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Geschrieben

Lesen ist der falsche Begriff, da ich tatsächlich das Buch nicht besitze, sondern eine Aufnahme davon höre, aber gerade bin ich ziemlich begeistert von Kurt Flasch: Warum ich kein Christ bin. 

 

Nun mag man zurecht fragen: Ist Studiosus unter die Religionskritiker/Kirchenkritiker gegangen? Nein, das sei ferne! Aber Flasch ist nicht nur ein durch und durch gebildeter Autor, sondern auch ein messerscharfer Beobachter des Christentums in Vergangenheit und Gegenwart. Und obwohl das Buch der Versuch einer Darlegung ist, warum der Autor eben kein Christ sein kann, sauge ich sehr viel Honig daraus, auch was die Kritik moderner Theologen angeht. Da kommen Flasch und ich zwar von ganz anderen Richtung her, aber treffen uns doch meist in der Symptombeschreibung. 

Geschrieben
vor 3 Stunden schrieb Studiosus:

Lesen ist der falsche Begriff, da ich tatsächlich das Buch nicht besitze, sondern eine Aufnahme davon höre, aber gerade bin ich ziemlich begeistert von Kurt Flasch: Warum ich kein Christ bin. 

 

Mein Rat: Ruhig kaufen, um später etwas nachschlagen zu können. Flaschs knappe, ruhige Art und sein trockener Humor haben mich auch beeindruckt. Wenn ich so schaue, was ich damals beim Lesen unterstrichen habe ... Etwa, als er aus seiner Studienzeit berichtet: "Ich hörte auch Germanisten, aber ihr schlechtes Deutsch stieß mich ab [...]" (S.13), das fand ich witzig und böse zugleich. Oder, nur ein weiteres Beispiel, im Kapitel 8, wo es eigentlich um Seele und Unsterblichkeit geht, eine Kirchenkritik in nuce, nur zwei knappe Sätze zwischendurch: "Wahr ist nur, dass in den Kirchen viel von Liebe die Rede ist. Sie handeln bei Geld- und Arbeitsrechtsfragen hart, aber ihre Reden klingen wie ein Harmonium tönt." (S.232).

Ich hatte mir damals vorgenommen, seine Vorlesungen über Nikolaus von Kues und sein Buch über Meister Eckhart zu lesen, bin aber nie dazu gekommen. Danke für den Anstoß, ielleicht komme ich im neuen Jahr dazu.
 

Geschrieben (bearbeitet)

Um nochmal über Flasch zu sprechen: Obiges Buch wäre vielleicht auch für Dich @Flo77 etwas (falls Du es nicht schon kennst). Ich bin etwa zur Hälfte durch und besonders in den ersten Kapiteln (mangels physischem Exemplar kann ich jetzt keine Seitenzahlen angeben) musste ich öfter an Dich bzw. an unsere "Streitgespräche" denken.

 

Am Anfang gibt Flasch, seines Zeichens ja langgedienter Ordinarius für Philosophiegeschichte, insbesondere Spätantike und Mittelalter, eine kleine religionsgeschichtliche Einführung, um zu zeigen, wann im Christentum die Zäsur stattfand ab der es nicht mehr ausreichte, einfach zu praktizieren, sondern der Fokus sich auf das "Glauben" von Glaubenssätzen verschob. Er kontrastiert das am religiösen Habitus der antiken griechischen bzw. römischen Kulturen, unter denen die Teilnahme am Kult, konkret an den Stadtkulten, das identitätsstiftende verbinde Element war. Er schreibt sinngemäß: Man konnte als fromm gelten, indem man einfach am öffentlichen Kult teilnahm (und insinuiert: unabhängig davon, was man persönlich glaubte oder nicht). Das erinnert mich an unsere Diskussionen. 

 

Und überhaupt streift Flasch vieles, über das wir hier auch regelmäßig sprechen: Er setzt sich ausgiebig mit Augustinus und dessen Beitrag zur christlichen Theologie auseinander. Durchaus auch kontrovers: So sei es eben jener Augustinus gewesen, bei dem die Frage nach der Wahrheit der Religion (in seinem kleinen Traktat De vera religione) zum ersten Mal eine entscheidende geworden sei. 

 

Auch dem durchaus ambivalenten Verhältnis des kirchlichen Lehramts zur historisch-kritischen Methode der Bibelforschung, die irgendwo zwischen stillschweigender Ignoranz und Lippenbekenntnissen chargiert, widmet er einen breiten Teil seines Buchs. Das könnte Dich interessieren. 

 

Mir gefällt besonders der unaufgeregte Zugang von Flasch. Er polemisiert wenig (hat anders als andere Religionskritiker keinen missionarischen Eifer, Menschen die Religion abspenstig zu machen), hat unzweifelhaft Ahnung von dem Gegenstand, den er behandelt, und pflegt einen gefälligen, unterhaltenden Schreibstil.

bearbeitet von Studiosus
Geschrieben (bearbeitet)
vor 4 Minuten schrieb Studiosus:

Um nochmal über Flasch zu sprechen: Obiges Buch wäre vielleicht auch für Dich @Flo77 etwas (falls Du es nicht schon kennst)

Kennen nicht, aber klingt gut.

bearbeitet von Flo77
Geschrieben
vor 2 Stunden schrieb Studiosus:

Mir gefällt besonders der unaufgeregte Zugang von Flasch. Er polemisiert wenig (hat anders als andere Religionskritiker keinen missionarischen Eifer, Menschen die Religion abspenstig zu machen), hat unzweifelhaft Ahnung von dem Gegenstand, den er behandelt, und pflegt einen gefälligen, unterhaltenden Schreibstil.

 

Ich hab mal nachgeschaut und festgestellt, daß ich mir einen Auszug seines Buches heruntergeladen habe. Warum es bei mir letztlich durchs Raster gefallen ist, kann ich nicht mehr sagen. Vermutlich, weil die Frage, die der Autor sich hier stellt, für mich keine ist. ;)

Geschrieben (bearbeitet)
vor 23 Minuten schrieb Marcellinus:

Vermutlich, weil die Frage, die der Autor sich hier stellt, für mich keine ist. ;)

 

Und dennoch würde ich sagen, dass Flasch auch für Atheisten eine Empfehlung wert wäre. Und sei es nur, um sich aus fachkundigem, aber eben nicht gläubigem Munde über das zu informieren, was das Christentum ausmacht. Also das ist hier nicht das Werk eines christlichen Apologeten, aber eines Kenners der Materie. 

 

Und wie angedeutet halte ich Flasch aus zwei Gründen für universal lesbar: Er ist Fachmann (zwar kein Theologe, aber Philosoph mit Schwerpunkt auf jene Epochen, die für die Ausbildung christlicher Theologie besonders relevant waren) und er hat keine Mission. Er will sozusagen lediglich von dem Punkt aus, an dem er steht, darlegen, warum er als historisch arbeitender Philosoph nicht den christlichen Glauben annehmen kann oder will. 

 

Das hebt ihn und sein Buch meines Erachtens sehr wohltuend von anderen Erzeugnissen aus dem Bereich Atheismus, Religions- und Kirchenkritik ab. Da schreiben leider sehr oft Leute, die zwar der Rabulistik und Polemik frönen, aber inhaltlich recht wenig Fachwissen besitzen. Sie machen sich dann vielleicht seitenlang über fundamentalistische Kreationisten aus dem Bible Belt lustig, aber begreifen den Kern der eigentlichen Diskussion gar nicht. Das ist bei Flasch nicht so. 

bearbeitet von Studiosus
Geschrieben
vor 7 Minuten schrieb Studiosus:
vor 30 Minuten schrieb Marcellinus:

Vermutlich, weil die Frage, die der Autor sich hier stellt, für mich keine ist. ;)

 

Und dennoch würde ich sagen, dass Flasch auch für Atheisten eine Empfehlung wert wäre. 

Und sei es nur, um sich aus fachkundigem, aber eben nicht gläubigem Munde über das zu informieren, was das Christentum ausmacht.

 

Das will ich gar nicht bestreiten. Sein Buch hatte es ja auch schon bis in meine Auswahl gebracht. Andererseits interessieren mich viele Dinge, und - bitte nicht falsch verstehen - das Christentum ist da nicht ganz oben auf der Liste. ;)

 

 

Geschrieben

Nach dem Wikipedia-Artikel ist seine Begründung allerdings ziemlich dürftig.

 

Ist der Text gegendert?

Geschrieben
vor 12 Minuten schrieb Flo77:

Nach dem Wikipedia-Artikel ist seine Begründung allerdings ziemlich dürftig.

 

Ist der Text gegendert?

 

Der Autor selbst äußert sich in einer Anmerkung zu diesem Wiki-Artikel. Hier ein Auszug:

 

Wikipedia nennt von meinen etwa 40 Vorlesungen an der Ruhr-Universität Bochum nur diese einzige: Warum ich kein Christ bin. Sie stellt es so dar, als habe es sich um einen zweistündigen Abschiedsvortrag gehandelt, aber es war eine vielstündige zweisemestrige Vorlesung. Die Angabe erzeugte einen Rattenschwanz von Anfragen. Immer wieder wollte jemand wissen, wo mein Text zu kaufen wäre. Ich konnte nicht alle Anfragen einzeln beantworten. Ich bitte dafür um Nachsicht und gebe hier eine Kurzfassung meiner Gründe.

 

Vielleicht bekommst du so auch einen Eindruck von seinem Schreibstil.

Geschrieben
vor 12 Minuten schrieb Marcellinus:

 

Der Autor selbst äußert sich in einer Anmerkung zu diesem Wiki-Artikel. Hier ein Auszug:

 

Wikipedia nennt von meinen etwa 40 Vorlesungen an der Ruhr-Universität Bochum nur diese einzige: Warum ich kein Christ bin. Sie stellt es so dar, als habe es sich um einen zweistündigen Abschiedsvortrag gehandelt, aber es war eine vielstündige zweisemestrige Vorlesung. Die Angabe erzeugte einen Rattenschwanz von Anfragen. Immer wieder wollte jemand wissen, wo mein Text zu kaufen wäre. Ich konnte nicht alle Anfragen einzeln beantworten. Ich bitte dafür um Nachsicht und gebe hier eine Kurzfassung meiner Gründe.

 

Vielleicht bekommst du so auch einen Eindruck von seinem Schreibstil.

Ich habe gerade die Einleitung gefunden.

https://www.litrix.de/apps/litrix_publications/data/pdf1/Flasch-DE.pdf

 

Naja, für 9,50 € kann man eigentlich nicht so wahnsinnig viel falsch machen.

Geschrieben
vor 11 Minuten schrieb Marcellinus:

Vielleicht bekommst du so auch einen Eindruck von seinem Schreibstil.

 

@Studiosus hat es oben ganz richtig beschrieben: Flasch schreibt unaufgeregt, mit umfassender Kenntnis seines Fachgebiets (Geschichte der Philosophie mit dem Schwerpunkt Mittelalter), er vermeidet Fachbegriffe soweit irgend möglich, um den Text gut lesbar zu halten, und ist nicht polemisch. Oder fast nicht - mir machen seine kleinen, leicht überlesbaren Seitenhiebe Spaß. Etwa wenn er, bei einem Kapitel über die Erlösungslehre des Augustinus, einen anderen, mir ebenfalls suspekten, Philosophen der Neuzeit gleich mit erledigt: "So findet Augustin beim Nachdenken über die Erlösung selbst die Todesstrafe gut, die Adam der Menschheit eingetragen hat. Das klingt nach Heidegger. Aber natürlich klingt Heidegger nach Augustin." (S.214)

 

Geschrieben

Aus dem WikiArtikel:

"begründet seine Zweifel zum Beispiel an Mose als Autor der fünf Bücher Mose, an der Jungfrauengeburt, an den Berichten über die Auferstehung sowie an den Berichten über die Schöpfung."

 

Ich habe so einen Verdacht...

Geschrieben (bearbeitet)
vor 1 Stunde schrieb Alfons:

 

@Studiosus hat es oben ganz richtig beschrieben: Flasch schreibt unaufgeregt, mit umfassender Kenntnis seines Fachgebiets (Geschichte der Philosophie mit dem Schwerpunkt Mittelalter), er vermeidet Fachbegriffe soweit irgend möglich, um den Text gut lesbar zu halten, und ist nicht polemisch. Oder fast nicht - mir machen seine kleinen, leicht überlesbaren Seitenhiebe Spaß. Etwa wenn er, bei einem Kapitel über die Erlösungslehre des Augustinus, einen anderen, mir ebenfalls suspekten, Philosophen der Neuzeit gleich mit erledigt: "So findet Augustin beim Nachdenken über die Erlösung selbst die Todesstrafe gut, die Adam der Menschheit eingetragen hat. Das klingt nach Heidegger. Aber natürlich klingt Heidegger nach Augustin." (S.214)

 

Dieses Buch von Kurt Flasch habe ich auch schon länger auf dem Radar….. Ich habe inzwischen auch schon verschiedene Kommentare / Besprechungen zu diesem Buch gelesen. Was mich schlicht schon mal vorab interessiert: Findet man bei Kurt Flasch auch Aspekte / Argumente, die wirklich neu sind und nicht schon von anderen Autoren dargelegt werden ?

 

Was ich anhand der  verschiedenen Besprechungen entnehmen kann sind folgende Kritikpunkte:

- - - Das problematische bis „widersprüchliche“ Gottesbild der biblischen Schriften

- - - die Kanonbildung des Neuen Testamentes

- - - Die Entstehung der christlichen Glaubensbekenntnisse und der Dogmen

- - - Die Gnadenlehre / Sündenlehre Augustinus

- - - das Theodizeeproblem…….

 

…..wenn ich mir diese Themenkomplexe anschaue, so sind diese seit etlichen Jahren Gegenstand der kritischen Diskussion, auch Gegenstand der theologischen Forschung selber….. 

 

Mich würde es wirklich freuen, mal etwas zu lesen, was wirklich über die bekannten Kritikpunkte hinausgeht und wirklich neue Aspekte / Argumente in die Diskussion bringt…

bearbeitet von Cosifantutti
Geschrieben (bearbeitet)

@Cosifantutti

 

Ich bin zwar erst zur Hälfte durch und Alfons hat da vielleicht eine andere Meinung, aber ich finde Flasch bringt nichts in dem Sinne bahnbrechend Neues, dass die Geschichte von Theologie und Kirche neu geschrieben werden müsste. Ich würde sagen als Theologe, der notwendigerweise auch Philosophie mitstudiert hat, enthält es (bisher) nichts, das ich nicht in dem einem oder anderen Zusammenhang schon gehört hätte. 

 

Mich hat in diesem Fall auch mehr die Darstellung des Stoffes angesprochen und weniger die Jagd nach neuen Erkenntnissen. Flasch hat, was eine Voraussetzung für Hochschullehrer sein sollte, eine gute Gabe dafür, Zusammenhänge auf den Punkt zu bringen. Und den Blickwinkel, den er als "Außenstehender" auf die Christen einnimmt, ist doch sehr interessant. Ich habe mehrmals mich selbst, aber auch viele User hier (was die Argumentation angeht) darin wiedererkannt. 

bearbeitet von Studiosus
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Geschrieben
vor 26 Minuten schrieb Studiosus:

@Cosifantutti

 

Ich bin zwar erst zur Hälfte durch und Alfons hat da vielleicht eine andere Meinung, aber ich finde Flasch bringt nichts in dem Sinne bahnbrechend Neues, dass die Geschichte von Theologie und Kirche neu geschrieben werden müsste. Ich würde sagen als Theologe, der notwendigerweise auch Philosophie mitstudiert hat, enthält es (bisher) nichts, das ich nicht in dem einem oder anderen Zusammenhang schon gehört hätte. 

 

Mich hat in diesem Fall auch mehr die Darstellung des Stoffes angesprochen und weniger die Jagd nach neuen Erkenntnissen. Flasch hat, was eine Voraussetzung für Hochschullehrer sein sollte, eine gute Gabe dafür, Zusammenhänge auf den Punkt zu bringen. Und den Blickwinkel, den er als "Außenstehender" auf die Christen einnimmt, ist doch sehr interessant. Ich habe mehrmals mich selbst, aber auch viele User hier (was die Argumentation angeht) darin wiedererkannt. 

Danke für diese fundierte Einschätzung. Vor allem was du schreibst: „die gute Gabe, Zusammenhänge auf den Punkt zu bringen…..“ auch wenn die einzelnen Argumente nicht wirklich „neu“ sind hat doch auch seine eigene Qualität…….werde mir das Buch besorgen…..

Geschrieben (bearbeitet)

Ich schrieb  anderswo: Es gibt Bücher, die weigern sich, von mir gelesen zu werden. Daraufhin 

  

Am 2.11.2019 um 08:51 schrieb Alfons:

Wunderbar gesagt. Das habe ich auch oft festgestellt. Besonders Proust ist da von einer beeindruckenden Hartnäckigkeit. Und jedes Mal, wenn ich's versuche, stelle ich beim Zuklappen fest, dass der Titel des Werks die Folgen der Lektüre für mich treffend beschreibt.

Dazu nun ein Beitrag über Neujahrsvorsätze (von Deborah Ross in der Times) unter dem Titel I will not pose for Playboy — and other resolutions I’ve kept:

I Will Not Read Proust’s In Search of Lost Time

Everyone, I’ve been told, should not read it at least once in their lifetime but I’ve not read it multiple times. I first started not reading it decades ago and have never fallen by the wayside.  Other books I plan to not read include Beowulf, Finnegans Wake, Moby Dick and anything by Sally Rooney, given the last one was so boring. It is possible to not read these books if you set your mind to it.

 

bearbeitet von Wunibald
Geschrieben
Am 26.12.2024 um 20:48 schrieb Flo77:

Ich habe gerade die Einleitung gefunden.

https://www.litrix.de/apps/litrix_publications/data/pdf1/Flasch-DE.pdf

 

Naja, für 9,50 € kann man eigentlich nicht so wahnsinnig viel falsch machen.

Die Einleitung liest sich vielversprechend. Ich habe auch eine gute Charakterisierung des synodalen Weges gefunden, 10 Jahre bevor es ihn überhaupt gab:

 

Vattimo kommt mir vor wie ein freundlicher und sensibler junger Mann, der aus Familientradition in einen Anglerverein geraten ist [...], der aber dann seine Sympathie für Fische entdeckt und vorschlägt, der Anglerverein soll sich in Zukunft mit dem Häkeln von Tischdeckchen statt mit dem Töten von Fischen befassen. Ich bewundere die seelische Feinheit solcher junger Männer, aber Erfolgsaussichten versprechen kann man ihnen nicht.

 

Passt wie die Faust aufs Auge.

Geschrieben (bearbeitet)
Am 26.12.2024 um 23:23 schrieb Studiosus:

@Cosifantutti

 

Ich bin zwar erst zur Hälfte durch und Alfons hat da vielleicht eine andere Meinung, aber ich finde Flasch bringt nichts in dem Sinne bahnbrechend Neues, dass die Geschichte von Theologie und Kirche neu geschrieben werden müsste. Ich würde sagen als Theologe, der notwendigerweise auch Philosophie mitstudiert hat, enthält es (bisher) nichts, das ich nicht in dem einem oder anderen Zusammenhang schon gehört hätte. 

 

Mich hat in diesem Fall auch mehr die Darstellung des Stoffes angesprochen und weniger die Jagd nach neuen Erkenntnissen. Flasch hat, was eine Voraussetzung für Hochschullehrer sein sollte, eine gute Gabe dafür, Zusammenhänge auf den Punkt zu bringen. Und den Blickwinkel, den er als "Außenstehender" auf die Christen einnimmt, ist doch sehr interessant. Ich habe mehrmals mich selbst, aber auch viele User hier (was die Argumentation angeht) darin wiedererkannt. 

Inzwischen habe ich den Flasch gelesen und war mehr oder weniger enttäuscht. Ich hätte mir inhaltlich / argumentativ doch etwas mehr erwartet. Nur um als ein Beispiel das Thema „historisch-kritische Bibelauslegung“ anzuführen. Die angeführten Beispiele wurden schon zum x-ten mal durchgekaut. ( Jesaia 7,14 ) Mein Kritikpunkt ist vor allem, wie er die sogenannte „kanonische Exegese“ sozusagen komplett „abfertigt“ und das hängt vielleicht mit einem anderen Gesichtspunkt zusammen, der in anderen Kapiteln sichtbar wird: Flasch gibt sich im Grunde kein Rechenschaft darüber - um einmal nur bei den Evangelien zu bleiben - dass diese Glaubenszeugnisse sind und keine Protokolle im Sinne eines Polizeiberichtes. Das verändert alles. Von Anfang an dokumentieren und bezeugen die Schriften des Neuen Testamentes den Glauben der Jesus-Anhänger, angefangen von den Briefen des Paulus über die vier Evangelien bis hin zu Schriften wie die Offenbarung des Johannes und den Jakobusbrief. Was nun „Kanonbildung“ heißt meint ja den langen Prozess der Festlegung der Schriften als Zeugnisse des eigenen Glaubens. Das, was man mit dem Begriff „kanonische Exegese“ umschreibt ist wiederum eine Weiterentwicklung der historisch-kritischen Exegese, nachdem man in den 60er/70er/80er Jahren fleißig nach den „Originalworten“ ( „Was hat Jesus wirklich gesagt ?“ ) und „Originaltaten“ des „historischen Jesus“ geforscht hat und irgendwann gemerkt hat, dass alle Versuche letztlich zum Scheitern verurteilt wurden, weil es reine theoretische Konstruktionen waren. Interessant ist ja in diesem Sinne auch die sogenannte Zwei-Quellen-Theorie, die davon ausgeht dass es für Matthäus und Lukas neben der Vorlage des Markus noch eine weiter Quelle - eben „Q“ gegeben haben muss. Natürlich kann man relativ einfach im Textbestand herausfinden, wo sich jeweils Matthäus und Lukas auf Markus beziehen und bei welchen Textstücken sie weiter übereinstimmen. Die Annahme einer solchen gemeinsamen Quelle „Q“ macht Sinn. Indes wurde diese Quelle „Q“ selber nie gefunden und bleibt reines theoretisches - plausibles - Konstrukt.

 

Neben der Einbettung der neutestamentlichen Schriften in den historischen Kontext - „Jesus der Jude“…… hat man immer mehr Abstand genommen, nach der Erforschung der „ursprünglichen“ „originalen“ Worte und Taten Jesu….sondern den vorliegenden Text ( zB Matthäusevangelium ) als Gesamttext, eben als Glaubenszeugnis ernst zu nehmen. Wir haben keinen direkten Zugang zum „historischen Jesus“, was wir haben, ist die jeweilige konkrete „Jesuserinnerung“ in den verschiedenen Evangelien. Wir haben keinerlei Chancen, „näher“ an den „historischen Jesus“ ranzukommen. Es gibt noch vereinzelte wie Franz Alt, die das versuchen….

 

Für mich macht es durchaus Sinn, vom vorliegenden Text auszugehen und bei der Auslegung am jeweiligen Evangelientext selber zu bleiben. Selbstverständlich gibt es dabei keine „objektive“, „allgemeingültige“ Wahrheiten, da es sich bei den Evangelien um Glaubenszeugnisse handelt. Die „Wahrheit“ ist natürlich immer die Glaubensüberzeugung der Jesus-Anhänger, aus deren Mitte die Evangelien als literarische Gatttung entstanden sind. Wir finden historische Informationen ( Nazareth - Betlehem - See Genesareth - Jerusalem - Pilatus - Herodes - Augustus - Pessach-Fest - Johannes der Täufer ) und jeweils auch - in der literarischen Gattung „Evangelium“ verknüpft - Deutung aus dem Glauben an Jesus heraus. Inhaltliche „Spannungen“ zwischen den einzelnen Schriften haben die Menschen früher wohl auch bemerkt, dennoch haben diese Schriften - etwa auch der Jakobusbrief und die Offenbarung des Johannes - ebenso Eingang in den „Kanon“ gefunden wie die authentischen Paulusbriefe. Wo wurde Jesus „wirklich“ geboren ? In Bethlehem oder Nazareth ? Markus sagt nichts darüber. Lukas und Matthäus haben Bethlehem in ihrer Geburtserzählungen zu literarischem Weltrum verholfen. Johannes scheint überzeugt davon zu sein, dass Jesus aus Nazareth kommt, von Betlehem, weiß er jedenfalls nichts. War ihm auch nicht wichtig, da das „Konzept“ seines Evangeliums ein vollkommen anderes war: „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott.“……..Jesus wurde weder in Betlehem noch in Nazareth geboren, sondern „aus Gott.“

 

Bei der Passion und dem Todestag Jesu unterscheiden sich ebenfalls die Synoptiker von Johannes. Johannes verlegt das Ganze um einen Tag früher…… Wer hat denn nun „Recht“ ? Die Synoptiker oder Johannes ? Oder niemand oder beide ? Im Kanon stehen alle vier Evangelien trotz der inhaltlichen „Spannungen“…… Das finde ich eine kreative Provokation für die interessierte Leserschaft. 

 

Auch heute noch vermengen wir historische Informationen und Deutung aus einer bestimmten Perspektive, um historische Ereignisse und Personen für uns „einzuordnen“. Sophie Scholl wurde unter anderem von Roland Freisler im Februar 1943 wegen „Wehrkraftzersetzung“, „Hochverrat“ und „Feindbegünstigung“ zum Tode verurteilt. Sie hatte sich aus der Sicht der damaligen Machthaber gegen die Gemeinschaft des „Volkes“ gestellt und den heldenhaften Verteidigungskampf untergraben. Sie musste aus dem „Volkskörper“ ausgeschlossen werden, die Todesstrafe war aus sich Freislers nur konsequent und höchst. Heute haben wir eine vollkommen andere „Einordnung“ dieser historischen Person Sophie Scholl. Die „Fakten“ sind dieselben: Widerstandsgruppe - Flugblattaktion in der Münchener Uni - Verrat durch den Hausmeister - Verhör - Verurteilung - Exekution durch Fallbeil. Aber die „Einordnung“ in unserer heutigen „Erinnerung“ an Sophie Scholl ist der Sichtweise von Freisler und den damaligen Nazi-Machthabern vollkommen entgegengesetzt: Sie gilt für uns heute als mutige Widerstandskampferin. Das ist unsere „Deutung“ heute, die wir nicht nur für „richtig“ halten, sondern auch sagen: „Dass Sophie Scholl eine Widerstandskämpferin war, das ist die historische Wahrheit. Freisler war ein Verbecher und Lügner.“

 

Was Flasch so über die historische Kritik schreibt und gleichzeitig vollkommen unterbelichtet, dass die Evangelien Glaubenszeugnisse sind und keine vermeintlich „objektiven“ Berichte, schlägt beim Kapitel „die Auferstehung“ nochmals voll durch. Auch hier übergeht er vollkommen die literarische Gattung von „Erzählungen“ und versucht krampfhaft so etwas wie ein sachlich-distanzierter Bericht herauszufinden. Bezeichnend hier wenn er schreibt: „Wäre ich der zuständige Polizeikommissar gewesen mit dem Auftrag, das Verschwinden der Leiche eines prominenten Mannes aufzuklären, wäre ich zu dem Ergebnis gekommen, das sei bei diesen Zeugenaussagen unmöglich.“ Eben: die Evangelien sind keine Polizeiprotokolle. Aus dem philosophischen Blickwinkel her hat mich dann doch überrascht - und ich gebe es zu - auch enttäuscht, dass er sich im Grunde immer nur wieder an Augustinus und Thomas abarbeitet und andere Konzepte, Ansätze eher beiläufig erwähnt, aber sich nicht eingehend damit auseinandersetzt…. 

 

Ich befürchte fast, mit dem Buch von Hans Albert: „Das Elend der Theologie. Kritische Auseinandersetzung mit Hans Küng“ werde ich dieselbe - letztlich enttäuschende - Leseerfahrung machen, bin aber  selber mal gespannt, wie Hans Albert seine Argumentation aufbaut…..

 

bearbeitet von Cosifantutti
Geschrieben
vor 2 Stunden schrieb Cosifantutti:

Inzwischen habe ich den Flasch gelesen und war mehr oder weniger enttäuscht. Ich hätte mir inhaltlich / argumentativ doch etwas mehr erwartet. ....

 

Ich habe nur die EInleitung gelesen und bin auch nicht begeistert. Das sieht nach dem im Diskurs vorherrschenden Akademiker-Christentum aus. Dem zu entsagen fiele mir auch nicht schwer.

Geschrieben (bearbeitet)

Wie gesagt: Wer bei Flasch große neue Erkenntnisse sucht, der wird enttäuscht sein. Ich habe sie nicht gesucht, und wurde dementsprechend auch nicht enttäuscht. 

 

Was Flasch meines Erachtens sehr unterhaltsam tut, ist, dieses "Nicht-Fisch-Nicht-Fleisch"-Christentum der modernen Theologen und Gläubigen vorzuführen, ganz so wie es Aristippos schon anhand der Einleitung gezeigt hat: Fischrechteaktivisten im Anglerverein. Er kritisiert nämlich bei Weitem nicht nur einen fundamentalistischen Ansatz (manchmal scheint er mir diesen, bei aller persönlichen Ablehnung, sogar als die konsequente Variante des Christentums darzustellen), sondern auch den schon genannten Larifari-Zugang progressiver Kreise. Und dafür hat sich die Lektüre für mich schon gelohnt, denn diese Spielart von Glauben bekommt in derartigen Publikationen deutlich zu selten ihr Fett weg. 

bearbeitet von Studiosus
Geschrieben
Am 4.1.2025 um 14:44 schrieb Spadafora:

ich lege allen diese Krimireihe  von Christian von Ditfurth ans Herz
als Bettlektüre sehr gut geeignet
https://www.krimi-couch.de/titel/13539-heldenfabrik/

 

Danke für den Tip.
Die Beschreibung klingt - äh - rasant. Ich mag ja eher die gemächlicheren Krimis. Aber mal schauen.


Ich habe gerade "Streiten" von Svenja Flasspöhler gelesen. Es war anfangs eher eine Pflichtlektüre - das Buch ist Thema beim nächsten Treffen meines philosophischen Diskussionskreises. Beim Lesen merkte ich aber, dass ich immer mehr Sätze mit dem Bleistift unterstrich und immer seltener Fragezeichen an den Rand malte. Die 120 Seiten sind süffig geschrieben. Es ist keine tiefschürfende Abhandlung, eher ein Essay. Philosophisch geht es nur selten ans Eingemachte (Freud, Habermas, Adorno und -igitt- Carl Schmitt), Flasspöhler kann dabei aber gut die Spannung zwischen pro und contra, zwischen dem entweder-oder und dem sowohl-als-auch beschreiben - der Text ist eine Absage an die ideologische Lagerbildung. Es gibt in dem Buch eine erstaunliche Auseinandersetzung mit den Mechanismen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, eine Kritik der Me-too-Bewegung aus feministischer Sicht und auch das Nachdenken darüber, wie Menschen überhaupt noch eine Basis für ein konstruktives Streiten finden können, wenn sie in immer dichter abschließenden Informationsblasen leben. Mir ist auf mehr als einer Seite dieses Forum in den Sinn gekommen. Insgesamt also habe ich das Büchlein mit Genuss und Gewinn gelesen.
 

Geschrieben

" Und Marx stand still in Darwins Garten". 

Nein, im realen Leben tat er das nicht,aber die beiden haben tatsächlich nicht weit voneinander gelebt. 

Die Autorin schafft es gut,die historischen Figuren zu realen Menschen zu machen- auf das Zusammentreffen freue ich mich schon, noch bin ich nicht so weit.

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