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Edgardo Mortara


Platona

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Elima hat irgendwo weiter oben mal gefragt, ob es mehrere "Fälle" gegeben hätte, die dem "Fall" Mortara vergleichbar seien. Ich finde den Beitrag jetzt nicht mehr, vielleicht wurde er gelöscht.

 

Trotzdem der Versuch einer Antwort: Ja, es hat durch die Jahrhunderte immer wieder Übergriffe ähnlicher Art gegeben, die man trotz unterschiedlicher Konstellationen zu einem roten Faden verknüpfen kann. Man kann sie aber allesamt als Einzelfälle betrachten, die erheblichen Aufruhr verursachten und mäßigende Reaktionen des Oberhauptes des Vatikanstaats, des jeweiligen Papstes, zur Folge hatten. Der "Fall Mortara" war der letzte dieser Art, und er wurde nicht so pragmatisch gelöst wie ähnliche, frühere "Fälle".

 

Im Jahr 1989 wurde das Tagebuch eines jüdischen Mädchens aus Rom veröffentlicht, das aufgrund einer Denunziation 1749 zwangsweise in das Katechumenenhaus verbracht worden war. Der Denunziant war ein armer, konvertierter Jude namens Sabbato Coen, der die Behauptung aufstellte, Anna del Monte sei seine heimliche Verlobte ... Nach 13 Tagen wurde Anna aus dem Katechumenenhaus wieder nach Hause geschickt, weil sich die Verantwortlichen ausserstande sahen, das Mädchen, den kanonischen Regeln entsprechend, zu bekehren ohne auf sie größeren Zwang auszuüben (was verboten war). Die Juden Roms haben Anna in einem Triumphzug zu ihren Eltern zurück ins Ghetto begleitet.

 

Ausgesprochene Zwangsbekehrungsanstalten waren die Katechumenenhäuser also nicht, obwohl es sicher angenehmere Aufenthaltsorte für Menschen gab, die dort nicht freiwillig hingegangen sind.

 

Ratto della Signora Anna del Monte trattenuta a' Catecumini tredici giorni dalli 6 fino alli 19 maggio anno 1749. Roma, Carruci Editore, 1989

 

Im Kopf habe ich noch zwei andere Fälle, aber die muss ich erst zusammensuchen, die Namen und die genauen Daten habe ich in meinem Hirn leider nicht abgespeichert.

 

Einer trug sich, Jahrzehnte vor dem "Fall Mortara" (wenn ich mich da nicht täusche) in Avignon zu, das als Exklave zum Kirchenstaat gehörte. Das Kind wurde auf päpstliche Anweisung den Eltern zurückgegeben (was im Fall Mortara wohl auch als Präzedenzfall angeführt wurde), beim anderen handelte es sich um ein französisches Ehepaar, die Frau war hochschwanger nach Rom gekommen und wurde, als die Wehen einsetzten, in irgendein Entbindungshaus gebracht, wo wahrscheinlich eine Hebamme meinte, das Kind taufen zu müssen und dies dann der Inquisition gemeldet hat. Da es sich um französisches Staatsbürger handelte, hat sich die französische Regierung eingeschaltet ... aber ich krieg's jetzt im Augenblick nicht mehr richtig zusammen.

bearbeitet von Alice
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Übrigens habe ich auch im Zusammenhang mit Mortara über dieses Konvertitenhaus gelesen. Dabei ging es nicht nur um diesen Einzelfall, denn die Zwangstaufe von im Kirchenstaat ansässigen Juden war tatsächlich auch im 19. Jhd. recht selten. Es ging in der Hauptsache wohl um die Bekehrung aus anderen Religionen, denn es war ja die große Zeit der Kolonialisierung und der Mission. Deswegen gab es wohl dieses Haus. Soweit ich weiß hat Mortara selbst nie dort gelebt, oder wenn ja nur sehr kurz. Die Stellungnahmen zu dem Konvertitenhaus waren in der Tat sehr kritisch.

 

Im Gegensatz zu Dir, Alice, bin ich der Ansicht, daß man den Fall Mortara nicht isoliert betrachten darf. In der Diskussion sollte man sich aber immer an diesem Faden entlang bewegen.

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Übrigens habe ich auch im Zusammenhang mit Mortara über dieses Konvertitenhaus gelesen. Dabei ging es nicht nur um diesen Einzelfall, denn die Zwangstaufe von im Kirchenstaat ansässigen Juden war tatsächlich auch im 19. Jhd. recht selten. Es ging in der Hauptsache wohl um die Bekehrung aus anderen Religionen, denn es war ja die große Zeit der Kolonialisierung und der Mission. Deswegen gab es wohl dieses Haus. Soweit ich weiß hat Mortara selbst nie dort gelebt, oder wenn ja nur sehr kurz. Die Stellungnahmen zu dem Konvertitenhaus waren in der Tat sehr kritisch.

 

Im Gegensatz zu Dir, Alice, bin ich der Ansicht, daß man den Fall Mortara nicht isoliert betrachten darf. In der Diskussion sollte man sich aber immer an diesem Faden entlang bewegen.

 

Ich habe doch nirgends gesagt, dass man den Fall Mortara isoliert betrachten solle (ich hab' halt gegen Deinen Abflug zu den russisch-Orthodoxen und den Pfingstkirchen opponiert, was ja nun wirklich aus dem Ruder läuft).

 

Zu den Katechumenenhäusern habe ich weiter oben schon einiges gesagt (und sie dabei Konvertitenhäuser genannt), es gab sie seit dem 16. Jahrhundert, auch das in Rom. Der kleine Edgardo wurde zwar nach Rom zunächst in das dortige Katechumenenhaus verbracht, dann aber wie ein Wanderpokal als Pflegling von einem Kleriker zu einem anderen weitergereicht.

 

Die Katechumenenhäuser dienten in der Tat nicht ausschließlich der Bekehrung von Juden, aber es waren (das schätze ich) doch im Laufe der Zeiten mehr Juden als Muslime und "Pagani" dort. Was Rudt de Collenberg untersucht hat, waren die "Bekehrungen", sprich Taufen, die er anhand der Taufbücher nachvollziehen konnte. Wieviele Menschen, ähnlich wie die junge Anna Del Monte, das Katechumenenhaus ungetauft verlassen haben, ist wahrscheinlich nicht fassbar. Rudt de Collenberg fasst das Ergebnis seiner Untersuchungen mit dem Satz eines weisen Rabbi von Tarnopol zusammen. Der Aufwand (das Katechumenenhaus in Rom zu betreiben) habe sich "aber nebbich ausgezahlt". Ach so: nach den Feststellungen Rudt de Collenbergs waren die in den Katechumenenhäusern Getauften zu einem Drittel vorher Muslime gewesen.

 

Die Katechumenenhäuser wurden wie andere (Wohn-)Heime und Hospitäler als soziale Einrichtungen betrachtet und mit diesen anderen Einrichtungen auch verwaltet. Teilweise waren sie das auch, denn sie boten Taufbewerbern, die oftmals von ihren Familien verstoßen wurden, ob sie nun Juden waren oder nicht, ein Dach über dem Kopf. Sie dürften nicht schlechter aber auch nicht besser geführt worden sein als irgendwelche anderen Heime zur jeweiligen Zeit auch.

bearbeitet von Alice
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Ich glaube die einzige Religion ohne Abwerbungstendenzen ist das Judentum.

 

 

Und warum haben die es nie versucht?

 

LG

JohannaP

Es kann wohl keine Rede davon sein, dass sie es nie versucht hätten. Grade um Christi Geburt scheint das Judentum doch eine Religion mit reger missionarischer Tätigkeit gewesen zu sein. Sonst wäre die Herstellung der Septuaginta wohl eine ziemlich unnötige Arbeit gewesen.

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Es kann wohl keine Rede davon sein, dass sie es nie versucht hätten. Grade um Christi Geburt scheint das Judentum doch eine Religion mit reger missionarischer Tätigkeit gewesen zu sein. Sonst wäre die Herstellung der Septuaginta wohl eine ziemlich unnötige Arbeit gewesen.
Wie will man missionarisch sein, wenn man sich über eine gemeinsame Abstammung definiert?

 

Soweit ich weiß wurde die Septuaginta geschaffen, weil es Tendenzen der Diasporajuden gab sich an die hellenistische Leitkultur zu assimilieren und eher griechisch als hebräisch bzw. aramäisch sprachen.

bearbeitet von Flo77
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Es kann wohl keine Rede davon sein, dass sie es nie versucht hätten. Grade um Christi Geburt scheint das Judentum doch eine Religion mit reger missionarischer Tätigkeit gewesen zu sein. Sonst wäre die Herstellung der Septuaginta wohl eine ziemlich unnötige Arbeit gewesen.
Wie will man missionarisch sein, wenn man sich über eine gemeinsame Abstammung definiert?

 

Soweit ich weiß wurde die Septuaginta geschaffen, weil es Tendenzen der Diasporajuden gab sich an die hellenistische Leitkultur zu assimilieren und eher griechisch als hebräisch bzw. aramäisch sprachen.

Ich habe gemeint, daß das Judentum seit langem keine missionarischen Tendenzen mehr hat. Daß das nie der Fall war, kann man so nicht behaupten: siehe Chasaren

bearbeitet von Platona
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Es kann wohl keine Rede davon sein, dass sie es nie versucht hätten. Grade um Christi Geburt scheint das Judentum doch eine Religion mit reger missionarischer Tätigkeit gewesen zu sein. Sonst wäre die Herstellung der Septuaginta wohl eine ziemlich unnötige Arbeit gewesen.
Wie will man missionarisch sein, wenn man sich über eine gemeinsame Abstammung definiert?

 

Soweit ich weiß wurde die Septuaginta geschaffen, weil es Tendenzen der Diasporajuden gab sich an die hellenistische Leitkultur zu assimilieren und eher griechisch als hebräisch bzw. aramäisch sprachen.

Ich habe gemeint, daß das Judentum seit langem keine missionarischen Tendenzen mehr hat. Daß das nie der Fall war, kann man so nicht behaupten: siehe Chasaren

 

Und die Fallaschen bzw. deren Vorfahren.

Zur Zeit der Makkabäer, das scheint aber in der jüdischen Geschichte die Ausnahme zu sein, gab es auch Zwangsmassenbekehrungen zum Judentum.

 

Grundsätzlich waren die Juden für die Aufnahme von Proselyten sehr offen, die Rabbinen haben sich den Sinn des Diasporadaseins damit erklärt, dort durch ihr Leben ein derart gutes Beispiel zu geben, dass ihnen scharenweise Proselyten zulaufen wurden.

bearbeitet von Alice
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Da es sich um französisches Staatsbürger handelte, hat sich die französische Regierung eingeschaltet ... aber ich krieg's jetzt im Augenblick nicht mehr richtig zusammen.

 

So, jetzt ist mir die Erinnerung wenigstens teilweise wiedergekommen. Das junge Paar, französische Staatsbürger, die eben in Rom angekommen waren, als bei der Frau die Wehen einsetzten, waren Miette Cremieux (aus einer alten, irgendwann aus Carpentras in die südfranzösische Nachbarschaft zugewanderten und dort seßhaft gewordenen und dann weit verzweigten und einflußreichen "Papstjuden"-Familie) und ihr Mann Daniel Montel (auch eine in Frankreich weitverzweigte, aus Carpentras stammde jüdische Familie), in ihrer Begleitung befand sich Mietts Vater. Das Kind wurde in einem Gasthaus geboren, man hatte eine Frau aus der Stadt zuhilfe gerufen, die anscheinend, nachdem die Montels es ablehnten, dass das Kind gleich durch einen herbeizuholenden Priester getauft würde, das Kind heimlich getauft und dies dann der Inquisition gemeldet hat. Jedenfalls tauchten ein paar Tage später, die Montels hatten inzwischen in Rom eine Unterkunft gefunden und bezogen, dort Polizisten auf, um das angeblich getaufte Kind abzuholen. David Montel trat der Behauptung, dass das Kind getauft sei, so energisch entgegen, dass die Polizisten erst einmal abzogen um weitere Instruktionen von ihren Vorgesetzten einzuholen, während David sich eilends auf den Weg machte, um sich der Hilfe des französischen Gesandten beim Vatikan zu versichern. Daraus entspann sich dann eine internationale Affäre, die jedoch angesichts der zur selben Zeit ablaufenden, sämtliche europäischen Staaten beschäftigenden Damaskusaffäre in der öffentlichen Wahrnehmung in den Hintergrund rückte. Beteiligt waren aber teilweise dieselben Personen: Papst Gregor XVI., Der Kardinalstaatssekretär Lambruschini (der ein paar Jahre später im Konklave gegen den späteren Pius IX. knapp unterlag), der französische Ministerpräsident Thiers (der den angeblichen Ritualmord in Damaskus als gegeben hinnahm, in der Affäre Montel sich jedoch auf die Seite des jungen jüdischen Ehepaars schlug), Adolphe Cremieux (Adolphe, wie Miette und Daniel in Nimes geboren, stammte ebenfalls aus einer aus Carpentras nach dort zugewanderten "Papstjuden"-Familie), das Einlenken des Vatikans ist sicher auch damit zu erklären, dass man es sich mit Frankreich nicht verderben wollte, in dessen Wirren um die alte und die neue (konstitutionelle) Monarchie der Vatikan ja zuweilen auf das peinlichste verwoben war. Ich will hier nur kurz an den französisch-jüdischen Konvertiten Hyacinthe Deutz erinnern, der wohl auf Vermittlung Gregors XVI. in die Dienste der Herzogin von Berry gelangte, die er dann gegen einen stattlichen "Judaslohn" an ihre Gegner verriet). 1840, im Jahr der Damaskus- und der Affäre Montel, stand gerade Louis Napoleon ante portas.

 

David I. Kertzer hat diesen "Fall" aus der Damaskus-Affäre herausgeschält, in die er in Frankreich immer verwoben war und blieb und anhand inzwischen zugänglicher vatikanischer Quellen rekonstruiert. Ich habe das Buch aber (noch) nicht gelesen.

 

Zu Carpentras (aus obigem Link):

 

Seit 1274 gehörte Carpentras zum päpstlichen Herrschaftsgebiet Comtat Venaissin. Zwischen 1309 und 1314 machte Papst Clemens V., neben Avignon Carpentras zu seiner Residenz. In der Amtszeit von Papst Innozenz VI. 1352 bis 1362 wurde Carpentras von einer Stadtmauer mit 32 Türmen und vier Toren gegen die plündernden Söldnertruppen (Grandes Compagnies) umgeben. Ab 1320 war Carpentras Hauptstadt des Comtat Venaissin, der provenzalischen Grafschaft des Papstes, und blieb dies bis zur Französischen Revolution, als das Comtat nach einem Plebiszit von der Französischen Republik annektiert wurde.

 

Dank der Asylpolitik der päpstlichen Kurie war Carpentras neben Cavaillon, Avignon und L'Isle-sur-la-Sorgue ein wichtiges Zentrum und Fluchtpunkt des französischen Judentums vor der Verfolgung unter Philipp dem Schönen. Juden bewohnten ein Ghetto, ein Judenviertel (carrière), dessen Tore jeden Abend verschlossen wurden. Die Synagoge von 1367 ist die älteste ganz Frankreichs, die 1743 durch eine neue ersetzt wurde. In ihr werden noch heute Gottesdienste abgehalten.

bearbeitet von Alice
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Die fadenscheinige Begründung mit dem Seelenheil zeugt von einem abgrundtiefen Misstrauen gegenüber dem Heiligen Geist, denn der würde schon dafür sorgen, dass ein getaufter nicht verloren geht.

 

Man war aber wohl überzeugt, dass weder Erleuchtung, noch Überzeugung, noch Heiliger Geist den Jungen zum "braven Katholiken" machen könnten, sondern nur entsprechende Indoktrination von klein auf. Was für eine Kleingläubigkeit!

 

Das heißt, vom konkreten Fall einmal abgesehen, daß jemand nur getauft sein muß, damit der Heilige Geist ihn ohne jede weitere entsprechende Erziehung zu einem "braven Katholiken" macht? Respekt, Dein Vertrauen in das hl. Sakrament der Taufe scheint wesentlich umfangreicher, als ich es bisher selbst aus traditionalistischstem Katholikenmund vernahm.

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Im übrigen sollten die Moderatoren und Admins evtl. gemeinsam mit Juristen überlegen, inwiefern die ausdrückliche Billigung von Straftaten durch einen User dem Forum juristische Probleme bereiten könnte.

 

Das sollten sie durchaus, aber was genau hat das mit diesem Fall zu tun? Wer gern seine - in diesem Fall berechtigte - Ablehnung deutlich machen möchte, sollte sich nicht gehindert fühlen, aber nicht jeder Anwurf ist inhaltlich haltbar, und auch das sollte bedacht werden. In diesem Fall liegt offensichtlich keine Straftat vor, weshalb auch keine Straftat - und schon gleich gar nicht ausdrücklich - gebilligt wird.

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Die fadenscheinige Begründung mit dem Seelenheil zeugt von einem abgrundtiefen Misstrauen gegenüber dem Heiligen Geist, denn der würde schon dafür sorgen, dass ein getaufter nicht verloren geht.

 

Man war aber wohl überzeugt, dass weder Erleuchtung, noch Überzeugung, noch Heiliger Geist den Jungen zum "braven Katholiken" machen könnten, sondern nur entsprechende Indoktrination von klein auf. Was für eine Kleingläubigkeit!

 

Ich gebe Dir zwar recht, finde aber, dass Dein Statement hier trotzdem zu kurz greift. Irgendwo wurde in diesem Forum in den letzten Tagen die Frage diskutiert, ob man Kinder taufen solle, die mit der Kirche nachweislich gar nichts am Hut hätten, ja nicht einmal Kirchenmitglieder seien, oder ob man in diesen Fällen eben nicht taufen solle. Ich habe die Diskussion dort nicht verfolgt. Aber das ist genau die "Frage", die, wenn auch andersherum gestellt, vor 150 Jahren auch im Kirchenstaat gestellt wurde. Seit die Kirche auch offiziell Heiden und Nichtchristen die Hoffnung einräumt, das Heil zu erlangen ohne getauft zu sein, juckt uns das ja nicht mehr so, aber immer noch genug, dass wir darüber diskutieren.

 

Dahinter steckt auch, ohne dass irgendein Bezug zu den Juden da wäre, erstmal die banale Auffassung, dass Kinder, die getauft werden, Anspruch auf eine christliche Erziehung durch ihre Eltern und diese die Pflicht haben, ihren Kindern diese christliche Erziehung zuteil werden zu lassen.

 

Ich versuch's mal, auf eine andere Weise und mit Hilfe des Falles Finaly, den ich in diesem Thread auch schon angesprochen habe, zu erläutern. Der aus Wien emigrierte Fritz Finaly hatte es 1944 (?) in Grenoble gerade noch geschafft, seinen beiden kleinen Söhnen, die schon in Frankreich geboren waren, auch zur französischen Staatsbürgerschaft zu verhelfen - kurz danach wurden er und seine Frau verhaftet und deportiert, die Kinder überlebten in der Obhut einer Kindergärtnerin, die sie nach dem Krieg an die überlebenden Verwandten von Fritz Finaly nicht herausrücken wollte - und sie übrigens, weil sie sich davon größere Chancen erhoffte, erst 1948 (!!!) taufen ließ.

 

Die Verwandten der Finalys sind im ersten, vielleicht auch noch im zweiten Prozess vor einem französischen Gericht abgeschmettert worden mit der Begründung, Fritz Finaly habe durch seine Bemühungen um die Staatsbürgerschaft erkennen lassen, dass es sein Wunsch sei, die Kinder als Franzosen aufwachsen zu lassen, er habe die Kinder damit in staatliche Obhut gegeben, der französische Staat sei deswegen in der Pflicht und könne nicht erlauben, dass die Kinder aus Frankreich entfernt würden, schon gar nicht könne der französische Staat sie in ein so unsicheres Land wie Palästina ziehen lassen (dass die Franzosen sich im Palästinkonflikt auch nicht gerade rühmlich bekleckert haben, dürfte ja bekannt sein). Übrigens war die Kindergärtnerin staatlicherseits auch zum Vormund der Kinder ernannt worden, weswegen es in ihrer Macht lag, sie taufen zu lassen. Als im Verlauf eines weiteren Prozesses abzusehen war, dass er zugunsten der Verwandten ausgehen würde, verschwanden die beiden Jungen von der Bildfläche. Mit Hilfe von Katholiken waren sie ins Ausland, die Schweiz und schließlich Spanien, gebracht und dort versteckt worden. Es waren aber auch Katholiken, die die Kinder in Spanien aufspürten und von dort zurückbrachten (Pius XII. hatte im übrigen schon vorher ein Machtwort für die Herausgabe der Kinder an die Verwandten gesprochen, aber davon ließ sich die kleinejudenseelenrettenwollende Teil der französischen Katholiken nicht im mindesten beeindrucken).

 

Wenn ich das mal - sicher nur unzureichend - auf die Taufe übertrage: Sie macht mich zur "Staatsbürgerin" der katholischen Kirche, eröffnet mir darin Rechte und weist der Kirche auch Pflichten zu: Nenne es meinetwegen Seelenheil - sie hatte vor 150 Jahren eben dafür zu sorgen, dass mein Seelenheil durch eine katholische Erziehung gefördert wurde. Wenn Kirche dann noch gleich Staat ist wie im Kirchenstaat, hinkt der Vergleich schon nicht mehr so sehr.

 

Eine andere Frage ist natürlich, in welcher Weise die Kirche dafür zu sorgen hat und sorgen kann, dass mir zwecks Förderung meines Seelenheils eine katholische Erziehung zuteil wird. Nirgendwo steht geschrieben, dass sie verpflichtet ist, mich meinen Eltern wegzunehmen, wenn sie zu der Auffassung gelangt, dass die nicht in der Lage sind, für meine christliche Erziehung zu garantieren, dass sie das zwangsweise tun muss oder ob sie ggf. einfach auch die Hände falten und dafür beten kann. Die Lösung heute - aber eben noch nicht vor 150 oder 200 Jahren - kann auch darin bestehen, dass man Kinder einfach nicht mehr tauft, wenn die katholische Erziehung nicht als gewährleistet erscheint.

 

Nun hatte die Kirche bzw. die kirchenstaatliche Obrigkeit Mitte des 19. Jahrhunderts nicht das geringste Interesse daran, sich einen Haufen geistlicher Mündel aufzuhalsen, für deren Seelenheil bzw. katholische Erziehung sie sich dann hätte verantwortlich sehen müssen. Deswegen hat sie in der Tat immer wieder mit Verboten und Strafen auf selbsternannte Judenmissionierer und -täufer reagiert (ich könnt' mir da einige Mitglieder dieses Forums in dieser Rolle vor 150 Jahren ganz gut vorstellen), die sich nachts ins Ghetto schlichen und in Abwesenheit der Eltern Kinder tauften, um dann zur Inquisition zu rennen und davon Anzeige zu machen. Mehrere Päpste haben das mit einigem Erfolg aber eben doch nicht hundertprozentig abzustellen gewusst. Benedikt XIV. hat, theologisch und kirchenrechtlich sauberst untermauert, eine ganze Reihe von für seine Nachfolger durchaus als verbindlich zu wertenden Dokumenten hinterlassen, die die unfreiwillige Taufe von Juden bis auf zwei Ausnahmen untersagte - und die ergeben sich nun aus dem katholischen Verständnis der Taufe und haben mit Antijudaismus überhaupt nichts zu tun.

 

a. Wer ein Kind aussetzte, gab es damit in die Fürsorge des Staates bzw. des Kirchenstaates (oder einer kirchlichen Einrichtung), und zu dessen Fürsorge gehörte es eben, die Kinder zu taufen, die ihm auf diese Weise übergeben worden waren.

 

b. Die Nottaufe in Todesgefahr. Das sehen wir heute auch nicht mehr so eng. Auch die hat nichts mit Judenfeindlichkeit zu tun, denn zumindest noch meine Mutter hätte es ziemlich übel und ziemlich lange verfolgt, wenn eines ihrer Kinder ungetauft verstorben wäre (siehe hierzu die Threads: wo kommen die ungetauften Kinder hin).

 

Im Fall Mortara soll es sich um eine Nottaufe handeln, wie die Dienstmagd Morisi behauptete. Nottaufen hat es sicher in jüdischen Familien nicht nur diese gegeben. Es war zwar im Kirchenstaat verboten, dass jüdische Familien katholische Dienstboten beschäftigten, aber das Verbot stand auf dem Papier, und im 19. Jh. hat es niemanden mehr interessiert, ob das erlaubt oder verboten war: jüdische Familien beschäftigten in großem Ausmaß und in aller Öffentlichkeit katholische Dienstboten, die gelernt hatten, dass ungetauft gestorbene Kinder nicht in den Himmel kommen. Vielleicht haben sie die Kinder ihrer Arbeitgeber ja gemocht.

 

Jetzt war der Junge also (erlaubt oder nicht) notgetauft, und sechs oder sieben Jahre lang passierte gar nichts, weil die Anna Morisi den Mund hielt, vielleicht weil sie Angst hatte, von den Mortaras auf die Straße gesetzt zu werden, wenn es aufkam, dass sie nächtens heimlich den kleinen Edgardo zum heimlichen Christen getauft hatte. Solange die Dienstboten oder die Hebammen oder wer auch immer über eine derartige Nottaufe die Klappe gehalten haben, passierte nichts - und ich bin mir sicher, dass es mehr getaufte Judenkinder gab, bei denen das nie bekannt wurde als solche, bei denen dann das Gezeter um die christliche Erziehung anging, die Juden - da schlägt jetzt der Antijudaismus/-semitismus zu - eben ganz sicher nicht gewährleisten konnten, während man bei Katholiken nicht so genau hinschaute.

 

Ich weiss nicht mehr wo, aber vor ein paar Jahren habe ich mal eine Dokumentation über den Fall Mortara gelesen, die wohl aus der Familie selbst stammte. Dieser Dokumentation zufolge ist die Taufe des kleinen Edgardo erst im Gefolge einer Erkrankung seines um mehrere Jahre jüngeren Bruders bekanntgeworden. Magd Morisi traf die Magd einer andere Familie auf der Straße und die beiden klatschten halt so. Magd Morisi berichtete, dass der kleine Simon (sag ich jetzt mal, ich weiss nicht mehr, wie er hieß) gaaanz arg krank sei und sie Angst habe, dass er vielleicht sterben würde. Die andere Magd sagte daraufhin: dann must Du ihn unbedingt nottaufen. Daraufhin die Magd Morisi: Nein, das mache ich nicht, das habe ich vor 6 oder 7 Jahren beim kleinen Edgardo schon gemacht, und wenn es rauskommt, fliege ich ... Die andere Magd schnappt nach Luft: Waaaas, der kleine Edgardo ist getauft? DAS muss sie aber ihrem Beichtvater melden. Und Magd Morisi marschiert zu ihrem Beichtvater und erzählt das dem. Der hätte nun aber auch Ermessenspielräume gehabt. Er hätte die Magd Morisi nicht für ganz glaubhaft und nicht für ganz gescheit halten können, da sie aber ein gehorsames Kind der Kirche war, hätte er sie beruhigen und zu weiterem eisigem Schweigen verdonnern können, wenn Magd Morisi die Sache nicht schon auf der Straße ausgeplappert hätte. Und so nahmen die Dinge eben ihren Lauf. Auch der Inquisitor in Bologna hätte noch Ermessen walten lassen können: die Magd Morisi für unglaubhaft, die Taufe für nicht gültig gespendet befinden können. Dann hätten alle beteiligten katholischen Seelen ihre Ruhe gehabt: die Magd, der Beichtvater waren ihrer Pflicht nachgekommen, die Inquisition hatte entschieden, basta. Der Inquisitor war aber auch ein sturer Dogmatiker und mehr noch: als er ein oder zwei Jahre später vom italienischen Staat, zu dem Bologna jetzt gehörte, wegen Kindesentführung vor Gericht gestellt wurde, sprach ihn das Gericht frei: er hatte eben "nur seine Pflicht" getan.

 

Ein paar Jahre früher hätte derselbe Papst möglicherweise noch anders entscheiden können, als er tatsächlich entschieden hat: um 1850 aber stand ihm das Wasser bis am Hals und auch er reagierte mit sturer Dogmatik.

 

Aber immer - in allen diesen Fällen - ist das Theater ganz unten angegangen, wurde von unten nach oben durchgereicht und irgendwo oben entschieden. Immer ging es mit Denunzianten an. Im Fall Anna Del Monte war's ein Kerl, ein bereits konvertierter mittelloser Jude, der sich in die hübsche und wohlhabende Anna vergafft hatte und meinte, sie und ihre Mitgift auf diese Weise kapern zu können. Im Fall Montel war's wohl eine hilfsbereite Frau "aus dem Volke", die netterweise geholfen hatte, als das Kind ans Licht der Welt drängte. Wenn die gute Frau schon meinte, dem Kind etwas Gutes tun zu müssen, indem sie es gegen den erklärten Willen der Eltern heimlich taufte, dann hätte sie sich gut fühlen und die Klappe halten können. Sie hat die Klappe aber nicht gehalten, ist zum Priester und/oder zur Inquisition gelaufen, die hat "den Fall" nach oben zur Entscheidung weitergereicht, und die Entscheidungsfindung ist ein Lehrstück für die Ränke im Vatikan selbst und dessen höchst unglückliche Verstrickung in die Politik - die in diesem Fall allerdings dazu führte, dass das der Vatikan die Franzosen als für die christliche Erziehung verantwortlich erklärt wurden. Die nickten wahrscheinlich, taten aber nicht dergleichen (was von vorneherein zu erwarten war). Jedenfalls erhielten die Montels die Kleine zurück (wenn sie nicht während der ganzen Monate, in denen darum gestritten wurde, ohnehin in der Obhut ihrer Eltern verblieb - das krieg' ich jetzt nicht heraus).

 

Ich weiss nicht mehr welcher Papst in eben jenen Jahrzehnten aus solchen Anlässen heraus ein Papier wider das Denunziantenunwesen verfasste und wohl auch seinem untergebenen Klerus Räume eröffnete, um mit solchen Denunziationen umzugehen und fertig zu werden. Wenn ich Zeit habe, suche ich die Archivnummer mal raus, und vielleicht komme ich auch an den Text.

bearbeitet von Alice
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Menschen die Sätze mit "ich bin ja nicht antisemisch" beginnen sind von vornherein verdächtig.

 

Du vertrittst da eine sehr interessante Sicht, lieber Wolfgang. Man braucht also nur zu behaupten, irgendjemand habe eine bestimmte Eigenschaft, um aus der Ablehnung und Berichtigung dieser Behauptung durch den so Besprochenen schlußfolgern zu dürfen, daß an der eigenen Behauptung doch etwas dran sei.

 

Bequem ist dieser Grundsatz ja durchaus ...

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Menschen die Sätze mit "ich bin ja nicht antisemisch" beginnen sind von vornherein verdächtig.

 

Du vertrittst da eine sehr interessante Sicht, lieber Wolfgang. Man braucht also nur zu behaupten, irgendjemand habe eine bestimmte Eigenschaft, um aus der Ablehnung und Berichtigung dieser Behauptung durch den so Besprochenen schlußfolgern zu dürfen, daß an der eigenen Behauptung doch etwas dran sei.

 

Bequem ist dieser Grundsatz ja durchaus ...

 

 

 

Es ist ähnlich, wenn Menschen von sich als von "meiner Wenigkeit" sprechen, sie sind meist an Rechthaberei nicht zu überbieten.

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Menschen die Sätze mit "ich bin ja nicht antisemisch" beginnen sind von vornherein verdächtig.

 

Du vertrittst da eine sehr interessante Sicht, lieber Wolfgang. Man braucht also nur zu behaupten, irgendjemand habe eine bestimmte Eigenschaft, um aus der Ablehnung und Berichtigung dieser Behauptung durch den so Besprochenen schlußfolgern zu dürfen, daß an der eigenen Behauptung doch etwas dran sei.

 

Bequem ist dieser Grundsatz ja durchaus ...

 

 

 

Es ist ähnlich, wenn Menschen von sich als von "meiner Wenigkeit" sprechen, sie sind meist an Rechthaberei nicht zu überbieten.

Ach so. Deiner Meinung nach wäre es also richtig, die Behauptungen eines Wolfgang E. schlicht und einfach unwidersprochen zu lassen und zum Tagesgeschäft überzugehen. Wahrscheinlich nur, um sich später fragen lassen zu müssen, was man denn gegen diese Behauptung habe, schließlich sei ihr ja nicht widersprochen worden.

 

Von den eigenen Verleumdungen nicht lassen wollen, und in der Berichtigung die Bestätigung erblicken. Wie gesagt: bequem ist das durchaus. :angry:

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Menschen die Sätze mit "ich bin ja nicht antisemisch" beginnen sind von vornherein verdächtig.

 

Du vertrittst da eine sehr interessante Sicht, lieber Wolfgang. Man braucht also nur zu behaupten, irgendjemand habe eine bestimmte Eigenschaft, um aus der Ablehnung und Berichtigung dieser Behauptung durch den so Besprochenen schlußfolgern zu dürfen, daß an der eigenen Behauptung doch etwas dran sei.

 

Bequem ist dieser Grundsatz ja durchaus ...

 

 

 

Es ist ähnlich, wenn Menschen von sich als von "meiner Wenigkeit" sprechen, sie sind meist an Rechthaberei nicht zu überbieten.

Ach so. Deiner Meinung nach wäre es also richtig, die Behauptungen eines Wolfgang E. schlicht und einfach unwidersprochen zu lassen und zum Tagesgeschäft überzugehen. Wahrscheinlich nur, um sich später fragen lassen zu müssen, was man denn gegen diese Behauptung habe, schließlich sei ihr ja nicht widersprochen worden.

 

Von den eigenen Verleumdungen nicht lassen wollen, und in der Berichtigung die Bestätigung erblicken. Wie gesagt: bequem ist das durchaus. :angry:

 

 

 

Meine Beobachtungen, was das mit dem Antisemitismus angeht, ist durchaus ähnlich wie die von Wolfgang. Ich würde das nicht verallgemeinern (habe ich bei der "Wenigkeit" auch nicht gemacht, sondern "meist" geschrieben), aber durchaus in solchen Fällen lieber zweimal hinschauen.

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Die fadenscheinige Begründung mit dem Seelenheil zeugt von einem abgrundtiefen Misstrauen gegenüber dem Heiligen Geist, denn der würde schon dafür sorgen, dass ein getaufter nicht verloren geht.

 

Das ist wohl eher die volkstümliche Begründung, auf offizieller höchster Ebene lautete sie ein bisschen anders (aber nicht weniger ... ähm). Noch Anfang 1953 äusserte sich Kardinal Pizzardo, damals Sekretär des Heiligen Offiziums, zum Fall Finaly, dass dem Ersuchen der Verwandten der Kinder nicht stattgegeben werden solle, weil "die Kirche die unverjährbare Pflicht hat, die freie Entscheidung dieser Kinder zu respektieren, die ihr durch die Taufe angehören." Dass die jüdischen Verwandten der beiden Jungen bereit gewesen sein könnten, ihrerseit dies freie Entscheidung zu respektieren, kam ihm wohl nicht in den Sinn. Den Verwandten allerdings schon: Die beiden Jungen besuchten in Israel eine französische katholische Schule, was ihnen auch wegen der französischen Unterrichtssprache zunächst entgegenkam. Robert fasste als Teenager zeitweise sogar ins Auge, Priester zu werden, wandte sich dann aber doch dem Judentum zu - und das, ohne je ein Wort des Grolls über seine katholische Erziehung zu verlieren, im Gegenteil.

 

Fast wörtlich dieselbe Begründung - Sicherstellung der "freien Entscheidung" - gab der vatikanische Staatssekretär, (damals noch nicht Kardinal) Lambruschini gegenüber dem französischen Gesandten, der im Jahr 1940 wegen des Montel-Kindes beim Heiligen Stuhl intervenierte: Wenn das Kind gültig getauft sei (was noch zu untersuchen gewesen wäre) könne es mindestens bis zu dem Alter, in dem es eine freie Entscheidung treffen könne, nicht bei seinen Eltern bleiben.

 

Im Jahr 1953 intervenierte auf den Brief Pizzardos hin der französische Primas, Kardinal Gerlier (Lyon) schließlich erfolgreich bei Pius XII., der sich über Pizzardos Stellungnahme hinwegsetzte. Im Jahre 1840 haben die politischen Konstellationen vor der Tür des Kirchenstaates nachgeholfen.

 

Gianni Valente in 30Tage kommt zu einer Einschätzung des ausweichenden Verhaltens des damaligen Nuntius Roncalli, die ich teile:

 

Der (französische) Präsident wollte mit dem Nuntius über diesen umstrittenen, hochaktuellen Fall sprechen, Roncalli aber wechselte das Thema („Er sprach mich auf die Finaly-Affäre an, aber ich gab ihm zu verstehen, dem Ganzen keine große Bedeutung beizumessen...“). Er wußte ja nur zu gut, daß auf einen, zu einem Streitfall ausgearteten Finaly-Fall sehr viele andere kamen – der Großteil, auch in Frankreich –, für die man in der Zwischenzeit eine Lösung gefunden hatte.

 

Lösungen zugunsten der Eltern oder der Verwandten - und das dürfte, so meine ich, auch schon im Kirchenstaat Mitte des 19. Jahrhunderts möglich gewesen sein. Solange diese Geschichten nicht zum "Streitfall" auf höchster Ebene ausarteten. Sonst müssten inzwischen sehr viel mehr solcher "Fälle" ausgegraben worden sein (ich hab' inzwischen auf einer italienischen Seite 10 aufgelistet gefunden, von denen hier drei schon namentlich erwähnt wurden - sie sind aber leide alle zu vage und so kurz dargestellt, dass ich mir die Mühe nicht machen möchte, sie abzuarbeiten, denn von deren Hintergründen kenne ich gar nichts.

bearbeitet von Alice
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Es ist ähnlich, wenn Menschen von sich als von "meiner Wenigkeit" sprechen, sie sind meist an Rechthaberei nicht zu überbieten.

Oh, dann müssen davon aber einige hier rumlaufen. Vor vier Wochen kannte ich die Abkürzung IMHO überhaupt nicht. Hier bin ich nach wenigen Minuten zum ersten Mal darauf gestoßen, dann immer wieder, so dass ich am Schluß zum googlen verurteilt war. Ist schon ein tierisch internationaler Haufen von Wenigkeiten hier, IMHO ;-)

 

Edit: Quote schon selbst repariert.

bearbeitet von benedetto
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Es ist ähnlich, wenn Menschen von sich als von "meiner Wenigkeit" sprechen, sie sind meist an Rechthaberei nicht zu überbieten.

Oh, dann müssen davon aber einige hier rumlaufen. Vor vier Wochen kannte ich die Abkürzung IMHO überhaupt nicht. Hier bin ich nach wenigen Minuten zum ersten Mal darauf gestoßen, dann immer wieder, so dass ich am Schluß zum googlen verurteilt war. Ist schon ein tierisch internationaler Haufen von Wenigkeiten hier, IMHO ;-)

 

Edit: Quote schon selbst repariert.

 

 

 

Ob man mit dieser Floskel andeuten will, dass man auf dem eben besprochenen Gebiet wenig Ahnung hat oder ob man sich insgesamt damit brüstet, wenig wert zu sein (obwohl man vom Gegenteil mehr als nur überzeugt ist), ist für mich schon ein Unterschied.

 

Es gehört manchmal mehr Mut dazu, sein begrenztes Wissen einzugestehen als drauflos zu behaupten. (Wenn natürlich ein Fachmann auf seinem Gebiet eine Frage beantwortet und imho dazufügte, hättest du natürlich Recht)

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Ob man mit dieser Floskel andeuten will, dass man auf dem eben besprochenen Gebiet wenig Ahnung hat oder ob man sich insgesamt damit brüstet, wenig wert zu sein (obwohl man vom Gegenteil mehr als nur überzeugt ist), ist für mich schon ein Unterschied.

 

Es gehört manchmal mehr Mut dazu, sein begrenztes Wissen einzugestehen als drauflos zu behaupten. (Wenn natürlich ein Fachmann auf seinem Gebiet eine Frage beantwortet und imho dazufügte, hättest du natürlich Recht)

Jetzt musste ich doch glatt noch einmal nachgooglen, ob ich die Übersetzung falsch in Erinnerung hatte. Also, der erste Google-Treffer verweist auf Wikipedia, demzufolge IMHO Netzjargon (!) ist: In my humble opinion - meiner unmaßgeblichen/bescheidenen Meinung nach. Nicht meiner laienhaften Meinung nach. Genauso scheinbar unterwürfig wie "die Wenigkeit"...

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Ob man mit dieser Floskel andeuten will, dass man auf dem eben besprochenen Gebiet wenig Ahnung hat oder ob man sich insgesamt damit brüstet, wenig wert zu sein (obwohl man vom Gegenteil mehr als nur überzeugt ist), ist für mich schon ein Unterschied.

 

Es gehört manchmal mehr Mut dazu, sein begrenztes Wissen einzugestehen als drauflos zu behaupten. (Wenn natürlich ein Fachmann auf seinem Gebiet eine Frage beantwortet und imho dazufügte, hättest du natürlich Recht)

Jetzt musste ich doch glatt noch einmal nachgooglen, ob ich die Übersetzung falsch in Erinnerung hatte. Also, der erste Google-Treffer verweist auf Wikipedia, demzufolge IMHO Netzjargon (!) ist: In my humble opinion - meiner unmaßgeblichen/bescheidenen Meinung nach. Nicht meiner laienhaften Meinung nach. Genauso scheinbar unterwürfig wie "die Wenigkeit"...

 

Die Meinung eines Laien ist immer unmaßgeblich und das sollte man bescheidenerweise auch zugeben. Oder?

bearbeitet von Elima
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Die Meinung eines Laien ist immer unmaßgeblich und das sollte man bescheidenerweise auch zugeben. Oder?

Den Satz kann man sich auf der Zunge zergehen lassen :angry:

Insbesondere in einem katholischen Forum...

 

Wenn ich Deinen Satz aber auf den weltlichen Bereich beziehe, dann kann ich häufig feststellen, dass gerade diejenigen, deren Meinung maßgeblich ist, leider wenig Ahnung von dem, wovon sie sprechen, haben und vor allen Dingen sind sie auch nicht bescheiden. Ähnlichkeiten mit Politikern jedweder Couleur wären rein zufällig.

 

Ich bin der Auffassung, dass IMHO ein genauso gruseliges Füllkürzel ist wie die Floskel "Meine Wenigkeit". Ich denke, die Nutzung gilt eher als chic, denn bisher habe ich noch nie das deutsche Pendant "Meiner unmaßgeblichen Meinung nach..." in einem Beitrag finden können. Aber ich mache mir gleich einmal den Spaß, mittels Suchfunktion nach beiden Begriffen zu suchen, werde mir aber nicht die Zeit nehmen, die TOP-10-User-Liste des Kürzels IMHO zu publizieren.

 

 

Edit: Nachtrag. Bei der Suche erscheinen 40 Seiten mit dem Hinweis, dass die Suche auf 1000 Beiträge limitiert ist... MMn wird imho hier für mMn verwendet, und um das h schert sich keiner. Denn goldig sind doch solche Beiträge wie: "Es sollte IMHO immer gelten..." ...das immer unterstreicht ja die Bescheidenheit des Autors in besonderem Maße. ;-)

bearbeitet von benedetto
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es war keine entführung sonder ein akt zur rettung einer seele alles andere ist liberales geschwätz

 

Schlimmer als liberales Geschwätz ist allerdings Dein Dummgeschwätz. "Rettung einer Seele", als ob man deswegen jüdischen Eltern die Kinder wegnehmen müsste. Überlass das Seelenretten lieber dem lieben Gott.

das kind wurde katholisch getauft von einem dienstmädchen daher konnte in der jüdischen familie keine katholische erziehung gewehrleistet werden und das kind wurde in staatliche obsorge gestellt das ganze ist ja in einem katholischen staat geschehen und dort ist das heil ser seele oberstes prinzip heute hasndelt die BRD ja genauso wenn z.b. die schulpflicht nicht erfüllt wird es enziegt den eltern das sorgerecht weil ein höheres prinzip nicht erfüllt wird

das das die liberalen und modernisten unserer tage nicht verstehen können ist klar

 

Wenn heute ein jüdisches Kind heimlich beim Bestehen einer Lebensgefahr für das Kind getauft würde, würdest du das Kind dann seinen Eltern entziehen, um ihm eine katholische Erziehung angedeihen zu lassen oder würdest du ein solches Vorgehen unterstützen, bzw. zumindest billigen?

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Die fadenscheinige Begründung mit dem Seelenheil zeugt von einem abgrundtiefen Misstrauen gegenüber dem Heiligen Geist, denn der würde schon dafür sorgen, dass ein getaufter nicht verloren geht.

 

Das ist wohl eher die volkstümliche Begründung, auf offizieller höchster Ebene lautete sie ein bisschen anders (aber nicht weniger ... ähm). Noch Anfang 1953 äusserte sich Kardinal Pizzardo, damals Sekretär des Heiligen Offiziums, zum Fall Finaly, dass dem Ersuchen der Verwandten der Kinder nicht stattgegeben werden solle, weil "die Kirche die unverjährbare Pflicht hat, die freie Entscheidung dieser Kinder zu respektieren, die ihr durch die Taufe angehören." Dass die jüdischen Verwandten der beiden Jungen bereit gewesen sein könnten, ihrerseit dies freie Entscheidung zu respektieren, kam ihm wohl nicht in den Sinn. Den Verwandten allerdings schon: Die beiden Jungen besuchten in Israel eine französische katholische Schule, was ihnen auch wegen der französischen Unterrichtssprache zunächst entgegenkam. Robert fasste als Teenager zeitweise sogar ins Auge, Priester zu werden, wandte sich dann aber doch dem Judentum zu - und das, ohne je ein Wort des Grolls über seine katholische Erziehung zu verlieren, im Gegenteil.

 

Fast wörtlich dieselbe Begründung - Sicherstellung der "freien Entscheidung" - gab der vatikanische Staatssekretär, (damals noch nicht Kardinal) Lambruschini gegenüber dem französischen Gesandten, der im Jahr 1940 wegen des Montel-Kindes beim Heiligen Stuhl intervenierte: Wenn das Kind gültig getauft sei (was noch zu untersuchen gewesen wäre) könne es mindestens bis zu dem Alter, in dem es eine freie Entscheidung treffen könne, nicht bei seinen Eltern bleiben.

 

Im Jahr 1953 intervenierte auf den Brief Pizzardos hin der französische Primas, Kardinal Gerlier (Lyon) schließlich erfolgreich bei Pius XII., der sich über Pizzardos Stellungnahme hinwegsetzte. Im Jahre 1840 haben die politischen Konstellationen vor der Tür des Kirchenstaates nachgeholfen.

 

Gianni Valente in 30Tage kommt zu einer Einschätzung des ausweichenden Verhaltens des damaligen Nuntius Roncalli, die ich teile:

 

Der (französische) Präsident wollte mit dem Nuntius über diesen umstrittenen, hochaktuellen Fall sprechen, Roncalli aber wechselte das Thema („Er sprach mich auf die Finaly-Affäre an, aber ich gab ihm zu verstehen, dem Ganzen keine große Bedeutung beizumessen...“). Er wußte ja nur zu gut, daß auf einen, zu einem Streitfall ausgearteten Finaly-Fall sehr viele andere kamen – der Großteil, auch in Frankreich –, für die man in der Zwischenzeit eine Lösung gefunden hatte.

 

Lösungen zugunsten der Eltern oder der Verwandten - und das dürfte, so meine ich, auch schon im Kirchenstaat Mitte des 19. Jahrhunderts möglich gewesen sein. Solange diese Geschichten nicht zum "Streitfall" auf höchster Ebene ausarteten. Sonst müssten inzwischen sehr viel mehr solcher "Fälle" ausgegraben worden sein (ich hab' inzwischen auf einer italienischen Seite 10 aufgelistet gefunden, von denen hier drei schon namentlich erwähnt wurden - sie sind aber leide alle zu vage und so kurz dargestellt, dass ich mir die Mühe nicht machen möchte, sie abzuarbeiten, denn von deren Hintergründen kenne ich gar nichts.

Naja Roncalli der Name bürgt für qualität :angry:

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Was mich (neben der Ungeheuerlichkeit, ein Kind seinen Eltern wegzunehmen) am meisten stört, ist der seltsame Umgang mit der angeblichen Sorge um das Seelenheil.

 

Das Seelenheil eines Menschen ist im geschilderten Fall schnurzpiepegal, man lässt ihn (seiner Überzeugung nach) als "Judenkind" direkt in die Hölle fahren, wen kümmert das schon.

Aber wenn er getauft ist, dann werden auf einmal im Namen des Seelenheils die verbrecherischsten Methoden zur Tugend erklärt.

 

Das ist für mich ein Widerspruch.

 

Wenn ich wirklich um das Seelenheil besorgt wäre, müsste ich konsequenterweise jeden, dessen ich habhaft werden kann, taufen und notfalls mit Gehirnwäsche und Zwang zum "braven Katholiken" erziehen (nicht dass ich das propagieren möchte, aber nur dann könnte ich die angebliche "Sorge um das Seelenheil" nachvollziehen)

 

Die Sorge um das Seelenheil von einer vorher zufällig erfolgten Taufe (und zwar wohlgemerkt nur durch einen Katholiken, wobei es egal ist, was für ein Katholik) abhängig zu machen ist absurd und lässt diese Sorge wenig glaubhaft erscheinen.

 

Es mag im ersten Moment absurd klingen, aber die Inquisition der frühen Neuzeit kann ich (ohne sie zu billigen) besser verstehen als Pius IX und seine Helfershelfer.

 

Werner

bearbeitet von Werner001
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OneAndOnlySon

Ich kann mir vorstellen, dass Pius IX. und Co. den Glaubensabfall als sehr viel schlimmer erachtet haben, als überhaupt nie geglaubt zu haben. Ketzer hat im Fronleichnams-Thread ja eben einige Bibelzitate gepostet, die auch darauf hinweisen, dass der vom Glauben abgefallene keine Gnade von Gott erwarten könne. Ich stimme mit dieser Sichtweise zwar nicht überein aber nachvollziehbar ist das damalige Handeln unter dem Aspekt meiner Meinung nach schon.

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