gouvernante Geschrieben 28. Dezember 2012 Melden Share Geschrieben 28. Dezember 2012 Erkenntnistheoretisch kommt man mE aus einer (milden) Form des Konstruktivismus nicht "heraus". Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
phyllis Geschrieben 28. Dezember 2012 Autor Melden Share Geschrieben 28. Dezember 2012 (bearbeitet) Der Beobachter bringt sich selbst immer mit in die Beobachtung. Die Frage in der praktischen Arbeit (an sich selbst) scheint einfach ist aber hochexplosiv: gefunden oder erfunden?phyllis möge mir verzeihen aber "ihr" Krähenexperiment ist so ein Beispiel für Deine Annahmen. meinst du jetzt “invasives” beobachten (durch die beobachtung verändert der beobachtete sein verhalten) oder saufen wir ab in den konstruktivismus? :unsure: bearbeitet 28. Dezember 2012 von phyllis Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Marcellinus Geschrieben 28. Dezember 2012 Melden Share Geschrieben 28. Dezember 2012 (bearbeitet) Klingt für mich nach sozialem Konstruktivismus. Dass Wissen immer auch ein sozialer Prozess ist, ist im Grunde trivial. Damit passt es ganz gut zu meinen kritischen (man könnte auch sagen: skeptischen) Rückfragen oben. Es scheint mir aber nicht so recht zu deinem Konzept der Tatsachenbeobachtungen zu passen, denen du, falls ich ich dich richtig verstanden habe, einen hohen Stellenwert zur Objektivierung von Wissen einräumst. Denn wenn Wissen vor allem ein sozialer Prozess ist, landet man schnell beim Kontextualismus und damit beim Relativismus. Doch genau das scheint ja nicht deine Absicht zu sein. Ok, also noch etwas ausführlicher: Es geht um Wahrnehmung und Realität, um die Welt und unser Bild von ihr. Und schon sind wir mitten drin in der Philosophie, und obwohl es die seit über 2.500 Jahren gibt, und sich fast genauso lange mit genau diesen Problemen beschäftigt, ist dabei bisher nicht wirklich etwas herausgekommen. Das Dilemma ist, daß man hier nach absoluten Begriffen sucht, die man den rein äußeren Erscheinungen gegenüberstellt und man sich fragt, wie man eigentlich zu einem Bild von dieser Welt kommt, wenn man ohne vorgegebene Kategorien nicht einmal etwas wahrnehmen kann, aber ohne Wahrnehmung auch keine Kategorien hat. Induktion oder Deduktion? Die „Lösung" von Popper, sich um die Entstehung von Theorien einfach nicht zu kümmern, ist auch keine Lösung. Dabei hat ein Mann vor fast 200 Jahren das Problem schon ziemlich genau gesehen, Auguste Comte, der heute noch der Positivist schlechthin gilt , also als jemand, der meine, man könne bei wissenschaftlicher Arbeit von Beobachtungen ausgehen, auf Grund derer man nachträglich Theorien bilde („positiv" war für ihn selbst übrigens ein Synonym für „wissenschaftlich"). Comte dagegen schrieb: „Denn wenn auch auf der einen Seite jede positive Theorie notwendigerweise auf Beobachtungen fundiert sein muß, so ist es auf der anderen Seite nicht weniger richtig, daß unser Verstand eine Theorie der einen oder anderen Art braucht, um zu beobachten. Wenn man bei der Betrachtung von Erscheinungen diese nicht unmittelbar in Beziehung zu gewissen Prinzipien setzen würde, wäre es nicht nur unmöglich für uns, diese isolierten Beobachtungen miteinander in Verbindung zu bringen ... wir würden sogar völlig unfähig sein, uns an die Tatsachen zu erinnern; man würde sie zum größten Teil nicht wahrnehmen." (Auguste Comte, Cours de Philosophie Positive, Band 1, Paris 1907) Wissenschaftliche Arbeit, Wahrnehmung überhaupt ist also nichts anderes als ein wechselseitiger Prozeß von Beobachtung und Theoriebildung. Ihr Ausgangspunkt ist unsere im Laufe der Evolution entstandene Fähigkeit zur Wahrnehmung, die wiederum in einem wechselseitigen Prozeß von Veränderung und Auslese entstanden sind. Diese Wahrnehmungen, die wir machen, sind optimiert auf einen ganz einfachen Zweck: das Überleben. Wir sehen die Welt nicht so wie sie ist, sondern so, wie es für das Überleben am zweckmäßigsten ist. Unser Vorfahr, der von dem herannahenden Säbelzahntiger eine unrealistische Vorstellung hatte, war bald ein Toter, und schied damit als Vorfahr aus. Das Bild, daß uns unsere Wahrnehmungsorgane von dieser Welt zeigen, ist also realistisch, aber es ist nicht die Welt an sich, ist nicht im philosophischen Sinne wahr. Diese Beobachtungen erklären aber nicht jeden möglichen Zusammenhang. Man kann einen Blitz sehen, ohne zu verstehen, was das ist. Unsere Natur zwingt uns aber, uns mit unvollständigen Antworten nicht zufrieden zu geben, besonders dann, wenn wir uns davon bedroht fühlen. Es ist neurowissenschaftlich nachgewiesen, daß unserer Gehirn, besonders unter Stress, lieber eine Fantasieerklärung produziert, als eine Frage unbeantwortet zu lassen. Dabei geben wir von Natur aus Erklärungen mit einem persönlichen Verursacher eindeutig den Vorzug, solange wir keine anderen Informationen haben. Auch hier ist der biologische Sinn wieder ganz einfach. Wenn unser Vorfahr ein ungekanntes Geräusch hörte, nahm er erst einmal an, da sei eine Person oder ein Tier. Wenn er sich irrte, hatte er sich einfach nur geirrt. Wenn er aber ein Geräusch für harmlos hielt, hinter dem ein Gegner steckte, war er vielleicht tot, bevor er seinen Irrtum bemerken konnte. Urban Legends und Verschwörungstheorien funktionieren heute noch nach dem Schema. Am Beginn unserer Entwicklung, als die Menschen noch kaum Informationen über die Zusammenhänge in dieser Welt besaßen, bildeten sie sich ihrer Vorstellungen, die Modelle von den Zusammenhängen zwischen den Beobachtungen, die sie in der Welt machten, mit Hilfe der Fantasie und der Annahme, daß hinter allem persönliche Verursacher stecken müßten. So entstanden vermutlich die ersten Religionen. Und diese Modelle funktionierten häufig sogar. Man machte einen Regentanz für den Wettergott und irgendwann regnete es. Das war die Bestätigung. Wenn der Regen ausblieb, hatte man eben nicht genügend getanzt. Nur die positiven Fälle werden registriert. Aberglauben funktioniert heute noch so. Du kannst 10mal am Freitag, dem 13. nichts erlebt haben, das eine Mal, wo du dir den Arm gebrochen hast, bestätigt die Theorie. Aber im Laufe der Zeit scheiterten eben doch viele dieser Modelle und wurden durch solche ersetzt, die realistischer waren. Krankheiten betrachtete man ursprünglich als von Geistern verursacht. Aber man konnte die Geister noch so viel beschwören, manche Krankheiten kamen immer wieder. Bis jemand die Beobachtung machte, daß Fieber häufig in der Nähe von Sümpfen auftrat. Dort stank es erbärmlich. Also mußte der Gestank die Krankheiten verursachen. Man legte den Sumpf trocken und Gestank und Fieber verschwanden. Die Miasmentheorie war geboren. In unserem heutigen Verständnis war sie falsch, aber realistischer als die Geistertheorie war sie allemal und sie bestätigte sich in der Wirklichkeit. Sie war ein Fortschritt. Bis man im 19. Jh in London der Cholera-Epidemie nicht Herr wurde. Londen war wie alle großen Städt im Europa der damaligen Zeit eine schmutzige Stadt und es stank erbärmlich. Also versuchte man den krankmachenden Gestand zu beseitigen, indem man die Abwässer in die Themse leitete - aus der die Menschen ihr Trinkwasser nahmen. Der Gestank war weg, die Krankheit wütete schlimmer als zuvor. Erst an diesem Widerspruch zur Wirklichkeit erkannte man seinen Irrtum, und man begann zu vermuten, es müsse etwas mit dem verunreinigten Wasser zu tun haben, nicht mit dem Gestank. Der praktische Erfolg stellte sich sofort ein, die theoretischen Bestätigung kam erst sehr viel später, als man unter dem Mikroskop Bakterien beobachten konnte. Wir beginnen also mit beobachtbaren Eigenschaften. Unsere Vorstellungen sind Modelle von Zusammenhängen zwischen solchen Beobachtungen. Ob diese Modelle falsch sind, können wir nur feststellen, wenn sie mit der Wirklichkeit, die sie beschreiben sollen, in Widerspruch geraten, wenn und nur dann wenn wir Beobachtungen machen, die unseren Modellen widersprechen. Fortschritt entsteht dadurch, daß wir alte Modelle durch bessere ersetzen, wobei besser heißt: in besserer Übereinstimmung mit mehr Beobachtungen. Dabei kann herauskommen, daß die alte Theorie schlicht falsch war, oder, wie im Falle von Newton, nur in gestimmten Fällen galt. Wichtig ist der Vergleich, der Komparativ. Die neue Theorie ist nicht etwa wahr, aber sie ist auch nicht beliebig, sie ist einfach besser, realistischer. Das gilt auch schon für vorwissenschaftliche Vorstellungen. Dagegen hat man das wissenschaftliche Stadium eines Fachgebiets erreicht, wenn neue Theorien alte nicht mehr für unbrauchbar erklären, sondern sie umfassen, wie die Relativitätstheorie die Newtonsche Mechanik. Unsere Vorstellungen von dieser Welt sind also nicht beliebigen Theorien, und sie sind auch keine unveränderlichen Wahrheiten und sie sagen uns auch nichts über das „Wesen" dieser Welt, sondern sie sind ein Prozeß, in dessen Verlauf unserer Vorstellungen immer realistischer und weniger fantasiegeladen geworden sind. Dieser Prozeß ist nicht zwangsläufig (es gab ja auch schon Rückschritte und es kann sie wieder geben) und er ist auch nicht zielgerichtet, sondern ein Prozeß, in dem die Anzahl und die Zuverlässigkeit nachprüfbarer Aussagen über die Wirklichkeit zugenommen haben. Sie enthalten sicher auch heute noch Fantasievorstellungen, die uns nicht bewußt werden, weil sie uns selbstverständlich erscheinen, und bisher nicht mit der Wirklichkeit kollidiert sind. In der Regel können wir nur durch solche Widersprüche Fehler entdecken. Das letzte Wort hat eben (meistens) das Experiment. Unsere Theorien sind nicht in einem philosophischen Sinne wahr, und sie sind auch nicht bloße Konvention oder Konstruktion, sondern sie werden (im günstigen Falle) besser, realistischer. Und das ist das Maß für den wissenschaftlichen Fortschritt, für Erkenntnisfortschritt im allgemeinen. bearbeitet 28. Dezember 2012 von Marcellinus 1 Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
teofilos Geschrieben 28. Dezember 2012 Melden Share Geschrieben 28. Dezember 2012 Der Beobachter bringt sich selbst immer mit in die Beobachtung. Die Frage in der praktischen Arbeit (an sich selbst) scheint einfach ist aber hochexplosiv: gefunden oder erfunden?phyllis möge mir verzeihen aber "ihr" Krähenexperiment ist so ein Beispiel für Deine Annahmen. meinst du jetzt “invasives” beobachten (durch die beobachtung verändert der beobachtete sein verhalten) oder saufen wir ab in den konstruktivismus? :unsure: Warum gleich Etiketten? Ich gehe mal davon aus, dass Du die Untersuchung etwas verdichtet beschrieben hast. Aber so, wie es nun mal da steht, sind mir (u.a.) ein paar methodische Mängel aufgefallen, die mich, müsste ich eine Schutzwürdigkeit begutachten, wenig überzeugen täten. Auch fallen (z.B.) Begriffe, wie 'groß/klein', die stillschweigend der Krähe ein, dem Menschen ähnliches, Raum- bzw. Volumenkonzept unterstellen. Gut, wie Du schon selber sagtest, OT. Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
phyllis Geschrieben 28. Dezember 2012 Autor Melden Share Geschrieben 28. Dezember 2012 Ich gehe mal davon aus, dass Du die Untersuchung etwas verdichtet beschrieben hast. ja logo, sehr verdichtet sogar. es ging mir nur um eine differenzierung zwischen beobachtung und experiment. Gut, wie Du schon selber sagtest, OT.kommt jetzt auch nicht mehr drauf an. http://www-rohan.sdsu.edu/~jmahaffy/courses/f00/math122/lectures/optimization/opt.html wir haben das experiment wiederholt und einige variablen angefügt, um das gruppendynamische verhalten zu untersuchen. was Zach bereits mmn einwandfrei belegt hat (und nur durch beobachtung wäre man nie darauf gekommen) ist dass die natürliche selektion auch hier funzt - die krähen sind nahe dran am optimum des verhältnisses enerigeaufwand zu ertrag beim futtern. ansonsten hätte man sich fragen müssen, warum sich doofe viecher überdurchschnittlich erfolgreich fortpflanzen. aber so können wir die frage getrost den theologen überlassen (elegant den zusammenhang zum thema findend). PS die krähen haben sicher einen sehr sehr ähnlichen sinn für gross und klein, schwer und leicht, die gravitationsgesetze gelten für sie auch. in dem zshang - grosse schalentiere brechen leichter und enthalten mehr kalorien, und werden daher bevorzugt. Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
teofilos Geschrieben 28. Dezember 2012 Melden Share Geschrieben 28. Dezember 2012 Ich gehe mal davon aus, dass Du die Untersuchung etwas verdichtet beschrieben hast. ja logo, sehr verdichtet sogar. es ging mir nur um eine differenzierung zwischen beobachtung und experiment. Gut, wie Du schon selber sagtest, OT.kommt jetzt auch nicht mehr drauf an. http://www-rohan.sdsu.edu/~jmahaffy/courses/f00/math122/lectures/optimization/opt.html wir haben das experiment wiederholt und einige variablen angefügt, um das gruppendynamische verhalten zu untersuchen. was Zach bereits mmn einwandfrei belegt hat (und nur durch beobachtung wäre man nie darauf gekommen) ist dass die natürliche selektion auch hier funzt - die krähen sind nahe dran am optimum des verhältnisses enerigeaufwand zu ertrag beim futtern. ansonsten hätte man sich fragen müssen, warum sich doofe viecher überdurchschnittlich erfolgreich fortpflanzen. aber so können wir die frage getrost den theologen überlassen (elegant den zusammenhang zum thema findend). PS die krähen haben sicher einen sehr sehr ähnlichen sinn für gross und klein, schwer und leicht, die gravitationsgesetze gelten für sie auch. in dem zshang - grosse schalentiere brechen leichter und enthalten mehr kalorien, und werden daher bevorzugt. Super! Vielen Dank. Das braucht jetzt erst mal die ganze Nacht. Ein Sinn für groß/klein ist ja erst mal nicht ausgeschlossen. Nur werden den Krähen unsere Maßstäbe in gewisser Weise übergestülpt. Kann doch auch sein, dass das Auswahlkriterium Geruch oder Farbe ... ja sogar erlernte Traditionen sind; eine vielleicht zufällige Korrelation. Etwas auf groß/klein festzulegen bremst weitere Untersuchungen aus. Ich will da nicht voreilig sein. Ich werde mir die Nacht um die Ohren schlagen Warum nimmt der aufsteigende Lachs den Köder obwohl er nicht mehr frisst? Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Volker Geschrieben 28. Dezember 2012 Melden Share Geschrieben 28. Dezember 2012 @Volker: Richtig ist, dass die Verheißungen des Alten Testaments sich nicht notwendigerweise auf Jesus beziehen müssen (nicht einmal notwendigerweise auf einen künftigen Messias). Dass die Evangelisten von der Septuaginta ausgingen, ist sehr gut möglich: Selbst in Judäa und Galiläa war Hebräisch zur Zeit Jesu keine gesprochene Sprache mehr; in der Diaspora wurde ausschließlich fast Griechisch gesprochen. Von zwei Eseln ist nur bei Matthäus die Rede, während der Einzug in Jerusalem von allen vier Evangelisten berichtet wird. Matthäus ist überhaupt derjenige Evangelist, der am öftesten das Alte Testament zitiert; Markus und Lukas interessieren sich weit weniger dafür, Johannes so gut wie nicht. (Ich verwende die gängigen Namen, ohne damit Anspruch auf deren historische Richtigkeit zu erheben). Richtig ist auch, dass der Antimodernisteneid eine fatale Wirkung auf die theologische Forschung, nicht nur in Deutschland, hatte. Bis hierhin keinen Einwand. Falsch ist dagegen, dass dies der Grund für die Kritik an Deschner ist: Deschners Forschungsgebiet ist die Kirchengeschichte, nicht die Exegese; in dieser gab es zu jeder Zeit mehr Freiheiten. Mein Fehler: Ich hätte explizit sagen sollen, an was ich dachte, nämlich die beiden Bücher "Abermals krähte der Hahn" und "Der gefälschte Glauben". Gerade letzterer Band setzt sich kaum mit Kirchengeschichte auseinander, ersterer nur in Teilen. Bei Ranke-Heinemann verhält es sich etwas anders: Sie verlor die Missio tatsächlich unter anderem, weil sie die Jungfrauengeburt bestritt. Dies war allerdings weder der einzige Grund, noch ist es heute der Hauptvorwurf gegen sie. Sie hat andere, nachweislich falsche Thesen verbreitet, weshalb sie, anders als etwa Küng, in der Tat heute nicht mehr ernst genommen wird. Mich würde interessieren, welche falschen Thesen das sein sollen. Die Beispiele Küngs und Drewermanns zeigen im Übrigen, dass sich dank dem Konkordat in Deutschland kaum ein Theologe (zumindest, wenn er Lehrstuhlinhaber ist) Gedanken um seine berufliche Zukunft machen muss: Beide behielten nicht nur ihren Status als Professoren sondern konnten exakt dieselben Projekte weiterführen wie bisher. Trotzdem bedeutet das eine starke Isolation, und wirklich als Theologe gilt man nicht mehr. Wissenschaft an der Uni besteht aus Forschung und Lehre, und wer nichts Prüfungsrelevantes mehr lehrt ist für den Nachwuchs damit quasi "gestorben". Ernsthaft Sorgen muss sich hierzulande etwa ein Historiker machen, der ernsthaft Zweifel am Holocaust äußert (wobei der Holocaust Tatsache ist; jede gesetzliche Einschränkung der wissenschaftlichen Forschung ist aber nach den Kriterien, die du und andere für die Theologie anlegst ein Grund, einer Wissenschaft die Berechtigung abzusprechen, sich Wissenschaft zu nennen). Ja, das man Zweifel am Holocaust nicht äußern darf ist ein extremes Ärgernis und tatsächlich eine Behinderung der Forschung - hat sich bislang nur deswegen auf die Wissenschaft noch nie ausgewirkt, weil nur durchgedrehte Knalltüten den Holocaust bestreiten. Allerdings ist es hier der Staat und nicht eine fremdländische Organisation, die definitiv nicht nach demokratischen Maßstäben geführt wird und die den Ansprüchen an einen Rechtsstaat nicht genügt, die einen Einfluss hat. Das ist noch ein Unterschied. Ernsthaft Sorgen machen muss sich ein Jurist, der das Grundgesetz ablehnt. Ernsthaft Sorgen machen muss sich ein Mediziner, der Homosexualität als Krankheit bezeichnet. Ihnen kann es passieren, dass ihnen der Lehrstuhl entzogen wird und sie tatsächlich vor dem Nichts stehen. Jura ist für mich keine Wissenschaft, und Mediziner und vor allem Psychiater (das sind immer Mediziner) die Hoosexualität für eine Krankheit halten gibt es tatsächlich. Mir ist nicht bekannt, dass einem davon der Lehrstuhl entzogen wurde. Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Volker Geschrieben 28. Dezember 2012 Melden Share Geschrieben 28. Dezember 2012 Das Fledermausbeispiel soll veranschaulichen, dass auch unser Wissen über die Welt evolutionär erfolgreich sein kann, ohne zugleich objektive Erkenntnis der Wirklichkeit zu sein. (Natürlich müsste man jetzt diskutieren, wie man hier "objektiv" definieren will.) Das ist kein so großes Problem, weil es schon so ist, dass beispielsweise ein Affe, der den dreidimensionalen Raum falsch einschätzt, ziemlich schnell tot vom Baum fällt und daher nicht zu unseren Vorfahren gehört. D. h., wer besser als seine Konkurrenten die objektive Realität erkennt, hat in lebensrelevanten Dingen damit einen Vorteil. Es geht bei Erkenntnis nicht um das Erkennen einer absoluten objektiven Realität, sondern nur darum, besser zu sein als die Konkurrenz. Es kommt nicht auf die absolute Richtigkeit einer Theorie an, sondern es geht darum, dass sie besser ist als die konkurrierenden Theorien. Objektiv ist leicht zu definieren: Unabhängig vom subjektiven Standpunkt. Ein dazu wichtiges Stichwort ist das der Invarianz. Um Grenzen zu kennen, müsste man wissen, was jenseits der Grenzen ist. Dann gäbe es keine Erkenntnis: Da man nicht wissen kann - per Definition - was "jenseits der Grenzen der Erkenntnis" liegt, kann es also nicht darauf ankommen, etwas über das jenseits der Erkenntnis zu wissen. Erkenntnis geht auch ohne die genaue Kenntnis der Grenzen. Wie Wittgenstein es sagte: Man kann dem Denken keine Grenze ziehen, denn dazu müsste man wissen, was man nicht weiß. Theologen und Esoteriker versuchen das zwar, aber sind generell damit gescheitert. Wie soll das hier gehen? Wir können höchstens aus try and error lernen, was evolutionär passt und was nicht. Hinsichtlich "objektiver Erkenntnis der Wirklichkeit", also dem, was die Wissenschaft ja anstrebt, und dem Problem des inhärenten Zirkels theoriebeladener Beobachtungen (bzw. eben kritischer Prüfungen) sehe ich da noch keine Lösung. Ich hatte die Lösung skizziert, das auszuführen sprengt allerdings das Thema. Denn der Zirkel ist nur dann ein Problem, wenn man vom alten Rationalismus ausgeht (wie die Theologie), dann ist das Problem allerdings unlösbar. Löst man sich - wie etwa die evolutionäre Erkenntnistheorie - von dieser Einschränkung, dann ist das Problem des Zirkels lösbar. Ich will nur mal andeuten, mit einer Analogie, wie das geht: Wie wird ein Schmiedehammer hergestellt? Ganz einfach: Stahl wird mit einem Schmiedehammer zu einem neuen Schmiedehammer geformt. Da haben wir einen Zirkel: Um einen Schmiedehammer zu bekommen, braucht man einen Schmiedehammer. Wenn das ein unlösbares Problem wäre, hätten wir keine Schmiedehämmer, weil es eine Zeit gab, in der Menschen keine Schmiedehämmer besaßen. Heute gibt es welche. Wie konnte das geschehen? Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
MartinO Geschrieben 28. Dezember 2012 Melden Share Geschrieben 28. Dezember 2012 Mich würde interessieren, welche falschen Thesen das sein sollen. Z.B. die Aussage, die Zölibatsfrage sei der Grund für die Reformation gewesen. Trotzdem bedeutet das eine starke Isolation, und wirklich als Theologe gilt man nicht mehr. Wissenschaft an der Uni besteht aus Forschung und Lehre, und wer nichts Prüfungsrelevantes mehr lehrt ist für den Nachwuchs damit quasi "gestorben". Für die Theologiestudenten im engeren Sinn. Für Promotionsstudenten nicht mehr und für Studenten im Allgemeinen auch nicht. Ernsthaft Sorgen muss sich hierzulande etwa ein Historiker machen, der ernsthaft Zweifel am Holocaust äußert (wobei der Holocaust Tatsache ist; jede gesetzliche Einschränkung der wissenschaftlichen Forschung ist aber nach den Kriterien, die du und andere für die Theologie anlegst ein Grund, einer Wissenschaft die Berechtigung abzusprechen, sich Wissenschaft zu nennen). Ja, das man Zweifel am Holocaust nicht äußern darf ist ein extremes Ärgernis und tatsächlich eine Behinderung der Forschung - hat sich bislang nur deswegen auf die Wissenschaft noch nie ausgewirkt, weil nur durchgedrehte Knalltüten den Holocaust bestreiten. Allerdings ist es hier der Staat und nicht eine fremdländische Organisation, die definitiv nicht nach demokratischen Maßstäben geführt wird und die den Ansprüchen an einen Rechtsstaat nicht genügt, die einen Einfluss hat. Das ist noch ein Unterschied. Das ist ein gradueller Unterschied, kein prinzipieller. In beiden Fällen wird die Freiheit der Forschung eingeschränkt; ob derjenige, der sie einschränkt, mir sympathisch ist, ist eine andere Sache. Jura ist für mich keine Wissenschaft. Dann allerdings ist dein Begriff von Wissenschaft sehr eingeschränkt. Immerhin geht es hier nicht ohne Grund um zwei der drei (bzw. vier) klassischen Fakultäten. Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Der Geist Geschrieben 29. Dezember 2012 Melden Share Geschrieben 29. Dezember 2012 Trotzdem bedeutet das eine starke Isolation, und wirklich als Theologe gilt man nicht mehr. Also die Behauptung, dass Küng und Drewermann nicht mehr als Theologen gelten ist lieb. Ich behaupte just das Gegenteil. Hans Küng ist wahrscheinlich der deutsche Theologe der den höchsten Bekanntheitsgrad genießt und auch Drewermanns Reputation war noch lange Zeit sehr hoch. Er füllt auch heute noch große Säle, wie sich erst vor zwei Monaten in Wien erwiesen hat. Wissenschaft an der Uni besteht aus Forschung und Lehre, und wer nichts Prüfungsrelevantes mehr lehrt ist für den Nachwuchs damit quasi "gestorben". Küng hatte (er ist ja natürlich schon ca 15 Jahre emeritiert) natürlich weiter "Prüfungsrelevantes" gelehrt. Es gibt in den theologischen und philosophischen Curricula sehr viele Wahlpflichfächer und Küngs Vorlesungen waren da sehr beliebt.Zudem hatte er weiter das Promotions- und Habilitationsrecht, d.h. er durfte Dissertationen und sogar Habilitationsarbeiten betreuen und hatte auch da großen Zulauf. Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
teofilos Geschrieben 29. Dezember 2012 Melden Share Geschrieben 29. Dezember 2012 Ich gehe mal davon aus, dass Du die Untersuchung etwas verdichtet beschrieben hast. ja logo, sehr verdichtet sogar. es ging mir nur um eine differenzierung zwischen beobachtung und experiment. Gut, wie Du schon selber sagtest, OT.kommt jetzt auch nicht mehr drauf an. http://www-rohan.sdsu.edu/~jmahaffy/courses/f00/math122/lectures/optimization/opt.html wir haben das experiment wiederholt und einige variablen angefügt, um das gruppendynamische verhalten zu untersuchen. was Zach bereits mmn einwandfrei belegt hat (und nur durch beobachtung wäre man nie darauf gekommen) ist dass die natürliche selektion auch hier funzt - die krähen sind nahe dran am optimum des verhältnisses enerigeaufwand zu ertrag beim futtern. ansonsten hätte man sich fragen müssen, warum sich doofe viecher überdurchschnittlich erfolgreich fortpflanzen. aber so können wir die frage getrost den theologen überlassen (elegant den zusammenhang zum thema findend). PS die krähen haben sicher einen sehr sehr ähnlichen sinn für gross und klein, schwer und leicht, die gravitationsgesetze gelten für sie auch. in dem zshang - grosse schalentiere brechen leichter und enthalten mehr kalorien, und werden daher bevorzugt. Super! Vielen Dank. Das braucht jetzt erst mal die ganze Nacht. Ein Sinn für groß/klein ist ja erst mal nicht ausgeschlossen. Nur werden den Krähen unsere Maßstäbe in gewisser Weise übergestülpt. Kann doch auch sein, dass das Auswahlkriterium Geruch oder Farbe ... ja sogar erlernte Traditionen sind; eine vielleicht zufällige Korrelation. Etwas auf groß/klein festzulegen bremst weitere Untersuchungen aus. Ich will da nicht voreilig sein. Ich werde mir die Nacht um die Ohren schlagen Warum nimmt der aufsteigende Lachs den Köder obwohl er nicht mehr frisst? Mein lieber Schwan! Die Veröffentlichungen in Sachen "Shell Dropping Behavior" füllen ja ganze Bibliotheken. Der verlinkte Artikel befasst sich eher mit einer Auswertung von Beobachtungen (Statistik), ist so was wie eine Regressionsanalyse. Ist mMn kein Experiment nach unserem Sprachverständnis und dürfte kaum reichen um eine Küstenregion zu schützen. Auch möchte ich noch anmerken, dass Krähen keine dummen Viecher sind. Aber das wäre jetzt OT++. Bei bedarf gerne weiter via PN. Apropos: wie schaft es eine strunzdumme Stubenfliege mit einer handvoll Neuronen so etwas kopliziertes, wie ein Landemanöver abzuliefern? Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
HerrBert Geschrieben 29. Dezember 2012 Melden Share Geschrieben 29. Dezember 2012 Klingt für mich nach sozialem Konstruktivismus. Dass Wissen immer auch ein sozialer Prozess ist, ist im Grunde trivial. Damit passt es ganz gut zu meinen kritischen (man könnte auch sagen: skeptischen) Rückfragen oben. Es scheint mir aber nicht so recht zu deinem Konzept der Tatsachenbeobachtungen zu passen, denen du, falls ich ich dich richtig verstanden habe, einen hohen Stellenwert zur Objektivierung von Wissen einräumst. Denn wenn Wissen vor allem ein sozialer Prozess ist, landet man schnell beim Kontextualismus und damit beim Relativismus. Doch genau das scheint ja nicht deine Absicht zu sein. Ok, also noch etwas ausführlicher: Es geht um Wahrnehmung und Realität, um die Welt und unser Bild von ihr. Und schon sind wir mitten drin in der Philosophie, und obwohl es die seit über 2.500 Jahren gibt, und sich fast genauso lange mit genau diesen Problemen beschäftigt, ist dabei bisher nicht wirklich etwas herausgekommen. Das Dilemma ist, daß man hier nach absoluten Begriffen sucht, die man den rein äußeren Erscheinungen gegenüberstellt und man sich fragt, wie man eigentlich zu einem Bild von dieser Welt kommt, wenn man ohne vorgegebene Kategorien nicht einmal etwas wahrnehmen kann, aber ohne Wahrnehmung auch keine Kategorien hat. Induktion oder Deduktion? Die „Lösung" von Popper, sich um die Entstehung von Theorien einfach nicht zu kümmern, ist auch keine Lösung. Dabei hat ein Mann vor fast 200 Jahren das Problem schon ziemlich genau gesehen, Auguste Comte, der heute noch der Positivist schlechthin gilt , also als jemand, der meine, man könne bei wissenschaftlicher Arbeit von Beobachtungen ausgehen, auf Grund derer man nachträglich Theorien bilde („positiv" war für ihn selbst übrigens ein Synonym für „wissenschaftlich"). Comte dagegen schrieb: „Denn wenn auch auf der einen Seite jede positive Theorie notwendigerweise auf Beobachtungen fundiert sein muß, so ist es auf der anderen Seite nicht weniger richtig, daß unser Verstand eine Theorie der einen oder anderen Art braucht, um zu beobachten. Wenn man bei der Betrachtung von Erscheinungen diese nicht unmittelbar in Beziehung zu gewissen Prinzipien setzen würde, wäre es nicht nur unmöglich für uns, diese isolierten Beobachtungen miteinander in Verbindung zu bringen ... wir würden sogar völlig unfähig sein, uns an die Tatsachen zu erinnern; man würde sie zum größten Teil nicht wahrnehmen." (Auguste Comte, Cours de Philosophie Positive, Band 1, Paris 1907) Wissenschaftliche Arbeit, Wahrnehmung überhaupt ist also nichts anderes als ein wechselseitiger Prozeß von Beobachtung und Theoriebildung. Ihr Ausgangspunkt ist unsere im Laufe der Evolution entstandene Fähigkeit zur Wahrnehmung, die wiederum in einem wechselseitigen Prozeß von Veränderung und Auslese entstanden sind. Diese Wahrnehmungen, die wir machen, sind optimiert auf einen ganz einfachen Zweck: das Überleben. Wir sehen die Welt nicht so wie sie ist, sondern so, wie es für das Überleben am zweckmäßigsten ist. Unser Vorfahr, der von dem herannahenden Säbelzahntiger eine unrealistische Vorstellung hatte, war bald ein Toter, und schied damit als Vorfahr aus. Das Bild, daß uns unsere Wahrnehmungsorgane von dieser Welt zeigen, ist also realistisch, aber es ist nicht die Welt an sich, ist nicht im philosophischen Sinne wahr. Diese Beobachtungen erklären aber nicht jeden möglichen Zusammenhang. Man kann einen Blitz sehen, ohne zu verstehen, was das ist. Unsere Natur zwingt uns aber, uns mit unvollständigen Antworten nicht zufrieden zu geben, besonders dann, wenn wir uns davon bedroht fühlen. Es ist neurowissenschaftlich nachgewiesen, daß unserer Gehirn, besonders unter Stress, lieber eine Fantasieerklärung produziert, als eine Frage unbeantwortet zu lassen. Dabei geben wir von Natur aus Erklärungen mit einem persönlichen Verursacher eindeutig den Vorzug, solange wir keine anderen Informationen haben. Auch hier ist der biologische Sinn wieder ganz einfach. Wenn unser Vorfahr ein ungekanntes Geräusch hörte, nahm er erst einmal an, da sei eine Person oder ein Tier. Wenn er sich irrte, hatte er sich einfach nur geirrt. Wenn er aber ein Geräusch für harmlos hielt, hinter dem ein Gegner steckte, war er vielleicht tot, bevor er seinen Irrtum bemerken konnte. Urban Legends und Verschwörungstheorien funktionieren heute noch nach dem Schema. Am Beginn unserer Entwicklung, als die Menschen noch kaum Informationen über die Zusammenhänge in dieser Welt besaßen, bildeten sie sich ihrer Vorstellungen, die Modelle von den Zusammenhängen zwischen den Beobachtungen, die sie in der Welt machten, mit Hilfe der Fantasie und der Annahme, daß hinter allem persönliche Verursacher stecken müßten. So entstanden vermutlich die ersten Religionen. Und diese Modelle funktionierten häufig sogar. Man machte einen Regentanz für den Wettergott und irgendwann regnete es. Das war die Bestätigung. Wenn der Regen ausblieb, hatte man eben nicht genügend getanzt. Nur die positiven Fälle werden registriert. Aberglauben funktioniert heute noch so. Du kannst 10mal am Freitag, dem 13. nichts erlebt haben, das eine Mal, wo du dir den Arm gebrochen hast, bestätigt die Theorie. Aber im Laufe der Zeit scheiterten eben doch viele dieser Modelle und wurden durch solche ersetzt, die realistischer waren. Krankheiten betrachtete man ursprünglich als von Geistern verursacht. Aber man konnte die Geister noch so viel beschwören, manche Krankheiten kamen immer wieder. Bis jemand die Beobachtung machte, daß Fieber häufig in der Nähe von Sümpfen auftrat. Dort stank es erbärmlich. Also mußte der Gestank die Krankheiten verursachen. Man legte den Sumpf trocken und Gestank und Fieber verschwanden. Die Miasmentheorie war geboren. In unserem heutigen Verständnis war sie falsch, aber realistischer als die Geistertheorie war sie allemal und sie bestätigte sich in der Wirklichkeit. Sie war ein Fortschritt. Bis man im 19. Jh in London der Cholera-Epidemie nicht Herr wurde. Londen war wie alle großen Städt im Europa der damaligen Zeit eine schmutzige Stadt und es stank erbärmlich. Also versuchte man den krankmachenden Gestand zu beseitigen, indem man die Abwässer in die Themse leitete - aus der die Menschen ihr Trinkwasser nahmen. Der Gestank war weg, die Krankheit wütete schlimmer als zuvor. Erst an diesem Widerspruch zur Wirklichkeit erkannte man seinen Irrtum, und man begann zu vermuten, es müsse etwas mit dem verunreinigten Wasser zu tun haben, nicht mit dem Gestank. Der praktische Erfolg stellte sich sofort ein, die theoretischen Bestätigung kam erst sehr viel später, als man unter dem Mikroskop Bakterien beobachten konnte. Wir beginnen also mit beobachtbaren Eigenschaften. Unsere Vorstellungen sind Modelle von Zusammenhängen zwischen solchen Beobachtungen. Ob diese Modelle falsch sind, können wir nur feststellen, wenn sie mit der Wirklichkeit, die sie beschreiben sollen, in Widerspruch geraten, wenn und nur dann wenn wir Beobachtungen machen, die unseren Modellen widersprechen. Fortschritt entsteht dadurch, daß wir alte Modelle durch bessere ersetzen, wobei besser heißt: in besserer Übereinstimmung mit mehr Beobachtungen. Dabei kann herauskommen, daß die alte Theorie schlicht falsch war, oder, wie im Falle von Newton, nur in gestimmten Fällen galt. Wichtig ist der Vergleich, der Komparativ. Die neue Theorie ist nicht etwa wahr, aber sie ist auch nicht beliebig, sie ist einfach besser, realistischer. Das gilt auch schon für vorwissenschaftliche Vorstellungen. Dagegen hat man das wissenschaftliche Stadium eines Fachgebiets erreicht, wenn neue Theorien alte nicht mehr für unbrauchbar erklären, sondern sie umfassen, wie die Relativitätstheorie die Newtonsche Mechanik. Unsere Vorstellungen von dieser Welt sind also nicht beliebigen Theorien, und sie sind auch keine unveränderlichen Wahrheiten und sie sagen uns auch nichts über das „Wesen" dieser Welt, sondern sie sind ein Prozeß, in dessen Verlauf unserer Vorstellungen immer realistischer und weniger fantasiegeladen geworden sind. Dieser Prozeß ist nicht zwangsläufig (es gab ja auch schon Rückschritte und es kann sie wieder geben) und er ist auch nicht zielgerichtet, sondern ein Prozeß, in dem die Anzahl und die Zuverlässigkeit nachprüfbarer Aussagen über die Wirklichkeit zugenommen haben. Sie enthalten sicher auch heute noch Fantasievorstellungen, die uns nicht bewußt werden, weil sie uns selbstverständlich erscheinen, und bisher nicht mit der Wirklichkeit kollidiert sind. In der Regel können wir nur durch solche Widersprüche Fehler entdecken. Das letzte Wort hat eben (meistens) das Experiment. Unsere Theorien sind nicht in einem philosophischen Sinne wahr, und sie sind auch nicht bloße Konvention oder Konstruktion, sondern sie werden (im günstigen Falle) besser, realistischer. Und das ist das Maß für den wissenschaftlichen Fortschritt, für Erkenntnisfortschritt im allgemeinen. Danke für deinen ausführlichen Beitrag. Ich sehe aber darin mit Verlaub keine Antwort auf meine Kritik. Es sei denn, ich habe dich völlig missverstanden und du vetrittst gar nicht die Ansicht, es gäbe so etwas wie objektives Wissen. Dann allerdings sind deine Ausführungen konsistent. Dann gibt es eine evolutionär bessere Passung von Erkenntnissen, also das, was du mit "realistischer" zu meinen scheinst. Das Problem ist, dass du einen Maßstab brauchst, um beurteilen zu können, was "realistischer" ist, welches Modell also besser zur tatsächlichen Realität, wie sie an und für sich ist, passt. Doch gerade diese Möglichkeit schließt du ja aus, wenn du sagst, dass wir die Realität nie so erkennen können, wie sie an und für sich ist, sondern so, wie es unserem Überleben dient. Aus dem evolutionären Erfolg schließt du dann auf die Näherung zur tatsächlichen Realität. Auf dieser Grundlage müssten Bakterien die beste Näherung erreichen, denn sie sind die evolutionär erfolgreichste Spezies, ihr "Modell von der Welt", so primitiv es uns erscheinen mag, wäre dann die realistischste "Erkenntnis". 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Marcellinus Geschrieben 29. Dezember 2012 Melden Share Geschrieben 29. Dezember 2012 Jura ist für mich keine Wissenschaft. Dann allerdings ist dein Begriff von Wissenschaft sehr eingeschränkt. Immerhin geht es hier nicht ohne Grund um zwei der drei (bzw. vier) klassischen Fakultäten. Diese "klassischen Fakultäten" stammen allerdings aus einer Zeit, in der es Wissenschaften in unserem heutigen Verständnis noch nicht gab. Am Ende ist es ein Streit um Begriffe, aber vor allem einer um gesellschaftliche Bedeutung. Es gibt eben eine ganz Reihe akademischer Disziplinen (ein Begriff, der offenbar im englischen Sprachraum verwendet wird, wo übrigens die gleiche Debatte geführt wird), von denen einige theoretisch-empirische Wissenschaften sind, da sie einen Teil der Wirklichkeit zum Gegenstand haben, und sich naturalistischer Modelle bedienen. Daneben gibt es eine Reihe akademischer Disziplinen, denen entweder dieser Gegenstand fehlt, die sich also mit formalen Systemen und Symbolen beschäftigen, wie Mathematik oder Logik, oder Jura, die manche zu den hermeneutischen Disziplinen rechnen, und schließlich Philosophie und Theologie, wobei erstere sich häufig metaphysischer Erklärungsmodelle bedient, während letzter supranaturalistische Vorstellungen zugrunde liegen und ihr auch ("Lehre von Gott") zumindest in ihren Grundlagen der reale Gegenstand fehlt. Schwierig wird es bei einer inhaltlichen Beschreibung des Wissenschaftsbegriffs dadurch zusätzlich, daß manche ihn offenbar nicht lösen können vom Universitätsbetrieb. Während nämlich wissenschaftliches Wissen zu einem großen Teil überhaupt nicht (mehr) an Universitäten erarbeitet wird, leitet die Theologie, so will mir scheinen, ihren Anspruch als "Wissenschaft" wesentlich von ihrem Alter und ihrer Verbindung zum akademischen Betrieb ab. Auf die Methoden wissenschaftlichen Arbeitens will ich hier nicht weiter eingehen, weil es "die" wissenschaftliche Methode weder über die Zeit hinweg noch gegeben hat noch unabhängig von Gegenstand und Fach gibt. Daran läßt sich Wissenschaft sicher nicht festmachen, noch ist eine bestimmte Methode Voraussetzung noch hinreichende Bedingung für ein wissenschaftlich haltbares Ergebnis. Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
HerrBert Geschrieben 29. Dezember 2012 Melden Share Geschrieben 29. Dezember 2012 Das Fledermausbeispiel soll veranschaulichen, dass auch unser Wissen über die Welt evolutionär erfolgreich sein kann, ohne zugleich objektive Erkenntnis der Wirklichkeit zu sein. (Natürlich müsste man jetzt diskutieren, wie man hier "objektiv" definieren will.) Das ist kein so großes Problem, weil es schon so ist, dass beispielsweise ein Affe, der den dreidimensionalen Raum falsch einschätzt, ziemlich schnell tot vom Baum fällt und daher nicht zu unseren Vorfahren gehört. D. h., wer besser als seine Konkurrenten die objektive Realität erkennt, hat in lebensrelevanten Dingen damit einen Vorteil. Es geht bei Erkenntnis nicht um das Erkennen einer absoluten objektiven Realität, sondern nur darum, besser zu sein als die Konkurrenz. Es kommt nicht auf die absolute Richtigkeit einer Theorie an, sondern es geht darum, dass sie besser ist als die konkurrierenden Theorien. Objektiv ist leicht zu definieren: Unabhängig vom subjektiven Standpunkt. Ein dazu wichtiges Stichwort ist das der Invarianz. Erkenntnis/Wissen ist immer subjektiv, da es Subjekte sind, die Erkenntnis/Wissen erlangen. Daher ist die "Erkenntnis" einer Fledermaus abhängig von ihren "Erkenntnisbedingungen", und dementsprechend fällt ihr Modell von der Welt aus. Menschliche Erkenntnis ist abhängig von menschlichen Erkenntnisbedingungen, und dementsprechend fällt unser Modell von der Welt aus (auch im Plural: unsere Modelle von der Welt). Wissenschaftliche Erkenntnis ist menschliche Erkenntnis, ergo ... Intersubjektive Überprüfbarkeit setzt auf unseren menschlichen Erkenntnisbedingungen auf. Auch von Wahrheitsnähe zu sprechen (was du hier nicht tust, ich greife da lediglich vor), ist nur sinnvoll, wenn und inwieweit wir sie feststellen können. Das Feststellen ist wiederum ein menschlicher Erkenntnisakt. In Bezug auf die Objektivität von Wissen kann sich Invarianz auf intersubjektive Prüfbarkeit beziehen (s.o.) und/oder auf zeit- und situationsunabhängige Wiederholbarkeit von Experimenten. Experimente beruhen auf menschlicher Erkenntnis, ergo ... Wie immer wir es drehen und wenden, es gibt keine subjektunabhängige Erkenntnis und damit auch keine Erkenntnis unabhängig von subjektiven Standpunkten. Mir ist klar, dass du hier die Unabhängig von persönlichen Ansichten meinst, aber auch diese sind im Rahmen der von Marcellinus dargelegten Wissenssoziologie ein relevanter Faktor im Prozess wissenschaftlichen Wissenserwerbs. Damit wird nicht gesagt, dass alles beliebig ist, sondern nur, dass unsere Erkenntnis abhängig von unseren Erkenntnisbedingungen ist. Die Konsequenz hat Gouvernante oben kurz und prägnant zusammengefasst. Wenn wir nun noch das psycho-physische Problem berücksichtigen, aus dem sich z.B. die Frage ergibt, ob mentale Zustände Teil der "objektiven Realität" sind oder nicht, wird möglicherweise schon anhand der Fragestellung klar, wie strikt jede Art von Erkenntnis, also auch die wissenschaftliche, an die ihr zugrundeliegenden Bedingungen gebunden ist, seien diese biologischer, subjektiver oder gesellschaftlicher Natur. Das zeigt vielleicht auch die Nichttrivialität von Versuchen einer Definition von Objektivität. Wie soll das hier gehen? Wir können höchstens aus try and error lernen, was evolutionär passt und was nicht. Hinsichtlich "objektiver Erkenntnis der Wirklichkeit", also dem, was die Wissenschaft ja anstrebt, und dem Problem des inhärenten Zirkels theoriebeladener Beobachtungen (bzw. eben kritischer Prüfungen) sehe ich da noch keine Lösung. Ich hatte die Lösung skizziert, das auszuführen sprengt allerdings das Thema. Denn der Zirkel ist nur dann ein Problem, wenn man vom alten Rationalismus ausgeht (wie die Theologie), dann ist das Problem allerdings unlösbar. Löst man sich - wie etwa die evolutionäre Erkenntnistheorie - von dieser Einschränkung, dann ist das Problem des Zirkels lösbar. Ich will nur mal andeuten, mit einer Analogie, wie das geht: Wie wird ein Schmiedehammer hergestellt? Ganz einfach: Stahl wird mit einem Schmiedehammer zu einem neuen Schmiedehammer geformt. Da haben wir einen Zirkel: Um einen Schmiedehammer zu bekommen, braucht man einen Schmiedehammer. Wenn das ein unlösbares Problem wäre, hätten wir keine Schmiedehämmer, weil es eine Zeit gab, in der Menschen keine Schmiedehämmer besaßen. Heute gibt es welche. Wie konnte das geschehen? Die evolutionäre Erkenntnistheorie löst das Problem nicht, sie möchte sich aber gerne von dem Problem lösen. Das gelingt nicht so recht, denn indem sie unsere menschliche Erkenntnis aus ihrer evolutionären Entwicklung heraus zu verstehen sucht, landet sie in einem neuen Zirkel, da die Evolutionstheorie ja ihrerseits ein Produkt jener Erkenntnis ist, die sie erklären soll. Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Volker Geschrieben 29. Dezember 2012 Melden Share Geschrieben 29. Dezember 2012 Danke für deinen ausführlichen Beitrag. Ich sehe aber darin mit Verlaub keine Antwort auf meine Kritik. Es sei denn, ich habe dich völlig missverstanden und du vetrittst gar nicht die Ansicht, es gäbe so etwas wie objektives Wissen. Objektives Wissen, Wahrheit etc. sind eher so etwas wie Motive oder Antriebe auf der Suche nach einem besseren Leben. Objektives Wissen gibt es nur in dem Sinn einer Invarianz gegenüber dem eigenen Standpunkt. Tatsächlich ist das Prinzip der Invarianz sogar in unsere Sehweise integriert: Wenn Du auf einen Tisch zugehst, ändert der Tisch dann seine Größe? Dumme Frage, seine Größe ändert sich nicht - aber die Größe, die Du siehst, ändert sich. Ebenso ändert der Tisch, den Du siehst, seine Form. Aber, im Sehzentrum eingebaut ist die Idee, dass der Tisch weder Größe noch Form ändert, bloß weil Du Deine Position in Bezug auf den Tisch änderst. D. h., das Gehirn verrechnet die Invarianzen erzeugt daraus die Illusion von gleichbleibender Größe und Form - weil es sich tatsächlich so verhält, dass der Tisch weder Größe noch Form ändert. Offensichtlich wäre es für unsere Evolution von Nachteil gewesen, wenn stattdessen nach der reinen Äußerlichkeit gegangen worden wäre, was nebenbei viel einfacher ist als die Annahme, dass der Tisch sich nicht ändert. Die Verrechnung der Invarianz ist sogar so schwer, dass Computer es immer noch nicht fertigbringen, verzerrte Buchstaben wahrzunehmen. Dann allerdings sind deine Ausführungen konsistent. Dann gibt es eine evolutionär bessere Passung von Erkenntnissen, also das, was du mit "realistischer" zu meinen scheinst. Das Problem ist, dass du einen Maßstab brauchst, um beurteilen zu können, was "realistischer" ist, welches Modell also besser zur tatsächlichen Realität, wie sie an und für sich ist, passt. Doch gerade diese Möglichkeit schließt du ja aus, wenn du sagst, dass wir die Realität nie so erkennen können, wie sie an und für sich ist, sondern so, wie es unserem Überleben dient. Aus dem evolutionären Erfolg schließt du dann auf die Näherung zur tatsächlichen Realität. Auf dieser Grundlage müssten Bakterien die beste Näherung erreichen, denn sie sind die evolutionär erfolgreichste Spezies, ihr "Modell von der Welt", so primitiv es uns erscheinen mag, wäre dann die realistischste "Erkenntnis". Nein, letzteres ist ein Fehlschluss. Man schließt von der Invarian auf die Objektivität, nicht von der Länge der Erkenntnis. Die Frage ist, ob und unter welchen Umständen das Erkennen vom Invarianz von Vorteil ist, denn nur dann finden wir das auch in der Evolution wieder. Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Volker Geschrieben 29. Dezember 2012 Melden Share Geschrieben 29. Dezember 2012 Die evolutionäre Erkenntnistheorie löst das Problem nicht, sie möchte sich aber gerne von dem Problem lösen. Das gelingt nicht so recht, denn indem sie unsere menschliche Erkenntnis aus ihrer evolutionären Entwicklung heraus zu verstehen sucht, landet sie in einem neuen Zirkel, da die Evolutionstheorie ja ihrerseits ein Produkt jener Erkenntnis ist, die sie erklären soll. Das ist aber kein Problem, wenn man nur den Unterschied zwischen vitiösen und virtuosen Zirkeln verstanden hat. Hast Du schon eine Idee, wieso wir Schmiedehämmer haben, obwohl man doch offensichtlich Schmiedehämmer braucht, um sie herstellen zu können? Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Marcellinus Geschrieben 29. Dezember 2012 Melden Share Geschrieben 29. Dezember 2012 Danke für deinen ausführlichen Beitrag. Ich sehe aber darin mit Verlaub keine Antwort auf meine Kritik. Es sei denn, ich habe dich völlig missverstanden und du vetrittst gar nicht die Ansicht, es gäbe so etwas wie objektives Wissen. Dann allerdings sind deine Ausführungen konsistent. Dann gibt es eine evolutionär bessere Passung von Erkenntnissen, also das, was du mit "realistischer" zu meinen scheinst. Das Problem ist, dass du einen Maßstab brauchst, um beurteilen zu können, was "realistischer" ist, welches Modell also besser zur tatsächlichen Realität, wie sie an und für sich ist, passt. Doch gerade diese Möglichkeit schließt du ja aus, wenn du sagst, dass wir die Realität nie so erkennen können, wie sie an und für sich ist, sondern so, wie es unserem Überleben dient. Aus dem evolutionären Erfolg schließt du dann auf die Näherung zur tatsächlichen Realität. Auf dieser Grundlage müssten Bakterien die beste Näherung erreichen, denn sie sind die evolutionär erfolgreichste Spezies, ihr "Modell von der Welt", so primitiv es uns erscheinen mag, wäre dann die realistischste "Erkenntnis". Was macht das Modell von Kopernikus "besser" als das des Ptolemäus? Für dieses "besser" gibt es kein abstraktes Kriterium. Es stimmt einfach besser mit den beobachtbaren Tatsachen überein, und ließ zB die Berechnung der Bahn von Kometen zu. Ich habe den Eindruck, daß wir an bestimmten Punkten aneinander vorbeireden. Wir sehen die Realität nicht so, wie sie ist, sehen nicht ihr "Wesen", aber wir sehen Eigenschaften. Die mögen nicht das ganze Objekt repräsentieren, aber für unsere Zwecke reicht es (eine Alternative haben wir ja auch nicht). Wir verwenden zB das Symbol "Sonne". Dieser Begriff hat schon häufiger seine Bedeutung geändert. Heute verstehen wir darunter im wesentlichen einen Himmelskörper, in dem Wasserstoff per Kernfusion zu Helium "verbrannt" wird. Wir werden zwar sicherlich noch weiteres Wissen über Sonnen ansammeln, aber was eine Sonne ist und wie sie funktioniert, wissen wir heute so ziemlich. Nur weil wir die Wirklichkeit in ihrer Gesamtheit vermutlich nie kennen werden, heißt das nicht, daß unser Wissen nicht realistischer werden könnte, und das hat auch nichts mehr mit Evolution zu tun, denn unser Wissen vermehrt sich gerade explosionsartig, obwohl unsere biologische Evolution im Moment sicher kaum Fortschritte macht. Was dagegen wichtig ist zu bedenken, daß unsere "natürliche" Wahrnehmung auf Überleben optimiert ist, nicht auf Erkenntnis, weshalb uns unsere Intuition abseits der Erfordernisse unseres Alltagslebens so häufig und gern in die Irre führt. Daß wir darauf aber nicht festgelegt sind, sieht man daran, daß es uns durchaus gelingt, zB optische Täuschungen zu entdecken. Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
HerrBert Geschrieben 2. Januar 2013 Melden Share Geschrieben 2. Januar 2013 Objektives Wissen gibt es nur in dem Sinn einer Invarianz gegenüber dem eigenen Standpunkt. Das wäre allerdings auch bei einer Kohärenztheorie der Fall, also einer intersubjektiven Konvention. Das sagt noch nichts über die Übereinstimmung dieses Wissens mit der Wirklichkeit aus. Nein, letzteres ist ein Fehlschluss. Man schließt von der Invarian auf die Objektivität, nicht von der Länge der Erkenntnis. Der Fehlschluss ist die Konsequenz, die aus Marcellinus' Darstellung folgt. Wenn die Objektivität von Wissen aus der Invarianz gegenüber subjektiven (besser: individuellen) Meinungen folgt, so nach verbreiteter Ansicht deswegen, weil dieses Wissen auf das referiert, was tatsächlich der Fall ist. Da hätten wir Marcellinus' "Tatsachenbeobachtungen", die ich ja kritisch hinterfragte. Das ist aber kein Problem, wenn man nur den Unterschied zwischen vitiösen und virtuosen Zirkeln verstanden hat. Die evolutionäre Erkenntnistheorie ist eine zirkuläre naturalistische Epistemologie. Mir ist nicht ersichtlich, wie dein Wortspiel da eine Lösung sein soll. Hast Du schon eine Idee, wieso wir Schmiedehämmer haben, obwohl man doch offensichtlich Schmiedehämmer braucht, um sie herstellen zu können? Wie alle anderen Erfindungen wird auch der erste Schmiedehammer mit anderen Werkzeugen gefertigt worden sein. Ich sehe da keinen Zirkel, der eine Analogie zur Zirkularität der evolutionären Erkenntnistheorie hergäbe. Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
HerrBert Geschrieben 2. Januar 2013 Melden Share Geschrieben 2. Januar 2013 Nur weil wir die Wirklichkeit in ihrer Gesamtheit vermutlich nie kennen werden, heißt das nicht, daß unser Wissen nicht realistischer werden könnte, und das hat auch nichts mehr mit Evolution zu tun, denn unser Wissen vermehrt sich gerade explosionsartig, obwohl unsere biologische Evolution im Moment sicher kaum Fortschritte macht. Was dagegen wichtig ist zu bedenken, daß unsere "natürliche" Wahrnehmung auf Überleben optimiert ist, nicht auf Erkenntnis, weshalb uns unsere Intuition abseits der Erfordernisse unseres Alltagslebens so häufig und gern in die Irre führt. Daß wir darauf aber nicht festgelegt sind, sieht man daran, daß es uns durchaus gelingt, zB optische Täuschungen zu entdecken. Die Korrektur von Wahrnehmungstäuschungen dürfen wir unserem Erfahrungswissen zuschreiben, das uns darüber belehrt, was es z.B. mit optischen Täuschungen auf sich hat. Hier korrigiert also Erfahrung Wahrnehmung (auch kollektiv und geschichtlich). Spannend finde ich deinen ersten oben zitierten Satz. Ich halte ihn für den eigentlichen Knackpunkt. Wir meinen, dass unser Wissen immer realistischer wird. Wer weiß, vielleicht wird man in 500 Jahren unsere besten Theorien ebenso belächeln wie wir heute die Idee der Erde als Scheibe? Um überhaupt beurteilen zu können, ob unser Wissen heute tatsächlich realistischer ist als vor 500 Jahren, müssten wir einen allgemein gültigen Maßstab haben, anhand dessen wir dieses Urteil fällen können. Alles, was wir haben, ist aber "nur" unser heutiger Wissensstand. Und der ist dem Grunde nach genau so fallibel wie der vor 500 Jahren. Was machen wir, wenn unsere besten Theorien sich als falsch oder doch in weiten Teilen irrig erweisen? Was ist dann mit deinem Komparativ? Wissenschaftstheoretisch bleibt der Einwurf bestehen, dass der Komparativ "realistischer" nur relational zu unserem heutigen Wissen gilt und nicht in Bezug auf die Korrespondenz unseres Wissens mit der Wirklichkeit als solcher. Ich möchte auch erwähnen, dass der Ausdruck "Wirklichkeit als solche" nicht identisch ist mit irgend einem "Wesen" der Realität oder dergleichen, wie es in deinem Beitrag kritisch anklang. Ich halte nichts von metaphysischen Wesenshypothesen. Mit "Wirklichkeit als solche" meine ich schlicht ihre tatsächliche Beschaffenheit. Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Marcellinus Geschrieben 2. Januar 2013 Melden Share Geschrieben 2. Januar 2013 Nur weil wir die Wirklichkeit in ihrer Gesamtheit vermutlich nie kennen werden, heißt das nicht, daß unser Wissen nicht realistischer werden könnte, und das hat auch nichts mehr mit Evolution zu tun, denn unser Wissen vermehrt sich gerade explosionsartig, obwohl unsere biologische Evolution im Moment sicher kaum Fortschritte macht. Was dagegen wichtig ist zu bedenken, daß unsere "natürliche" Wahrnehmung auf Überleben optimiert ist, nicht auf Erkenntnis, weshalb uns unsere Intuition abseits der Erfordernisse unseres Alltagslebens so häufig und gern in die Irre führt. Daß wir darauf aber nicht festgelegt sind, sieht man daran, daß es uns durchaus gelingt, zB optische Täuschungen zu entdecken. Die Korrektur von Wahrnehmungstäuschungen dürfen wir unserem Erfahrungswissen zuschreiben, das uns darüber belehrt, was es z.B. mit optischen Täuschungen auf sich hat. Hier korrigiert also Erfahrung Wahrnehmung (auch kollektiv und geschichtlich). Ja, aber worin besteht Erfahrung? Auch in Wahrnehmung, nicht wahr? Spannend finde ich deinen ersten oben zitierten Satz. Ich halte ihn für den eigentlichen Knackpunkt. Wir meinen, dass unser Wissen immer realistischer wird. Wer weiß, vielleicht wird man in 500 Jahren unsere besten Theorien ebenso belächeln wie wir heute die Idee der Erde als Scheibe? Um überhaupt beurteilen zu können, ob unser Wissen heute tatsächlich realistischer ist als vor 500 Jahren, müssten wir einen allgemein gültigen Maßstab haben, anhand dessen wir dieses Urteil fällen können. Alles, was wir haben, ist aber "nur" unser heutiger Wissensstand. Und der ist dem Grunde nach genau so fallibel wie der vor 500 Jahren. Was machen wir, wenn unsere besten Theorien sich als falsch oder doch in weiten Teilen irrig erweisen? Was ist dann mit deinem Komparativ? Nein, es ist einfach nur eine Erfahrung (siehe oben), daß unser Wissen in den letzten 500 Jahren realistischer geworden ist. Zwangsläufig ist da gar nichts. Es braucht auch keinen "allgemein gültigen Maßstab". Woher sollte der auch kommen? Was soll an unseren "besten Theorien in weiten Teilen irrig" sein? Daß die Erde doch eine Scheibe ist? Die Sonne um die Erde kreist? Der Halleysche Komet eine Sinnestäuschung, die exakte Berechnung seiner Umlaufbahn ein Irrtum? Mach dich nicht lächerlich! Selbst die doch eher gewagten Vorhersagen von Einsteins Relativitätstheorie sind mittlerweile per Messung bestätigt. Ich sehe nicht viel Spielraum für deinen Nihilismus. Wissenschaftstheoretisch bleibt der Einwurf bestehen, dass der Komparativ "realistischer" nur relational zu unserem heutigen Wissen gilt und nicht in Bezug auf die Korrespondenz unseres Wissens mit der Wirklichkeit als solcher. Ich möchte auch erwähnen, dass der Ausdruck "Wirklichkeit als solche" nicht identisch ist mit irgend einem "Wesen" der Realität oder dergleichen, wie es in deinem Beitrag kritisch anklang. Ich halte nichts von metaphysischen Wesenshypothesen. Mit "Wirklichkeit als solche" meine ich schlicht ihre tatsächliche Beschaffenheit. Nach dem, was ich oben geschrieben habe, sehe ich dein Problem nicht. Wir können immer mehr Eigenschaften dieser Wirklichkeit immer genauer beschreiben. Das scheint mir genügend Wirklichkeitskongruenz zu sein, um den Konparativ "realistischer" zu rechtfertigen. Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
HerrBert Geschrieben 2. Januar 2013 Melden Share Geschrieben 2. Januar 2013 Nur weil wir die Wirklichkeit in ihrer Gesamtheit vermutlich nie kennen werden, heißt das nicht, daß unser Wissen nicht realistischer werden könnte, und das hat auch nichts mehr mit Evolution zu tun, denn unser Wissen vermehrt sich gerade explosionsartig, obwohl unsere biologische Evolution im Moment sicher kaum Fortschritte macht. Was dagegen wichtig ist zu bedenken, daß unsere "natürliche" Wahrnehmung auf Überleben optimiert ist, nicht auf Erkenntnis, weshalb uns unsere Intuition abseits der Erfordernisse unseres Alltagslebens so häufig und gern in die Irre führt. Daß wir darauf aber nicht festgelegt sind, sieht man daran, daß es uns durchaus gelingt, zB optische Täuschungen zu entdecken. Die Korrektur von Wahrnehmungstäuschungen dürfen wir unserem Erfahrungswissen zuschreiben, das uns darüber belehrt, was es z.B. mit optischen Täuschungen auf sich hat. Hier korrigiert also Erfahrung Wahrnehmung (auch kollektiv und geschichtlich). Ja, aber worin besteht Erfahrung? Auch in Wahrnehmung, nicht wahr? Ich hatte vorausgesetzt, dass du weißt, worin der Unterschied zwischen Wahrnehmung und Erfahrung besteht. Spannend finde ich deinen ersten oben zitierten Satz. Ich halte ihn für den eigentlichen Knackpunkt. Wir meinen, dass unser Wissen immer realistischer wird. Wer weiß, vielleicht wird man in 500 Jahren unsere besten Theorien ebenso belächeln wie wir heute die Idee der Erde als Scheibe? Um überhaupt beurteilen zu können, ob unser Wissen heute tatsächlich realistischer ist als vor 500 Jahren, müssten wir einen allgemein gültigen Maßstab haben, anhand dessen wir dieses Urteil fällen können. Alles, was wir haben, ist aber "nur" unser heutiger Wissensstand. Und der ist dem Grunde nach genau so fallibel wie der vor 500 Jahren. Was machen wir, wenn unsere besten Theorien sich als falsch oder doch in weiten Teilen irrig erweisen? Was ist dann mit deinem Komparativ? Nein, es ist einfach nur eine Erfahrung (siehe oben), daß unser Wissen in den letzten 500 Jahren realistischer geworden ist. Zwangsläufig ist da gar nichts. Es braucht auch keinen "allgemein gültigen Maßstab". Woher sollte der auch kommen? Was soll an unseren "besten Theorien in weiten Teilen irrig" sein? Daß die Erde doch eine Scheibe ist? Die Sonne um die Erde kreist? Der Halleysche Komet eine Sinnestäuschung, die exakte Berechnung seiner Umlaufbahn ein Irrtum? Mach dich nicht lächerlich! Selbst die doch eher gewagten Vorhersagen von Einsteins Relativitätstheorie sind mittlerweile per Messung bestätigt. Ich sehe nicht viel Spielraum für deinen Nihilismus. Du "argumentierst" hier gegen Ansichten, die ich nicht geschrieben und nicht intendiert habe. Wer macht sich nun lächerlich? Selbstverständlich ist es durchaus möglich, dass unsere besten Theorien sich als irrig oder in Teilen irrig herausstellen. Das ist übrigens kein Nihilismus sondern Skeptizismus. Mich wundert es, dass jemand, der vom Standpunkt einer Wissenssoziologie aus argumentiert, angesichts der Beobachtung, dass wir Menschen schon sehr oft dachten, korrekte Erkenntnisse gewonnen zu haben, nur um später festzustellen, dass sie sich als Irrtum erwiesen, da derart optimistisch ist. Nochmal: Dass es keinen allgemein gültigen Maßstab gibt, ist ja der springende Punkt. Denn daraus folgt, was ich schon zu erläutern versuchte: Dein Komparativ "realistischer" gilt nur relational zum heutigen Wissensstand, und der ist nach wie vor fallibel. Oder siehst du das anders? Wissenschaftstheoretisch bleibt der Einwurf bestehen, dass der Komparativ "realistischer" nur relational zu unserem heutigen Wissen gilt und nicht in Bezug auf die Korrespondenz unseres Wissens mit der Wirklichkeit als solcher. Ich möchte auch erwähnen, dass der Ausdruck "Wirklichkeit als solche" nicht identisch ist mit irgend einem "Wesen" der Realität oder dergleichen, wie es in deinem Beitrag kritisch anklang. Ich halte nichts von metaphysischen Wesenshypothesen. Mit "Wirklichkeit als solche" meine ich schlicht ihre tatsächliche Beschaffenheit. Nach dem, was ich oben geschrieben habe, sehe ich dein Problem nicht. Wir können immer mehr Eigenschaften dieser Wirklichkeit immer genauer beschreiben. Das scheint mir genügend Wirklichkeitskongruenz zu sein, um den Konparativ "realistischer" zu rechtfertigen. s.o. Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Marcellinus Geschrieben 2. Januar 2013 Melden Share Geschrieben 2. Januar 2013 (bearbeitet) Ja, aber worin besteht Erfahrung? Auch in Wahrnehmung, nicht wahr? Ich hatte vorausgesetzt, dass du weißt, worin der Unterschied zwischen Wahrnehmung und Erfahrung besteht. Ich hatte vorausgesetzt, daß dir klar ist, daß es keine Erfahrung ohne Wahrnehmung gibt. Daß sie identisch seien, habe ich nicht geschrieben. Selbstverständlich ist es durchaus möglich, dass unsere besten Theorien sich als irrig oder in Teilen irrig herausstellen. Das ist übrigens kein Nihilismus sondern Skeptizismus. Mich wundert es, dass jemand, der vom Standpunkt einer Wissenssoziologie aus argumentiert, angesichts der Beobachtung, dass wir Menschen schon sehr oft dachten, korrekte Erkenntnisse gewonnen zu haben, nur um später festzustellen, dass sie sich als Irrtum erwiesen, da derart optimistisch ist. Ich weiß nicht, was dich daran wundert. Schau dir die Entwicklung der Wissenschaften an, da wirst du feststellen, daß im Bereich der Physik wie der Biologie irgendwann der Punkt erreicht war, hinter denes nicht mehr zurück geht, oder hältst du es für sehr wahrscheinlich, daß man irgendwann feststellt, daß in der Sonne NICHT Wasserstoff zu Helium "verbrannt" wird? Oder daß sich die biologischen Arten NICHT per Mutation und Selektion entwickelt haben? Niemand sagt, daß diese Modelle (denn nichts anderes sind es ja) schon vollständig sind, oder jemals sein werden, aber daß wir diese Zusammenhänge prinzipiell richtig verstehen, und nicht wie beim Übergang vom Ptolemäischen zum Kopernikanischen Modell der Planetenbewegungen alles über den Haufen geworfen wird, das dürfte klar sein. Nochmal: Dass es keinen allgemein gültigen Maßstab gibt, ist ja der springende Punkt. Denn daraus folgt, was ich schon zu erläutern versuchte: Dein Komparativ "realistischer" gilt nur relational zum heutigen Wissensstand, und der ist nach wie vor fallibel. Oder siehst du das anders? Ja. (Siehe oben) P.S.: Den "allgemein gültigen Maßstab" gibt es nicht, aber das ist eben nicht der "springende Punkt", sondern für den Komparativ "realistischer" auch nicht notwendig. bearbeitet 2. Januar 2013 von Marcellinus Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
HerrBert Geschrieben 2. Januar 2013 Melden Share Geschrieben 2. Januar 2013 Ja, aber worin besteht Erfahrung? Auch in Wahrnehmung, nicht wahr? Ich hatte vorausgesetzt, dass du weißt, worin der Unterschied zwischen Wahrnehmung und Erfahrung besteht. Ich hatte vorausgesetzt, daß dir klar ist, daß es keine Erfahrung ohne Wahrnehmung gibt. Daß sie identisch seien, habe ich nicht geschrieben. Selbstverständlich ist es durchaus möglich, dass unsere besten Theorien sich als irrig oder in Teilen irrig herausstellen. Das ist übrigens kein Nihilismus sondern Skeptizismus. Mich wundert es, dass jemand, der vom Standpunkt einer Wissenssoziologie aus argumentiert, angesichts der Beobachtung, dass wir Menschen schon sehr oft dachten, korrekte Erkenntnisse gewonnen zu haben, nur um später festzustellen, dass sie sich als Irrtum erwiesen, da derart optimistisch ist. Ich weiß nicht, was dich daran wundert. Schau dir die Entwicklung der Wissenschaften an, da wirst du feststellen, daß im Bereich der Physik wie der Biologie irgendwann der Punkt erreicht war, hinter denes nicht mehr zurück geht, oder hältst du es für sehr wahrscheinlich, daß man irgendwann feststellt, daß in der Sonne NICHT Wasserstoff zu Helium "verbrannt" wird? Oder daß sich die biologischen Arten NICHT per Mutation und Selektion entwickelt haben? Niemand sagt, daß diese Modelle (denn nichts anderes sind es ja) schon vollständig sind, oder jemals sein werden, aber daß wir diese Zusammenhänge prinzipiell richtig verstehen, und nicht wie beim Übergang vom Ptolemäischen zum Kopernikanischen Modell der Planetenbewegungen alles über den Haufen geworfen wird, das dürfte klar sein. Nochmal: Dass es keinen allgemein gültigen Maßstab gibt, ist ja der springende Punkt. Denn daraus folgt, was ich schon zu erläutern versuchte: Dein Komparativ "realistischer" gilt nur relational zum heutigen Wissensstand, und der ist nach wie vor fallibel. Oder siehst du das anders? Ja. (Siehe oben) P.S.: Den "allgemein gültigen Maßstab" gibt es nicht, aber das ist eben nicht der "springende Punkt", sondern für den Komparativ "realistischer" auch nicht notwendig. Vielleicht schaust du nochmal, wie mein Argument lautet: "Realistischer" kann unser Wissen nur relational zum heutigen Wissensstand sein, nicht relational zur tatsächlichen Beschaffenheit der Welt, denn dafür müssten wir diese Beschaffenheit bereits kennen, was nicht der Fall ist und wohl auch nie der Fall sein wird. Im Grunde ist das eine einfache Einsicht, die gerade einem Wissenssoziologen nahestehen müsste. Ich habe dieses Argument gebracht, weil du ausgeführt hattest, dass unsere Tatsachenbeobachtungen immer realistischere Modelle der Wirklichkeit generieren. Hierbei hinfragte ich sowohl die "Tatsachenbeobachtungen" (dazu schrieb Gouvernante ganz richtig von einem "milden Konstruktivismus", aus dem wir wohl nie ganz herauskommen können) als auch den Komparativ "realistischer" (s.o.). Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Volker Geschrieben 2. Januar 2013 Melden Share Geschrieben 2. Januar 2013 Objektives Wissen gibt es nur in dem Sinn einer Invarianz gegenüber dem eigenen Standpunkt. Das wäre allerdings auch bei einer Kohärenztheorie der Fall, also einer intersubjektiven Konvention. Das sagt noch nichts über die Übereinstimmung dieses Wissens mit der Wirklichkeit aus. Sagt das wirklich überhaupt nichts über eine Korrespondenz zwischen Wissen und Realität aus? Es gibt einen Umstand, den weder die Konventionstheorie (Wissen ist Konvention) noch etwa der Konstruktivismus (Wissen wird von uns eigenmächtig konstruiert) erklären kann. Es ist richtig, dass beide Theorien die Übereinstimmung des Wissens mit der anderen erklären kann (Konvention) oder die Übereinstimmung des Wissens mit der Realität (Konstruktion). Keine der beiden Theorien kann aber auch nur annähernd erklären, warum in den meisten Fällen unsere Theorien widerlegt werden. Bestünde Wissen aus einer Übereinkunft der Wissenden, dann wäre es überraschend, das in den meisten Fällen ein Außenseiter plötzlich eine Widerlegung findet und daraufhin die Mehrheit ihre Meinung ändert. Da Menschen nur sehr ungerne ihre Ansichten ändern findet diese Änderung meist über einen längeren Zeitraum statt, aber sie findet statt. Warum sollte man sich bei einer Übereinkunft, die bequem ist und von der Mehrheit geteilt wird, plötzlich eines anderen besinnen? Und warum ist dieser Fall etwa tausendmal häufiger als der Fall, dass man bei einer Meinung bleibt? Vor allem, wenn man berücksichtigt, dass Menschen eben dazu neigen, ihre Theorien nicht aufzugeben, sondern sie lieber verteidigen? Es ist doch so: Anhand von Übereinstimmung kann man nicht entscheiden, ob Konstruktivismus, Konventionstheorie oder Korrespondenztheorie besser sind. Aber man kann es anhand von Widerlegung entscheiden. Zwei der Theorien können nicht erklären, warum Widerlegung häufiger ist als Bestätigung. Man ist so auf die Bestätigung fixiert, dass man auf die viel häufigere Widerlegung nicht achtet. Was ist es, was mit unseren Theorien so kollidiert, dass wir quasi gezwungen werden, gegen unsere Instinkte Theorien zu verwerfen? Wissenschaft lebt nicht von der Bestätigung. Wissenschaft lebt von der Widerlegung. Das geht so weit, dass ich sage: Ohne Widerlegung gibt es keine Wissenschaft. Deswegen erkenne ich die Theologie nicht als Wissenschaft an. Deswegen sage ich, dass eine gegen Widerlegung immunisierte Theorie schlimmer ist als eine völlig falsche (aber widerlegbare) Theorie. Wenn die Objektivität von Wissen aus der Invarianz gegenüber subjektiven (besser: individuellen) Meinungen folgt, so nach verbreiteter Ansicht deswegen, weil dieses Wissen auf das referiert, was tatsächlich der Fall ist. Da hätten wir Marcellinus' "Tatsachenbeobachtungen", die ich ja kritisch hinterfragte. Wieder bist Du auf Bestätigung fixiert. Das ist ein grundlegender, prinzipieller Fehler. Das ist ein Fehler, der aus unserer Psyche folgt - wir sind dem aber nicht blind ausgeliefert. Das ist aber kein Problem, wenn man nur den Unterschied zwischen vitiösen und virtuosen Zirkeln verstanden hat. Die evolutionäre Erkenntnistheorie ist eine zirkuläre naturalistische Epistemologie. Mir ist nicht ersichtlich, wie dein Wortspiel da eine Lösung sein soll. Hast Du schon eine Idee, wieso wir Schmiedehämmer haben, obwohl man doch offensichtlich Schmiedehämmer braucht, um sie herstellen zu können? Wie alle anderen Erfindungen wird auch der erste Schmiedehammer mit anderen Werkzeugen gefertigt worden sein. Ich sehe da keinen Zirkel, der eine Analogie zur Zirkularität der evolutionären Erkenntnistheorie hergäbe. Beantwortet Deine Antwort nicht Deine Frage? Ein logischer (viitiöser, also giftiger) Zirkel besteht aus: A bestätigt B. B bestätigt A. Daraus folgt automatisch: Nicht-A bestätigt Nicht-B. Nicht-B bestätigt Nicht-A. Da man nicht unterscheiden kann, was davon die bessere Bestätigung ist, sind A und das Gegenteil Nicht-A gleich gut bestätigt. Wieder ist man auf die Bestätigung fixiert, was einen Rattenschwanz an Fehlern nach sich zieht. Denn es gilt auch: Wenn nichts A widerlegen kann, dann kann automatisch auch nichts Nicht-A (das Gegenteil von A) widerlegen. Man sucht nur nach Bestätigung und übersieht das Offensichtliche. Wie gesagt, das ist ein Design-Fehler unseres Verstands. Dass man einen Schmiedehammer braucht, um einen Schmiedehammer herzustellen, ist ein logischer Zirkel. Schmiedehämmer entstehen aber ganz anders: Man fängt mit Faustkeilen an und schraubt sich allmählich und graduell zu den heutigen Hämmern aus speziellem Stahl hoch. Ein ähnliches Beispiel ist die graduelle Verbesserung der Zeitmessung, von sehr groben Sonnenuhren über Pendeluhren bis hin zu Atomuhren. Da ist das logische Problem noch komplizierter: Während ich bei zwei Materialien schnell feststellen kann, was davon härter ist - ich muss sie nur gegeneinander schlagen, das weichere zerbricht dabei - ist es bei zwei Uhren nicht ganz so offensichtlich, wie ich bestimmen kann, welche davon genauer geht. Aber es geht, und das reicht aus, um eine graduelle Verbesserung von Sonnenuhren zu Atomuhren bewerkstelligen zu können. Offensichtlich gibt es also ein anderes Verfahren, nämlich das der graduellen Verbesserung, das aus einem logischen, vitiösen Zirkel einen virtuosen Zirkel macht. Und das ist auch beim Wissen der Fall: Wir können es durch ähnliche Verfahren graduell verbessern, In der Evolution läuft das seit 3,5 Milliarden Jahren. Wissenschaft hebt dieses Verfahren nur auf eine bewusste Ebene. Alle Evolution - ob es nun um Enzyme geht, oder Krallen, oder Flügel, oder kognitive Fähigkeiten, oder Wahrnehmung - basiert auf einem abstrakten Prinzip: Erwartung (etwa: Mutation einer Wildform) - Mutante überlebt: Bestätigung der Erwartung, dass die Mutante besser ist als die anderen Wildformen, vergleichsweise, in direkter Konkurrenz - oder Mutante überlebt nicht, Widerlegung der Erwartung - überlebt die Mutante, haben wir eine neue Wildform, die wieder mutiert, und der Zyklus geht von vorne los. Dasselbe Verfahren: Theorie (Erwartung über diese Welt) - Erwartung wird bestätigt, Idee überlebt - Erwartung wird widerlegt, Idee stirbt - modifizierte Erwartung, neue Theorie, Zyklus beginnt auf etwas höherem Niveau von vorne. Der Unterschied ist nur: In der Natur sterben Individuen, in der Wissenschaft "sterben" bloß Ideen. Das Verfahren ist gleich. Dass es zu einer Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten geführt hat, ist offensichtlich. Evolution ist selbst ein "virtuoser Zirkel". Wissenschaft ebenfalls, wenn wir nicht gerade von Theologie reden. Aber es handelt sich nicht um einen logischen Zirkel, sondern eine graduelle Verbesserung, die vor allem von Widerlegung getrieben wird, nicht von Bestätigung. 1 Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Marcellinus Geschrieben 2. Januar 2013 Melden Share Geschrieben 2. Januar 2013 Vielleicht schaust du nochmal, wie mein Argument lautet: "Realistischer" kann unser Wissen nur relational zum heutigen Wissensstand sein, nicht relational zur tatsächlichen Beschaffenheit der Welt, denn dafür müssten wir diese Beschaffenheit bereits kennen, was nicht der Fall ist und wohl auch nie der Fall sein wird. Im Grunde ist das eine einfache Einsicht, die gerade einem Wissenssoziologen nahestehen müsste. Ich habe dieses Argument gebracht, weil du ausgeführt hattest, dass unsere Tatsachenbeobachtungen immer realistischere Modelle der Wirklichkeit generieren. Hierbei hinfragte ich sowohl die "Tatsachenbeobachtungen" (dazu schrieb Gouvernante ganz richtig von einem "milden Konstruktivismus", aus dem wir wohl nie ganz herauskommen können) als auch den Komparativ "realistischer" (s.o.). Eine Bemerkung noch, dann sollten wir das abbrechen. Wie erklärst du dir, daß wir die Bahnen von Planeten immer genauer vorhersagen können? Wie erklärst du dir, daß Verbesserungen in der Landwirtschaft zu objektiv höheren Erträgen führen? Bilden wir uns das pünktliche Erscheinen eines Kometen oder die vollere Scheune nur ein? Hat das mit der Wirklichkeit nichts zu tun? Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
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