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Notlüge erlaubt?


Ministrantenschlingel

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Wirklich fassbar ist die Wirkungsgeschichte. Allerdings gehört zur Wirkung normalerweise eine Ursache. Und diese liegt eben in undurchdringlichem Nebel.

Wie die Evangelisten zu ihren Aussagen gekommen sind, kann man nur noch vermuten. Wenn man Q als real annimmt, kann man zeitlich noch ein paar Jahre früher ansetzen. Da Q aber nicht real vorliegt, sondern nur als anzweifelbare Rekonstruktion, bringt dies nicht viel. Und auch von Q (so, wie rekonstruiert) kann man nicht weiter auf Jesus schließen.

 

Was bleibt, ist die Verkündigung der Evangelisten.

Ein Christus ohne Jesus sozusagen. Oder besser: Ein Christus, dessen fundamentum in re unkenntlich gemacht wurde.

 

Wieviel Jesus hat man denn dem Christus geopfert?

Ist Gott wirklich Mensch geworden in Jesus?

Von wem sprechen die Evangelisten, wenn sie "Jesus" schreiben? (Von Brian?)

 

Ich finde diese Fragen ganz hübsch brisant. Viel zu brisant, um sie einfach außer Acht zu lassen. Das Schlimmste aber ist, dass es in der Kirche (und ich meine hier die gesamte Glaubensgemeinschaft) nicht leicht ist, darüber zu reden. Die Figur des Christus ist dermaßen gewinnbringend, dass man sich da kein Detail ankratzen lassen will. Der Mensch hinter der Story ist weniger interessant. Und dies geschieht in einer Glaubensgemeinschaft, die daran glaubt und darauf hofft, dass Gott in einem Menschen Mensch geworden ist.

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Paulusbriefe ... Sie sind im Bezug auf Christos einfach, was sie sind: Ausdruck einer religiösen Fantasie. Woher die stammt, kann ich nicht sagen, ist auch nicht meine Aufgabe. Für den Historiker verliert sich der Ursprung (wenn es überhaupt einen einzelnen gab) im Nebel der Geschichte. Das mag unbefriedigend sein, ist aber historisch auch nicht wirklich ein Drama oder ein Einzelfall. Wie sagst du so schön: Geschichtswissenschaft ist immer ein bisserl unsicher.

 

Vielleicht hieß der Ursprung Brian? Oder es waren die glorreichen sieben?

Klar: Für einen Historiker gibt es da nicht viel zu tun. Die Existenz des Nebels lässt sich schnell entdecken - und danach ist jede weitere historische Frage eitel.

 

Aber die Frage nach dem Ursprung ist für Gläubige interessant. Deshalb hat man die Historizität der Christus-Storys einfach auf den Jesus übertragen. Über viele Jahrhunderte. Und jetzt hat die intellektuelle kirchliche Oberschicht das Problem, dass hier eine wichtige Tradition gewachsen ist. Jesus wurde von Anfang an mit dem Christus identifiziert. Was passiert, nachdem man erkannt hat, dass diese Identität von Jesus und Christus gar nicht so einfach ist? Da haben sie Angst, Angst sich mit der Realität auseinanderzusetzen. So wie damals, als sie Angst hatten, dass die Sonne nicht um die Erde kreist. Sie wie sie Angst vor jeder wissenschaftlichen Entdeckung haben. Besser: Erst mal abstreiten, so wie man ja auch die Evolutionstheorie oder das kopernikanische Weltbild abgestritten hat.

 

Anstatt dass man die Erkenntnisse als einen Gewinn freudig und dankbar annimmt (übrigens: Aus der Hand Gottes!) und sich überlegt, wie man diese Erkenntnisse aus dem Glauben heraus deutet. Stattdessen beharrt man lieber auf der alten Tradition, die sich ja über viele Jahrhunderte (vor der Erkenntnis) so prächtig bewährt hat. Man weigert sich zu sehen, dass die Erkenntnisse die bewährte Tradition unfruchtbar machen, so dass sie sich in Zukunft eben nicht mehr in gewohnter Weise bewähren kann.

bearbeitet von Mecky
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Wirklich fassbar ist die Wirkungsgeschichte. Allerdings gehört zur Wirkung normalerweise eine Ursache.

Nur in der Welt der klassischen Physik. Schon in der biologischen Welt haben wir Prozesse, ohne definierbaren Anfang. Und in der Menschenwelt ist es nicht anders.

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Das Phänomen, dass die historische Person verschwindet, beobachte ich heute noch regelmäßig in meinem RU.

 

Nach vier Jahren reduziert sich mein gesamter RU auf "ist am Kreuz gestorben, war nett".

 

Hat mein RU nie stattgefunden?

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Dein RU hat stattgefunden. Und wenn Deine ehemaligen Schüler nach 20 Jahren erzählen, dass Du zwar nett warst, aber letztlich nur wirres Zeugs zu sagen hattest und von nichts anderem, als Kreuzigung gelabert hast, dann hat er auch stattgefunden. Wenn jemand in 40 Jahren erzählt, dass sein Opa früher mal eine nette Dummschwätzerin im RU hatte: Auch dann hat er stattgefunden. Aber wird das Zeugs von der "netten Dummschwätzerin" Deiner historischen Person gerecht? Nein. Dir geschieht bitteres Unrecht.

So dumm kann es laufen, wenn die historischen Grundlagen entschwinden. Du (die historische Person) wird zum Spielball der Gerüchte.

 

Es kann aber noch schlimmer laufen. Wenn nämlich das historische Geschehen nicht nur ausgeblendet, sondern mit alternativen Fakten angefüllt wird. Wenn von Dir behauptet wird, Du hättest Deine Schüler mit fragwürdigen Methoden indoktriniert. Du habest von Dir behauptet "Wer mich sieht, der sieht Jesus". Du habest durch Taschenspielertricks Deine Schüler von Deiner gottgewollten Autorität überzeugen wollen. Du hättest Kinder begeistern können, wie auch schon ein HJ-Gruppenführer seine Gruppe für die Dolchstoßlegende begeistern konnte.

 

Wende Dich in diesem Fall an mich. Ich setze mal voraus, dass wir uns in 40 Jahren beide im Himmel befinden. Ich werde mich dann bei Jesus beschweren, dass es eine Sauerei ist, dass man Dich so behandelt. Und Jesus wird grinsen und die Gegenfrage stellen: Warum soll es Nannyogg denn anders ergehen, als mir? Und ich werde ihm sagen: "Ich finde dieses Abweichen von der realen Person in beiden Fällen bescheuert! Das habt Ihr alle beide nicht verdient! Und das eine Unrecht kann das andere nicht rechtfertigen."

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Die Evangelisten haben wissentlich und willentlich die ihnen verfügbaren Quellen verfälscht. Ich vermute, dass sie dies in bester Absicht taten - in der Absicht, die Aussagen über Jesus zu optimieren, verständlicher zu machen, auf ein (damals) nachvollziehbares Ziel zu konzentrieren.

Trotzdem nenne ich dieses wissentliche und willentliche Verfälschen Lüge.

Auch der Umstand, dass die ihnen zur Verfügung stehende Material bereits mit Lügen durchsetzt war, ändert daran nichts. Auch eine auf Lügen basierende Lüge ist eine Lüge.

 

Das sagt übrigens nicht viel über den religiösen Tiefgang der Lügen aus. Und es sagt nichts darüber aus, ob die Lügen nicht sogar besser sind, als es die ungeschminkte Realität war. Nur kommen wir wegen dieser andauernden Umlügerei heute an diese Realität nicht mehr heran. Wir können nicht sagen, ob die Lüge womöglich besser war, als die Realität.

 

Von Galileo Galilei wird die Lüge erzählt, er habe gesagt: "Und sie dreht sich DOCH!". Diese Lüge ist prägender und fast besser zusammen, als es die nüchterne Wiedergabe der Realität könnte. Die Situation, die inquisitorische Realität, der sture Charakter Galileos - all das ist hier prima in die Lüge eingebunden. Nur eines: Er hat das nie gesagt. (Setze ich jetzt einfach mal voraus, obwohl es dafür natürlich keinen Beweis gibt.)

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Die Evangelisten haben wissentlich und willentlich die ihnen verfügbaren Quellen verfälscht.

Woraus schließt du das? Und was für "Quellen" hätten das sein sollen? Nach heutigem Kenntnisstand wissen wir nichts über diesen Jesus. Es gibt Vermutungen, Hoffnungen, Wahrscheinlichkeiten, Gewißheiten, Glauben - alles ohne irgendeine materielle Grundlage.

 

Der "historische Jesus" ist für uns nicht greifbar, weder im Positiven noch im Negativen. Wie willst du da beurteilen, ob und in wieweit die Evangelisten etwas "verfälscht" haben? Vielleicht haben sie einfach nur nach bestem Wissen und Gewissen weitergegeben, was sie vorgefunden haben? Vielleicht haben sie es auch "ausgeschmückt", weil so wenig da war? Vielleicht auch "harmonisiert", weil das, was da war, nicht zu einer Person passen wollte? Alles Vermutungen. Nur Nebel. Keine "Wahrheit".

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Greifbar ist in der Geschichte nur Weniges. Aber wir müssen davon ausgehen, dass sie stattgefunden hat, denn sie hat Spuren hinterlassen.

 

Am Beispiel Jesu: Seine sogenannte wanderradikale Botschaft, die wir sowohl bei Markus als auch in den Texten von Mt und Lk finden, die der Logienquelle zugeordnet werden.

 

Diese ist aus dem Urchristentum nicht zu belegen und man darf sich fragen, wie die denn in die Evangelien gekommen sein soll.

 

Ihre Parallele zum Kynismus hin oder her, zum Zeitpunkt der Entstehung der Evangelien waren diese Ideen im Christentum nicht en vogue.

 

Wenn man dazu die Didache herannimmt, die den Wanderaposteln mit größter Skepsis begegnet, fragt man sich schon, ob es nicht die einfachste Erklärung wäre, sie stammten von einem historischen Jesus selbst.

 

Ich bin da nicht so begeistert. Ich habe mehr als ein Paar Schuhe, einen Geldbeutel, einen Kühlschrank und bin sesshaft. Nach dem Maßstab dieses historischen Jesus bin ich nicht die ideale Jüngerin.

 

Aber das, was ich gerne hätte, ist eben nicht das, was der historische Befund andeutet.

 

Und so, lieber Marcellinus, arbeitet die Exegese. Mit einem handgeschnitzten lieben Jesulein hat das nichts zu tun.

 

Lesen schadet da nicht.

 

Mecky versteift sich dazu, die Evangelisten hätten bewusst die Wahrheit unterschlagen. Kann schon sein. Deswegen sind sie ja hier im Notlügenthread Thema.

 

Gewiss, sie haben ihr eigenes Ding gemacht, aber sich am historischen Jesus auch ziemlich abgearbeitet.

 

Ich kann euch zwei Hübschen nicht alles referieren, was ich so tagein tagaus lese. Und es kommt mir, wenn ich mal was schreibe, so vor wie im RU. Was bleibt ist: "Gekreuzigt, nett". Nothing changes.

 

Dass ich wegen der Diskussionen hier mir Fachliteratur durchlese, ist die einzig spürbare Auswirkung.

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Greifbar ist in der Geschichte nur Weniges. Aber wir müssen davon ausgehen, dass sie stattgefunden hat, denn sie hat Spuren hinterlassen.

 

Am Beispiel Jesu: Seine sogenannte wanderradikale Botschaft, die wir sowohl bei Markus als auch in den Texten von Mt und Lk finden, die der Logienquelle zugeordnet werden.

 

Diese ist aus dem Urchristentum nicht zu belegen und man darf sich fragen, wie die denn in die Evangelien gekommen sein soll.

 

Ihre Parallele zum Kynismus hin oder her, zum Zeitpunkt der Entstehung der Evangelien waren diese Ideen im Christentum nicht en vogue.

 

Wenn man dazu die Didache herannimmt, die den Wanderaposteln mit größter Skepsis begegnet, fragt man sich schon, ob es nicht die einfachste Erklärung wäre, sie stammten von einem historischen Jesus selbst.

Fragen darf man alles Mögliche. Und wenn die Logienquelle nicht aus dem Urchristentum zu belegen ist (gehört Jesus eigentlich zum Christentum? Na, egal!), vielleicht stammt sie ja gar nicht aus dem Christentum. Das hat sich nämlich nicht im luftleeren Raum entwickelt. Da gab es auch noch andere, die ihren Kopf nicht nur zum Hutaufsetzen verwendeten. Und die konnten schreiben. Und die Christen konnten lesen. Und da haben sich die Evangelisten vielleicht mal in Nachbars Garten bedient. Das würde auch erklären, warum Q nicht erhalten geblieben ist. Wer konserviert schon gern den Beleg, aus dem er abgeschrieben hat? Du siehst, die naheliegendste Erklärung kommt manchmal etwas ungelegen. ;)

bearbeitet von Marcellinus
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Da bin ich mir nicht so sicher. Man mag über die Rekonstruktion von Q denken, was man will ...

 

es gibt mehr Rekonstruktionen, Celsus ist so ein Beispiel. Geschichte funktioniert nicht ohne solche Dinge.

 

Und so, wie es ausschaut, ist Q sehr jesuanisch. Ich habe das Ding im Regal. Du auch?

 

Und so bliebe zu klären, warum vernünftige Leute diesen radikalen Schmarrn zitieren, in einem Umfeld, das mit diesen realen Forderungen, man beachte den Kontext der Evangelien, nichts anzufangen wusste.

 

Es gibt eine viel einfachere Erklärung für den Untergang von Q: Dass Q eben nicht mehr im Zeitgeist der Christen lag, aber die Evangelisten, eben in ihrem Hang, Quellen zu sichern, haben sie bewahrt.

 

Warum ich Q traue: Im Gegensatz zu Gnilka ist Paul Hoffmann kein smarter Typ, kein netter Prof gewesen. Gerade deswegen traue ich ihm, was die Wissenschaftlichkeit des Q-Projektes angeht.

 

PS: Ich will hier nicht Rufmord an einem Mann begehen, der mir armen Studierenden zusammen mit dem Rest des Hauptseminars einen feucht-fröhlichen Abend finanzierte. Nur so viel: Alkohol hat sein wissenschaftliches Ego nicht reduzieren können.

 

Die Frage nach dem historischen Jesus, das hat schon Albert Schweitzer erkannt, führt uns zu einem uns fremden Mann, der vor 2000 Jahren in einer anderen Umwelt lebte, ein antiquiertes Weltbild hatte und für uns auch seltsame Ideen hatte. Ich verweise hier nur auf die wiederholte Erwähnung des Propheten Elija an den unmöglichsten Stellen in den Evangelien. Stellen, die der Sonntagsprediger gerne überliest.

 

Stellen, an denen die Herren Evangelisten ins Stolpern gerieten, die sich nicht damit erklären lassen, dass da jemand seiner Phantasie freien Lauf ließ, sondern damit, dass da eine historische Vorlage Schwierigkeiten bereitet hat.

 

Man ertappt, um in Meckys Welt zu denken, die Evangelisten dabei, alternative Fakten nicht perfekt zu produzieren.

bearbeitet von nannyogg57
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Die Evangelisten haben wissentlich und willentlich die ihnen verfügbaren Quellen verfälscht.

Woraus schließt du das? Und was für "Quellen" hätten das sein sollen? Nach heutigem Kenntnisstand wissen wir nichts über diesen Jesus.

 

Das ergibt sich aus der Meditation über das Wort "Zwei-Quellen-Theorie". Ich hätte es vielleicht auf Lk und Mt beschränken sollen.

Genau genommen ist es eine 2+Quellentheorie.

Das "Sondergut" von Lk und Mt ist unüberschaubar. Wer weiß, von wem sie das haben.

An die zweite Quelle, "Q" genannt kommen wir nicht direkt heran. Es gibt nur Rekonstruktionen. Und die gesamte 2-Quellentheorie wird auch angezweifelt (Stichwort: minor aggreements)

Die dritte Quelle für Lk und Mt ist das Markusevangelium - und da kommen wir ja ganz gut ran. Wir haben eine vorliegende Fassung, die heutzutage in Bibeln abgedruckt wird.

 

Q haben Lk und Mt wahrscheinlich verändert. Und Lk hat anders verändert als Mt. Maximal eine Version (Lk xor Mt) kann Q sachgemäß wiedergeben. Wahrscheinlicher gilt, dass beide Evangelisten geändert haben.

 

Beim Vergleich von Mk und Lk/Mt hat man dann die Veränderungsneigung synoptisch offensichtlich vor Augen. Die haben den Mk-Text nach ihren eigenen Bedürfnissen (Theologie, Gemeindewünsche) verändert. Oder aus dem Mk-Zusammenhang herausgelöst und in einen anderen (wiederum ihnen beliebigen) Zusammenhang eingepfropft.

 

So viel zum Umgang von Lk und Mt mit ihren Quellen.

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es gibt mehr Rekonstruktionen [...] Geschichte funktioniert nicht ohne solche Dinge.

Richtig. Nur soviel noch dazu: in der Geschichtswissenschaft ist eine Rekonstruktion eben eine Rekonstruktion, eine Hypothese, nicht mehr. Die richtige Einstellung dazu ist Skepsis. In der Theologie wird stattdessen daraus die Grundlage von Glauben. Das ist etwas völlig anderes und sollte nicht verwechselt werden. Eine historische Person in der Geschichtswissenschaft ist einfach eine Person, ein Mensch. Der "historische Jesus" der Theologie ist etwas ganz anders. Das sollte man nicht verwechseln. Wenn also die Theologie von einer "historischen Person Jesus" spricht, spricht sie eben nicht von einer historischen Person, und wenn sie von "Geschichte" spricht, spricht sie eben von allem, nur nicht von Geschichte.

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Da bin ich mir nicht so sicher. Man mag über die Rekonstruktion von Q denken, was man will ...

[...]

Und so, wie es ausschaut, ist Q sehr jesuanisch. Ich habe das Ding im Regal.

Du hast eine Rekonstruktion im Regal, die Rekonstruktion einer Hypothese, die Hypothese, Q habe vor allem aus Aussprüchen von Jesus bestanden, und sei damit die gemeinsame Quelle des Matthäus- und Lukas-Evangeliums für solche Sprüche gewesen. Die in diesen beiden Evangelien enthaltenden Sprüche haben wiederum deine Vorstellung geprägt, was „jesuanisch“ sei, Sprüche, die ihrerseits eben diese Rekonstruktion bilden. Selbsterfüllende Prophezeiung, würde ich sagen. Das kommt davon, wenn man ein hypothetisches Buch als Buch druckt. ;)

bearbeitet von Marcellinus
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Stellen, an denen die Herren Evangelisten ins Stolpern gerieten, die sich nicht damit erklären lassen, dass da jemand seiner Phantasie freien Lauf ließ, sondern damit, dass da eine historische Vorlage Schwierigkeiten bereitet hat.

 

Man ertappt, um in Meckys Welt zu denken, die Evangelisten dabei, alternative Fakten nicht perfekt zu produzieren.

Den Sonntagspredigern sind diese Stellen nicht unbekannt. Im Gegenteil. Sie bilden Klippen - Klippen, von denen man nicht so recht weiß, wie man sie für die Predigthörer verständlich oder sogar fruchtbar machen kann.

 

Was ist mit der "historischen Vorlage" gemeint? Jesus selbst? Worin besteht dann das "Stolpern" der Evangelisten?

 

Von einem freien Lauf der Phantasie halte ich ebenso wenig, wie Du. Eine Phantasiebegründung verschiebt nur das Problem, denn man müsste nachfragen, was diese Phantasie denn soll, worauf sie reagiert und durch was sie inspiriert ist.

 

Die beste Erklärung scheint mir zu sein, dass Jesus eher inspirierend war, als dass er als brauchbare Vorlage dienen konnte. Anders gesagt: Er hatte ungewöhnliche und attraktive Vorstellungen - und damit hat er seine Jünger begeistert. Aber das reale Geschehen und die realen Aussprüche drückten all dies nicht einfachhin aus.

 

Anscheinend waren weder seine Begeisterung noch seine Vorstellungen so einfach in Worte zu fassen. Hätte man einfach Beispiele übernommen, wären diese tatsächlich nicht besonders gut gewesen. Man hätte ein dickes Buch schreiben müssen, aus dem der Leser alles Mögliche herauslesen könnte, ohne aber den Kern der Anliegen Jesu überhaupt nur zu entdecken. Also hat man konzentriert und von vornherein vorinterpretiert. "Man", das sind Augenzeugen, Wasserträger und Evangelisten. Sie teilten die Begeisterung (da gehört auch das Gottvertrauen dazu) und die Vorstellungen Jesu ... und haben auf dieser Grundlage dann in der Biographie Jesu (soweit überhaupt glaubwürdig vorliegend) gesucht. Sie haben auch tatsächlich Beispiele gefunden, die "so etwa" das grundlegen könnten (Konjunktiv), wovon sie begeistert waren. Aber eben nur "so etwa" und im Konjunktiv.

 

Also ging man - je später, desto mehr - dazu über, diese Beispiele so umzuformen, dass sie das Begeisternde und die Vorstellungen Jesu besser ausdrückten, als dies in der realen Geschichte der Fall war. Was begeisternd war und was man sich unter den "Vorstellungen Jesu" selber vorstellte, war natürlich ausgesprochen subjektiv. Wahrscheinlich haben sich die Erzählungen recht schnell vom realen Geschehen und von den realen Aussagen Jesu entfernt. Und so kam es zur "Überformung" - schon lange bevor die Evangelisten niederschrieben. Bis zur Zeit der Niederschrift gab es bereits die Überformung der Überformung der Überformung der Überformung.

 

Die einen nennen dies "gesunde und lebendige Tradition". Andere nennen es "alternative Fakten". Ich vermute, dass beides zusammen richtig ist.

 

Die Begeisterung und die vermutete Lebenseinstellung und Glaubenseinstellung Jesu waren wichtiger, als das, was wirklich geschehen ist.

Ich formuliere mal wieder scharf: "Sie waren Lügner, aber eben inspirierte und begeisterte Lügner."

Die Evangelisten standen bereits vor Texten und Erzählungen, die schon vielfach überformt waren. In derselben Weise überformt, wie sie selbst in der Folge nun noch einmal überformten.

Auch Q (Karfunkel, glaub ich, hat mal einen Link ins Forum gesetzt) halte ich für überformt, wahrscheinlich schon mehrfach überformt. Allein schon die Zusammenstellung der Aussprüche Jesu - unter Weglassung der konkreten Situation - ist bereits eine Überformung. Auf diese Weise ging jedenfalls (wiederum) historische Information verloren. Oftmals zugunsten anderer Kriterien, wie z.B. "Verständlichkeit durch schlaue Anordnung".

 

Diese gewachsene Entfernung vom realen Geschehen macht es uns völlig unmöglich, an Jesus direkt heranzukommen. An seine Begeisterung, sein Gottvertrauen, sein Engagement für die Zöllner und Sünder, seine Hingabe, seinen Mut usw.: Da kommen wir noch heran - allerdings eher verschwommen, denn an die konkreten Situationen kommen wir nicht wirklich heran. Oder wir kommen an die Situation heran - können dies aber gar nicht von erfundenen Situationen unterscheiden. Historie und Fiktion vermischen sich in den Evangelien unentwirrbar.

 

Meine Fragen richten sich nun auf einige Punkte:

1. Was soll die Aussage bedeuten, in Jesus sei Gott Mensch geworden? Zielt sie auf Jesus, dessen geschichtliche Realität wir nicht erkennen können? Oder auf Christus, der keine erkennbare geschichtliche Grunlage hat?

2. Haben wir Nachgeborenen weniger Recht auf Überformung? (Hallo, Dan Brown!)

3. An wen glauben wir? An Jesus? An den Matthäus-Jesus? Den Johannes-Jesus? An die Schnittmenge? An die Vereinigungsmenge? An den Jesus, den wir uns aus den Evangelien zusammenmixen? An Jesu Begeisterung? An seine Person?

4. Welche Rolle spielt die Menschlichkeit Jesu?

5. Geht es (wenn wir über Glauben sprechen) überhaupt um die geschichtliche Einzelperson Jesu? (Das ist übrigens eine sehr interessante Frage.)

bearbeitet von Mecky
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Gleich auf der ersten Seite in der Einführung:

"Matthäus und Lukas haben Q nicht sklavisch zitiert. Sie haben den Text von Q bearbeitet, haben umformuliert und umgestellt, haben ergänzt und ausgelassen."

Jaja. "Nicht sklavisch zitiert".

 

Wahrscheinlich haben sich auch die Augen- und Ohrenzeugen haben sich nicht sklavisch an das gehalten, was wirklich geschehen ist.

Und Lukas hielt sich mit seiner Weihnachtsgeschichte auch "nicht sklavisch" an das, was bei der Geburt Jesu geschah.

 

Immer diese netten Formulierungen. Immerhin kommt ja dann der zweite Satz: Umformuliert, umgestellt, ergänzt, ausgelassen. Das trifft es wohl ganz gut.

In einen anderen Zusammenhang gestellt, auf dem Berg hinauf oder ins Feld hinab verfrachtet. Und vor allem: Ihren persönlichen Vorstellungen angeglichen.

(Was übrigens nicht besagt, dass ihre Vorstellungen schlecht wären.

Leider übernehmen übernehmen die beiden dafür nirgends die Verantwortung. Und das versperrt uns den Zugang zu dem, was sich real zugetragen hat und von Jesus gesagt worden ist.)

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Q 4,1-2

"1 Jesus aber wurde vom Geist in die Wüste geführt, 2 um vom Teufel versucht zu werden. Und «er aß» vierzig Tage «nichts», ... er wurde hungrig."

 

Die 40 sind ganz sicher real gewesen. Ganz sicher kein Anklang an die 40 Jahre der Wüstenwanderung. Ganz sicher keine Überformung.

Auch die Führung durch den Geist war sicherlich an einem Marionettenfaden deutlich, der in den Himmel führte.

 

Danach kommt die Story mit der Versuchung durch den Teufel. Ganz realistisch. So war es.

bearbeitet von Mecky
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Richtig gut:

In 7,1f staunt Jesus lediglich über den Glauben des Hauptmanns. Von der Heilung des Dieners ist (zumindest in der Rekonstruktion) kein Wort zu lesen. Kein Hokuspokus. Da hätten die beiden Evangelisten mal bei bleiben sollen.

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Q 11, 20

Wenn ich aber mit dem Finger Gottes die Dämonen austreibe, dann ist zu euch das Reich Gottes gekommen.

 

Dieser Satz ist uns im Studium als einer der wenigen Sätze Jesu vorgestellt worden, dem kein seriöser Exeget die Herkunft von Jesus abspräche.

Das heißt natürlich nicht, dass er wirklich von Jesus wirklich so ausgesprochen wurde. Es gibt eben nichts Belastbares, was gegen eine Herkunft von Jesus spricht. (Falls man die Rückführung der Evangelien auf Jesus nicht sehr großflächig anzweifelt.)

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Q 22

28 Ihr, die ihr mir nachgefolgt seid, 30 werdet .. ‹..›22 auf Thronen sitzen und die zwölf Stämme Israels richt

 

Shit. Doch nix mit den 72 Jungfrauen. Nur auf Thronen sitzen und über andere richten. Naja. Besser, als 72 Zicken. Oder Trauben.

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Natürlich ist Q die Rekonstruktion einer Hypothese und wiederum mit Vorsicht zu genießen. Für wie blöd haltet ihr mich?

 

Und falls du, Marcellinus, es immer noch nicht kapiert hast:

 

Es geht in der wissenschaftlichen Exegese tatsächlich um den historischen Jesus.

 

Wenn ich mir einen historischen Jesus schnitzen wollen würde, dann bräuchte ich die Exegese nicht.

bearbeitet von nannyogg57
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So. Ich hab's noch mal überflogen.

Nannyogg und der Klaus Stefan Krieger der Rekonstruktion halten Q für sehr nahe an Jesus. Die Begründung hierfür ist mir allerdings nicht klar.

K.S. Krieger schreibt:

"Das verdeutlicht ein Vergleich mit Paulus, von dem die ältesten christlichen Schriften stammen. Bei ihm finden sich ganze drei Jesusworte und nichts über Jesu Wirken. Ziel der Logienquelle aber war es gerade, Jesu Worte weiterzugeben. Seine Botschaft und seine Anliegen sind in Q zweifellos ursprünglicher bewahrt."

 

Das sind Behauptungen, aber keine Verdeutlichungen.

Dass die Botschaft und Anliegen Jesu in Q ursprünglicher bewahrt sind, als bei Paulus, soll "zweifellos" sein. Aha. Oho.

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Natürlich ist Q die Rekonstruktion einer Hypothese und wiederum mit Vorsicht zu genießen. Für wie blöd haltet ihr mich?

Ich halte Dich nicht für blöd. Im Gegenteil.

 

Die Behauptung, dass Q (bzw. deren Rekonstruktion) sehr nah an Jesus liegt, halte ich allerdings für ziemlich schwer belegbar.

Q liegt eben (mindestens) eine Überformungsschicht näher an Jesus, als Lk und Mt. Dies hat aber nicht viel zu sagen.

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2. Haben wir Nachgeborenen weniger Recht auf Überformung? (Hallo, Dan Brown!)

 

Das ist ein Punkt, an dem Du einhaken kannst. Ok, dieser Jesus, also der historische, war nicht so wie der verkündete. Und Du darfst Dich jetzt entscheiden: Welchem willst Du folgen? Wer hat Autorität? Vielleicht hast Du ja ganz einfach die gleiche Autorität?

 

Dann verkünde einfach das Evangelium von Mecky und hör auf Lügen zu suchen wo keine sind.

 

(Achja, gut, dass Du nicht verheiratet bist und keine Frau hast, die Du bis zum Mond liebst und wieder zurück. Du wärst ein richtig schlechter Romantiker)

bearbeitet von Higgs Boson
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Jesus hat die Bergpredigt auf einem Berg gehalten. War das wirklich so?

Jesus ist in Betlehem geboren. War das wirklich so?

Lukas ist allem sorgfältig nachgegangen. War das wirklich so?

Johannes gibt sich als der Jünger aus, der alles miterlebt und dann aufgeschrieben hat. War das wirklich so?

Judas hat sich erhängt. War das wirklich so?

Judas ist auf einen Stein gefallen und daran gestorben. War das wirklich so?

Jesus hat am Kreuz gesagt "Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen." und "In Deine Hände befehle ich meinen Geist" und "Es ist vollbracht". Einmal spricht er aramäisch, dann wieder hebräisch. Was war denn wirklich der Fall?

 

Es gibt auch schwierigere Stellen.

Jesus hat Wasser in Wein verwandelt. Jesus hat gesagt, wer ihn sehe, der sehe den Vater. Thomas sagt zu Jesus "Mein Herr und mein Gott!"

 

Muss ich wirklich aufwändig suchen, um in den Evangelien Lügen zu finden?

Mein Problem ist genau andersrum gelagert: Wo finde ich denn in den Evangelien zur Abwechslung mal etwas Wahres über Jesus? Die fahren doch mit Jesus Schlitten!

Warum kann man denn aus den Evangelien nicht einmal in Ansätzen eine Biographie Jesu ableiten?

Soll ich glauben, dass Jesus zaubern konnte?

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