Jump to content

''Der Gotteswahn'' von Richard Dawkins


NOTaROBOT

Recommended Posts

Was ich mit Induktion meine, ist unsere Neigung, der Natur möglichst einfache, gleichbleibende Gesetze und Muster zu unterstellen, ohne dass sich diese Erwartung logisch rechtfertigen ließe. Ohne diese Neigung würden wir vermutlich niemals funktionierende Theorien produzieren, weil uns nicht mal die Feststellung, dass die letzten 500 Kupferstücke Strom geleitet haben, zu der Annahme verleiten würde, dass alle Kupferstücke Strom leiten und dass sie es auch morgen noch tun werden. Das induktive Denken liegt wirklich auf dem Grunde unserer theoretischen Vernunft und ohne induktives Vorgehen wären wir nicht mal lebensfähig. Der Glaube an einfache und gleichbleibende Gesetze ist sozusagen der unhintergehbare, unbegründbare Glaube, auf dem alle Wissenschaft beruht.

Darauf können wir uns einigen: Wir haben eingebaute ererbte Strategien, die es uns erlauben, neue Theorien zu erfinden. Das erkennen von Mustern ist dabei ein wichtiger Bestandteil dieser Strategien. Es gibt aber keinerlei "logische" Garantie, dass dabei immer "wahre" Theorien herauskommen.

 

Aber ein Kran funktioniert nicht unbedingt genauso wie der "Baumeister" des Krans, und das ist der Punkt, auf den ich hinaus wollte: Die biologische Evolution funktioniert durch regellose Veränderung unseres Erbguts. Die Erzeugung und Veränderung unserer Theorien geschieht dagegen nicht blind, sondern ist von Regeln und Maximen bestimmt, die die Willkür des Theoretisierens beschränken.

Ich denke, dass du da ein falsches Bild der biologischen Evolution hast. Ich habe da jetzt keine expliziten Belege dafür, aber ich bin sicher, dass die Evolution alles andere als regellos verläuft. Es gibt Mechanismen, die an manchen Stellen das Erbgut gegen jede Veränderung schützen, an anderen wird Mutation explizit zugelassen. Ich mache jede Wette, dass im Genom ganz "ausgeklügelte" Strategien vorhanden sind, wie man ein bestehendes Lebewesen möglichst erfolgreich weiterentwickeln kann. (Ein Beispiel, das mir einfällt, ist die Entwicklung von Antibiotika-Resistenzen bei Bakterien). Ich unterstelle also, dass Mutationen im Genom in ähnlicher Weise nach heuristischen Strategien ablaufen, wie das bei Denkprozessen auch der Fall ist.

 

Naja, es gibt natürlich Parallelen zwischen dem wissenschaftlichen Lernen eines Menschen und dem Lernen eines Schimpansen. Auch der Schimpanse geht bereits induktiv vor.

Der entscheidende Unterschied ist die begriffliche Sprache des Menschen, die einen wesentlich komplexeren "Problemraum" schafft. Einen Problemraum, der sich komplett von der äußeren Welt abkapseln kann (und solche Dinge diskutieren kann, wie viele Engel auf einer Nadelspitze tanzen können). Ein Schimpanse dagegen ist weitestgehend an seine reale Umgebung gebunden. Ich denke, dass "Induktion" ein zwar wichtiger, aber doch nur kleiner und relativ primitiver Teilaspekt der menschlichen Problemlösungskompetenz ist (eine Form von "Mustererkennung"). Die eigentliche Kompetenz besteht darin, mit hochentwickelten geistigen Werkzeugen ziemlich frei auf unseren Memen herumoperieren zu können (die FReiheit nur eingeschränkt durch die "innerre Notwendigkeit" unserer Konstrukte, siehe weiter unten).

 

Der Geist ist nichts, was plötzlich aufgetaucht ist, sondern er hat sich vom Einzeller bis zum Menschen graduell entwickelt. Damit hat die EE schon recht. Nur sind im Zuge dieser graduellen Entwicklung sehr interessante Unterschiede entstanden. Man muss hier einfach die beiden Extreme meiden: Die Behauptung, dass der menschliche Geist ein die Biologie transzendierendes sui-generis-Phänomen sei, ist genauso falsch wie die Behauptung, menschliche Erkenntnis würde im Prinzip genauso wie Amöben-Erkenntnis funktionieren.

 

Ich behaupte genau das: Menschliche Erkenntnis funktioniert genau so wie Amöben-Erkenntnis. Der Unterschied besteht einzig und alleine darin, dass der "Problemraum" ein vollkommen anderer ist. Der "Problemraum" des Menschen ist wesentlich komplexer als der der Amöbe. Aus diesem Grunde sind die Strategien komplexer. Kennst Du das Buch "Darwin's Dangerous Idea" von Daniel Dennett? Da wird das m.E. hervorragend erklärt. Das Buch ist ein "Muss", wenn dich diese Thematik interessiert.

 

In der Logik ist das ganz klar: Es ist willkürlich, dass wir die Zeichen "→" und "~" durch Wahrheitstafel auf bestimmte Weise definiert haben. Aber es ist nicht willkürlich, sondern in einem über-empirischen Sinne notwendig, dass, wenn wir die Definition so getroffen haben, der Satz "(p→q)→(~q→~p)" wahr sein muss.

Genau meine Rede und in der Tat auch wie beim Schach: Wenn man Regeln in einer bestimmten Weise aufgestellt hat, dann ergeben sich gewisse Resultate automatisch, zwangsläufig und unausweichlich. Das unterscheidet sich aber überhaupt nicht von den Gesetzen der Physik (*) oder denen der Evolutionsbiologie, dort ist das genau so. Nur ist eben der "Problemraum" unterschiedlich beschaffen. Daher auch mein Beispiel: Die Existenz von Primzahlen folgt zwingend als Konsequenz aus dem "willkürlichen" Faktum, wie die Natürlichen Zahlen definiert sind.

 

(*) Der Physiker und Nobelpreisträger Robert B. Laughlin postuliert so etwas sogar schon für die Naturgesetze, also für die Physik. Das Buch heißt: Abschied von der Weltformel.

bearbeitet von Sokrates
Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Hi Julian A.!

 

 

Was die Evolutionäre Erkenntnistheorie angeht, ist mir bis heute nicht klar, was genau damit eigentlich gemeint sein soll. Ähnlich wie beim Emergenzbegriff würde ich sagen: Bei einem bestimmten Verständnis der EE ist sie trivialerweise richtig, bei einem anderen Verständnis ist sie nicht trivial, aber dafür vermutlich falsch.

 

Richtig und trivial ist die These, dass unser gesamter Erkenntnisapparat - unsere Wahrnehmung, unsere Vernunft, unser Gedächtnis - durch biologische Evolution entstanden ist. Abgesehen von den wenigen Dualisten, die es noch gibt, wüsste ich keinen Philosophen, der das bestreiten würde, und in diesem schwachen Sinn ist also fast jeder ein Anhänger der EE.

 

Für problematisch halte ich die EE jedoch, wenn sie auf eine der folgenden beiden Thesen hinauslaufen sollte:

 

EE1) "Erkenntnis funktioniert beim Menschen genauso wie bei (selbst primitiven) Tieren".

 

EE2) "Die Entwicklung wissenschaftlicher Theorien funktioniert genauso wie die biologische Evolution."

 

Beide Thesen sind m.E. falsch. Es ist zwar richtig, dass es zwischen der Erkenntnisweise einer Fliege und der eines Menschen Parallelen gibt, ebenso wie es zwischen der biologischen Evolution und der Evolution unserer Theorien Parallelen gibt, aber es gibt auch erhebliche Unterschiede, die bei einer strikten Gleichsetzung ignoriert werden.

 

Die EE macht im Wesentlichen drei Aussagen:

 

1. Erkenntnisapparate sind Ergebnisse der Evolution

2. Subjektive Erkenntnisstrukturen passen insofern auf die Welt, als diese Anpassungen einer Spezies an ihrer Umgebung sind.

3. Diese Übereinstimmung von Erkenntnisstruktur und Erkenntnisumgebung bildet in Näherung einen positiven Einfluss auf das Überleben

 

 

Die Relevanz des obigen wird sofort klar, wenn man sich überlegt, was der Nutzen von Wissen ist: Die Erkenntnis, wie sich die Dinge vorhersagbar verhalten. Und auch hier tritt Emergenz auf: Ich kann nicht sagen, ob mir spezifisches Wissen tatsächlich irgendwann in irgendeiner Weise nützt - ich kann nur allgemein von dessen Nützlichkeit ausgehen.

 

Der menschliche Erkenntnisapparat steht mit seinem Erkenntnisgegenstand in analoger Beziehung wie die Fischflosse zum Wasser oder der Vogelflügel zur Luft (Übrigens eine asymmetrische (= emergente!) Beziehung: Aus den Eigenschaften von Flosse bzw. Flügel lassen sich Rückschlüsse auf die Eigenschaften des Mediums ziehen; umgekehrt gelingt dies jedoch nicht).

 

 

 

 

Ein wichtiger Unterschied zwischen biologischer Evolution und Wissenschaftsgeschichte ist zum Beispiel, dass biologische Mutationen gänzlich zufällig sind, während die Entwicklung neuer Theorien ein gezielter Prozess ist, der bestimmen Regeln - den Regeln der Induktion - folgt.

 

Erkläre mir doch einmal genau, wie Du zu einer Idee, einem Geistes-"Fulgur" kommst ... .

 

Dein gezielter Prozess heißt nicht Induktion, sondern genauer Versuch & Irrtum ... .

 

 

 

 

Für problematisch halte ich auch die Behauptung, dass apriorische Erkenntnisse wie die Aussagen der Logik das Ergebnis von Jahrmillionenjahrelanger evolutionärer Erfahrung sind. Das kann nur falsch sein, weil Logik und Mathematik keinerlei Erfahrungen beinhalten. Außerdem wird hier m.E. der Unterschied zwischen Geltungsgründen und Genese ignoriert.

 

Auch in der Mathematik gibt es offensichtlich einen Wissenszuwachs. Wo kommt der her? Steckt im kleinen 1x1 etwa der Homunculus der höheren Mathematik? Warum kannten die Römer nicht die Null und warum sind die römischen Zahlzeichen nicht für Gleitkommaoperationen geeignet? Angeborenes Logikvermögen ist so gesehen evolutionäre Erfahrung.

 

 

 

 

 

Cheers,

 

Lamarck

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Darauf können wir uns einigen: Wir haben eingebaute ererbte Strategien, die es uns erlauben, neue Theorien zu erfinden. Das erkennen von Mustern ist dabei ein wichtiger Bestandteil dieser Strategien. Es gibt aber keinerlei "logische" Garantie, dass dabei immer "wahre" Theorien herauskommen.

Richtig.

 

Ich denke, dass du da ein falsches Bild der biologischen Evolution hast. Ich habe da jetzt keine expliziten Belege dafür, aber ich bin sicher, dass die Evolution alles andere als regellos verläuft. Es gibt Mechanismen, die an manchen Stellen das Erbgut gegen jede Veränderung schützen, an anderen wird Mutation explizit zugelassen. Ich mache jede Wette, dass im Genom ganz "ausgeklügelte" Strategien vorhanden sind, wie man ein bestehendes Lebewesen möglichst erfolgreich weiterentwickeln kann. (Ein Beispiel, das mir einfällt, ist die Entwicklung von Antibiotika-Resistenzen bei Bakterien). Ich unterstelle also, dass Mutationen im Genom in ähnlicher Weise nach heuristischen Strategien ablaufen, wie das bei Denkprozessen auch der Fall ist.

Das erscheint mir übertrieben. Es mag sein, dass bestimmte Teile des Genoms gegen Mutation geschützt sind (was letztlich aber auch das Ergebnis zufälliger Mutationen wäre), aber wenn eine Mutation geschieht, ist sie ein Zufallsprozess, und kein intentionaler Vorgang, der auf einer bewussten Antizipation des Resultats beruht. Die Erschaffung einer Theorie dagegen ist ein kreativer, bewusster, durch Maximen geregelter Vorgang.

 

An diesem grundsätzlichen planlos-nichtintentionalen Wesen der Mutation kann auch die Entdeckung, dass bestimmte Teile der DNA besser gegen Mutation geschützt sind, nichts ändern.

 

Ci denke, dass "Induktion" nur ein kleines und relativ primitiver Teilaspekt der menschlichen Problemlösungskompetenz ist. Die eigentliche Kompetenz besteht darin, mit hochentwickelten geistigen Werkzeugen ziemlich frei auf unseren Memen herumoperieren zu können.

Das sehe ich anders. Zumindest im Bereich der theoretischen Vernunft, also bei der Frage "Wie verhält es sich?" ist die Erwartung, Muster und einfache Gesetze zu finden, das Wesentliche.

 

Ich behaupte genau das: Menschliche Erkenntnis funktioniert genau so wie Amöben-Erkenntnis. Der Unterschied besteht einzig und alleine darin, dass der "Problemraum" ein vollkommen anderer ist.

Das halte ich für eine übertriebene Nivellierung der großen Unterschiede. Amöben besitzen kein begrifliches Denken, keine Auffassung von Kausalität, und sie erzeugen auch keine echten Theorien ihrer Umwelt, nicht mal in dem Sinne, in dem selbst ein Schimpanse dies tut. Erst recht besitzen Amöben keine Mathematik, keine Logik, kein echtes Gedächtnis, keine Reflexionsfähigkeit, keine Phantasie, um Gedankenexperimente anzustellen, keine Möglichkeit, Experimente durchzuführen usw. usw. Sie besitzen nicht mal die nötigen Konzepte, um eine Annahme darüber, was übermorgen passieren wird, zu fassen. Das hat alles nichts mit anderen Problemen zu tun, sondern mit einer ganz anderen Vorgehensweise.

 

Es gibt natürlich Parallelen zwischen der Proto-Erkenntnis einer Amöbe - oder sagen wir doch einfach: der einer Fliege - und der eines Menschen. Und so wie die Skelettstruktur tief im im historischen Bauplan des Menschen wurzelt, so wurzelt auch der induktive Verstand des Menschen tief in den Erkenntnisbemühungen unserer tierischen Vorfahren. Trotzdem sehe ich keinen Grund, die großen Unterschiede zu nivellieren. Man kann zum Beispiel die Geschichte der modernen Physik nicht mit den Begriffen beschreiben, mit denen man Amöben-"Erkenntnis" beschreibt.

bearbeitet von Julian A.
Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Dein gezielter Prozess heißt nicht Induktion, sondern genauer Versuch & Irrtum ...

 

Nein. Wäre es ein bloßes Versuchen, dann wäre es ein unerklärlicher Zufall, dass wir überhaupt zu funktionierenden Theorien gelangen.

 

 

Denn es ist ja so: Zu jeder Menge von Beobachtungsdaten E gibt es eine unendliche Menge T aus Theorien, die mit E konsistent sind. Wäre nun die Auswahl einer Theorie ein blindes Versuchen, dann wäre jedes Element aus T, das mit unserer bisherigen Beobachtung konsistent ist, legitim. Tatsächlich halten wir aber nur eine winzige Teilmenge von T für relevant. Und die Auswahl beruht auf den Maximen der Induktion.

 

Zum Beispiel würden wir keine Theorie akzeptieren, die für das Jahr 2023 einen komplette Zusammenbruch der Naturgesetze vorsieht, obwohl diese Theorie mit unserer bisherigen Beobachtung kompatibel ist. Oder: Wenn wir feststellen, dass Zynkali bisher jeden Menschen umgebracht hat, wir aber bisher nur Menschen am Wochenende vergiftet haben, dann würden wir nicht die Theorie aufstellen, dass Zynkali unter der Woche ungiftig ist, obwohl diese Annahme zu der bisherigen Boebachtung passt, also im Sinne eines blinden "Versuch und Irrtum" zulässig wäre. Daran sehen wir, dass Theoretisieren kein blindes Herumprobieren ist, sondern ein intelligenter Prozess.

 

 

Auch in der Mathematik gibt es offensichtlich einen Wissenszuwachs. Wo kommt der her? Steckt im kleinen 1x1 etwa der Homunculus der höheren Mathematik?

Der Wissenszuwachs ergibt sich daraus, dass wir neue Implikationen eines schon vorhandenen Systems entdecken.

bearbeitet von Julian A.
Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Das erscheint mir übertrieben. Es mag sein, dass bestimmte Teile des Genoms gegen Mutation geschützt sind (was letztlich aber auch das Ergebnis zufälliger Mutationen wäre), aber wenn eine Mutation geschieht, ist sie ein Zufallsprozess, und kein intentionaler Vorgang, der auf einer bewussten Antizipation des Resultats beruht. Die Erschaffung einer Theorie dagegen ist ein kreativer, bewusster, durch Maximen geregelter Vorgang.

 

An diesem grundsätzlichen planlos-nichtintentionalen Wesen der Mutation kann auch die Entdeckung, dass bestimmte Teile der DNA besser gegen Mutation geschützt sind, nichts ändern.

Ich glaube, dass die "Bewusstheit" bei der Kreativität vollkommen überschätzt wird. Es ist das falsche Bild, das wir durch Introspektion über unsere vermeintlichen Denkvorgänge erhalten. Vermutlich ist es so, dass Milliarden und Abermilliarden Hypothesen simultan in unserem Gehirn "gerechnet" werden, und nur die besten davon kommen durch die eingebauten Filter "ins Bewusstsein". Zu diesen Vorgängen hat unsere Introspektion keinerlei Zugang. Wir können sie nur durch Messungen und Experimente erschließen.

 

Ich behaupte genau das: Menschliche Erkenntnis funktioniert genau so wie Amöben-Erkenntnis. Der Unterschied besteht einzig und alleine darin, dass der "Problemraum" ein vollkommen anderer ist.

Das halte ich für eine übertriebene Nivellierung der großen Unterschiede. Amöben besitzen kein begriffliches Denken, keine Auffassung von Kausalität, und sie erzeugen auch keine echten Theorien ihrer Umwelt, nicht mal in dem Sinne, in dem selbst ein Schimpanse dies tut. Erst recht besitzen Amöben keine Mathematik, keine Logik, kein echtes Gedächtnis, keine Reflexionsfähigkeit, keine Phantasie, um Gedankenexperimente anzustellen, keine Möglichkeit, Experimente durchzuführen usw. usw. Sie besitzen nicht mal die nötigen Konzepte, um eine Annahme darüber, was übermorgen passieren wird, zu fassen. Das hat alles nichts mit anderen Problemen zu tun, sondern mit einer ganz anderen Vorgehensweise.

Zur Begründung und Präzisierung, warum es "nur" der Problemraum ist, auf den es ankommt (und dass dies die Unterschiede keinesfalls nivelliert), möchte ich vier Begriffe einführen, die ich von Dennett übernommen habe, und die eine aufsteigende "Hierarchie der Komplexität der Erkenntnis und des Erkenntnisraumes" darstellt:

 

Stufe I: Darwinsche Geschöpfe. Sie werden durch genetische

Programmierung (genetische Mutation und Selektion) gesteuert.

 

Stufe II: Skinnersche Geschöpfe. Hier kommt epigenetisches Lernen

durch Konditionierung hinzu, wie im Assoziationismus (Hume) –

Behaviorismus (Skinner) – Konnektionismus (Churchland).

 

Stufe III: Poppersche Geschöpfe. Hier findet sich darüber hinaus imaginale

mentale Repräsentation und innere Simulierung der Umwelt mit

virtueller Planung und Beurteilung der Interaktionen des Organismus mit

dieser. Dies ermöglicht, dass wie in einem Flugsimulator „unsere

Hypothesen an unserer Stelle sterben“ (Popper).

 

Stufe IV: Gregorianische Geschöpfe (nach dem britischen Psychologen

Richard Gregory). Diese kennen nicht nur imaginale, sondern auch

symbolische (sprachliche) mentale Repräsentation und entsprechende

innere Simulierung der Umwelt mit virtueller Planung und Beurteilung der

Interaktionen. Das sprachlich-mathematische Symbolsystem ist das

leistungsfähige Instrument der Realitätserfassung, -speicherung und

gestaltung: „In der Geschichte der Konstruktion des Geistes gab es keinen

erhebenderen, folgenschwereren, bedeutsameren Schritt als die Erfindung

der Sprache.“ (Dennett, Spielarten des Geistes. Wie erkennen wir die Welt? Ein neues

Verständnis des Bewußtseins, München 2001, S 177)

 

Siehe auch, ab Seite 13, mit instruktiven Bildern aus der Dennett Publikation.

 

Der Unterschied ist, dass die Amöbe ein "Darwinsches" Geschöpf ist, der Mensch ein "Gregorianisches", Affen vermutlich "nur" Poppersche" mit rudimentären Ansätzen zu IV. Der Witz am menschlichen Denken ist genau diese Stufe 4.

 

Auch interessant: William H. Calvin, "The Brain as a Darwin Machine". Link. Wobei m.E. Dennett die Calvinschen Ansätze wesentlich verbessert hat.

bearbeitet von Sokrates
Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Hi Julian A.!

 

 

Also dass ein System Eigenschaften besitzt, die die Komponenten des Systems nicht besitzen, ist, wie gesagt, klar. Eine Aminosäure ist nicht am Leben, aber wenn man ganz viele Aminosäuren und anderes Zeug auf bestimmte Weise verbindet, bekommt man eine Entität, die lebendig ist. Auch "Feuchtigkeit" ist eine Eigenschaft, die keinem einzelnen H2O-Molekül zukommt, sondern nur größeren H2O-Mengen.

 

Also: {E} + e = S . Preisfrage: Woher kommt nun die Komponete e, die ich hier Emergenz nenne, her? Wir können statt e auch von den Eigenschaften Vitalität v oder "Feuchtigkeit" f reden. Die Komponente e lässt sich nur als Unbestimmtheit in {E} auffassen.

 

 

 

 

Trotzdem glaube ich folgendes: Wenn wir die Naturgesetze und die Eigenschaften der Komponenten vollständig kennen, dann können wir prinzipiell auch vorhersagen, welche Systemeigenschaften eine beliebige Zusammensetzung der Komponenten besitzt. Wenn jemand die Eigenschaften eines H2O-Moleküls genau kennt und auch die dazugehörigen Naturgesetze, dann kann er vorhersagen, wie sich ein Regentropfen verhält. Wenn jemand die physikalischen Eigenschaften von Uhr-Bauteilen genau kennt, dann könnte er auch vorhersagen, dass sich eine spezielle Konfiguration dieser Bauteile wie eine Uhr verhalten würde.

 

Kennst Du den Laplaceschen Dämon?

 

 

 

 

Es könnte natürlich sein, dass ich damit falsch liege. Vielleicht zeigen die Komponenten, wenn sie auf bestimmte Weise zusammengebracht werden, ein ganz neuartiges Verhalten. Aber der entscheidende Punkt ist: Auch dann sind das Eigenschaften, die das Verhalten der Komponenten betreffen, also auch schon auf der "unteren Ebene" vorhanden sind. Vielleicht verhalten sich Elementarteilchen auf besondere Weise, wenn sie zu einem Lebewesen verbunden sind, aber trotzdem ist das das Verhalten von Elementarteilchen, also eine Tatsache auf der unteren Ebene. Deshalb halte ich Emergenz als eine Selbstständigkeit der oberen Ebene gegenüber der unteren für Unsinn.

 

Emergenz ist keine Selbstständigkeit. Aber schauen wir uns hierzu mal die TIP an (Thermodynamik irreversibler Prozesse): Es ist nicht möglich, ein heruntergefallenes Ei wieder zusammensetzen, außer, es einem Huhn zu fressen zu geben ... .

 

 

 

 

 

Cheers,

 

Lamarck

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Ich glaube, dass die "Bewusstheit" bei der Kreativität vollkommen überschätzt wird. Es ist das falsche Bild, das wir durch Introspektion über unsere vermeintlichen Denkvorgänge erhalten. Vermutlich ist es so, dass Milliarden und Abermilliarden Hypothesen simultan in unserem Gehirn "gerechnet" werden, und nur die besten davon kommen durch die eingebauten Filter "ins Bewusstsein".

 

Ob nun bewusst oder nicht: Dass im Geist eines Wissenschaftlers etwas stattfindet, nennen wir es Reflektion, das in einer Amöbe oder einem Schimpansen nicht vorkommt, lässt sich nicht leugnen. Vielleicht ist der wichtigste Unterschied, dass ein Mensch sich abstrakte, konzeptionelle Modelle machen kann, die der (gegenwärtigen) Wahrnehmung völlig enthoben sind; er kann Gedankenexperimente durchführen, die logischen Implikationen einer Annahme überdenken, mathematische Modelle konstruieren, Vor- und Nachteile verschiedener Theorien auf abstrakter Ebene vergleichen, sinnvolle Experimente ersinnen usw. Das sind alles geistige Operationen, die nur im Hirn eines Menschen stattfinden.

 

Der Unterschied ist, dass die Amöbe ein "Darwinsches" Geschöpf ist, der Mensch ein "Gregorianisches", Affen vermutlich "nur" Poppersche" mit rudimentären Ansätzen zu IV. Der Witz am menschlichen Denken ist genau diese Stufe 4.

Ok, ich denke, wir sind uns im Wesentlichen einig. Die Meinungsverschiedenheit reduziert sich wohl darauf, dass ich den Unterschied zwischen der "Erkenntnismethode" einer Amöbe und der eines Menschen für so gewaltig halte, dass es mir unangemessen erscheint, in beiden Fällen von demselben Prozess zu sprechen.

 

Entscheidend ist, was wohl niemand hier bestreitet: Menschliche Erkenntnis ist ein natürlicher, kausaler Prozess und alles dafür nötige ist ein Ergebnis der Evolution. Das ist allerdings ein solcher truism, dass man dafür keinen eigenen Namen wie "Evolutionäre Erkenntnistheorie" benötigt.

bearbeitet von Julian A.
Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Entscheidend ist, was wohl niemand hier bestreitet: Menschliche Erkenntnis ist ein natürlicher, kausaler Prozess und alles dafür nötige ist ein Ergebnis der Evolution. Das ist allerdings ein solcher truism, dass man dafür keinen eigenen Namen wie "Evolutionäre Erkenntnistheorie" benötigt.

Ja, wenn man das so sieht, dann ist das kein Problem und man braucht auch diese Bezeichnung nicht, nur erinnere ich mich an Diskussionen, in denen die Möglichkeit von Erkenntnis selbst bestritten wurde, da nicht begründet werden könne, worauf Erkenntnis eigentlich beruhe, außer auf willkürlichen Annahmen, woher also gewissermaßen die erste Erkenntnis komme. Das sind vermutlich aber auch Leute, die mit der Vorstellung Probleme haben, die Menschen seien das Ergebnis von Evolution.

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Also: {E} + e = S . Preisfrage: Woher kommt nun die Komponete e, die ich hier Emergenz nenne, her? Wir können statt e auch von den Eigenschaften Vitalität v oder "Feuchtigkeit" f reden. Die Komponente e lässt sich nur als Unbestimmtheit in {E} auffassen.

Ich weiß nicht, ob diese Formel hilfreich ist...

 

Noch einmal mein Standpunkt: Das Verhalten von H2O-Molekülen unterliegt Naturgesetzen. Ebenso das Verhalten von Aminosäuren und Zahnrädern. Meine These ist, dass sich aus der vollständigen Kenntnis der Naturgesetze, die das Verhalten der Komponenten bestimmen, und dem Wissen, wie die H2O-Moleküle, die Aminosäuren oder die Zahnräder verbunden sind, alle Systemeigenschaften ableiten lassen.

 

Vielleicht liege ich damit falsch. Vielleicht zeigen Komponenten in sehr komplexen Systemen anomale Verhaltensweisen, die sich nicht aus den Naturgesetzen, die das Verhalten der Komponente in ihrer Vereinzelung bestimmen, ableiten lassen. Aber auch dann, und das ist der entscheidende Punkt, wäre das überraschende Verhalten trotzdem ein Verhalten der Komponenten, und somit bereits eine Tatsache auf der unteren Ebene. Darum geht es mir: Es kann keine Freiheit der "oberen Ebene" gegenüber der unteren Ebene geben, sondern alles, was in der Welt passiert, ist vollständig durch das Geschehen auf der Ebene der Mikrophysik bestimmt. Und zwar deshalb, weil es nichts darüber hinaus gibt, sondern Bäume, Kriege und Inflationen auch nur Komplexe aus Elementarteilchen sind.

 

Wenn jemand davon spricht, dass die obere Ebene auf die Ebene der Elementarteilchen einwirkt, dann frage ich immer: WAS wirkt da? Da SIND doch nur Elementarteilchen. Die anderen Ebenen sind nur Beschreibungsebenen, aber keine eigenen Kausalfaktoren. Alle Kausalität, die es in der Welt gibt, betrifft Strukturen von Elementarteilchen (und natürlich andere physikalisch grundlegende Entitäten wie Felder).

 

Emergenz ist keine Selbstständigkeit. Aber schauen wir uns hierzu mal die TIP an (Thermodynamik irreversibler Prozesse): Es ist nicht möglich, ein heruntergefallenes Ei wieder zusammensetzen, außer, es einem Huhn zu fressen zu geben ...

Das ist eine andere Baustelle. Dass das nicht möglich ist, widerlegt ja nicht mal den Determinismus, wobei Determinismus wiederum nicht gleichbedeutend ist mit einer Ablehnung von Emergenz.

bearbeitet von Julian A.
Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Was ich mit Induktion meine, ist unsere Neigung, der Natur möglichst einfache, gleichbleibende Gesetze und Muster zu unterstellen, ohne dass sich diese Erwartung logisch rechtfertigen ließe. Ohne diese Neigung würden wir vermutlich niemals funktionierende Theorien produzieren, weil uns nicht mal die Feststellung, dass die letzten 500 Kupferstücke Strom geleitet haben, zu der Annahme verleiten würde, dass alle Kupferstücke Strom leiten und dass sie es auch morgen noch tun werden. Das induktive Denken liegt wirklich auf dem Grunde unserer theoretischen Vernunft und ohne induktives Vorgehen wären wir nicht mal lebensfähig. Der Glaube an einfache und gleichbleibende Gesetze ist sozusagen der unhintergehbare, unbegründbare Glaube, auf dem alle Wissenschaft beruht.

 

Die Tendenz, überall Muster zu vermuten, ist uns angeboren. Bestimmte Muster (wie z. B. Gesichter) haben dafür sogar einen eigenes Hirnareal, das es gerade geborenen Säuglingen bereits ermöglicht, Gesichter von anderen Mustern zu unterscheiden.

 

Intuitiv neigen wir zur Induktion (induktiven Schlüssen), sogar oft noch dort, wo es keinen Sinn ergibt.

 

Philosophisch gesehen ist die Induktion "erledigt" worden, angefangen mit David Hume. Nach dem die Philosophen die Induktion abgeschrieben hatten, begann aber der Triumphzug der Wissenschaft - basierend auf der Induktion.

 

Offensichtlich leben wir in einem Universum, in dem Induktion erstaunlich gut funktioniert. Aber was ist daran erstaunlich? Eine Evolution wäre in einem Universum, in dem es keine Induktion gibt, schlicht unmöglich! Induktion liegt nicht auf dem "Grunde unserer theoretischen Vernunft", sondern unsere Vernunft nimmt an, dass induktive Schlüsse mögliche sind (natürlich nicht zu 100%), weil sich das im Laufe der Evolution bewährt hat, induktiv zu schließen - und es hat sich bewährt, weil ohne diese es keine Evolution gegeben hätte.

 

Warum funktioniert Induktion besser, als man aufgrund rein theoretischer Erwägungen erwarten würde? Antwort: Weil wir existieren, weil es uns gibt, kann man eben doch erwarten, dass Induktion (nicht immer, aber häufig genug) funktioniert. Unsere schlichte Existenz ist der Beweis dafür, dass sich Induktion bewährt.

 

Tatsächlich gibt es keine rein philosophische Erklärung dafür, warum Induktion besser funktioniert, als es den Philosophen vorschwebt. Tatsächlich kann es im reinen Denken dafür keine Erklärung geben. Die Voraussetzungen unseres Denkens haben sich für das Überleben unserer Vorfahren bewährt, und sie können sich nur bewähren, wenn sie funktionieren, und sie funktionieren, weil dies eine Eigenschaft unseres Universums ist, dass sich solche Erwartungen bewähren. Man kann sagen, dass Induktion eine 3,5 Milliarden Jahre währende Bewährungsprobe überstanden hat, also eine gigantische Testserie, bei der sich die, die auf Induktion gesetzt haben, gegen alle anderen durchgesetzt haben.

 

Hier ist die Entdeckung von Kant keine "kopernikanische Wende", sondern eine "ptolomäische Konterrevolution". Es ist eben nicht so, dass unser Denken Voraussetzungen macht, sondern unser Denken ist in einem Anpassungsprozess in bestimmten Strukturen entstanden, wobei sich das Denken bewährt hat, weil es die Strukturen mindestens zuließen. Die Voraussetzungen unseres Denkens bilden in gewisser Weise (mit ganz spezifischen Einschränkungen) die Struktur der Welt selbst ab, weil es sich um Anpassungen an diese Struktur handelt.

 

Man kann von der chemischen Zusammensetzung unseres Körpers auf die Fusionsprozesse in einer Sonne schließen. Man kann von unseren Denkstrukturen in (mesokosmischen) Grenzen, sofern es das Überleben unserer Vorfahren betrifft (diese beiden Einschränkungen sollte man niemals aus den Augen verlieren), sagen, dass sie sich für den Mesokosmos und für das Überleben bewährt haben, und dass dies einiges über unser Universum selbst aussagt - so wie die chemische Struktur unseres Körpers über Fusionsprozesse Aussagen erlaubt. Es ist eben nicht alleine unser Denken, das über die Welt bestimmt, sondern ebenso, dass die Welt bestimmt, wie wir denken. Und die Argumente für letzteres sind ein paar Millionen pro Tag über einen Zeitraum von 3,5 Milliarden Jahren. Das soll man erst mal mit philosophischen Argumenten ausstechen.

 

Douglas Adams hat das mal sehr schön geschildert: Wir sind wie die denkende Pfütze, die sich darüber wundert, dass die Welt exakt so geformt ist, dass sie zu ihrem "Körper" passt.

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Sorry, doppelt.

bearbeitet von Volker
Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Noch einmal mein Standpunkt: Das Verhalten von H2O-Molekülen unterliegt Naturgesetzen. Ebenso das Verhalten von Aminosäuren und Zahnrädern. Meine These ist, dass sich aus der vollständigen Kenntnis der Naturgesetze, die das Verhalten der Komponenten bestimmen, und dem Wissen, wie die H2O-Moleküle, die Aminosäuren oder die Zahnräder verbunden sind, alle Systemeigenschaften ableiten lassen.

Ja, das kann so sein. Es kann sein, daß man aus den Eigenschaften einzelner Legosteine alle die Eigenschaften ableiten kann, die zB ein Rad hat, das man aus solchen Steinen bauen kann. Aber ich denke, man kann das erst, wenn man ein solches Rad vor sich hat.

 

Jedes Lebewesen besteht aus Atomen und Molekülen, und es mag sein, daß man aus deren Eigenschaften die Eigenschaften ableiten kann, die zB Aminosäuren haben oder Feldmäuse. Aber ich habe noch keinen Physiker eine Formel aufstellen sehen, mit der man die biologischen Eigenschaften einer Feldmaus beschreiben kann, und ich bezweifle, daß das je gelingen wird.

 

Jede menschliche Gesellschaft besteht ausschließlich aus Menschen und ihren Beziehugungen untereinander und jeder dieser Menschen besteht ausschließliche aus Atomen und Molekülen in einer bestimmten Anordnung und den Funktionen, die sich daraus ergeben. Und trotzdem wird niemand zu unseren Lebzeiten ein Atommodell aufstellen, mit dem sich der Prozeß menschlicher Zivilisationen erklären ließe.

 

Diese Universum ist ein Kontinuum und nicht wirklich in einzelne Ebenen getrennt. Aber beim Übergang von unbelebter zu belebter Materie haben sich physikalische Objekte, Atome und Moleküle, in einer Weise angeordnet, die Eigenschaften hervorbrachte, die sich nicht vernünftig reduzieren lassen auf Eigenschaften der Elemente, aus denen sie sich gebildet haben. In sofern entstehen mit zunehmender Komplexität immer neue Eigenschaften, die es uns zweckmäßig erscheinen lassen, sie zu einer eigenen Klasse von Objekten zusammenzufassen, einer eigenen Ebene dieses Universums. Niemand bemüht die Atomphysik, wenn er die Evolution der Darwinfinken untersucht.

 

Die Frage, ob hierbei wirklich neue Eigenschaften entstehen, oder ob sich von Anfang an »angelegt« waren, ist mehr eine philosophische Frage. Um auf die Legosteine zurückzukommen, ist es in ihnen »angelegt«. daß man damit nicht nur Häuser, sondern auch alles mögliche andere bauen kann? Jedenfalls hat sich der Erfinder darüber vorher keine Gedanken gemacht. Es hat sich einfach ergeben.

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Die Tendenz, überall Muster zu vermuten, ist uns angeboren. Bestimmte Muster (wie z. B. Gesichter) haben dafür sogar einen eigenes Hirnareal, das es gerade geborenen Säuglingen bereits ermöglicht, Gesichter von anderen Mustern zu unterscheiden.

 

Intuitiv neigen wir zur Induktion (induktiven Schlüssen), sogar oft noch dort, wo es keinen Sinn ergibt.

 

Philosophisch gesehen ist die Induktion "erledigt" worden, angefangen mit David Hume. Nach dem die Philosophen die Induktion abgeschrieben hatten, begann aber der Triumphzug der Wissenschaft - basierend auf der Induktion.

Kleiner Einwand. Induktion für sich allein funktioniert wirklich nicht, denn es meint, vom Speziellen auf das Allgemeine, von den beobachtbaren Tatsachen auf Modelle von Zusammenhängen zu schließen. Was dann immer sofort die Frage provoziert, woher denn die beobachtbaren Tatsachen kommen. Und wirklich, gerade in der Astrophysik, aber nicht nur da, haben erst bestimmte Theorien überhaupt erst bestimmte Beobachtungen ermöglicht.

 

Wenn man das sagt, ist man bei der Deduktion, der Ableitung des Besonderen aus dem Allgemeinen, was dann allerdings die Frage nahelegt, wie man eigentlich auf sein Allgemeines, seine Theorie gekommen ist. Popper hat sich um diese Frage gedrückt, hat die Induktion grundsätzlich abgelehnt, dabei kann man sehr genau beobachten, daß wissenschaftliches Arbeiten genau aus einer wechselnden Folge von Induktion und Deduktion besteht.

 

Und den Anfang machten unsere Wahrnehmungen. Die Fahigkeit, Beobachtungen zu machen und Modelle von Zusammenhängen zu bilden, selbst da, wo keine sind, ist uns angeboren. Der Beginn unserer Erkenntnis sind also die Beobachtungen unserer Sinne und die Zusammenhänge zwischen diesen Beobachtungen, die unsere Fantasie bildet oder angeborene Mustererkennung, wie bei Gesichtern. Dann kommt die Erfahrung, die wir mit der Anwendung dieser Modelle machen. Es funktioniert, oder eben nicht. Und es kann auch in Sackgassen führen, dann wird es Zeit für eine Revolution unseres Weltbildes.

 

Das ist unser Erkenntnisprozeß von Anfang an. Der Unterschied zu unseren wissenschaftlichen Erkenntnissen ist nur, daß wir sie heute systematisch zu machen versuchen, sonst nichts.

bearbeitet von Marcellinus
Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Jedes Lebewesen besteht aus Atomen und Molekülen, und es mag sein, daß man aus deren Eigenschaften die Eigenschaften ableiten kann, die zB Aminosäuren haben oder Feldmäuse. Aber ich habe noch keinen Physiker eine Formel aufstellen sehen, mit der man die biologischen Eigenschaften einer Feldmaus beschreiben kann, und ich bezweifle, daß das je gelingen wird.

 

Jede menschliche Gesellschaft besteht ausschließlich aus Menschen und ihren Beziehugungen untereinander und jeder dieser Menschen besteht ausschließliche aus Atomen und Molekülen in einer bestimmten Anordnung und den Funktionen, die sich daraus ergeben. Und trotzdem wird niemand zu unseren Lebzeiten ein Atommodell aufstellen, mit dem sich der Prozeß menschlicher Zivilisationen erklären ließe.

D.h., ob eine Eigenschaft emergent ist oder nicht, hängt von den aktuellen wissenschaftlichen Kenntnissen der Beobachter ab?

 

Vor 1000 Jahren hätte kein Mensch vorhersagen können, wie die Flugbahn eines neuentdeckten Kometen sein würde, heute berechnet das ein Computer in ein paar Sekunden. War die Flugbahn eines Kometen damals emergent und ist es heute nicht mehr?

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Jedes Lebewesen besteht aus Atomen und Molekülen, und es mag sein, daß man aus deren Eigenschaften die Eigenschaften ableiten kann, die zB Aminosäuren haben oder Feldmäuse. Aber ich habe noch keinen Physiker eine Formel aufstellen sehen, mit der man die biologischen Eigenschaften einer Feldmaus beschreiben kann, und ich bezweifle, daß das je gelingen wird.

 

Jede menschliche Gesellschaft besteht ausschließlich aus Menschen und ihren Beziehugungen untereinander und jeder dieser Menschen besteht ausschließliche aus Atomen und Molekülen in einer bestimmten Anordnung und den Funktionen, die sich daraus ergeben. Und trotzdem wird niemand zu unseren Lebzeiten ein Atommodell aufstellen, mit dem sich der Prozeß menschlicher Zivilisationen erklären ließe.

D.h., ob eine Eigenschaft emergent ist oder nicht, hängt von den aktuellen wissenschaftlichen Kenntnissen der Beobachter ab?

 

Vor 1000 Jahren hätte kein Mensch vorhersagen können, wie die Flugbahn eines neuentdeckten Kometen sein würde, heute berechnet das ein Computer in ein paar Sekunden. War die Flugbahn eines Kometen damals emergent und ist es heute nicht mehr?

Erst einmal geht es um Fakten, und nicht um Begriffe. Was Emergenz ist, hängt davon ab, wie du es definierst. Julian hat völlig Recht, wenn er sagt, das alles letztlich auf den Eigenschaften von Elementarteilchen und, das ist jetzt wichtig, deren Anordnung zueinander beruht.

 

Nimm das Beispiel der Metallurgie. Ohne Zweifel ein Fachgebiet aus dem Bereich der Physik, und trotzdem erklärt niemand die Eigenschaften von Metallen mit Hilfe der Atomphysik, auch wenn man es zum Teil mittlerweile könnte. Es macht einfach keinen Sinn, macht sich Sache nicht verständlicher, sondern komplizierter. Emergenz in diesem Sinne heißt eigentlich nur, daß es Zusammenhänge gibt, die erklärt werden können, ohne auf die darunter liegende Ebene zurückzugreifen (auch wenn es vielleicht möglich wäre).

 

Auf der Ebene der Biologie ist es ähnlich. Niemand beschreibt die Modelle der Evolutionstheorie mit Mitteln der Teilchenphysik, und man wird es auch dann nicht tun, wenn man dafür in 100 Jahren evtl. Computer hat, die die entsprechenden mathematischen Modelle bewältigen könnten. Emergenz bedeutet also, daß es eine eigene Ebene des Verständnisses gibt, die auf beoabachtbaren Tatsachen beruht. Diese Ebene anzunehmen, ist also nicht willkürlich, aber sie ist Teil unserer Modellierung der Wirklichkeit, nicht der Wirklichkeit selbst. Da gibt es nicht irgendwo eine Grenze, die Teilchen überwinden müßten. Da entstehen einfach neue Eigenschaften, die es rechtfertigen, die entsprechenden Objekte in einer eigenen Ebene zusammenzufassen. Aber das ist doch bei vielen wissenschaftlichen Begriffen so. Was ist eine biologische Art, was eine Rasse, was eine Gattung? All diese Begriffe sind nicht willkürlich, weil sie sich auf beobachtbare Tatsachen beziehen, die jeweilige Grenzziehung ist es schon und in der Wirklichkeit sind die Grenzen fließend.

bearbeitet von Marcellinus
Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Ja, das kann so sein. Es kann sein, daß man aus den Eigenschaften einzelner Legosteine alle die Eigenschaften ableiten kann, die zB ein Rad hat, das man aus solchen Steinen bauen kann. Aber ich denke, man kann das erst, wenn man ein solches Rad vor sich hat.

 

Jedes Lebewesen besteht aus Atomen und Molekülen, und es mag sein, daß man aus deren Eigenschaften die Eigenschaften ableiten kann, die zB Aminosäuren haben oder Feldmäuse. Aber ich habe noch keinen Physiker eine Formel aufstellen sehen, mit der man die biologischen Eigenschaften einer Feldmaus beschreiben kann, und ich bezweifle, daß das je gelingen wird.

 

Jede menschliche Gesellschaft besteht ausschließlich aus Menschen und ihren Beziehugungen untereinander und jeder dieser Menschen besteht ausschließliche aus Atomen und Molekülen in einer bestimmten Anordnung und den Funktionen, die sich daraus ergeben. Und trotzdem wird niemand zu unseren Lebzeiten ein Atommodell aufstellen, mit dem sich der Prozeß menschlicher Zivilisationen erklären ließe.

.

Das ist alles richtig. Aber man muss unterscheiden zwischen dem, was aufgrund unserer extrem beschränkten geistigen Kapazitäten praktisch möglich ist, und dem, was prinzipiell möglich wäre.

 

Natürlich werden wir niemals das Appetenzverhalten einer Feldmaus auf atomarer Ebene berechnen. Das liegt aber zunächst mal an der enormen Beschränktheit unseres Hirn und beweist nicht, dass das Verhalten der Feldmaus durch etwas anderes als die Eigenschaften und die Zusammensetzung ihrer physikalischen Bestandteile bestimmt wird.

 

Man muss unterscheiden zwischen epistemischer Unbestimmtheit aufgrund unserer Inkompetenz und objektiver Unbestimmtheit.

 

Diese Universum ist ein Kontinuum und nicht wirklich in einzelne Ebenen getrennt. Aber beim Übergang von unbelebter zu belebter Materie haben sich physikalische Objekte, Atome und Moleküle, in einer Weise angeordnet, die Eigenschaften hervorbrachte, die sich nicht vernünftig reduzieren lassen auf Eigenschaften der Elemente, aus denen sie sich gebildet haben.

Reduzieren schon - in dem Sinne, dass es sich bei Inflationen und Kriegen um rein physikalische Systeme handelt und wir das auch wissen können. Nur können wir diese Systeme nicht im Rahmen der Mikrophysik berechnen, sondern müssen eigene Makrobegriffe verwenden, die sehr "fuzzy" sind.

 

Die logischen Positivisten haben von einer "Einheitswissenschaft" geträumt. Sie dachten, dass eines Tages jeder wissenschaftliche Satz in eine Aussage der Physik übersetzt werden kann. Nun, der Traum ist inzwischen ausgeträumt. Aber dass die Wissenschaft verschiedene Sprachen und Methoden anwendet, widerlegt nicht, dass das, was beschrieben wird, stets physikalische Systeme sind.

bearbeitet von Julian A.
Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Die logischen Positivisten haben von einer "Einheitswissenschaft" geträumt. Sie dachten, dass eines Tages jeder wissenschaftliche Satz in eine Aussage der Physik übersetzt werden kann. Nun, der Traum ist inzwischen ausgeträumt. Aber dass die Wissenschaft verschiedene Sprachen und Methoden anwendet, widerlegt nicht, dass das, was beschrieben wird, stets physikalische Systeme sind.

Einen Gedanken berücksichtigst du dabei nicht, daß es wirklich neue Eigenschaften gibt, wenn sich Atome und Moleküle zu ersten Einzellern zusammenfinden, Eigenschaften, die die einzelnen Atome und Moleküle nicht hatten. Sie haben haben die Fähigkeit, miteinander solche Einzeller zu bilden, aber das ist etwas anderes. Du kannst nachträglich die Eigenschaften solcher biologischen Objekte vielleicht in mathematische Modelle ihrer physikalischen Bestandteile umsetzen, aber etwas berechnen können ist etwas anderes als Zusammenhänge zu erklären. Man kann den Reduktionismus auch übertreiben.

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Philosophisch gesehen ist die Induktion "erledigt" worden, angefangen mit David Hume. Nach dem die Philosophen die Induktion abgeschrieben hatten, begann aber der Triumphzug der Wissenschaft - basierend auf der Induktion.

Das stimmt nicht. Hume hat die Induktion nicht erledigt, sondern nur gezeigt, dass Induktion kein logischer Schluss ist. Aus der Tatsache, dass Kupfer bis heute immer Strom geleitet hat, folgt nicht logisch dass es auch morgen so sein wird.

 

Damit wollte Hume nicht empfehlen, dass wir aufhören induktiv zu denken! Im Gegenteil, gerade Hume hat die Bedeutung der induktiven Methode für die Wissenschaft besonders hervorgehoben. Und natürlich ist sich heute jeder Wissenschaftsphilosoph über die Bedeutung der Induktion im Klaren.

 

 

Tatsächlich gibt es keine rein philosophische Erklärung dafür, warum Induktion besser funktioniert, als es den Philosophen vorschwebt.

Du verwechselst da einiges. Grundsätzlich musst du zwei Fragen auseinanderhalten:

 

i) Warum hat Induktion bisher funktioniert?

 

ii) Was rechtfertigt unsere induktiven Schlüsse über die Zukunft?

 

Bei der ersten Frage geht es darum, den bisherigen Erfolg der Induktion zu erklären, bei der zweiten geht es darum, die zukünftige Anwendung der Induktion zu begründen.

 

Die erste Frage ist leicht zu beantworten und zwar auch ohne Evolutionstheorie: Induktion hat bis jetzt gut funktioniert, weil die Welt bis heute eine Ordnung hatte, die Induktion zum Erfolgsgeschäft gemacht hat. Weil Kupfer bis jetzt tatsächlich immer Strom geleitet hat und weil bis jetzt tatsächlich jeder Mensch gestorben ist, waren die entsprechenden Induktionsschlüsse erfolgreich.

 

Die zweite Frage ist kniffliger: Was begründet unsere Vermutung, dass Induktion auch morgen funktionieren wird, obwohl wir über die Welt von morgen kein direktes Wissen haben? Wie können wir ausschließen, dass die Naturgesetze morgen zusammenbrechen? Wie können wir ausschließen, dass ich beim nächsten Schritt im Boden versinken werde? Wenn du jetzt sagst "Weil die Induktion bisher funktioniert hat, ist es plausibel, dass sie auch morgen noch funktionieren wird", begehst du den Denkfehler der Meta-Induktion. Du begründest die Induktion, indem du induktive Prinzipien bereits voraussetzt. Denn wenn du aus der Tatsache, dass Induktion bis heute funktioniert hat, schließt, dass sie auch morgen funktionieren wird, setzt du das induktive Denken schon voraus.

 

Deshalb läuft es darauf hinaus: Wir können nicht rechtfertigen, weshalb wir uns auf die Induktion verlassen. Wir können erklären, weshalb Induktion bisher funktioniert hat und wir können biologisch erklären, warum induktives Denken entstanden ist. Aber wir können unser weiteres induktives Vorgehen nicht begründen, ohne die Geltung der Induktion schon vorauszusetzen. In diesem Sinne ist es richtig, dass unser Vertrauen auf die Induktion etwas grundlegendes ist.

 

Es gibt also insgesamt drei Fragen:

 

1) Warum hat Induktion bis jetzt funktioniert?

 

2) Wie ist Induktion entstanden?

 

3) Was begründet unsere Anwendung der Induktion?

 

Die Evolutionstheorie liefert nur auf Frage 2) eine Antwort. Für Frage 1) ist die Evolutionstheorie unbedeutend, denn hier lautet die Antwort schlichtweg: Weil die Welt bis jetzt gesetzmäßig funktioniert hat. Und Frage 3), das eigentliche Induktionsproblem, ist gar nicht zu beantworten.

bearbeitet von Julian A.
Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Die logischen Positivisten haben von einer "Einheitswissenschaft" geträumt. Sie dachten, dass eines Tages jeder wissenschaftliche Satz in eine Aussage der Physik übersetzt werden kann. Nun, der Traum ist inzwischen ausgeträumt. Aber dass die Wissenschaft verschiedene Sprachen und Methoden anwendet, widerlegt nicht, dass das, was beschrieben wird, stets physikalische Systeme sind.

Einen Gedanken berücksichtigst du dabei nicht, daß es wirklich neue Eigenschaften gibt, wenn sich Atome und Moleküle zu ersten Einzellern zusammenfinden, Eigenschaften, die die einzelnen Atome und Moleküle nicht hatten.

 

Das gebe ich zu. Aber weißt du: Als Kind habe ich aus Bauteilen eine "Katzen-Aufweck-Maschine" gebaut (die Katze hat sich gefreut ;) ). Die hatte auch Eigenschaften, die die einzelnen Bauteile nicht haben. Trotzdem war sie nur ein System aus diesen Bauteilen.

 

Man kann meinetwegen sagen, dass durch Evolution neue Systemeigenschaften entstehen, und das dann "Emergenz" nennen. Aber das, was diese Eigenschaften hat, sind immer nur die alten physikalischen Teilchen bzw. Komplexe aus solchen Teilchen.

bearbeitet von Julian A.
Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Die logischen Positivisten haben von einer "Einheitswissenschaft" geträumt. Sie dachten, dass eines Tages jeder wissenschaftliche Satz in eine Aussage der Physik übersetzt werden kann. Nun, der Traum ist inzwischen ausgeträumt. Aber dass die Wissenschaft verschiedene Sprachen und Methoden anwendet, widerlegt nicht, dass das, was beschrieben wird, stets physikalische Systeme sind.

Einen Gedanken berücksichtigst du dabei nicht, daß es wirklich neue Eigenschaften gibt, wenn sich Atome und Moleküle zu ersten Einzellern zusammenfinden, Eigenschaften, die die einzelnen Atome und Moleküle nicht hatten.

 

Das gebe ich zu. Aber weißt du: Als Kind habe ich aus Bauteilen eine "Katzen-Aufweck-Maschine" gebaut (die Katze hat sich gefreut ;) ). Die hatte auch Eigenschaften, die die einzelnen Bauteile nicht haben. Trotzdem war sie nur ein System aus diesen Bauteilen.

 

Man kann meinetwegen sagen, dass durch Evolution neue Systemeigenschaften entstehen, und das dann "Emergenz" nennen. Aber das, was diese Eigenschaften hat, sind immer nur die alten physikalischen Teilchen bzw. Komplexe aus solchen Teilchen.

läßt sich aber nicht in diese teile zerlegen und wieder zusammenbauen. auch die teileigenschaften des system sind nicht den einzelnen bausteinen zuordnenbar.

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Man kann meinetwegen sagen, dass durch Evolution neue Systemeigenschaften entstehen, und das dann "Emergenz" nennen. Aber das, was diese Eigenschaften hat, sind immer nur die alten physikalischen Teilchen bzw. Komplexe aus solchen Teilchen.

Widersprichst du dir jetzt nicht? Einerseits erklärst du bezüglich der Logik:

 

Es ist willkürlich, dass wir die Zeichen "→" und "~" durch Wahrheitstafel auf bestimmte Weise definiert haben. Aber es ist nicht willkürlich, sondern in einem über-empirischen Sinne notwendig, dass, wenn wir die Definition so getroffen haben, der Satz "(p→q)→(~q→~p)" wahr sein muss.

 

(hier sind wir uns einig)

 

Andereseits behauptest du, "Wenn wir die Naturgesetze und die Eigenschaften der Komponenten vollständig kennen, dann können wir prinzipiell auch vorhersagen, welche Systemeigenschaften eine beliebige Zusammensetzung der Komponenten besitzt."

 

Wie willst du die Gesetze der Logik aus den Eigenschaften des Papiers herleiten, auf denen sie aufgeschrieben sind?

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Es gibt also insgesamt drei Fragen:

 

1) Warum hat Induktion bis jetzt funktioniert?

 

2) Wie ist Induktion entstanden?

 

3) Was begründet unsere Anwendung der Induktion?

 

Die Evolutionstheorie liefert nur auf Frage 2) eine Antwort. Für Frage 1) ist die Evolutionstheorie unbedeutend, denn hier lautet die Antwort schlichtweg: Weil die Welt bis jetzt gesetzmäßig funktioniert hat. Und Frage 3), das eigentliche Induktionsproblem, ist gar nicht zu beantworten.

 

Ich denke, Hume und andere haben da einen Denkfehler gemacht. Das Argument gegen die Anwednung der Induktion lautet:

 

Durch welchen logischen Schluss kann man rechtfertigen, induktiv vorzugehen?

 

Die Antwort: Es gibt keine logische Rechtfertigung für Induktion. Man kann keinen logischen Grund finden, warum Induktion funktioniert. Hume kam dann zu dem Schluss, dass wir aus Gewohnheit induktiv schließen, denn bisher hat es ja ganz gut funktioniert. Aber, was viele übersehen: Dieser Grund (= keine logische Rechtfertigung) lässt sich auch umdrehen:

 

Durch welchen logischen Schluss kann man rechtfertigen, Induktion abzulehnen?

 

Die Antwort auch hier: Es gibt keine logische Rechtfertigung dafür, das Induktion nicht funktionieren sollte! Nun ist es so, dass wenn man ein Argument gegen eine Sache ebenso für diese Sache verwenden kann (oder umgekehrt), dann ist der logische Schluss fehlerhaft.

 

Oder kurz, es gibt keinen logischen Grund, warum Induktion funktioniert, es gibt aber auch keinen logischen Grund dagegen. Pro- und Kontra-Argument heben sich gegenseitig auf. Es wäre auch "reiner Rationalismus", wenn man annimmt, dass es für alles einen "logischen Grund" geben muss - dies ist just das Begründungsdenken des "reinen Rationalismus". Es kann aber nicht für alles einen logischen Grund geben, weil man dann automatisch in einen unendlichen Regress gerät. Deswegen hat der kritische Rationalismus das Begründungsdenken auch verworfen und es durch das Prinzip der "permanenten kritischen Prüfung" ersetzt. Wer also fragt, welchen logischen Grund es gibt, Induktion zu verwenden, hängt noch im alten Begründungsdenken fest.

 

Nachdem man dieses "Argument" gegen die Induktion eliminiert hat - man braucht keinen logischen Grund, Induktion zu verwenden - muss man nach anderen Rechtfertigungen suchen. Diese ist der hypothetische Realismus, der selbst aus einem ähnlichen Grund etabliert wird: Es gibt keinen logischen Grund, warum es eine objektive Realität gibt, es gibt aber auch keinen logischen Grund dagegen. Fakt ist aber, dass sich die Annahme, es gäbe eine Realität, bewährt hat, sie kann einige Dinge besser erklären als die gegenteilige Ansicht (etwa, warum von tausend Ideen über die Realität im Schnitt 999 nicht funktionieren - wenn wir die Realität konstruieren, ist das überraschend, man muss sich fragen, woran unsere Ideen über die Welt scheitern, wenn nicht an ihrer Realität). Und Induktion hat dieselbe Rechtfertigung: Induktion hat sich bewährt, millionenfach besser als die gegenteilige Annahme.

 

Logik macht keine Aussage über die Realität, daher muss es nicht "logisch" sein, dass wir induktiv vorgehen, wir brauchen auch keine logische Begründung dafür, weil wir da so oder so am Trilemma scheitern müssen. Logik kann man nur zur Kritik verwenden, sie kann uns nicht sagen, wie die Realität ist ( das wäre reiner Rationalismus), sie gibt uns aber ein bewährtes Instrument der Kritik an die Hand, mit der man sagen kann, was nicht sein kann. Und es gibt keine logische Kritik an der Induktion, das ist eine Frage der Empirie. So wenig wie die Geometrie uns sagen kann, welche Struktur der Raum hat, so wenig kann uns die Logik sagen, ob man Induktion verwenden kann.

 

Man kann es aber kritisieren: Wenn ein induktiver Schluss nicht funktioniert, dann ist der induktive Schluss daher auch nicht gerechtfertigt. Induktion ist eine empirische, keine logische Größe - wir können mit induktiven Schlüssen an der Realität scheitern.

 

Natürlich funktioniert Induktion noch aus einem anderen Grund, nämlich den der einheitlichen Naturgesetze und der Tatsache, dass die Welt aus einheitlichen Bausteinen besteht (es gibt beispielsweise zwar individuelle Elektronen, aber diese haben exakt dieselben Eigenschaften wie alle anderen Elektronen auch). Eine naturgesetzliche Betrachtung - eine allgemeine Beschreibung der Welt - beruht darauf (und muss darauf beruhen), dass es Eigenschaften gibt, die von der "subjektiven Lage" des Beobachters unabhängig sind. Man kann sehen, ob sich das bewährt, und wenn ja, dann besagt dies auch etwas über die Struktur der Welt - mehr als jede Logik, die nur sagt, welche Welten möglich sind, aber nicht, welche davon die unsere ist. Man könnte sich eventuell eine logisch mögliche Welt denken - wobei ich denke, das ist unmöglich, aber nehmen wir mal an, ich irre mich - in der die Naturgesetze (= Naturbeschreibungen) von der Lage und Position des Beobachters abhängen, dann würde man dies im Laufe der Zeit merken, falls unsere Welt wirklich so ist.

 

Also, zu 1.: Warum hat Induktion bis jetzt funktioniert?

 

Weil wir in einer einheitlich strukturierten Welt aus Bausteinen mit identischen Eigenschaften leben, in denen die Naturgesetze unabhängig von der individuellen Position des Beobachters sind. Man kann das sogar u. a. aus dem Funktionieren der Induktion selbst schließen, das wäre übrigens kein bösartiger logischer Zirkel (vicious circle), sondern ein "virtuoser Zirkel". Diese Unterscheidung stammt aus der EET.

 

Zu 2.: Wie ist Induktion entstanden?

 

Das beantwortet die Evolution: Weil es sich bewährt hat. Offensichtlich braucht man überhaupt keinen besseren (etwa logischen) Grund! Da sich die logischen Gründe für und gegen die Induktion wechselseitig aufheben, muss man pragmatische Gründe heranziehen.

 

Zu 3.: Was begründet unsere Anwendung der Induktion?

 

Nicht die Logik, sondern die Empirie: Es hat sich bewährt. Siehe auch 2.: Es gibt keinen besseren Grund, und man braucht nur im "reinen Rationalismus" einen besseren Grund, was Grund genug ist, den reinen Rationalismus zu verwerfen (neben dem Trilemma). Natürlich kann es immer wieder Fälle geben bei denen wir mit der Induktion scheitern, denn auch die Induktion muss permanent kritisch geprüft werden.

 

Tatsächlich beantwortet die EET alle drei Fragen. ;)

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Wenn jemand davon spricht, dass die obere Ebene auf die Ebene der Elementarteilchen einwirkt, dann frage ich immer: WAS wirkt da? Da SIND doch nur Elementarteilchen. Die anderen Ebenen sind nur Beschreibungsebenen, aber keine eigenen Kausalfaktoren. Alle Kausalität, die es in der Welt gibt, betrifft Strukturen von Elementarteilchen (und natürlich andere physikalisch grundlegende Entitäten wie Felder).

Kennst du das Programm MS-Excel? Was wirkt da? Die Zahlen, die in den Zellen stehen, sonst nichts. Und das Verhalten ist vollkommen gleich, ob MS-Excel unter Java auf einer Sun läuft, oder unter Windows auf einem Intel-PC. WAS wirkt da?

 

Abstrakt gesprochen: Ich halte das Konzept einer "Top-Down-Kausalität" für unverzichtbar, wenn man die Welt und insbersondere unser Denken verstehen will. Und ein Computermit seiner ihn steuernden Software ist dafür ein drastisches Beispiel.

 

WAS wirkt da??? Ich behaupte: Es ist die Anordnung der Teilchen zueinander, allgemeiner gesagt: Das Design des Systems. Ein Computer ist ein System, das speziell dafür gebaut wurde, dass es ganz empfindlich auf winzigste Veränderungen im Gehalt (also der Semantik) des Programmes reagiert. Und wie man am Beispiel "Sun/Intel" sieht, ist die konkrete Anordnung ebenfalls irrelevant, entscheidend ist vielmehr ein Prinzip auf höherer Ebene: Nämlich wie Computer prinzipiell funktionieren.

 

Vorstufen dieser Top-Down-Kausalität gibt es aber schon im einfachsten mechanischen Bereich: Wir nehmen ein Brett und Nägel, und schlagen die in einem bestimmten Muster ins Brett. Wenn wir dies in der Anordnung wie beim Galton-Brett tun, dann zeigt das System ein vollständig propabilistisches Verhalten, wenn wir von oben Kugeln reinwerfen: Die Kugeln verteilen sich nach der binomischen Verteilung unter dem Brett. Wenn wir die Nägel aber trichterfürmig einschlagen, dann ergibt sich eine deterministische Verteilung: Alle Kugeln in der Mitte.

 

Es ist hierbei vollkommen egal, aus welchem Material die Nägel, das Brett und die Kugeln sind. Es kommt nur auf die Struktur, das Design an. Natürlich "wirken" immer noch letztlich die Nägel. Aber das Ergebnis ist von jeglichen Eigenschaften der Nägel vollkommen unabhängig. Das System verstehen kann man nur, wenn man den "Design-Standpunkt" einnimmt.

bearbeitet von Sokrates
Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Wie willst du die Gesetze der Logik aus den Eigenschaften des Papiers herleiten, auf denen sie aufgeschrieben sind?

 

Ich glaube, es ist immer noch ein Fehler, aus der Logik schließen zu wollen, wie die Welt funktioniert - man kann daraus nur ableiten, wie sie nicht funktioniert. Deswegen kann einem Logik auch nicht sagen, warum Induktion funktioniert, sondern lediglich, unter welchen Umständen sie nicht funktioniert. Logik kann uns nichts über die Eigenschaften der Welt sagen - etwa über die Eigenschaften von Papier - sie kann uns nur sagen, was nicht der Fall sein kann, etwa, dass Papier brennbar und zugleich nicht brennbar ist. Aber ob es brennbar ist oder nicht - das muss man schon ausprobieren, dafür gibt es keine logischen Gründe.

 

Der Streit um die Emergenz erinnert mich an den Streit um den Zufall: Gibt es echten Zufall bzw. gibt es echte Emergenz? Kann es überraschende, unvorhersehbare neue Systemeigenschaften geben, die man bei sorgfältigsten Überlegungen aus den einzelnen Teilen des Systems nie hätte ableiten können?

 

Pragmatisch gesehen - ja. Man könnte bei seiner Vorhersage der neuen Eigenschaften schlicht an der Komplexität scheitern, so dass es Überraschungen geben wird. Wie beim Zufall: Man kann bei der Berechnung der Zukunft leicht an der Komplexität scheitern, so dass die Zukunft völlig überraschend wird (= nicht die Eigenschaften hat, die man bei der Berücksichtigung der gegenwärtigen Komponenten für die Zukunft erwarten würde). Ob es echten Zufall gibt, kann man so nicht entscheiden, nur, dass es etwas gibt, das wirklich von echtem Zufall nicht zu unterscheiden ist. Und das gilt auch für Emergenz.

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Man kann meinetwegen sagen, dass durch Evolution neue Systemeigenschaften entstehen, und das dann "Emergenz" nennen. Aber das, was diese Eigenschaften hat, sind immer nur die alten physikalischen Teilchen bzw. Komplexe aus solchen Teilchen.

Widersprichst du dir jetzt nicht? Einerseits erklärst du bezüglich der Logik:

 

Es ist willkürlich, dass wir die Zeichen "→" und "~" durch Wahrheitstafel auf bestimmte Weise definiert haben. Aber es ist nicht willkürlich, sondern in einem über-empirischen Sinne notwendig, dass, wenn wir die Definition so getroffen haben, der Satz "(p→q)→(~q→~p)" wahr sein muss.

 

(hier sind wir uns einig)

 

Andereseits behauptest du, "Wenn wir die Naturgesetze und die Eigenschaften der Komponenten vollständig kennen, dann können wir prinzipiell auch vorhersagen, welche Systemeigenschaften eine beliebige Zusammensetzung der Komponenten besitzt."

 

Wie willst du die Gesetze der Logik aus den Eigenschaften des Papiers herleiten, auf denen sie aufgeschrieben sind?

Die Gesetze der Logik sind keine physikalischen Eigenschaften.

Man kann aber alle physikalischen Phänomene reduktiv auf die physikalischen Basiseigenschaften und die physikalischen Grundprinzipien zurückführen.

Emergenz hat auch keinen Erklärungscharakter, daß hat schon Popper erkannt, der gleichwohl das Bewußtsein für ein emergentes Phänomen gehalten hat.

Emergenz erklärt deswegen nichts, weil es nur eine Bezeichnung für ein Phänomen ist, welches auftritt, wenn eine bestimmte Korrelation von Phänomen vorliegt.

Versucht der Wissenschaftler daher stets zwischen Korrelation und Kausalität zu unterscheiden, wird dieser Unterschied durch die Einführung des Begriffs der Emergenz aufgehoben.

Emergenz ist quasi die "Magie" der Moderne: Wenn bestimmte Dinge in einer bestimmten Art und Weise angeordnet werden, dann tritt eine Wirkung auf, die nicht auf die physikalischen Eigenschaften und physikalischen Gesetze dieser Dinge zurückgeführt werden können, mit diesen in keinem direkten Zusammenhang stehen, so daß die bloße Anordnung die Wirkung hervorbringt und nicht die physikalischen Eigenschaften. Dem ähnlich wäre die Anordnung von Runensteinen, die für sich genommen zwar physikalische Eigenschaften wie Dichte und Härte besitzen, die aber nichts mit der Wirkung zu tun haben, die dann z.B. in der Beschwörung eines Hagelschauers besteht. Der Hagelschauer wäre dann eben ein emergentes Phänomen.

Die wissenschaftliche Methodik fordert aber auch eine Theorie, warum die Runensteine das Wetter beeinflußen, es reicht keine Korrelation, selbst wenn sie immer vorliegen sollte.

Die Theorie, aus der hervorgeht, warum ein Phänomen aus der Anordnung anderer Phänomene hervorgeht, erlaubt dann eine Überprüfung.

Das der Regen aus den Wolken kommt, erklärt nicht, warum der Regen von den Wolken herabfällt.

Dadurch unterscheidet sich die wissenschaftliche Theorie von dem philosophischen Begriff der Emergenz.

Die emergente Erklärung bleibt beim "Das Regen aus den Wolken fällt ist eine emergente Eigenschaft" stehen, während die Theorien Erklärungen zur Entstehung des Regens darstellen.

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

×
×
  • Neu erstellen...