KevinF Geschrieben 1. März Melden Geschrieben 1. März 18 hours ago, Marcellinus said: Ja, genau das Buch meinte ich. Eckart Kehr war ein hochbegabter Historiker der Weimarer Republik und leider schon 1933, im Alter von 31 Jahre verstorben. Daher besteht sein Werk wesentlich aus einzelnen Aufsätzen. Aber auch die haben gereicht, im einen Namen zu machen. Hans-Ullrich Wehler, ein bekannter und begabter Historiker der Bonner Republik, hat sie 1965 gesammelt und herausgegeben. Ich habe sein Werk, das von Kehr wie das von Wehler, in den 70ern in meinem Geschichtsstudium kennengelernt, und aus dieser Zeit stammt auch meine Ausgabe, die hier neben mir liegt. Kehrs Arbeiten sind so wichtig, weil sie das bis dahin in der Geschichtswissenschaft herrschende Narrativ vom "Primat der Außenpolitik" für die Politik von Nationalstaaten als Illusion entlarvte. Bis dahin hatten Historiker die Ansicht vertreten, die Politik von Herrscher würde bestimmt durch die Auseinandersetzung mit anderen Nationalstaaten. Kehr zeigte nun am Beispiel des deutschen Kaiserreichs, wie sehr dessen Politik bestimmt war von Interessen der sozialen Gruppen und Klassen des Reiches. Dabei ging es besonders um die Schutzzollpolitik auf der einen und die Flottenrüstung auf der anderen. Die Schutzzölle sollten vor allem die ostelbischen Junker vor der Konkurrenz von Getreideimporten aus Rußland schützen, führten aber gleichzeitig dazu, daß man in Konflikt mit Rußland geriet und die eigene Industrie im Gegenzug durch ausländische Zölle behindert wurde (irgendwie kommt einem das Thema gekannt vor, nicht wahr?). Um das auszugleichen, legte die Regierung riesige Flottenbauprogramme auf, die ihrerseits zu außenpolitischen Verwicklungen mit Großbritannien führten. Zusammen mit der sogenannten Erbfeindschaft mit Frankreich manövrierte sich das kaiserliche Deutschland in genau die politische Isolation, die zu Ausgangslage für den Mehrfrontenkrieg des ersten Weltkriegs werden sollte. All das hat Kehr sauber herausgearbeitet, wurde aber in der zunehmen politisch aufgeheizten Situation am Ende der Weimarer Republik nicht gern gesehen. Und obwohl von seiner Promotion 1927 bis zu seinem Tode in einem Washingtoner Krankenhaus 1933 nur wenig mehr als 5 Jahre vergangen sind, hat seine Arbeit, vor allem aber dieser Grundsatz von "Primat der Innenpolitik", einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Umso bedauerlicher ist, daß sein Werk heute kaum noch zu bekommen ist. Ich hab damals 12,80 DM für den Band bezahlt. Sehr interessant, danke. Werde mir das Buch via einer lokalen Bibliothek besorgen. 1 Zitieren
Wunibald Geschrieben 4. März Melden Geschrieben 4. März Passend zum Fasching will ich an Friederike Kemper erinnern, die von zeitgenössischen Literaturkritikern aufgrund der unfreiwilligen Komik ihrer Dichtungen spöttisch „schlesische Nachtigall“ und „schlesischer Schwan“ genannt wurde. Zahlreiche, oft täuschend echt geratenen Parodien ihrer Verse haben seit spätestens der Mitte des 20. Jahrhunderts eine literaturgeschichtlich vielleicht einzigartige Karriere gemacht, so dass Kempner seither vor allem für jene Texte berühmt geworden ist, die sie nicht geschrieben hat. Das schönste Beispiel ist für mich: Wenn der holde Frühling lenzt Und man sich mit Veilchen kränzt Wenn man sich mit festem Mut Schnittlauch in das Rührei tut Kreisen durch des Menschen Säfte Neue ungeahnte Kräfte – Jegliche Verstopfung weicht, Alle Herzen werden leicht, Und das meine fragt sich still: »Ob mich dies Jahr einer will?« Aber alles hat zwei Seiten. Künstlerisch spektakulär ist die Kempner-Rezeption, die der Architekt Roland Winkler im Rahmen der Sanierung des Kriegerdenkmals an der Südseite des Turms der Stadtpfarrkirche von Villach 2018 wagte: Zum Denkmal aus dem Jahre 1923 in seiner zeittypisch heroischen Ausführung gehören zwei alte, ebenfalls zeittypische Texttafeln. All das sollte bei der Sanierung erhalten bleiben (Denkmalschutz). Winkler bettete nun die alten Tafeln in einen großflächigen Steinhintergrund mit einem Text ein, der lange vor dem Ersten Weltkrieg verfasst wurde: einem Text von Friederike Kempner. Durch dieses "Framing" wurde das Denkmal auf geradezu geniale Weise mittels ausschließlich alter Texte zu etwas, das ohne Verfälschungen oder Anachronismen beim gegenwärtigen Betrachter Resonanz und Nachdenklichkeit erzeugen kann. Es handelt sich um Kempners Gedicht Frieden: Immer kämpfen, immer streiten Und das lohnt doch wahrlich nicht Und das Recht hat viele Seiten, Und der Frieden, er ist Pflicht. Ich werde mir nun nicht Schnittlauch, sondern den ersten Bärlauch ins Rührei tun und mich selisch auf die Fastenzeit vorbereiten. Zitieren
phyllis Geschrieben 6. März Melden Geschrieben 6. März On 3/4/2025 at 4:53 AM, Wunibald said: »Ob mich dies Jahr einer will?« wie sexistisch, tsk tsk. Erfordert eine Replik: wenn im März die Krähe krächzt und der Schnee zum Matsch sich lechzt durch Mannes Triebe wallt das Blut mehr Haut er sieht es tut ihm gut Hormone tanzen mega-kräftig Ginseng noch und jetzt wirds heftig doch oh jammer! Es streikt der Darm Grimassen rauben ihm den Charme aufs Klo er rennt und fragt in Pein muss es denn schon Viagra sein? 3 Zitieren
Domingo Geschrieben 6. März Melden Geschrieben 6. März vor 17 Minuten schrieb phyllis: wie sexistisch, tsk tsk. Und homophobisch und transphobisch, weil da "einer" steht, als ob nur Männer an Frauen interessiert sein könnten. Dieses Gedicht gehört gecancelt. Zitieren
Alfons Geschrieben 15. März Melden Geschrieben 15. März Aktuell "Gemeinsinn" von Aleida und Jan Assmann, 2023 geschrieben; das Erscheinen dieses Buchs hat Jan Assmann schon nicht mehr erlebt. Das Buch ist gerade Pflichtlektüre, weil es in meinem philosophischen Gesprächskreis diskutiert wird. Von Menschenrechten und Menschenpflichten ist dort die Rede, als einem der Grundsätze demokratischer politischer Kultur - darüber hat Aleida Assmann schon 2017 ein eigenes Buch geschrieben. Wie entsteht Gemeinschaftssinn, welche menschlichen Grundbedürfnisse müsse ernst genommen werden, damit Gemeinsinn wächst, und welche Entwicklungen stehen dem entgegen? Bei manchen Passagen fiel mir dieses Forum ein (wie bei einigen anderen Büchern auch, die ich in den vergangenen Wochen gelesen habe, etwa "Anstand" von Axel Hacke). 1 Zitieren
Alfons Geschrieben Freitag um 12:19 Melden Geschrieben Freitag um 12:19 Aktuell habe ich das Abschluss-Dokument der Weltsynode vom Oktober vorigen Jahres gelesen. Ich weiß zwar aus der Erfahrung vieler Jahre hier im Forum, dass man auch mühelos über Themen diskutieren kann, von denen man keine Ahnung hat, aber das widerstrebt mir nach wie vor. Das Dokument hat nur 70 Seiten. Dennoch war ich gegen Ende in Versuchung, einige Absätze nur zu überfliegen. Ganz am Schluss des Dokuments steht der Text der Abschluss-Ansprache von Papst Franziskus. Und in dieser Ansprache sagte Franziskus: "Das Dokument ist ein Geschenk an das ganze gläubige Volk Gottes in seiner Vielfalt. Es ist klar, dass nicht alle es lesen werden ...". Gut, der Text geht dann weiter: "... vor allem ihr werdet es sein, die zusammen mit vielen anderen seinen Inhalt in den Ortskirchen erschließen werden." Aber ich musste doch spontan lachen. Zitieren
Thofrock Geschrieben Freitag um 22:40 Melden Geschrieben Freitag um 22:40 Thorsten Nagelschmidt - Soledad Großartiger Roman, der aber einigermaßen schwer zu beschreiben ist. Er spielt sowohl in der Corona-Zeit an einem abgelegenen Strand in Kolumbien, wie auch im Nachkriegsdeutschland. Zitieren
Cosifantutti Geschrieben Sonntag um 19:08 Melden Geschrieben Sonntag um 19:08 Am 28.3.2025 um 13:19 schrieb Alfons: Aktuell habe ich das Abschluss-Dokument der Weltsynode vom Oktober vorigen Jahres gelesen. Ich weiß zwar aus der Erfahrung vieler Jahre hier im Forum, dass man auch mühelos über Themen diskutieren kann, von denen man keine Ahnung hat, aber das widerstrebt mir nach wie vor. Das Dokument hat nur 70 Seiten. Dennoch war ich gegen Ende in Versuchung, einige Absätze nur zu überfliegen. Ganz am Schluss des Dokuments steht der Text der Abschluss-Ansprache von Papst Franziskus. Und in dieser Ansprache sagte Franziskus: "Das Dokument ist ein Geschenk an das ganze gläubige Volk Gottes in seiner Vielfalt. Es ist klar, dass nicht alle es lesen werden ...". Gut, der Text geht dann weiter: "... vor allem ihr werdet es sein, die zusammen mit vielen anderen seinen Inhalt in den Ortskirchen erschließen werden." Aber ich musste doch spontan lachen. Jetzt erst, beim nochmaligem Lesen habe ich die Pointe verstanden. Man könnte fast meinen, Franziskus kennt sehr wohl die reale Situation in seiner Kirche, was die Lektüre seiner Schriften angeht.... und reagiert darauf mit Humor auf einer höheren und "dialektischen" Ebene... die konkrete Umsetzung seiner Ideen geschieht eben vor Ort, in den Gemeinden durch Gläubige, die engagiert sind und die Kirche noch nicht innerlich "aufgegeben" haben.... Zitieren
jesusallein Geschrieben vor 14 Stunden Melden Geschrieben vor 14 Stunden (bearbeitet) Ich lese gerne die Bibel in verschiedenen Übersetzungen was möglich ist unter https://www.bibleserver.com wo ich auch Bibelstellen suchen kann, oder unten links der Bildschirm mit den zwei Augen KI alles Fragen kann was mich interessiert. bearbeitet vor 14 Stunden von jesusallein Zitieren
rorro Geschrieben vor 12 Stunden Melden Geschrieben vor 12 Stunden vor einer Stunde schrieb jesusallein: oder unten links der Bildschirm mit den zwei Augen KI alles Fragen kann was mich interessiert. Oh, das kannte ich noch nicht (obwohl ich selbst gerne den bibleserver nutze). Danke. Zitieren
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