Dale Earnhardt Geschrieben 19. September 2016 Melden Share Geschrieben 19. September 2016 "Warum hat ein allmächtiger Gott nicht für eine zuverlässigere Überlieferung gesorgt?" Eine Antwort könnte sein: weil er clever ist! Die Unendlichkeit der Interpretationsmöglichkeiten befeuern doch die Auseinandersetzung mit dem Glauben. Eine naheliegende Alternative wäre doch das sture Auswendiglernen, das der Islam ausübt. Das macht den Islam nicht weniger erfolgreich, ihn aber extrem unattraktiv für die Intelligenz. Das Christentum hingegen hält den Ball der Interpretation immer im Spiel. Ich halte das mittlerweile für einen der wesentlichen Gründe für den christlichen Erfolg auf diesem Planeten. Und wenn Gott allwissend ist, dann hat er das natürlich gewusst. Dale 1 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Mat Geschrieben 19. September 2016 Melden Share Geschrieben 19. September 2016 Was mich am meisten verärgert ist übrigens, dass ausgerechnet der Johannesevangelist, der ansonsten die größten Töne über Wahrheit spuckt, sein Evangelium mit der faustdicken Lüge beendet, er wäre dabei gewesen, wäre Jünger Jesu gewesen. Joh 21,24 "Dieser Jünger ist es, der all das bezeugt und der es aufgeschrieben hat; und wir wissen, dass sein Zeugnis wahr ist." (Vorletzter Satz des Johannesevangeliums) Die Lüge verärgert mich nicht so sehr, weil sie faustdick ist, sondern weil sie nach Autorität strebt und für den Inhalt des Evangeliums völlig unnötig ist. Offensichtlich hat dieser Satz noch ans Evangelium drangeflickt werden müssen, weil es ohne Verlogenheit nicht geht. Prinzipiell nicht. Unnötig wie ein Kropf, aber Hauptsache noch mal gelogen. Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht. Das Sprichwort ist zwar stark überzogen. Aber es drückt meinen Ärger und meine Unzufriedenheit ganz gut aus. Na ja, das wäre jetzt die Sicht mit einem modernen historischen Wahrheitsverständnis. Johannes Wahrheit ist - zumindest soweit das aus den sog. johanneischen Schriften hervorgeht - doch vor allem die Vorstellung, dass Jesus Christus wirklich real als Mensch existierte und wirklich litt und starb. Darauf bezieht sich nach menem verständnis auch das Schlusswort des Evangeliums. Es wird hier eie gnostische Vorstellung zurückgewiesen, wonach Jesus als Logos nicht hätte leiden können, sozusagen vom Fleische unberührt wäre. Weder Johannes noch die anderen Evangelisten noch viele zeitgenössische Biographen hatten den Anspruch, eine möglichst genaue, in allem den historischen Tatsachen entsprechende Biograhie zu verfassen. Wahrheit war in ihren Augen vielmehr, das Charakteristische einer Person herauszustellen und dazu konnten auch Episoden dienen, die Typisches darstellten, das zumindest so hätte passieren können. Und m.E. wussten das auch die Rezipienten. Der Jesus der Evangelien gibt das wieder, was die Gemeinden für ihr Gemeindeleben wissen wollten, nichts Anderes. Dass es davor eine mündliche oder auch rudimentär schriftliche Tradition gab, scheint unbestritten zu sein. Ob man jetzt Anhänger des Christentums ist oder es ablehnt, ein strikt historisches Verständnis der Evangelien ist hier wenig hilfreich. 2 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Mecky Geschrieben 19. September 2016 Melden Share Geschrieben 19. September 2016 (bearbeitet) Na ja, das wäre jetzt die Sicht mit einem modernen historischen Wahrheitsverständnis. ... Ob man jetzt Anhänger des Christentums ist oder es ablehnt, ein strikt historisches Verständnis der Evangelien ist hier wenig hilfreich. Selbstverständlich lege ich ein modernes Wahrheitsverständnis an, denn ich lebe in der Jetztzeit. Gut, in dem Lügenvorwurf an Johannes habe ich es vielleicht ein wenig überzogen ... obwohl ... die Unnötigkeit der Lüge beeindruckt mich dennoch. Ein strikt historisches Verständnis der Evangelien wird deren eigenen Anspruch nicht gerecht. So weit bin ich völlig Deiner Meinung. Hilfreich wäre es dennoch für viele Anliegen, ... wenn die Evangelisten nicht andauernd die historische Darstellung verlassen und stattdessen ihren eigenen Senf geschrieben hätten, in dem sie ihre eigenen Interessen als Interesse Jesu beschrieben haben. Es geht mir auch weniger um eine Bewertung der Evangelisten. Dieses Anliegen ist eher ein Nebenprodukt. Mein Hauptthema ist: Wir haben über Jesus kein Wissen. Nicht einmal wirklich Zeugnisse, die einem heutigen Vertrauensverständnis standhalten. Von der Frage, wo er geboren wurde (Betlehem??? Oder Nazareth??? Oder sonstwo???), über die Frage nach seinen letzten Worten, bis hin zur Frage nach dem offenen Grab: Rätselraten, Ungewissheit. Überall in den Evangelien. Welche Bedeutung hat denn die Menschwerdung Gottes, sein Einkehren in diese unsere Realität, wenn man überhaupt nichts Reales vorzuweisen hat? Soll ein Christ sein Leben auf jemanden setzen bzw. jemandem nachfolgen bzw. jemanden sogar lieben, über dessen Realität man nichts weiß? Wenn man aber zugibt, nichts zu wissen, ergeben sich ganz andere Perspektiven. Dann muss der ehrliche Christ seinen Glauben eben anders fassen und erklären, als durch einen Rückgriff auf die Person Jesu (allein). Wir haben in der Hand - was? Keine Realitätsaussagen über Jesus. Sondern wir haben letztlich nur die vier Evangelien zur Hand. Wir haben somit unterschiedliche Aussagesysteme über den Chrestos vor uns. Der Ausgangspunkt der Diskussion waren Franziskaners Bemerkungen, dass Jesus die Ehe mit Schöpfungstheologie begründet hat. Eine solche Aussage lässt sich nicht treffen. Wir wissen nicht, was Jesus über die Ehe gesagt hat, sondern wir können lediglich nachlesen, was die Evangelisten (oder einer oder zwei oder drei Evangelisten) zu diesem Thema aufgeschrieben haben. Und damit kommen wir zu einem wesentlich erfreulicheren Aspekt: Die Art und Weise, wie uns von Jesus überliefert wurde, rauben jeglichem Bibelfundamentalismus das Fundament. Der scheinbar unhintergehbare Rückgriff auf ein "Herrenwort" ist unsicher. Wir wissen NICHT, was Jesus konkret gesagt hat. Wir wissen nicht einmal im Einzelnen, was er genau gemeint hat, was er beabsichtigt hat und aus welchen Gründen er etwas gesagt oder getan hat. Auch Aussagen wie "In Jesus wurde Gott Mensch" muss man nun neu überdenken. Nicht, dass man diese Aussage verwerfen muss. Aber an den Menschen, in dem Gott Mensch wurde, kommen wir nicht heran. Wir wissen nichts über ihn. Welche Bedeutung hat die Aussage "In Jesus wurde Gott Mensch"? Die Christologie muss noch einmal neu durchdacht werden. (Wobei die Frage nach der historischen Fassbarkeit Jesu in der Christologie keine allzu große Rolle spielt. Auch die Christologen der ersten Jahrhunderte haben sich nur am Rande mit der Historizität Jesu (, seiner Erlebnisse, seiner Taten und seiner Aussagen) auseinandergesetzt. Aber wenn man heutigen Menschen etwas geben will, was ihr Vertrauen auf Jesus stärkt, was ihnen die Bedeutung Jesu vor Augen hält, dann müssen diese Aussagen eben auch den Kriterien des heutigen Wahrheitsverständnisses gehorchen. Sonst werden sie als illusorisch, nicht-vertrauenswürdig und nichtig abqualifiziert und kommen nicht einmal in die engere Wahl. Ich vermute, dass dieses Verschwimmen der Person Jesu und dieser Niedergang der Vertrauenswürdigkeit der Evangelien ein wichtiges Element ist für den Niedergang des christlichen Glaubens in einer aufgeklärten Welt. bearbeitet 19. September 2016 von Mecky Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Moby Geschrieben 19. September 2016 Melden Share Geschrieben 19. September 2016 "Warum hat ein allmächtiger Gott nicht für eine zuverlässigere Überlieferung gesorgt?" Eine Antwort könnte sein: weil er clever ist! Die Unendlichkeit der Interpretationsmöglichkeiten befeuern doch die Auseinandersetzung mit dem Glauben. Eine naheliegende Alternative wäre doch das sture Auswendiglernen, das der Islam ausübt. Das macht den Islam nicht weniger erfolgreich, ihn aber extrem unattraktiv für die Intelligenz. Das Christentum hingegen hält den Ball der Interpretation immer im Spiel. Ich halte das mittlerweile für einen der wesentlichen Gründe für den christlichen Erfolg auf diesem Planeten. Und wenn Gott allwissend ist, dann hat er das natürlich gewusst. Dale Also dann der clevere und natürlich immer vorausschauende Gott, der durch die Unendlichkeit der Interpretationsmöglichkeiten den (christlichen) Glauben sozusagen befeuert. Nun haben die Albigenser und Katharer von den unendlichen Interpretationsmöglichkeiten wohl auch regen Gebrauch gemacht, allerdings hatte hier wohl Gott nicht die richtige Vorausschau, denn die Albigenser und Katharer wurden in einem, man kann wohl schon sagen mordsmäßigen Feldzug, unter anderem dann auch etwas sehr „befeuert“. Ob der dreißigjährige Krieg im Plan eines vorausschauenden Gottes lag, dass weiß ich nicht zu sagen, jedenfalls starben in diesem Krieg wohl Millionen auch unschuldiger Menschen und danach, danach war man sich allerdings immer noch nicht einig, ob der liebe Gott nun wirklich ein Katholik ist, oder vielleicht doch mehr ein Protestant. Was die Interpretationsmöglichkeiten betrifft, da scheint mir der Gott, nach vielen bestialischen Religionskriegen, nach blutigen Bartholomäusnächten oder den mörderisch nordirischen „Konflikten“, da scheint mir also dieser vorausschauende Gott entweder nicht wirklich so clever, oder dieser Gott muss in seinen ungestümen Jugendzeiten einmal ein wilder Landsknecht gewesen sein. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
tribald Geschrieben 19. September 2016 Melden Share Geschrieben 19. September 2016 oder dieser Gott muss in seinen ungestümen Jugendzeiten einmal ein wilder Landsknecht gewesen sein. Ein ewiges Wesen hat keine Jugend. auf diesen eigentlich klaren Tatbestand hinweisend.......................tribald Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Moby Geschrieben 19. September 2016 Melden Share Geschrieben 19. September 2016 oder dieser Gott muss in seinen ungestümen Jugendzeiten einmal ein wilder Landsknecht gewesen sein. Ein ewiges Wesen hat keine Jugend. auf diesen eigentlich klaren Tatbestand hinweisend.......................tribald Nachfragend, ob man dem ewigen Wesen eine gewisse Ähnlichkeit mit Falstaff unterstellen darf? Sich an weiteren Tatbeständen höchst erfreuend.............. Moby Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Marcellinus Geschrieben 19. September 2016 Melden Share Geschrieben 19. September 2016 (bearbeitet) Ich vermute, dass dieses Verschwimmen der Person Jesu und dieser Niedergang der Vertrauenswürdigkeit der Evangelien ein wichtiges Element ist für den Niedergang des christlichen Glaubens in einer aufgeklärten Welt. Ist das wirklich so? Die Kritik an der Glaubwürdigkeit der christlichen Kirche begann doch schon, bevor man die Glaubwürdigkeit der Bibel zu bezweifeln begann. Steht da nicht gerade ein 500ster Jahrestag an? Es war damals gerade der Vergleich zwischen Glaubenstheorie und -praxis: "Als Adam grub und Eva spann, wer war denn da der Edelmann?" Die Aufklärung kam erst später. bearbeitet 19. September 2016 von Marcellinus Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Mecky Geschrieben 19. September 2016 Melden Share Geschrieben 19. September 2016 Deswegen habe ich auch ganz bescheiden von "ein wichtiges Element" gesprochen. Du hast einmal geschrieben, dass Du den Beginn der kirchlichen Glaubwürdigkeitskrise kurz nach den Pestjahren verortest, als die Kirche keine griffige Antwort auf die Theodizeefrage geben konnte. Dieses Element will ich keineswegs herunterspielen. Heutzutage sammeln sich die Misstrauens-Elemente - besonders in den aufgeklärten Regionen der Erde. Es gibt so viele Elemente, dass man da leicht den Überblick verliert. Trotzdem halte ich die Unglaubwürdigkeit bezüglich der Evangelien für herausgehoben. Dieses Thema scheint mir vor allem prinzipieller zu sein, als glaubwürdigkeits-erschütternde Skandale. Skandale hat es schon immer gegeben. Unfähige oder tyrannische Päpste auch. Ich habe vielleicht vergessen zu sagen, dass ich die Unglaubwürdigkeit der Evangelien bzw. des Jesusbildes in den Rahmen der Unglaubwürdigkeit der Bibel einreihe. Ein gigantischer Vertrauensverlust. Nur noch kleine Spezialgruppen vertrauen auf Bibelaussagen. Und diese Spezialgruppen sind zudem noch den meisten Menschen nicht ganz geheuer, weil sie ihr Vertrauen nur durch Fanatismus und Realitätsverweigerung erlangen. (Ergänzung: Andere Gruppen vertrauen nicht auf Bibelaussagen, sondern lediglich auf deren schöngefärbte Version. Dies ist noch mal ein eigenes Thema.) Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Marcellinus Geschrieben 19. September 2016 Melden Share Geschrieben 19. September 2016 Deswegen habe ich auch ganz bescheiden von "ein wichtiges Element" gesprochen. Du hast einmal geschrieben, dass Du den Beginn der kirchlichen Glaubwürdigkeitskrise kurz nach den Pestjahren verortest, als die Kirche keine griffige Antwort auf die Theodizeefrage geben konnte. Dieses Element will ich keineswegs herunterspielen. Heutzutage sammeln sich die Misstrauens-Elemente - besonders in den aufgeklärten Regionen der Erde. Es gibt so viele Elemente, dass man da leicht den Überblick verliert. Trotzdem halte ich die Unglaubwürdigkeit bezüglich der Evangelien für herausgehoben. Dieses Thema scheint mir vor allem prinzipieller zu sein, als glaubwürdigkeits-erschütternde Skandale. Skandale hat es schon immer gegeben. Unfähige oder tyrannische Päpste auch. Ich habe vielleicht vergessen zu sagen, dass ich die Unglaubwürdigkeit der Evangelien bzw. des Jesusbildes in den Rahmen der Unglaubwürdigkeit der Bibel einreihe. Ein gigantischer Vertrauensverlust. Nur noch kleine Spezialgruppen vertrauen auf Bibelaussagen. Und diese Spezialgruppen sind zudem noch den meisten Menschen nicht ganz geheuer, weil sie ihr Vertrauen nur durch Fanatismus und Realitätsverweigerung erlangen. (Ergänzung: Andere Gruppen vertrauen nicht auf Bibelaussagen, sondern lediglich auf deren schöngefärbte Version. Dies ist noch mal ein eigenes Thema.) Ja, das ist alles richtig. Aber diese "Glaubwürdigkeitskrise" muß ja auch bei den Menschen ankommen. Dafür braucht es eindrückliche Ereignisse, die die Menschen genügend erschüttern, um bisherige Gewißheiten ins Wanken zu bringen. Die Pest war so etwas, die Zerstörung von Lissabon 1755 ebenfalls. Aber am nachhaltigsten hat wohl die Auflösung der geschlossenen, konfessionellen Millieus gewirkt, die im Zuge der Industrialisierung stattfand. Daß die Kirchen auf viele Fragen der Neuzeit keine Antworten hatten, ist das eine. Aber solange die Menschen in ihren herkömmlichen Millieus leben, in denen die einzige Informationsquelle der Pastor ist, fällt das Fehlen von Antworten nicht auf, weil die Fragen nicht gestellt werden. Erst mit dem Umzug großer Menschenmassen in die Städte verloren die Kirchen den Kontakt zu ihren Schafen. Mit dem Verlust der angestammten Umgebung verloren die Menschen auch ihre angestammten Gewißheiten, Gewißheiten, die gar nicht hauptsächlich in Antworten auf intellektuell formulierte Fragen bestanden, sondern ein einem Gefühl von Heimat, von Geborgenheit. Erst wenn man diese angestammte Umgebung verläßt, hilft das Unterbewußtsein, das angestammte Gefühl nicht mehr weiter. Nun auf einmal stellen sich bewußt Fragen, und auf die will man auch glaubwürdige Antworten haben. Der Schritt ist den Kirchen nicht mehr gelungen, konnte vielleicht auch nicht gelingen. Auf die Fragen, die das Leben den Landflüchtlingen und Industriearbeitern stellte, fanden dann andere Antworten. Im Kleinen schaffen die Kirchen diesen Schritt übrigens bis heute oft nicht. Kannst du beobachten, wenn irgendwo eine traditionelle Gemeinde geschlossen wird, und in einer Großgemeinde aufgeht. All das Vertraute, die gewohnte Umgebung, die Gerüche, das ganz Drumherum verschwindet, und damit die Gewißheit, die unhinterfragten Selbstverständlichkeiten. Formulieren können die Betroffenen das oft nicht, und deshalb können sie, selbst wenn sie vorher gefragt werden, das in der Regel nicht argumentativ verteidigen, ja nicht einmal in Worte fassen. Es ist eben nicht nur die Kirche ihrer Kindheit, die da verschwindet, sondern interessanterweise nicht selten auch der Glaube. Ein neuer Glaube bräuchte nun Argumente, weil er sich noch nicht auf ein eingeübtes Unterbewußtsein stützen kann. Und diese Argumente fehlen. Daher bleiben dann viele weg. Aber erst dann. 1 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Lothar1962 Geschrieben 19. September 2016 Melden Share Geschrieben 19. September 2016 Im Kleinen schaffen die Kirchen diesen Schritt übrigens bis heute oft nicht. Kannst du beobachten, wenn irgendwo eine traditionelle Gemeinde geschlossen wird, und in einer Großgemeinde aufgeht. All das Vertraute, die gewohnte Umgebung, die Gerüche, das ganz Drumherum verschwindet, und damit die Gewißheit, die unhinterfragten Selbstverständlichkeiten. Formulieren können die Betroffenen das oft nicht, und deshalb können sie, selbst wenn sie vorher gefragt werden, das in der Regel nicht argumentativ verteidigen, ja nicht einmal in Worte fassen. Es ist eben nicht nur die Kirche ihrer Kindheit, die da verschwindet, sondern interessanterweise nicht selten auch der Glaube. Ein neuer Glaube bräuchte nun Argumente, weil er sich noch nicht auf ein eingeübtes Unterbewußtsein stützen kann. Und diese Argumente fehlen. Daher bleiben dann viele weg. Aber erst dann. Darüber lohnt es sich, nachzudenken. Ich muss zugeben, dass mir dieser Zusammenhang noch nicht aufgefallen ist. Das ist aber eine schlüssige Antwort auf die Frage, warum die Leute nicht mehr in die Nachbarkirche kommen wollen, selbst wenn dort der gleiche Pfarrer und die Kirche viel schöner ist. Die Frage, wie man die weitere Erosion des Glaubens bzw. - den Surrogatparameter "Kirchenbesuchsquote" verhindern kann, stellt sich dann völlig neu. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Mecky Geschrieben 19. September 2016 Melden Share Geschrieben 19. September 2016 Das Zerplatzen des katholischen Milieus hat natürlich große Auswirkungen gehabt. Aber eine gesunde Überzeugungsgruppe muss den Wandel sozialer Umstände aushalten. Erst muss es eine Glaubwürdigkeitskrise geben. Und dann hat natürlich eine soziale Veränderung so richtig dramatische Auswirkungen. Den Vertrauensverlust in das vermeintliche Fundament, nämlich die Bibel, ist irgendwie ursächlicher. Die Pest und das Erdbeben von Lissabon waren für die Kirche nur deshalb so katastrophal, weil sie keine vertrauenswürdige und hoffnungsgebende Hoffnung parat hatte. Das Erdbeben von Lissabon ist dafür paradigmatisch. Erst ein Erdbeben. Verzweifelte Leute, Zehntausende Tote, verfallene Häuser, Seuchen ... und dann ein Jesuit, der nichts Besseres zu sagen weiß, als dass die Leute eben gesündigt hätten, dass sie ihre Strafe annehmen sollen, dass sie mit dem Wiederaufbau gar nicht erst beginnen sollen, sondern besser daran täten, Buße zu tun. Das ist so dermaßen arrogant und von den horrenden Nöten der Menschen entfernt, dass es nicht nur als "blöde Sprüche", sondern als aktive Vernichtung der Glaubwürdigkeit der Kirche gewertet wurde. Und irgendwie wohl auch zurecht. Das war dann der perfekte Nährboden für Aufklärer und aufklärerische Architekten und Baumeister, die lieber auf Erden die Ärmel hochkrempelten, als zum Himmel zu starren, wo Gott schweigt. Oder zu schweigen scheint. Die Kirche war damals, obwohl sie in Portugal etabliert und geachtet war, schon krank. Schwer krank. Eine Heil verkündende Kirche, die eine sackblöde Antwort gibt, wie dieser Jesuit es getan hat, verdient es auch, von anderen Hoffnungsträgern abgelöst zu werden. Ich kann es heute nicht mehr ändern, was damals geschehen ist. Mein Thema ist deshalb ein anderes: Die Kirche war krank. Und die Krankheitskeime von damals sind heute noch in ähnlicher Form vorhanden. Ein bisschen was hat sich geändert, aber zu wenig. Als New Orleans von Kathrina getroffen wurde (eine Katastrophe, die sich glücklicherweise minder schlimm auswirkte, als damals das Erdbeben in Lissabon), stieß ja Nichtbischof Wagner in dasselbe Horn, wie weiland dieser entsetzliche Jesuit. Glücklicherweise hatte sich die Kirche von seinen unsäglichen Aussagen distanziert. Allerdings: Verhalten distanziert. Wagner wurde nicht zurechtgewiesen, sondern schlicht nicht zum Bischof gemacht. Wie die alte Krankheitskeim von 1775 heute noch fortwirkt, hat man allerdings auch sehen können. Es gab zwar soziale Bestrebungen in der Kirche, um den Leuten zu helfen. (Besser, als die Aufforderung, die eigene Schuld zu erkennen, Buße zu tun und den Wiederaufbau liegen zu lassen.) Aber wirklich eine glaubensmäßige Deutung wurde kaum versucht. Die Wagner-Story ist mir noch gut im Gedächtnis. Die Story vom Prediger, dem es gelingt, den Leuten aus dem Glauben heraus eine Deutung zu geben und vor allem: Den Betroffenen Hoffnung zu geben, ist mir nicht im Gedächtnis. Sollte solches geschehen sein, hat es sich jedenfalls jenseits meiner Wahrnehmung abgespielt. Es wäre auch schwer gewesen. Mit einer Bibel in der Hand, die die alte jesuitische Predigt mindestens ebenso energisch unterstützt, wie sie tröstliche und hoffnungsgebende Passagen enthält, ist da eben wenig drin. Mit einem blassen Jesusbild, dem die Leute schon lange nicht mehr vertrauen, kann man auch nicht viel erreichen. Wenn dann noch einige Hitzeblitze aus dem Bible-belt den modernen Bibelauslegungen widersprechen und in das alte, jesuitische Horn stoßen, ist der Effekt (also der Trost und die Hoffnung) fast gleich Null. Und wiederum vertrauen die Leute mehr den sozialen Hilfswerken, den Architekten, den Katastrophenmanagern. Was denn auch sonst! Wenn dann noch so ein Super-Christ wie Schorsch Dabbeljuh Busch großflächig versagt, dann ist eben alles schon gesagt. In der nächsten Messe hören wir dann die Story von den Posaunen vor Jericho. Jaja, so handelt Gott. Er macht Städte dem Erdboden gleich, wie schon damals mit Hilfe von Posaunen und dem israelitschen Heer. Poenitentiagite! Da braucht es dann kein katholisches Milieu mehr, das genau in diesem fatalen Moment zerplatzt. Es ist eher anders herum: Sollte noch ein katholisches Milieu vorhanden sein, wäre ein solcher Vorfall ein guter Grund zu zerplatzen. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
kam Geschrieben 19. September 2016 Melden Share Geschrieben 19. September 2016 In vielen Lebensläufen findet sich keine stabilitas loci wieder. Die Leute wechseln ihre Kirchengemeinden sowieso immer öfter. Daß Kirche Heimat sein kann, ist vielen Gemeinden nicht so im Bewußtsein und deshalb das aktive Zugehen auf Neue ungewohnt. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Mecky Geschrieben 19. September 2016 Melden Share Geschrieben 19. September 2016 Die Frage, wie man die weitere Erosion des Glaubens bzw. - den Surrogatparameter "Kirchenbesuchsquote" verhindern kann, stellt sich dann völlig neu. Bei dieser Frage wirst Du auf kirchlicher Seite immer wieder eine Fülle von Antworten finden. Ein besseres Miteinander. Mehr Priester. Mehr Spiritualität. Wunderschöne Gemeindeaktionen. Nur an die Grundlagen will niemand heran gehen. Auf diese Weise wird dann reformiert. Eine Reform jagt die nächste. Aber kaum jemand traut sich, nach dem Fundament des Glaubens zu fragen und die Bibel abzuklopfen, Konzilsaussagen. Und wenn sich dennoch jemand findet, trifft er in der Kirche auf erheblichen Widerstand. Die Strafmentalität zum Beispiel scheint sehr fundamental für den Glauben zu sein. Jedes Unglück und jeder Schmerz lässt sich als Folge strafwürdigen Verhaltens deuten, der nun von Gott abgestraft wird. "Du bist selber schuld! Tue Buße! Sündige fortan nicht mehr! Und alles wird wieder gut!" Da diese Mentalität immer weniger Rückhalt bei den Leuten findet, ist es kein Wunder, dass auch die Kirchen immer weniger Begeisterung und Zusammenhalt finden. Man wird vielleicht einiges zur Strafmentalität hinzufügen. Es gibt ja in der Kirche noch mehr, als Strafmentalität. Aber die Erkenntnis, dass die Strafmentalität auf viele Menschen eklig wirkt (und diese Abscheu Berechtigung hat) wirst Du in der Kirche schon weniger finden. Wenn Du dann auch noch eine Abkehr von der Strafmentalität forderst, dann wird man so tun, als seist Du der Antichrist persönlich, ein Nestbeschmutzer und ein Verführer zum Zeitgeist. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Mecky Geschrieben 19. September 2016 Melden Share Geschrieben 19. September 2016 In vielen Lebensläufen findet sich keine stabilitas loci wieder. Die Leute wechseln ihre Kirchengemeinden sowieso immer öfter. Daß Kirche Heimat sein kann, ist vielen Gemeinden nicht so im Bewußtsein und deshalb das aktive Zugehen auf Neue ungewohnt. Wenn das als Erklärung der Kirchenkrise und des Glaubensschwundes dienen soll, ist das einfach zu schwach. Es ist ein Miniatur-Detail. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Marcellinus Geschrieben 19. September 2016 Melden Share Geschrieben 19. September 2016 Das Zerplatzen des katholischen Milieus hat natürlich große Auswirkungen gehabt. Aber eine gesunde Überzeugungsgruppe muss den Wandel sozialer Umstände aushalten. Erst muss es eine Glaubwürdigkeitskrise geben. Und dann hat natürlich eine soziale Veränderung so richtig dramatische Auswirkungen. Den Vertrauensverlust in das vermeintliche Fundament, nämlich die Bibel, ist irgendwie ursächlicher. Die Pest und das Erdbeben von Lissabon waren für die Kirche nur deshalb so katastrophal, weil sie keine vertrauenswürdige und hoffnungsgebende Hoffnung parat hatte. Das Erdbeben von Lissabon ist dafür paradigmatisch. Erst ein Erdbeben. Verzweifelte Leute, Zehntausende Tote, verfallene Häuser, Seuchen ... und dann ein Jesuit, der nichts Besseres zu sagen weiß, als dass die Leute eben gesündigt hätten, dass sie ihre Strafe annehmen sollen, dass sie mit dem Wiederaufbau gar nicht erst beginnen sollen, sondern besser daran täten, Buße zu tun. Das ist so dermaßen arrogant und von den horrenden Nöten der Menschen entfernt, dass es nicht nur als "blöde Sprüche", sondern als aktive Vernichtung der Glaubwürdigkeit der Kirche gewertet wurde. Und irgendwie wohl auch zurecht. Das war dann der perfekte Nährboden für Aufklärer und aufklärerische Architekten und Baumeister, die lieber auf Erden die Ärmel hochkrempelten, als zum Himmel zu starren, wo Gott schweigt. Oder zu schweigen scheint. Die Kirche war damals, obwohl sie in Portugal etabliert und geachtet war, schon krank. Schwer krank. Eine Heil verkündende Kirche, die eine sackblöde Antwort gibt, wie dieser Jesuit es getan hat, verdient es auch, von anderen Hoffnungsträgern abgelöst zu werden. Es wsr noch ein bißchen anders. Portugal galt im 18.Jh. als eines religiösesten (wir würden sagen bigottesten) Länder. Die Inquisition galt als besonders streng. Das Unglück fand an Allerheiligen statt, und entsprechend voll waren die Kirchen. Und genau die wurden fast alle zerstört, und in ihnen die Menschen getötet. Die Hurenhäuser dagegen blieben unversehrt. Es war der Ablauf der Ereignisse selbst, der für die Menschen schwer zu verdauen war. Da mußte Kleriker gar keine "sackblöden" Antworten mehr versuchen. Du sagst, der Vertrauensverlust habe vorher stattgefunden. Ich bin nicht sicher. Die Kirchen haben vorher die gleichen Antworten gegeben wie hinterher. Nur vorher wurden sie geglaubt, hinterher nicht mehr. Du sagst, eine Religion solle vertrauenswürdig sein, und du scheinst darunter zu verstehen, daß sie im Vorhinein Antworten auf alle Fragen hat. Für mich sind Kirchen Veranstaltungen von Menschen, und Menschen haben nie Antworten auf alle Fragen und Probleme, schon gar nicht auf die, die sie sich nicht vorstellen können, bis sie eintreten. Die Pest des MIttelalters, das Erdbeben von Lissabon, die Industrialisierung, die Entdeckungen von Darwin und Wallace, das alles waren Ereignisse, die die Kirchen nicht vorausgesehen hatten, und daher hatten sie auch keine Antworten darauf. Vorher hatten sie das Vertrauen der Menschen (zumindest der meisten, von jedem Schritt diese Reihe bis zum nächsten immer weniger), hinterher nicht mehr. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Higgs Boson Geschrieben 19. September 2016 Melden Share Geschrieben 19. September 2016 Die Strafmentalität zum Beispiel scheint sehr fundamental für den Glauben zu sein. Jedes Unglück und jeder Schmerz lässt sich als Folge strafwürdigen Verhaltens deuten, der nun von Gott abgestraft wird. "Du bist selber schuld! Tue Buße! Sündige fortan nicht mehr! Und alles wird wieder gut!" Dass die Theologie von Tun-Ergehen nicht erst seit Jesus out ist, zeigt allerdings schon das Buch Hiob. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Mecky Geschrieben 19. September 2016 Melden Share Geschrieben 19. September 2016 Du sagst, der Vertrauensverlust habe vorher stattgefunden. Ich bin nicht sicher. Die Kirchen haben vorher die gleichen Antworten gegeben wie hinterher. Nur vorher wurden sie geglaubt, hinterher nicht mehr. Du sagst, eine Religion solle vertrauenswürdig sein, und du scheinst darunter zu verstehen, daß sie im Vorhinein Antworten auf alle Fragen hat. Ich habe nicht gesagt, dass der Vertrauensverlust stattgefunden habe, sondern dass die Kirche vorher schon krank war. Die Theodizee-Frage war damals bereits ein alter Hut. Wenn ein Jesuit (liege ich da mit meiner Erinnerung falsch? Ich erinnere mich daran, dass ein Jesuit damals seine Umtriebe veranstaltete und den Menschen Buße statt Neuaufbau predigte???) nach Jahrhunderten der Konfrontation mit dem Thema "Leid und Gott" nichts anderes, als eine Strafdeutung zu bieten hat, dann ist das System krank. Schwer krank. Die Kirche braucht nicht Antworten auf alle Fragen geben zu können. Aber zu solchen entscheidenden und vitalen Themen muss sie sich Gedanken gemacht haben - zumindest so viele Gedanken, dass sie die zerstörerische Wirkung einer solchen Predigt längst erkannt hat. Wenn eine Weltanschauung oder Religion nichts Hilfreiches zu diesem eminent wichtigen Thema zu sagen hat, dann ist die Saat der Untergangs bereits ausgebracht. In der Jesuitenpredigt und im Schweigen zu einem solchen wichtigen Thema geht dann im Katastrophenfall jede kirchliche Glaubwürdigkeit flöten. Wenn man dann noch in Rechnung stellt, dass sich das Christentum auf das Leiden und den qualvollen Tod Jesu bezieht, werden die Strafpredigt und das hilflose Schweigen noch grotesker. Das gilt auch für die Pestereignisse. Das gilt auch für jede (oft weitaus geringere) Begegnung mit dem Leiden im persönlichen Leben. Es ist geradezu der Gipfel der Peinlichkeit, wenn eine Religion das Leiden und Sterben Christi in ihren Mittelpunkt stellt, und dann zum gegenwärtigen Leiden von Zehntausenden nichts Tröstendes und Helfendes zu bieten hat. Und wenn eine Religion die Liebe zu Gott und den Nächsten als Zentrum ihrer Moral in den Mittelpunkt und als Zusammenfassung aller anderer Gebote darstellt, aber beim Konkreten Leiden von Menschen völlig lieb- und empathielos reagiert. In der Botschaft des Jesuitenpredigers (übrigens: Auch im untätigen Schweigen) schwingt die alte Sintflutmoral mit: Gottes vernichtender Zorn gegenüber den Ungerechten. Die Herzlosigkeit der Todesforderungen in Strafbestimmungen für Ehebruch, praktizierte Homosexualität und vieles andere. Solche Deutungen sind immer sehr herz- und lieblos. In dem Moment, wo eine Religion dringend zeigen müsste, was sie auf dem Kasten hat, findet sie nichts, als Verurteilung und Hilflosigkeit im eigenen Setzkasten vor. Ja, ich kenne die Geschichte auch so, dass Portugal zuvor ein urkatholisches Land war. Und bei diesem Erdbeben kam heraus, dass von der Kirche, auf die man so sehr vertraute, nichts gutes zu bekommen ist. Die Abwendung von dieser Kirche ist vorprogrammiert. Im Ernstfall ist sie offenbar zu nichts zu gebrauchen. Sogar noch schlimmer: Sie ist eine katastrophale Last, die das bestehende Elend noch weiter verschlimmert. Die Leute sind sich damals wahrscheinlich völlig im Stich gelassen und benutzt vorgekommen. Einen schlimmeren Vertrauensbruch kann man sich kaum vorstellen. Die Krankheit war schon lange latent vorhanden. Mit dem Erdbeben war in Lissabon die Inkubationszeit vorbei und es kam zum offenen Ausbruch. Meine Aussage ist nun, dass diese Krankheit damals schon viele Jahrhunderte alt war. Und sie ist immer noch vorhanden. Eine Kirche, die das Elend nicht deuten und nicht einmal trösten und Hoffnung schenken kann, ist ein Gräuel. Und damit ist das Fundament erschüttert. Sie wird von den Leuten abgelehnt und man wendet sich, sobald sich eine bessere Alternative bietet, diesen Alternativen zu. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Marcellinus Geschrieben 19. September 2016 Melden Share Geschrieben 19. September 2016 Meine Aussage ist nun, dass diese Krankheit damals schon viele Jahrhunderte alt war. Und sie ist immer noch vorhanden. Eine Kirche, die das Elend nicht deuten und nicht einmal trösten und Hoffnung schenken kann, ist ein Gräuel. Und damit ist das Fundament erschüttert. Sie wird von den Leuten abgelehnt und man wendet sich, sobald sich eine bessere Alternative bietet, diesen Alternativen zu. Wenn du es so siehst, ist da natürlich etwas dran. Und was machst du nun mit dieser Erkenntnis? Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Mecky Geschrieben 19. September 2016 Melden Share Geschrieben 19. September 2016 (bearbeitet) Die Strafmentalität zum Beispiel scheint sehr fundamental für den Glauben zu sein. Jedes Unglück und jeder Schmerz lässt sich als Folge strafwürdigen Verhaltens deuten, der nun von Gott abgestraft wird. "Du bist selber schuld! Tue Buße! Sündige fortan nicht mehr! Und alles wird wieder gut!" Dass die Theologie von Tun-Ergehen nicht erst seit Jesus out ist, zeigt allerdings schon das Buch Hiob. Überraschend, nicht wahr? Aber Hiob hat sich niemals wirklich gegen den Tun-Ergehen-Zusammenhang durchgesetzt. Da haben auch nicht die Stellen in den Evangelien geholfen, in denen Jesus diesem TEZ widersteht. "Strafe muss sein" oder "Er ist von Gott gestraft" hat sich prima erhalten. Warum? Weil man zwar andere Gedankengänge NEBEN den TEZ gestellt hat, aber niemals sich von diesem Strafgott verabschiedet hat. Die wertvollen Gedanken des Hiobbuches waren 1755 in Lissabon von den Leuten nicht verinnerlicht - und schon gar nicht diesem Jesuitenprediger. bearbeitet 19. September 2016 von Mecky Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Mecky Geschrieben 19. September 2016 Melden Share Geschrieben 19. September 2016 Meine Aussage ist nun, dass diese Krankheit damals schon viele Jahrhunderte alt war. Und sie ist immer noch vorhanden. Eine Kirche, die das Elend nicht deuten und nicht einmal trösten und Hoffnung schenken kann, ist ein Gräuel. Und damit ist das Fundament erschüttert. Sie wird von den Leuten abgelehnt und man wendet sich, sobald sich eine bessere Alternative bietet, diesen Alternativen zu. Wenn du es so siehst, ist da natürlich etwas dran. Und was machst du nun mit dieser Erkenntnis? Zuerst mal einordnen. Ich bin mit der aufgeklärten Lösung auch nicht zufrieden. Sie bietet keine Deutung. Das tolle Wiederaufbauen von Lissabon ist für mich dafür ein schönes Symbol. Wiederaufbau ist eine tolle Sache und gibt einem wieder was Sinnvolles zu tun und eröffnet den halbwegs Unverkrüppelten eine neue Perspektive in die Zukunft. Aber richtig trösten kann das nicht, wenn man seine Lieben tot und verkrüppelt vorfindet und alles Liebgewordene in Trümmern liegt. Und so scheint es mir mit all den schönen technischen Errungenschaften zu sein. Zumal ich nicht das Gefühl habe, dass uns die Technik wirklich mehr Lebensqualität, mehr Hoffnung und mehr Trost gibt. Nicht bei einer Milliarde hungernder Menschen. In der Bibel habe ich da Besseres gefunden. Wobei: Nicht direkt. Ich könnte sogar sagen: In den Evangelien habe ich da weitaus Besseres gefunden. Nur: So, wie man an die Bibel herangeht, wird das nicht fruchtbar. Auf die übliche Weise der Bibelinterpretation gelangt man eher zu Fundamentalismus, als zu einem tragfähigen Glauben. Und die historisch-kritische Exegese scheint mir da auch keine große Hilfe zu sein. Sie ist bestenfalls schön aufgeklärt. Zumeist ist sie aber lediglich ein interessengesteuertes Werkzeug, um alte Gedanken und Vorstellungen aufzupeppen. Nicht dynamisch, sondern lediglich eine Art Goldbepinselung alter Figuren. Ich habe schon Sokrates angedeutet, dass meine Schlussfolgerungen eher trinitarisch geprägt sind. Und das meine ich durchaus ernst. Aber ich weiß momentan noch nicht, wie ich meine Vorstellungen hier im Forum formulieren will. Sonst hätte ich schon längst was dazu geschrieben. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Aristippos Geschrieben 19. September 2016 Melden Share Geschrieben 19. September 2016 Die Theodizee-Frage war damals bereits ein alter Hut. Wenn ein Jesuit (liege ich da mit meiner Erinnerung falsch? Ich erinnere mich daran, dass ein Jesuit damals seine Umtriebe veranstaltete und den Menschen Buße statt Neuaufbau predigte???) nach Jahrhunderten der Konfrontation mit dem Thema "Leid und Gott" nichts anderes, als eine Strafdeutung zu bieten hat, dann ist das System krank. Schwer krank. Was soll er denn sonst zu bieten haben? Die Erklärung als Gottes Strafe ist wenigstens logisch einigermaßen kohärent. Sie hat halt insofern ein Glaubwürdigkeitsproblem, als wohl viele gestorben sein werden, von denen ihre Verwandten und Angehörigen kaum geglaubt haben, dass die Schwere ihrer Sünden eine solche Strafe verdient hat. Was wäre die "positive" Antwort gewesen? "Liebe Leute, Gott hat zwar gerade eure Häuser abgeräumt und eure Kinder erschlagen, aber das ist nicht eure Schuld, und er meint es auch nicht so. Also frisch ans Werk, nächste Woche ist er bestimmt wieder nett zu euch. Alles gut! Gott liebt euch!" Damit wäre der Jesuit kein Stück besser gefahren, und diese "Antwort" wurde von Voltaire auch im Nachgang unsterblich persifliert. Sie erschien schon damals lächerlicher als die Antwort des Jesuiten. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Mecky Geschrieben 19. September 2016 Melden Share Geschrieben 19. September 2016 Die Theodizee-Frage war damals bereits ein alter Hut. Wenn ein Jesuit (liege ich da mit meiner Erinnerung falsch? Ich erinnere mich daran, dass ein Jesuit damals seine Umtriebe veranstaltete und den Menschen Buße statt Neuaufbau predigte???) nach Jahrhunderten der Konfrontation mit dem Thema "Leid und Gott" nichts anderes, als eine Strafdeutung zu bieten hat, dann ist das System krank. Schwer krank. Was soll er denn sonst zu bieten haben? Die Erklärung als Gottes Strafe ist wenigstens logisch einigermaßen kohärent. Sie hat halt insofern ein Glaubwürdigkeitsproblem, als wohl viele gestorben sein werden, von denen ihre Verwandten und Angehörigen kaum geglaubt haben, dass die Schwere ihrer Sünden eine solche Strafe verdient hat. Higgs Boson hat vorhin schon das Buch Hiob erwähnt. Die Erklärung des Leidens als Gottes Strafe wird dort ziemlich perfekt und begründet zurückgewiesen. Ich halte sogar das Buch Hiob für den Tun-Ergehens-Zusammenhang für eine ähnlich gute Widerlegung, wie Kants Aussagen die traditionellen Gottesbeweise als Beweise zertrümmert haben. Ob ich mich zu einer positiven Antwort auf Deine Frage "was denn sonst" durchringen kann, überschlafe ich erst mal. Momentan sehe ich da so viele Formulierungsprobleme, dass ich mir vielleicht lieber einen späteren Zeitpunkt und eine andere Ausgangsthematik aussuche. 1 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Baumfaeller Geschrieben 19. September 2016 Melden Share Geschrieben 19. September 2016 Es war ein Jesuit. Wobei man fairerweise dazu sagen muss, dass dieser Jesuit (an dessen Namen ich mich nicht erinnern kann) ein paar Jahre später allerdings aufgehängt worden ist, und das Königreich Portugal alle Jesuiten des Landes verwies. Dies ist alles Teil der portugiesischen Geschichte, die man als Brasilianer so nebenbei lernt: der Koenig von Portugal, der diesen Jesuiten aufhängen liess, war bereits auch Herrscher der Kolonie Brasilien, die ungefähr 50 Jahre später zum gleichberechtigten Königreich erklärt wurde (mit gemeinsamen Thron), und kurz danach abgespalten wurde, als Kaiserreich Brasilien, getrennt vom Königreich Portugal. Es wäre natürlich schoen, wenn der besagte Jesuit aufgehängt worden wäre, weil seine Predigten zum Thema "Schuld und Sühne" (oben Tun-Ergehens-Zusammenhang genannt) theologisch unakzeptabel waren. Leider ist die Wirklichkeit viel prosaischer, allerdings auch viel prickelnder. Der oben genannte König hatte ein Verhältnis mit einer Dame des Hochadels, und ihr gehörnter Ehemann fand das gar nicht lustig. Als der König ganz geheim und ohne Leibgarde auf dem Rückweg von einer Stelldichein mit der Dame war (mit der Mätresse auf der Matratze, so zu sagen), wurde er von dem gehörnten Ehemann angeschossen, aus Eifersucht. Der König und sein Premierminister (der berühmt-berüchtigte Marquis von Pombal) haben dieses missglückte Attentat dann als Anlass genommen, mal im Adel aufzuräumen, und eine ganze Reihe königs-kritischer Leute beiseite zu schaffen; der böse Jesuit kam dabei mehr oder weniger zufällig unter die Räder, weil er mit einer der ungewollten Adelsfamilien verbündet war. Es ist schon irgendwie eine poetische Justiz, dass dieser Jesuit dann doch bestraft worden ist. Es ist natürlich schade, dass er nicht wegen seiner eigenen Verfehlungen (zum Thema "Theologie der Schuld in Zusammenhang mit den Plattentektonik") bestraft wurde. Sondern bloss weil der König den Hintern einer Hofdame besonders begehrenswert fand. Wobei allerdings die Herrscher der Braganza-Familie schon immer ihr Liebesleben viel wichtiger fanden als das Königreich. Angeblich wollte der Kronprinz Pedro I (späterer Kaiser von Brasilien) nur deswegen nicht aus Rio nach Lissabon zurück, weil er die hübschen Mulatinhas (dunkelhäutige Mädchen) am Strand von Ipanema besser fand, als die keuschen Nonnen im Belem-Palast in Lissabon. Daher der berühmte "Ruf von Ipiranga": Unabhängigkeit oder Tod, oder in Copacabana mit ein paar hübschen blondierten Mädchen in Bikinis Rum aus Kokosnüssen trinken. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Mecky Geschrieben 19. September 2016 Melden Share Geschrieben 19. September 2016 Gott sei Dank! Ich bin also nicht wieder Opfer der Demenz geworden. Wobei sich die Rolle des Jesuitenpredigers wohl eher auf den Tropfen beschränkt, der das Fass zum Überlaufen bringt. Wäre wenigstens ein anderer katholischer Prediger aufgetreten, der etwas mehr zu sagen hat, wäre das Fass vielleicht nicht überglaufen (also die Stimmung umgekippt). Oder wäre es nur NOCH nicht übergelaufen. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Lothar1962 Geschrieben 20. September 2016 Melden Share Geschrieben 20. September 2016 Es war ein Jesuit. Wobei man fairerweise dazu sagen muss, dass dieser Jesuit (an dessen Namen ich mich nicht erinnern kann) Gabriel Malagrida. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
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