TobiasNRW Geschrieben 18. April 2011 Melden Share Geschrieben 18. April 2011 Vor Jahren hab ich durch ein Referat gedöst, in dem angedeutet wurde, der Dekalog lasse sich nicht (nur) als Sammlung von Anweisungen, sondern als Versprechen lesen. Es hieße also nicht: "Du sollst ..", sondern "Du wirst, [wenn du mir treu bist] .." Fand das damals ein bisschen kurios; habe mich dunkel an den hebräischen Imperativ und den Text nach Exodus 20,17 erinnert, und darauf hingewiesen, dass wir auch im Deutschen das Futur als Imperativ nutzen ("Du wirst deine Hausaufgaben machen!") um es dann mehr oder minder zu vergessen. Frage lautet nun also: Woher kam diese Idee des Referenten? Google verweigert mir eine vernünftige Antwort (vermutlich aufgrund unglücklich gewählter Suchworte); aber ich hege die Hoffnung, dass es hier jemand weiß Das Futur 1 ist in der Tat richtig. Es ist auch theologisch von größter Bedeutung, weil das sittliche Handeln eben nicht (!) Voraussetzung für die Gnade ist, sondern Folge! Soll heissen: wer erkennt, das Gott mit dem Menschen a priori einen bedingungslosen Bund schließt, trotz seiner Schwächen (siehe Noahbund), der wird (Futur 1) aus dankbarer Liebe in diese Liebe einschwingen, indem er sich an diese Gebote hält. Nicht vergessen sollte man natürlich, dass diese Ethik des Dekalogs eine sehr frühe Form eines ethischen Minimalkonsenses ist, und erheblich erweitert werden muss. Beispiel: Du wirst nicht töten: Du wirst die Umwelt schützen, wirst Menschen zur Lebendigkeit führen, das sie all das Wunderbare entfalten können, was in ihnen verborgen liegt, wirst durch Toleranz Menschen leben lassen, etc, etc. Das Mißverständnis, dass die Liebe und Gnade Gottes Folge des ethischen Handelns und der praktizierten Religiosität ist, ist ja der zentrale Kritikpunkt Jesu am Judentum, näherhin am Pharisäismus seiner Zeit, und hat ihn letztlich ans Kreuz gebracht. Ethisches Handeln ist im Christentum stets dankbare Reaktion auf die bedingungslos zuvor geschenkte Gnade Gottes: ein Akt der Dankbarkeit und der Liebe. Ansonsten wäre es eine Religion, die aus der Angst geboren wäre, und nicht eine Religion der Liebe, sonst wäre es sehr schnell Drohbotschaft und keine Frohbotschaft. Tobias, kath. Theologe aus Köln Dir ist aber als Theologe schon klar, dass die christliche Interpretation 1. Nicht unbedingt mit der Absicht des isralitschen/jüdischen Autors des Textes übereinstimmt? 2. Der Text selbst keinerlei Anhaltspunkte dafür gibt, ob die eine oder die andere Interpretation als wahrscheinlicher anzusehen ist? 3. Es zu diesem Thema eine lange Rezeptiosgeschichte gibt, die wiederum ihre eigene Tradition hat? 4. Deine Inerpretation zwar möglich, aber nicht nicht die einzig mögliche und auch nicht als die Wahrscheinlichste (unter anderen ansonsten gleichrangigen Möglichkeiten ist)? Ich frage mich auch, ob eine futurische Interpretion wirklich ein so wesentlicher Unterschied zu einer Imperativischen ist? Das Problem dabei ist m.E etwas, was außerhalb des Textes liegt. Die 10 Gebote wurden und werden z.T. auch heute noch als Beichtspiegel verwendet. Und in Zeiten, in denen die Menschen um ihr Seelenheil fürchteten und eine Kirche zur Disziplinierung diese Angst förderte und die Menschen unterwies, dass selbst kleinste Verfehlungen das Seelenheil gefährden,wirken imperativische 10 Gebote wie eine Keule. Die futurische Interpreation scheint hier aus der Last der Geschichte herauszuführen. Die Keule ist weg und man kann wieder frohen Herzens an die 10 Gebote denken. Aus meiner Sicht sehe ich für den Text selbst den Unterschied nicht so krass. Die 10 Gebote stehen ja im AT nicht unverbunden singulär da. Sondern es gibt genug andere Texte, in denen Inhalte einzelner Gebote diskutiert werden (ohne zumeist auf den Dekolog direkt Bezug zu nehmen). Dass Alleinverehrungsgebot für Jahweh beispielsweise zieht sich sowohl durch den Pentateuch als auch durch den Rest des AT z.T. wie ein roter Faden. Man kann an vielen Stellen zeigen, dass das - eher späte Alleinverehrungsgebot - nachträglich als Maßstab zur Bewertung geschichtlicher Ereignisse dient. Und Israel ist an diesem Maßstab gescheitert, so dass sich der Untergang des königszeitlichen Israels sich hier sehr gut begründen lässt. Und damit führt sich der Dekalog in seinem unmittelbaren Kontext ad absurdum, wenn man ihn futurisch versteht: Israels steht davor, ins gelobte Land zu kommen. Aus der Perspektive der Autoren kann Israel nur im gelobten Land leben, wenn es die Gebote der Thora hält. Das tun sie aber nicht und so wirkt die Zusage Gottes, Israel würde in Zukuft so handeln ziemlich komisch. Wenn man dazu noch in Betracht zieht, dass es den biblischen Autoren darum geht, aus der Vergangenheit auf die Gegenwart und die Zukunft zu blicken, dann legt das doch eher den Schluss nahe, dass die 10 Gebote als Befehl gedacht waren, der dann von Isreal derart missachtet wurde, dass man unterging. Aus dieser Perspektive des Maßstabs ist das Alleinverehrungsgebot noch ziemlich schwach formuliert: zum einen schließt das Gebot im Dekolog nicht aus, dass es auch noch andere Götterr geben kann (man darf sie eben nur nicht verehren) und zum anderen fehlt die Kultzetralisation: Alleinverehrung ausschließlich in Jerusalem. Hallo, Mat, es bleibt m.E. die Frage,wie Christen das AT interpretieren sollten. Die Aspekte, die Du erwähnt hast, sind gewiss berechtigt, aber muß eine christliche Interpretation nicht auch die Entwicklungen in Rechnung stellen, die Entwicklung des Monotheismus, der Sittlichkeitsforderungen, des Messiasgedankens, etc? Ich sehe immer eine Gefahr darin, das man das AT aufschlägt, und dann mit einem willkürlichen Rückgriff auf eine frühe(re) Entwicklungsstufe unserer Religion argumentiert. Das würde heute kaum jemand tun, z.B., an den Stellen, wo Gott als ein Strafender und Zürnender verkündet wird.In meinen Bibelseminaren weise ich gern darauf hin, dass es eigentlich sinnvoller ist, die Bibel von hinten nach vorne zu lesen, und, was heute gern von Eiferern falsch verstanden wird, dass das Christentum genuin keine(!) Buchreligion ist. Du schreibst selbst, dass die von mir oben angeführte Interpretation möglich ist, und ich ergänze, dass sie möglich ist, wenn unser Parameter Jesus, der Christus ist, und die Hermeneutik des AT in ihm ihren Parameter hat. Für alttestamentliche Studien sind Betrachtungen früherer Entwicklungsstufen gewiss relevant, jedoch verkündigungstheologisch kaum verwertbar. Gruß! Tobias Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Mat Geschrieben 18. April 2011 Melden Share Geschrieben 18. April 2011 Hallo, Mat, es bleibt m.E. die Frage,wie Christen das AT interpretieren sollten. Die Aspekte, die Du erwähnt hast, sind gewiss berechtigt, aber muß eine christliche Interpretation nicht auch die Entwicklungen in Rechnung stellen, die Entwicklung des Monotheismus, der Sittlichkeitsforderungen, des Messiasgedankens, etc? Ich sehe immer eine Gefahr darin, das man das AT aufschlägt, und dann mit einem willkürlichen Rückgriff auf eine frühe(re) Entwicklungsstufe unserer Religion argumentiert. Das würde heute kaum jemand tun, z.B., an den Stellen, wo Gott als ein Strafender und Zürnender verkündet wird.In meinen Bibelseminaren weise ich gern darauf hin, dass es eigentlich sinnvoller ist, die Bibel von hinten nach vorne zu lesen, und, was heute gern von Eiferern falsch verstanden wird, dass das Christentum genuin keine(!) Buchreligion ist. Du schreibst selbst, dass die von mir oben angeführte Interpretation möglich ist, und ich ergänze, dass sie möglich ist, wenn unser Parameter Jesus, der Christus ist, und die Hermeneutik des AT in ihm ihren Parameter hat. Für alttestamentliche Studien sind Betrachtungen früherer Entwicklungsstufen gewiss relevant, jedoch verkündigungstheologisch kaum verwertbar. Gruß! Tobias Hallo Tobias, ich halte es nicht für willkürlich, wenn man erst einmal darüber nachdenkt, was denn ein Text in seinem ursprünglochen Kontext meint. Das ist überhaupt nicht willkürlich, sondern aus meiner Sicht notwendig. Ich habe an keiner Stelle mit einer Vorstufe des AT Endtextes argumentiert, sondern mit dem, was im Endtext da ist. Und da legt sich nun einmal die imperativische Interpretation nahe. Wenn Du mit der christlichen Tradion argumentierst, wird das Dilemma aber auch nicht geringer. Denn auch hier wird in vielen Strängen der imperativ vehement vertreten. Eigentlich ist es im christlichen Kontext noch viel schlimmer, weil sich die 10 Gebote aus ihrem Kontext gelöst haben und Essenz christlicher Moral gedeutet wurden, hier v.a. als Beichtspiegel und als Projektionsfläche für alle möglichen christlichen Moralvorstellungen. Mit einer futuristischen Deutung unterläuft man natürlich diesen traditionellen Ballast und bringt die 10 Gebote in ein völlig anderes Licht. Man kann versuchen, den Geboten weiterhin ein Gewicht zu geben, ohne ihre alte (unselige?) Tradtion. Die Frage ist dann aber, was diese Gebote wirklich (noch) sind? Warum sollte ich mich mit ihnen beschäftigen? Welche Relevanz sollen sie haben? 1 Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
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