlich der Rest der Pilgergruppe im Katharuinenkloster? Immer noch in der gemischten Sauna? Oder schon wieder? Ah, nein, man hört gerade einen Vortrag über die Bedeutung des Hirsebreis in der Schlaraffenland-Erzählung für die Jenseitsidee der Katharuinenser, sehr spannend, aber auch sehr lang, da können wir unbesorgt noch ein wenig in den Nekropolen unter St. Peter herumstromern, etwas fußkalt hier, ja, aber angesichts der Frühsommerhitze in Rom durchaus akzeptabel...

 

Mit einem gewissen Ingrimm hatte „die merkwürdige Gestalt in olivfarbenen Cargohosen“ – künftig vielleicht einfacher DMG-IOC abgekürzt – der Stimme von Sirrisusus gelauscht, als sie oder besser er den Monolog ein weiteres Mal aufgesagt hatte. „Trau keiner Katze in wissenschaftlichen Dingen“ murmelte DMG-IOC nun, als die Gruppe den hohen Gang zwischen den unterirdischen Grabgebäuden nach West zu schritten, und: „Ich weiß es besser“. Er zog aus der Tasche Nr. 5 (doppelte Hecktasche rechts) seiner Hose ein zerknicktes Konvolut Papier, blätterte darin. Ja, hier:

 

 

Über den vermuteten Fortgang

des Romanfragments „Sebastianszell“

 

Forschungsbericht von Dr. Slabomir Lallschwall-Strohdresch

Antofagasta, im Juni 2191

 

Teil 2

 

"Sebastianszell" gilt als eine untergründige Auseinandersetzung mit dem so genannten Röhmkatt, einer multitheistischen Religion, in der sogar den Führern dieser Religionsgemeinschaft gottähnliche Attribute zugeschrieben wurden. Das Romanfragment führt uns in - genauer gesagt unter - die Zentrale des Röhmkatt, die Basilika St. Peter (sprich Sänt Pihta). Der Sirrisusus-Monolog gibt genaue Anweisungen, wie die Hauptpersonen des Romans durch unterirdische Gänge eines 2000 Jahre alten Friedhofs, einer Nekropole, zum Aufbewahrungsort der Pallien (Siehe Anmerkung 1: Pallium) kommen, direkt vor dem Grab des ersten Führers der Röhmkatt. Dieser erste Peter und in der Nachfolge alle seine Nachfolger wurden Päpste oder auch Felsen genannt - ein Hinweis auf die "3 Berge im Haus"? Ja und nein. Über 100 Päpste liegen in dieser Basilika begraben, ein sehr felsiger Untergrund demnach. Welche drei davon sind die erwähnten Berge? Die nahe liegende Idee, dass „der erste“, der sich „schon lange ausruht“, der erwähnte erste Bischof Simon Petrus ist, ist verführerisch. Die anderen beiden könnten dann der gerade regierende und der zum Zeitpunkt der Sebastianzell-Handlung gerade verstorbene Papst sein. Doch das führt nur teilweise zur Lösung.

 

Nach meiner Überzeugung ist dieser Teil des Rätsels bewusst doppeldeutig. (Siehe auch Anmerkung 2: Erdenspiel). Viel spricht dafür, dass mit den drei Bergen zugleich die drei Päpste Gregor I., Callistus II. und Clemens VIII. gemeint sind. Ihre Altäre standen im 20./21. Jahrhundert in der damaligen Petersbasilika übereinander, und zwar exakt über der Palliennische, in der jener „heilige Schrein“ mit den weißen Bändern stand. Die Altäre „bergen“ somit den Schrein.

 

papalaltar.jpg

 

Das Grab des Petrus soll sich, so hieß es damals, auf einem 4 mal 7 Meter großen Grabfeld aus dem 1. Jahrhundert, dem „Campo B“ befinden, vor einer roten Mauer (Muro Rosso). In dieser Mauer ist die Nische mit dem Pallienbehälter. Die Knochen des Petrus allerdings wurden – entgegen der Behauptung der Röhmkatt-Führer – nie gefunden. Was um das Jahr 1950 als echte Petrus-Knochen gerühmt wurde, erwies sich bereits wenige Jahrzehnte später als die Gebeine von drei verschiedenen Individuen, darunter einer etwa 70-jährigen Frau.

 

Teile des Kopfes von Petrus jedoch, so eine andere Überlieferung dieser Religion, und zwar ein Kieferknochen mit ein paar losen Zähnen und ein Stückchen Schädelknochen, befinden sich in einem goldenen Reliquiar in einem Schrein über dem Papstaltar der Lateranbasilika. Das war viele Jahrhunderte lang die Konkurrenzkirche von St. Peter.

 

 

Anmerkung 1: Pallium

 

In der prunkvollen Schatulle in der Nische über dem Petrusgrab lagen nicht, wie viele Röhmkatt-Gläubige annahmen, die Gebeine des Petrus. Dieser Kasten – an dem ich übrigens nicht den im Sirrisusus-Monolog erwähnten „Sternen“ gefunden habe – enthielt so genannte Pallien, bandartige Umhänge, die nur der jeweilige Papst und die etwas rangniederen Erzbischöfe tragen durften. In die Enden der Bänder waren Bleistücke eingenäht. Unter bekleidungstechnischem Gesichtspunkt waren diese Umhänge nutzlos, doch hatten sie hohen symbolischen Wert. Die Herstellung dieser weißen Wollbänder mit aufgestickten schwarzen, gelegentlich auch roten Seidenkreuzen ist legendenumwuchert. So sollen sie aus der Wolle von zwei geweihten Lämmern gewebt worden sein. Die Seide für die Kreuze wurde angeblich von geweihten Seidenraupen gewonnen, die sich nur von Blättern ernähren, die vom Hügel Golgatha importiert wurden. Dass sich aus Mutationen dieser Raupen die gefürchteten sabbernden Sumpfmaden entwickelt haben, dürfte jedoch der bösartigen Phantasie damaliger Religionsgegner entsprungen sein.

 

 

Anmerkung 2: Erdenspiel

 

Die Fülle an versteckten Hinweisen und Andeutungen literarischer und religiöser Art im Sirrisusus-Monolog ist bis heute noch nicht annähernd erforscht. Einiges konnte entschlüsselt werden, doch vieles ist wohl nur aus dem zeitlichen Umfeld heraus verständlich und wird sich wohl heute im 22. Jahrhundert nie mehr verstehen lassen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die letzte Zeile „...in Gottes weitem Erdenspiel“ meint vordergründig den göttlich festgelegten Lauf des Geschehens, sowohl des Weltgeschehens als auch des Geschehens, das im Roman geschildert wird – somit ein Hinweis darauf, dass es in Sebastianszell um Religion geht, und zwar um Röhmkatt, eine Religion, in der Vorbestimmungen eine wichtige Rolle spielen - und Bücher, die „von oben diktiert“ sind.

 

Im Wort „Erdenspiel“ ist jedoch auch ein Hinweis auf die so genannte Planetenjonglage verborgen, auch Erdenspiel genannt, in der Überlieferung der südeuropäischen Knobi-Indianer ein fiktives Spiel der Götter. Im 11. Alfonsischen Psalm der Knobi-Indianer („Herr, halte mich im

Gleichgewicht“) ist vom „göttlichen Rastelli“ die Rede, der zehn Planeten gleichzeitig durch den Weltraum wirbelt, dabei entgleitet ihm ein Planet und zerbricht.

 

Am Ziel?

 

Der DMG-IOC faltete die Blätter des Forschungsberichts wieder zusammen, stopfte sie in Tasche 5 seiner Hose und folgte den anderen. Sie standen nun an der Rückwand des konstantinischen Mausoleums. Sirrisusus deutete mit der Pfote auf eine schmale Mauerritze. Der Kapplan langte hindurch. Ein Riegel knarrte, ein Gemälde schwang zur Seite und im Dämmerlicht erkannten die Pilger: Sie stehen in der Confessio, dem prächtigen Zugang zum angeblichen Petrus-Grab. Nur wenige Schritte noch, dann sind sie am Ziel...

bearbeitet von Alfons
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"Na also.", antwortete der Mann und schrieb eine neue Zahl auf seinen Block, nachdem er Silke mit seinem Kompass untersucht hatte.

Oh, hallo, das fällt mir jetzt erst auf.

 

Nennt man das heute so? :lol:

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pcrofl.gif

Hilfe! ich brauch Luft! ich ersticke vor Lachen!

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Theresa, die stigmatisierte Kanalratte, war, beleidigt wegen Silkes Tritt, aus den Katakomben gekrochen und hatte sich auf den Weg an das Tageslicht gemacht. Und immer wieder murmelte sie vor sich hin:

 

"Verlohrne Christenheit! Es ist mit dir geschehn!

Jerusalem Europens ist verstokkt.

Jehova der verwirfft dein falsches Jesusflehn!

Ich sehe dich, wie Sodom, angeblokkt.

VVer faehrt herab zur prob,

Ob du gemacht so grob?

Wer kommt zur Stadt? Welch zulauff? So gar schnell?

Nichts helffen Romas waell.

Rom verleuhret seinen Stuhl

Und versinkt in schwefelpfuhl!

Verhoent, verspeit, vernarrt,

Getoedtet, schmachverscharrt.

Gott aergert A.L.L.S., vveil er sein vvort verzeucht,

das keiner doch erreicht."

 

Es ist vielleicht nicht allgemein bekannt, doch war es für Silke, die neben ihrer Arbeit in der elterlichen Wirtsstube heimlich bei Kerzenlicht Theologie studiert hatte, offensichtlich, dass es sich hierbei um Auszüge aus dem Kühlpsalter handelte, dem Hauptwerk des barocken poeta laureatus Quirinus Kühlmann - einerseits einer der stärksten Dichter seiner Zeit, andererseits ein religiöser Spinner, dem die Kirche nicht fromm genug sein konnte. Er endete auf dem Scheiterhaufen. Silke, die dies selbstverständlich wusste, sich von einer Ratte aber nicht beeindrucken lassen wollte, wusste auch um die Brisanz dieser geheimnisvollen Nachricht.

Hatte doch während der Erwartungsphase des großen Ragnarökk´der wackere Wikinger Eiríkr eine Schrift verfasst, die vom germanischen Missionar Schammes übersetzt und umgeschrieben worden war. Eben diese Schrift hatte Quirinus Kühlmann 1679 im Archiv von Aschteus (nahe der syrischen Stadt hachma'stha'mm gefunden und dem damaligen Heiligen Vater überreicht. Dieser war allerdings weniger erfreut gewesen, als Quirinus seine eigene Übersetzung noch dazureichte und sie mit den Worten anpries: "Nur so, Heiliger Vater, kann man erklären, warum der Tiber auf ewig ein stinkendes Abwässer bleiben wird."

Und Silke erinnerte sich auch noch gut, dass das Kloster der Patres Antiproggressos Liberalos in der italienischen Appeninnenlandschaft deswegen geschlossen worden war. Denn die Anhänger des Eiríkir-Kultes, der sich geheim in abgeschlossenen, frommen Versammlungen getroffen hatte, hatten es sich zur Aufgabe gemacht, die wahre Botschaft Gottes unter den Menschen zu verkünden. Als Erkennungszeichen diente ihnen das gnadenreiche Bild von Alachmalil, auf dem die wahren Gesichtszüge des von ihnen verehrten Herren abgebildet waren.

 

Da Silke aber auch wusste, dass das Ganze für ihre Suche nach dem Heiligen Vater gänzlich unnützt war, schob sie den Gedanken an die stinkende, stigmatisierte Kanalratte weit von sich und eilte den Pinguin hinterher, welcher auf seinen kurzen Patschern davongetrottet war....

bearbeitet von Katta
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