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Wann wurden wir eine unbarmherzige Kirche?


nobis11

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"Wann wurden wir eine unbarmherzige Kirche" ist ein blöder Titel

 

Für ein Forum geht der Titel in Ordnung. Er ist provokativ, denn er impliziert, dass die Kirche einmal barmherzig gewesen sei, sich aber zu einer unbarmherzigen Kirche entwickelt habe. Nun könnte man darüber streiten, ab wann man überhaupt von einer "Kirche" sprechen kann und untersuchen, wie sie zu verschiedenen Zeiten mit bestimmten Fragestellungen umgegangen ist.

 

Der Knackpunkt scheint mir aber in der Moderne zu liegen: Der aufgeklärte Mensch hinterfragt alle scheinbaren Wahrheiten und erlebt sie als subjektiv bzw. relativ. J. Ratzinger hat das eine "Diktatur des Relativismus" genannt:

 

 

Einen klaren Glauben nach dem Credo der Kirche zu haben, wird oft als Fundamentalismus abgestempelt, wohingegen der Relativismus, das sich »vom Windstoß irgendeiner Lehrmeinung Hin-und-hertreiben-lassen«, als die heutzutage einzige zeitgemäße Haltung erscheint. Es entsteht eine Diktatur des Relativismus, die nichts als endgültig anerkennt und als letztes Maß nur das eigene Ich und seine Gelüste gelten läßt.

http://www.vatican.va/gpII/documents/homily-pro-eligendo-pontifice_20050418_ge.html

 

Und dann kommt die Kirche daher und meint, objektive Wahrheiten vertreten zu können, ja objektiv feststellen zu können, was Sünde sei. Ohne das weiter bewerten zu wollen kann man schon sagen, dass die Kirche hier eine vormoderne Haltung vertritt.

 

Timothy Radcliffe OP hat dazu einiges Interessantes in seinem "Buch Warum Christ sein? Wie der Glaube unser Leben verändert" geschrieben (Herder 2012), insb. ab S. 201. Kann man übrigens gebraucht günstig erwerben.

 

 

Für die Aufklärung ist der einzig wahrheitsgetreue, unverfälschte Blick der des unparteiischen wissenschaftlichen Betrachters, der kühl und rational beobachtet und die ererbten Prämissen und Vorurteil der Masse infrage stellt. [...] (S.202).

 

Wir sind alle Kinder der Aufklärung und wir verdanken ihr viel. Aber wenn sie der primäre Weg ist, auf dem wir die Wahrheit suchen, werden wir unvermeidlich eine Gesellschaft schaffen, die misstrauische, argwöhnisch und unsicher ist und deren soziale Bindungen sich auflösen.

Eine christliche Spiritualität der Wahrhaftigkeit muss ein Kind der Aufklärung empören, weil sie auf Glaubenssätzen beruht. [...] (S. 202 f.)

 

Radcliffe versteht allerdings "Wahrhaftigkeit" nicht als ein Pochen auf Dogmen, sondern als ein tiefes Kontemplieren und Erkennen des Anderen:

 

 

Thomas war überzeugt, dass wir über die Dinge nachsinnen, sie kontemplieren müssen, um sie so zu sehen, wie sie sind. [...] Es bedeutet, den anderen anders sein zu lassen und ihn nicht der eigenen Denkweise zu unterwerfen. [...] (S. 204)

 

Wahrhaftigkeit ist nicht einfach nur eine intellektuelle Disziplin: Sie ist Einübung in Selbstlosigkeit, ein Loslassen unseres gierigen Griffs nach der Welt. [...] (S. 205)

 

Für Christen besteht die zentrale Lüge darin, anderen mit Unbarmherzigkeit zu begegnen, unsere Augen vor der Güte ihres Menschseins zu verschließen und sie mit der Last ihrer Sünden zu beschweren.

Solange wir Menschen nicht mit Barmherzigkeit betrachten, sehen wir sie nicht richtig. [...] (S. 208)

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Der Knackpunkt scheint mir aber in der Moderne zu liegen: Der aufgeklärte Mensch hinterfragt alle scheinbaren Wahrheiten und erlebt sie als subjektiv bzw. relativ. J. Ratzinger hat das eine "Diktatur des Relativismus" genannt:

Was ist mit frommen katholischen aufgeklärten Menschen? Hinterfragen die die ebenfalls alle scheinbaren Wahrheiten oder akzeptieren sie die "objektiven Wahrheiten"; die die Kirche angeblich vertritt? Das sieht nach einem konstruierten Gegensatz zwischen Aufklärung und Religion aus.

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Long John Silver

 

Nun, wenn eine kritische Sicht auf homosexuelle Akte "unbarmherzig" ist, dann war die Kirche immer schon unbarmherzig.

 

Solange die Kirche hinsichtlich Homosexualität mit der Widernatürlichkeit und "der natürlichen Ergänzung von Mann und Frau zum Zeugen von Nachkommen" argumentiert, bleibt sie solange unglaubwürdig wie sie ihre Priester selbst in einer Lebensform berufen sieht, die dieser natürlichen Ergänzung zuwiderläuft und damit widernatürlich ist.

 

Übrigens geht es auch nicht um die Frage, wie die Kirche Sexualpraktiken bewertet und auch nicht um die Frage, wie sie eine Natur des Menschen definiert (die wenigsten Schwulen werden wohl leugnen, natürlicherweise durchaus fähig zu sein, Nachkommen zu zeugen), sondern um das Verhalten vieler Christen gegenüber Homosexuellen.

 

Würden sich die meisten nämlich gemäß dem Motto "Wer frei von Sünde ist...." oder "Liebe Deinen Nächsten" oder "den Sünder lieben" verhalten und sich vorrangig an das halten, was der Katechismus fordert, nämlich Homosexuellen mit Achtung und Takt begegnen, dann wäre die Welt schon etwas besser.

 

Solange aber Katholiken scharenweise auf Homosexuellen rumtrampeln als wären sie das letzte und auf dem direkten Weg in die Hölle braucht sich die Kirche nicht über ihre Außenwirkung wundern. Das Motto ist nämlich schon lange nicht mehr "die Sünde hassen, den Sünder lieben", sondern eher "Die Sünde hassen und den Sünder erst recht" (außer sich selbst).

 

 

Entschuldige, aber in welcher Welt lebst du? Wo sind die Scharen von Katholiken, welche auf gleichgeschlechtlich Orientierten herum trampeln? In den Laendern, in denen die entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen fuer Heirat (und Adoption) geschaffen wurden, leben vorwiegend Christen, die Verabschiedung dieser Gesetze geschah nicht nur mit ihrer Billigung, sondern auf ihr Betreiben hin. Oder meinst du die Scharen irischer Christen, die kuerzlich bei der Volksabstimmung waren? Wie sieht's mit Spanien aus? Und war da nicht was in Suedamerika? Wo sind die Scharen von Katholiken in Deutschland, welche gleichgeschlechtlich orientierte hassen und sie in der Hoelle braten sehen? (Oder meinst du damit eure christliche Angela Merkel, weil sie sich gegen die Oeffnung der Ehe-Bezeichnung straeubt?)

 

(Die kleine Gruppe von Christen, die das tatsaechlich tut findet man zu 99% bei den evangelikalen Fundamentalisten und nicht bei den Katholiken).

 

Ich halte deine Aussage fuer eine oberflaechliche Rhetorik. Genauso gut koennte man sagen, Scharen von Katholiken sind generell gegen Abtreibung, aber das strimmt ebenso wenig. Bestimmte Gruppen vertreten bestimmte Ansichten, das ist richtig. Bei bestimmten Gruppen muss man genau hinsehen, wo die Abneigung aufhoert und der Hass beginnt und auch gepredigt wird. Aber genauso wenig wie die katholische Kirche als solche eine unbarmherzige Kirche ist (die Frage muesste eigentlich lauten: was ist an unserer Kirche unbarmherzig und nicht wann wurde DIE Kirche unbarmherzig? Im uebrigen bin ich der Meinung, dass gewisse unbarmherzige Zuege bei ab bestimmten protestantischen Gruppen und Theologien wesentlich ausgepraegter waren/sind, dagegen ist die katholische Kirche ein sanfter Mutterschoss, aber das ein anderes theologisches Thema), trampeln Katholiken massenhaft auf den Gefuehlen anderer Menschen herum. Diese Thread-Einfuehrung verleitet gerade dazu, mal wieder richtig vom Leder zu ziehen, welch mieser moralischer Versager die katholische Kirche generell sei.

 

(PS: Wenn unpassend, bitte nach F&A verschieben, danke!)

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Der Knackpunkt scheint mir aber in der Moderne zu liegen: Der aufgeklärte Mensch hinterfragt alle scheinbaren Wahrheiten und erlebt sie als subjektiv bzw. relativ. J. Ratzinger hat das eine "Diktatur des Relativismus" genannt:

Was ist mit frommen katholischen aufgeklärten Menschen? Hinterfragen die die ebenfalls alle scheinbaren Wahrheiten oder akzeptieren sie die "objektiven Wahrheiten"; die die Kirche angeblich vertritt? Das sieht nach einem konstruierten Gegensatz zwischen Aufklärung und Religion aus.

 

 

Keine Ahnung, das ist wohl sehr individuell. Man sieht das doch gut hier im Forum, wie sich die mehr und die weniger Frommen am Lehramt abarbeiten.

 

Der CIC sagt: (Hervorhebungen durch mich):

 

 

Can. 752 — Nicht Glaubenszustimmung, wohl aber religiöser Verstandes und Willensgehorsam ist einer Lehre entgegenzubringen, die der Papst oder das Bischofskollegium in Glaubens- oder Sittenfragen verkündigen, wann immer sie ihr authentisches Lehramt ausüben, auch wenn sie diese Lehre nicht definitiv als verpflichtend zu verkünden beabsichtigen; die Gläubigen müssen also sorgsam meiden, was ihr nicht entspricht.

 

Can. 753 — Die Bischöfe, die in Gemeinschaft mit Haupt und Gliedern des Kollegiums stehen, sind, sei es als einzelne, sei es auf Bischofskonferenzen oder auf Partikularkonzilien versammelt, wenn sie auch Unfehlbarkeit in der Lehre nicht besitzen, die authentischen Künder und Lehrer des Glaubens für die ihrer Sorge anvertrauten Gläubigen; die Gläubigen sind gehalten, diesem authentischen Lehramt ihrer Bischöfe mit religiösem Gehorsam zu folgen.

 

Can. 754 — Alle Gläubigen sind verpflichtet, die Konstitutionen und Dekrete zu befolgen, welche die rechtmäßige Autorität der Kirche zur Vorlage einer Lehre und zur Verwerfung irriger Auffassungen erläßt, vor allem aber solche des Papstes oder des Bischofskollegiums.

http://www.vatican.va/archive/DEU0036/_P2H.HTM

 

Das können wir jetzt relativieren und mit dem Gewissen argumentieren.

 

Trotzdem bleibt die Tendenz: Die Kirche verkündet eine Glaubenswahrheit (homosexuelle Akte sind nicht OK, tut uns ja sehr Leid, das ist aber objektiv so, ob wir wollen oder nicht) - den aufgeklärten Katholik bringt das in einen Zwiespalt (man kann sich seine Sexualität nicht aussuchen, lebenslange Enthaltsamkeit ist kaum machbar und eine ziemlich grausame Forderung...)

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Diese Thread-Einfuehrung verleitet gerade dazu, mal wieder richtig vom Leder zu ziehen, welch mieser moralischer Versager die katholische Kirche generell sei.

 

 

 

 

 

mach doch mal!

 

ich freu mich drauf.

 

P. S.

 

Der erste, wirklich miese - meiner Meinung nach - Versager in der Kirche ("ehe denn der Hahn kräht, wirst Du mich dreimal verleugnen), war der da, der dann am Feuer saß, und sagte: "nö - Du hast mich verwechselt, nö, wir haben uns noch nie gesehen, nö, ich hab mit dem überhaupt nichts zu tun" ...

 

 

 

Petrus.

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Ich halte deine Aussage fuer eine oberflaechliche Rhetorik

 

Eher ein mehrjähriger Erfahrungswert. Da Dir das aber entgangen zu sein scheint, möchte ich Deine Frage wiederholen:

"In welcher Welt lebst Du?".

bearbeitet von nobis11
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Long John Silver

 

Ich halte deine Aussage fuer eine oberflaechliche Rhetorik

 

Eher ein mehrjähriger Erfahrungswert. Da Dir das aber entgangen zu sein scheint, möchte ich Deine Frage wiederholen:

"In welcher Welt lebst Du?".

 

 

In einer Welt, in der ich Zeitung lese und das Internet nutze.

 

Und in einer Welt, in der mich jahrzehntelange Erfahrung mit katholischen Gemeinden gelehrt hat, dass keine Scharen von Katholiken gleichgeschlechtlich orientierte in die Hoelle wuenschen oder sie ihnen androhen.

 

Es geht mir nicht darum, ob es Katholiken gibt, die fundamentalisch denken (das steht ausser Frage) oder darum, an welchem Punkt die rkK mit ihrer Sexualmoral gerade ist (das sich da etwas bewegt, scheint offensichtlich), sondern um eine fuer meinen Begriff uebertriebene Pauschalisierung.

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Franciscus non papa

Die Gläubigen sind aber nicht dem CIC sondern dem Herrn verpflichtet.

 

Daß eine Kirche, die nun mal ein eigenes Rechtssystem hat, in diesem Rechtssystem sich selbst und die Lehre als verbindlich definiert ist eine dem System innewohnende Logik.

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Ich denke, es ist nicht Aufgabe der Kirche, über Sünder zu richten. Ich bin kein Freund des Kirchenrechts.

Wenn du wissen willst, was Sünde ist (z.B. weil du dein Gewissen bilden willst), dann solltest Du in den Katechismus schauen, nicht ins Kirchenrecht. Da wird vieles geregelt, was nichts mit Sünden zu tun hat, Verwaltungskram z.B. - und nur wenige Sünden werden im Kirchenrecht behandelt und dann beschränkt sich das auf rechtliche Aspekte: Wenn, z.B., ein Geistlicher sich an Kindern vergeht, dann steht da drin, daß er (sicherheitshalber?) bestimmte Funktionen nicht mehr ausüben darf, aber nichts über die Anzahl der Vaterunser, die er zur Buße zu beten hat. Das klärt er mit seinem Beichtvater.

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Ich denke, es ist nicht Aufgabe der Kirche, über Sünder zu richten. Ich bin kein Freund des Kirchenrechts.

Wenn du wissen willst, was Sünde ist (z.B. weil du dein Gewissen bilden willst), dann solltest Du in den Katechismus schauen, nicht ins Kirchenrecht. Da wird vieles geregelt, was nichts mit Sünden zu tun hat, Verwaltungskram z.B. - und nur wenige Sünden werden im Kirchenrecht behandelt und dann beschränkt sich das auf rechtliche Aspekte: Wenn, z.B., ein Geistlicher sich an Kindern vergeht, dann steht da drin, daß er (sicherheitshalber?) bestimmte Funktionen nicht mehr ausüben darf, aber nichts über die Anzahl der Vaterunser, die er zur Buße zu beten hat. Das klärt er mit seinem Beichtvater.

 

Der Katechismus ist entweder eine Meinungssammlung oder ein Produkt des Kirchenrechts.

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Trotzdem bleibt die Tendenz: Die Kirche verkündet eine Glaubenswahrheit (homosexuelle Akte sind nicht OK, tut uns ja sehr Leid, das ist aber objektiv so, ob wir wollen oder nicht) - den aufgeklärten Katholik bringt das in einen Zwiespalt (man kann sich seine Sexualität nicht aussuchen, lebenslange Enthaltsamkeit ist kaum machbar und eine ziemlich grausame Forderung...)

 

Die Mehrzahl der aufgeklärten Katholiken in Europa schlägt sich wohl nicht mehr mit solchen Zwiespalten herum. Wir leben ja nicht mehr in der Zeit Ludwigs II. Im Glauben geht es heute meist um andere Fragen.

 

Heute haben wir eher das Problem, dass Teile der Hierarchie ihre Energie vergeblich darauf verwenden, auf diesem Gebiet eine längst verlorengegangene Autorität zu behaupten. Wichtigere Themen (z.B. die hohen Austrittszahlen) werden hingegen weitgehend kommentarlos zur Kenntnis genommen. Das finde ich schade.

bearbeitet von Merkur
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Heute haben wir eher das Problem, dass Teile der Hierarchie ihre Energie vergeblich darauf verwenden, auf diesem Gebiet eine längst verlorengegangene Autorität zu behaupten. Wichtigere Themen (z.B. die hohen Austrittszahlen) werden hingegen weitgehend kommentarlos zur Kenntnis genommen. Das finde ich schade.

Also ist nicht die Lehre das Problem sondern der Episkopat in seiner Identitätskrise?
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Heute haben wir eher das Problem, dass Teile der Hierarchie ihre Energie vergeblich darauf verwenden, auf diesem Gebiet eine längst verlorengegangene Autorität zu behaupten. Wichtigere Themen (z.B. die hohen Austrittszahlen) werden hingegen weitgehend kommentarlos zur Kenntnis genommen. Das finde ich schade.

Also ist nicht die Lehre das Problem sondern der Episkopat in seiner Identitätskrise?

 

Die Lehre ist keine unveränderliche Sache, die man nur auf ein Podest zu stellen und anzuschauen braucht, sondern sie muss gepflegt werden, sonst stirbt sie irgendwann ab. Das ist die Aufgabe derer, die für sie Verantwortung tragen, also in erster Linie der Bischöfe. Ich fände es wünschenwert, wenn die Prioritäten bei der Verkündigung in absehbarer Zeit etwas anders gesetzt würden: Weniger Genörgel über mißliebige Paarbeziehungen und mehr Freude am Glauben. Das kann doch nicht so schwer sein.

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Mir scheint, wir Otto-Normal-Katholiken haben einfach zuwenig liturgisches Wissen, wo was herkommt, welche biblische oder geschichtliche Szene da zitiert wird ... Was wissen wir denn heute noch vom byzantinischen Hofzeremoniell? ZU WENIG offenbar, ich jedenfalls ;)

 

Aber wo Du und Franz das nun einigermaßen ausklamüstert habt, bin ich etwas schlauer geworden.

Da liegt das Problem.

 

Aus den Worten "Herr, erbarme Dich!" ergeben sich die Gedanken von Franz und mir nicht. Im Gegenteil. Man braucht sogar noch viel mehr Kenntnisse, um von "Herr, erbarme Dich!" auf einen Jubelruf zum König zu kommen.

 

Wenn heute jemand jubelt, dann ruft er "Hurra" oder etwas altertümlicher "Vivat!" oder "Gut gemacht, du bist super!" oder schlichtweg "Yeah".

Maria jubelt in der Bibel wunderschön:

"Meine Seele preist die Größe des Herrn

und mein Geist jubelt über Gott meinen Retter!"

Und es folgt eine bewegender Jubelhymnus.

 

Im Gotteslob wird man angeregt: "Singt dem König Freudenpsalmen! ..."

 

Gut so! Alles prima verständlich und in den letzten beiden Fällen womöglich sogar ansteckend.

 

Und was tun die Katholiken in der Messe, um zu jubeln? Sie rufen "Herr, erbarme Dich!",

als ob sie zwischen einem Flehen und einem Jubel nicht unterscheiden könnten.

 

Die Verbindung zwischen dem gesprochenen/gesungenen Text und dem Jubel ist nur mühsam herzustellen - über geschichtliche Kenntnisse über Gepflogenheiten und Riten einer verflossenen Welt. Und selbst, wenn man diese Kenntnisse hat: Mir ist es trotz dieser Kenntnisse nicht leicht, mich in einen solchen Jubelruf einzustimmen. Franzens schöne Gedanken haben mit "Herr, erbarme Dich" weiterhin kaum was zu tun. Schöne Gedanken. Aber das Durchlesen von Franciscus' Posting erzeugt bei mir mehr Ahnung von Jubel, als das "Herr, erbarme Dich".

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Mir scheint, wir Otto-Normal-Katholiken haben einfach zuwenig liturgisches Wissen, wo was herkommt, welche biblische oder geschichtliche Szene da zitiert wird ... Was wissen wir denn heute noch vom byzantinischen Hofzeremoniell? ZU WENIG offenbar, ich jedenfalls ;)

 

Aber wo Du und Franz das nun einigermaßen ausklamüstert habt, bin ich etwas schlauer geworden.

Da liegt das Problem.

 

Aus den Worten "Herr, erbarme Dich!" ergeben sich die Gedanken von Franz und mir nicht. Im Gegenteil. Man braucht sogar noch viel mehr Kenntnisse, um von "Herr, erbarme Dich!" auf einen Jubelruf zum König zu kommen.

 

Wenn heute jemand jubelt, dann ruft er "Hurra" oder etwas altertümlicher "Vivat!" oder "Gut gemacht, du bist super!" oder schlichtweg "Yeah".

Maria jubelt in der Bibel wunderschön:

"Meine Seele preist die Größe des Herrn

und mein Geist jubelt über Gott meinen Retter!"

Und es folgt eine bewegender Jubelhymnus.

 

Im Gotteslob wird man angeregt: "Singt dem König Freudenpsalmen! ..."

 

Gut so! Alles prima verständlich und in den letzten beiden Fällen womöglich sogar ansteckend.

 

Und was tun die Katholiken in der Messe, um zu jubeln? Sie rufen "Herr, erbarme Dich!",

als ob sie zwischen einem Flehen und einem Jubel nicht unterscheiden könnten.

 

Die Verbindung zwischen dem gesprochenen/gesungenen Text und dem Jubel ist nur mühsam herzustellen - über geschichtliche Kenntnisse über Gepflogenheiten und Riten einer verflossenen Welt. Und selbst, wenn man diese Kenntnisse hat: Mir ist es trotz dieser Kenntnisse nicht leicht, mich in einen solchen Jubelruf einzustimmen. Franzens schöne Gedanken haben mit "Herr, erbarme Dich" weiterhin kaum was zu tun. Schöne Gedanken. Aber das Durchlesen von Franciscus' Posting erzeugt bei mir mehr Ahnung von Jubel, als das "Herr, erbarme Dich".

 

Mecky,

wenn ich deine Kritik an der Liturgie lese frag ich mich oft: In der Theorie mag er ja vielleicht eventuell möglicherweise recht haben , nur was heisst das für die Praxis?

Nur noch selbsterklärende, Liturgie? Alles raus was angestaubt ist oder nur so erscheint?

Dann kannst du, in einer schnellebigen Zeit wie der heutigen, alle 14 Tage ne neue Liturgie basteln. Und nicht mal dann hast du gewähr das deine Gottesdienstbesucher kapieren was da vorne abgeht.

 

Die Aufgabe von uns Laien ist, das wir uns schlau machen. Das ist das Problem von "tätiger Teilnahme".

Die Aufgabe der Priester ist es aber auch uns Laien zu erklären woran wir tätig teilnehmen. Unter anderem dafür werdet ihr bezahlt.

 

Sorry, falls das jetzt zu scharf war. Und wenn ich dich missverstehe klär mich auf

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Lieber Frank!

 

Mit der Schärfe habe ich keine Probleme. Aber mit der Verzerrung. Denn sie ist ein Vorwand, um die Realität nicht mehr korrekt wahrzunehmen.

 

Das Kyrie ist nicht seit 14 Tagen als Jubelruf nicht mehr erkennbar, sondern seit vielen, vielen Jahrhunderten. Seit weit über 1000 Jahren wird im Kyrie nicht mehr gejubelt, sondern jubellos gefleht. Bereits im 19. Jahrhundert wurde die ganze Messe (mitsamt jedem Gebet ...) von den Kritikern als Gejammer und Lamento karikiert - und nicht ganz zu Unrecht, wie man sieht.

In über 1000 Jahren war die Kirche nicht willens, solche Missstände zu bereinigen.

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Franciscus non papa

nd lieber Mecky,

 

das ist so natürlich falsch.

 

Mögen die Theologen und Liturgen das seit über 1000 Jahren nicht gewusst haben, die Musiker wussten es noch. Man muss sich z.B. nur mal die Kyrie-Vertonungen in der Hochämtern von Haydn anhören, ich empfehle das Kyrie aus der Missa in tempore belli, ein solcher Jubel hat mit dem, was du da unterstellst nun wirklich gar nichts gemeinsam.

 

Es ist ja heute nicht anders - wer verbindet den ständig das Kyrie mit dem Bußakt? Richtig, der Klerus. Und dann ist die Liturgie schuld.

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Im Anfangsteil der heiligen Messe geht es doch darum, dass wir aus dem profanen Alltag hinübersteigen in die bewusste Gegenwart Gottes, der Allmächtigen, der allezeit bei uns ist, der durch seinen Sohn Jesus Christus zu uns gekommen ist und durch seinen Heiligen Geist in uns wirkt.

 

Anlass zum Jubel gibt es da allemal.

 

Im Sündenbekenntnis greifen wir den Alltag auf. "Es geht ohne Gott". Nein! "Es geht ohne Gott ... in die Dunkelheit, aber mit ihm gehen wir ins Licht." Die Finsternis der Gottferne oder manchmal auch nur der Gottvergessenheit.

Jetzt hier, nachdem wir vor dem Altar Gottes stehen, darf die Sehnsucht nach Gott, nach Erlösung, nach Geborgenheit im Glauben Luft bekommen.

Das sollte die Liturgie auch fördern. Zum Beispiel durch ein echtes Bekenntnis der Sünde, anstatt einer moralischen Selbstanklage, wo man sich gehirnwäschenartig unter Anleitung des Messbuchs selbst zur Sau macht.

 

"Herr, erbarme Dich" ist hier gar nicht mal so schlecht platziert - und zwar im volksüblichen Verständnis. Wir bitten um Gottes Hilfe angesichts unserer unseligen Trennung von Gott, die uns belastet und den Blick auf die Quelle des Heils verstellt.

Da müsste man gar nichts groß verändern. Der Ruf "Herr, erbarme Dich" ist in sich gut.

 

Nur ersetzt er nicht den Jubel über die Gegenwart unseres Erbarmers, Erretters, Heilandes, Erlösers.

Dieser Teil ist de facto weggelassen, nachdem das Kyrie seine jubelnde Funktion verloren hat.

Und wenn man nur die ersten zwei Zeilen des Magnificat beten würde.

Oder "Singt dem König Freudenpsalmen". Oder "Gelobt seist Du, Herr Jesus Christ, ein König aller Ehren!"

Da wäre der ursprüngliche Jubel wieder da.

 

Und die indikativische Zusammenfassung würde diesen Jubel noch einmal eindeutig machen und auf den Punkt bringen.

 

Und siehe: Dann hat die Gemeinde die Möglichkeit, sich bewusst vor Gott zu stellen, die unselige Trennung zu beklagen und Gott, den Heiler dieser Trennung, zu bejubeln.

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Mögen die Theologen und Liturgen das seit über 1000 Jahren nicht gewusst haben, die Musiker wussten es noch.

Manche Musiker hatten tatsächlich die Nase vorn. Die meisten haben aber den Jubel dann doch eher ins Gloria abgeschoben. Setze mal ins Verhältnis: Kyriemusik flehentlichen/traurigen Charakters versa jubelnder Kyriemusik. Was kommt häufiger vor?

Und woher haben die Musiker die Inspiration für den Jubel genommen, wenn nicht von den Theologen, die sich korrekt auskannten?

 

Die Theologen scheinen es noch am ehesten gewusst zu haben. Aber der eigentliche Träger der heiligen Messe, nämlich die Gottesdienstbesucher haben den Jubel (trotz mancher bewundernswerter musikalischer Leistung) nicht mitbekommen. Und da liegt das Problem. Denn eigentlich soll die Form der heiligen Messe die Gemeinde in die Gegenwart Gottes führen.

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Diejenigen, die das Kyrie zur Verlängerung des Bußaktes genutzt haben, sind schlicht und ergreifend dem offiziellen Wortlaut gefolgt. Formulierungen wie:

"Wir haben gesündigt! Herr, erbarme Dich!"

sind zwar wider den Strich des Kyrie. Aber sie sind doch sehr verständlich, wenn man einfach nur vom Wortlaut ausgeht.

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1. Hat Wortlaut und Bedeutung des Kyrie über Jahrhunderte niemanden wirklich interessiert.

 

Der Priester murmelte in der Tridentina den Text mit den Messdienern und der Rest sang oder betete still vor sich hin. Als Teil der Vormesse war er auch nicht "wichtig" im engeren Sinn.

 

2. Kyrie und Gloria (Jubelruf und Lobgesang) direkt hintereinander sind vielleicht auch nicht wirklich geschickt. Allerdings bin ich der Ansicht, daß die Probleme mit dem Jubeln und Lobpreisen nicht mit den Texten, sondern der durchschnittsdeutschen Trockenheit zu tun hat. Die Autoren des Kölschen Gesangbuchs z.B. schildern ihre Probleme mit Kyrie und Gloria, weil der Sprache (in diesem Fall der kölsche Dialekt im Besonderen) "alles Hymnische fremd ist". Ich wage mich noch einen Schritt weiter und vermute sogar, daß das "Hymnische" und auch der Lobpreis unserer Mentalität schlicht fremd ist. Von einer gewissen Ausnahmestellung des Fussballs abgesehen (und selbst da tauchen ja immer wieder die Kritiker von Abgrenzung und Nationalismus auf) abgesehen neigt man in D selten zur offenen Euphorie. und ich glaube nicht, daß die Kirche bzw. die Liturgie die Ursache ist. Sie ist vielleicht ein Konservierungsmittel, aber man sollte nicht vergessen, wo und unter welchen Einflüssen die Ordnung der Messe geprägt wurde. Unsere Form bzw. die Trdentina als ihrer Vorlage basiert auf einem Formular für Privatmessen, die als Sühneopfer verstanden, bestellt und gelesen wurden. Daß dieser Liturgie der überbordend-lobpreisende Charakter fehlt finde ich nicht verwunderlich.

 

3. Schrieb ich schon an anderer Stelle: Die Messe ist keine Katecheseveranstaltung. Sie ist die Feier der Gemeinschaft im Herrn und in Gegenwart des Herrn. Die Schrift sagt: "wer da hat, dem wird gegeben, wer nicht hat, dem wird auch noch das wenige genommen, das er hat". Um in das Geheimnis der Messe vorzudringen muss man eine gewisse Vorkenntnis haben. Selbsterklärend war die Liturgie nie. Im Gegenteil wurde die Eucharistie lange Zeit nur mit den vollinitiierten Gläubigen die in voller Gemeinschaft mit der Kirche standen gefeiert. Selbst die Taufkatechumenen mussten die Kirche nach dem Wortgottesdienst verlassen.

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Das Kyrie hat heute so, wie es eigentlich verstanden werden soll, überhaupt keinen Bezug mehr zum Leben. Wir haben keine Kaiser mehr und wir würden auch unseren Bundespräsidentne nicht mit einem "Herr erbarme Dich" empfangen. Insofern sind die Missverständnisse ja vorgezeichnet. Und das Kyrie ist auch nicht das erste Element, dem im liturgischen Gebrauch eine "Volks-Umdeutung" widerfährt. Und das geschieht immer dann, wenn der ursprüngliche Sinn unverständlich geworden ist.

 

Aus meiner Sicht sagt der Ruf doch im ursprünglichen Sinn "Nimm uns wahr", "Gib uns etwas" - und der Besuch eines Kaisers konnte für eine Stadt ja auch einen ökonomischen Vorteil bringen. Man verehrte (zumindest im Osten des Römischen Reiches" den Kaiser als göttlichen Schutzherrn.

 

Das Kyrie ist damit anders als das Gloria nicht ein reiner Lobgesang, sondern immer auch mit einer Bitte verbunden. Insofern liegt ein Verständnis als Bußgesang nicht soweit weg.

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Nimm uns wahr, gib uns etwas!

Zusammen mit "Du bist doch der einzige, der uns wirklich helfen kann! Du bist doch unser Gott, unser Erlöser, unser Heiland! Auf Dich richten wir unsere ganze Hoffnung!"

Das ist auch meine Vorstellung.

 

Im Zusammenhang (also nach dem Sündenbekenntnis) käme noch was dazu: Nicht wir Menschen mit all unserem guten Willen, unserer Leistungsfähigkeit, aber auch unseren Begrenzungen und Sünden! Nicht wir können den Spalt zwischen uns und Gott schließen. Wenn man diesen Spalt ins Zentrum des Sündenbekenntnisses stellt, dann kippt nämlich der ganze Moralismus um. Die moralische Schuld ist nur der eine (und zwar der kleinere Teil). Das zentrale Anliegen ist die Einheit mit Gott, das Vertrauen auf ihn. Und das kann nur er schenken. Das können wir uns nicht erleisten.

 

Flehen und Jubel könnten sich dann küssen. Man kann ja auch unter Tränen (Trauertränen) lächeln und hoffen.

Das geht aber nur, wenn man klar was vor Augen hat, auf das man hoffen kann und was einem ein Lächeln ins tränenverschmierte Gesicht malt.

 

Und genau hier positioniert sich die fatale Kyrie-Lücke. Da bleibt nur das Flehen.

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