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Der Geist des Protestantismus und der Kapitalismus


Martin

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Zitat aus der FAZ:

 

Aber ... hat sich offenbar vorgenommen, Max Weber fortzuschreiben: Wo der Soziologe im Geist des Protestantismus die wesentliche Triebfeder zur Herausbildung des Kapitalismus erkannte ...

 

 

Ist diese Herleitung, diese Zusammenführung von Protestantismus und Kapitalismus fundiert?

Was ist der Geist des Protestantismus, und was hat er mit dem Kapitalismus zu tun?

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Zitat aus der FAZ:

 

Aber ... hat sich offenbar vorgenommen, Max Weber fortzuschreiben: Wo der Soziologe im Geist des Protestantismus die wesentliche Triebfeder zur Herausbildung des Kapitalismus erkannte ...

 

Ist diese Herleitung, diese Zusammenführung von Protestantismus und Kapitalismus fundiert?

Was ist der Geist des Protestantismus, und was hat er mit dem Kapitalismus zu tun?

 

Nö, das ist NICHT fundiert - sondern ein dummer Satz eines Journalisten, den dieser über Thilo Sarrazin geschrieben hat, offenbar ohne Max Weber gelesen zu haben, und der sich gleich als so dumm entlarvt hätte, wie er ist, wenn Du Dich getraut hättest, das ganze Zitat zu posten:

 

Aber Sarrazin hat sich offenbar vorgenommen, Max Weber fortzuschreiben: Wo der Soziologe im Geist des Protestantismus die wesentliche Triebfeder zur Herausbildung des Kapitalismus erkannte, will Sarrazin im Geist des Islamismus den Schlüssel zum Niedergang unserer Zivilisation erkennen.

 

Max Weber schrieb: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus.

Die - von Dir so formuliert - "Zusammenführung von Protestantismus und Kapitalismus" (vermutlich meinst Du Kausalität), hat Weber selbst als "töricht-doktrinäre" These bezeichnet.

bearbeitet von Julius
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Hallo, Martin -

 

Max Webers "Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus" gibt es im Moment mal wieder in einer gebundenen Billig-Ausgabe für unter 7 Euro, zum Beispiel hier. Da kannst du auch ein paar Seiten weit rein lesen.

 

Weber hat seine im Kern über 100 Jahre alte Analyse selber als einseitig bezeichnet. Aber für den "asketischen Protestantismus" (so hat er selber ihn genannt), also vor allem den Calvinismus, trifft seine Analyse nach meiner Meinung nach zu, soweit sie Grundbefindlichkeiten des Protestantismus anspricht, also sozusagen das protestantische Lebensgefühl. In der Einstellung, dass Arbeit an sich ein Wert und gottgefällig sei, bin ich selber in einem protestantischen Umfeld aufgewachsen, das kenne ich gut. Dass die protestantische Ethik aber, wie Weber ausführt, die ideele Triebfeder und eigentliche Grundlage des europäischen Kapitalismus gewesen sei, wird heute meist weit eingeschränkt. Eine der Triebfedern, ja, aber nicht "die".

 

Alfons

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Namhafte Wirtschaftshistoriker in der Folge des großen Franzosen Fernand Braudel haben sich über Webers These lustig gemacht. Die Wirtschaftsentwicklung in Europa lief entlang der Linie London-Antwerpen-Paris-Champagne-Burgund-Oberitalien (eigentlich in umgekehrter Reihenfolge), dann gab es die Mittelmeerhäfen und die Hanse als Abzweigungen. Vereinfacht gesagt, je weiter weg davon, desto unterentwickelter, das gilt im Wesentlichen heute noch. Die calvinistischen Gebiete Schottland und Genf sind dafür ein gutes Beispiel, daß die Glaubensrichtung solche wirtschaftsgeographischen Faktoren kaum beeinflussen konnten. Erst mit der Dampfkraft und der Stahlindustrie gab es für etwa 150 Jahre zwischen 1800 und 1950 Verschiebungen von diesem Bild. Die Staaten, die die Rohstoffe Kohle und Eisen in verkehrsgünstiger Lage hatten, gingen in Führung. Seit dem Rückgang der Bedeutung der Stahlindustrie stellt sich das alte Bild wieder her. Heute ist Oberitalien zB eine der reichsten Regionen der EU, dort weiß man kaum, was ein Calvinist ist.

bearbeitet von kam
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theologie-der-vernunft.de
Hallo, Martin -

 

Max Webers "Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus" gibt es im Moment mal wieder in einer gebundenen Billig-Ausgabe für unter 7 Euro, zum Beispiel hier. Da kannst du auch ein paar Seiten weit rein lesen.

 

Weber hat seine im Kern über 100 Jahre alte Analyse selber als einseitig bezeichnet. Aber für den "asketischen Protestantismus" (so hat er selber ihn genannt), also vor allem den Calvinismus, trifft seine Analyse nach meiner Meinung nach zu, soweit sie Grundbefindlichkeiten des Protestantismus anspricht, also sozusagen das protestantische Lebensgefühl. In der Einstellung, dass Arbeit an sich ein Wert und gottgefällig sei, bin ich selber in einem protestantischen Umfeld aufgewachsen, das kenne ich gut. Dass die protestantische Ethik aber, wie Weber ausführt, die ideele Triebfeder und eigentliche Grundlage des europäischen Kapitalismus gewesen sei, wird heute meist weit eingeschränkt. Eine der Triebfedern, ja, aber nicht "die".

 

Alfons

 

Was heute als Kapitalismus zum Problem geworden ist, erscheint nicht durch den "asketischen Protestantismus", bei dem die Arbeit gottgefällig war, getrieben, sondern umgekehrt.

 

Indem die Leistung, Erbringung eines vernünftigen Beitrages für die Gesellschaft, Arbeit... die für meinen (glauben-/kirchenfernen Schwiegervater selbstverständlich) und noch für meinen protestantischen Vater gar noch göttlicher Wille war, so nicht mehr gesehen wird, haben wir erst ein Problem mit der freien Marktwirtschaft, die so zum Kapital- und Kosumegoismus wird. Mit all den Folgen, die täglich beklagt werden. Wo es dann nicht nur für den Kapitalanleger ganz selbstverständlich ist, dass er durch 0 Leistung Kasse macht, dafür dem selbstbedienenden Vorstand noch Boni verspricht, sondern selbstverständlich auch der Mitarbeiter des Unternehmens oder der Staatshilfeempfänger unterschiedlchster Art. (Ebenso wie die Gesprächspartern, die mich täglich als verrückt ansehen, weil ich noch nicht in Vorruhestand bin, mir die Arbeit Spaß macht, darin einen Sinn sehen würde.)

 

Allein mit mehr Moralpredigten, Gesetzen, Vorschriften und Kontrollen lässt sich dem Problem, das selbst die Vorstände der Kreditwirtschaft auf ihren Kongressen beklagen, wenn sie Philosophen oder gar Theologen einladen, um über Ethik als Weg aus der Krise und den für das Funktioneren der Wirtschaft notwendige Gemeinsinn nachdenken lassen, nicht lösen. Doch genau das Problem war auch zu beoabachten, als im Arbeiterstaat der allein mit arbeitsverherrlichenden Plakaten und Politparolen nicht zu machende Gemeinsinn mit Mauer und Schießbefehl geschützt werden musste. Die "schöpfersch" sinnvolle Erbringung von Leistung, die für die alten Protestanten selbstverständlich war, ihnen Freude bereitete, wodurch ein Gemeinwesen jenseits des heute beklagten Wildwest-Kapitalismus erhofft wurde, ist nicht mehr.

 

Den Geist der protestantischen Arbeitsethik (die ähnlich wie Adam Smith mit der unsichtbaren Hand, die alles vernünftig lenkt), noch davon ausging, dass Menschen zur schöpferischen Leistung geboren sind, für die Auswüchse der freien Wirtschaft verantwortlich machen zu wollen, ist absurd. Es ist genau der Geist, der bisher getragen hat, heute fehlt.

 

Gerhard

 

Was mich aber bei dem, was heute im Namen persönlicher und buchstabener Gottesbilder - oft auch hier - so alles in die Welt gesetzt wird, nicht weiter wundert.

 

Wobei der Weg sicher nicht zurück führt. Die prot. Arbeitsethik, die Annahme eines "schöpferischen" Sinnes (Logos) im großen Ganzen, wie in der täglichen Arbeit, im Einsatz für der Gemeinschaft und bei der zukunftsvernünftigen Verhaltensweise, lässt sich nicht mit Berufung auf Buchstaben und alte Gerüchten herbeibeschwören.

bearbeitet von theologie-der-vernunft.de
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Wie ist in diesem Kontext die Ansicht einzuordnen, dass finanzieller Erfolg ein Zeichen für den Segen Gottes sei? Vom AT her könnte ich das nachvollziehen, im NT werde ich eher nicht fündig. Gehört diese Ansicht dennoch in das protestantische Umfeld.

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theologie-der-vernunft.de
Wie ist in diesem Kontext die Ansicht einzuordnen, dass finanzieller Erfolg ein Zeichen für den Segen Gottes sei? Vom AT her könnte ich das nachvollziehen, im NT werde ich eher nicht fündig. Gehört diese Ansicht dennoch in das protestantische Umfeld.

 

Kreatives, d.h. schöpferisch vernünftiges Verhalten führt zum Erfolg. Das lässt sich selbst in der Wissenschaft beobachten, wo nur die ganz natürliche schöpferschische Ordnung auf menschliche Weise in Maschinen und Techniken umgesetzt wird. Aber auch sonst geht es darum, einer schöpferischen Ordnung als menschliches Wesen zu folgen. Selbst heute teuer bezahlte Unternehmenstrainer, die sich als Erfolgslehrer bezeichnen, versuchen auf einfache Wese eine kreative=schöpferische Ordnung auf den betrieblichen Alltag anzuwenden.

 

Der Er-folg mag daher ein Segen sein. Die Frage ist nur, was man als Er-folg bezeichnet.

 

Als Er-folg - dem Folgen schöpferischen Wirkens, das Aufklärung bzw. alles kreative Werden bewirkt, wie es heute wissenschaftlich beschrieben wird - bezeichne ich es beispielsweise, wenn die Welt nicht mehr Gottesbilder verherrlicht und in Buchstaben blättert, um zu beurteilen, was Erfolg ist, sonder dem offenbaren kreativen=schöpferischen Wirken der Welt gerecht wird, folgt.

 

Gerhard

bearbeitet von theologie-der-vernunft.de
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