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Solidarität mit den Armen


Aleachim

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Hallo Niklas,

 

Deinen Wunsch kann ich verstehen, aber ich habe Zweifel (auch aus eigener Erfahrung), dass überhaupt funktioniert, was Du Dir vorstellst. Natürlich kannst Du all Dein Hab und Gut verschenken - aber Du kannst Deine Vergangenheit nicht abstreifen. Und deshalb wirst Du nie in der Weise arm sein, wie die Armen, mit denen zu leben Du Dir wünschst. Was auch immer es ist, die behütetere Kindheit, die bessere Ausbildung, die Familie, die Dich im Zweifelsfall auffangen würde - das streifst Du nicht ab. Du bleibst immer anders. Natürlich kann es trotzdem erfüllend sein, "mit den Armen zu leben", wie es etwa die Kleinen Schwestern tun, aber das, was Du Dir eigentlich vorstellst, nämlich irgendwie "gleich" zu werden wie sie, das wird nicht klappen.

Da hast du natürlich Recht. Ich glaub aber, dass mir das schon bewusst ist. Es geht in die Richtung, was ich auch Melancholy geschrieben hab. Ich muss etwas haben, um geben zu können. Ich würde da vielleicht Dinge aufzählen, wie Gottvertrauen, Liebe, Ruhe, Gelassenheit... Und ich bin ziemlich sicher, dass man die meisten dieser Dinge besser geben kann, wenn man materiell, gesellschaftlich auf der selben Stufe ist, wenn man die gleichen Sorgen und Nöte teilt.

Das war doch bei Jesus auch so. Er war einen von ihnen und doch war er anders, hatte etwas zu geben.

 

Eine andere - damit zusammenhängende - Frage ist, ob es Dich auf Dauer froh machen würde, so zu leben.

Mir ist nichtmal klar, was "froh machen" in diesem Zusammenhang bedeutet. Und ich muss an den Satz von Ennasus denken: "vielleicht gegen alle Vernunft, und vielleicht auch, obwohl dabei Schmerzen entstehen" Ich hab im Moment das Gefühl, egal wie ich mich entscheide, es wird schmerzhaft und schwer.

 

Ich würde vermuten, dass Du irgendwann feststellst, wie fremd Dir diese Welt dank Deiner Vergangenheit bleibt und Du deshalb unzufrieden bleibst. Aber da sprechen vor allem eigene Erfahrungen und Begegnungen (auch mit ehemaligen Kleinen Schwestern). Du wirst es selbst herausfinden müssen. Wenn es Dich wirklich so dorthin zieht, wirst Du auch einen Weg finden, es auszuprobieren. Eine Rückkehr in Deine heutige Lebensform ist immer möglich - wobei Dich so eine Erfahrung sicherlich verändern würde und Du dann zwar vielleicht äusserlich so lebtest wie vorher, aber innerlich bestimmt anders wärest.

Ja, genau davor hab ich Angst, dass irgendwann feststelle, dass es doch nicht so ist, wie ich es mir vorgestellt/erhofft hatte. Aber diese Gefahr besteht sicher auch, egal, wie ich mich entscheide. Der Gedanke, dass man bei Problemen überlegt, ob es nicht doch der andere Weg gewesen wäre, lässt sich vermutlich nicht ganz vermeiden.

Ein Bruder aus Taizè hat mal erzählt, dass er jeden Tag (!) daran zweifelt, ob dieser Weg der richtige war. Aber eben auch jeden Tag Momente hat, wo er sicher ist, dass es richtig ist. Ich würde mich freuen, wenn du mehr über die Erfahrungen, die du gemacht hast, schreiben magst. (Gerne auch per PN, ich versteh aber auch, wenn du dass nicht willst.)

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kann es sein dass du in dem Gedanken gefangen bist, dass Altruismus grundsätzlich ein Opfer deinerseits erfordert? Es hört sich jetzt paradox an, aber denk zuerst mal an dein eigenes Bedürfnis: nämlich zu helfen. Das ist es was du willst. Weil es dir dabei gut geht. Dann wird deine Hilfe auch bereitwilliger angenommen.

Ja, das stimmt natürlich. Mir ist eigentlich schon klar, dass ich nicht „für Gott“ irgendwas tun muss, was mir nicht entspricht, was ich nicht möchte, was mir widerstrebt. Ich sehe aber sowohl in der Lebensform Familie, wie auch in der Lebensform Armut/Ordensgemeinschaft, Aspekte, wo ich denke, das entspricht mir, das will ich, als auch, das möchte ich nicht, davor hab ich Angst. Und ich glaube auch, dass oft gerade das, wovor wir uns scheuen, wo wir am liebsten weglaufen würden, das ist, was uns letztendlich weiterbringt, wachsen lässt, vielleicht sogar erfüllt. Aber wie gesagt, beides ist für mich in beiden Lebensformen irgendwie vorhanden.

 

Was der Mensch liebt, das ist der Mensch.

Liebt er einen Stein, so ist er ein Stein,

liebt er einen Menschen, so ist er ein Mensch,

liebt er Gott – nun traue ich mich nicht weiter

zu sprechen, denn sage ich, dass er dann

Gott ist, so könntet ihr mich steinigen wollen.

(Mr. Eckhart)

Sehr schön! Danke! :)

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Worin besteht dieses "unendlich viel"? Kannst du das in Worte fassen?

Würde, An-Sehen, Respekt.

Geborgenheit. Heimat. Gemeinschaft.

Einen Raum, wo jemand nichts "sein muß", nichts leisten muß, um wertvoll zu sein. Offene Ohren.

 

Ob Melancholy das "reicht", weiß ich nicht - es ist aber auch nicht meine Sorge.

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Das einfach nur in meinem eigenen Kopf hin und her zu wälzen, bringt mich nicht weiter.

 

Am Ende hilft nur: ausprobieren.

Und keine Scheu haben, den Rückwärtsgang einzulegen, wenn es falsch war.

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Die "Armut", die man teilt, muss nicht unbedingt Armut an Geld, Wahlmöglichkeiten und guten Lebens-Startbedingungen sein. Es kann auch die "Armut" sein, unsicher zu sein, ob die eigene Entscheidung richtig war, ob es überhaupt Sinn macht, freiwillig arm zu leben. Und es ist auch "Armut", nicht richtig zu den Armen zu gehören, und Menschen zu begegnen, die einem dies vorwerfen.

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Ja, das stimmt natürlich. Mir ist eigentlich schon klar, dass ich nicht „für Gott" irgendwas tun muss, was mir nicht entspricht, was ich nicht möchte, was mir widerstrebt. Ich sehe aber sowohl in der Lebensform Familie, wie auch in der Lebensform Armut/Ordensgemeinschaft, Aspekte, wo ich denke, das entspricht mir, das will ich, als auch, das möchte ich nicht, davor hab ich Angst. Und ich glaube auch, dass oft gerade das, wovor wir uns scheuen, wo wir am liebsten weglaufen würden, das ist, was uns letztendlich weiterbringt, wachsen lässt, vielleicht sogar erfüllt. Aber wie gesagt, beides ist für mich in beiden Lebensformen irgendwie vorhanden.

 

Das heißt du kannst dich nicht entscheiden zwischen zwei Möglichkeiten? Vielleicht ist es dann besser einen ganz anderen Weg zu suchen. Angst als (überwindbarer) Schwindel der Freiheit bringt uns weiter. Aber nicht wenn sie dauerhaft lähmt.

 

Noch was von Meister Eckhart?

Ich bin euch Mensch gewesen, wenn ihr mir

nicht Götter seid, so tut ihr mir Unrecht.

Mit meiner göttlichen Natur wohnte ich in

eurer menschlichen Natur, so dass niemand

meine göttliche Gestalt erkannte und man mich

wandeln sah wie einen andern Menschen. So

sollt ihr euch mit eurer menschlichen Natur

in meiner göttlichen Natur bergen, dass

niemand eure menschliche Schwäche an euch

erkenne und dass euer Leben zumal göttlich sei,

dass man an euch nichts erkenne als Gott.

bearbeitet von Ahh sucht Ohh
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Am Ende hilft nur: ausprobieren.

Und keine Scheu haben, den Rückwärtsgang einzulegen, wenn es falsch war.

 

Das möchte ich unterstreichen, wobei ich den Ausdruck "falsch" für verkehrt halte. Eine Entscheidung ist nicht "falsch", nur weil man unterwegs spürt, dass man in dieser Weise nicht auf Dauer weiterleben möchte oder kann. Und es gibt auch keinen "Rückwärtsgang", denn die unterwegs gemachten Erfahrungen werden einen verändern, so dass man ein(e) Andere® ist, auch wenn man nachher oberflächlich gesehen so lebt wie vorher.

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Auch in dem, was man vor sich selbst als "Scheitern" eines Lebensentwurfs bekennt (oder was einem von außen so dargestellt wird) klärt sich die eigene Lebensgestalt.

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Auch in dem, was man vor sich selbst als "Scheitern" eines Lebensentwurfs bekennt (oder was einem von außen so dargestellt wird) klärt sich die eigene Lebensgestalt.

 

Was bedeutet denn "Scheitern"?

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Auch in dem, was man vor sich selbst als "Scheitern" eines Lebensentwurfs bekennt (oder was einem von außen so dargestellt wird) klärt sich die eigene Lebensgestalt.

 

Maßstäbe als Prinzip unserer dualistischen Denke definieren regelmäßig, ob Lebensentwürfe als gescheitert oder erfolgreich betrachtet werden. Leider sind viele in diesem westlichen Denkmodell gefangen. "Armut" ist ein möglicher Weg daraus auszubrechen.

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Auch in dem, was man vor sich selbst als "Scheitern" eines Lebensentwurfs bekennt (oder was einem von außen so dargestellt wird) klärt sich die eigene Lebensgestalt.

 

Was bedeutet denn "Scheitern"?

Die Erkenntnis, daß ich nicht lebe, was/wie ich vor meinem Gewissen leben soll.

 

 

Edit:

Das Problem liegt allein darin, wenn man "scheitern" negativ besetzt.

Am heutigen Tag bekennen wir einen, der nach allen gängigen Maßstäben ein Gescheiterter war!

bearbeitet von gouvernante
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Die Erkenntnis, daß ich nicht lebe, was/wie ich vor meinem Gewissen leben soll.

 

In diesem Sinne hältst Du Jesus für einen Gescheiterten?

 

Worin Du ein Scheitern entdeckst, wenn jemand einige Jahre mit den Kleinen Schwestern lebt, um dann zu entdecken, dass sie das auf Dauer unglücklich macht (denn um etwas wie ein "Leben mit den Bedürftigen" scheint es Aleachim ja zu gehen), kann ich nicht nachvollziehen.

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Die Erkenntnis, daß ich nicht lebe, was/wie ich vor meinem Gewissen leben soll.

 

In diesem Sinne hältst Du Jesus für einen Gescheiterten?

 

Worin Du ein Scheitern entdeckst, wenn jemand einige Jahre mit den Kleinen Schwestern lebt, um dann zu entdecken, dass sie das auf Dauer unglücklich macht (denn um etwas wie ein "Leben mit den Bedürftigen" scheint es Aleachim ja zu gehen), kann ich nicht nachvollziehen.

 

 

Vielleicht habe ich mich mißverständlich ausgedrückt: Jesus war gemäß des "Gewissenskriterius" kein Gescheiterter, sehr wohl aber anhand der gängigen Kriterien (Erfolg, Zustimmung ...).

 

Und ja: wer einen einmal aus vollem Herzen gewählten Lebensentwurf aufgibt, wird sich eingestehen müssen, daß er/sie (über das Maß ist damit nichts gesagt!) an seinen Vorstellungen, Wünschen oder auch an den externen Bedingungen oder auch der Verkettung von Umständen gescheitert ist; daß er/sie, das, was er/sie einmal wollte, nicht weiterleben kann.

Ein solches Eingeständnis und eine nüchterne Bestandsaufnahme der Gründe - soweit sie einem zugänglich sind - ist mE eine Voraussetzung, daß das Erfahrene in neuer Situation fruchtbar gemacht werden kann und nicht in Bitterkeit und Verachtung (für sich oder andere) führt.

Biblisch heißt das "metanoia" und beschreibt, was ich ein paar posts oberhalb salopp mit "Rückwärtsgang" umschrieben habe.

Das der gescheiterte Lebenswurf einen (manchmal unersettlichen) Wert hat, bleibt davon im übrigen völlig unberührt!

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Und ja: wer einen einmal aus vollem Herzen gewählten Lebensentwurf aufgibt, wird sich eingestehen müssen, daß er/sie (über das Maß ist damit nichts gesagt!) an seinen Vorstellungen, Wünschen oder auch an den externen Bedingungen oder auch der Verkettung von Umständen gescheitert ist; daß er/sie, das, was er/sie einmal wollte, nicht weiterleben kann.

Ein solches Eingeständnis und eine nüchterne Bestandsaufnahme der Gründe - soweit sie einem zugänglich sind - ist mE eine Voraussetzung, daß das Erfahrene in neuer Situation fruchtbar gemacht werden kann und nicht in Bitterkeit und Verachtung (für sich oder andere) führt.

Biblisch heißt das "metanoia" und beschreibt, was ich ein paar posts oberhalb salopp mit "Rückwärtsgang" umschrieben habe.

Das der gescheiterte Lebenswurf einen (manchmal unersettlichen) Wert hat, bleibt davon im übrigen völlig unberührt!

 

Dem stimme ich zu - nur warum das im Widerspruch zum eigenen Gewissen stehen soll, erschliesst sich mir nicht.

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Worin besteht dieses "unendlich viel"? Kannst du das in Worte fassen?

Würde, An-Sehen, Respekt.

Geborgenheit. Heimat. Gemeinschaft.

Einen Raum, wo jemand nichts "sein muß", nichts leisten muß, um wertvoll zu sein. Offene Ohren.

 

Ob Melancholy das "reicht", weiß ich nicht - es ist aber auch nicht meine Sorge.

Danke! Irgendwie ist es wohl tatsächlich auch das, was ich gerne geben möchte, vorrangig, vor materieller Hilfe. Mir geht dabei durch den Kopf, dass das was du da aufzählst, ja jeder braucht. Man muss nicht extra in sozialen Brennpunkten, oder Entwicklungsländern suchen, um Menschen zu finden, die das bitter nötig haben. Ich weiß nicht genau, warum ich mir einbilde, dorthin zu müssen, um sowas geben zu können...?

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Das einfach nur in meinem eigenen Kopf hin und her zu wälzen, bringt mich nicht weiter.

 

Am Ende hilft nur: ausprobieren.

Und keine Scheu haben, den Rückwärtsgang einzulegen, wenn es falsch war.

Das sagt sich so einfach... Es gibt Situationen im Leben, da kann man nicht einfach probieren und sagen, wenns nicht klappt, kann ich ja umdrehen... Ich denke, es ist klar, dass es nicht unbedingt immer ratsam ist, alles Mögliche, oder Unmögliche im Leben einfach auszuprobieren. Dabei kann u. U. ziemlich viel Porzellan zerschlagen werden.

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Das sagt sich so einfach...

Nee :) Tried and tested!

Glaub ich dir natürlich. Tut mir leid, wenns so klang, als würde ich meinen, du würdest das "nur so" sagen. Mir ist klar, dass du aus Erfahrung sprichst. Aber aus der Erfahrung raus, sagt sich sowas eben leichter. Und es fällt mir auch nicht sonderlich schwer, dem was du sagst grundsätzlich zuzustimmen. (Das meinte ich mit "sagt sich so einfach...") Das dann aber umzusetzen und aufs eigene Leben anzuwnden, fällt mir tausendmal schwerer.

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Das dann aber umzusetzen und aufs eigene Leben anzuwnden, fällt mir tausendmal schwerer.

Logisch. Aber ich meine, die "echten Beulen" holt man sich nicht durch Fehlversuche, sondern durch das nagende "hätte ich damals doch...", wenn es zu spät ist.

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Ich hab eine Weile gebraucht, um mir klar darüber zu werden, was ich mir eigentlich von diesem Thread erwarte. Die Beteiligung ist ja leider nicht besonders groß....

 

Ich würde gerne die in mir stattfindende Diskussion "Tätige Hilfe vs. mit den Bedürftigen leben" ins Forum verlagern. Erwarte ich zuviel? Wahrscheinlich müsste ich viel provokanter schreiben, um Gegenstimmen und Befürworter zu lesen. Vielleicht hätte ich das Ganze doch nicht so sehr auf die persönliche Ebene ziehen sollen. Mir gehts weniger darum, Tipps zu erhalten, wie ich rausfinden kann, was für mich das Richtige ist. Ich stell jetzt einfach mal ein paar Fragen:

 

Würde Jesus zu uns nicht auch sagen, dass wir nur von unserem Überfluss etwas abgeben, wie die vielen, die er beobachtet, wie sie im Tempel opfern? Wer handelt auch nur annähernd, wie die Witwe?

Aber haben wir nicht gute Gründe, nicht so zu handeln? Wäre es nicht dumm, alles herzugeben und dann niemandem mehr helfen zu können? Und ist es nicht so, dass wir auch für unsere Kinder / Familien sorgen müssen und deshalb nicht einfach alles hergeben können?

Zählen diese Gründe wirklich?

 

Würdet ihr zustimmen, dass es eigentlich nichts bringt, einfach nur mit den Armen zu leben, und so gut es geht für sie da zu sein? Seid ihr der Meinung, dass es sinnvoller ist, mit konkreten Projekten zu helfen, wo sich wirklich die Situation der Menschen verbessert? Aber ist es nicht auch sehr oft so, dass man damit den Menschen etwas aufdrückt, ihnen indirekt einredet (vorlebt?), sie bräuchten dieses oder jenes, um glücklich zu sein? Andererseits, wenn jemand krank ist, ist es ja unsinnig, zu sagen: „Ich hätte zwar die Möglichkeit, deine Krankheit zu heilen, aber ich teile lieber dein Leid und lasse mich anstecken.“ In diesem Extrembeispiel hält es wohl jeder für Unsinn. Worin liegt dann der Wert, wenn jemand sein „Luxusleben“ aufgibt um mit den Armen zu leben ohne deren Situation wirklich verändern zu können, anstatt mit seinen Spenden wirklich dazu beizutragen, dass wenigstens ein paar Leute ein bessere Leben führen können.

 

@Moderatoren: Wäre es in Ordnung, wenn in diesem Thread auch nichtkatholische Gläubige mitdiskutieren dürften? Ich würde mich über grünes Licht freuen.

 

Ich finde Deine Fragen gut und sinvoll und mir sind ein paar Sachen dazu eingefallen:

 

- Es ist definitiv sinnvoll, einfach so mit den Armen zu leben, auch wenn man dadurch konkrete Hilfsprojekte nicht durchführen kann. Ich halte diesen Schritt hin zu den am Rande stehenden sogar für die allererste und unentbehrliche Grundbedingung für jede Verbesserung. Bevor man irgendwelche Pläne entwickelt, Geld sammelt etc. muss erst mal jemand hingehen. Jemand muss bereit sein, dass Leid zu sehen. Jemand muss das Leben teilen, um wirklich am eigenen Leib zu erfahren, "wo der Schuh drückt". Daraus entstehen die weiteren Schritte dann wie von selbst (dann vielleicht ausgeführt von anderen Menschen mit einer anderen Berufung)

 

- es ist wirklich wichtig, dass man das Leben mit den Armen als Gewinn erlebt. Franziskus wurde von Gott versprochen, dass, wenn er zu den Aussätzigen geht, "das was ihm bitter vorkommt, in Süßigkeit des Leibes und der Seele verwandelt wird." Und das hat er auch so erlebt. Ein Leben, in dem man sich ständig zu etwas zwingen muss, wird nicht fruchtbar werden. So etwas ist und bleibt eine Berufung.

 

- Gemeinschaft ist sehr wichtig. Nur sehr wenigen Menschen ist es gegeben, so einen Schritt ganz allein aus eigenem Gewissensantrieb zu machen. Denn: es bleibt eine Differenz. Egal wie gleichförmig man sich den Armen macht, es besteht immer der Unterschied, das man diese Lebensform freiwillig gewählt hat. Das haben auch die ersten Franziskaner sehr deutlich gesehen, wie einige Geschichten zeigen. Um also im letzten nicht völlig alleine zu sein, braucht man eine Gemeinschaft aus Gleichgesinnten.

 

- Wer das Leben der Armen kennenlernt, wird überrascht sein, wie unspektakulär es ist, wie sehr das Menschen wie alle anderen auch sind. Gut, böse, froh, traurig, interessiert, gelangweilt, mit illusorischen Plänen und praktischen Lösungen. Was sicherlich nicht so leicht zu ertragen ist, ist der oft sehr unverhüllte Egoismus (wir sind besser drin, Ausreden für unsere Egoismen zu erfinden). Und der Mangel an Möglichkeiten, das Leben differenziert und interessant zu gestalten; mit anderen Worten: die Langeweile. Meine Frau war drei Jahre lang Sozialarbeiterin in einer Wohnsitzlosensiedlung. Das war für sie am schwersten auszuhalten.

 

 

Fazit: der Weg, den Du Dir vorstellst, ist gut und wichtig. Aber er will gut überlegt und vorbereitet sein, und er lässt sich nur in Gemeinschaft gehen. Und man muss die Menschen, zu denen man geht, lieben, so wie sie nun mal sind. Der geistliche Asistent unserer Region des OFS ist so jemand. Er kennt "seine" Obdachlosen alle, er weiß ihre Lebensgeschichten, und er nimmt ihnen nie etwas übel. Gerade deswegen ist er eben Seelsorger und kein Sozialarbeiter.

bearbeitet von Franziskaner
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ich kann das sehr gut nachfühlen.

Danke Helmut für dein Verständnis. Magst du mehr dazu schreiben? Zum Beispiel wie du damit umgehst?

ich habe mir etwas zeit genommen meinen gefühlen nachzuspüren.

am anfang stehen die grundbedürfnisse, z.b. schutz, halt, sicherheit. es sind die eigenen bedürfnisse, ohne die ein angstfreies leben schwer vorstellbar ist. das ergibt dann persönliche grenzen. kindheitserlebnisse mit not können sehr schnell zu derartigen begrenzungen führen.

 

das zweite könnte nähe, wärme und beziehung sein. dieses wäre unter vielen hilfsbedingungen, z.b. auslandsaufenthalt, schwer aufrecht zu erhalten.

 

verzicht auf dieses wäre für mich nicht denkbar bzw. würde starke ängste auslösen.

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Würdet ihr zustimmen, dass es eigentlich nichts bringt, einfach nur mit den Armen zu leben, und so gut es geht für sie da zu sein?

Nein!

 

Das kann sehr wertvoll sein - wertvoller als manches Hilfsprojekt.

Was vielen Menschen fehlt, ist ihre Würde. Reiche können sich eine "Ersatzwürde" kaufen, indem sie sich über ihren Besitz definieren, armen Menschen fehlt diese Möglichkeit (trotzdem geben auch Arme Geld für Statussymbole aus, es fehlt dann anderswo).

Wer dazu berufen ist und einfach mit den Armen mitlebt, kann ihnen auf diese Weise ein Stück ihrer Würde geben.

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- Es ist definitiv sinnvoll, einfach so mit den Armen zu leben, auch wenn man dadurch konkrete Hilfsprojekte nicht durchführen kann. Ich halte diesen Schritt hin zu den am Rande stehenden sogar für die allererste und unentbehrliche Grundbedingung für jede Verbesserung. Bevor man irgendwelche Pläne entwickelt, Geld sammelt etc. muss erst mal jemand hingehen. Jemand muss bereit sein, dass Leid zu sehen. Jemand muss das Leben teilen, um wirklich am eigenen Leib zu erfahren, "wo der Schuh drückt". Daraus entstehen die weiteren Schritte dann wie von selbst (dann vielleicht ausgeführt von anderen Menschen mit einer anderen Berufung)

Hm... so hab ich das noch nicht gesehen. Aber ich glaube, auch wenn es nicht ganz falsch ist, was du sagst, ist das eher selten ein Grund, mit den Armen zu leben. Und ich glaube nicht, dass ich das könnte mit dem Ziel rauszufinden "wo der Schuh drückt". Da decken sich die anderen Antworten hier, dass es (auch oder vor allem) darum geht, diesen Menschen Würde, Ansehen etc. zu schenken, eher mit dem, was ich geben möchte.

 

- es ist wirklich wichtig, dass man das Leben mit den Armen als Gewinn erlebt. Franziskus wurde von Gott versprochen, dass, wenn er zu den Aussätzigen geht, "das was ihm bitter vorkommt, in Süßigkeit des Leibes und der Seele verwandelt wird." Und das hat er auch so erlebt. Ein Leben, in dem man sich ständig zu etwas zwingen muss, wird nicht fruchtbar werden. So etwas ist und bleibt eine Berufung.

Ja, das ist klar. Und grade das Leben des hl. Franziskus, hat mich auch zu solchen Gedanken angeregt.

 

- Wer das Leben der Armen kennenlernt, wird überrascht sein, wie unspektakulär es ist, wie sehr das Menschen wie alle anderen auch sind. Gut, böse, froh, traurig, interessiert, gelangweilt, mit illusorischen Plänen und praktischen Lösungen. Was sicherlich nicht so leicht zu ertragen ist, ist der oft sehr unverhüllte Egoismus (wir sind besser drin, Ausreden für unsere Egoismen zu erfinden). Und der Mangel an Möglichkeiten, das Leben differenziert und interessant zu gestalten; mit anderen Worten: die Langeweile. Meine Frau war drei Jahre lang Sozialarbeiterin in einer Wohnsitzlosensiedlung. Das war für sie am schwersten auszuhalten.

Das kann ich mir gut vorstellen, wie schwer das ist.

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Hm... so hab ich das noch nicht gesehen. Aber ich glaube, auch wenn es nicht ganz falsch ist, was du sagst, ist das eher selten ein Grund, mit den Armen zu leben. Und ich glaube nicht, dass ich das könnte mit dem Ziel rauszufinden "wo der Schuh drückt". Da decken sich die anderen Antworten hier, dass es (auch oder vor allem) darum geht, diesen Menschen Würde, Ansehen etc. zu schenken, eher mit dem, was ich geben möchte.

Irgendwo hinzugehen mit der Attitüde "Ich schnek' euch jetzt mal ein bißchen Würde" kommt vermutlich auch nicht gut. An erster Stelle gehört mE das aufmerksame Zuhören/Zusehen, was der/die andere von Dir möchte. Möglicherweise sogar, daß Du aus ihrem Leben wieder schnellstmöglichst verschwindest (die Erfahrung durfte ich mal in Ballymun machen - es hat mich reicher, nicht ärmer gemacht).

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Würdet ihr zustimmen, dass es eigentlich nichts bringt, einfach nur mit den Armen zu leben, und so gut es geht für sie da zu sein?

Nein!

 

Das kann sehr wertvoll sein - wertvoller als manches Hilfsprojekt.

Was vielen Menschen fehlt, ist ihre Würde. Reiche können sich eine "Ersatzwürde" kaufen, indem sie sich über ihren Besitz definieren, armen Menschen fehlt diese Möglichkeit (trotzdem geben auch Arme Geld für Statussymbole aus, es fehlt dann anderswo).

Wer dazu berufen ist und einfach mit den Armen mitlebt, kann ihnen auf diese Weise ein Stück ihrer Würde geben.

Ich empfinde das zwar auch so, aber mir ist eigentlich gar nicht klar, warum. Warum gibt man den Armen dadurch ein Stück Würde, dass man freiwillig mit ihnen lebt? Ich würde fast sogar soweit gehen und sagen, dass gerade manch materielle Spende die Würde nimmt. Ich kann aber nicht recht in Worte fassen, warum das so ist.

 

Ich würde mal salopp und provokant sagen, es gibt weitaus Schlimmeres, als materielle Armut das Schlimme sind die fast zwangsläufigen Folgeerscheinungen. Irgendwie möchte ich wohl die bekämpfen. Wenn ich das so schreibe, kommt mir das aber ziemlich dumm vor. Wenn die Armut der Auslöser für diese Probleme ist, ist es doch sinnvoller, an der Ursach anzusetzen und nicht an den Symptomen herumzudoktern.

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