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Die "richtige" Moral in Theorie und Praxis


Shubashi

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Zu dieser Frage hat mich der Thread "Domini canes" angestiftet:

ich bin erstaunt, wie harsch hier manchmal moralische Gewissheiten formuliert werden, obwohl ich auch in katholischer Theorie und Praxis heute eher Unsicherheit, Suchen und Widersprüchlichkeit entdecke.

 

Ich muss gestehen, dass mir dieserlei Selbstsicherheit daher eher schwer fällt, einerseits sicherlich aus Mangel an theologischem Wissen, zum anderen aber auch aus der Überzeugung, dass der katholisch-moralische Appell heute wirklich nur noch ein Beitrag unter vielen sein, und wir Katholiken die Notwendigkeit zur individuellen Gewissensentscheidung in der Moderne nun mal mit allen anderen Weltanschauungen teilen.

Die Verlockung, in der pluralen Welt einfach seine ureigenen individuellen Interessen zum Maßstab zu erheben oder sich ohne Nachzudenken schlicht dem jeweiligen geistlichen oder weltlichen Mainstream unterzuordnen, ist natürlich groß, aber für mich ist das Faszinierende einer Weltkirche heute eher, sie als großen Impulsgeber zu sehen, der aus einer langen Tradition schöpfen kann - und die dabei im Idealfall gar nicht anders kann, als der Gewissensfreiheit des Einzelnen den Vorrang einzuräumen.

Für mich ist also das, was Konservative manchmal als "zeitgeistige Schwäche" kritisieren eher eine Stärke.

 

Oder ist das doch nur eine bequeme Weltsicht, die schon immer als "Lauheit" durch die gesamte Kirchengeschichte verdammt wurde?

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Oder ist das doch nur eine bequeme Weltsicht, die schon immer als "Lauheit" durch die gesamte Kirchengeschichte verdammt wurde?

Wenn ich mir wirklich die gesamte Kirchengeschichte anschaue, fällt es mir schwer, eine durchgängige "christliche Moral" zu erkennen. Insofern neige ich dazu, Fragen der Moral weniger theologisch als weltlich / utilitaristisch anzugehen.

 

Dass man "Lauheit" immer, zu allen Zeiten, verdammt hat, wird wohl hauptsächlich daran liegen, dass man es zu allen Zeiten nicht gerne hat, wenn eigene Ansichten kritisiert oder gar als disponibel gesehen werden.

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Es ist ja nicht einmal auf die Kirchengeschichte beschränkt, regionale Unterschiede zeigen sich ja ebenfalls, was z.B. Homosexualität in Europa und Afrika angeht, oder eben in der Flüchtlingsfrage in verschiedenen Ländern Europas.

Von daher neige ich dazu, zu überlegen, welche moralischen Prinzipien überhaupt sinnvoll anwendbar sind und gehe auch nur eingeschränkt von einem Universalismus aus.

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Zu dieser Frage hat mich der Thread "Domini canes" angestiftet:

ich bin erstaunt, wie harsch hier manchmal moralische Gewissheiten formuliert werden, obwohl ich auch in katholischer Theorie und Praxis heute eher Unsicherheit, Suchen und Widersprüchlichkeit entdecke.

 

Ich muss gestehen, dass mir dieserlei Selbstsicherheit daher eher schwer fällt, einerseits sicherlich aus Mangel an theologischem Wissen, zum anderen aber auch aus der Überzeugung, dass der katholisch-moralische Appell heute wirklich nur noch ein Beitrag unter vielen sein, und wir Katholiken die Notwendigkeit zur individuellen Gewissensentscheidung in der Moderne nun mal mit allen anderen Weltanschauungen teilen.

Die Verlockung, in der pluralen Welt einfach seine ureigenen individuellen Interessen zum Maßstab zu erheben oder sich ohne Nachzudenken schlicht dem jeweiligen geistlichen oder weltlichen Mainstream unterzuordnen, ist natürlich groß, aber für mich ist das Faszinierende einer Weltkirche heute eher, sie als großen Impulsgeber zu sehen, der aus einer langen Tradition schöpfen kann - und die dabei im Idealfall gar nicht anders kann, als der Gewissensfreiheit des Einzelnen den Vorrang einzuräumen.

Für mich ist also das, was Konservative manchmal als "zeitgeistige Schwäche" kritisieren eher eine Stärke.

 

Oder ist das doch nur eine bequeme Weltsicht, die schon immer als "Lauheit" durch die gesamte Kirchengeschichte verdammt wurde?

Das Gewissen braucht Normen als Richtschnüre. Erst dann kann eine individuelle Gewissensentscheidung erfolgen, die im begründeten Fall auch einmal gegen die Norm ausfallen kann. Es besteht also kein Widerspruch zwischen den beiden von dir angenommenen Positionen.

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Kardinal Müller zum Thema "ewige Wahrheiten" etc. http://www.zeit.de/2...komplettansicht Und ein Kommentar darauf: http://www.faz.net/a...n-13997177.html

 

Danke für die Links. Lesenswert. Beide.

 

Dito

 

 

Bei "Müller" gehen bei mir immer noch alle Jalousien runter. Nein, das ist kein Vorurteil, wenn man in der Regensburger Diözese wohnt, eher, wie soll ich sagen: "gewisse Erfahrungen".

 

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Bei "Müller" gehen bei mir immer noch alle Jalousien runter. Nein, das ist kein Vorurteil, wenn man in der Regensburger Diözese wohnt, eher, wie soll ich sagen: "gewisse Erfahrungen".

 

Das ist verständlich. Der Mann ist ein pastorales Trampeltier (der hätte nie Diözesanbischof werden dürfen), aber er ist kein Dummkopf. Deshalb lohnt es sich, das Interview zu lesen. Du sollst ihn ja nicht heiraten :ninja:

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Deshalb lohnt es sich, das Interview zu lesen.
Das Interview ist allesdings logisch grob inkosistent.
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Ich kenne Herrn Müller natürlich nicht, aber wenn ein Bischof (Hüter, Schützer) sich so lebendige Kritiken von seinen Gläubigen einhandelt, hätte er vermutlich besser direkt Kardinal und Funktionär werden sollen, ohne erst Schäfchen zu hüten.

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hätte er vermutlich besser direkt Kardinal und Funktionär werden sollen...

Wäre vielleicht nicht schlecht gewesen, der Mann hat ganz eindeutig Fähigkeiten, die man in der Kirche brauchen kann. Nur eben nicht in der Pastoral und auch nicht als weitgehend alleiniger Entscheidungsträger, aber in einer Stabsstelle, warum nicht?

 

Allerdings bin ich da mild: Personalmanagement in fast allen Bereichen des Öffentlichen Dienstes geht erst seit ca. 10-15 Jahren so, dass auch Softskills abgefragt werden, wenn jemand Vorgesetzter werden soll. Da musste man auch im ganz weltlichen Bereich oftmals die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wer da zum Vorgesetzten gemacht wurde (üblicherweise deswegen, weil dieser das wollte und eine kleine, aber feine Unterstützergruppe hatte, die dann, wenn der Star Chef wurde, nicht selten das kalte Grausen gekriegt hat).

 

Klar kann man sich vertun bei der Besetzung von Führungspositionen - wenn man aber die Führungseigenschaften überhaupt nicht oder in einer völlig falschen Weise berücksichtigt, dann geht es auch nicht.

 

Oh sorry, das ist etwas OT.

bearbeitet von Lothar1962
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Eine der intelligentesten Kritiken der christlichen Moral stammt von Ambrose Bierce:

"Ein Christ ist jemand, der die Bibel für das geeignete Werk hält, um das Leben seines Nachbarn zu regulieren. ... Ein Christ hält sich insoweit an die christliche Moral, wie sich das mit seinem sündigen Leben vereinbar lässt."

Man kann wissenschaftlich beweisen, dass er Recht hat: http://www.patheos.com/blogs/epiphenom/2009/12/what-you-want-god-wants.html

Zwei Untersuchungen, die zeigen, dass Gott in der Moral immer genau das will, was der Betreffende für richtig hält. Ändert jemand seine Ansichten über Moral, dann ändert Gott seine Moral in gleicher Weise. Das bestätigt sich bei Hirnscans: Wenn sich jemand fragt, was Gott will, ist es exakt dasselbe, als wenn er sich fragt, was er für moralisch richtig hält.

Anstatt zu sagen "Ich will es so" neigen Monotheisten dazu, diesen eigenen Willen auf Gott zu projizieren und so zu tun, als ob es eine "unabhängige Bestätigung" des intelligentesten Wesens diesseits und jenseits des Universums geben würde. Man kann damit natürlich andere manipulieren, damit sie sich dieser Ansicht anschließen. Wenn aber jeder jeden manipuliert - und nicht nur einige - dann funktioniert es nicht. Zur Manipulation gehört, dass man selbst ganz und gar überzeugt erscheint. je mehr man die Neigung hat, andere zu manipulieren, umso fester und überzeugter muss man also auftreten. Im besten Falle handelt es sich nur um eine Selbstvergewisserung, bei der es dem Betroffenen nicht einmal selbst bewusst ist, was er da macht.

Daher haben wir eine starke Überzeugung bei dem, was moralisch richtig ist. Das passt auch dazu, wie man den religiösen Glauben richtig definiert: Glauben heißt, vorzugeben, etwas zu wissen, was man nicht weiß. Normalerweise passen wir unsere Überzeugungen grob an die Güte des Wissens an, das wir haben. Das wird im Glauben aufgehoben, hier haben wir eine starke Überzeugung, die dem besten Wissen angemessen wäre, es so gar übertrifft.

Betrachten wir das auf der Verhaltensebene, dann sehen wir, dass die Menschen allgemein (durchschnittlich) umso religiöser sind, je schlechter ihre Lebensverhältnisse sind. Umso stärker ist das Bedürfnis, die anderen zu moralischem Verhalten anzuhalten - dazu benutzt man "Gott" als Verstärker. Aber ob man es nun kulturell vergleicht oder innerkulturell: Die Gläubigen glauben nur, dass es funktioniert. Man kann sehen, dass beispielsweise eine hohe Religiosität positiv korreliert mit der Anzahl der Morde und Gewaltverbrechen, der Diebstähle und Vergewaltigungen. Das bestätigt sich auch, wenn man eine Gesellschaft wie die USA betrachtet: Je höher die Religiosität in einer Region ist, umso größer die Anzahl der Morde. Auf Länderebene korreliert die Gewaltbereitschaft einer Gesellschaft positiv mit ihrer Religiosität (und auch ihrer Armut - je ärmer, desto religiöser). Der Global Peace Index korreliert daher umgekehrt hoch mit der Anzahl der Atheisten (je mehr Atheisten in einer Gesellschaft leben, umso weniger religiös ist sie auch, und umso friedlicher nach innen und außen).

Man kann nun spekulieren, dass die Religiosität ein ursächlicher Faktor für Gewalt ist. Steven Pinker schließt dies in seinem Werk über Gewalt aus. Es ist eher umgekehrt: Je mehr Gewalt in einer Gesellschaft herrscht, umso mehr flüchten sich die Menschen in die Religion, um wenigstens die Illusion einer Kontrolle zu haben. Mehr als eine Illusion ist es nicht. Natürlich, um diese Illusion aufrecht erhalten zu können, muss man alle Fakten ignorieren. Dazu dient ein Konstrukt wie "religiöser Glauben": Not lehrt beten. Damit schließt sich der Kreis.

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Über die christliche Moral geht nichts hinaus. Das ist ein Axiom.

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Über die christliche Moral geht nichts hinaus. Das ist ein Axiom.

Nun, auch Axiome können falsch sein, wie in diesem Falle ...

 

Die erste Illusion christlicher Moral ist, dass sie existiert. Um behaupten zu können, es gäbe so etwas wie eine christliche Moral, müsste man zunächst die folgenden aufgeworfenen acht Probleme lösen: http://dittmar-online.net/moralprobleme.html

 

Wenn alle diese Probleme gelöst würden, könnten wir anfangen, darüber zu debattieren, was christliche Moral sein soll und wie sie aussehen könnte. Bis dahin halte ich alle christliche Moral für eine Illusion. Auch ein Axiom sollte logisch konsistent sein, das ist hier nicht der Fall.

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Wenn alle diese Probleme gelöst würden, könnten wir anfangen, darüber zu debattieren, was christliche Moral sein soll

 

Und wozu soll das gut sein? Die erste Illusion dieser sinnlosen Debatte besteht darin, zu glauben, das Christentum sei eine Morallehre.

bearbeitet von ThomasB.
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Wenn alle diese Probleme gelöst würden, könnten wir anfangen, darüber zu debattieren, was christliche Moral sein soll

 

Und wozu soll das gut sein? Die erste Illusion dieser sinnlosen Debatte besteht darin, zu glauben, das Christentum sei eine Morallehre.

 

 

Das es unter anderem eine Morallehre sei, haben einem Christen aber lange Zeit erzählt, und manche tun es bis heute.

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Wenn alle diese Probleme gelöst würden, könnten wir anfangen, darüber zu debattieren, was christliche Moral sein soll

 

Und wozu soll das gut sein? Die erste Illusion dieser sinnlosen Debatte besteht darin, zu glauben, das Christentum sei eine Morallehre.

 

 

Das es unter anderem eine Morallehre sei, haben einem Christen aber lange Zeit erzählt, und manche tun es bis heute.

 

"manche"??? Sorry, aber die christliche Moral ist das Alleinstellungsmerkmal des Christentums, wenn man mit Christen spricht, die sich keine weitergehenden theologischen Gedanken über ihren Glauben gemacht haben. Mit anderen Worten, gefühlte 98% der Christen halten die christliche Moral für das Wesen des Christentums und den wichtigsten Grund, Christ zu sein. In meiner Wahrnehmung sind es sogar 100%, aber ich habe mal 2% abgezogen, um auch theologischen Schwerdenkern wie TB einen gewissen Raum zu geben.

Dale

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Wenn alle diese Probleme gelöst würden, könnten wir anfangen, darüber zu debattieren, was christliche Moral sein soll

 

Und wozu soll das gut sein? Die erste Illusion dieser sinnlosen Debatte besteht darin, zu glauben, das Christentum sei eine Morallehre.

 

 

Das es unter anderem eine Morallehre sei, haben einem Christen aber lange Zeit erzählt, und manche tun es bis heute.

 

"manche"??? Sorry, aber die christliche Moral ist das Alleinstellungsmerkmal des Christentums, wenn man mit Christen spricht, die sich keine weitergehenden theologischen Gedanken über ihren Glauben gemacht haben. Mit anderen Worten, gefühlte 98% der Christen halten die christliche Moral für das Wesen des Christentums und den wichtigsten Grund, Christ zu sein. In meiner Wahrnehmung sind es sogar 100%, aber ich habe mal 2% abgezogen, um auch theologischen Schwerdenkern wie TB einen gewissen Raum zu geben.

Dale

 

Wenn man das Christentum nur aus dem Spiegel und ähnlichen Organen kennt, muß man auf so eine Idee kommen.

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Wenn man das Christentum nur aus dem Spiegel und ähnlichen Organen kennt, muß man auf so eine Idee kommen.

überraschende Antwort. Wenn Du dem Christentum eine sinnstiftende Kraft absprichst, was bleibt dann noch? Die welterklärende Funktion hat das Christentum bereits vor langer Zeit verloren. Was anderes als Handlungshinweise in Form einer Moral/Ethik-Lehre bleibt? Reduziert sich das Christentum auf eine Befriedigung spiritueller Bedürfnisse? Wenn das so wäre, warum sitzen in vielen Ethik-Kommissionen Vertreter des Christentums und sagen, sie müssen die christliche Sicht in die gesellschaftliche Diskussion über Ethik einbringen?

 

DonGato.

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Kardinal Meisner bezeichnete die Moral als "Kehrseite des Glaubens. Ein Nebenprodukt."

 

Der KStA-Artikel scheint leider nicht mehr online zu sein.

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