Marcellinus Geschrieben 22. Juni 2010 Melden Share Geschrieben 22. Juni 2010 Das ist eine Phantasievorstellung. Die Bilder in den altsteinzeitlichen Höhlen stellen keine Jagdtiere dar. Hier ist etwas, was dich freuen wird: Verhaltensforschung: Affen töten aus Gier nach mehr Land Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
2dy4 Geschrieben 22. Juni 2010 Melden Share Geschrieben 22. Juni 2010 Dabei denken wir aber nicht wirklich über uns oder unsere Wirklichkeit hinaus, sondern nur hinaus über unsere Modelle von der Wirklichkeit, und auch das hat hunderttausende von Jahren gedauert. ... Nur dadurch, daß Menschen in der Lage sind, sich gewissermaßen von außen zu betrachten, als Teil eines größeren Bildes zu sehen, macht die Planung einer Jagd erst möglich. ... Was ist die Mona Lisa anderes als das Malen eines Bildes? Was ist daran besonders, bis auf die Tatsache, daß ich die nötige Technik nicht hätte? Mozarts Zauberflöte, nun, es gibt Leute, die sagen, Musik machen sei Teil unseres Paarungsverhaltens. Wofür hat der Pfau ein Rad? Bevor ich über »weitergehende Deutungsrahmen« nachdenke, versuche ich es lieber mit dem Naheliegenden. Die Erkenntnis, dass unsere Erkenntnis nur Bilder der Wirklichkeit modelliert, setzt die Fähigkeit voraus, eine Metaebene einzunehmen, die von der unmittelbaren Wahrnehmung abstrahiert. Die Planung der Jagd ist zwar eine Metaebene in Bezug auf die Jagd selbst, aber nicht in Bezug auf ihre Planung (Zirkel!). In Bezug auf ihre Planung wäre eine Metaebene die Reflektion auf Planungsverhalten überhaupt, also auf antizipierende Problemlösung. Je weiter ich vom unmittelbaren Überlebensverhalten abstrahiere, desto weiter ist der Deutungsrahmen gesteckt, innerhalb dessen ich denke. Mag die Erzeugung von Klangmustern auch ursprünglich dem Paarungsverhalten gedient haben, so wird man doch wohl sagen dürfen, dass die "Zauberflöte" damit nichts mehr zu tun hat. Wenn wir die Rückführung des Erkennens auf evolutive Ursprünge dazu gebrauchen, das Erkennen ausschließlich darüber zu deuten, betreiben wir Erklärung durch simple Reduktion. Ich bin allerdings der Auffassung, dass die Übergänge zwischen den Seins- und Erkenntnisebenen (Konrad Lorenz) diskontinuierlich sind. Da kommen wir mit bloßer Reduktion nicht weiter. Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Marcellinus Geschrieben 22. Juni 2010 Melden Share Geschrieben 22. Juni 2010 (bearbeitet) Die Erkenntnis, dass unsere Erkenntnis nur Bilder der Wirklichkeit modelliert, setzt die Fähigkeit voraus, eine Metaebene einzunehmen, die von der unmittelbaren Wahrnehmung abstrahiert. Die Planung der Jagd ist zwar eine Metaebene in Bezug auf die Jagd selbst, aber nicht in Bezug auf ihre Planung (Zirkel!). In Bezug auf ihre Planung wäre eine Metaebene die Reflektion auf Planungsverhalten überhaupt, also auf antizipierende Problemlösung. Je weiter ich vom unmittelbaren Überlebensverhalten abstrahiere, desto weiter ist der Deutungsrahmen gesteckt, innerhalb dessen ich denke. Mag die Erzeugung von Klangmustern auch ursprünglich dem Paarungsverhalten gedient haben, so wird man doch wohl sagen dürfen, dass die "Zauberflöte" damit nichts mehr zu tun hat. Wenn wir die Rückführung des Erkennens auf evolutive Ursprünge dazu gebrauchen, das Erkennen ausschließlich darüber zu deuten, betreiben wir Erklärung durch simple Reduktion. Ich bin allerdings der Auffassung, dass die Übergänge zwischen den Seins- und Erkenntnisebenen (Konrad Lorenz) diskontinuierlich sind. Da kommen wir mit bloßer Reduktion nicht weiter. Aus der Tatsache, daß du einen Begriff wie Metaebene bilden kannst, heißt das noch nicht, daß es die auch wirklich gibt. Ich halte solche Probleme für selbsterzeugt. Während meines Studiums gab es auch eine Abteilung Psychologie, in der dann ausführlich von Metaebenen der Kommunikation die Rede war (so war man halt drauf in den 70ern). Den Beweis, daß es das gibt, mußte man allerdings schuldig bleiben. Fest steht, daß wir das (erwartete) Verhalten anderer Leute in unser (geplantes) Verhalten mit einbeziehen (Stichwort: Spiegelneuronen). Das konstruiert, wenn du so willst, dann schon eine MetaMetaEbene. Selbst ein Affe versteht das Verhalten seiner Kollegen nicht, wenn er sich nicht in einem gewissen Maße in ihn hineinversetzen kann. Wieviel mehr gilt das für uns Menschen, deren Verhalten um Klassen komplizierter ist. Schon alleine zur Steuerung unseres Sozialverhaltens ist jede Menge Vorstellungskraft und Abstraktionsvermögen von Nöten, damit das Gruppenleben funktioniert, von dem unser aller Existenz abhängt. Ich höre bei dir immer wieder heraus, daß du dich sträubst, eine 'natürliche' eevolutionäre Entwicklung unserer Intelligenz anzunehmen, und das trotz der Tatsache, daß wir in den letzten Jahrzehnten zunehmend mehr Informationen über genau diese Entwicklung gewinnen, incl. der Erkenntnis, daß vieles, was wir bisher dem menschlichen Bewußtsein zugeschrieben hatten, schon bei Tieren beobachtbar ist. Ich will nicht behaupten, daß wir schon alles wissen, was über die Entwichlung unserer Intelligenz zu wissen ist, und schon gar nicht, daß ich alles weiß, aber daß es nichts 'Geheimnisvolles' braucht, das sollte mittlerweile klar sein. Unsere Stimme ist entstanden, damit wir uns verständigen können. Wir können auch mir ihr singen (auch wenn sich's nicht bei jedem schön anhört). Das ist zwar nicht der Zweck unserer Stimme, aber es ist möglich. So ist es mit vielem. Unser Verstand hat den Zweck, uns die Orientierung in dieser Welt zu ermöglichen, und ich würde sagen, für diesen Zweck haben wir nicht zu viel Intelligenz, sondern es reicht mal so gerade, und bei manchen auch nicht. Man kann diesen Verstand auch zum Philosophieren verwenden. Dafür ist er zwar nicht gedacht, aber es ist eben möglich, selbst dann, wenn es dem eigentlichen Zweck, dem guten Leben, schadet. bearbeitet 22. Juni 2010 von Marcellinus Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
2dy4 Geschrieben 22. Juni 2010 Melden Share Geschrieben 22. Juni 2010 Ich höre bei dir immer wieder heraus, daß du dich sträubst, eine 'natürliche' eevolutionäre Entwicklung unserer Intelligenz anzunehmen Nochmal: Meines Erachtens müssen wir unterscheiden zwischen der Entwicklung der biologischen Voraussetzungen unseres Erkenntnisvermögens und der Entwicklung des Erkenntnisvermögens selbst. Das ist vermutlich der springende Punkt, an dem sich unsere Ansichten unterscheiden. Wir hatten schon mal zusammen mit FredFido eine ähnliche Diskussion zum Thema "Willensfreiheit", wo gesagt wurde, dass die neurologischen Vorgänge in unserem Gehirn unsere Gedanken sind. Das eben sehe ich anders. Wenn man natürlich einen allmählichen, nahtlosen Übergang von der Amöbe zu Einstein annimmt, dann ist diese Sicht der Dinge naheliegend. Ich hingegen sehe es recht ähnlich wie Schlemm und zitiere mal etwas länger, weil ich es nicht besser auf den Punkt bringen könnte: Der größte Fehler, den die EE [= Evolutionäre Erkenntnistheorie] meiner Meinung nach macht, ist, dass sie versucht Philosophie mit Biologie zu erklären. Es gibt in der Welt verschiedene Strukturniveaus, von denen das unterste der Subatomare Bereich ist, anschließend kommen der Atomare und der Molekulare Bereich, die Welt der Makrokörper, die Galaxis und die Metagalaxis. Jeder höhere Bereich schließt alle niederen ein, die niederen sind jedoch vom höheren unabhängig. Die Übergänge zwischen diesen Strukturniveaus sind diskontinuierlich, das heißt, dass wesentliche Beziehungen einer Ebene nicht allein durch Beziehungen in einer anderen Ebene erklärt werden können. Genauso kann man die Wissenschaft gliedern, wobei die Wissenschaften, die sich mit der leblosen Natur beschäftigen, also Physik und Chemie, die Basis bilden, anschließend kommt die Biologie, die sich mit dem Leben beschäftigt, und als höchstes diejenigen Wissenschaften, die sich mit dem Menschen beschäftigen; sprich die Gesellschaftswissenschaften, Psychologie und Philosophie. Diese Unterscheidung trifft die EE auch (!), will aber trotzdem den Erkenntnisprozess (der also den Menschen betrifft) mit der Evolution (Biologie !) erklären. Warum? Das Neue entsteht durch Integration von bis dahin unabhängigen Systemen zu einer höheren Einheit, wobei die Teilsysteme verändert werden, bis sie alle zusammen das Neue ergeben. Die EE schließt daraus, dass das Neue Ganze aus der nächst-niedrigen Stufe heraus erklärbar ist, weil es sich daraus ableitet. Dabei wird aber vernachlässigt, dass die Übergänge diskontinuierlich sind und genau das Wesentliche des Neuen Ganzen nicht mehr mit der nächst-niedrigen Stufe erklärbar ist. Es versucht keiner ernsthaft das Leben mit reiner Physik oder Chemie zu erklären. Genauso wenig kann man den Menschen auf seine Biologie reduzieren, wenn man versucht den Erkenntnisprozess zu erklären. Es gibt prinzipiell zwei Möglichkeiten, wie ein System auf Einflüsse von außen (auch irreversibel) reagieren kann: die Widerspiegelung und die Wechselwirkung. Die Widerspiegelung ist ein Prozess ohne Qualitätsänderung im System, die Wechselwirkung hingegen ein Prozess mit Qualitätsänderung. Informationen tauchen nur in Widerspiegelungsprozessen auf, weil sie an die Entropie (Grad der "Unordnung") gebunden sind und die Entropie bei Qualitätssprüngen sprunghaft ansteigt. Das heißt, dass Informationen in Wechselwirkungsprozessen zwar vorhanden sein können, sie aber nicht steuern. Laut EE sind Erkenntnisse, die unsere Vorfahren a posteriori (= nach der Erfahrung = aus der Erfahrung gewonnen) gewonnen haben im Laufe der Evolution zu a priori (= vor aller Erfahrung) geworden. Das heißt, dass aus der Evolution eine Anpassung folgt, die mit Information und damit mit Erkenntnisgewinn gleichgesetzt wird. Anpassung ist jedoch ein Prozess mit Qualitätsänderung und bedeutet darum nicht nur Informationsgewinn. Deswegen kann Evolution nicht einfach mit Erkenntnisgewinn gleichgesetzt werden. Die EE beschränkt sich auf die Erklärung der Entstehung der kognitiven Fähigkeiten. Da sie aber überhaupt nicht auf die Überwindung der biologischen Grenzen eingeht, kann sie nicht erklären und verstehen, was Wissenschaft wirklich ist. Wir sehen also, dass die EE versucht die evolutionäre Entstehung des menschlichen Erkenntnisapparates und unserer a priori zu erklären, dabei aber mehrere meiner Meinung nach gravierende Fehler macht und das Wesentliche des menschlichen Erkenntnisprozesses nicht erfasst. Gut erläutert wird das auch von Wenke in einem Interview, das ich zur Lektüre empfehle. Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Marcellinus Geschrieben 22. Juni 2010 Melden Share Geschrieben 22. Juni 2010 Gut erläutert wird das auch von Wenke in einem Interview, das ich zur Lektüre empfehle. Nur zwei Zitate: Der Mond ist nicht da, wenn ihn keiner sieht. Schon im Moment des Wegsehens ist er nicht mehr als aktuell Gegebenes in unserem Erlebenshorizont vorhanden, denn wir sehen ihn ja nicht mehr. Was vielleicht vorhanden ist, sind innere Bilder die mit dem Begriff „Mond“ verknüpft sind und uns seine dauerhafte Existenz unterstellen lassen. Die Welt ist gewissermaßen mit Existenz durchströmt, und der lebendige Leib ist die Inkarnation bewusster Existenz. Das bedeutet, dass wir ein leibseelisches Selbst annehmen müssen, das Zeuge seines eigenen Daseins ist. Das hat, entschuldige, mit einem wissenschaftlichen Weltbild nichts zu tun. Es sind unsere biologischen Voraussetzungen, die uns die Entwicklung unserer Erkenntnisse möglich machen. Die neurologischen Vorgänge und unsere Gedanken, unsere Gehirnfunktionen und unser Bewußtsein, sind einfach zwei Seiten der selben Medaille, zwei Perspektiven der gleichen Vorgänge. Wenn du einen Menschen in einen Tomografen steckst, kannst du bestimmte physikalische Vorgänge in seinem Gehirn beobachten. Er selbst erlebt diese Vorgänge in diesem Augenblick, er 'ist' diese Vorgänge. Unsere Sprache ist für die Beschreibung von so etwas nicht gemacht. Es ist einmal die Er-Perspektive, mit der man diese Vorgänge von außen sieht, und dann die Ich-Perspektive mit der man sie erlebt. Es sind zwei Perspektiven ein und desselben Tatbestandes. Der Grund, weshalb ich mit der evolutionären Erkenntnistheorie meine Probleme habe, ist, daß sie genau dieses Mißverständnis provoziert, so tut, als wenn die Entwicklung unserer Erkenntnisse reduziert werden soll auf eine rein biologische Entwicklung. Dabei ist es gerade für uns Menschen charakteristisch, daß sich sowohl die Gesellschaften, die wir miteinander bilden, als auch die einzelnen Menschen, entwickeln, ohne daß sich ihre biologische Konstitution wesentlich verändert. Biologisch unterscheiden wir uns kaum von den Menschen der Eiszeit, aber sowohl die Gesellschaften, die wir bilden, als auch die Art, wie wir denken und uns selbst empfinden, hat sich seitdem grundlegend geändert. Und das geht bis in grundsätzliche Strukturen unserer Persönlichkeit, unserer Affektkontrolle, dem Abwägen zwischen kurzfristiger und langfristiger Bedürfnisbefriedigung. Es ist geradezu charakteristisch für uns Menschen, daß ein wesentlicher Teil unserer Entwicklung soziale Entwicklung ist. Das ist hier nur ein kurzes Anreißen. Mehr dazu, wenn es dich interessiert. Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Wiebke Geschrieben 22. Juni 2010 Melden Share Geschrieben 22. Juni 2010 Man kann diesen Verstand auch zum Philosophieren verwenden. Dafür ist er zwar nicht gedacht, Er ist für überhaupt nichts "gedacht". Ich weiß natürlich, was du meinst. Aber ich erlaube mir mal, das hier heranzuziehen, weil es ein Paradebeispiel dafür ist, wie unsere Sprache uns dazu verführt, Dinge so zu formulieren, dass man sich sogleich einen Handelnden vorstellt, wo keiner ist. Den Verstand hat sich niemand "gedacht". Er ist entstanden und hat sich durchgesetzt, weil er als flexibles, vielfältig einsetzbares System, das für kulturelle Evolution - und damit recht schnelle Anpassung - tauglich ist, offensichtlich Überlebensvorteile gegenüber genetisch programmierten Instinkten hatte, die sich nur über viele Generationen hinweg ändern können. Für irgendeinen "Zweck" "gedacht" wurde er aber nie. Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Marcellinus Geschrieben 22. Juni 2010 Melden Share Geschrieben 22. Juni 2010 Man kann diesen Verstand auch zum Philosophieren verwenden. Dafür ist er zwar nicht gedacht, Er ist für überhaupt nichts "gedacht". Ich weiß natürlich, was du meinst. Na, dann ist es ja gut. Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
rince Geschrieben 23. Juni 2010 Melden Share Geschrieben 23. Juni 2010 Also wenn mir hier jemand weiss machen will, das Gewissen Liebe Gnade Schuld Lebensfreude & trauer aus der Evolution hervorgegangen sind, weil sie sich für das überleben der ''gruppe'' als sinnvoll heraussellektiert haben, dreht sich bei mir der Magen um !!!!Was ist an dieser Theorie denn für Dich so inakzeptabel, daß es Dir den Magen umdreht? Weil ich der Meinung bin, das ein Universum ohne Lebewesen keinen Sinn machen würde... Und was hat das jetzt mit Liebe, Gnade, Schuld etc als (Teil-)ergebnissen evolutionärer Prozesse zu tun ^^viel aber ein Atheist wird das nie begreifen... Das ist das wirklich Traurige: Du raffst nicht einmal, das es eben nicht nur pöse Atheisten sind, die nicht deiner Meinung sind Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
rince Geschrieben 23. Juni 2010 Melden Share Geschrieben 23. Juni 2010 Oder meinst du unsere Fähigkeit, uns Dinge vorstellen zu können, für die es keine realen Entsprechungen gibt? Ich meine aber, dass es auch Phantasie jenseits des Problemlösungsrahmens gibt, genauer: jenseits des evolutiv relevanten Problemlösungsrahmens. Daher das Beispiel mathematischer Operationen, denen zwar ein mathematisches Problem zugrunde liegt, das gelöst werden soll, zu dem ich aber die Rückfrage hätte, inwieweit es von evolutivem Belang ist (unter anderem darauf bezog sich in meinem Beitrag an Volker die Frage nach dem Realitätsbezug der Mathematik). Ein weiteres Beispiel ist die Kunst. Welchen phylogenetischen "Überlebensvorteil" bietet die "Mona Lisa"? Oder Mozarts "Zauberflöte"? Ich persönlich halte die Reduktion kultureller Phänomene auf biologisch-evolutionäre Mechanismen für verkürzt – was ich mit "biologistisch" bezeichne. Bilder hatten eindeutig zuerst magische Bedeutung, dienten also zB der Jagd. Das ist eine Phantasievorstellung. Die Bilder in den altsteinzeitlichen Höhlen stellen keine Jagdtiere dar. Und du bist da der absolute Experte weil...? Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
gouvernante Geschrieben 23. Juni 2010 Melden Share Geschrieben 23. Juni 2010 Das ist das wirklich Traurige: Du raffst nicht einmal, das es eben nicht nur pöse Atheisten sind, die nicht deiner Meinung sind Komm, vom Nichtroboter zum Atheisten gemacht zu werden, hat doch was Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Volker Geschrieben 23. Juni 2010 Melden Share Geschrieben 23. Juni 2010 Darauf wollte ich noch eingehen: Der größte Fehler, den die EE [= Evolutionäre Erkenntnistheorie] meiner Meinung nach macht, ist, dass sie versucht Philosophie mit Biologie zu erklären. Es ist eher ein Fehler der Philosophie, dass sie oft genug die biologischen Grundlagen der Erkenntnis ignoriert: Denn unsere Biologie setzt den Rahmen, in dem Erkenntnis überhaupt möglich ist. Ignoriert man diesen Rahmen, dann ist unser Erkenntnisvermögen (wie bei Kant, nur konnte der es nicht besser wissen) von geheimnisvollen "a prioris" bestimmt, die quasi aus dem Nichts kommen. Die EE kann diese aber tatsächlich erklären, und das ist völlig neu. Alle Erkenntnis hat eine biologische Grundlage. Ich kenne diese Diskussion aus der Psychologie (ich bin selbst Diplom-Psychologe), und schon damals haben mich die Argumente, dass dem nicht so sei, nicht überzeugt. Es gibt in der Welt verschiedene Strukturniveaus, von denen das unterste der Subatomare Bereich ist, anschließend kommen der Atomare und der Molekulare Bereich, die Welt der Makrokörper, die Galaxis und die Metagalaxis. Jeder höhere Bereich schließt alle niederen ein, die niederen sind jedoch vom höheren unabhängig. Die Übergänge zwischen diesen Strukturniveaus sind diskontinuierlich, das heißt, dass wesentliche Beziehungen einer Ebene nicht allein durch Beziehungen in einer anderen Ebene erklärt werden können. Das ist ein interessanter Glaubenssatz, und umstritten. Die höheren Bereiche sind mit den niederen verschränkt, also gibt es zahlreiche Überschneidungen und keine komplette Unabhängigkeit. Dass es Emergenz gibt, das auf höheren Ebenen überraschende Eigenschaften auftreten, ist auch innerhalb der EE nicht umstritten, aber das unsere Erkenntnis von unseren biologischen Grundlagen unabhängig ist, ist nicht einmal vorstellbar. Ganz deutlich wird das übrigens bei den kognitiven Fehlleistungen. Genauso kann man die Wissenschaft gliedern, wobei die Wissenschaften, die sich mit der leblosen Natur beschäftigen, also Physik und Chemie, die Basis bilden, anschließend kommt die Biologie, die sich mit dem Leben beschäftigt, und als höchstes diejenigen Wissenschaften, die sich mit dem Menschen beschäftigen; sprich die Gesellschaftswissenschaften, Psychologie und Philosophie. Genau. Was diese Ebenen wesentlich unterscheidet ist die Komplexität der Phänomene, aber auch biologische Wesen können nicht gegen grundlegende physikalische Regeln verstoßen. Die Physik des Lichts hat selbstverständlich gravierende Auswirkungen auf unser Erkenntnisvermögen. Die Tatsache, dass wir in einem winzig kleinen Spektrum der elektromagnetischen Wellen sehen können, kann man nur biologisch erklären oder überhaupt nicht. Diese Unterscheidung trifft die EE auch (!), will aber trotzdem den Erkenntnisprozess (der also den Menschen betrifft) mit der Evolution (Biologie !) erklären. Warum? Das Neue entsteht durch Integration von bis dahin unabhängigen Systemen zu einer höheren Einheit, wobei die Teilsysteme verändert werden, bis sie alle zusammen das Neue ergeben. Die EE schließt daraus, dass das Neue Ganze aus der nächst-niedrigen Stufe heraus erklärbar ist, weil es sich daraus ableitet. Dabei wird aber vernachlässigt, dass die Übergänge diskontinuierlich sind und genau das Wesentliche des Neuen Ganzen nicht mehr mit der nächst-niedrigen Stufe erklärbar ist. Die EE will die Grundlagen und die Herkunft unserer Erkenntnis erklären. Da dies auch auf unsere höheren Hirnleistungen durchschlägt, kann man nicht einfach hingehen und diese für gänzlich unabhängig erklären - das ist (neurophysiologisch) beweisbar falsch als Annahme. Die EE behauptet keineswegs, dass alles aus den niederen Ebenen erklärt werden kann - das ist ein Strohmann-Argument gegen die EE. Sie besagt nur, dass es wichtig ist, die Grundlagen zu kennen. So wie sich jemand, der als Biologe den Vogelflug untersucht, sich auch mit den physikalischen Gesetzen der Aerodynamik auskennen muss. Es versucht keiner ernsthaft das Leben mit reiner Physik oder Chemie zu erklären. Genauso wenig kann man den Menschen auf seine Biologie reduzieren, wenn man versucht den Erkenntnisprozess zu erklären. Nur weil wir an der Komplexität scheitern heißt dies nicht, dass es generell und in allen Fällen unmöglich ist. Das ist ein Trugschluss. Nur weil es emergente Phänomen gibt, heißt es nicht, dass die höheren Ebenen gänzlich unabhängig von den niederen Strukturen sind. Es gibt prinzipiell zwei Möglichkeiten, wie ein System auf Einflüsse von außen (auch irreversibel) reagieren kann: die Widerspiegelung und die Wechselwirkung. Die Widerspiegelung ist ein Prozess ohne Qualitätsänderung im System, die Wechselwirkung hingegen ein Prozess mit Qualitätsänderung. Informationen tauchen nur in Widerspiegelungsprozessen auf, weil sie an die Entropie (Grad der "Unordnung") gebunden sind und die Entropie bei Qualitätssprüngen sprunghaft ansteigt. Das heißt, dass Informationen in Wechselwirkungsprozessen zwar vorhanden sein können, sie aber nicht steuern. Laut EE sind Erkenntnisse, die unsere Vorfahren a posteriori (= nach der Erfahrung = aus der Erfahrung gewonnen) gewonnen haben im Laufe der Evolution zu a priori (= vor aller Erfahrung) geworden. Das heißt, dass aus der Evolution eine Anpassung folgt, die mit Information und damit mit Erkenntnisgewinn gleichgesetzt wird. Anpassung ist jedoch ein Prozess mit Qualitätsänderung und bedeutet darum nicht nur Informationsgewinn. Deswegen kann Evolution nicht einfach mit Erkenntnisgewinn gleichgesetzt werden. Letzteres tut auch niemand. Tatsache ist nur, dass dort, wo sich Konkurrenten gegen andere konkurrierende Arten durchsetzen können, wenn dies durch ein besseres Erkenntnisvermögen geschehen kann, sich das auch herausgebildet hat. Interessant ist allerdings, dass der Prozess der Erkenntnisgewinnung auf allen Ebenen nach demselben Schema funktioniert - wie Riedl gezeigt hat. Der Gewinn von Erkenntnis funktioniert auf Ebene der Amöben ebenso wie auf der Ebene der Wissenschaft, was die Prinzipien angeht (abstrakt: Erwartung an die Welt -> Erwartung erfüllt sich oder auch nicht -> Modifikation der Erwartung -> modifizierte Erwartung erfüllt sich oder auch nicht -> usw. usf. Nur das auf der biologischen Ebene Lebewesen sterben, wenn sich Erwartungen nicht erfüllen, während auf der Ebene der Wissenschaft bloß Ideen "sterben"). Wenn man das Credo von "die Ebenen sind unabhängig" betrachtet, dann ist das überraschend, dass es überall nach dem gleichen Prinzip funktioniert - oder eben auch nicht. Die Evolution bzw. die EE erklärt also, warum Wissenschaft überhaupt erfolgreich war und ist. Die EE beschränkt sich auf die Erklärung der Entstehung der kognitiven Fähigkeiten. Da sie aber überhaupt nicht auf die Überwindung der biologischen Grenzen eingeht, kann sie nicht erklären und verstehen, was Wissenschaft wirklich ist. Ganz im Gegenteil. Das Prinzip, wie Erkenntnis gewonnen wird, ist auf allen Ebenen gleich. Erkenntnis kommt nicht durch die "Überwindung der biologischen Grenzen" - das ist esoterischer Unfug. Das ist es, was Esoteriker glauben und Wissenschaftler i. d. R. nicht. Grenzen werden nicht überwunden, sie werden schrittweise neu gesteckt, erweitert, ausgedehnt. Wir sehen also, dass die EE versucht die evolutionäre Entstehung des menschlichen Erkenntnisapparates und unserer a priori zu erklären, dabei aber mehrere meiner Meinung nach gravierende Fehler macht und das Wesentliche des menschlichen Erkenntnisprozesses nicht erfasst. Und "das Wesentliche" wäre? Unser Glauben, dass wir irgendwie was ganz Besonderes sind, völlig aus der Physik, Chemie, Biologe etc. "herausfallen"? Es hört sich so an, als ob für den Autor Erkenntnis etwas ist, was irgendwie magisch entsteht, und was man nicht so wirklich erklären kann - um dann denen, die diese Magie enträtseln, daraus einen Vorwurf zu machen und "per Order du Mufti" zu erklären, dass sie das sowieso nicht können. Das ist das genaue Gegenteil von Wissenschaft. Alle Arten von Erklärungen sind darauf angewiesen, entweder das Unbekannte aus dem Bekannten (oft einfacheren) zu erklären, oder die Entwicklungsgeschichte zu rekapitulieren. Wie Riedl (ein Vertreter der EE) mal zu recht bemerkte ist es ein bedauerlicher Bildungsnotstand bei uns, dass kaum jemand weiß, was "Erklären" (und das Gegenstück, Verstehen) überhaupt bedeutet. Niemand erklärt einem, was eine Erklärung ist und was nicht. Darauf baut der Boom der Esoterik und der Pseudowissenschaften auf. Der Autor des obigen Textes hat auch nicht verstanden, was Verstehen bedeutet, und kann vermutlich nicht erklären, was eine Erklärung überhaupt ist - und kommt so zu einem eher magischen Verständnis um was es sich dabei handelt. Erkenntnis ist nichts, was auf geheimnisvolle Art auf "höheren Ebenen" quasi aus dem Nichts und überraschend auftaucht. Erkenntnis ist ein Prozess, der auf allen Ebenen nach dem gleichen Prinzipien läuft - und genau wegen dieser Erkenntnis kann die EE auch erklären (und zwar wirklich erklären), warum und in welchen Grenzen Wissenschaft erfolgreich ist. Wissenschaft ist erfolgreich, weil sie die Methoden der unteren Ebenen auf eine neuere Ebene hebt, aber das wesentliche Prinzip beibehält. Wissenschaft ist da erfolglos, wo sie glaubt, irgendwie sich von allen diesen Dingen "befreien" zu können. Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Marcellinus Geschrieben 23. Juni 2010 Melden Share Geschrieben 23. Juni 2010 (bearbeitet) Es gibt in der Welt verschiedene Strukturniveaus, von denen das unterste der Subatomare Bereich ist, anschließend kommen der Atomare und der Molekulare Bereich, die Welt der Makrokörper, die Galaxis und die Metagalaxis. Jeder höhere Bereich schließt alle niederen ein, die niederen sind jedoch vom höheren unabhängig. Die Übergänge zwischen diesen Strukturniveaus sind diskontinuierlich, das heißt, dass wesentliche Beziehungen einer Ebene nicht allein durch Beziehungen in einer anderen Ebene erklärt werden können. Das ist ein interessanter Glaubenssatz, und umstritten. Die höheren Bereiche sind mit den niederen verschränkt, also gibt es zahlreiche Überschneidungen und keine komplette Unabhängigkeit. Dass es Emergenz gibt, das auf höheren Ebenen überraschende Eigenschaften auftreten, ist auch innerhalb der EE nicht umstritten, aber das unsere Erkenntnis von unseren biologischen Grundlagen unabhängig ist, ist nicht einmal vorstellbar. Das hatte ich ja ganz übersehen. Natürlich gibt es diese Ebenen des Universums, wobei das mal wieder ein vereinfachtes Modell ist, wie alle Theorien. Man könnte sicherlich noch viel mehr Ebenen definieren, aber uns langen mal die drei: die physikalische, die biologische und die soziale Ebene unseres Universums. Und sie sind natürlich nicht diskontinuierlich. Alle Objekte der biologischen Ebene sind auch physikalische Objekte und unterliegen den gleichen Eigenschaften (in der Physik Naturgesetze genannt, auch wenn das mißverständlich ist). Aber sie haben eben ein paar Eigenschaften, die sich mit physikalischen Theorien nicht beschreiben lassen. Die Evolution biologischer Lebewesen ist sicher die wichtigste. Mit der sozialen Ebene ist es ähnlich. Alle Menschen, die diese Ebene miteinander bilden, sind erst einmal biologische Lebenwesen und sie haben alle Eigenschaften, die auch alle anderen biologischen Lebenwesen haben. Also sind sie auch per biologischer Evolution entstanden. Aber sie haben ein paar Eigenschaften, die sich aus der Biologie nicht erklären lassen, nämlich die Entwicklung ihrer Gesellschaften, die die Menschen miteinander bilden, auch wenn Soziobiologen dies immer wieder versuchen. Wie die europäischen Industriestaaten entstanden sind, oder was dazu führte, daß diese Gesellschaften sich am Beginn des 20. Jh. miteinander im 1. Weltkrieg befanden, das kann man nicht allein aus den biologischen Eigenschaften der einzelnen beteiligten Menschen erklären, sondern nur mit historisch-soziologischen Modellen. bearbeitet 23. Juni 2010 von Marcellinus Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
2dy4 Geschrieben 23. Juni 2010 Melden Share Geschrieben 23. Juni 2010 (bearbeitet) @Marcellinus @Volker (Ich antworte mal auf eure Beiträge in einem einzigen Posting, weil es thematisch zusammengehört. Ich denke, ihr werdet sehen, welchem Beitrag das entsprechende Zitat jeweils zuzuordnen ist.) Der Vorwurf des (radikalen) Konstruktivismus war schon bei Maturana/Varela falsch, wie diese immer wieder darlegten, obwohl der philosophische Mainstream sich partout in den Kopf gesetzt hatte, sie seien geradezu dessen Erfinder. Und er ist auch falsch bei Wenke. Sicherlich schießt er in manchen Bemerkungen über's Ziel hinaus, das bedeutet aber nicht, dass sein Grundgedanke falsch wäre. Er sagt: Wir erleben die Welt als ausgedehnt und unbekannt. Wäre die Welt nur unser eigenes Hirngespinst, so könnten wir nichts Neues darin entdecken. Dann würden wir ja schon jeden Winkel kennen und alles wissen. Wäre alles nur Materie, gäbe es niemanden, der sie erlebt und dem Ganzen Bedeutung gibt. Wir stehen mitten in der Welt und doch wird sie erst durch uns möglich. Welt und Subjekt sind untrennbar aufeinander angewiesen. Die meisten bleiben hier stehen und sehen dann aus ihrer naturalistischen Perspektive den Idealismus mit dem Zaunpfahl winken. Sie fragen sich erst gar nicht, was er denn damit meint, wenn er von dem aufeinander Verwiesensein von Subjekt und Objekt spricht und dann (!) sagt, die Welt werde durch uns erst möglich. Sie brechen an dieser Stelle einfach den Dialog ab, weil sie eine solche Aussage für dummes Zeug halten. Er sagt aber im unmittelbar vorausgehenden Satz, dass weder der Idealismus noch der Materialismus die Welt zureichend erklären können. Wenn wir ihm zunächst zugute halten wollen, dass er womöglich sehr genau weiß, was er da von sich gibt, dann frage ich mich also, wie das zusammenpasst. Dazu muss man natürlich zur Kenntnis, was der Mann sonst noch sagt. Und so beantwortet er die Frage des Reporters (die ja in die Richtung der hier geäußerten Kritik zielt): Andere Menschen sterben und wir leben weiter in der gleichen Welt. Wenn ich nicht mehr da bin, bleibt die Welt doch bestehen!? folgendermaßen: Wessen Welt meinen Sie? Sie denken bei dieser Annahme ganz automatisch immer einen Beobachter mit, der die Welt und Sie sieht, quasi aus einer Vogelperspektive. Aber wo ist diese Perspektive und wo der gedachte Beobachter, wenn Sie beides nicht mehr denken. ... Ganz konkret: Ein Trinkglas hat für mich die Bedeutung von etwas mit Getränken Befüllbarem, das für die Verwendung mit meinem Mund gemacht ist. Es erhält seinen Sinn aus meinen leibhaftigen Erfahrungen mit ihm, nicht aus dem Denken. Für eine Ameise ist dieser mit Flüssigkeit gefüllte Hohlraum unter Umständen ein gefährlicher See, hat also eine völlig andere Bedeutung. Wo aber soll jetzt so etwas wie das „objektive“ Glas sein? Wir sehen: Alles Erfahrene bekommt nur durch einen Jemand, der es in einer bestimmten Weise erfährt, Bedeutung. Und welche Bedeutung kann etwas haben, das niemand erlebt? … Wenn ich einen großen Baum in 100 Scheiben zersäge, würde ich wohl kaum annehmen, dass Bäume „in Wirklichkeit“ oder „eigentlich“ nur Scheiben sind. Aber wir tun genau das mit Molekülen, Neuronen (!) oder Genen und stellen damit die Wirklichkeit komplett auf den Kopf. Der ganze Baum ist zuerst da und nicht die Scheiben, der Mensch lange vor seiner Wissenschaft. Das deckt sich mit einem Bonmot C.F. von Weizsäckers, der sagte: Die Natur ist älter als der Mensch, aber der Mensch ist älter als die Naturwissenschaft. Alle die Versuche, das Subjektive aus der Erkenntnis zu eliminieren (spätestens für die Quantentheorie ist die These einer vollständig beobachterunabhängigen Realität unhaltbar), halte ich für wesentlich unglaubwürdiger als das Eingeständnis, dass es durchaus eine Welt "da draußen" gibt (also anti-konstruktivistisch), dass wir aber über sie nur Hypothesen bilden können, Vermutungswissen, das keine Letztverbindlichkeit seiner Welterkenntnis erreichen wird. Und genau an dieser Stelle setzt der Zirkelschluss vieler naturalistischer Deutungen ein: Sie machen Aussagen über die Realität, sagen dann, diese Aussagen seien bloße Hypothesen, was damit zu begründen sei, dass unsere Erkenntnisstruktur keine letztverbindliche Wahrnehmung der Wirklichkeit erlaube, und führen dann eben diese Erkenntnisstruktur auf eine rein materielle und irgendwie doch wieder "objektive" Wirklichkeit zurück, über die sie eine Sekunde zuvor gesagt haben, wir könnten sie nicht "objektiv" wissen. Was heißt das denn, wenn behauptet wird, wir hätten nur Hypothesen von der Welt? Es bedeutet, dass die Welt in unserem Kopf entsteht. Und diese unumgänglich hypothetisch vorgestellte Welt soll nun auf einmal doch wieder die "reale", "objektive" Welt sein, die eben jenes Denken geschaffen habe, das sie sich vorstellt! Das ist ein Strukturfehler in der Argumentation, um es mit Volkers Worten auszudrücken. Mir ist schleierhaft, wieso die alte Einsicht Kants rückgängig gemacht werden soll, jene Einsicht, die er ja ausweislich als seine "kopernikanische Wendung" bezeichnete. Wie wesentlich es ist, an der strengen kantischen Form des Apriori festzuhalten, sieht man im Vergleich zu Versuchen, dieses strenge Apriori durch ein "weicheres" zu ersetzen, wie es die EET anstelle einer transzendentalen tut. Der Grundgedanke erscheint zunächst ganz plausibel: Die dreidimensionale euklidische Raumanschauung beispielsweise hat sich für den Menschen, aber auch für unsere evolutionären Vorgänger, als Überlebensvorteil erwiesen. Ein Affe könnte im Urwald kaum als guter Kletterer bestehen, hätte er nicht ein derartiges Raumkonzept. Genau damit aber wird Kants "kopernikanische Wende" im Erkenntnisprozess wieder aufgehoben. Wir haben, so das Argument der EET, ein derartiges Raumkonzept, weil es sich als bestangepasst an die Wirklichkeit herausselektiert hat. Es ist dem Einzelwesen bereits als angeboren in die Wiege gelegt, also ontogenetisch a priori, für die Gattung aber hat es sich evolutionär herausgebildet, ist also ein phylogenetisches Aposteriori. Doch hierbei wird die wesentliche Pointe Kants vertan. Sein transzendentales Argument war ja, die Notwendigkeit und Allgemeinheit eines Apriori auf die strenge, da nämlich methodisch erzwungene Gültigkeit der Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung zu gründen. Methodisch streng heißt aber, dass diese Bedingungen in der Erfahrung niemals hintergangen werden können – auch nicht im Laufe der Stammesgeschichte! Und so verfügt ein stammesgeschichtliches Aposteriori eben nicht mehr über die Stärke des strengen Apriori zur Begründung der Geltung empirisch gefundener Naturgesetze. Dass es Emergenz gibt, dass auf höheren Ebenen überraschende Eigenschaften auftreten, ist auch innerhalb der EE nicht umstritten, aber das unsere Erkenntnis von unseren biologischen Grundlagen unabhängig ist, ist nicht einmal vorstellbar. Sehen wir uns das genauer an: Es gibt keine Erkenntnis ohne ihre biologischen Grundlagen. Die biologischen Grundlagen entsprächen hier der niedrigeren Ebene, die Erkenntnis(fähigkeit) der höheren. Nun kommen emergente Effekte ins Spiel, die für "überraschende Eigenschaften" sorgen, d.h. für Eigenschaften der Erkenntnis, die sich allein aus deren biologischen Grundlagen nicht erklären lassen. In diesem Argument wird also ein "geheimnisvolles Apriori", wie Volker sich ausdrückt, durch ein anderes Geheimnis ersetzt, das man "Emergenz" nennt. Nun ist aber auch klar, dass Benennung von Phänomenen noch keine Erklärung ist. So weit mir bekannt kann man bis jetzt etwas wie "Emergenz" zwar beschreiben, aber nicht begründen. In allen Begründungsversuchen weicht man auf wiederum neue Benennungen aus (z.B. Autopoiesis, Selbstorganisation), die ihrerseits das Problem lediglich verlagern, aber nicht lösen. Der Begriff der Emergenz stellt lediglich das plötzliche Entstehen neuer Eigenschaften in einem komplexen System fest, die nicht aus den Eigenschaften der einzelnen Elemente des Systems vorhergesagt werden können, er erklärt sie aber nicht. Immerhin drückt sich im Reden von Emergenzen das Bewusstsein von der Irreduzibilität unserer Erkenntnis aus. Das zeigt sich auch in dem Bedürfnis, sie durch erweiterte Konzepte besser zu verstehen, für die Schlagworte wie Embodiment, Situated Cognition und Dynamizismus stehen. Was ich also bestreite, ist nicht (!), dass unser Erkennen eine biologische Basis hat (das ist trivial), sondern dass seine Eigenschaften sich befriedigend durch die Reduktion auf diese biologische Basis erklären lassen. Wenn man so will, ist unser Erkennen weder ohne das Organ "Gehirn" möglich noch allein durch das Organ "Gehirn" begründbar. Erwartung an die Welt -> Erwartung erfüllt sich oder auch nicht -> Modifikation der Erwartung -> modifizierte Erwartung erfüllt sich oder auch nicht -> usw. usf. Die Erwartung an die Umwelt setzt bereits voraus, dass es eine strukturierende Erfahrung (bzw. Erkenntnis) gibt, die diese Erwartung überhaupt erst konstituiert. In einem der vorigen Beiträge wurde gesagt, dass Mustererkennung eine Leistung des Menschen ist, indem er Strukturen an Objekte seiner Erfahrung heranträgt. Das heißt, Erwartung setzt Struktur voraus, nicht umgekehrt. (Ich vermisse hier zur weiteren Klärung die Auseinandersetzung Riedls mit den Anschauungsformen von Raum und Zeit.) Sie geht von Prognosen aus, die nur getroffen werden können, wenn bestimmte Gesetzmäßigkeiten unterstellt werden, aus denen Wahrscheinlichkeiten einer vermutlichen Zukunft abgeleitet werden. Um solche Prognosen überhaupt treffen zu können, braucht man Daten über die Umwelt, aus denen dann Wahrscheinlichkeiten zukünftiger Daten extrapoliert werden. Erwartungen nehmen ihren Ausgang also von Daten über die gegenwärtige Welt. Doch wie soll ich diese (aktuellen) Daten erkennen können, wenn immer schon eine vorauslaufende Erwartung angenommen wird? Ein infiniter Regress! Und sie sind natürlich nicht diskontinuierlich. … das kann man nicht allein aus den biologischen Eigenschaften der einzelnen beteiligten Menschen erklären Also doch diskontinuierlich? Es kommt wohl darauf an, was man unter Kontinuität versteht. Aber mein Beitrag ist schon lang genug, das können wir bei Bedarf ja noch ein anderes Mal diskutieren. Es ist geradezu charakteristisch für uns Menschen, daß ein wesentlicher Teil unserer Entwicklung soziale Entwicklung ist. Das ist hier nur ein kurzes Anreißen. Mehr dazu, wenn es dich interessiert. Sehr gern. bearbeitet 23. Juni 2010 von 2dy4 Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Lamarck Geschrieben 23. Juni 2010 Melden Share Geschrieben 23. Juni 2010 Hi 2dy4! Ich höre bei dir immer wieder heraus, daß du dich sträubst, eine 'natürliche' eevolutionäre Entwicklung unserer Intelligenz anzunehmen Nochmal: Meines Erachtens müssen wir unterscheiden zwischen der Entwicklung der biologischen Voraussetzungen unseres Erkenntnisvermögens und der Entwicklung des Erkenntnisvermögens selbst. Das ist unproblematisch: Selbstverständlich gibt es hier eine evolutionäre und eine individuelle Basis der Erkenntnisfähigkeit. Ich als Kleinkind oder Greis hätte hier ein anderes Potential als jetzt, gedopt mit zwei Tassen Kaffee ... . Richtig ist allerdings, dass (spezifische) Erkenntnisse Raum für weitere (abgeleitete) Erkenntnisse geben. Die "Maschinerie" des Erkenntnisvermögens (inkl. Instinkte) ist evolutionär bedingt, die individuelle Ausgestaltung im evolutionär vorgegebenen Rahmen unterliegt singulären Ereignissen: Das Tonband ist nicht die Aufnahme; für letzteres gibt es Spielraum, ersteres bildet technisch bedingte Limitierung. Das ist vermutlich der springende Punkt, an dem sich unsere Ansichten unterscheiden. Wir hatten schon mal zusammen mit FredFido eine ähnliche Diskussion zum Thema "Willensfreiheit", wo gesagt wurde, dass die neurologischen Vorgänge in unserem Gehirn unsere Gedanken sind. Das eben sehe ich anders. Wenn man natürlich einen allmählichen, nahtlosen Übergang von der Amöbe zu Einstein annimmt, dann ist diese Sicht der Dinge naheliegend. Von der Amöbe zu Goethe ... . Nicht jeder neurologische Vorgang in unserem Gehirn ist ein Gedanke; aber jeder Gedanke beruht auf einem neurologischen Vorgang. Damit ist zugleich gesagt, dass es prinzipiell möglich ist, erkenntnisfähige Maschinen zu bauen. Übrigens: Was soll das heißen, wenn Du bezüglich der Erkenntnisfähigkeit keinen "allmählichen, nahtlosen Übergang" postulieren magst? Könnten dann durch magische Vorgänge auch Amöben eine Relativitätstheorie entwickeln? Ich hingegen sehe es recht ähnlich wie Schlemm und zitiere mal etwas länger, weil ich es nicht besser auf den Punkt bringen könnte: Der größte Fehler, den die EE [= Evolutionäre Erkenntnistheorie] meiner Meinung nach macht, ist, dass sie versucht Philosophie mit Biologie zu erklären. Es gibt in der Welt verschiedene Strukturniveaus, von denen das unterste der Subatomare Bereich ist, anschließend kommen der Atomare und der Molekulare Bereich, die Welt der Makrokörper, die Galaxis und die Metagalaxis. Jeder höhere Bereich schließt alle niederen ein, die niederen sind jedoch vom höheren unabhängig. Die Übergänge zwischen diesen Strukturniveaus sind diskontinuierlich, das heißt, dass wesentliche Beziehungen einer Ebene nicht allein durch Beziehungen in einer anderen Ebene erklärt werden können. Genauso kann man die Wissenschaft gliedern, wobei die Wissenschaften, die sich mit der leblosen Natur beschäftigen, also Physik und Chemie, die Basis bilden, anschließend kommt die Biologie, die sich mit dem Leben beschäftigt, und als höchstes diejenigen Wissenschaften, die sich mit dem Menschen beschäftigen; sprich die Gesellschaftswissenschaften, Psychologie und Philosophie. Diese Unterscheidung trifft die EE auch (!), will aber trotzdem den Erkenntnisprozess (der also den Menschen betrifft) mit der Evolution (Biologie !) erklären. Warum? Das Neue entsteht durch Integration von bis dahin unabhängigen Systemen zu einer höheren Einheit, wobei die Teilsysteme verändert werden, bis sie alle zusammen das Neue ergeben. Die EE schließt daraus, dass das Neue Ganze aus der nächst-niedrigen Stufe heraus erklärbar ist, weil es sich daraus ableitet. Dabei wird aber vernachlässigt, dass die Übergänge diskontinuierlich sind und genau das Wesentliche des Neuen Ganzen nicht mehr mit der nächst-niedrigen Stufe erklärbar ist. Es versucht keiner ernsthaft das Leben mit reiner Physik oder Chemie zu erklären. Genauso wenig kann man den Menschen auf seine Biologie reduzieren, wenn man versucht den Erkenntnisprozess zu erklären. Es gibt prinzipiell zwei Möglichkeiten, wie ein System auf Einflüsse von außen (auch irreversibel) reagieren kann: die Widerspiegelung und die Wechselwirkung. Die Widerspiegelung ist ein Prozess ohne Qualitätsänderung im System, die Wechselwirkung hingegen ein Prozess mit Qualitätsänderung. Informationen tauchen nur in Widerspiegelungsprozessen auf, weil sie an die Entropie (Grad der "Unordnung") gebunden sind und die Entropie bei Qualitätssprüngen sprunghaft ansteigt. Das heißt, dass Informationen in Wechselwirkungsprozessen zwar vorhanden sein können, sie aber nicht steuern. Laut EE sind Erkenntnisse, die unsere Vorfahren a posteriori (= nach der Erfahrung = aus der Erfahrung gewonnen) gewonnen haben im Laufe der Evolution zu a priori (= vor aller Erfahrung) geworden. Das heißt, dass aus der Evolution eine Anpassung folgt, die mit Information und damit mit Erkenntnisgewinn gleichgesetzt wird. Anpassung ist jedoch ein Prozess mit Qualitätsänderung und bedeutet darum nicht nur Informationsgewinn. Deswegen kann Evolution nicht einfach mit Erkenntnisgewinn gleichgesetzt werden. Die EE beschränkt sich auf die Erklärung der Entstehung der kognitiven Fähigkeiten. Da sie aber überhaupt nicht auf die Überwindung der biologischen Grenzen eingeht, kann sie nicht erklären und verstehen, was Wissenschaft wirklich ist. Wir sehen also, dass die EE versucht die evolutionäre Entstehung des menschlichen Erkenntnisapparates und unserer a priori zu erklären, dabei aber mehrere meiner Meinung nach gravierende Fehler macht und das Wesentliche des menschlichen Erkenntnisprozesses nicht erfasst. Hier ist soviel falsch, dass es eine wahre Freude ist ... . Übrigens symptomatisch für Schmalspur-Philosophen fern der Naturwissenschaft, die offenbar Dieter Nuhr nicht kennen ("Wenn man keine Ahnung hat: Einfach mal Fresse halten.") Die eigentlich nötigen Richtigstellungen zu Entropie, Wechselwirkung, Kausalität, Informationstheorie, Systemtheorie etc. erspare ich mir hier. Aber mal zu diesem logischen Kurzschluss: Behauptet tatsächlich jemand, "Philosophie mit Biologie zu erklären"? Kann man denn umgekehrt Biologie mit Philosophie erklären? Kann man denn auch nur den Satz des Pythagoras mit Philosophie erklären? Okay, kleiner rhetorischer Trick über einen Kategorienfehler (Explanans/Explanandum). Klassisch hingegen ist die Unterteilung von Naturgeschichte und Naturphilosophie, die Biologie ist Gegenstand von beidem. Und natürlich [sic!] ist die EE Philosophie; sie wird nicht dadurch zur Biologie, weil sie einen biologischen Gegenstand betrachtet ... . Wesentlicher Bestandteil der EE ist übrigens der Begriff der Emergenz. Vermutlich würde sich Schlemm auch vor dem philosophischen Einfluss der Erdwissenschaften verwahren, die da frech behaupten, die Erde sei keine Scheibe, obgleich sie fleißig Karten malen ... . Gut erläutert wird das auch von Wenke in einem Interview, das ich zur Lektüre empfehle. Nun ja, die Unterscheidung der Bedeutung vom Bedeutungsträger ist doch selbstverständlich. Wohl eine billige Unterstellung? Das Folgende jedenfalls wird aus dieser Unterscheidung nicht impliziert: Matthias Wenke: Ja, genau das ist meine zentrale Kritik an einem derartigen Biologismus. Er unterstellt z. B. dem Denken und Fühlen rein instrumentelle Hilfsfunktionen für das „Überleben“. Letzten Endes werden psychosoziale Sinnprobleme zu Hirnstörungen umdefiniert und die Leute zu bioneuronalen Mechanismen entmündigt. So ein Weltbild vernichtet praktisch das ganze menschliche Seelenleben und versucht, es mit ein paar von seinen physiologischen Korrelaten gleichzusetzen. Wo ist da das Argument, abgesehen von einem "Wünsch' Dir was"? Es muss doch hier nicht extra erläutert werden, welche "instrumentellen" Vorteile die Fähigkeiten zum Denken und Fühlen beinhalten! Kann ich denn ein echtes Problem damit haben, eine "bioneuronale" Maschine zu sein - insbesondere erst recht, wenn ich auch eine "bioneuronale" Maschine bin? Wie könnte mich so etwas "entmündigen"? Was ändert es am "menschlichen Seelenleben" wenn die Erde nicht mehr [sic!] Mittelpunkt es Universums ist?! - Was für eine zirkuläre Logik, zur der hier Wenke genötigt ist! Und das ist nun der tatsächliche Gotteswahn: "Psychosoziale Sinnprobleme" von Menschen, die Giordano Bruno aufgrund ihres "menschlichen Seelenlebens" und zur Bewahrung ihrer "Mündigkeit" zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilen. Niemand kann entmündigt werden, der Erkenntnis nicht verträgt; er war noch nie mündig ... . Sapere aude! Cheers, Lamarck Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
boandlkramer Geschrieben 24. Juni 2010 Melden Share Geschrieben 24. Juni 2010 (bearbeitet) Mit der sozialen Ebene ist es ähnlich. Alle Menschen, die diese Ebene miteinander bilden, sind erst einmal biologische Lebenwesen und sie haben alle Eigenschaften, die auch alle anderen biologischen Lebenwesen haben. Also sind sie auch per biologischer Evolution entstanden. Aber sie haben ein paar Eigenschaften, die sich aus der Biologie nicht erklären lassen, nämlich die Entwicklung ihrer Gesellschaften, die die Menschen miteinander bilden, auch wenn Soziobiologen dies immer wieder versuchen. Wie die europäischen Industriestaaten entstanden sind, oder was dazu führte, daß diese Gesellschaften sich am Beginn des 20. Jh. miteinander im 1. Weltkrieg befanden, das kann man nicht allein aus den biologischen Eigenschaften der einzelnen beteiligten Menschen erklären, sondern nur mit historisch-soziologischen Modellen. ??? Wie meinst du das? Natürlich lässt sich die Entwicklung menschlicher Gesellschaften auch biologisch ableiten. Unser komplexes Gehirn ermöglicht uns eben einen höheren Handlungsspielraum und das beinhaltet auch die Bildung von Nationalstaaten oder die Entwicklung von leistungsfährigen Computern z.b. Und Biologen wollen ja nicht die Gründe für den 1. Weltkrieg erklären. bearbeitet 24. Juni 2010 von boandlkramer Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Julian A. Geschrieben 24. Juni 2010 Melden Share Geschrieben 24. Juni 2010 (bearbeitet) Es gibt in der Welt verschiedene Strukturniveaus, von denen das unterste der Subatomare Bereich ist, anschließend kommen der Atomare und der Molekulare Bereich, die Welt der Makrokörper, die Galaxis und die Metagalaxis. Jeder höhere Bereich schließt alle niederen ein, die niederen sind jedoch vom höheren unabhängig. Die Übergänge zwischen diesen Strukturniveaus sind diskontinuierlich, das heißt, dass wesentliche Beziehungen einer Ebene nicht allein durch Beziehungen in einer anderen Ebene erklärt werden können. Das ist ein interessanter Glaubenssatz, und umstritten. Die höheren Bereiche sind mit den niederen verschränkt, also gibt es zahlreiche Überschneidungen und keine komplette Unabhängigkeit. Dass es Emergenz gibt, das auf höheren Ebenen überraschende Eigenschaften auftreten, ist auch innerhalb der EE nicht umstritten, aber das unsere Erkenntnis von unseren biologischen Grundlagen unabhängig ist, ist nicht einmal vorstellbar. Das hatte ich ja ganz übersehen. Natürlich gibt es diese Ebenen des Universums, wobei das mal wieder ein vereinfachtes Modell ist, wie alle Theorien. Man könnte sicherlich noch viel mehr Ebenen definieren, aber uns langen mal die drei: die physikalische, die biologische und die soziale Ebene unseres Universums. Und sie sind natürlich nicht diskontinuierlich. Alle Objekte der biologischen Ebene sind auch physikalische Objekte und unterliegen den gleichen Eigenschaften (in der Physik Naturgesetze genannt, auch wenn das mißverständlich ist). Aber sie haben eben ein paar Eigenschaften, die sich mit physikalischen Theorien nicht beschreiben lassen. Die Evolution biologischer Lebewesen ist sicher die wichtigste. Mit der sozialen Ebene ist es ähnlich. Alle Menschen, die diese Ebene miteinander bilden, sind erst einmal biologische Lebenwesen und sie haben alle Eigenschaften, die auch alle anderen biologischen Lebenwesen haben. Also sind sie auch per biologischer Evolution entstanden. Aber sie haben ein paar Eigenschaften, die sich aus der Biologie nicht erklären lassen, nämlich die Entwicklung ihrer Gesellschaften, die die Menschen miteinander bilden, auch wenn Soziobiologen dies immer wieder versuchen. Wie die europäischen Industriestaaten entstanden sind, oder was dazu führte, daß diese Gesellschaften sich am Beginn des 20. Jh. miteinander im 1. Weltkrieg befanden, das kann man nicht allein aus den biologischen Eigenschaften der einzelnen beteiligten Menschen erklären, sondern nur mit historisch-soziologischen Modellen. Das heißt aber alles nicht, dass der Mensch in irgendeinem Sinne "mehr" ist als eine physikalische Entität in einer physikalischen Welt. Es ist nur so, dass der Mensch bzw. die menschliche Gesellschaft ein sehr komplexes physikalisches System ist, und Physik als Wissenschaft auf das Studium relativ einfacher physikalischer Systeme spezialisiert ist. Letztlich sind da immer nur Elementarteilchen, die sich so-und-so verhalten. Auch die Geschichte handelt nur von dem Verhalten solcher Elementarteilchensysteme. Sie behandelt allerdings sehr, sehr allgemeine Muster von Strukturen aus Elementarteilchen, die wir mit den exakten und bodenständigen Begriffen der Physik nicht in den Griff bekämen. Die Trennung der Wissenschaft in Einzelwissenschaften ist rein pragmatisch und hat mit "Ontologie" nichts zu tun. Und der Unterschied zwischen Physik und Geschichte ist metaphysisch nicht bedeutsamer als der zwischen Physik und Chemie. (nicht, dass du es unbedingt anders siehst, aber ich wollte es klarstellen ) bearbeitet 24. Juni 2010 von Julian A. Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Julian A. Geschrieben 24. Juni 2010 Melden Share Geschrieben 24. Juni 2010 (bearbeitet) Das ist ein interessanter Glaubenssatz, und umstritten. Die höheren Bereiche sind mit den niederen verschränkt, also gibt es zahlreiche Überschneidungen und keine komplette Unabhängigkeit. Dass es Emergenz gibt, das auf höheren Ebenen überraschende Eigenschaften auftreten, ist auch innerhalb der EE nicht umstritten Ich halte "Emergenz" für ein ausgesprochenes Wuselwort. Je nachdem, was man darunter versteht, ist die Emergenzthese entweder trivial oder sehr problematisch. Trivial ist, dass komplexe Systeme Eigenschaften besitzen, die die Komponenten, aus denen das System besteht, nicht besitzen. Ein einzelnes H2O-Molekül ist nicht feucht, ein Elektron besitzt keine Temperatur, und eine Aminosäure ist nicht lebendig. Das ist banal. Extrem fragwürdig ist aber die stärkere Emergenzthese, die besagt, dass komplexe Systeme Eigenschaften besitzen, die sich selbst aus allen Tatsachen über die "untere Ebene" nicht ableiten lassen. Diese These halte ich für geradezu esotersisch, auf jeden Fall ist sie mit einem Physikalismus unvereinbar. "Emergenz" ist ein Modewort, das dem Naturalismus ein bisschen die Schärfe und Radikalität nehmen soll. Man muss sich aber genaue Gedanken darüber machen, was mit "Emergenz" überhaupt gemeint ist, und ob der Glaube an (echte) Emergenz nicht auf einen unwissenschaftlichen Dualismus hinausläuft. bearbeitet 24. Juni 2010 von Julian A. Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Julian A. Geschrieben 24. Juni 2010 Melden Share Geschrieben 24. Juni 2010 (bearbeitet) Was die Evolutionäre Erkenntnistheorie angeht, ist mir bis heute nicht klar, was genau damit eigentlich gemeint sein soll. Ähnlich wie beim Emergenzbegriff würde ich sagen: Bei einem bestimmten Verständnis der EE ist sie trivialerweise richtig, bei einem anderen Verständnis ist sie nicht trivial, aber dafür vermutlich falsch. Richtig und trivial ist die These, dass unser gesamter Erkenntnisapparat - unsere Wahrnehmung, unsere Vernunft, unser Gedächtnis - durch biologische Evolution entstanden ist. Abgesehen von den wenigen Dualisten, die es noch gibt, wüsste ich keinen Philosophen, der das bestreiten würde, und in diesem schwachen Sinn ist also fast jeder ein Anhänger der EE. Für problematisch halte ich die EE jedoch, wenn sie auf eine der folgenden beiden Thesen hinauslaufen sollte: EE1) "Erkenntnis funktioniert beim Menschen genauso wie bei (selbst primitiven) Tieren". EE2) "Die Entwicklung wissenschaftlicher Theorien funktioniert genauso wie die biologische Evolution." Beide Thesen sind m.E. falsch. Es ist zwar richtig, dass es zwischen der Erkenntnisweise einer Fliege und der eines Menschen Parallelen gibt, ebenso wie es zwischen der biologischen Evolution und der Evolution unserer Theorien Parallelen gibt, aber es gibt auch erhebliche Unterschiede, die bei einer strikten Gleichsetzung ignoriert werden. Ein wichtiger Unterschied zwischen biologischer Evolution und Wissenschaftsgeschichte ist zum Beispiel, dass biologische Mutationen gänzlich zufällig sind, während die Entwicklung neuer Theorien ein gezielter Prozess ist, der bestimmen Regeln - den Regeln der Induktion - folgt. Für problematisch halte ich auch die Behauptung, dass apriorische Erkenntnisse wie die Aussagen der Logik das Ergebnis von Jahrmillionenjahrelanger evolutionärer Erfahrung sind. Das kann nur falsch sein, weil Logik und Mathematik keinerlei Erfahrungen beinhalten. Außerdem wird hier m.E. der Unterschied zwischen Geltungsgründen und Genese ignoriert. bearbeitet 24. Juni 2010 von Julian A. Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Marcellinus Geschrieben 24. Juni 2010 Melden Share Geschrieben 24. Juni 2010 Für problematisch halte ich die EE jedoch, wenn sie auf eine der folgenden beiden Thesen hinauslaufen sollte: EE1) "Erkenntnis funktioniert beim Menschen genauso wie bei (selbst primitiven) Tieren". EE2) "Die Entwicklung wissenschaftlicher Theorien funktioniert genauso wie die biologische Evolution." Ja, das kann es nicht sein. Ganz deiner Meinung. Unsere Erkenntnisse beginnen einfach nur da, wo unsere Wahrnehmungsfähigkeit durch die biologische Evolution entstanden ist. Das gibt uns einen Ausgangspunkt, erklärt aber auch ein paar Wahrnehmungsfehler. Die Entwicklung von wissenschaftlichen Theorien ist Teil des Entwicklungsprozesses menschlicher Gesellschaften. Und wie die Gesellschaften, die die Menschen miteinander bilden, zwar auf den biologischen Eigenschaften der Menschen beruhen, ihre Entwicklung daraus allein aber nicht erklärt werden kann, geht das auch bei den Wissenschaften nicht, und auch nicht bei den Modellen und Theorien, die Wissenschaftler aufstellen. Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
helmut Geschrieben 24. Juni 2010 Melden Share Geschrieben 24. Juni 2010 es ist eine schei.diskussion. ich habe nichts zu meckern und auf grund meiner intellektuellen beschränktheit nichts beizutragen. Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
2dy4 Geschrieben 24. Juni 2010 Melden Share Geschrieben 24. Juni 2010 (bearbeitet) Was die Evolutionäre Erkenntnistheorie angeht, ist mir bis heute nicht klar, was genau damit eigentlich gemeint sein soll. Ähnlich wie beim Emergenzbegriff würde ich sagen: Bei einem bestimmten Verständnis der EE ist sie trivialerweise richtig, bei einem anderen Verständnis ist sie nicht trivial, aber dafür vermutlich falsch. Richtig und trivial ist die These, dass unser gesamter Erkenntnisapparat - unsere Wahrnehmung, unsere Vernunft, unser Gedächtnis - durch biologische Evolution entstanden ist. Abgesehen von den wenigen Dualisten, die es noch gibt, wüsste ich keinen Philosophen, der das bestreiten würde, und in diesem schwachen Sinn ist also fast jeder ein Anhänger der EE. Für problematisch halte ich die EE jedoch, wenn sie auf eine der folgenden beiden Thesen hinauslaufen sollte: EE1) "Erkenntnis funktioniert beim Menschen genauso wie bei (selbst primitiven) Tieren". EE2) "Die Entwicklung wissenschaftlicher Theorien funktioniert genauso wie die biologische Evolution." Beide Thesen sind m.E. falsch. Es ist zwar richtig, dass es zwischen der Erkenntnisweise einer Fliege und der eines Menschen Parallelen gibt, ebenso wie es zwischen der biologischen Evolution und der Evolution unserer Theorien Parallelen gibt, aber es gibt auch erhebliche Unterschiede, die bei einer strikten Gleichsetzung ignoriert werden. Ein wichtiger Unterschied zwischen biologischer Evolution und Wissenschaftsgeschichte ist zum Beispiel, dass biologische Mutationen gänzlich zufällig sind, während die Entwicklung neuer Theorien ein gezielter Prozess ist, der bestimmen Regeln - den Regeln der Induktion - folgt. Für problematisch halte ich auch die Behauptung, dass apriorische Erkenntnisse wie die Aussagen der Logik das Ergebnis von Jahrmillionenjahrelanger evolutionärer Erfahrung sind. Das kann nur falsch sein, weil Logik und Mathematik keinerlei Erfahrungen beinhalten. Außerdem wird hier m.E. der Unterschied zwischen Geltungsgründen und Genese ignoriert. Genau. Das deckt sich mit dem, was ich oben in der zweiten Hälfte meines Beitrags (Nr. 438, ab: "Mir ist schleierhaft, wieso die alte Einsicht Kants rückgängig gemacht werden soll ...") meinte. bearbeitet 24. Juni 2010 von 2dy4 Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Sokrates Geschrieben 24. Juni 2010 Melden Share Geschrieben 24. Juni 2010 (bearbeitet) Für problematisch halte ich die EE jedoch, wenn sie auf eine der folgenden beiden Thesen hinauslaufen sollte: EE1) "Erkenntnis funktioniert beim Menschen genauso wie bei (selbst primitiven) Tieren". EE2) "Die Entwicklung wissenschaftlicher Theorien funktioniert genauso wie die biologische Evolution." Beide Thesen sind m.E. falsch. Es ist zwar richtig, dass es zwischen der Erkenntnisweise einer Fliege und der eines Menschen Parallelen gibt, ebenso wie es zwischen der biologischen Evolution und der Evolution unserer Theorien Parallelen gibt, aber es gibt auch erhebliche Unterschiede, die bei einer strikten Gleichsetzung ignoriert werden. Ein wichtiger Unterschied zwischen biologischer Evolution und Wissenschaftsgeschichte ist zum Beispiel, dass biologische Mutationen gänzlich zufällig sind, während die Entwicklung neuer Theorien ein gezielter Prozess ist, der bestimmen Regeln - den Regeln der Induktion - folgt. Ich bin bereit, diese beiden Thesen zu verteidigen. Wenn auch vielleicht nicht die "flachen" Thesen, wie sie manchmal von EE-Theoretikern zu hören sind. (Vollmer zum Beispiel ist mir zum Beispiel zu "flach" insofern, als der einem, wie Dennett es nennt, "Greedy Reductionism" zu huldigen scheint, der keine Emergenz anerkennt). Ich halte die These, Theorien seien ein Prozess, der "induktiven Regeln" folgt, für nicht haltbar. "Induktion" ist bestenfalls eine Heuristik, die oft klappt, aber oft eben auch falsche Hypothesen erzeugt. Damit wäre "Induktion" im Sinne Dennetts ein "Kran", ein hochentwickeltes Werkzeug der Evolution im Raum des Geistes. Dieser "Raum des Geistes", wie ich ihn jetzt mal nenne, ist eine emergente Hervorbringung des menschlichen Gehirns, das natürlich im sonstigen Tierreich nicht vorkommt, und das den Menschen vom Tier unterscheidet. Für problematisch halte ich auch die Behauptung, dass apriorische Erkenntnisse wie die Aussagen der Logik das Ergebnis von Jahrmillionenjahrelanger evolutionärer Erfahrung sind. Das kann nur falsch sein, weil Logik und Mathematik keinerlei Erfahrungen beinhalten. Außerdem wird hier m.E. der Unterschied zwischen Geltungsgründen und Genese ignoriert. "Apriorische Erkenntnisse wie die Aussagen der Logik" sind Fakten innerhalb des "Raumes des Geistes", die man entdecken kann, wie man die Gesetze der Himmelmechanik entdecken kann. Sie sind insofern "apriori", als sie eine unvermeidliche Konsequenz der Tatsache sind, dass man irgendwann eine Sprache erfunden hat, die Sachverhalte darstellt und den Anspruch erhebt, solche Sachverhalte korrekt darzustellen (sogenannte "wahre Aussagen"). Sie sind insofern "genetisch a posteriori", als es sie nur gibt, weil es menschliche Gehirne gibt, die so ticken, wie sie ticken. Sie sind erkenntnistheoretisch "a priori" insofern, als sie unvermeidlich da sind, sobald man eine Sprache hat, die es erlaubt, "wahre" Aussagen zu machen. Das war jetzt sehr kurz und vermutlich nicht gut genug dargestellt, ich werde meine Ideen gerne im Diskurs weiter entwickeln. Vielleicht noch ein mathematisches Beispiel, das den Gedanken illustriert: Von Kronecker gibt es den Satz: "Die natürlichen Zahlen hat der liebe Gott gemacht, alles andere ist Menschenwerk". Ich glaube, es ist genau anders rum: Die natürlichen Zahlen sind eine Erfindung des menschlichen Gehirns (als Abstraktion dessen, was "5 Äpfel", "5 Schafe", "5 Freunde" und "5 Feinde" gemeinsam haben, nämlich die Zahl "5"). Sobald man diese Zahlen erfunden hatte, gibt es jede Menge an tatsächlichen und wahren Konsequenzen daraus. Zum Beipiel die Tatsache, dass es Primzahlen gibt, dass es unendliche viele natürliche Zahlen gibt und dass es unendlich viele Primzahlen gibt, usw. All diese Eigenschaften zu entdecken, das ist nun wiederum ein evolutionärer Vorgang. Und noch ein Beispiel, wie sich Mathematiker über die Induktion lustig machen: Hypothese: Alle ungeraden Zahlen sind Primzahlen". Beweis durch Induktion: 3 ist eine Primzahl, 5 ist eine Primzahl, 7 ist eine Primzahl. 9 ist ein Messfehler. 11 ist eine Primzahl. 13 ist eine Primzahl. usw. usf. bearbeitet 24. Juni 2010 von Sokrates Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Julian A. Geschrieben 24. Juni 2010 Melden Share Geschrieben 24. Juni 2010 Für problematisch halte ich die EE jedoch, wenn sie auf eine der folgenden beiden Thesen hinauslaufen sollte: EE1) "Erkenntnis funktioniert beim Menschen genauso wie bei (selbst primitiven) Tieren". EE2) "Die Entwicklung wissenschaftlicher Theorien funktioniert genauso wie die biologische Evolution." Beide Thesen sind m.E. falsch. Es ist zwar richtig, dass es zwischen der Erkenntnisweise einer Fliege und der eines Menschen Parallelen gibt, ebenso wie es zwischen der biologischen Evolution und der Evolution unserer Theorien Parallelen gibt, aber es gibt auch erhebliche Unterschiede, die bei einer strikten Gleichsetzung ignoriert werden. Ein wichtiger Unterschied zwischen biologischer Evolution und Wissenschaftsgeschichte ist zum Beispiel, dass biologische Mutationen gänzlich zufällig sind, während die Entwicklung neuer Theorien ein gezielter Prozess ist, der bestimmen Regeln - den Regeln der Induktion - folgt. Ich bin bereit, diese beiden Thesen zu verteidigen. Wenn auch vielleicht nicht die "flachen" Thesen, wie sie manchmal von EE-Theoretikern zu hören sind. (Vollmer zum Beispiel ist mir zum Beispiel zu "flach" insofern, als der einem wie Dennett es nennt "Greedy Reductionism" zu huldigen scheint. Ich halte die These, Theorien seien ein Prozess, der "induktiven Regeln" folgt, für nicht haltbar. "Induktion" ist bestenfalls eine Heuristik, die oft klappt, aber oft eben auch falsche Hypothesen erzeugt. Natürlich ist Induktion eine fehlbare Methode, die oft falsche Theorien produziert, aber das gilt für die Wissenschaft überhaupt, zeigt also nicht, dass Induktion kein wesentlicher Bestandteil unserer Erkenntnisbemühungen ist. Was ich mit Induktion meine, ist unsere Neigung, der Natur möglichst einfache, gleichbleibende Gesetze und Muster zu unterstellen, ohne dass sich diese Erwartung logisch rechtfertigen ließe. Ohne diese Neigung würden wir vermutlich niemals funktionierende Theorien produzieren, weil uns nicht mal die Feststellung, dass die letzten 500 Kupferstücke Strom geleitet haben, zu der Annahme verleiten würde, dass alle Kupferstücke Strom leiten und dass sie es auch morgen noch tun werden. Das induktive Denken liegt wirklich auf dem Grunde unserer theoretischen Vernunft und ohne induktives Vorgehen wären wir nicht mal lebensfähig. Der Glaube an einfache und gleichbleibende Gesetze ist sozusagen der unhintergehbare, unbegründbare Glaube, auf dem alle Wissenschaft beruht. Natürlich ist die Entstehung des induktiven Denkens evolutionär erklärbar. Induktion ist, wenn du unbedingt wieder diese Metapher bemühen willst, ein von der Evolution erzeugter Kran. Aber ein Kran funktioniert nicht unbedingt genauso wie der "Baumeister" des Krans, und das ist der Punkt, auf den ich hinaus wollte: Die biologische Evolution funktioniert durch regellose Veränderung unseres Erbguts. Die Erzeugung und Veränderung unserer Theorien geschieht dagegen nicht blind, sondern ist von Regeln und Maximen bestimmt, die die Willkür des Theoretisierens beschränken. Dieser "Raum des Geistes", wie ich ihn jetzt mal nenne, ist eine emergente Hervorbringung des menschlichen Gehirns, das natürlich im sonstigen Tierreich nicht vorkommt, und das den Menschen vom Tier unterscheidet. Naja, es gibt natürlich Parallelen zwischen dem wissenschaftlichen Lernen eines Menschen und dem Lernen eines Schimpansen. Auch der Schimpanse geht bereits induktiv vor. Der Geist ist nichts, was plötzlich aufgetaucht ist, sondern er hat sich vom Einzeller bis zum Menschen graduell entwickelt. Damit hat die EE schon recht. Nur sind im Zuge dieser graduellen Entwicklung sehr interessante Unterschiede entstanden. Man muss hier einfach die beiden Extreme meiden: Die Behauptung, dass der menschliche Geist ein die Biologie transzendierendes sui-generis-Phänomen sei, ist genauso falsch wie die Behauptung, menschliche Erkenntnis würde im Prinzip genauso wie Amöben-Erkenntnis funktionieren. "Apriorische Erkenntnisse wie die Aussagen der Logik" sind Fakten innerhalb des "Raumes des Geistes", die man entdecken kann, wie man die Gesetze der Himmelmechanik entdecken kann. Sie sind insofern "apriori", als sie eine unvermeidliche Konsequenz der Tatsache sind, dass man irgendwann eine Sprache erfunden hat, die Sachverhalte darstellt und den Anspruch erhebt, solche Sachverhalte korrekt darzustellen (sogenannte "wahre Aussagen"). Sie sind insofern "genetisch a posteriori", als es sie nur gibt, weil es menschliche Gehirne gibt, die so ticken, wie sie ticken. Sie sind erkenntnistheoretisch "a priori" insofern, als sie unvermeidlich da sind, sobald man eine Sprache hat, die es erlaubt, "wahre" Aussagen zu machen. "Apriorische Erkenntnisse wie die Aussagen der Logik" sind Fakten innerhalb des "Raumes des Geistes", die man entdecken kann, wie man die Gesetze der Himmelmechanik entdecken kann. Sie sind insofern "apriori", als sie eine unvermeidliche Konsequenz der Tatsache sind, dass man irgendwann eine Sprache erfunden hat, die Sachverhalte darstellt und den Anspruch erhebt, solche Sachverhalte korrekt darzustellen (sogenannte "wahre Aussagen"). Sie sind insofern "genetisch a posteriori", als es sie nur gibt, weil es menschliche Gehirne gibt, die so ticken, wie sie ticken. Sie sind erkenntnistheoretisch "a priori" insofern, als sie unvermeidlich da sind, sobald man eine Sprache hat, die es erlaubt, "wahre" Aussagen zu machen. Das war jetzt sehr kurz und vermutlich nicht gut genug dargestellt, ich werde meine Ideen gerne im Diskurs weiter entwickeln. Vielleicht noch ein mathematisches Beispiel, das den Gedanken illustriert: Von Kronecker gibt es den Satz: "Die natürlichen Zahlen hat der liebe Gott gemacht, alles andere ist Menschenwerk". Ich glaube, es ist genau anders rum: Die natürlichen Zahlen sind eine Erfindung des menschlichen Gehirns (als Abstraktion dessen, was "5 Äpfel", "5 Schafe", "5 Freunde" und "5 Feinde" gemeinsam haben, nämlich die Zahl "5"). Sobald man diese Zahlen erfunden hatte, gibt es jede Menge an tatsächlichen und wahren Konsequenzen daraus. Zum Beipiel die Tatsache, dass es Primzahlen gibt, dass es unendliche viele natürliche Zahlen gibt und dass es unendlich viele Primzahlen gibt, usw. All diese Eigenschaften zu entdecken, das ist nun wiederum ein evolutionärer Vorgang. Die Schwierigkeit besteht hier wohl darin, dass Logik und Mathematik einerseits tatsächlich Werkzeuge sind, die von der Evolution hervorgebracht wurden, dass aber andererseits die Wahrheiten der Logik und Mathematik vom menschlichen Geist und von der Naturgeschichte des Menschen völlig unabhängig zu sein scheinen. "5+8=13" wären in einem gewissen Sinne auch dann wahr, wenn die Natur ganz anders beschaffen wäre, und ebenso ein logischer Satz wie "(∀x(Fx→Gx) & Fa)→Ga". Das Problem ist also, die historische Zufälligkeit von Logik und Mathematik vor dem Hintergrund der Evolution des Menschen mit ihrer offensichtlichen Notwendigkeit und Unabhängigkeit von empirischen Fakten zusammenzubringen. Ich glaube, den Schlüssel liefert folgender Satz von Wittgenstein: An unseren Notationen ist zwar etwas willkürlich, aber das ist nicht willkürlich: Dass, wenn wir etwas willkürlich bestimmt haben, dann etwas anderes der Fall sein muss. In der Logik ist das ganz klar: Es ist willkürlich, dass wir die Zeichen "→" und "~" durch Wahrheitstafel auf bestimmte Weise definiert haben. Aber es ist nicht willkürlich, sondern in einem über-empirischen Sinne notwendig, dass, wenn wir die Definition so getroffen haben, der Satz "(p→q)→(~q→~p)" wahr sein muss. Selbst bei einem Spiel wie Schach ist es ähnlich. Es ist ein historischer Zufall, dass Schach überhaupt entstanden ist und dass die Regeln auf diese ganz spezielle Weise festgelegt wurden. Aber es ist nicht zufällig, dass, wenn wir das "Schach-Kalkül" einmal auf diese Weise bestimmt haben, feststeht, welche Züge und Partien in diesem Kalkül möglich sind. Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Lamarck Geschrieben 24. Juni 2010 Melden Share Geschrieben 24. Juni 2010 Hi Julian A.! Das ist ein interessanter Glaubenssatz, und umstritten. Die höheren Bereiche sind mit den niederen verschränkt, also gibt es zahlreiche Überschneidungen und keine komplette Unabhängigkeit. Dass es Emergenz gibt, das auf höheren Ebenen überraschende Eigenschaften auftreten, ist auch innerhalb der EE nicht umstritten Ich halte "Emergenz" für ein ausgesprochenes Wuselwort. Je nachdem, was man darunter versteht, ist die Emergenzthese entweder trivial oder sehr problematisch. Trivial ist, dass komplexe Systeme Eigenschaften besitzen, die die Komponenten, aus denen das System besteht, nicht besitzen. Ein einzelnes H2O-Molekül ist nicht feucht, ein Elektron besitzt keine Temperatur, und eine Aminosäure ist nicht lebendig. Das ist banal. Extrem fragwürdig ist aber die stärkere Emergenzthese, die besagt, dass komplexe Systeme Eigenschaften besitzen, die sich selbst aus allen Tatsachen über die "untere Ebene" nicht ableiten lassen. Diese These halte ich für geradezu esotersisch, auf jeden Fall ist sie mit einem Physikalismus unvereinbar. "Emergenz" ist ein Modewort, das dem Naturalismus ein bisschen die Schärfe und Radikalität nehmen soll. Man muss sich aber genaue Gedanken darüber machen, was mit "Emergenz" überhaupt gemeint ist, und ob der Glaube an (echte) Emergenz nicht auf einen unwissenschaftlichen Dualismus hinausläuft. Emergenz := Entstehung neuer Systemeigenschaften. Konrad Lorenz nennt dies Fulguration: "Wenn z. B. zwei voneinander unabhängige Systeme zusammengeschaltet werden, wie das nebenstehend abgebildete, dem Buche von Bernhard Hassenstein entnommene einfache elektrische Modell dies veranschaulicht, so entstehen damit schlagartig völlig neue Systemeigenschaften, die vorher nicht, und zwar auch nicht in Andeutungen, vorhanden gewesen waren." Lorenz, Konrad (1973): Die Rückseite des Spiegels. Versuch einer Naturgeschichte menschlichen Erkennens. S. 48. Wie leitest Du übrigens aus den Eigenschaften eines Elements Systemeigenschaften ab? - Du hast bei Deinen Beispielen übersehen, dass Du hierbei schon rückblickend, d. h. aus Systemsicht, interpretierst. Cheers, Lamarck Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Julian A. Geschrieben 24. Juni 2010 Melden Share Geschrieben 24. Juni 2010 (bearbeitet) hallo, Hi Julian A.! Das ist ein interessanter Glaubenssatz, und umstritten. Die höheren Bereiche sind mit den niederen verschränkt, also gibt es zahlreiche Überschneidungen und keine komplette Unabhängigkeit. Dass es Emergenz gibt, das auf höheren Ebenen überraschende Eigenschaften auftreten, ist auch innerhalb der EE nicht umstritten Ich halte "Emergenz" für ein ausgesprochenes Wuselwort. Je nachdem, was man darunter versteht, ist die Emergenzthese entweder trivial oder sehr problematisch. Trivial ist, dass komplexe Systeme Eigenschaften besitzen, die die Komponenten, aus denen das System besteht, nicht besitzen. Ein einzelnes H2O-Molekül ist nicht feucht, ein Elektron besitzt keine Temperatur, und eine Aminosäure ist nicht lebendig. Das ist banal. Extrem fragwürdig ist aber die stärkere Emergenzthese, die besagt, dass komplexe Systeme Eigenschaften besitzen, die sich selbst aus allen Tatsachen über die "untere Ebene" nicht ableiten lassen. Diese These halte ich für geradezu esotersisch, auf jeden Fall ist sie mit einem Physikalismus unvereinbar. "Emergenz" ist ein Modewort, das dem Naturalismus ein bisschen die Schärfe und Radikalität nehmen soll. Man muss sich aber genaue Gedanken darüber machen, was mit "Emergenz" überhaupt gemeint ist, und ob der Glaube an (echte) Emergenz nicht auf einen unwissenschaftlichen Dualismus hinausläuft. Emergenz := Entstehung neuer Systemeigenschaften. Konrad Lorenz nennt dies Fulguration: "Wenn z. B. zwei voneinander unabhängige Systeme zusammengeschaltet werden, wie das nebenstehend abgebildete, dem Buche von Bernhard Hassenstein entnommene einfache elektrische Modell dies veranschaulicht, so entstehen damit schlagartig völlig neue Systemeigenschaften, die vorher nicht, und zwar auch nicht in Andeutungen, vorhanden gewesen waren." Lorenz, Konrad (1973): Die Rückseite des Spiegels. Versuch einer Naturgeschichte menschlichen Erkennens. S. 48. Wie leitest Du übrigens aus den Eigenschaften eines Elements Systemeigenschaften ab? - Du hast bei Deinen Beispielen übersehen, dass Du hierbei schon rückblickend, d. h. aus Systemsicht, interpretierst. Also dass ein System Eigenschaften besitzt, die die Komponenten des Systems nicht besitzen, ist, wie gesagt, klar. Eine Aminosäure ist nicht am Leben, aber wenn man ganz viele Aminosäuren und anderes Zeug auf bestimmte Weise verbindet, bekommt man eine Entität, die lebendig ist. Auch "Feuchtigkeit" ist eine Eigenschaft, die keinem einzelnen H2O-Molekül zukommt, sondern nur größeren H2O-Mengen. Trotzdem glaube ich folgendes: Wenn wir die Naturgesetze und die Eigenschaften der Komponenten vollständig kennen, dann können wir prinzipiell auch vorhersagen, welche Systemeigenschaften eine beliebige Zusammensetzung der Komponenten besitzt. Wenn jemand die Eigenschaften eines H2O-Moleküls genau kennt und auch die dazugehörigen Naturgesetze, dann kann er vorhersagen, wie sich ein Regentropfen verhält. Wenn jemand die physikalischen Eigenschaften von Uhr-Bauteilen genau kennt, dann könnte er auch vorhersagen, dass sich eine spezielle Konfiguration dieser Bauteile wie eine Uhr verhalten würde. Es könnte natürlich sein, dass ich damit falsch liege. Vielleicht zeigen die Komponenten, wenn sie auf bestimmte Weise zusammengebracht werden, ein ganz neuartiges Verhalten. Aber der entscheidende Punkt ist: Auch dann sind das Eigenschaften, die das Verhalten der Komponenten betreffen, also auch schon auf der "unteren Ebene" vorhanden sind. Vielleicht verhalten sich Elementarteilchen auf besondere Weise, wenn sie zu einem Lebewesen verbunden sind, aber trotzdem ist das das Verhalten von Elementarteilchen, also eine Tatsache auf der unteren Ebene. Deshalb halte ich Emergenz als eine Selbstständigkeit der oberen Ebene gegenüber der unteren für Unsinn. bearbeitet 24. Juni 2010 von Julian A. Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
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