helmut Geschrieben 21. August 2017 Melden Share Geschrieben 21. August 2017 Was ist die Lösung dieses Paradoxons, oder ist es kein Paradoxon? aus dem neuen testament: "...21 Und Jesus ging aus von dannen und entwich in die Gegend von Tyrus und Sidon. 22 Und siehe, ein kanaanäisches Weib kam aus derselben Gegend und schrie ihm nach und sprach: Ach HERR, du Sohn Davids, erbarme dich mein! Meine Tochter wird vom Teufel übel geplagt. 23 Und er antwortete ihr kein Wort. Da traten zu ihm seine Jünger, baten ihn und sprachen: Laß sie doch von dir, denn sie schreit uns nach. 24 Er antwortete aber und sprach: Ich bin nicht gesandt denn nur zu den verlorenen Schafen von dem Hause Israel. (Matthäus 10.5-6) (Römer 15.8) 25 Sie kam aber und fiel vor ihm nieder und sprach: HERR, hilf mir! 26 Aber er antwortete und sprach: Es ist nicht fein, daß man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde...." Jesus im Vorstand der AFD? jesus als wahrer mensch? jesus als zyniker? jesus wird ironisch? jesus als spiegel? jesus als gott? Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Mecky Geschrieben 21. August 2017 Melden Share Geschrieben 21. August 2017 Jesus wird uns in den Evangelien immer als jemand vorgestellt, die zwischenmenschliche Grenzen überwunden hat. Er wendet sich den Sündern, Zöllnern, Dirnen und Aussätzigen und lässt sich auf der Straße sogar von Frauen anquatschen. Aber war Jesus schon immer so? Ist er so schon auf die Welt gekommen? Inkarnation als das Fallen des Meisters vom Himmel? Ob der pubertierende Jesus eine so coole Einstellung zu Dirnen hatte, wie später? Ob er beim ersten Anblick eines Aussätzigen wirklich sofort hilfsbereit zu der ekligen, stinkenden Gestalt gelaufen ist und erste Heilungsversuche unternahm? Ob er als 20-Jähriger den Sündern ihre Sünden vergeben hat, oder ob er sich nicht über so manche Sünde und so manchen Sünder aufgeregt hat und ihm alttestamentarische Rache an den Hals gewünscht hat? Die Versuchung ist groß, Jesus einem inneren Wachstumsprozess zu entziehen und ihn damit zum Übermenschen zu stilisieren. Das Geschreibse der Evangelisten schweigt in der Regel über solche Wachstumsprozesse Jesu. Und auch die benannte Evangelienstelle riecht eher nach dem Konflikt zwischen Juden und Heiden, als nach der Person Jesu. Die Kanaanäer kommen übrigens grade mal so weit, dass sie gnädigerweise die Rolle von Hunden einnehmen dürfen, die von den Brotresten etwas abbekommen. Die Frage nach der Historizität dieser Bibelstelle ist wieder einmal eitel. Nix Genaues weiß man nicht. Aber die Bibelstelle hat etwas anderes zu bieten, das ich für bemerkenswert halte. Jesus lässt sich ja am Ende doch noch überreden zu helfen. Die Motive, warum Jesus hier hilft, sind übertragbar. Es wird in dieser Story die Geschichte eines Umdenkens erzählt, wenn auch noch nicht vollständig. Jesus, der schon zuvor die Grenze zu den SündernZöllnernDirnenFrauen überwunden hat, schafft es auch in dieser Geschichte, die Grenze zu dieser Kanaanäerin und ihrer Not zu überwinden. Interessant, dass ihn der Glaube dieser Frau so sehr beeindruckt, dass er die trennenden Grenzen einfach zu vergessen scheint. Vielleicht war es auch die schlichte Not dieser Frau, die ihn berührt hat. Oder das Vertrauen, das sie ihm entgegenbringt (auch wenn er womöglich die allerletzte Rettung sein mag). Ob die Geschichte sich wirklich so ereignet hat oder nicht, bleibt sich gleich. Aber dieses Angerührtwerden kann ich gut nachvollziehen. Das kenne ich auch von mir und von meinen Bekannten. So was soll vorkommen, sogar in der echten Realität: Da lässt sich jemand von der Not und dem Vertrauen eines Menschen anrühren, bei dem er nicht im Traume auf die Idee käme, Gott habe ihn zu diesem Deppen gesandt. Oder zu jenem hinterherkeifenden Weibe. Und dann bemerkt man tatsächlich eine Sendung zu diesem Menschen. Das ist ein Umbruch, den einerseits die Bibelstory erzählt, vor allem aber ein Umbruch, den man selbst erleben kann. Das Ende der Bibelstory ist offen. Jesus sagt nicht: "So! Jetzt hab ich's kapiert: Meine Sendung durch Gott geht über die Israeliten hinaus. Ich helfe jedem Notleidenden, denn dazu hat mich Gott gesandt!" Diese Erkenntnis lässt Matthäus übrig für den Leser. Und es ist dem Leser überlassen, ob er Jesus nachfolgen will und worin er Jesus nachfolgen will. Der Leser könnte sagen: "Okay, kapiert: Jesus nachfolgen heißt, dass ich mich auch Kanaanäerinnen mit dämonenbesessenen Töchtern zuwende. Besonders, wenn die Tochter im richtigen Alter ist und gut aussieht." Oder er könnte sagen: "Ich mache es wie Jesus: Grundsätzlich helfe ich nur der eigenen Baggage, meine Familie, meinen Vereinskameraden, den Nachbarn. Aber wenn man mir so zusetzt, wie es die Kanaanäerin tat, dann mache ich ausnahmsweise eine Ausnahme. Grundsätzlich aber kann ich nicht jedem Notleidenden und Hilfesuchenden helfen, sondern ich bin nur für die Meinen verantwortlich. Ausnahmen: Na gut. Aber mehr nicht." Es ist manchen Lesern sogar möglich, noch weiter zu denken. "Was will denn Gott von mir?" Was er von Jesus wollte, wird ja nicht so richtig klar. Aber was will er von mir? Zu wem fühle ich mich durch Gott gesandt? Wie will ich dies handhaben? Bin ich auch zu den Flüchtlingen gesandt? Oder zu den Hungerleidern weit weg in Afrika? Oder zu wem eigentlich? Will Gott auch von mir, dass ich mich weiter entwickle? Oder will Gott, dass ich bis ans Ende meiner Tage bei dem bleibe, was mir meine Eltern beigebracht haben? Ich vermute, dass in solchen Nachdenkereien das Wort Gottes angesichts dieser Geschichte an jeden einzelnen Leser erklingen kann. Ob der Leser es hören will, ist noch einmal eine andere Frage. Da ereignet sich In-spiration. Der heilige Geist bekommt ein beackerbares Feld. Und wenn der Leser in sich hineinhorcht, kann er ihm sogar beim Ackern zuschauen. Durch das Lesen dieser Geschichte kann sich im Leser etwas verändern. 2 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Studiosus Geschrieben 21. August 2017 Melden Share Geschrieben 21. August 2017 Derartige Bibelstellen fallen nur jenen ins Auge, die das süßliche Jesusbild des 19. Jahrhunderts verinnerlicht haben: das kleine Christkind mit rosigen Wangen, das auf einer Wiese sitzt und Lämmchen streichelt. Typischer Biedermeierstil. Klar, dieser Jesus sagt nie ein hartes Wort. Oder die Mode unserer Zeit, die den Gottessohn als gesellschaftliche Normen sprengenden Revolutionär sieht, der sich den Menschen an "den Rändern" zugewandt hat. Che Guevara in Sandalen und Tunika. Für Katholiken ist Jesus hingegen nicht nur der immer milde Lächelnde. Er ist der Weltenherrscher. Der Pantokrator. Der Weltenrichter. Der "rex tremendae maiestatis", der König schrecklicher Gewalten. Jesu Botschaft beinhaltet Verheißung und Drohung gleichermaßen. Nur dass über Letzteres gerne geschwiegen wird. Was es, kulturell und politisch, mit den Kanaanäern auf sich hat kann sich jeder in einer biblischen Realenzyklopedie oder bei Tante Wiki durchlesen. Das dürfte einige Unstimmigkeiten klären. Saluti cordiali, Studiosus. 1 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
theresa??? Geschrieben 21. August 2017 Melden Share Geschrieben 21. August 2017 So, dann darfst du mich jetzt einer deiner tollen Kategorien zuordnen. Denn ich stolpere jedes Mal über diese Stelle, wenn ich sie lese. Übrigens nicht, weil Jesus die Frau zuerst zurückweist. Sondern, weil er seine Meinung ändert. Wenn er ihre Bitte von Anfang an erfüllen würde, das würde ich verstehen. Wenn er ablehnen würde auch noch irgendwie. Aber dieses Meinung-Ändern -das irritiert mich. Weil es Jesus scheinbar fehlbar macht. Und wenn das so wäre, wenn Jesus sich auch entwickelt hat, Irrtümer inklusive, woher hätte man denn dann die Sicherheit, dass Jesu Botschaft ab Punkt Y dann die endgültige Wahrheit ist? Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Studiosus Geschrieben 21. August 2017 Melden Share Geschrieben 21. August 2017 (bearbeitet) Naja, diese Stelle ist schnell erklärt: Die Kanaaniterin spricht Jesus zuerst als "Sohn Davids" an. Sie rekurriert, als Heidin, die sie ist, auf die Verheißung Gottes an das Bundesvolk Israel. An dieser hat sie als Frau aus den Nationen keinen Anteil. Jesus bekräftigt das, in dem er darauf besteht, nur zu den verlorenen Schafen Israels gesandt zu sein. Darauf spielt die Metapher mit dem Brot und den Hunden an. Das Brot ist den Kindern (den Israeliten) zugedacht, die Hunde (Heiden) dürfen davon nicht essen. Erst als die Frau ihren Platz erkennt, sie ist Hündin und kein Kind, und fleht, erhört der Herr ihre Bitte. Jesus ist der Herr über alle: Juden und Heiden gleichermaßen. Saluti cordiali, Studiosus. bearbeitet 21. August 2017 von Studiosus Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
theresa??? Geschrieben 21. August 2017 Melden Share Geschrieben 21. August 2017 vor 1 Minute schrieb Studiosus: Naja, diese Stelle ist schnell erklärt: Die Kanaaniterin spricht Jesus zuerst als "Sohn Davids" an. Sie rekurriert, als Heidin, die sie ist, auf die Verheißung Gottes an das Bundesvolk Israel. An dieser hat sie als Frau aus den Nationen keinen Anteil. Jesus bekräftigt das, in dem er darauf besteht, nur zu den verlorenen Schafen Israels gesandt zu sein. Darauf spielt die Metapher mit dem Brot und den Hunden an. Das Brot ist den Kindern (den Israeliten) zugedacht, die Hunde (Heiden) dürfen davon nicht essen. Erst als die Frau ihren Platz erkennt, sie ist Hindin und kein Kind, und fleht, erhört der Herr ihre Bitte. Jesus ist der Herr über alle: Juden und Heiden gleichermaßen. Saluti cordiali, Studiosus. Das klingt in sich logisch. Auch wenn mir die Vorstellung, dass die Frau eben nicht theologisch korrekt gebeten hat, etwas komisch vorkommt. Aber ok, darin kann auch eine innere Einstellung vermutet werden. p.s. Eine Hindin ist eine Hirschkuh Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Studiosus Geschrieben 21. August 2017 Melden Share Geschrieben 21. August 2017 vor 4 Minuten schrieb theresa???: p.s. Eine Hindin ist eine Hirschkuh Sorry, da hat sich Heidin und Hündin zur Hindin vermischt 😂😅 Saluti cordiali, Studiosus. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Mecky Geschrieben 21. August 2017 Melden Share Geschrieben 21. August 2017 vor einer Stunde schrieb theresa???: So, dann darfst du mich jetzt einer deiner tollen Kategorien zuordnen. Denn ich stolpere jedes Mal über diese Stelle, wenn ich sie lese. Übrigens nicht, weil Jesus die Frau zuerst zurückweist. Sondern, weil er seine Meinung ändert. Wenn er ihre Bitte von Anfang an erfüllen würde, das würde ich verstehen. Wenn er ablehnen würde auch noch irgendwie. Aber dieses Meinung-Ändern -das irritiert mich. Weil es Jesus scheinbar fehlbar macht. Und wenn das so wäre, wenn Jesus sich auch entwickelt hat, Irrtümer inklusive, woher hätte man denn dann die Sicherheit, dass Jesu Botschaft ab Punkt Y dann die endgültige Wahrheit ist? Bei lebendigen Menschen soll das durchaus mal vorkommen, dass sie ihre Meinung ändern. Gott bewahre uns vor den Beratungsresistenten, die dazu nicht fähig sind. Jesus macht diese Tendenz allerdings tatsächlich in gewissem Sinne fehlbar. Das war hauptsächlich für frühere Generation ein Problem. Auch für Leute, die den Kaiser, den König, den Führer oder die Partei für unfehlbar hielten. Dahinter steckt ein Obrigkeitsideal. Der Chef sagt, wo es lang geht. Ein guter Chef weiß es eben, wo es lang geht. Und seine Fuzzis vertrauen notfalls blind darauf. Kritik ist Verrat. Im dritten Reich und bei Erdogan wird allzu offenherzig vorgetragene Kritik bestraft. Ich weise gerne darauf hin, dass dieses Bild gemalt wird, ohne mit der wirkenden Gegenwart Gottes im Menschen zu rechnen. Nix ist mit den Gaben des heiligen Geistes, der einen Menschen von Punkt A nach Punkt B führt. Das ist viel zu dynamisch! Da gäbe es ja ein Vorher und ein Nachher. Und das Vorherige wird - o Graus - durch das Nachfolgende als vorläufig erwiesen. Das klingt so nach - verzeih, wenn ich dieses eklige Gossenwort bemühe - Lebendigkeit. Ideale haben nicht lebendig zu sein. Sie sollen statisch sein. Wie es war vor aller Zeit, so bleibt es in Ewigkeit. Amen, Basta, Halleluja. Wenn man Jesus seine Lernfähigkeit wegnimmt, ist das eine Attacke auf die Inkarnation. Er verbleibt in der zeitlosen Sphäre der Ideale, zu denen man höchstens aufschauen, denen man aber nicht nachfolgen kann. Mit der Unfehlbarkeit hat man allerdings immer mehr Probleme bekommen. Nicht nur Jesus sei unfehlbar, sondern auch die Bibel hat man für unfehlbar gehalten. Wiederum ohne Rücksicht auf die Gegenwart Gottes im Bibelleser. "Was da steht, ist die unfehlbare Wahrheit!". Pustekuchen. Die Unfehlbarkeit der Bibel hat sich als mehrdimensionaler Murks erwiesen. Die Bibel ist historisch, moralisch und auch theologisch geradezu ein Ausbund an Fehlbarkeit. Noch größer ist die Relativität der Bibel. Heute sagt man lieber: "Gottes Wort in Menschenwort". Das ist ein Ausdruck, den kann man lückenlos und sogar mit ganz besonderem Nachdruck auf Jesus übertragen. Auch er ist Gottes Wort in Menschen ... dingens. Gottes Wort in einem menschlichen, materiellen, leiblichen Mund voller Schleimhäute und Körperflüssigkeit. Und hinter dem Mund steht ein menschliches Gehirn, welches ein Teil eines durch und durch menschlichen Körpers ist, der in einer weltlichen Welt lebt, empfindet und agiert. Einer Welt, deren Gesetzen er unterworfen ist, die Freude und Leid erweckt ... und vor allem: alles schön der zeitlichen Reihe nach. In Jesus ist Gott Mensch geworden. Und er hat die ganzen menschlichen Entwicklungsphasen durchgemacht. Vom Windelscheißen übers Krabbeln, über erfolglose Versuche des Laufenlernens, die immer mal wieder auf dem Windelpopo geendet haben: Wie bei allen Windelträgern. Trial an error: Versuch und Scheitern und Irrtum. Das ist der Weg des Menschen. Erst nachträglich kommt dann die Entdeckung der Christen: In diesem menschlichen Lebensprozess finden wir bei Jesus retrospektiv Gott. Man hat recht schnell reagiert und Jesus seine Menschlichkeit weggenommen - bis hin zu den Doketisten, die sogar die Leiblichkeit Jesu komplett abgestritten haben. Da ist nichts mit Inkarnation, mit Menschwerdung. Sondern Jesus ist eine nicht-Mensch-gewordene Erscheinung. In doketistischen Augen. Durch diesen Trick gelang es, die ideale Ebene zu erreichen. Da hat man wieder sein Ideal: Zeitlos prächtig, pantokratierend, aber fleischlos und leblos. Schönes Ideal. Buäh! Ein toter Totengott, den man in heutiger Diktion durch die ebenso zeitlosen, alles durchdringenden und beherrschenden, leblosen und bewusstlosen Naturgesetze perfekt ersetzen kann. Schönes Ideal. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
theresa??? Geschrieben 21. August 2017 Melden Share Geschrieben 21. August 2017 vor 5 Minuten schrieb Mecky: Bei lebendigen Menschen soll das durchaus mal vorkommen, dass sie ihre Meinung ändern. Gott bewahre uns vor den Beratungsresistenten, die dazu nicht fähig sind. Jesus macht diese Tendenz allerdings tatsächlich in gewissem Sinne fehlbar. Das war hauptsächlich für frühere Generation ein Problem. Auch für Leute, die den Kaiser, den König, den Führer oder die Partei für unfehlbar hielten. Dahinter steckt ein Obrigkeitsideal. Der Chef sagt, wo es lang geht. Ein guter Chef weiß es eben, wo es lang geht. Und seine Fuzzis vertrauen notfalls blind darauf. Kritik ist Verrat. Im dritten Reich und bei Erdogan wird allzu offenherzig vorgetragene Kritik bestraft. Ich weise gerne darauf hin, dass dieses Bild gemalt wird, ohne mit der wirkenden Gegenwart Gottes im Menschen zu rechnen. Nix ist mit den Gaben des heiligen Geistes, der einen Menschen von Punkt A nach Punkt B führt. Das ist viel zu dynamisch! Da gäbe es ja ein Vorher und ein Nachher. Und das Vorherige wird - o Graus - durch das Nachfolgende als vorläufig erwiesen. Das klingt so nach - verzeih, wenn ich dieses eklige Gossenwort bemühe - Lebendigkeit. Ideale haben nicht lebendig zu sein. Sie sollen statisch sein. Wie es war vor aller Zeit, so bleibt es in Ewigkeit. Amen, Basta, Halleluja. Wenn man Jesus seine Lernfähigkeit wegnimmt, ist das eine Attacke auf die Inkarnation. Er verbleibt in der zeitlosen Sphäre der Ideale, zu denen man höchstens aufschauen, denen man aber nicht nachfolgen kann. Mit der Unfehlbarkeit hat man allerdings immer mehr Probleme bekommen. Nicht nur Jesus sei unfehlbar, sondern auch die Bibel hat man für unfehlbar gehalten. Wiederum ohne Rücksicht auf die Gegenwart Gottes im Bibelleser. "Was da steht, ist die unfehlbare Wahrheit!". Pustekuchen. Die Unfehlbarkeit der Bibel hat sich als mehrdimensionaler Murks erwiesen. Die Bibel ist historisch, moralisch und auch theologisch geradezu ein Ausbund an Fehlbarkeit. Noch größer ist die Relativität der Bibel. Heute sagt man lieber: "Gottes Wort in Menschenwort". Das ist ein Ausdruck, den kann man lückenlos und sogar mit ganz besonderem Nachdruck auf Jesus übertragen. Auch er ist Gottes Wort in Menschen ... dingens. Gottes Wort in einem menschlichen, materiellen, leiblichen Mund voller Schleimhäute und Körperflüssigkeit. Und hinter dem Mund steht ein menschliches Gehirn, welches ein Teil eines durch und durch menschlichen Körpers ist, der in einer weltlichen Welt lebt, empfindet und agiert. Einer Welt, deren Gesetzen er unterworfen ist, die Freude und Leid erweckt ... und vor allem: alles schön der zeitlichen Reihe nach. In Jesus ist Gott Mensch geworden. Und er hat die ganzen menschlichen Entwicklungsphasen durchgemacht. Vom Windelscheißen übers Krabbeln, über erfolglose Versuche des Laufenlernens, die immer mal wieder auf dem Windelpopo geendet haben: Wie bei allen Windelträgern. Trial an error: Versuch und Scheitern und Irrtum. Das ist der Weg des Menschen. Erst nachträglich kommt dann die Entdeckung der Christen: In diesem menschlichen Lebensprozess finden wir bei Jesus retrospektiv Gott. Man hat recht schnell reagiert und Jesus seine Menschlichkeit weggenommen - bis hin zu den Doketisten, die sogar die Leiblichkeit Jesu komplett abgestritten haben. Da ist nichts mit Inkarnation, mit Menschwerdung. Sondern Jesus ist eine nicht-Mensch-gewordene Erscheinung. In doketistischen Augen. Durch diesen Trick gelang es, die ideale Ebene zu erreichen. Da hat man wieder sein Ideal: Zeitlos prächtig, pantokratierend, aber fleischlos und leblos. Schönes Ideal. Buäh! Ein toter Totengott, den man in heutiger Diktion durch die ebenso zeitlosen, alles durchdringenden und beherrschenden, leblosen und bewusstlosen Naturgesetze perfekt ersetzen kann. Schönes Ideal. Ja, du hast irgendwo schon recht: In allem uns gleich, außer der Sünde ...das nimmt nicht nur menschliches Kind-Sein und Laufen-Lernen-Müssen etc. mit ein, sondern auch den Irrtum. Aber da bleibt dann jetzt mein Problem: Kann ich mich dann darauf verlassen, wenn Jesus sagt, dass wir Abba zu Gott sagen dürfen. Oder war das nicht vielleicht doch ein Irrtum, eine Phase -und das ist eigentlich mega dreist und in Zukunft reden wir Gott lieber wieder korrekterweise ausschließlich mit "Herr" an? Kann ich mich darauf verlassen, dass die Freude im Himmel groß ist über jeden Sünder der umkehrt und dass Gott mir, wenn ich gesündigt habe und nicht mehr wert wäre, sein Kind zu heißen, entgegenkommt wie ein liebender Vater? Oder war das nur ein Irrtum, dem Jesus aufgesessen ist? Ich denke, du verstehst mein Problem, oder? Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Mecky Geschrieben 21. August 2017 Melden Share Geschrieben 21. August 2017 (bearbeitet) vor 55 Minuten schrieb theresa???: Aber da bleibt dann jetzt mein Problem: Kann ich mich dann darauf verlassen, wenn Jesus sagt, dass wir Abba zu Gott sagen dürfen. Ob Du Dich darauf verlässt, dass Du zu Gott "Abba", guter Vater sagst, ist Deine eigene Entscheidung. Wenn Du nur deswegen Gott Vater nennst, weil Jesus Dich dazu instruiert hat, dann bist Du kein Christ, sondern Sklave des Wortes. Es würde mich allerdings wundern, wenn die Anweisung Jesu der einzig entscheidende Grund wäre, Gott seinen Vater zu nennen. Die Bibel ist kein Kochbuch, in dem verpflichtende Rezepte stehen, sondern sie beinhaltet Glaubensaussagen. Diese Glaubensaussagen einfach verpflichtend übernehmen? So ein Unfug! Aber es rentiert sich allemal in der Bibel nachzulesen, wie andere Leute in anderen Ländern und in anderen Generationen geglaubt haben. Die ermordeten Amalekiterbabys haben wohl keine Gelegenheit gehabt, Gott als ihren Vater anzusehen. Den Eltern der vernichteten ägyptischen Erstgeburt war wohl dieser Jahwe auch nicht das, was man sich unter einem Vater vorstellt. Das Entscheidende aber liegt bei DIR. Was glaubst Du von Gott? Mich inspiriert das, was über die letzten Tage Jesu in den Evangelien geschrieben steht. Er habe im Vertrauen auf den Willen Gottes seinen Leidensweg angenommen, sogar seine Sendung auf diesen grausamen Weg gegen seinen Freund Petrus verteidigt. Dieses Verhältnis kann man durchaus im Wort "Vater" zusammenfassen. Mich inspiriert das, weil ich mir selbst einen solch starken Glauben wünsche. Das wär doch was: Ein Vertrauen in Gott, obwohl die Welt mich brutal durchschüttelt. Dennoch: Geborgenheit in diesem Vertrauen ... so ähnlich wie Jesus. Diese Inspiration zählt für mich weitaus mehr, als das "Jesus hat es gesagt, also verlasse ich mich darauf, dass er damit recht hatte, weil er doch immer recht hat." Wie öde! Das läuft auf einen gefährlichen Kadavergehorsam und auf Heteronomie hinaus. Und auf das Abgeben der Verantwortung. So was halte ich für höchst gefährlich. Selbst wenn Jesus tatsächlich recht haben sollte: Wenn ich ihm nur aus Gehorsam nachfolge ist das ein billiges Nachäffen und ein Abschieben der eigenen Verantwortung. Meiner Meinung nach ist es so: Glaube muss von innen entspringen. Er muss eine innere Überzeugung sein. Ich nenne Gott nicht deshalb "Vater", weil Jesus es so gesagt hat, sondern weil ich (ich! ich! ich!) an einen väterlichen Gott glaube. Die Idee eines väterlichen Gottes habe ich von Jesus präsentiert bekommen - und er hat sich dafür aus dem alten Testament inspirieren lassen. Aber diese Idee zielt nicht auf einen Gehorsam, sondern auf eine Entdeckung, nämlich die Entdeckung des eigenen Glaubens, der schon vorgeformt war, lange bevor ich die "Anweisung" Jesu gelesen habe. Manche Leute kommen sogar völlig ohne die Anweisung Jesu aus. Zum Beispiel die alttestamentlichen Recken. Einige von ihnen sind zu demselben Ergebnis gekommen, und zwar lange bevor Jesus sich zu diesem Thema geäußert hat. Womöglich haben bereits einige Neandertaler an irgendwas Väterliches geglaubt. Der Glaube an einen väterlichen Gott ist älter, als Jesus und auch als das alte Testament. Es ist das Verdienst Jesu, diesen archaischen Glauben verbal auf den Punkt zu bringen, in Worte zu fassen und an eine zentrale Stelle in seiner Lebensüberzeugung zu rücken. Davon können wir bis zum heutigen Tage profitieren. Aber nicht als Befehlsempfänger, sondern als dankbare Entdecker unserer eigenen Glaubensüberzeugung. bearbeitet 21. August 2017 von Mecky 2 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
helmut Geschrieben 31. August 2017 Autor Melden Share Geschrieben 31. August 2017 A Zitat Jesus konkret (?AFD?) - Mt 15, 24-26 "...Er antwortete aber und sprach: Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel. Sie aber kam und fiel vor ihm nieder und sprach: Herr, hilf mir! Aber er antwortete und sprach: Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde..." Jesus allgemein (?grün?) - Mt 25, 35-40 "...Wahrlich ich sage euch: Was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan..." Auflösung des Paradoxon, Papst konkret [http://w2.vatican.va/content/francesco/de/messages/migration/documents/papa-francesco_20170815_world-migrants-day-2018.html]: "...Der Grundsatz der zentralen Stellung der menschlichen Person, ....., verpflichtet uns dazu, die Sicherheit der Personen stets der Sicherheit des Landes voranzustellen...." Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Studiosus Geschrieben 31. August 2017 Melden Share Geschrieben 31. August 2017 Der Aufbau deiner Beiträge ist etwas unübersichtlich und erratisch. Trotzdem kann ich in etwa nachvollziehen, was Du aussagen willst und muss dem eine klare Absage erteilen: das Evangelium lässt sich nicht für parteipolitische Interessen instrumentalisieren. Die frohe Botschaft ist um so viel größer als die Profanität der Politik. Sie ist partei-, länder- und zeitübergreifend gültig. Saluti cordiali, Studiosus. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Alfons Geschrieben 31. August 2017 Melden Share Geschrieben 31. August 2017 Hi, Helmut, ich schreib Dir etwas Längeres zu der Stelle. Kann noch was dauern. Jetzt geh ich erst mal Radeln. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Flo77 Geschrieben 31. August 2017 Melden Share Geschrieben 31. August 2017 Am 21. August 2017 um 22:28 schrieb Studiosus: Erst als die Frau ihren Platz erkennt, sie ist Hündin und kein Kind, Das reizt zu einem Experiment: Sag das doch mal laut und im Ernst zu meiner Frau. Ich denke, dann hat wird unser Kellerverließ eine völlig neue aktive Verwendung bekommen. Nimm Dir genug Decken und eine Taschenlampe mit. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Studiosus Geschrieben 31. August 2017 Melden Share Geschrieben 31. August 2017 vor 5 Minuten schrieb Flo77: Das reizt zu einem Experiment: Sag das doch mal laut und im Ernst zu meiner Frau. Ich denke, dann hat wird unser Kellerverließ eine völlig neue aktive Verwendung bekommen. Nimm Dir genug Decken und eine Taschenlampe mit. Du bist offensichtlich nicht gewillt oder in der Lage zu begreifen, dass es in dieser Perikope nicht um das Geschlecht der bittenden Person geht. Schade! Saluti cordiali, Studiosus. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Flo77 Geschrieben 31. August 2017 Melden Share Geschrieben 31. August 2017 (bearbeitet) vor einer Stunde schrieb Studiosus: Du bist offensichtlich nicht gewillt oder in der Lage zu begreifen, dass es in dieser Perikope nicht um das Geschlecht der bittenden Person geht. Schade! Saluti cordiali, Studiosus. Du kannst mir ruhig glauben, daß mir das durchaus klar ist. Meine Frau ist allerdings nicht nur Frau sondern auch keine Jüdin und keine Katholikin. In Deinem Sprachgebrauch also eine Hündin... bearbeitet 31. August 2017 von Flo77 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Studiosus Geschrieben 31. August 2017 Melden Share Geschrieben 31. August 2017 (bearbeitet) vor 8 Minuten schrieb Flo77: Du kannst mir ruhig glauben, daß mir das durchaus klar ist. Meine Frau ist allerdings nicht nur Frau sondern auch keine Jüdin und keine Katholikin. In Deinem Sprachgebrauch also eine Hündin... Warum sollte diese Information über dein Privatleben für mich relevant sein? Du hast die Auslegung eines neutestamentlichen Textes bemängelt. In diesem geht es nun einmal um Juden und Kanaaniter und um die historische Situation der Erscheinung des Messias. Von den Hunden spreche auch nicht ich, sondern Christus. Wie kommst Du überhaupt darauf ich würde das auf Dich, deine eheliche Situation oder sonst einen heute lebenden Menschen beziehen? Saluti cordiali, Studiosus. bearbeitet 31. August 2017 von Studiosus Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Alfons Geschrieben 1. September 2017 Melden Share Geschrieben 1. September 2017 Die Kanaanäerin - Kurzfassung Gerade sehe ich, dass mein unten folgen sollendes Posting zu der Erzählung „Jesu Streitgespräch mit der heidnischen Frau“ sehr lang werden wird. Für alle, die wenig Zeit haben oder denen das Lesen längerer theologischer Texte Schwierigkeiten bereitet, hier deshalb eine Kurzfassung: Matthäus 15, 21-28 schildert den Beginn der Heidenmission in den jungen christlichen Gemeinden zur Mitte des 1. Jahrhunderts, dargestellt in einem Streitgespräch, das von der Heidin gewonnen wird. Zum Anlass des Gesprächs wurde eine Heilungsgeschichte gewählt, deren psychologische Deutung auch heute lehrreich sein kann. Alfons Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Dies ist ein beliebter Beitrag. Alfons Geschrieben 1. September 2017 Dies ist ein beliebter Beitrag. Melden Share Geschrieben 1. September 2017 Am 21.8.2017 um 13:59 schrieb helmut: Was ist die Lösung dieses Paradoxons, oder ist es kein Paradoxon? aus dem neuen testament: "...21 Und Jesus ging aus von dannen und entwich in die Gegend von Tyrus und Sidon. 22 Und siehe, ein kanaanäisches Weib kam aus derselben Gegend und schrie ihm nach und sprach: Ach HERR, du Sohn Davids, erbarme dich mein! Meine Tochter wird vom Teufel übel geplagt. 23 Und er antwortete ihr kein Wort. Da traten zu ihm seine Jünger, baten ihn und sprachen: Laß sie doch von dir, denn sie schreit uns nach. 24 Er antwortete aber und sprach: Ich bin nicht gesandt denn nur zu den verlorenen Schafen von dem Hause Israel. (Matthäus 10.5-6) (Römer 15.8) 25 Sie kam aber und fiel vor ihm nieder und sprach: HERR, hilf mir! 26 Aber er antwortete und sprach: Es ist nicht fein, daß man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde...." Jesus im Vorstand der AFD? jesus als wahrer mensch? jesus als zyniker? jesus wird ironisch? jesus als spiegel? jesus als gott? Beruhigt es Dich, wenn ich Dir erzähle, dass es sich bei diesem Text und seiner Parallele im Markus-Evangelium um so genannte Gemeindebildungen handelt? Die also kein reales Geschehen wiedergeben, sondern einen Richtungsstreit innerhalb der jungen Gemeinde entscheiden oder eine Entscheidung theologisch erklären sollen? Gemeindebildung Die beiden Bibelstellen – Markus 7, Vers 24 bis 30 und Matthäus 15, Vers 21 bis 28 – gehören zu den Apophthegmata, den auf einen Denkspruch zugespitzten Lehr-Erzählungen in den Evangelien. Diese Apophthegmata geben nicht biografische Details aus dem Leben Jesu wieder, sondern sind in der Regel – die Streit- und Schulgespräche nach Rudolf Bultmann sogar alle – theologische Kompositionen der Jesus-Bewegung. Sie können aber Logien enthalten, als sinngemäße Wiedergaben mutmaßlich echter Jesus-Worte. In der Erzählung vom Streitgespräch zwischen Jesus und der kanaanäischen Frau ist das der Vers 24: „Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel“. Diese Aussage findet sich auch in der Aussendungsrede im 10. Kapitel des Matthäus-Evangeliums: „Geht nicht den Weg zu den Heiden und zieht nicht in eine Stadt der Samariter, sondern geht hin zu den verlorenen Schafen aus dem Hause Israel.“ Dagegen spricht, dass dieses Logion in der älteren, wohl ursprünglicheren Parallel-Erzählung vom Streitgespräch zwischen Jesus und der Griechin aus Syrophönizien nicht enthalten ist. Auch in den Aussendungsreden bei Markus und Lukas ist dieses „nur zu den Juden, nicht zu den Heiden“ nicht enthalten. Zweiquellentheorie Zum besseren Verständnis der Textentstehung möchte ich kurz an die Zweiquellen-Theorie erinnern. Danach ist das Markus-Evangelium das älteste der drei synoptischen Evangelien, es entstand wahrscheinlich kurz vor 70 u.Z. in Rom. Matthäus (nach 70 u.Z., verfasst vielleicht für eine judenchristliche Gemeinde in Syrien) und Lukas (zwischen 70 und 90 u.Z, verfasst vielleicht für eine heidenchristliche Gemeinde außerhalb Palästinas) setzen ihre Evangelien im Wesentlichen aus zwei Quellen zusammen: dem Markus-Evangelium und einer später verschollenen Sammlung von Jesusworten, der Logienquelle Q. Wenn also der Autor des Matthäus-Evangeliums die Geschichte vom Streitgespräch zwischen Jesus und einer heidnischen Frau aus Markus übernommen hat, dann fällt auf, dass er sie stark verändert und um mehrere Details angereichert hat. So sehr, dass in der exegetischen Literatur schon mal überlegt wurde, ob dem Matthäus-Verfasser eventuell noch eine weitere Quelle vorgelegen haben könnte. Neu ist das Logion „Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel“, weiterhin wird die Herkunft der Frau anders beschrieben, die Szene spielt auch nicht mehr in einem Haus, sondern im Freien, eine indirekte Rede wird in ein wörtliches Zitat verwandelt, und schließlich treten auch die Jünger auf, die bei Matthäus ihre übliche Rolle als Deppen vom Dienst spielen, die stets falsch reagieren, nie etwas kapieren und alles erklärt bekommen müssen. Inhaltlich geht es, wie bei Apophthegmata üblich, um ein Problem der Gemeindepraxis. Der Konflikt wird gelöst, indem die Gemeinde ihre religiöse Praxis auf Jesus als höchste Autorität zurück führt und sich auf diese Weise gegenüber Kritikern verteidigt. Wer die Konfliktparteien waren? Ich tippe, ohne das belegen zu können, auf Differenzen zwischen einer Gemeinde und den sie besuchenden Wander-Charismatikern, also den sich ausgesandt fühlenden Jüngerinnen und Jüngern. Kernthema 1: Heidenmission Das Thema der beiden Fassungen dieser Erzählung ist die Heidenmission. Jesus war Jude und hatte sich an ein jüdisches Publikum gewandt. Dieser Überzeugung muss auch die Jerusalemer Urgemeinde gewesen sein. Ähnlich wie das Apostelkonzil, das zwischen 44 und 49 stattgefunden haben wird (Ergebnis, unter anderem: nicht-jüdische Anhänger der Christus-Bewegung müssen sich nicht beschneiden lassen), markiert auch die Perikope „Jesu Streitgespräch mit der heidnischen Frau“ eine Station des langen Wegs von „Das Reich Gottes ist nur für das jüdische Volk“ bis zu „Jesu Verkündigung ist nur für die Christen, nicht mehr für die Juden, die ihn als Messias ablehnen“. Markiert wird genau der Moment, in dem Jesus seine Meinung angeblich ändert. Dieser Zeitpunkt lag, als die Evangelien geschrieben wurden (so etwa 60 bis 90 unserer Zeitrechnung) schon viele Jahre zurück, die Heidenmission war längst entschieden. Das Apophthegma wurde also nicht vom Markus-Autor erfunden, sondern muss bereits vorgelegen haben. Vermutlich entstand es in einer palästinischen Gemeinde, am Anfang der Missionsdebatte. Für den vermutlich in Rom wirkenden Markus-Autor war das Thema wichtig, weil es dort vermutlich deswegen im Jahr 49 Zoff gegeben hatte. Laut dem römischen Kaiser-Biographen Sueton wurden damals unter Kaiser Claudius „diejenigen Juden, die, von Chrestos aufgehetzt, fortwährend Unruhe stifteten“ aus der Stadt verbannt. Vermutlich waren damit Judenchristen gemeint, die eine „gesetzesfreie“ Mission praktizierten – ohne Beschneidung zum Beispiel (so Ebner, Einleitung in das NT, S. 174). Dass Matthäus den Zwiespalt noch ausschmückt, hat vielleicht damit zu tun, dass er für eine judenchristliche Gemeinde schrieb und den Vorrang der Juden vor den Heiden auch ein paar Jahrzehnte später betonen wollte. Dass schließlich Lukas die ganze Geschichte weg lässt, ist ebenfalls logisch: In seinem Doppelwerk wird mit der Völkermission erst in der nachösterlichen Zeit begonnen, da kann er schlecht den Zeitpunkt der Entscheidung in dem Zwiespalt schon zu Jesu Lebzeiten ansetzen. Israel zuerst Spannend finde ich nun, unter welchen Bedingungen die Heidenmission nach Jesu Sinneswandel (dem ihm unterstellten Sinneswandel) möglich sein soll. Jesus lehnt es zunächst ab, der Heidin zu helfen: „Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde“. Das ist ein bewusster Bezug zu dem Jesus-Ausspruch „ Ihr sollt das Heilige nicht den Hunden geben und eure Perlen nicht vor die Säue werfen“ (Matthäus 7 Vers 6). Die Frau, die dieses Bild sofort versteht, antwortet mit einem anderen Bild: „Ja, Herr, aber doch essen die Hunde von den Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen“. Bei Markus sind es die Kinder, die Brotkrümel fallen lassen für die Hunde unter dem Tisch. Die Bedeutung ist klar: Das von Jesus verkündete Heil ist zuallererst für die Kinder des Volkes Israel da. Aber wenn etwas davon runter fällt, können auch die Heiden dieses Heil erlangen – wenn sie wissen, wo ihr Platz ist, nämlich unter dem Tisch, und sie die hochmütigen Beleidigungen der jüdischen Gemeindemitglieder („Hunde“, „Kanaaniter“) schlucken, wie es die heidnische Frau getan hat. Dennoch: Die Erzählung ist einzigartig im Neuen Testament. Erstens: Es ist das einzige Streitgespräch, in dem Jesus sich geschlagen gibt. Alle anderen Gespräche dieser Art gehen so aus, dass Jesus mit Kritik oder Fragen konfrontiert wird und er dann eine überraschende Antwort gibt, die deutlich macht: Ihr denkt zu eng! So auch in der Szene direkt davor, dem Streit mit Pharisäern und Schriftgelehrten über unreine Hände und unreine Herzen (Markus 7, 1-23 und Matthäus 15, 1-20). Hier aber ist es Jesus, der zu eng denkt und von einer neuen Sichtweise überzeugt werden muss. Zweitens – und das ist natürlich eine bewusste Spitze gegen das theologische jüdische Establishment, gegen die Schriftgelehrten und Pharisäer, vor denen Jesus gerade geflohen war: Es ist eine Heidin, die hier Recht behält. Und drittens: Auch noch eine Frau! „Das war lange so unvorstellbar, dass viele Bibelkommentare von den Kirchenvätern bis in die Gegenwart sich das gar nicht vorstellen können“ (die altkatholische Priesterin Alexandra Pook in einer Predigt vor wenigen Tagen). Die Szene, die in diesem Apophthegma konstruiert wird, wirkt realitätsnah. Nach einer scharfen Auseinandersetzung mit Pharisäern und Schriftgelehrten „entweicht“ Jesus über die Grenze, in die Gegend von Tyrus. Heute ist das der Libanon. Jesus sei vor den jüdischen Autoritäten geflohen, schrieb ich weiter oben. Das ist nur eine mögliche Interpretation. Das griechische Verb ἀναχωρέω/anachóreó hat die Bedeutung von fortgehen, zurückgehen. „Er entwich“, übersetzen die Lutherbibel und die Elberfelder. „Er zog sich zurück“, heißt es in der Einheitsübersetzung. Es muss keine Flucht gewesen sein, obwohl sein Leben bedroht war. Es kann auch sein, dass Jesus einfach seine Ruhe haben wollte. Das klingt platt, ist aber so unwahrscheinlich nicht – wo immer Jesus auftauchte, war er von Menschenmengen umlagert, er sollte predigen, Wunder tun, heilen. An mehreren Stellen berichten die Evangelien, dass Jesus versuchte, sich dem Trubel zu entziehen. So auch in der Markus-Fassung dieser Geschichte, also der ursprünglicheren: „Er ging in ein Haus und wollte es niemanden wissen lassen“ (7,24). Und dann schafft es doch diese Frau, zu ihm durchzudringen. Jesus will aber gerade nicht heilen. Jetzt nicht! Zusammenhang mit der rein/unrein-Debatte Das Streitgespräch zwischen Jesus und der Heidin steht theologisch gesehen in einem engen Zusammenhang mit der in beiden Evangelien direkt davor geschalteten Erzählung von den unreinen Händen und unreinen Herzen. Illustriert wird die Aufhebung der traditionellen Unterscheidungen von rein und unrein. Nicht die sauberen Hände sind wichtig, sondern das reine Herz. Mit den Worten Jesu gesprochen: „Nichts, was von außen in den Menschen hineinkommt, kann ihn unrein machen, sondern was aus dem Menschen herauskommt, das macht ihn unrein“ (Markus 7,15). (Der Gedanke war übrigens nicht neu. Der Kyniker Diogenes soll zu jemandem, der ihm vorhielt, er betrete unreine Orte, gesagt haben: „Auch die Sonne scheint in die Aborte, wird aber doch nicht besudelt“. Aber das nur am Rande.) Wegen der Diskussion um kultische Reinheit also ist die Kontrahentin aus orthodoxer Sicht in gleich mehrfacher Hinsicht unrein: Als Frau, als Ausländerin und damit Nicht-Jüdin, als Mutter eines von Dämonen besetzten Kindes, in ihrer Rolle eines Hundes... Diese neue Sicht auf das, was notwendig ist, um rein zu sein, hat eine verblüffende Pointe, die besonders in der Markus-Variante deutlich wird: Mit keinem Wort wird behauptet, dass die Bittstellerin, die als eine aus dem syrischen Phönizien stammende griechische Frau beschrieben wird – was auch ihre religiöse Zugehörigkeit deutlich macht – nun zur Anhängerin der Jesus-Bewegung wird. Sie kehrt einfach nach Hause zurück und findet ihre Tochter geheilt vor. Die Heilung war möglich, weil die Frau sie für möglich hielt. Nichts anderes war nötig. Noch eine Spur zur Konstruktion der Erzählung ist mir aufgefallen, die ich aber in der Fachliteratur nicht weiter verfolgt habe, nämlich ein Bezug zur Thora. Das Verhalten der Heidin hat eine Parallele zu Jakobs Kampf am Jabbok (Genesis 32, 23-33). So wie damals Jakob mit Gott gerungen hat („Ich lasse Dich nicht los, wenn du mich nicht segnest“) und dabei Sieger blieb, so streitet die heidnische Frau mit Gottes Sohn und bleibt Siegerin – sie ließ ihn nicht, ehe er sie nicht segnete: „Dein Glaube ist groß, was du willst soll geschehen.“ Vier Erklärungsmodelle Für die Erzählung vom Streitgespräch Jesu mit der Heidin gibt es im Wesentlichen vier theologische Erklärungsmodelle. Was ich bis hierher erläutert habe, ist die heute allgemein bevorzugte heilsuniversalistische Auslegung. Danach handelt es sich um eine vor-markinische Normenwundergeschichte, die versucht, „den auf Israel konzentrierten urchristlichen Heilspartikularismus durch einen den Rang Israels nicht bestreitenden, aber im Blick auf Gottes freie Gnade und Barmherzigkeit relativierenden Heilsuniversalismus“ abzulösen (Rudolf Pesch, Markusevangelium I, S. 390). Ulrich Mell (in Zimmermann: Kompendium der Gleichnisse Jesu, 347 ff.) weist auf drei weitere Deutungshorizonte hin. Die biographische Deutung werde heute kaum noch vertreten. Dabei handele es sich um „historisierende Auslegungen, die von einer tatsächlichen Jesus-Reise in nichtjüdisches Gebiet ausgehen“ und die Enttäuschung des historischen Jesus an seinen Volksgenossen widerspiegeln. Die paradigmatische Auslegung ist vor allem durch Martin Luthers Musterpredigt „Wie Gott will, dass wir beten sollen“ von 1525 geprägt. Die Quintessenz lautet: Egal, wie viele Widrigkeiten und Zurückweisungen sich auftun – wenn man nur hartnäckig und im Vertrauen auf Gott betet, kann man am Ende auch erhört werden. In der pietistischen Variante dieser Deutung wird betont, dass die Frau eine Glaubensprüfung besteht. Weil sie einen demütigen Glauben zeigt, versagt Gott ihr seine Hilfe nicht. Von dort aus ist man schnell bei der besonders frommen Deutungsversion: Jesus war so schroff, weil er den Glauben und die Demut der Frau prüfen wollte! In der feministischen Deutung dieser Bibelstelle wird darauf hingewiesen, dass hier weibliche Intelligenz und weibliche Sorge um die eigene Familie zusammen stark genug sind, sogar Jesus umzustimmen. Die Gläubigkeit der Heidin wird dem ständigen Unglauben und Zweifeln der Jünger, aber auch der Gegnerschaft der (männlichen) religiösen Autoritäten gegenüber gestellt. Sauer stösst den Vertreterinnen dieser Deutung allerdings auf, dass die heidnische Frau sich Jesus zu Füßen wirft, voll Unterwürfigkeit argumentiert und sogar die Bezeichnung „Hund“ akzeptiert. Bemerkenswert finde ich auch die Exegese „Syrophönizierin und Kanaanäerin“ der Neutestamentlerin und Marburger Professorin Dr. Angela Standhartinger (in „Gemeinsam in Christus“, Dokumentation zur 4. deutsch-polnischen Theologinnentagung 2015). Sie sieht in der Erzählung nicht nur Gegensätze, sondern auch Gemeinsamkeiten: „Eine Begegnung zweier Menschen aus verschiedenem Glauben und verschiedenen Völkern, die sich auf der gleichen Ebene treffen und daher überzeugen lassen, einander zu helfen. (…) Gemeinsam erkennen die Kanaanäerin und Jesus seine Sendung für Israel. Gemeinsam erkennen sie auch, dass der Glaube von Menschen aus den Völkern einen Platz hat. Gemeinsamkeit heißt, das Eigene zu behalten und die Glaubensstärke der anderen, der indigenen und Fremden, sehen lernen.“ Kernthema 2: Die Fernheilung Es gibt aber neben der Heidenmission noch ein zweites Kernthema in dieser Geschichte, und das ist die Heilung der Tochter. Eine Fernheilung. Eine Wundergeschichte. Nun ist ja die Theologie bei Wundergeschichten vorsichtig geworden. Zumal in der antiken Welt Wunder gang und gäbe waren und die Anhänger der Wundertäter sich in ihren Berichten immer weiter überboten. „Apollonius von Tyana erweckt eine Tote zum Leben? Ha! Unser Jesus von Nazareth erweckt sogar einen Toten, der schon stinkt!“ Darüber darf man aber nicht vergessen, dass es – und nicht nur durch die Fülle der berichteten Wunder – viele Anhaltspunkte dafür gibt, dass der historische Jesus als Exorzist und Wunderheiler auftrat. Heute würde man sagen: Als Therapeut mit überraschenden Erfolgen. Und es ist, wenn auch nicht sicher, so doch immerhin möglich, dass in diesem Apophthegma, einer eindeutigen Gemeindebildung, die Geschichte einer tatsächlichen Heilung mit überliefert ist, wie rudimentär auch immer. Damit bin ich bei den psychologischen Deutungen angelangt, oder platt gesprochen bei der Frage: Was kann uns diese Geschichte heute noch sagen? Ein Mut machendes Beispiel Die Erzählung transportiert zum Beispiel in dem Verhalten der um Heilung der Tochter bittenden Mutter die Erkenntnis, dass allein schon das Bestehen darauf heilsam ist, einen eigenen Wert zu haben und ein eigenes Recht auf Zuwendung. Die Frau bleibt trotz Zurückweisung fest bei dem, was sie als den richtigen Weg erkannt hat, auch wenn der berühmte Rabbi Jesus das ganz anders sieht. Die weiter oben verlinkte Theologin Alexandra Pook sieht das als ein ermutigendes Vorbild für alle, denen es nicht so leicht fällt, bei ihrer eigenen Wahrnehmung zu bleiben, die sich zu schnell verletzt und beleidigt zurückziehen: „Diese Frau glaubt einfach weiter, dass das Heil auch für sie gilt. Und sie glaubt nicht an den Mangel. Sie glaubt an die Fülle.“ Psychologische Sicht Aus psychologischer Sicht – natürlich, aus welcher denn sonst – untersucht Eugen Drewermann in seinem Markus- (Band I, S. 472-492) und seinem Matthäus-Kommentar (Band II, S. 350-354) das Geschehen. Natürlich kennt er die Ergebnisse der historisch-kritischen Exegese der Erzählung und erkennt sie als korrekt an – lehnt sie aber zugleich (und damit auch fast alles, was ich hier bislang geschrieben habe) als hinderlich ab. Das ganze Theologisieren verstelle den Blick auf das, was an dieser Erzählung für heutige Leser wirklich wichtig sei – nämlich der Sieg der Barmherzigkeit angesichts menschlicher Not, sogar über theologische Grenzen hinweg: „Unser Problem heute ist nicht mehr die Frage, wie wir uns von Israel her den Heiden zuwenden, aber wir sind von Jesus wie die Jünger damals dazu gesandt, die Kranken zu heilen und die Dämonen zu vertreiben.“ Und, noch deutlicher: „Mit dem exegetischen Gerede von der Heidenmission damals wird keiner Frau heute geholfen, deren Kind seelisch zerstört am Boden liegt.“ Wie nun kann der Bibeltext, das richtige Verständnis vorausgesetzt, heute „einer Frau helfen, deren Kind seelisch zerstört am Boden liegt“? Drewermann bietet in drei Kapiteln zwei Deutungen an, die sich nach meiner Ansicht widersprechen, und eine dritte, die versucht, die anderen beiden zu harmonisieren. Drewermann 1 Die heidnische Frau in der Wundererzählung steht stellvertretend für alle Menschen, die die Sorge um fremde Not bedrückt und quält, die alleine das Unglück eines Menschen begleiten, der ihnen anvertraut ist, und die dennoch nichts tun können, um es zu beseitigen. Drewermann schildert das Leid von Menschen, deren Liebste – Tochter, Sohn, Freund, Bruder – nicht mehr mit Worten und Argumenten erreichbar sind, sondern die sich „wie völlig verblendet selber in ihr Unglück stürzen“. Trotz aller guten Ratschläge gibt es nur „das unheimliche Räderwerk der Selbstzerstörung des anderen, seinen Hochmut, Ungeduld, seine Verachtung für alles, ganz besonders aber die eigene Person, die Maßlosigkeit seiner Ansprüche...“ Eine schlimmere Belastung gebe es nicht, schreibt Drewermann: „Das eigene Kind >dämonisch besessen<, also nicht nur krank, unglücklich oder unfähig zum Guten, sondern wie mit Absicht verletzend, boshaft, nur verneinend, den eigenen Untergang anstrebend.“ Dem setzt Drewermann die „Gebete ohne Hoffnung“ entgegen, für die das Verhalten der heidnischen Frau in dieser Perikope stehe: „Gerade so betet doch diese Frau für ihre Tochter, irgendwie ungehörig, im Grunde aussichtslos, von den Jüngern als lästig abgewiesen. Ein solches Bitten ist ganz oft wie eine ungeliebte, indirekte Zärtlichkeit, die man dem anderen zu zeigen sich schon lange nicht mehr traut, wie ein Versuch zu helfen, wo es keine Hilfe gibt – und doch, vor Gott dürfen wir beten, gerade so.“ Die Frau will ja nur „einen kleinen Zufallsbrocken von dem großen Tisch der Rettung aller Menschen.“ Und gerade diese „zähe Ausschließlichkeit der Fürsorge nur für das Anvertraute“ hat zur Folge, dass Jesus sagt: Ja, Frau, es soll geschehen, was Du willst. „Das Wunder, das sich jetzt ereignet, ist so wunderbar dann nicht. Dass sich der Bann des Bösen auflösen kann ganz wie von selbst, spontan scheinbar, gehört wohl mit zu den Rätselhaftigkeiten eines solchen Seelenzustands der Dämonie.“ Drewermann 2 Diese Deutung beginnt wie die erste, geht aber tiefer. Zwar steht auch hier die heidnische Frau in ihrer Verzweiflung „stellvertretend für alle Mütter, die mit der Erziehung ihrer Kinder nicht weiter wissen.“ Aber: „Kann es nicht sein, dass die liebende Sorge der Mutter um ihr Kind dieses so unter angstvollen Druck setzt, dass es wie besessen von einer fremden geistigen Macht erscheint?“ Ja, das kann sein, weiß der gelernte Therapeut: „Die erstickende Fürsorge der Mutter gegenüber ihrer Tochter kann das heranwachsende Mädchen daran hindern, selber zu denken, selber zu fühlen, selber zu leben, selber zu sein. Ständig ist es genötigt, zu horchen und zu spüren, was wohl die Mutter denkt – wo sich etwas Eigenes melden möchte, tritt eine Gegenmacht auf den Plan, die sich tonbandartig über alles legt!“ Selbst, dass Jesus sie mit einem Hund vergleicht, ist für diese Mutter kein Hindernis – für ihre Tochter würde sie alles tun, 100 Meilen gehen, jeden Dienst verrichten. Und nie verstehen, das gerade diese Fürsorge das völlige Unglück ist für den Menschen, den sie liebt. Das also ist das Thema dieser zweiten Deutung: „Wie findet man aus der >Dämonie<, aus der Verheerung der Angst, zu einer Geborgenheit zurück, durch die die Tochter wieder zu leben vermöchte?“ Jesus löst diesen Konflikt, der nicht mit gutem Willen, guten Worten und Moral zu lösen ist, indem er seine eigene Ordnung auf den Kopf stellt. Seine Jünger hat er gelehrt zu beten „Dein Wille geschehe“, und mit dem „dein“ war Gott gemeint. Jesus sagt zu der ihn bittenden Frau „Dir geschehe, wie du willst!“ Das löst mit einem Schlag den Konflikt auf – Heilung für die Mutter, Heilung für die Tochter. Drewermann 3 In einem ergänzenden Kapitel seiner Erläuterungen zum Markus-Evangelium nimmt Drewermann die erste Deutung auf, schildert noch einmal die Not und den heroischen Einsatz der Mutter: „Jede Form der Demütigung nimmt sie in Kauf. Sie entäußert sich dabei bis zu einer Art des Flehens, die man hündisch nennen müsste, sähe man darin nicht gerade die Größe ihrer Menschlichkeit.“ Aaaaaber: „Wie ist es möglich, dass diese Frau trotzdem in der Gewissheit nach Hause zurück kehrt, ihre Tochter geheilt anzutreffen? Am nächsten liegt die Annahme, der Ursprung der Heilung sei wesentlich in der Frau selber gelegen; man müsste dann aber zu dem Schluss gelangen, dass in psychologischem Sinne auch die Ursache für die Krankheit ihrer Tochter in dieser Frau selber ihren Grund habe.“ Damit schafft Drewermann die Kurve zu einer psychologischen Szene, die ähnlich jener in der zweiten Deutung ist. Er beschreibt die heidnische Frau als eine fürsorgliche alleinerziehende Mutter – von einem Mann ist in der biblischen Erzählung nirgends die Rede – die sich an ihr einziges, ihr „Ergänz-mich-Kind“ klammert. „Dieses Kind ist ihre Zukunft, ihr Ehrgeiz, ihre Hoffnung, ihre Stütze und ihr Trost.“ Es muss dadurch aber fast schon zwangsläufig zu einem Gegenstand der Unruhe, Angst und Not werden. Vielleicht entwickelt das Kind sich nicht so, wie die Mutter es erhofft – „die Mutter spürt deshalb die Pflicht, es doppelt in die Pflege zu nehmen; und ohne es zu wissen erreicht sie damit schließlich nur, dass die Tochter immer entmutigter und resignierter wird, bis sie schließlich alles Selbstvertrauen verliert; am Ende wagt sie es nicht mehr, auch nur zwei Schritte zu tun, ohne die Mutter zu fragen, ob es so richtig ist.“ Die Mutter weiß nicht, dass es ihre eigene Angst ist, die sich in den Gedanken der Tochter als Dämon verdichtet. Ein Teufelskreis. Solche Mechanismen gibt es nicht nur zwischen Mutter und Tochter, schreibt Drewermann. „Auch Erwachsene machen einander gern zu kleinen Kindern.“ Im Gefälle des Patriarchalismus seien es vor allem die Männer, die ihre Frauen in Unselbständigkeit und Abhängigkeit halten: „Man selber tut sich schwer, glücklich zu sein – also darf es der Mensch an unserer Seite auch nicht sein.“ Zur Heilung von Mutter und Tochter in der biblischen Geschichte kann es dann, so spekuliert Drewermann, gekommen sein, weil die Bittstellerin verstanden hatte, dass Jesus um seiner selbst Willen Grenzen gesetzt hatte: „Möglicherweise wurde ihr erst in diesem Moment deutlich, dass selbst derjenige, den sie als ihren Retter und Heiland anfleht, ein Recht hat, sich einzuschränken. Um wie viel mehr dann sie selbst! Hat doch auch ihre eigene Verantwortung ihr Maß.“ Dann reichte ein Wort der Beruhigung zur Wende: Deine Tochter ist gesund! „Es ist sehr gut möglich, dass diese Frau, mit einem solchen Wort im Ohr und einem solchen Gefühl im Herzen vollkommen anders zurück ging und schon deswegen ihre Tochter auch anders vorfand. Denn eine Frau hat eine andere Tochter, je nachdem, inwieweit sie selber Angst hat oder nicht.“ Schlusswort Ob man eine dieser psychologischen Deutungen und welche davon für richtig hält, hängt sicher nicht nur von dem biblischen Text, sondern auch von der eigenen Psyche und Verfasstheit ab. Vielleicht erkennt mancher sogar seine eigene Lebenssituation oder die von Verwandten oder Freunden darin wieder. Ich selber kann eine gewisse Skepsis nicht verhehlen, bin Eugen Drewermann aber doch dankbar für seine Erläuterungen, denn dabei fand ich einen Satz, den ich nur unterschreiben kann und deshalb hier auch als Schlusswort hin schreibe: „Am Ende leben wir allesamt doch nur von der Liebe. Sie allein ist das ganze Wunder.“ Alfons Die wichtigste benutzte Literatur: Neues Testament: Lutherübersetzung, Einheitsübersetzung, Elberfelder, Münchener Schnelle: Theologie des Neuen Testaments Schnelle: Einleitung in das Neue Testament Conzelmann/Lindemann: Arbeitsbuch zum Neuen Testament Meinrad Limbeck: Stuttgarter Kleiner Kommentar (Matthäus & Markus) Ebner/Schreiber: Einleitung in das NT Theißen/Merz: Der historischer Jesus Drewermann: Das Markus-Evangelium / Das Matthäus-Evangelium Bultmann: Geschichte der synoptischen Tradition 15 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Studiosus Geschrieben 1. September 2017 Melden Share Geschrieben 1. September 2017 (bearbeitet) Also läuft es wieder hinaus auf: Diese Perikope ist nicht historisch, es sind keine authentischen Herrenworte, alles "Gemeindebildung" der Urchristen in der Auseinandersetzung mit der Heidenmission.... Sorry, aber das hat mittlerweile auch schon so einen Bart ... Edit: Und Drewermann ist auch noch mit von der Partie. Und Bultmann. Saluti cordiali, Studiosus bearbeitet 1. September 2017 von Studiosus Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Studiosus Geschrieben 1. September 2017 Melden Share Geschrieben 1. September 2017 (bearbeitet) Da schiebe ich doch gleich noch das Zweite Vatikanische Konzil hinterher, das hier ja allgemeine Akzeptanz genießt. Dei Verbum 5, 19: 19. Unsere heilige Mutter, die Kirche, hat entschieden und unentwegt daran festgehalten und hält daran fest, daß die vier genannten Evangelien, deren Geschichtlichkeit sie ohne Bedenken bejaht, zuverlässig überliefern, was Jesus, der Sohn Gottes, in seinem Leben unter den Menschen zu deren ewigem Heil wirklich getan und gelehrt hat bis zu dem Tag, da er aufgenommen wurde (vgl. Apg 1,1-2). Die Apostel haben nach der Auffahrt des Herrn das, was er selbst gesagt und getan hatte, ihren Hörern mit jenem volleren Verständnis überliefert, das ihnen aus der Erfahrung der Verherrlichung Christi und aus dem Licht des Geistes der Wahrheit (2) zufloß (3). Die biblischen Verfasser aber haben die vier Evangelien redigiert, indem sie einiges aus dem vielen auswählten, das mündlich oder auch schon schriftlich überliefert war, indem sie anderes zu Überblicken zusammenzogen oder im Hinblick auf die Lage in den Kirchen verdeutlichten, indem sie schließlich die Form der Verkündigung beibehielten, doch immer so, daß ihre Mitteilungen über Jesus wahr und ehrlich waren (4). Denn ob sie nun aus eigenem Gedächtnis und Erinnern schrieben oder auf Grund des Zeugnisses jener, "die von Anfang an Augenzeugen und Diener des Wortes waren", es ging ihnen immer darum, daß wir die, Wahrheit" der Worte erkennen sollten, von denen wir Kunde erhalten haben (vgl. Lk 1,2-4). Zur Causa Drewermann muss man als Katholik wohl nicht mehr viel sagen. Dass dieser ernsthaft heute noch in exegetischer Absicht zitiert wird muss erheitern. Seine "Exegese", welche die Dogmen der Kirche durch die Dogmen der freudianischen Psychoanalyse ersetzt, war seinerzeit sogar den deutschen Modernisten zu viel. Was schon etwas heißen will. Siehe die damaligen Einlassungen von Degenhardt und Kasper zum Fall Drewermann. Ich sehe gerade: nicht nur Drewermann, sondern auch noch Bultmann. Fehlt eigentlich nur noch Lüdemann. Dann wäre die unheilige Trias komplett. Von Klaus Berger, übrigens Protestant, hält man hier wohl nichts. Dessen Lektüre kann, auch und gerade Katholiken, nur wärmstens empfohlen werden. Saluti cordiali, Studiosus. bearbeitet 1. September 2017 von Studiosus Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
nannyogg57 Geschrieben 1. September 2017 Melden Share Geschrieben 1. September 2017 (bearbeitet) Lieber Alfons, einfach nur Danke, das du dir so viel Mühe um eine wirklich komplizierte Perikope gemacht hast. Ohne Frage, es gibt keine einfachen Antworten, nur das Suchen, das Vermuten, das Hinterfragen, das Neudenken. Ein Glas Wasser, du weißt es, kann, unreflektiert gegeben, den Menschen in den Himmel bringen. Ich, nicht du, glaube an dieses Glas Wasser als Metapher. Mit der syrophönzinischen Frau sind wir dank deines Posts nicht durch, aber weiter. bearbeitet 1. September 2017 von nannyogg57 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Julius Geschrieben 2. September 2017 Melden Share Geschrieben 2. September 2017 (bearbeitet) vor 1 Stunde schrieb Studiosus: Klaus Berger habe ich Dir als protestantische (!) Alternative bereits genannt. Ist Dir mit dem Ausrufezeichen ein Tippfehler unterlaufen? Sollte es nicht ein Fragezeichen werden? bearbeitet 2. September 2017 von Julius Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Studiosus Geschrieben 2. September 2017 Melden Share Geschrieben 2. September 2017 (bearbeitet) vor einer Stunde schrieb Julius: Ist Dir mit dem Ausrufezeichen ein Tippfehler unterlaufen? Sollte es nicht ein Fragezeichen werden? Nein. Das war schon beabsichtigt. Die Umstände der Konversion (oder eben auch der nicht erfolgten Konversion) Bergers sind recht nebulös. Dass er sich (mittlerweile wieder) als Katholik definiert, muss man zur Kenntnis nehmen. Der größere Teil von Bergers wissenschaftlichem Schaffen stammt hingegen aus seiner Zeit als Professor an der evangelischen-theologischen Fakultät an der Universität Heidelberg. Daher mein Hinweis auf "protestantisch". Im Prinzip ist mir seine Konfession auch gleichgültig. Seine exegetische Methode ist von tiefem Glauben durchzogen und stellt einen bemerkenswerten Kontrast zur "normalen" Exegese (siehe die anderen Beiträge) dar. P.S.: Der verlinkte Artikel verlangt eine Registrierung. Ich gehe aber davon aus, dass dort auch nur die bekannte Version bzgl. seiner Konversion zu lesen ist. Saluti cordiali, Studiosus. bearbeitet 2. September 2017 von Studiosus Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Dies ist ein beliebter Beitrag. Alfons Geschrieben 2. September 2017 Dies ist ein beliebter Beitrag. Melden Share Geschrieben 2. September 2017 (bearbeitet) vor 9 Stunden schrieb Studiosus: Von Klaus Berger, übrigens Protestant, hält man hier wohl nichts. Dessen Lektüre kann, auch und gerade Katholiken, nur wärmstens empfohlen werden. Von Klaus Berger, übrigens Katholik, hatte ich beim Schreiben meines obigen Aufsatzes sein Werk "Formen und Gattungen im Neuen Testament" eingesehen, mich aber dann entschlossen, es nicht zu benutzen - nicht wegen seiner Exegesen, sondern weil ich bei seiner Systematik zu viele Fachbegriffe hätte übersetzen und erklären müssen: Epideixis, Demonstratio, Deesis, Petitio... Berger sieht, um das kurz zu erwähnen, den Kern der Erzählung ebenfalls in der Frage der Heidenmission: "In der Geschichte der Syrophönizierin steht außer Frage, dass Jesus das Wunder wirken kann, entscheidend ist hier nur, wem er es zukommen lässt. Der Dialog vor dem Wunder entscheidet hier als pars pro toto eine der Lebensfragen des frühen Christentums" (S. 366). Und: "So ist in der Erzählung (...) das Entscheidende der Dialog: In dieser Petitio wird der Widerstand Jesu gebrochen. Dann kann auch - als fast selbstverständliche Konsequenz - das Wunder geschehen" (S. 370). Damit geht Berger stillschweigend selber von einer Gemeindebildung aus. Denn wenn Jesus diese "Lebensfrage des frühen Christentums" tatsächlich bereits zu seinen Lebzeiten entschieden hätte, wäre das Apostelkonzil gar nicht mehr nötig gewesen. Alfons bearbeitet 2. September 2017 von Alfons Rechtschreibung korrigiert, inhaltliche Ergänzung 4 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
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