Kirisiyana Geschrieben 5. September 2011 Melden Share Geschrieben 5. September 2011 Ein echter Mystiker denkt, schaut und fühlt mit dem Herzen, geht aber nicht damit hausieren. Zumindest die meiste Zeit taten sie wenigstens in Christentum und Islam auch gut daran. Nun ja, Meister Eckhart lehrte und predigte munter und viel an der Universität, in der Kirche, unter Dominikanern wie auch unter ganz einfachen Laien. Die einen begeisterte er, die andern störte er. Letztlich wurde ein kleiner Haufen Sätze aus seinem umfangreichen Werk als potentiell Häresie begünstigend herausgestrichen. Sicher hat ihn seine hohe Position und seine Eloquenz geschützt, während Marguerite Porète zwar das Gleiche predigte, aber eine einfache Frau war und wenig diplomatisch - und tatsächlich auf dem Scheiterhaufen landete. Wenn man so will, kann man es schon "hausieren gehen" nennen, wie beide ihre Einsichten versuchten weiterzuvermitteln. Für ein Mitglied und Gelehrten eines Predigerordens zumindest dürfte das aber eine normale und angesehene Beschäftigung gewesen sein. Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Platona Geschrieben 6. September 2011 Melden Share Geschrieben 6. September 2011 (bearbeitet) Ein echter Mystiker denkt, schaut und fühlt mit dem Herzen, geht aber nicht damit hausieren. Zumindest die meiste Zeit taten sie wenigstens in Christentum und Islam auch gut daran. Nun ja, Meister Eckhart lehrte und predigte munter und viel an der Universität, in der Kirche, unter Dominikanern wie auch unter ganz einfachen Laien. Die einen begeisterte er, die andern störte er. Letztlich wurde ein kleiner Haufen Sätze aus seinem umfangreichen Werk als potentiell Häresie begünstigend herausgestrichen. Sicher hat ihn seine hohe Position und seine Eloquenz geschützt, während Marguerite Porète zwar das Gleiche predigte, aber eine einfache Frau war und wenig diplomatisch - und tatsächlich auf dem Scheiterhaufen landete. Wenn man so will, kann man es schon "hausieren gehen" nennen, wie beide ihre Einsichten versuchten weiterzuvermitteln. Für ein Mitglied und Gelehrten eines Predigerordens zumindest dürfte das aber eine normale und angesehene Beschäftigung gewesen sein. Mit dem Hausieren meinte ich weniger die Essenz des Denkens als vielmehr die Aussage, ein Mystiker zu sein. bearbeitet 6. September 2011 von Platona Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Kirisiyana Geschrieben 6. September 2011 Melden Share Geschrieben 6. September 2011 Mit dem Hausieren meinte ich weniger die Essenz des Denkens als vielmehr die Aussage, ein Mystiker zu sein. Ach so Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Dies ist ein beliebter Beitrag. Alfons Geschrieben 6. September 2011 Dies ist ein beliebter Beitrag. Melden Share Geschrieben 6. September 2011 Hallo Alfons, durch die Antworten wurden mir schon einige Fragen beantwortet. Dennoch kann ich aus dem, was ich nun über die Mystik weiß, nicht erkennen, was "christliche Mystik" bedeutet. Christlich und Mystik bringe ich einfach nicht zusammen. Vielleicht kannst Du mir da weiter helfen. Gruß Korri Ja, gern. Die christliche Mystik hat sich bereits sehr früh im Christentum entwickelt, sie beruft sich vor allem auf einige Stellen bei Johannes und Paulus (zum Beispiel 1. Korinther 6,17). Grundlegend für die Entwicklung der Mystik im Christentum sind zum Einen die theologischen Ideen von zwei Kirchenvätern, die selber wohl keine Mystiker waren: Augustinus (354 – 430 u.Z.) und Papst Gregor der Große (um 540 – 604 u.Z.). Von Augustinus sind es besonders die Imago-Dei-Lehre und die Stufenlehre, die bestimmend für das theologische Denken der Mystiker in späteren Jahrhunderten wurden; unter den bedeutenden Mystikerinnen und Mystikern fällt mir nur Meister Eckhart ein als jemand, der nicht in Stufen dachte. Gregor I. hat die Unterscheidung der beiden Lebensformen, der Vita activa und der Vita contemplativa, deren Ursprünge in der antiken Tradition und der griechischen Philosophie liegen, in die theologische Begriffswelt des Christentums gebracht. Das hat die Deutung beispielsweise der biblischen Frauenduos Martha ./. Maria und Lea ./. Rachel über Jahrhunderte geprägt, aber vor allem den Blick auf den Wert des kontemplativen Lebens gelegt. Nach Gregor war „das aktive Leben zwar gut, das kontemplative aber das bessere“ (Ruh, Geschichte der abendländischen Mystik, I/160). Zum Anderen beruft sich die Mystik wie auch die christliche Theologie insgesamt auf das Werk des Mystikers Dionysius Areopagita (um 500 u.Z.). Wann immer es um die Art und die Möglichkeiten der Gotteserkenntnis geht, kommen die Ideen des Pseudo-Areopagiten ins Spiel, der Gott als das Unerkennbare jenseits des Seins beschrieben hat und die Möglichkeiten spiritueller Erkenntnis in Sätze wie diesen fasst: „Dass uns diese überlichthafte Dunkelheit zuteil werde, begehren wir, und durch Nichtsehen und Nichterkennen erkennen und sehen wir das, was über allem Sehen und Erkennen ist“ (Mystische Theologie, im 2. Kapitel). Da versucht Dionysius – so wie es viele Mystiker versucht haben – etwas zu beschreiben, von dem sie wissen, dass es sich eigentlich nicht in Worte fassen lässt, wie Ludwig Wittgenstein ebenfalls klar erkannt hat: „Es gibt allerdings Unaussprechliches: Dies zeigt sich, es ist das Mystische“ (Tractatus 6.522). Aus den bisherigen Postings in diesem Thread ist dir sicher klar geworden, dass eine wesentliche Grundlage der mystischen Welterfahrung, aber auch der theologischen Ideen, die damit verbunden sind, die Erfahrung des All-Einen ist. Für dieses spirituelle Erleben, dieses „ozeanische Gefühl“ – der Begriff stammt nicht von Sigmund Freud, der das selber nie erlebt hat, sondern von dem französischen Schriftsteller Romain Rolland – gibt es rund um die Welt viele Bezeichnungen. Laotse nennt es das Tao, Svami Prajnanpad die Erfahrung der Einheit, die islamischen Sufis sprachen von Tawhid, dem Einswerden, der Buddhismus vom So-Sein. Ich denke, die „Unio mystica“ der christlichen Mystikerinnen und Mystiker redet von dem gleichen Erleben, das man sich als religiöser Mensch als Einssein mit Gott, als nichtreligiöser Mensch als Einssein mit der Welt vorstellen kann. Darin bin ich übrigens anderer Ansicht als Karl Rahner, der (im Lexikon für Kirche und Theologie) versichert, dass die „reinste Mystik notwendig religiös ist“. Wobei natürlich zu berücksichtigen ist, dass Mystik mehr ist als nur „ozeanisches Gefühl“. Mystisches Denken ist also Teil des christlichen Glaubens und hat die Inhalte der Theologie beeinflusst und geprägt. Zugleich war die Kirche immer wieder voller Misstrauen (um es milde auszudrücken) gegenüber Menschen, die verkündeten, es gebe einen direkten Zugang zu Gott, so ganz ohne priesterliche Vermittlung. Dies und der Vorwurf des Pantheismus – für die Mystik gibt es keine Kluft zwischen Gott und der Welt, sondern die Welt ist eine Erscheinung des Göttlichen – ziehen sich als Kritikpunkte durch die Geschichte der christlichen Mystik. Das Verhalten der Kirche als Organisation gegenüber Mystikerinnen und Mystikern schwankte zwischen den Extremen Heiligsprechung (Terese von Ávila) und Verbrennen auf dem Scheiterhaufen (Margareta Porete), worauf Kirisiyana ja bereits hingewiesen hat. Dabei spielt natürlich die Wirkungsgeschichte der Predigten und Schriften von Mystikern eine Rolle. Die „Nachfolge Christi“ von Thomas a Kempis war zeitweise das nach der Bibel meistgedruckte Buch in Mitteleuropa. Der „Spiegel der einfachen Seelen“ von Margareta Porete kursierte trotz Verbot jahrhundertelang. Durch die Schriften von Mystikern wurde im 12. bis 14. Jahrhundert eine Volksfrömmigkeit gefördert, die von der dogmatisch verhärteten Kirche oft heftig bekämpft wurde. Zugleich entstand in dieser Zeit die Beginenbewegung, die Frauen eine sichere Existenz und ihrer Frömmigkeit weite Verbreitung ermöglichten. Hier berührt die europäische Mystik die Geschichte der Frauenemanzipation. (Einiges dazu steht auch in meinem Aufsatz „Die Frau, auf deren Kopf der fromme Jan tritt“ über die flämische Mystikerin Heilwijch Blomart, der als eine Art Fortsetzungsgeschichte komplett in einem Thread hier im Forum steht, und zwar hier). Schließlich hatte die Frauenmystik auch erhebliche, bisher wenig untersuchte Auswirkungen auf die Ablösung des Lateins durch die Volkssprachen wie Mittelniederländisch und Frühneuhochdeutsch, die sich – Luther hin oder her – ohne die klugen Autorinnen in den Klöstern und Beginenhöfen wohl wesentlich langsamer als Schriftsprachen verbreitet hätten. Damit sind wir wieder beim Zusammenhang „Mystik und Christentum“. Die Mystik hat einen wesentlichen Teil der christlichen Lebensweise, nämlich den kontemplativen Teil, gedanklich und im täglichen Leben vieler Christen gestaltet. Erfahrung der Gegenwart Gottes, Gebet, Meditation, Askese, Anleitungen zu christlicher Vollkommenheit, das Verständnis von den Gaben des Heiligen Geistes, die Idee von der Gottesgeburt im Herzen der Gläubigen, die Dominanz der Liebe vor dem Erkennen und viele weitere Aspekte des Christentums sind von der Mystik beeinflusst oder geprägt worden. Dutzende Namen wären hier zu nennen: Bernhard von Clairvaux, Hildegard von Bingen, Hadewijch, Meister Eckhart, Nikolaus von Flüe, Seuse, Tauler, Johannes vom Kreuz... Die oft schwer verständliche Sprache mittelalterlicher Mystiker hat sich gewandelt, aber die Ideen kehren bei christlichen Autoren dieses und des vorigen Jahrhunderts, die sich dem „spirituellen Weg“ und der Mystik verbunden fühlen, wieder. Um zwei bekannte Beispiele zu nennen: die Gedanken über die Formen der Liebe im Werk von Simone Weil (1909 – 1943) haben Entsprechungen im Denken des Bernhard von Clairvaux, und in seinem Bestseller „Die Welle ist das Meer“ erläutert der Benediktinermönch und Zen-Lehrer Willigis Jäger unter anderem die „Coincidentia oppositorum“ des Nikolaus von Kues. Soweit ein kleiner Ausflug in das Thema. Kannst du die Begriffe „christlich“ und „Mystik“ jetzt leichter zusammen bringen? Alfons 4 1 Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Alfons Geschrieben 6. September 2011 Melden Share Geschrieben 6. September 2011 (bearbeitet) Leer... ...wie das Bewusstsein eines meditierenden Mönchs... (Doppelpost, gelöscht) Alfons bearbeitet 6. September 2011 von Alfons Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
theologie-der-vernunft.de Geschrieben 6. September 2011 Melden Share Geschrieben 6. September 2011 (bearbeitet) Danke Alfons, für deine gute Beleuchtung christlicher Mystik. Warum ich denke, dass die mystische bzw. außerhalb des rationalen Denkens erfahrbare All-Einheit nicht der urchristliche Weg war und ist, kannst du unter der "Vision schöpferischer Vernunft" nachlesen. http://www.theologie-der-vernunft.de/ Auch wenn dort deutlich wird, wie nach dem päpstlichen Anstoß zur Glaubensaufkärung aus der denkend erfahrbaren natürlichen Sinngebung eine gemeinsamen schöpferischen Verantwortung wird, die in der Mystik allein nicht gegeben ist. So versuche ich trotzdem klar zu machen, dass es in Mystik wie in der glaubensaufgeklärten Wahrnehmung des wissenschaftlich erklärten Werdens als schöpferisches Wortes/Vernunfsinnes (mit chr. Namen Jesus), es letztlich um eine Sache geht, die in Verschiedenheit wahrgenommen wird. Nach der "Vision schöpferischer Vernunft" wird genau das, was oft auf mystische Weise wahrgenommen wurde, auf logische Weise in Vernunft erklärt. Ob z.B. Hildegard von Bingen oder Teilhard de Chardin gelten dann nicht mehr als Mystiker. Sie haben nicht (ins Leere) "geschaaaut" oder ihre Lehre aus Leere bzw.einer Buchleere bezogen wie dann oft auf Studientagen erklärt wird. Sie haben die natürliche Schöpfung bzw. die Natur, das ganz kausale kreative Geschehen/Werden nur zu einer Zeit als als schöpferische Bestimmung (die Biblel spricht vom Wort) wahrgenommen, als noch nicht in Aufklärung klar gemacht werden konnte, dass genau hier der christliche Vernunft-Grund des Glaubens begraben liegt. Eine in einsehbarer kreativer evolutionär erklärter Kosmos- und Kulturentwicklung begründetete Vernünftigkeit, die die bisher nur mystisch erfahrbare All-einheit in VerantWORTung verwandelt, aber im christlichen Glauben leider "abgeschrieben" ist und nur noch einen Bart als junges Gottesbild hat. Gerhard bearbeitet 6. September 2011 von theologie-der-vernunft.de Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Korri Geschrieben 6. September 2011 Autor Melden Share Geschrieben 6. September 2011 (bearbeitet) Soweit ein kleiner Ausflug in das Thema. Kannst du die Begriffe „christlich“ und „Mystik“ jetzt leichter zusammen bringen? Alfons Danke für Deine Ausführungen. Korri quote repariert. Elima. Mod bearbeitet 6. September 2011 von Elima Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
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