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Basiert die Ablehnung "widernatürlicher Akte" auf einem Fehlschluss?


iskander

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vor 29 Minuten schrieb Flo77:

Der Fehler im System ist die Bewertung eines völlig natürlichen Verhaltens als "Sünde".

 

In Ordnung, so kann man das natürlich auch sehen. Wenn man die katholische Kirche sozusagen als Rechtsnachfolgerin des antiken Pharisäertums ansieht, dann erübrigt sich die weitere Diskussion. Dann ist es in der Tat so, dass die Kirche den Menschen Schuldgefühle einredet, die sie gar nicht haben müssten. Warum eigentlich? Aus Menschenfeindlichkeit? 

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vor 1 Minute schrieb Studiosus:

Dann ist es in der Tat so, dass die Kirche den Menschen Schuldgefühle einredet, die sie gar nicht haben müssten. Warum eigentlich? Aus Menschenfeindlichkeit? 

 

Nein, um sie zu kontrollieren. Sie redet ihnen Schuldgefühle ein, die nur sie, die Kirche, ihnen wieder nehmen kann, im Tausch gegen Unterordnung. Herrschen durch Angst. Hat ziemlich lange und erfolgreich funktioniert. 

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vor 11 Minuten schrieb Marcellinus:

Hat ziemlich lange und erfolgreich funktioniert. 

 

Gut, dass Du den Satz noch angefügt hast. Denn das ist doch der Punkt: Das liegt in der Vergangenheit. Wenn ich anderen hier zuhöre, dann scheinen sie aber von der Gegenwart zu sprechen. In der Gegenwart nehme ich diese "Herrschaft durch Angst" nicht wahr oder sie funktioniert denkbar schlecht. Heute gibt es z. B. unter den Augen der Bischöfe die (meiner Meinung nach) schlimmsten Entgleisungen durch die Gläubigen, auf moralischer Ebene, aber auch auf anderen Gebieten. Besonders eingeschüchtert oder in Geowissensnot kommen mir diese sehr selbstbewusst auftretenden Gläubigen nicht vor. 

bearbeitet von Studiosus
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Geschrieben (bearbeitet)

@rorro
 

Zitat

Wut und daraus resultierende Gewalt können auch ganz natürlich sein.

 

Lügen können ganz natürlich sein.

 

Was „natürlich“ ist, hängt viel mehr von den Werten ab als von der Natur.

 

Emotionen und Triebe sind natürlich. Ob wir sie ausleben dagegen nicht.

 

 

Dazu nochmals Pfürtner:

 

"Die katholische Lehre vom «Natürlichen Sittengesetz » (lex naturalis) oder vom «Naturrecht» (ius naturale) hat ihr Verständnis des <Natürlichen> in Anlehnung an ARISTOTELES nicht zuletzt von dem gewonnen, «was bei den meisten vorkommt» (quod ut in pluribus accidit). Nach THOMAS VON AQUIN gehört «zum natürlichen Sittensetz [sic] all das, wozu der Mensch gemäß seiner Natur eine Neigung hat» (<Summa Theologiae> I-lI 94,3). Wenn unsere <sittliche Natur> auch nicht schlechthin von dem zu bestimmen ist, was unsere <Triebnatur> uns eingibt, so sind doch unsere realen Triebneigungen unbedingt zu beachten, soll herausgefunden werden, was für uns auch unter ethischem Aspekt natürlich oder unnatürlich ist."

 

Es gibt nun gute Gründe dafür, dass man Kinder dazu erzieht, Gewalt nach Möglichkeit zu meiden und ihrer Wut nicht freien Lauf zu lassen. Zudem ist diese Erziehung in vielen Fällen erfolgreich - es gibt genug Leute die, wenn sie nicht angegriffen werden, auch niemanden schlagen.

 

Wie sieht es nun mit den Gründen aus, junge Menschen zu völlig asexuellen Wesen erziehen zu wollen? Gibt es dafür irgendein Argument neben dem Fehlschluss "Gott will, dass der Mensch seine Sexualität (unter gewissen Bedingungen) im Rahmen der Ehe gebraucht - also will er, dass er seine Sexualität NUR im Rahmen der Ehe gebraucht?"

 

Und was wird man erreichen? Dass junge Menschen aufhören geschlechtliche Wesen zu sein? Oder dass sie weiterhin geschlechtliche Wesen sind, aber solche mit Schuldgefühlen? Ich finde es auf die Schelle nicht, aber wenn ich mich richtig entsinne, masturbieren beispielsweise religiöse Jugendliche ähnlich häufig wie nicht-religiöse, nur häufiger mit Schuldgefühlen. Man darf sich auch fragen, was die Früchte eines Baumes sind, oder?

 

Und selbst wenn das Ziel erreicht würde, was würde es nutzen? Wie soll ein junger Mensch, der (idealerweise) nie eine sexuelle Regung erlebt hat (denn die ist im günstigsten Fall eine Gefahr zur Sünde und im schlechteren eine aktuelle Sünde), denn reif für eine erfüllte Ehe sein? Wie soll er denn einen Partner finden, wenn keinerlei Anziehung im Spiel ist, die auch eine sexuelle Komponente hat?

 

Und was sind die Folgen? Psychische Gesundheit und die Fähigkeit zu gesunden sexuellen Beziehungen? Das scheint doch sehr zweifelhaft zu sein.

Dass diese Art der Sexualmoral Schaden hervorruft, scheint unter Kliniker vielmehr weitestgehend Konsens zu sein:

 

"All clinicians interviewed unanimously supported the hypothesis of this research as fact [...] These medical doctors, psychologists, psychiatrists, and sex therapists acknowledged that they each have treated numerous cases of people suffering damage from the strict observance of sexual orthodoxy in Protestant, Catholic, and Jewish denominations. Anxiety, fear, and guilt tend to be the major symptomatology in Catholics. Clinicians do not appear to value religion less--quite the contrary. However, they do universally reject the needless suffering and damage they view in Catholics and especially all the defense mechanisms religious people use to deny or repress this pathology."

(So M.S. Patton, siehe hier.)

 

Und auch wenn Deschner zur Polemik neigt, so referiert er gewöhnlich korrekt: "Wen wundert’s, daß nach Kinseys umfangreichen Erhebungen die streng katholischen Frauen ihren ersten Orgasmus sechs oder sieben Jahre später erreichen als die inaktiven Katholikinnen? Daß 21 Prozent der von Kinsey befragten streng katholischen Frauen ihren ersten Orgasmus mit fünfunddreißig Jahren hatten, obwohl die meisten von ihnen verheiratet waren und regelmäßig koitierten [1764]?"

 

Dazu passt auch, dass die Rate von Vaginismus im besonders streng kath. Irland höher war als anderswo in Europa.

 

Und das ist nicht alles. Schon 1969 kam die "President's Commission on Obscenity and Pornography" in den USA zu folgenden Ergebnissen (siehe hier S. 242 f.):

 

"A growing body of research literature on the etiology of sexual offenders emphasizes the etiological difference between sex offenders and other adults in sexual development. Research shows that the early social enviroments of sex defenders may be characterized as sexual repressive and deprieved. [...] Sex offenders' histories reveal a succession of immature and impersonal sociosexual relationships, rigid sexual attitudes and conservative behavior (Amir, 1965; DeRiver, 1956; Gagnon and Simon, 1967b; Galbraith & Mosher, 1968; Gebhard, [sic] et al., 1965; Karpman, 1954; Leiman and Epstein, 1961;  Reinhardt, 1957; Thorne and Haupt, 1966).

Such literature, coupled with the studies reported in this chapter, suggest that sex offenders' inexperience with erotic material is a reflection of their generally more deprieved sexual enviroment. [...]

Research suggests that childhood experiences which encourage sexual repression and inhibition of sexual curiosity are associated with psychosexual maladjustement and antisocial sexual behavior."

 

Viele Jahre später kommt Diamond (siehe hier) zu ganz ähnlichen Schlussfolgerungen, wobei er explizit die Rolle eines religiösen Hintergrundes hervorhebt:

 

"Most frequently, as it was found in the 1960s before the influx of sexually explicit materials in the United States, those who committed sex crimes typically had less exposure to SEM [sexually explicit material] in their background than others and the offenders generally were individuals usually deeply religious and socially and politically conservative (Gebhard, Gagnon, Pomeroy, & Christenson, 1965). Since then, most researchers have found similarly (e.g., Ward & Kruttschnitt, 1983). The upbringing of sex offenders was usually sexually repressive, often they had an overtly religious background and held rigid conservative attitudes toward sexuality (Conyers & Harvey, 1996; Dougher, 1988); their upbringing had usually been ritualistically moralistic and conservative rather than permissive."

 

Was also bringt die ganze streng katholische Moral? Allem Anschein nach führt sie nicht dazu, dass die Menschen bis zur Ehe komplett asexuelle Wesen bleiben (erneut: Wäre das wirklich wünschenswert?), sondern dass sie vermehrt Schuldgefühle und Probleme haben.

 

Klar, man kann sich auf den Boden stellen, dass das alles nicht sein kann, weil die Kirche ja nicht Unrecht haben kann. Damit schottet man sich im Grunde gegen jedes Argument ab. Zumal da sich die Kirche ja - nach ihren eigenen Maßstäben - in der Vergangenheit gründlich geirrt hat, auch in Sachen Sexualmoral.

 

Ist sich die kath. Kirche eigentlich im Klaren darüber, welch eine unermessliche Schuldsie auf sich geladen hat und weiterhin auf sich lädt, falls sie sich doch irren sollte?

 

bearbeitet von iskander
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Geschrieben (bearbeitet)
vor 1 Stunde schrieb Studiosus:

In Ordnung, so kann man das natürlich auch sehen. Wenn man die katholische Kirche sozusagen als Rechtsnachfolgerin des antiken Pharisäertums ansieht, dann erübrigt sich die weitere Diskussion. Dann ist es in der Tat so, dass die Kirche den Menschen Schuldgefühle einredet, die sie gar nicht haben müssten. Warum eigentlich? Aus Menschenfeindlichkeit? 

 

Ich würde ja gerne verstehen, wie die Kirche argumentiert. Vielleicht hat sie ja Argumente, die (zumindest vor dem Hintergrund eines theistischen Weltbildes) Sinn ergeben?

 

Aber was sagt die Kirche denn? Wenn ich sie (und auch Thomas von Aquin) richtig verstehe, geht die zentrale Argumentation in etwa so:

 

"Die Natur ist von Gott so eingerichtet worden, dass der Mensch mithilfe seiner Sexualität Kinder zeugen kann."

"Also ist es Gottes aus der Natur erkennbarer Wille, dass der Mensch seine Sexualität in der Tat dazu nutzt, mit einem (ehelichen) Partner des anderen Geschlechts Kinder zu zeugen." (Oder nach moderner Lesart: Einen Geschlechtsverkehr zu haben, der zumindest prinzipiell "offen" für die Zeugung von Kindern ist.)

"Also will Gott, dass der Mensch es unterlässt, seine Sexualität auch auf eine andere Weise als zur Zeugung zu gebrauchen."

 

Nun: Dieses Argument wäre absolut sinnvoll, wenn die Zeugung von Kindern mit anderen sexuellen Akten unvereinbar wäre!

 

Nehmen wir beispielsweise an, dass Gott möchte, dass ein jugendlicher Junge später einmal keine Kinder mehr mit seiner Ehefrau zeugen wird. Wir nehmen jedoch an, dass der Junge masturbiert und dass dadurch ein künftiges Zeugen von Kindern unmöglich sein wird (etwa weil sein Same endlich ist und zu früh aufgebraucht sein wird).

 

In diesem Fall hätten wir eine klare Unvereinbarkeit: Entweder der Junge onaniert oder er kommt Gottes Willen nach und zeugt später Kinder! Beides wäre nicht zugleich möglich!

Die Dinge lägen dann ganz einfach einfach. Aus dem Imperativ, später in der Ehe Kinder zu zeugen, ergäbe sich dann ganz automatisch und logisch zwingend auch der Imperativ, nicht zu masturbieren (eben weil das eine mit dem anderen unverträglich wäre)!

Indem ein Mensch verpflichtet wäre, seine Sexualität zur Zeugung zu gebrauchen, wäre er auch verpflichtet, alle anderen Verwendungen zu unterlassen - denn beides ginge ja nicht.

 

Nur ist es ja aber nicht so, weil unsere Annahme biologisch falsch ist: Auch ein Junge, der heute masturbiert, kann in einer künftigen Ehe problemlos zahlreiche Kinder zeugen. Seine heutige Masturbation hat auf die künftige Zeugung keinen negativen Einfluss, nicht einmal einen minimalen.

Er kann also beides: Masturbieren und vollumfänglich denjenigen göttlichen Willen erfüllen, welcher darin besteht, in einer künftigen Ehe Kinder zu zeugen. Es besteht hier also keine Unvereinbarkeit und somit auch kein Widerspruch.

 

Was man hier also für die Rechtfertigung eines Verbots bräuchte, ist nicht der Satz:

 

"Gott will, dass der Mensch seine Sexualität dazu benutzt, Kinder in der Ehe zu zeugen."

 

Denn das geht in vielen Fällen eben auch dann, wenn der Mensch seine Sexualität zusätzlich auch noch anders nutzt. Vielmehr bräuchte man folgenden, wesentlich weitergehenden Satz:

 

"Gott will, dass der Mensch seine Sexualität NUR dazu benutzt, Kinder in der Ehe zu zeugen."

 

(Oder etwas Entsprechendes, falls es nicht um Kinderzeugung, sondern um den für Kinder "offenen" Geschlechtsverkehr gehen soll.

 

Und für diesen zweiten Satz mit dem "nur" habe ich noch nirgendwo eine Begründung gelesen: Nicht in offiziellen kirchlichen Dokumenten, nicht bei Thomas von Aquin, nicht bei Protestanten die ähnlich argumentieren...

 

(Ich möchte mit meinem Beitrag niemanden provozieren und auch nicht ausschließen, dass es mir unbekannte Argumente geben mag. Ich will nur erklären, wieso ich die kirchliche Argumentation bisher nicht nachvollziehen konnte.)

bearbeitet von iskander
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vor 6 Stunden schrieb Studiosus:

 

Gut, dass Du den Satz noch angefügt hast. Denn das ist doch der Punkt: Das liegt in der Vergangenheit. Wenn ich anderen hier zuhöre, dann scheinen sie aber von der Gegenwart zu sprechen. In der Gegenwart nehme ich diese "Herrschaft durch Angst" nicht wahr oder sie funktioniert denkbar schlecht.

Du redest von der Praxis. Die kirchliche Theorie, auf die gerade Du doch so einen großen Wert legst, hat sich aber keinen Deut geändert.

 

Es wird von den Leuten schlicht ignoriert. Zumindest hierzulande. Aber die Lehre besteht immer noch.

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vor 2 Stunden schrieb Flo77:

Keine Argumente seitens der Kirche?

Wie soll man das Unbegründbare begründen?

 

Werner

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vor 9 Stunden schrieb Studiosus:
vor 10 Stunden schrieb Marcellinus:

Hat ziemlich lange und erfolgreich funktioniert. 

 

Gut, dass Du den Satz noch angefügt hast.


Alles andere wäre nicht ehrlich gewesen.

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vor 9 Stunden schrieb iskander:

Es gibt nun gute Gründe dafür, dass man Kinder dazu erzieht, Gewalt nach Möglichkeit zu meiden und ihrer Wut nicht freien Lauf zu lassen. Zudem ist diese Erziehung in vielen Fällen erfolgreich - es gibt genug Leute die, wenn sie nicht angegriffen werden, auch niemanden schlagen.

 

Diese Gründe sind allerdings rein wertebasiert.

 

Das hat mit Natürlichkeit nichts zu tun.

 

Natürlich - siehe bspw. unsere engsten Verwandten, die Schimpansen - wäre häufige Gewalt unter konkurrierenden Gruppen.

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vor 1 Minute schrieb rorro:

 

Diese Gründe sind allerdings rein wertebasiert.

 

Das hat mit Natürlichkeit nichts zu tun.

 

Natürlich - siehe bspw. unsere engsten Verwandten, die Schimpansen - wäre häufige Gewalt unter konkurrierenden Gruppen.

Unsere bloße Existenz ist genaugenommen ein Gewaltakt von der Zeugung über die Schwangerschaft und die Geburt bis zum Tod. Unser gesamtes Dasein beruht auf der Inanspruchnahme anderer Menschen und anderer Lebensformen.

 

Nun ist allerdings "Gewalt" ein Phänomen, bei dem es um die Interaktion wenigstens zweier Individuen geht. Die Triebkontrolle hat eine ebenso natürliche Funktion wie der Trieb selbst, da sie der eigenen Sicherheit und der eigenen sozialen Gesundheit dient. Wie überhaupt alle Werte und Normen die wir so erlernen primär dazu dienen unsere Position in unserer Gruppe zu sichern und unsere Existenz zu sichern.

 

Werte und Normen einer Gesellschaft sind allerdings wandelbar und in einem hohen Maß abhängig von den Lebensumständen und auch von äußeren Einflüssen.

 

Ich habe kein Problem mit Triebkontrolle, wo sie sinnvoll und notwendig ist. Bei dem was die Kirche verlangt fehlt mir allerdings völlig die Erklärung, wo der evolutionäre Nutzen ihrer Moral in unserer heutigen Gesellschaft liegen soll, der über die theoretisch-theologische Begründung hinausgeht.

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vor 57 Minuten schrieb rorro:
vor 10 Stunden schrieb iskander:

Es gibt nun gute Gründe dafür, dass man Kinder dazu erzieht, Gewalt nach Möglichkeit zu meiden und ihrer Wut nicht freien Lauf zu lassen. Zudem ist diese Erziehung in vielen Fällen erfolgreich - es gibt genug Leute die, wenn sie nicht angegriffen werden, auch niemanden schlagen.

 

Diese Gründe sind allerdings rein wertebasiert.

 

Das hat mit Natürlichkeit nichts zu tun.

 

Natürlich - siehe bspw. unsere engsten Verwandten, die Schimpansen - wäre häufige Gewalt unter konkurrierenden Gruppen.

 

Nein, mit Natürlichkeit hat das wirklich nichts zu tun. Es das Ergebnis des Prozesses der Zivilisation*. Die Impulskontrolle hat sich entwickelt zusammen mit der Staatenbildung, und kann sich ebenso wie sie wieder zurückentwickeln. Ansätze dafür sieht man auch bei uns.

_____
* siehe dazu: Norbert Elias, Über den Prozeß der Zivilisation

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vor 58 Minuten schrieb Flo77:

Ich habe kein Problem mit Triebkontrolle, wo sie sinnvoll und notwendig ist. Bei dem was die Kirche verlangt fehlt mir allerdings völlig die Erklärung, wo der evolutionäre Nutzen ihrer Moral in unserer heutigen Gesellschaft liegen soll, der über die theoretisch-theologische Begründung hinausgeht.

 

Ja dann sing doch beim Händewaschen "Alle meine Entchen" bis zum Ende und vergiss den Psalm, Herrgott nochmal. 

bearbeitet von Weihrauch
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vor 52 Minuten schrieb Flo77:

Unsere bloße Existenz ist genaugenommen ein Gewaltakt von der Zeugung über die Schwangerschaft und die Geburt bis zum Tod. Unser gesamtes Dasein beruht auf der Inanspruchnahme anderer Menschen und anderer Lebensformen.

 

Nun ist allerdings "Gewalt" ein Phänomen, bei dem es um die Interaktion wenigstens zweier Individuen geht. Die Triebkontrolle hat eine ebenso natürliche Funktion wie der Trieb selbst, da sie der eigenen Sicherheit und der eigenen sozialen Gesundheit dient. Wie überhaupt alle Werte und Normen die wir so erlernen primär dazu dienen unsere Position in unserer Gruppe zu sichern und unsere Existenz zu sichern.

 

Werte und Normen einer Gesellschaft sind allerdings wandelbar und in einem hohen Maß abhängig von den Lebensumständen und auch von äußeren Einflüssen.

 

Ich habe kein Problem mit Triebkontrolle, wo sie sinnvoll und notwendig ist. Bei dem was die Kirche verlangt fehlt mir allerdings völlig die Erklärung, wo der evolutionäre Nutzen ihrer Moral in unserer heutigen Gesellschaft liegen soll, der über die theoretisch-theologische Begründung hinausgeht.

 

Wieso muss denn die Kirche Deiner Meinung nach utilitaristisch argumentieren?

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vor 3 Minuten schrieb Marcellinus:

Nein, mit Natürlichkeit hat das wirklich nichts zu tun. Es das Ergebnis des Prozesses der Zivilisation*. Die Impulskontrolle hat sich entwickelt zusammen mit der Staatenbildung, und kann sich ebenso wie sie wieder zurückentwickeln. Ansätze dafür sieht man auch bei uns.

_____
* siehe dazu: Norbert Elias, Über den Prozeß der Zivilisation

 

Die Impulskontrolle des Einzelnen scheint mir deutlich älter zu sein als die Staatenbildung…

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vor 6 Minuten schrieb rorro:

Die Impulskontrolle des Einzelnen scheint mir deutlich älter zu sein als die Staatenbildung…

Natürlich, als Anlage existiert sie auch schon bei den Schimpansen. Aber die Form einer gleichmäßigen Pazifizierung der zwischenmenschlichen Beziehungen entwickelt sich erst mit den Sozialstrukturen eines allgemein Landfriedens. Näheres im oben genannten Literaturhinweis. Ansonsten führt das ja wohl zu weit.

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vor 21 Minuten schrieb rorro:

 

Wieso muss denn die Kirche Deiner Meinung nach utilitaristisch argumentieren?

Natürlich "muss" die Kirche nicht utilitaristisch argumentieren.

 

Rein philosophische Argumente haben halt relativ wenig praktische Wirkung.

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vor einer Stunde schrieb Flo77:

Rein philosophische Argumente haben halt relativ wenig praktische Wirkung.

 

Das hat Jesus auch schon nicht interessiert. Er war alles andere als ein Utilitarist.

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vor 14 Minuten schrieb rorro:

 

Das hat Jesus auch schon nicht interessiert. Er war alles andere als ein Utilitarist.

Das sehe ich völlig anders. Das, was an Hinweisen da ist - was wenig genug ist - deutet auf einen ausgesprochenen Pragmatiker hin. Idealist auf jeden Fall, aber situativ-pragmatisch. Werden wir in diesem Leben allerdings nicht mehr klären können, da wir nunmal nur die Thesis-Schriften der ersten christlichen Theologieinteressierten haben.

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vor 29 Minuten schrieb Flo77:

Das sehe ich völlig anders. Das, was an Hinweisen da ist - was wenig genug ist - deutet auf einen ausgesprochenen Pragmatiker hin. Idealist auf jeden Fall, aber situativ-pragmatisch. Werden wir in diesem Leben allerdings nicht mehr klären können, da wir nunmal nur die Thesis-Schriften der ersten christlichen Theologieinteressierten haben.

 

Du sprachst von Utilitarismus, das ist was anderes als Pragmatismus (den Jesus übrigens in Moralfragen nicht zeigte - außer beim Geld).

 

Und bzgl. der historischen Glaubwürdigkeit der ersten Zeugnisse halte ich es mit dem Urteil der Kirche. Wieder einmal.

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vor 14 Stunden schrieb Studiosus:

 

In Ordnung, so kann man das natürlich auch sehen. Wenn man die katholische Kirche sozusagen als Rechtsnachfolgerin des antiken Pharisäertums ansieht, dann erübrigt sich die weitere Diskussion. Dann ist es in der Tat so, dass die Kirche den Menschen Schuldgefühle einredet, die sie gar nicht haben müssten. Warum eigentlich? Aus Menschenfeindlichkeit? 

 

 

vor 14 Stunden schrieb Marcellinus:

 

Nein, um sie zu kontrollieren. Sie redet ihnen Schuldgefühle ein, die nur sie, die Kirche, ihnen wieder nehmen kann, im Tausch gegen Unterordnung. Herrschen durch Angst. Hat ziemlich lange und erfolgreich funktioniert. 

 

Das mit dem Einreden von Schuldgefühlen und dem Herrschen durch Angst ist ein verlockender Gedanke, wenn man sich die eigene Sündhaftigkeit nicht eingestehen will oder kann. Das Ego kann sich soweit dagegen aufbäumen, dass sogar ein Abwenden von Gott und damit die Verneinung von Sünde überhaupt resultieren kann. Das ist doch wirklich ein potentiell ergiebiges Selbsterforschungsgebiet, der Widerstreit des Willens des Egos und des Willens Gottes, der freie Wille und die Bedingtheit des Heils.

 

 

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vor 7 Stunden schrieb Flo77:

Keine Argumente seitens der Kirche?

Wenn das, wofür argumentiert werden soll, schon unschlüssig ist, erübrigen sich Argumente. Man kann dann nur noch die Kommunikation erschweren oder abbrechen, aber in der Sache ist wohl nicht viel zu erwarten.

bearbeitet von Merkur
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@SteRo

Gibt dir keine Mühe! Ich bin ohne Religion aufgewachsen, habe nie einer Religion angehangen, und muß darum auch keine loswerden. Egal, ob Sündenvergebung, Heil oder Ausstieg aus dem Kreislauf der Wiedergeburten, ganz egal von wem diese religiösen Konzepte kommen, ob vom Bischof aus Rom, dem Kalif von Bagdad oder dem Dalai Lama, sie haben für mich höchstens historisches oder soziologisches Interesse. Aber einige der Debatten darum sind recht unterhaltsam, vor allem, wenn "Wahrheiten" mit dem Brustton der Überzeugung vorgetragen werden - und alle zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. ;)

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Geschrieben (bearbeitet)
vor 6 Stunden schrieb rorro:

Natürlich - siehe bspw. unsere engsten Verwandten, die Schimpansen - wäre häufige Gewalt unter konkurrierenden Gruppen.

 

Ja, und die Bonobos, die mit uns auch eng verwandt sind, sind weit friedlicher. Die Debatte um die "Natürlichkeit" bringt uns im Grunde auch nicht viel weiter. Aber wenn ein bestimmtes Verhalten so sehr im Menschen (seiner "Natur") verankert ist, dass der Versuch, ihn in dieser Hinsicht zu "verbessern", im Wesentlichen zu nichts führt außer zu Problemen, dann sollte man sich schon überlegen, ob das eigentlich wirklich sinnvoll ist.

 

Nochmals: Man kann die Leute relativ erfolgreich dazu erziehen, einigermaßen friedlich zusammenzuleben. Und es versteht auch jeder, dass das sinnvoll ist und mehr Probleme löst als schafft.

Beim Versuch hingegen, den Menschen in ein asexuelles Wesen zu verwandeln, ist genau das alles nicht gegeben. Weder ist ein Sinn dieses Versuchs erkennbar, noch gelingt er gut. Und allem Anschein nach hat er auch keine guten, sondern schlechte Folgen. 

 

(Zu den extremsten Negativ-Konsequenzen, die derartige Bestrebungen offenbar mit sich bringen können, fällt einem spontan Blaise Pascals Diktum ein: "Der Mensch ist weder Engel noch Tier, und das Unglück will es, dass wer einen Engel aus ihm machen will, ein Tier aus ihm macht.")

 

vor 5 Stunden schrieb rorro:

Wieso muss denn die Kirche Deiner Meinung nach utilitaristisch argumentieren?

 

Das hat nichts mit Utilitarismus zu tun, sondern damit, dass moralische Vorgaben einen (grundsätzlich erkennbaren) Sinn haben und nicht absurd sein sollten. Das ist übrigens "gut katholisch". Dazu Heinzmann im Hinblick auf Thomas v. Aquin:

 

"Keine Vorschrift verpflichtet nur deshalb, weil es sie gibt, gleich von wem sie aufgestellt wurde, auch nicht ein Gebot Gottes. Das Gute muß vielmehr getan werden, weil es gut ist und das Schlechte unterlassen werden, weil es schlecht ist, nicht weil es geboten oder verboten ist. Ein Gebot oder ein Gesetz bindet nur, insofern es durch das Wissen vermittelt ist (mediante scientia). Wissen besagt aber in diesem Zusammenhang nicht nur faktisches, äußeres Zur-Kenntnis-Nehmen, sondern Erfassen der Richtigkeit und inneren Einsichtigkeit des Gebotenen. Für Thomas ist die Einsicht in den Sachverhalt, eine Funktion der Vernunft also, der ausschlaggebende Bezugspunkt für die Sittlichkeit einer Handlung. Vernunftgemäß handeln heißt, moralisch handeln. [...]

Er [der Mensch] steht nicht unter Gesetzen und Geboten, die zufällig oder vielleicht sogar grundsätzlich nicht faßbar sind; denen er einfach ausgeliefert wäre. Er steht vielmehr in Freiheit ihnen gegenüber. Jede Autorität und jedes Gebot muß sich vor der Vernunft des Menschen verantworten. Er darf sich ihnen nicht blind unterwerfen, sondern muß sich an ihnen entscheiden."

 

Und natürlich sind die Gebote Gottes nicht nur vernünftig verstehbar, sondern sie dienen auch dem Wohl des Menschen. Thomas sagt:

 

"Denn Gott wird von uns nicht beleidigt, außer durch das, was wir gegen unser Wohl tun." ("Non enim Deus a nobis ofenditur, nisi ex eo quod contra nostrum bonum agimus.")

 

Das ist eine sehr "rationalistische" Haltung, und entsprechend wendet ja auch Paul VI. in Humane vitae keineswegs nur an Katholiken, sondern an alle Menschen guten Willens, und er beruft sich auch ausdrücklich und wiederholt auf die Vernunft. Und genauso hält es auch die Glaubenskongregation in Persona Humana, gebilligt von Paul VI:

 

"In Wirklichkeit jedoch weisen die göttliche Offenbarung und, in dem ihr eigenen Bereich, auch die philosophische Erkenntnis dadurch, daß sie echte Erfordernisse der Menschheit aufzeigen, notwendig auf die Existenz unveränderlicher Gesetze hin, die in die konstitutiven Elemente der menschlichen Natur eingeschrieben sind und die in allen vernunftbegabten Wesen als identisch erscheinen. [...] Nach der christlichen Überlieferung und der Lehre der Kirche wie auch nach dem Zeugnis der gesunden Vernunft beinhaltet die sittliche Ordnung der Sexualität Werte von so großer Bedeutung für das menschliche Leben, daß jede direkte Verletzung dieser Ordnung objektiv schwerwiegend ist [...]"

(Hervorhebungen selbstredend wieder von mir)

 

Und selbstredend geht die Kirche auch davon aus, dass ihre Sexualmoral dem Menschen nutzt und nicht schadet - und zwar wohl durchaus in einem prinzipiell einigermaßen "greifbaren" Sinne. So heißt es im KKK: 

 

"Keuschheit bedeutet die geglückte Integration der Geschlechtlichkeit in die Person und folglich die innere Einheit des Menschen in seinem leiblichen und geistigen Sein."

 

Die kath. Kirche (und ihre Tradition) lehrt eben gerade nicht, dass Gott dem Menschen irgendwelchen Gesetze gibt, die absurd oder grundsätzlich unverständlich wären oder ihm gar schaden würden. Im Gegenteil sind Gottes Gesetze (auch gerade im Bereich der Sexualität) einsichtig und vernünftig und tun dem Menschen gut.

 

Dieser rationale und empirische Dimension ist durchaus sympathisch. Sie bedeutet aber auch, dass es dann möglich ist, die Argumentation der Kirche zu analysieren und die vermeintlich günstigen Folgen der entsprechenden Moral mit der empirischen Wirklichkeit zu vergleichen.

 

Und genau das wurde in diesem Thread unternommen, unter anderem auch von mir. Und bisher ohne eine wirkliche argumentative Gegenrede "in der Sache selbst".

bearbeitet von iskander
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