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Krisen der Kirche


Stanley

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Die Verfasser des Memorandums der Freiheit beginnen ihre Ausführungen mit folgendem Statement:

Es folgte ein Jahr, das die katholische Kirche in Deutschland in eine beispiellose Krise gestürzt hat.

 

Ich halte das für ziemlich übertrieben. Die Reformation soll also nur eine laue Krise gewesen sein? Der Kulturkampf unter Bismark, ein Fliegenschiess? Die Verschleppung katholischer und evangelischer Geistlicher in die KZ der Nationalsozialisten, hat nicht stattgefunden? Was denkt ihr, ist die Krise in der katholischen Kirche in Deutschland beispiellos? Ich denke nicht. Die erste Krise der Kirche war meiner Meinung nach, auch die schlimmste. Als Jesus drei Tage lang im Grab gelegen hat. Aber zum Glück.......na ja ihr wisst schon.

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Der Satz ist meiner Meinung nach tatsächlich unpräzise. Er müsste heißen:

Es folgte ein Jahr, in dem die schon lange vorhandene Krise der Kirche einen neuen, schwindelerregenden Höhepunkt erreichte.

 

Die Maximierung ("beispiellose") ist, wie Du, Stanley, richtig sagst, höchst relativ. Reformation, die Besetzung des Vatikans in der französischen Revolution und andere markante Punkte waren ebenso schlimm. Oder die Zeit ab Mitte des 4. Jahrhunderts, in der die Kirche fast durchgängig arianisch war.

 

Es ist wie mit einem Berg. Im Tibet erscheinen die höchsten Berge nicht so hoch, wie sie tatsächlich sind, weil das Tibet selbst ein Hochland ist. Relativ zum Tibet-Boden sind die Gipfel gar nicht so hoch. Nur von Normalnull aus gemessen ist der Mount Everest der höchste Gipfel der Erde.

 

Die Kirche steckt schon lange, sehr lange, in einer hochrangigen Krise. Dieses Niveau ist sozusagen das Tibetgelände. Von hier aus gemessen, erscheint der Gipfel des Jahres 2010 nicht mehr so hoch.

 

Es ist allerdings unmöglich, einen sinnvollen Nullpunkt festzulegen. Normalnull kann seit Karfreitag nicht gefunden werden. Es tut immer dort am meisten weh, wo es gerade aktuell weh tut.

 

Nichtsdestotrotz waren die Skandale 2010 eine schwindelerregende Katastrophe. Meiner Meinung nach weniger der Sache nach - Kindesmissbrauch gab es schon zuvor. Und Kindesmissbrauch gibt es auch außerhalb der Kirche. Aber für das Vertrauen in die Kirche war es eine gesellschaftliche Katastrophe.

 

Die Verfasser des Memorandums bringen hier eher eine Gefühlslage zum Ausdruck, als eine durchdachte Realität.

Für Westdeutschland ist es schon lange her, dass die Kirche sich so sehr mit ihren Schwächen auseinandersetzen musste.

Für Ostdeutschland war die Katastrophe der DDR eigentlich noch schlimmer.

Und auch für Westdeutschland war die Katastrophe des 3. Reiches schlimmer. Hätte Hitler den 2. Weltkrieg gewonnen, wäre die damalige Krise bodenlos geworden.

 

Verstehe ich den Satz allerdings funktional, dann leuchtet er mir ein. Funktional heißt: Er hat die Funktion, auf die Dringlichkeit der Reformen hinzuweisen. Im Gegensatz zu französischer Reformation (zumindest im 2. Stadium), zur DDR und zum 3. Reich kann die Kirche was gegen die Krise tun. Sie wird nicht von Robbespiere, Ulbricht oder Hitler in ihrem Tatendrang behindert. Sondern im Gegenteil! Eine der weitverbreiteten Anforderungen ist genau andersrum: "Tut was! Metanoete! Bringt Euren Laden in Ordnung! Und führt uns vertrauensbildend vor, was ihr auf diesem Wege hervorbringt! Zeigt Ergebnisse vor!"

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Krise ist doch eigentlich der Normalzustand der Kirche. Das liegt zum einen daran, daß wir alle Petrusse sind und den Herrn gelegentlich verleugnen und zum anderen daran, daß die himmelhohen Ideale eben auf Erden nie vollständig verwirklicht werden. Das muß man aushalten, freilich sollten akut erkannte Mängel abgestellt werden. Nur muß man auch hier mit Maß und Ziel herangehen, nicht mit hysterischen Kampagnen.

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Ich bleibe mal bei Österreich, wo ich mich auskenne. Die historischen Krisen wurden entweder völlig beseitigt (Reformation) oder dauerten nur ein paar Jahre (Josefinismus und NS-Zeit) und kamen von außen.

 

Die rkK war hier stabil und trotz säkularem Staat als gesellschaftliche Kraft eine unbestrittene Macht.

 

Die innere Krise begann hier erst so richtig mit dem Pontifikat JP II und seinen unsäglichen Bischofsernennungen und hatte mit 2009 (Piusse) und 2010 zwei neue Höhepunkte.

 

Und wir hatten 2010 die höchsten Austrittszahlen seit der NS-Zeit.

 

Zwischen 1951 und 1981 ist (trotz dem angeblich so bösen Konzil und der 68er und der Humanae Vitae und so weiter) die rkK nur von 89% auf 84,3% gesunken.

Zwischen 1981 und 2011 von 84,3% Katholiken auf 64%.

 

Für die Nachkriegszeit ist diese Krise beispiellos, allerdings bisher nur statistisch. Glücklicherweise sind derzeit mit Schönborn, Kothgasser, Kapellari, Scheuer noch einige allseits anerkannte Bischöfe im Amt. Ich wage nicht mir vorzustellen, wie ein Jahr 2010 mit Typen wie Groer, Eder, Krenn durchgeschlagen hätte.

 

Wenn hier jetzt noch einige Ernennungen schief gehen, dann stehen wir in 30 Jahren dort, wo Deutschland heute schon steht: bei 35%. Nur mit dem Unterschied, dass es hier keine gleichstarke evangelische Kirche gibt; der Verlust der rkK geht mit wenigen Ausnahmen direkt zu den Konfessionslosen.

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Die größte und gefährlichste Krise ist immer die, in der man sich gerade befindet - ich halte es für müßig, über die Frage nachzudenken, ob es schlimmere Krisen gab. Denn das wirkt dann doch ziemlich relativierend: So schlimm sei es doch gar nicht, was soll das Gejammere?

 

Aus kirchengeschichtlicher Sicht kann man gewiss darauf verweisen, dass wir zwischen 1820 und 1940 einen nie dagewesenen Aufschwung der Kirche in Europa und in Deutschland erlebt haben und dass die Kirchenbesucherzahlen sich heute wieder dem Niveau der Zeit von 1806 annähern. Ähnliches gilt für die Zahl der Ordensleute und der Priester. Die Lage des Glaubens ist heute gewiss besser als am Vorabend der Reformation - es ist ja durchaus nicht so, dass Luther & Co. eine blühende Kirche böswillig zerrissen hätten, sie (und andere) haben in einer darniederliegenden Kirche einen neuen Anfang bewirkt. Um 800 fungierte das Papsttum als fränkischer Hofklerikus, der den Segen Gottes auf den Kaiser herabzurufen hatte und sicher sein konnte, bedarfsweise ausgetauscht zu werden (was Heinrich II. dann so machte). Da stand man in gewisser Weise auch vor dem Untergang, zumindest was den inneren Anspruch anging.

 

Ja, es gab Situationen, in denen die Kirche gefährdeter schien als heute. Aber können wir es uns erlauben, Europa unter Verweis auf angeblich blühende Kirchen aufzugeben - im Wissen darum, dass viele der Regionen, in denen die Kirche jetzt blüht, unsere Entwicklung nachvollziehen werden? Und selbst wenn das nicht so sein sollte - dürfen wir einfach aufgeben und uns ins Schicksal fügen, wie Kasper das tut: Der Gottesglaube schwindet, da kannst nix machen? Wie ein Dampfmaschinenfabrikant im Angesicht des Elektromotors die alte Fertigung zusperren?

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Ich halte das für ziemlich übertrieben. Die Reformation soll also nur eine laue Krise gewesen sein? Der Kulturkampf unter Bismark, ein Fliegenschiess? Die Verschleppung katholischer und evangelischer Geistlicher in die KZ der Nationalsozialisten, hat nicht stattgefunden? Was denkt ihr, ist die Krise in der katholischen Kirche in Deutschland beispiellos?

...

 

Ich denke, der große Unterschied der momentanen Krise zu den von dir beschriebenen liegt darin, dass die Auslöser für die Krise innerkirchlich. Das Problem ist nicht, dass sich die Kirche gegenüber einer ihr feindlich eingestellten Gesellschaft behaupten muss, was die Gläubigen natürlich zusammenschweißt, der Kulturkampf ist das beste Beispiel.

Heute bewegen wir uns in einer Umwelt, die der Kirche indifferent gegenüber eingestellt ist, sie vielleicht noch als Institution für Bewahrung kulturellen Erbes (von Kathedralenerhaltung bis Weihnachtsfestgestaltung) wahrnimmt.

Die Kirche erreicht nicht nur mehr die Masse der Bevölkerung, sondern auch ihre eigenen Leute nicht mehr. Man zieht sich zurück auf seine persönliche Spiritualität, weil die Kirche unglaubwürdig geworden ist, und zwar in zweierlei Hinsicht: Zum einen strukturell, da sie krampfhaft versucht, ein Territorialpfarrmodell aus der Mitte des letzten Jahrhunderts aufrecht zu erhalten und überhaupt strukturell so wenig wie möglich auf die veränderten soziologischen Gegebenheiten einzugehen.

Zum anderen hat sie inhaltlich an Glaubwürdigkeit verloren, da ihr theologisches System nicht in der Lage ist, die Fragen der Menschen vernünftig und ins eigene Leben umsetzbar zu beantworten. Wer das nicht glaubt, möge sich einmal mit der Frage auseinandersetzen, wann eine Ehe gültig ist. Das Modell des CIC mag in Zeiten weitgehender monokonfessioneller Ehen gut anwendbar gewesen sein, aber heutzutage, wo eine geschiedene Muslima als Braut nicht mehr außerhalb des Vorstellbaren liegt, wenden sich die Menschen resigniert ab, anstatt ein Sakrament zu erwarten.

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so wenig wie möglich auf die veränderten soziologischen Gegebenheiten einzugehen

Solange die Kirche und die Gesellschaft eins waren, hat sie die gesellschaftlichen Veränderungen noch initiiert, mitvollzogen, im schlimmsten Fall schneller implementiert.

 

Je weiter die Säkularisation geht, desto weniger kann sie es, weil immer mehr "außen" ist.

 

Seither befestigt sie jammernd die Wagenburg, duckt sich zwischen den Pfeilen und wartet auf die Kavallerie. :ninja:

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Krise ist doch eigentlich der Normalzustand der Kirche. Das liegt zum einen daran, daß wir alle Petrusse sind und den Herrn gelegentlich verleugnen und zum anderen daran, daß die himmelhohen Ideale eben auf Erden nie vollständig verwirklicht werden. Das muß man aushalten, freilich sollten akut erkannte Mängel abgestellt werden. Nur muß man auch hier mit Maß und Ziel herangehen, nicht mit hysterischen Kampagnen.

Ja, Krise ist der Normalzustand der Kirche. Und des Lebens insgesamt.

 

Fatale Probleme entstehen, wenn Krisen nicht hinreichend bearbeitet werden und alte Krisenherde von Jahr zu Jahr weiter geschleppt werden. Dann wächst der Haufen der Probleme stetig an. Die Probleme sind zwar immer noch die alten. Man hat sich z.T. sogar schon an sie gewöhnt. Aber die Ansammlung hat immer einen eigenen Stand.

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Ich verstehe "beispiellos" weniger als Superlativ, denn als Beschreibung des Umstands, dass - bedingt durch Massenkommunikation und -medien - die Aufarbeitung bestehender Missstände (z.B. bezogen auf die Missbrauchsfälle) als auch die Austragung der bestehenden Konflikte tatsächlich neue Strukturmerkmale aufweist, für die es auch neue Muster der Krisenbewältigung bedarf, in dem Sinne, dass die im Evangelium und in der Kirchengeschichte aufgehobenen Erfahrungen auch in ein geändertes allgemeines Kommunikationsverhalten einfließen könnten.

bearbeitet von Justin Cognito
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