Gerhard Ingold Geschrieben 2. März 2023 Melden Share Geschrieben 2. März 2023 vor 4 Stunden schrieb Flo77: Die Erbsünde ist in sofern schon die Ursache, weil sie die Sünde bzw. Unordnung enthält aus der alle anderen Sünden hervorgehen. Wäre er nicht der Sünde anheimgefallen, hätte der Täter nicht missbraucht. Wäre er nicht der Sünde anheimgefallen, hätten die Beichtväter der Täter anders und wirksamer reagiert. Wären sie nicht der Sünde anheimgefallen, hätten die Personalverantwortlichen schneller, gezielter und opferorientierter reagiert. Wären sie nicht der Sünde anheim gefallen, hätten die "Wegschauer" hingesehen. Wären sie nicht der Sünde anheim gefallen, hätten die Moraltheologen sich nicht 2000 Jahre darauf fokussiert alles in Bausch und bogen zu verdammen, was auch nur im entferntesten mit Sex zu tun hat. Wären sie nicht der Sünde anheim gefallen hätten die Menschen schon vor Jahrhunderten ein Verständnis für Kinderrechte, Kinderpsychologie und Entwicklungspsychologie entwickelt. Wäre der Mensch nicht als Wesen dieser Welt geschaffen, hätten wir das Problem nicht (wir wären nicht wir, aber das ist ein anderes Thema). Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen und für jedes "Wäre" würde sich eine logische Erklärung finden lassen, warum es doch und trotzallem geschehen ist. Und bei jedem "Wäre" kann man die Frage stellen: Wer hätte sich anders entscheiden können? Das ist nunmal der Preis, den eine Spezies zahlt, die ein abstraktes Denken und abstrakte Konzepte von "Gut" und "Böse" entwickelt sprich vom Baum der Erkenntnis gekostet hat (auch, wenn diese Anthropologische Deutung des Sündenfalls sicherlich wieder auf Unverständnis stößt und "nein, so hat die Bibel das aber nicht gemeint- immerhin war es ja schließlich der erste Mensch Adam, der reingebissen hat..." - dazu könnten wir auch mal einen Thread machen: Wieso ist es Adams Schuld, wenn Eva auf die Schlange reinfällt?). Ob man die Erbsünde bemühen muss, bezweifle ich. Die Maslowsche Bedürfnispyramide scheint mir genügend Aufschluss zu geben. Sobald wir Menschen unsere Grundbedürfnisse wie Essen, Trinken und Schlafen gesichert sehen, erwacht das Sicherheitsbedürfnis. Wir möchten die Grundbedürfnisse für uns und dann für die Familie sichern. Danach kommt der Familien-Clan usw. Zuletzt das Volk, das unsere Sprache spricht. Und hier vom Sicherheitsbedürfnis ausgehend, vergessen wir die Hemmungen und da entsteht Schuld. Für mich sind das, was in der Bibel steht, mythologische Erklärungsversuche der Menschen, die das Reden und Schreiben gelernt hatten. Ihnen fehlte aber psychologisches und erst psychopathologisches Wissen. Und dann hat man diese mythologischen Erklärungsversuche mit göttlicher Autorität versehen. Noch immer gibt es genügend Menschen, die die Bibel und dann den Koran fast oder wörtlich ernst nehmen. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Dies ist ein beliebter Beitrag. iskander Geschrieben 2. März 2023 Autor Dies ist ein beliebter Beitrag. Melden Share Geschrieben 2. März 2023 (bearbeitet) @Inge33 Am 1.3.2023 um 22:02 schrieb Inge33: Du verlinkst eine kirchliche Missbrauchsstatistik. Ich hatte nach der offiziellen Statistikkurve der Bundesregierung zu Sexualstraftaten in Verbindung mit Kindern und Jugendlichen seit 1950 gefragt, weil Du zwei, drei mal von ihr gesprochen hat. Die Kriminal-Statistik-Kurve befindet sich in dem von mir verlinkten Text, und zwar auf der von mir angegebenen Seite ("Bitte, hier S. 277."). Du hast stattdessen offenbar auf S. 276 geschaut, wo in der Tat eine kirchliche Statistik verlinkt ist. Am 1.3.2023 um 22:02 schrieb Inge33: Ich sagte daraufhin mehrfach, ich hätte Probebohrungen gemacht. Und diese zeigen, auch das hatte ich schon mehrfach gesagt, dass ein Link von reformpädagogischen Ideen zum Katholizismus da gewesen ist. Zeitungsleküre - auch das sagte ich schon mehrfach - konnte ihr übriges tun. Das stützt die Annahmen von Benedikt XVI. Mehr muss ich hier nicht machen. Ich habe eh genügend aus meiner Probebohrung geliefert. Ja, Du behauptest das. Nur ist diese Behauptung einfach nicht richtig. Deine gesamte Argumentation beruht leider auf Fehlschlüssen und dem systematischen Ausklammern großer Teile der widersprechenden Evidenz. Um dies ein wenig aufzulisten: 1) Fehlerhafte Argumente Fehlende Differenzierung: Die sexuelle Revolution ist ein polymorphes Phänomen mit vielen unterschiedlichen Ideen und Strömungen. Manche Ideen wurden breit rezipiert, manche nur in bestimmten Milieus. Das heißt aber auch: Man kann unmöglich ohne weiteres daraus, dass jemand eine bestimmte Facette der sexuellen Revolution akzeptiert, darauf schließen, dass er auch jede weitere Facette gutheißen würde; des gilt insbesondere, wenn es um eine "Facette" der sexuellen Revolution geht, die sich vergleichsweise wenig durchgesetzt hat und vergleichsweise umstritten ist. - Dass beispielsweise eine Zeitschrift mal eine nackte Frau abgebildet hat, heißt noch keineswegs, dass diese Zeitschrift oder ihre Leser pädophile Akte gebilligt hätten. - Dass jemand sich für reformpädagogische Ideen interessiert hat, impliziert eben auch noch lange nicht, dass er für pädophile Ideen zu haben gewesen wäre ("Reformpädagogik" ist eben auch ein weites Feld). Assoziative Beweisführung und fehlende Berücksichtigung der Zeitachse: - Wenn ein Sexualforscher, der einen Vortrag hält, sich - vermutlich zeitlich später - irgendwo anders positiv zu pädophilem Verhalten äußert, heißt das nicht, dass diejenigen, die den Vortrag veranstaltet oder gehört haben, pädophile Ideen befürwortet haben. - Wenn ein anderer Sexualforscher einen Vortrag zu einem Thema hält, das nichts mit der Pädophilie zu tun hat, mehrere Jahrzehnte später das pädophile Verhalten eines Freundes in unangemessener Weise entschuldigt (und sich dann eben hierfür entschuldigt), folgt daraus keineswegs, dass die Veranstalter des Vortrags oder die Zuhörer seinerzeit pädophile Ideen akzeptiert hätten. Fehlerhafte Analogien Kentler war zeitweise bei der evangelischen Kirche fest angestellt und blieb ihr offenbar auch danach eng verbunden, sprach auf ev. Kirchentagen usw. Obwohl man irgendwann von seinen "Pädo-Experimenten" wusste und sich intern auch distanziert hatte, tat man das lange nicht öffentlich. Dafür hat sich die EKD dann auch entschuldigt. Dein Argument geht nun offenbar so: Wenn die EKD ihre Fehler in dieser Sache einsieht, sollte es der Reform-Katholizismus auch tun! Allein daraus aber, dass die ev. Kirche etwas falsch gemacht hat, folgt nicht zwingend, dass der "Reform-Katholizismus" die gleichen Fehler gemacht hätte. Tatsächlich scheint der Reform-Katholizismus nicht einmal annäherungsweise eine so enge Verbindung zu Kentler gehabt zu haben wie die EKD. Die einzige Verbindung, von der wir etwas sicher wissen, wäre ein singulärer Vortrag Kentlers vor einer kath. Akademie, welcher keinen Bezug zur Pädophilie-Problematik hatte und von welchem Du berichtest. Verwechslung von Stichprobe (oder wenigstens einer hinreichend großen Anzahl von Belegbeispielen) mit unbelegten Behauptungen Die reine Behauptung, dass die damalige "Tagespresse" die eigene Position stützen würde, ist kein Beleg für eine These, sondern selbst erst mal nur eine Behauptung, die ihrerseits zumindest plausibel zu machen wäre. Hierzu wären wenigstens einige konkrete Belegbeispiele aufzuführen. Eine Stichprobe ("Bohrung") sollte sogar einigermaßen repräsentativ sein, also auch eventuell vorhandene kritische Artikel zur Pädophilie aus der gleichen Zeitspanne berücksichtigen. (Mein Eindruck aktuelleren Berichten über den damaligen Journalismus ist übrigens eher der, dass es zwar in manchen "linken" Blättern tatsächlich einige positive Berichte gab, aber dass das erst 1969 wirklich angefangen hat - also zu einem Zeitpunkt, als ein erheblicher Teil des Missbrauchs innerhalb der kath. bereits passiert oder mitten im Gange war.) Es stellt des Weiteren eine Umkehr des Beweislast dar, wenn andere Leute mittels umfangreicher Recherchen Deine These, dass die Tagespresse Deine Behauptung stützen würde, prüfen sollen, anstatt dass Du zumindest rudimentäre Belege bietest. Hinzu kommt, dass Du selbst Dich dem Anschein nach ebenfalls keineswegs gründlich mit der damaligen Presselandschaft auseinandergesetzt hast. Das heißt aber auch, dass Du Dich augenscheinlich auch nicht auf Deine eigene Kenntnis im Sinne eines Beleges (dem andere allerdings vertrauen müssten) berufen kannst. Hättest Du selbst gründlich recherchiert, könntest Du ohnehin wenigstens rudimentäre Belege für Deine These bieten (sofern diese denn wahr ist). Es ist ja auch umgekehrt kein Argument sondern nur eine Behauptung, wenn jemand beispielsweise einfach sagen würde, man könne es der damaligen (Kirchen-)Presse entnehmen, dass Pädophilie-Ideen innerhalb des Reform-Katholizismus keine oder höchstens eine absolut marginale Rolle gespielt hätten. Die fehlende Bereitschaft, Deine Aussagen konkret zu belegen, zeigt sich auch darin, dass Du trotz mehrfacher Nachfrage nicht sagst, worauf sich die von Dir berichtete Verteidigung eines Buches von Kentler durch eine kath. Zeitschrift genau bezog. Unzulässige Verallgemeinerung Einige wenige Einzelfälle können auf einen allgemeinen Trend hinweisen, müssen es aber nicht. Selbst wenn ein einzelner Vortrag von Kentler zu einem Nicht-Pädophilie-Thema ein Beleg dafür wäre, dass die Veranstalter des Vortrags pädophilen Ideen gegenüber positiv eingestellt waren, oder selbst wenn die singuläre Abbildung einer nackten Frau in einer auflagenschwachen und bald eingestellten Zeitschrift ein Argument dafür wäre, dass Herausgeber und Chefredakteur pädophilen Ideen nahestanden (was natürlich beides nicht der Fall ist), könnte es sich hier dennoch um Beispiele für vereinzelte Erscheinungen handeln, die höchstens für sehr kleine Teile des Progressiv-Katholizismus Rückschlüsse zulassen. Dass "der" Progressiv-Katholizismus in einem einigermaßen erheblichen Ausmaß pädophile Ideen akzeptiert hätte - so dass die Beeinflussung auch größerer Teile des Klerus plausibel wird -, bleibt also unbewiesen. Eine entsprechende Folgerung wäre nur durch eine umfassendere Untersuchung, durch eine erhebliche Anzahl von guten Beispielen oder durch eine echte, zufällig gewählte, hinreichend große und aussagekräftige Stichrobe belegbar. (Eine solche Stichproben-Untersuchung könnte ansatzweise etwa darin bestehen, dass man die sich alle Ausgaben der fünf einflussreichsten kath. Zeitschriften z.B. für das Jahr 1967 ansieht und prüft, wie häufig "progressive" kath. Autoren sich positiv zur Pädophilie äußern und wie oft andere progressive Autoren ihnen widersprechen.) Dein Vorgehen oder das Vorgehen das derjenigen, von denen Du Deine Informationen beziehst, besteht stattdessen vermutlich darin, ganz wenige und wie dargelegt kaum aussagekräftige Einzelfälle auszuwählen, die die eigene These bestätigen sollen. Damit wüsste man aber selbst dann, wenn die Beispiele tatsächlich aussagekräftig wären, nicht, ob da jemand in ein Wespennest gestochen oder nur ein paar völlig untypische Einzelfälle herausgefischt hat (oder irgendetwas dazwischen). 2) Nichtbeachtung von Gegenargumenten Zeitlicher Verlauf Du behauptest, dass der zeitliche Verlauf der sexuellen Revolution gut zur Häufigkeit des sexuellen Missbrauchs passe. Als Indikator für die sexuelle Revolution benennst Du die öffentliche Sichtbarkeit von erotischen Darstellungen. Deine These hat folgende Probleme: - Die 50er, und zumindest auch noch die frühen 60er, waren ziemlich prüde. Die sexuelle Liberalisierung kam erst langsam in gang. Öffentliche Darstellungen von Nacktheit/Erotik gab es kaum in der "Adenauer-Ära". Pädosexuelle Ideen gewannen erst Ende der 60er Jahre eine gewisse Popularität (und auch da nur innerhalb gewisser Milieus). Dennoch kam es bereits in den 50er- und frühen 60-er Jahren bereits zu einer erheblichen Anzahl von Missbrauchsfällen durch Kleriker. Das deckt sich also nicht. - Schaut man sich die Ersttäter an bzw. setzt man den Missbrauch in Relation zu den vorhandenen Priestern, war der sexuelle Missbrauch ohnehin schon relativ früh relativ stark ausgeprägt - mindestens Anfang der 60er Jahre, als pädosexuelle Ideen sicherlich noch nicht viel Zulauf hatten. - Es gibt keinerlei plausible Verbindung zwischen der Akzeptanz erotischen Darstellungen und der Akzeptanz von pädophilen Übergriffen. - Zumindest ab Ende der 90er-Jahre gab es wenigstens für etliche Jahre viel ziemlich explizite nächtliche Sex-Werbung auf den Privaten (und die Privaten hatte fast jeder). Dies aber ist eine Zeit, die nach Deiner eigenen Rechnung lange hinter der sexuellen Revolution liegt. Wir haben hier zwar eine "Sexualisierung", aber ohne viel Missbrauch durch Kleriker (soweit bekannt). - Die Kriminalstatistik spricht (jedenfalls im Fall Deutschland, andere habe ich nicht) stark gegen die Annahme, dass die sexuelle Revolution mit einer Zunahme von sexuellem Missbrauch innerhalb der Allgemeinbevölkerung verbunden wäre. Es ist schwer erklärbar, wieso die sexuelle Revolution auf Priester angeblich anders gewirkt haben sollte als auf die übrigen Männer im Lande. Soweit ich das sehe, hast Du nicht nur keinen dieser Kritikpunkte entkräftet (wobei wir den einen oder anderen ja auch noch diskutieren), sondern bist auf manche (etwa den mit der nächtlichen TV-Werbung) noch nicht einmal eingegangen. Mutmaßlich fehlende Übertragbarkeit der deutschen Situation auf andere Länder am Beispiel USA Wie ich schon sagte, konnte ich trotz entsprechender Recherche keine Hinweise darauf finden, dass beispielsweise in den USA im Rahmen der sexuellen Revolution pädophile Bestrebungen einen auch nur moderaten Zuspruch erhalten hätten. Alle Artikel, die ich (auch im Rahmen einer weiteren Recherche) finden konnte, bezogen sich auf Deutschland und Frankreich. Selbst scharfe US-amerikanische Kritiker der sexuellen Revolution scheinen ihr wenigstens nicht vorzuwerfen, sie habe sich für die Akzeptanz pädosexueller Kontakte eingesetzt. Auch der englischsprachige Wikipedia-Artikel "Sexual Revolution" (siehe hier), der sich vor allem auf die USA bezieht, scheint das Thema "Pädophilie" nirgendwo auch nur zu streifen, mit einer Ausnahme: Das 1975 erschienene Buch "Zeig mal!", welches wohl zumindest im Vorwort eine positive Äußerung zu pädophilem Verhalten beinhaltet, erntete sowohl Zuspruch als auch Kritik, wurde aber aus dem Verkehr gezogen. Und das war wie gesagt 1975, also zu einer Zeit, als ein Großteil des Missbrauchs in den USA bereits passiert war. Es hat also zumindest den Anschein, dass die sexuelle Revolution jedenfalls in den USA bestenfalls in einem geringfügigen Maße zur Akzeptanz pädosexueller Handlungen geführt hat - und doch gab es auch in den USA zahlreiche Fälle von klerikalem Missbrauch. Wie kann man dort dann die Missbrauchs-Fälle mit der Verbreitung pädosexueller Ideen infolge der sexuellen Revolution erklären? (Den Hinweis auf den Wikipedia-Artikel habe ich erst jetzt zu unserer Diskussion hinzugefügt, nachdem ich nochmals recherchiert hatte.) Selektiver Umgang mit Zeitzeugen: - Den Aussagen zweier Zeitzeugen, die sich selbst einen Eindruck von der fraglichen Zeit und dem damaligen gesellschaftlichen Klima machen konnten, schenkst Du keine Beachtung. Ein dritter Zeitzeuge (m/w/d), dessen Identität ich vergessen habe, erklärte, dass er/sie es für sinnlos erachte, etwas zu sagen, weil Dich Zeitzeugen ja eh nicht interessieren würden. - Gleichzeitig scheinst Du die Einlassungen von Benedikt als ein authentisches und aussagekräftiges Zeugnis zu verstehen - und dies, obwohl Benedikt sich mit extrem hoher Wahrscheinlichkeit mindestens in einem Punkt grob irrt, und obwohl auch weitere Darstellungen von ihm vermutlich eher auf ungeprüften Gerüchten als auf eigenen Erfahrungen, verlässlichen Erinnerungen Dritter oder solider Recherche beruhen (siehe S. 1 dieses Threads). Fehlende Beachtung der Zeugnisse der Täter Nehmen wir an, die meisten klerikalen Täter haben ihre Taten tatsächlich maßgeblich deswegen begangen, weil sie (jedenfalls bis zu einem gewissen Grade) glaubten, was in der Öffentlichkeit angeblich weithin vermittelt wurde, nämlich dass sexuelle Handlungen mit Kindern okay seien. Dann würden wir unbedingt erwarten, dass zumindest ein erheblicher Teil der Täter diesen Zusammenhang auch im Begutachtungs-Prozess oder bei entsprechenden Interviews zur Sprache bringt, zumal das den Täter in ein besseres Licht rücken würde. Zumindest nach allem, was ich bisher gelesen habe, und auch nach allem, was @Chrysologus, der ja eine Reihe von Gutachten gelesen hat, sagt, gibt es dafür aber keinerlei Anhaltspunkte. Um dies "wegerklären" zu wollen, müsste man Vermutungen anstellen, die weit unplausibler sind als jede "psychoanalytische" Theorie, über die Du die Nase rümpfst. Diese Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit; es geht mir hier um Nennung einige besonders markante Beispiele, die zeigen, dass Deine Argumentation ungenügend ist und dass Du zahlreiche kritische Einwände, zum Teil gravierende, nicht beantworten kannst, sofern Du sie überhaupt beachtest. Die typische Argumentation von Dir besteht dann darin, dass Du die entsprechende Kritik unbeachtet lässt und Deine jeweilige Behauptung einfach erneut vorbringst. Am 1.3.2023 um 22:02 schrieb Inge33: Du hast hier Seiten damit gefüllt, mit ihnen das zu machen, was Du zu Anfang dieses Threads mit den Aussagen von Benedikt XVI. zur damaligen Zeit gemacht hast: du stürzt Dich auf die Details, um sie wie einen Knochen zu zernagen, damit von der Pädophilie-These ja nichts übrig bleibt und um damit Deine psychoanalytischen (von mir aus auch entwicklungspsychologischen) Unreife-Theorie (oder was auch immer) zu retten. Hier kommen wir auf ein anderes Problem mit Deinen Beiträgen zu sprechen: Du liest offenbar immer wieder nicht (richtig), was man Dir schreibt. Ich meine das nicht als Vorwurf, sondern als Feststellung. So hatte ich etwa bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass die Theorie mit der psychosexuellen Unreife höchstens eine Hypothese unter mehreren ist, und auch @Chrysologus hat deutlich gemacht, dass es sich hier höchstens um einen Aspekt von mehreren handelt, welcher auch nur in einem Teil der Fälle relevant zu sein scheint. Es wurde hier zudem schon mehrfach auf Alternativ-Erklärungen hingewiesen, auch von mir. Aus Deinen Beiträgen - auch aus einem früheren - entsteht jedoch der Eindruck, dass Du dies nicht einmal zur Kenntnis nimmst, und dass für Dich die einzige denkbare Alternative darin besteht, dass entweder die Kirche durch eine die Unreife begünstigende Sexualmoral an allem schuld sei, oder aber die sexuelle Revolution die alleinige Verantwortung trage. Mit dem Knochenumdrehen habe ich den genau gegenteiligen Eindruck: Dass Dir alles als Beweis für Deine These dienen muss, und sei es der Vortrag eines Sexualforschers vor Katholiken, der sich, soweit man weiß, nie positiv zur Pädophilie geäußert hatte, und dessen einziges "Verbrechen" darin besteht, der "Reformpädagogik" nahezustehen - als wäre dies auch nur ein gutes Indiz dafür, dass nicht nur er selbst, sondern auch seine Zuhörer pädosexuelle Handlungen gutgeheißen haben werden. Am 1.3.2023 um 22:02 schrieb Inge33: Willst Du Dich dann auch auf eine zweite Probebohrung stürzen, dann auf die dritte, dann auf die vierte? Wie lange willst Du das eigentlich machen? Es gibt leider keine "Probebohrung" von Deiner Seite, die geeignet wäre, Deine Thesen zu belegen oder auch nur plausibel zu machen - man müsste eine ganze Reihe logischer Fehlschlüsse aneinanderreihen, um mithilfe Deiner Argumentation ans Ziel zu gelangen. Siehe oben. Am 1.3.2023 um 22:02 schrieb Inge33: Wir haben nur für den kirchlichen Bereich eigene "Kriminalstatistiken" - für andere Bereiche, in denen Missbrauch vorkommt nicht. Also lässt sich hierüber keine Aussage treffen. Dies ist wieder ein Punkt, wo ich mich - ohne dies irgendwie unfreundlich zu meinen - mitunter frage, ob Du denn liest, was ich schreibe. Entweder man muss davon ausgehen, dass die sexuelle Revolution nicht der wesentliche Grund für den Anstieg von Missbrauchstaten war; oder man muss alternativ annehmen, dass die sexuelle Revolution auf Kleriker anders gewirkt hat als auf andere Männer. Letzteres ist aber unwahrscheinlich, und wenn es doch so wäre, gäbe dies Anlass zu ernsten Fragen im Hinblick auf die Kleriker. Dies ist mein Punkt - und den habe ich nun schon mehrfach und deutlich artikuliert. Am 1.3.2023 um 22:02 schrieb Inge33: Ich kann mir gut vorstellen, dass man in Begutachtungen das nicht thematisiert. Nicht alles ist verbalisierbar, besonders nicht in einer schambesetzten Situation. Es ist auch eher ein Thema für die Beichte. Also, eine solch einfache Äußerung wie "Damals hieß es halt auch allgemein, das sei okay, und ich hab das eben auch irgendwo geglaubt", die ist für den Täter nicht verbalisierbar, obwohl sie ihn moralisch entlasten würde. Diese Aussage ist auch zu "schambesetzt", als dass man sie äußern könnte, obwohl sie einen ja gerade in ein besseres Licht setzen würde und man hier ja nun wirklich keine intimen Details preisgibt. Eine solche Aussage ist nicht einmal möglich im Rahmen eines Gutachten, in dem man ja für viele Minuten, wenn nicht Stunden, über Dinge spricht, die tatsächlich intim und peinlich sind. Und dies alles gilt auch nicht nur einen Priester, sondern für praktisch alle. Sie alle können oder wollen eine einfache, naheliegende, in keiner Weise peinliche Aussage, welche sie zumindest ein Stück weit moralisch entlasten würde, nicht tätigen. Etwas "Konstruierteres" kann man sich schwerlich vorstellen. Am 1.3.2023 um 22:02 schrieb Inge33: Dass Priester so strategisch gewesen sein sollten, dass sie den Konflikt als "Vorwand" benutzten um sich herauszureden, kann ich mir kaum vorstellen. Der Priester, den Du im Auge zu haben scheinst, sieht so aus: - Es glaubt nicht wirklich daran, dass die Gesellschaft recht hat, wenn sie (angeblich) sagt, dass pädosexuelle Handlungen in Ordnung seien. Er weiß es im Grunde besser. - Trotzdem begeht er seine Taten maßgeblich deshalb, weil die Gesellschaft ihm (angeblich) grünes Licht gibt. Insoweit betrügt er sich selbst. - Aber der Selbstbetrug geht dann doch nicht weit genug, damit er während einer späteren Begutachtung aufrichtigerweise sagen könnte, dass er der Gesellschaft eben zumindest ein Stück weit vertraut habe, als diese ihm (angeblich) grünes Licht gab. - Und um "gegen besseres Wissen" und nur aus strategischen Gründen den Eindruck zu erwecken, dass er der Gesellschaft ihre (angebliche) Botschaft bis zu einem gewissen Grade abgenommen hat, ist er einfach zu skrupulös. - Für seinen Selbstbetrug und für den in manchen Fällen ziemlich hemmungslosen Missbrauch von Kindern war er allerdings wieder nicht zu skrupulös. Und diese Beschreibung soll dann für (nahezu) alle Priester gelten, die sich schuldig gemacht haben. Oder eine ähnliche, wo der Priester zwischen der kirchlichen Moral und der angeblichen gesellschaftlichen Moral hin- und hergerissen ist, aber wo er dann während seiner Begutachtung diesen angeblichen Konflikt regelmäßig nicht benennen kann, obwohl diese Information sehr relevant für seinen Fall wäre, und obwohl sei sein eigenes Verhalten zumindest verständlicher machen und die Scham reduzieren würde. Und wieder soll dies für (nahezu) alle Priester gelten, welche sich schuldig gemacht haben. Wie gesagt: Keine psychoanalytische Theorie kann m.E. so konstruiert und so weit hergeholt wirken wie eine solche Betrachtungsweise. Meine Kritik ist übrigens keineswegs persönlich gemeint, aber ich halte es einfach für notwendig, sie auszusprechen. Du kannst mich umgekehrt ja auch kritisieren (und tust es ja auch). bearbeitet 3. März 2023 von iskander 2 9 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Moriz Geschrieben 3. März 2023 Melden Share Geschrieben 3. März 2023 Spielen wir das Ganze doch mal in Gedanken als Extrem durch. Nehmen wir mal an, Kentler hätte in diesem einen Vortrag an der katholischen Akademie massiv Werbung für pädophile Handlungen gemacht. Wie hätten die Zuhörer reagiert? Hätten sie, wenn sie diese Gedanken angesprochen hätten, diese nicht offen in die Kirche hinein getragen? Gibt es dafür irgendwelche Anzeichen? Die nächste Annahme: Die Zuhörer dieses Vortrags wären im Wesentlichen sexhungrige Kapläne gewesen. Warum haben sie diese Ideen, wenn sie sich ermuntert fühlten, dann nicht offen ausgelebt sondern so im Verborgenen, daß es erst Jahrzehnte später rauskam? Und: Müssten die späteren Täter dann nicht alle in diesem Vortrag gewesen sein? Oder sollten sie ihre Kollegen mit diesen Ideen 'angesteckt' haben? Und auch das wieder nicht öffentlich, sondern nur im Verborgenen? Irgenwie will es nicht mal so passen. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Inge33 Geschrieben 3. März 2023 Melden Share Geschrieben 3. März 2023 (bearbeitet) vor 13 Stunden schrieb iskander: Die Kriminal-Statistik-Kurve befindet sich in dem von mir verlinkten Text, und zwar auf der von mir angegebenen Seite ("Bitte, hier S. 277."). Ich gehe davon aus, dass kirchliche Kurven das Geschehen realistischer abbilden, aufgrund des höheren Institutionalisierungsgrades und der schärferen Normgebung innerhalb der Kirche und einem höheren Grad an Sozialkontrolle als etwa in Familien. Die Erklärung über die Verharmlosung des Missbrauchs und des dann beginnenden Umschwungs in dieser Frage scheint mir naheliegend. Die Annahme, dass die sexuelle Revolution ein polymorphes Geschehen war, teile ich. Nicht alle Ideen wurden eins zu eins rezipiert, sondern das waren Trickle-Down-Prozesse, in denen Ideen wohl versatzstückartig und oft auch halbbewusst rezipiert wurden, mit jeweils anderen Ergebnissen. Über die innerpsychischen Abläufe von Tätern im Aufeinandertreffen von zwei Wertsystemen (katholische Sexualmoral versus Verharmlosung von Missbrauch) lässt sich nur spekulieren. Ich glaube, wie mehrfach gesagt, im Gegensatz zu Dir kaum, dass das in Gutachten zum Thema gemacht worden ist. Dies wäre eher ein Thema für die Beichte. Den Rest Deiner Ausführungen lasse ich so stehen, weil dies hier kein Wissenschaftskongress ist und den zeitlichen Rahmen sprengt. Mag jeder das meinen Überlegungen entnehmen, was ihm plausibel erscheint oder eben nicht. bearbeitet 3. März 2023 von Inge33 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Marcellinus Geschrieben 3. März 2023 Melden Share Geschrieben 3. März 2023 vor 36 Minuten schrieb Inge33: Ich gehe davon aus, dass kirchliche Kurven das Geschehen realistischer abbilden, aufgrund des höheren Institutionalisierungsgrades und der schärferen Normgebung innerhalb der Kirche und einem höheren Grad an Sozialkontrolle als etwa in Familien. Wir reden hier von einer Institution, die nachgewiesen weltweit Machtmißbrauch vertuscht hat. Angesichts dieser Tatsache ist das Vertrauen in deine Kirche schon erstaunlich. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Dies ist ein beliebter Beitrag. Shubashi Geschrieben 3. März 2023 Dies ist ein beliebter Beitrag. Melden Share Geschrieben 3. März 2023 55 minutes ago, Marcellinus said: Wir reden hier von einer Institution, die nachgewiesen weltweit Machtmißbrauch vertuscht hat. Angesichts dieser Tatsache ist das Vertrauen in deine Kirche schon erstaunlich. Wenn man partout an etwas glauben will, ist alle inhaltliche Diskussion letztlich für die Katz‘. @iskander leistet hier wirklich erstaunliches, was die Unzahl der Quellen und Analysen angeht, ich denke aber, dass alle auch nur etwas ergebnisoffen diskutierenden Teilnehmer/innen davon sehr profitieren. Im großen und ganzen können wir aber zum Glück davon ausgehen, dass eine völlig blindlings über Fakten, Argumenten und v.a.: Leichen marschierende religiöse Gefolgschaftstreue seit mindestens Jahrzehnten bei uns im Christentum ausgestorben ist. Allzu autoritäres Verhalten seitens der Kirche kostet sie inzwischen v.a. Gläubige, nicht aber mehr ihre Kritiker die Freiheit. 6 1 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Merkur Geschrieben 3. März 2023 Melden Share Geschrieben 3. März 2023 vor 4 Stunden schrieb Inge33: Über die innerpsychischen Abläufe von Tätern im Aufeinandertreffen von zwei Wertsystemen (katholische Sexualmoral versus Verharmlosung von Missbrauch) lässt sich nur spekulieren. Ich glaube, wie mehrfach gesagt, im Gegensatz zu Dir kaum, dass das in Gutachten zum Thema gemacht worden ist. Dies wäre eher ein Thema für die Beichte. In der Beichte soll man gewinnbringend über zwei Wertesysteme, von denen eins die "Verharmlosung von Mißbrauch" ist, reden können? Die meisten Beichtväter werden von dem zweiten Wertesystem vermutlich noch nie etwas gehört haben. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Chrysologus Geschrieben 4. März 2023 Melden Share Geschrieben 4. März 2023 vor 21 Stunden schrieb Inge33: Am 2.3.2023 um 22:46 schrieb iskander: Die Kriminal-Statistik-Kurve befindet sich in dem von mir verlinkten Text, und zwar auf der von mir angegebenen Seite ("Bitte, hier S. 277."). Ich gehe davon aus, dass kirchliche Kurven das Geschehen realistischer abbilden, Dann zeigt diese Kurze allerdings ein deutliches Absinken der Tatzahlen sert Anfang der 1970er Jahre und damit genau in jeder Phase, in der laut Ratzingers These diese Zahlen zunehmen müssten, wenn denn Auers "Autonome Moral" und die sexuelle Befreiung in der Gesellschaft zu mehr Missbrauch in der Kirche geführt hätten. Anscheinend ist das genaue Gegenteil der Fall. 1 1 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
iskander Geschrieben 4. März 2023 Autor Melden Share Geschrieben 4. März 2023 Am 3.3.2023 um 11:18 schrieb Inge33: Ich gehe davon aus, dass kirchliche Kurven das Geschehen realistischer abbilden, aufgrund des höheren Institutionalisierungsgrades und der schärferen Normgebung innerhalb der Kirche und einem höheren Grad an Sozialkontrolle als etwa in Familien. Wie schon dargelegt ist es extrem unplausibel, dass die Kriminalstatistik einen bedeutenden Anstieg oder Abfall der Zahl der Missbrauchs-Fälle übersieht. Auch wenn es ein bedeutendes Dunkelfeld gibt (und auch wenn dieses größer sein sollte als jenes innerhalb der Kirche) ist dies für unsere Fragestellung nicht relevant. Denn uns geht es ja nicht um die absoluten Zahlen, sondern den zeitlichen Verlauf. Wenn wir beispielsweise eine Dunkelziffer von 90% für das Jahr X haben, und ebenfalls eine Dunkelziffer von 90% für das Jahr Y, kann der Verweis auf die Dunkelziffer eine mögliche Gleichheit oder Differenz zwischen dem Jahr X und dem Jahr Y nicht erklären, denn es gibt hier zwar eine Verzerrung, aber die wirkt sich jeweils gleich aus". Natürlich kann sich das Hellfeld-Dunkelfeld-Verhältnis im Verlauf der Zeit auch ändern (z.B. erhöhte Sensibilität und erhöhte Sensibilität und damit erhöhte Anzeigebereitschaft. Doch wollte man annehmen, dass es während der sexuellen Revolution deutlich mehr Missbrauch gab als sonst, und dass dies nur durch eine veränderte Hellfeld-Dunkelfeld-Relation in der Statistik nicht sichtbar wird, müsste man extrem unplausible Annahmen machen. Wie ich schon kürzlich schrieb: "Schaut man sich die Kurve der bekannten Missbrauchs-Taten an, verläuft diese sowohl vor wie auch während wie auch nach der sexuellen Revolution fast wie eine Gerade (stets nach unten abfallend). Dies lässt sich plausibel nicht anders erklären als damit, dass mit der sexuellen Revolution keine bedeutenden Schwankungen verbunden sind. (Alternativ müsste man annehmen, dass es zwar mit der sexuellen Revolution weit mehr Fälle gab, dass aber gleichzeitig die Entdeckung/Anzeigebereitschaft zurückging, und zwar genau so, dass [...] diese Effekte sich gegenseitig exakt neutralisiert haben, und das über viele Jahre, und das wiederum so, dass der fragliche Verlauf genau zu der Zeit vor und und auch zu der Zeit nach der Revolution passt und auf der gleichen "Gerade" liegt. Das wäre dann aber wirklich schon ein sehr merkwürdiger Zufall.)" (Man beachte hier besonders das "Eingeklammerte".) Des Weiteren lassen sich kriminalistische und kirchliche Statistiken kaum vergleichen. Die eine Statistik bezieht sich auf die Allgemein-Bevölkerung, die andere auf die Kleriker. Das sind zwei ziemlich unterschiedliche Populationen mit unterschiedlichen Gelegenheiten zum Missbrauch usw. Dass die Gruppe der damaligen kath. Priester tatsächlich kaum repräsentativ für den männlichen Rest der Bevölkerung gewesen sein dürfte, zeigt schon der Vergleich mit Diakonen. So heißt es auf. S. 12 u. 166 der MHG-Studie: "In allen Teilprojekten ist der relative Anteil beschuldigter Diakone deutlich niedriger als der von beschuldigten Diözesanpriestern. [...] Insgesamt zeigen die Auswertungen zu den Beschuldigten, dass es sich bei den Beschuldigten aus der katholischen Kirche ganz überwiegend um Priester und kaum um Diakone handelte." Aus den genannten Gründen ist die Annahme, dass die kirchliche Statistik, die nur Kleriker erfasst, das Geschehen in der Allgemein-Bevölkerung besser abbildet als die spezifisch auf die Allgemein-Bevölkerung bezogene Statistik, unhaltbar. Es mag sein, dass die Dunkelziffer innerhalb der Kirche niedriger ist als in der Gesellschaft. Von der angeblich "schärferen Normgebung innerhalb der Kirche" hat man allerdings lange wenig gemerkt. Ich hatte beispielsweise schon Cornwell zitiert, der von Interviews mit Tätern wie mit Beichtvätern von Tätern berichtet. Demnach gab es während der Beichte selten auch nur einen ernsten Verweis für Täter. Und dass Täter häufig recht milde behandelt wurde und beispielsweise einfach nur versetzt worden, ist allgemein bekannt. Am 3.3.2023 um 11:18 schrieb Inge33: Über die innerpsychischen Abläufe von Tätern im Aufeinandertreffen von zwei Wertsystemen (katholische Sexualmoral versus Verharmlosung von Missbrauch) lässt sich nur spekulieren. Ich glaube, wie mehrfach gesagt, im Gegensatz zu Dir kaum, dass das in Gutachten zum Thema gemacht worden ist. Dies wäre eher ein Thema für die Beichte. Du behauptest im Prinzip das Folgende: Das angebliche Aufeinandertreffen von zwei Wertsystemen ist für den Missbrauch absolut zentral. Ohne hätte es den Missbrauch nicht gegeben. Obwohl es bei einer psychologischen Begutachtung ja gerade darum geht, was der Täter sich gedacht hat und was in ihm vorging - man will ihn ja verstehen -, verschweigt (praktisch) jeder Täter diesen extrem wichtigen Punkt. Und dies, obwohl es ihn entlasten würde. Denn durch sein Verschweigen steht der Täter dann ja als jemand dar, der ganz genau wusste, dass er falsch gehandelt hat. Das ist vollkommen unplausibel. Zitat Die Erklärung über die Verharmlosung des Missbrauchs und des dann beginnenden Umschwungs in dieser Frage scheint mir naheliegend. Neben all dem, was schon gesagt wurde (siehe auch letzter Beitrag von @Chrysologus) haben wir wie gesagt das Phänomen, dass es bereits in den 40er-Jahren und zuvor einen weit verbreiteten Missbrauch gegeben haben muss; nach Kinsey betraf das ein Viertel der Mädchen unter 14 Jahren. Da ist auch einfach kein "Platz" für eine dramatische Zunahme des Missbrauchs während der sexuellen Revolution. Außer man möchte behaupten, dass es während der sexuellen Revolution in einem schier atemberaubenden Ausmaß zu Missbrauchsfällen kam - aber für diese Behauptung gibt es nun wirklich keinerlei Handhabe. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Inge33 Geschrieben 6. März 2023 Melden Share Geschrieben 6. März 2023 (bearbeitet) Am 3.3.2023 um 11:57 schrieb Marcellinus: Wir reden hier von einer Institution, die nachgewiesen weltweit Machtmißbrauch vertuscht hat. Angesichts dieser Tatsache ist das Vertrauen in deine Kirche schon erstaunlich. Deine Gegenrede verschiebt den Focus meiner Argumentation: diese geht von einem Vergleich kirchlicher Missbrauchskurven und nicht-kirchlicher, Missbrauchskurven aus, wenn es denn solche gäbe. Innersystemisch wurden kirchliche Taten angezeigt und fanden ihren Niederschlag in Personalakten (Dunkelfeld vorbehalten), woraus sich eine Verlaufsstatistik erstellen lässt. Dies ist etwa bei familialen Missbräuchen nicht möglich. In welchen Personalakten hätten diese ihren Niederschlag finden sollen? Ich vermute: mit ähnlichen Kriterien erfasst würde eine familiale Missbrauchskurve ähnlich wie die kirchlichen Missbrauchskurven verlaufen. Aber das ist nur Spekulation. Vielleicht sinkt sie auch weniger deutlich. bearbeitet 6. März 2023 von Inge33 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Inge33 Geschrieben 6. März 2023 Melden Share Geschrieben 6. März 2023 Am 3.3.2023 um 15:40 schrieb Merkur: In der Beichte soll man gewinnbringend über zwei Wertesysteme, von denen eins die "Verharmlosung von Mißbrauch" ist, reden können? Die meisten Beichtväter werden von dem zweiten Wertesystem vermutlich noch nie etwas gehört haben. Natürlich. Die Rede von zwei Wertsystemen ist nur eine abstrahierende Namensgebung. So redet kein normaler Mensch. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Chrysologus Geschrieben 6. März 2023 Melden Share Geschrieben 6. März 2023 vor 34 Minuten schrieb Inge33: In welchen Personalakten hätten diese ihren Niederschlag finden sollen? Ich vermute: mit ähnlichen Kriterien erfasst würde eine familiale Missbrauchskurve ähnlich wie die kirchlichen Missbrauchskurven verlaufen. Also gehst du auch gesamtgesellschaftlich davon aus, dass die zunehmende sexuelle Liberalisierung der 1970er zu einem Absinken der Tatzahlen führte. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Inge33 Geschrieben 6. März 2023 Melden Share Geschrieben 6. März 2023 Am 3.3.2023 um 13:04 schrieb Shubashi: Am 4.3.2023 um 08:35 schrieb Chrysologus: Dann zeigt diese Kurze allerdings ein deutliches Absinken der Tatzahlen sert Anfang der 1970er Jahre und damit genau in jeder Phase, in der laut Ratzingers These diese Zahlen zunehmen müssten, wenn denn Auers "Autonome Moral" und die sexuelle Befreiung in der Gesellschaft zu mehr Missbrauch in der Kirche geführt hätten. Anscheinend ist das genaue Gegenteil der Fall. Es gibt ja verschiedene Kurven für verschiedene Länder. Insgesamt vermute ich, dass die Kirche aufgrund ihrer systemischen Eigenheiten (etwa: höherer Institutionalisierungsgrad, schärfere Normgebung) schneller reagieren konnte als nicht-kirchliche Systeme. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Inge33 Geschrieben 6. März 2023 Melden Share Geschrieben 6. März 2023 vor 33 Minuten schrieb Chrysologus: Also gehst du auch gesamtgesellschaftlich davon aus, dass die zunehmende sexuelle Liberalisierung der 1970er zu einem Absinken der Tatzahlen führte. Nein. Die zunehmende Liberalisierung führte gesamtgesellschaftlich meiner Annahme nach erst zu einer Erhöhung der Tatzahlen. Es gibt aber keine Kurven (ähnlich den kirchlichen Kurven), die das belegen könnten. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Chrysologus Geschrieben 6. März 2023 Melden Share Geschrieben 6. März 2023 vor 19 Minuten schrieb Inge33: Nein. Die zunehmende Liberalisierung führte gesamtgesellschaftlich meiner Annahme nach erst zu einer Erhöhung der Tatzahlen. Es gibt aber keine Kurven (ähnlich den kirchlichen Kurven), die das belegen könnten. Richtig, es gibt nur Kurven, die deiner these widersprechen. Mir würde das zu denken geben. 1 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Inge33 Geschrieben 6. März 2023 Melden Share Geschrieben 6. März 2023 (bearbeitet) Am 3.3.2023 um 13:04 schrieb Shubashi: Wenn man partout an etwas glauben will, ist alle inhaltliche Diskussion letztlich für die Katz‘. @iskander leistet hier wirklich erstaunliches, was die Unzahl der Quellen und Analysen angeht, ich denke aber, dass alle auch nur etwas ergebnisoffen diskutierenden Teilnehmer/innen davon sehr profitieren. Im großen und ganzen können wir aber zum Glück davon ausgehen, dass eine völlig blindlings über Fakten, Argumenten und v.a.: Leichen marschierende religiöse Gefolgschaftstreue seit mindestens Jahrzehnten bei uns im Christentum ausgestorben ist. Allzu autoritäres Verhalten seitens der Kirche kostet sie inzwischen v.a. Gläubige, nicht aber mehr ihre Kritiker die Freiheit. Mir ist nicht bewusst, dass ich im Rahmen meiner Argumentation über "Leichen" gegangen wäre. Iksander bringt viele Zitate vor und listet Studien auf. Dies macht viel Mühe und ist beeindruckend. Aber um das alles beurteilen zu können, müsste man die Zeit haben, dem im Detail nachzugehen. Für mich sieht es, mit Verlaub, nach Zitatitis aus. Zur Kirche: als mystischer Leib Christi will uns die Kirche zur Freiheit (Seelenheil) führen. Jedes irdische soziale System hat seine Anfälligkeiten, Schwierigkeiten und Herausforderungen (ich bin selbst anfällig). Trotzdem, denke ich, hat sie Vertrauen verdient. Im Übrigen berichtet der Kirchenrechtler Christoph Ohly, dass Prälat Markus Graulich ein Dossier zusammengestellt hat, das das Handeln von Benedikt XVI seit 1987 in Missbrauchsbelangen belegt. https://www.die-tagespost.de/kirche/aktuell/recht-ist-die-bedingung-der-liebe-art-227854 Zu dieser Zeit steckte die deutsche Missbrauchsforschung noch in den Kinderschuhen (was man ihr wohl nicht vorwerfen kann, jeder steckt in seinen Zeitläuften). Es zeigt, dass Benedikt XVI. auch in Bezug auf Reaktion und Prävention schon früh sensibilisiert war. Und mit ihm sicher auch andere, bis heute und in Zukunft. Verbesserungsbedarf indes gibt es wohl überall. Was auch für mich gilt. bearbeitet 6. März 2023 von Inge33 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
nannyogg57 Geschrieben 7. März 2023 Melden Share Geschrieben 7. März 2023 Am 6.3.2023 um 09:14 schrieb Inge33: Mir ist nicht bewusst, dass ich im Rahmen meiner Argumentation über "Leichen" gegangen wäre. Iksander bringt viele Zitate vor und listet Studien auf. Dies macht viel Mühe und ist beeindruckend. Aber um das alles beurteilen zu können, müsste man die Zeit haben, dem im Detail nachzugehen. Für mich sieht es, mit Verlaub, nach Zitatitis aus. Zur Kirche: als mystischer Leib Christi will uns die Kirche zur Freiheit (Seelenheil) führen. Jedes irdische soziale System hat seine Anfälligkeiten, Schwierigkeiten und Herausforderungen (ich bin selbst anfällig). Trotzdem, denke ich, hat sie Vertrauen verdient. Im Übrigen berichtet der Kirchenrechtler Christoph Ohly, dass Prälat Markus Graulich ein Dossier zusammengestellt hat, das das Handeln von Benedikt XVI seit 1987 in Missbrauchsbelangen belegt. https://www.die-tagespost.de/kirche/aktuell/recht-ist-die-bedingung-der-liebe-art-227854 Zu dieser Zeit steckte die deutsche Missbrauchsforschung noch in den Kinderschuhen (was man ihr wohl nicht vorwerfen kann, jeder steckt in seinen Zeitläuften). Es zeigt, dass Benedikt XVI. auch in Bezug auf Reaktion und Prävention schon früh sensibilisiert war. Und mit ihm sicher auch andere, bis heute und in Zukunft. Verbesserungsbedarf indes gibt es wohl überall. Was auch für mich gilt. Eine Lobeshymnen auf Benedikt, aber tatsächlich wenig Substantielles zum Thema Prävention. Die Regensburger Rede als wichtiger Beitrag zum kulturellen Austausch? Alles klar. Und ungefähr auf dem Niveau war auch das, was von Benedikt im Bereich Missbrauchsprävention kam. Schuld sind immer die anderen, das war sein Mantra. Und in der Logik war auch die sexuelle Revolution schuld an den Missbrauchsfällen und dem verantwortungslosen Umgang mit den Tätern seitens der Kirchenleitungen. 1 1 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Moriz Geschrieben 7. März 2023 Melden Share Geschrieben 7. März 2023 Am 6.3.2023 um 09:14 schrieb Inge33: Für mich sieht es, mit Verlaub, nach Zitatitis aus. Bitte, was? Wer fragt denn hier ständig nach Belegen? Aber was willst du auch mit Belegen, die deiner Ansicht widersprechen... 1 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Inge33 Geschrieben 8. März 2023 Melden Share Geschrieben 8. März 2023 (bearbeitet) vor 22 Stunden schrieb nannyogg57: Und in der Logik war auch die sexuelle Revolution schuld an den Missbrauchsfällen Ich meine, Benedikt XVI. hat im Prinzip zunächst nichts weiter als eine zeithistorische Verortung der Missbrauchsproblematik vorgenommen. So wie man in vielen anderen Zusammenhängen auch häufig die jeweiligen Zeitläufte mitbemüht, um etwas in einem größeren Kontext zu begreifen. Tatsächlich hat Benedikt XVI., wie er in seinem Brief aus 2019 schreibt, wahrgenommen, dass - obschon er ja selbst Teilnehmer und Verteidiger des Zweiten Vatikanums war - nachkonziliar und vor dem Hintergrund der Idee einer radikalen Öffnung zur säkularen Welt auf Individualebene die Verteidigungsrechte der Täter ausgeweitet wurden, wodurch kaum Verurteilungen mehr möglich waren. Dies hatte sich nachteilig auf den Schutz des Glaubensgutes ausgewirkt, wozu ja die sexuelle Unversehrtheit von jungen Menschen gehört. Hätte er der sexuellen Revolution per se die Schuld gegeben, hätte er es wohl nicht für nötig erachtet, entsprechende Gegenmassnahmen auf eben dieser Individualebene einzuleiten. bearbeitet 8. März 2023 von Inge33 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Moriz Geschrieben 8. März 2023 Melden Share Geschrieben 8. März 2023 Liebe Inge, das klingt schon weitaus nachvollziehbarer als vieles, was du bisher geschrieben hast. Allerdings geht mir bei Folgendem doch einiges zu sehr durcheinander: vor 2 Stunden schrieb Inge33: und vor dem Hintergrund der Idee einer radikalen Öffnung zur säkularen Welt auf Individualebene die Verteidigungsrechte der Täter ausgeweitet wurden, wodurch kaum Verurteilungen mehr möglich waren. Dies hatte sich nachteilig auf den Schutz des Glaubensgutes ausgewirkt, wozu ja die sexuelle Unversehrtheit von jungen Menschen gehört. Wo wurden die Verteidigungsrechte der Täter ausgeweitet? Was hat das mit einer radikalen Öffnung zur sälularen Welt zu tun? Und: Was spricht dagegen? Ich denke auch nicht, daß dies in irgendeiner Weise eine Verurteilung verhindert hätte. [Ein Problem hatte der 'neue' CIC von 1986 allerdings wohl: In ihm wurde die Verjährungsfrist generell und für alle Taten auf drei Jahre reduziert. Letztverantwortlich dafür war der damalige Papst, JPII. Wie das halt in absolutistischen Herrschaftssystemen so ist. @Chrysologus kann dir da mehr zu sagen.] Und was die 'sexuelle Unversehrtheit' junger Menschen mit dem Schutz des Glaubensgutes zu tun hat ist mir auch unklar. Es sei denn, man verwechselt Glaube(nsgut) und Moral. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Inge33 Geschrieben 8. März 2023 Melden Share Geschrieben 8. März 2023 Lieber Moriz, gut, wenn ich mich jetzt verständlicher ausdrücken konnte. Benedikt XVI. schreibt in seinem Brief von 2019: "Dazu kam aber ein grundsätzliches Problem in der Auffassung des Strafrechts. Als 'konziliar' galt nur noch der sogenannte Garantismus. Das heißt, es mußten vor allen Dingen die Rechte der Angeklagten garantiert werden und dies bis zu einem Punkt hin, der faktisch überhaupt eine Verurteilung ausschloß. Als Gegengewicht gegen die häufig ungenügende Verteidigungsmöglichkeit von angeklagten Theologen wurde nun deren Recht auf Verteidigung im Sinn des Garantismus so weit ausgedehnt, daß Verurteilungen kaum noch möglich waren." Für eine Darlegung genauerer kirchenstrafrechtlicher Details bin ich nicht kompetent. Jedenfalls lässt sich aus dem Zitat entnehmen, dass der Garantismus ein nachkonziliares Phänomen gewesen ist. Benedikt XVI. hat ja häufig gesagt, dass im Zuge der Öffnung zur säkularen Welt das Zweite Vaticanum auch überstrapaziert worden ist. Somit kann man vermuten, dass Zeitgeistströmungen säkularer Strafrechtstheorien mit in das kirchliche Strafrecht eingeflossen sind. Zur sexuellen Unversehrtheit: damit ist der Kinderschutz gemeint, der zum Glaubensgut gehört. Damit verabschiede ich mich hier. Vielen Dank. Ich habe hier viel gelernt, hoffentlich zum Besseren. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Chrysologus Geschrieben 8. März 2023 Melden Share Geschrieben 8. März 2023 vor 24 Minuten schrieb Inge33: Für eine Darlegung genauerer kirchenstrafrechtlicher Details bin ich nicht kompetent. Jedenfalls lässt sich aus dem Zitat entnehmen, dass der Garantismus ein nachkonziliares Phänomen gewesen ist. Benedikt XVI. hat ja häufig gesagt, dass im Zuge der Öffnung zur säkularen Welt das Zweite Vaticanum auch überstrapaziert worden ist. Somit kann man vermuten, dass Zeitgeistströmungen säkularer Strafrechtstheorien mit in das kirchliche Strafrecht eingeflossen sind. Oder man kann vermuten, dass Josef Ratzinger vom Strafrecht und seiner Anwendung in der Praxis wenig Ahnung hatte. Aber -ismen entdeckte er gerne, das enthebt komplexerer Argumentationserfordernisse. Dass ab den frühen 1960ern keine Strafverfahren mehr geführt wurden, das stimmt schon, aber da lag nicht an vermeindlich überbordenden Verteidigungsrechten (die Ratzinger selbst dann später mehr als einem Kleriker vollkommen verweigerte in seiner sprungbereiten Feindselisgkeit gegen Homosexuelle), sondern daran, dass man den Straftatbestand gar nicht mehr erkannte. 1 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
iskander Geschrieben 9. März 2023 Autor Melden Share Geschrieben 9. März 2023 (bearbeitet) Am 6.3.2023 um 07:39 schrieb Inge33: Deine Gegenrede verschiebt den Focus meiner Argumentation: diese geht von einem Vergleich kirchlicher Missbrauchskurven und nicht-kirchlicher, Missbrauchskurven aus, wenn es denn solche gäbe. Innersystemisch wurden kirchliche Taten angezeigt und fanden ihren Niederschlag in Personalakten (Dunkelfeld vorbehalten), woraus sich eine Verlaufsstatistik erstellen lässt. Dies ist etwa bei familialen Missbräuchen nicht möglich. In welchen Personalakten hätten diese ihren Niederschlag finden sollen? Ich vermute: mit ähnlichen Kriterien erfasst würde eine familiale Missbrauchskurve ähnlich wie die kirchlichen Missbrauchskurven verlaufen. Aber das ist nur Spekulation. Vielleicht sinkt sie auch weniger deutlich. Es ist eine Unmöglichkeit. Ich hatte eigentlich gedacht, ich hätte dies überzeugend dargelegt, aber ich muss es wohl "mathematischer" probieren. Bezeichnen wir die Kurve, die das Hellfeld beschreibt, als kH. Diese Kurve ist bekannt - es ist die aus der Kriminalstatistik. Die Kurve, die die Gesamtheit der Fälle beschreibt (und die wir nicht kennen) heiße kG. Und die Kurve, die den Anteil des Hellfeldes an der Gesamtheit beschreibt, also die "Entdeckungsrate", (und die wir auch nicht kennen) heiße kA. Es gilt dann: kA x kG = kH Wir haben eine völlig unauffällig verlaufende Hellfeld-Kurve kH, die über viele Jahre ohne Zacken und Schwankungen nach unten geht, fast wie mit dem Lineal gezogen. Wenn kG und kA sich über all die Jahre gleichmäßig und erwartbar verändert haben, hat man die perfekte Erklärung für den Verlauf der kH. Wenn hingegen kG so verlaufen wäre wie die Kurve der Missbrauchsfälle in der Kirche, wäre es ein Wunder, dass kH gerade die Form hat, die sie hat. kA, also das Verhältnis des Hellfeldes zur Gesamtheit, müsste sich in einer sehr merkwürdigen Weise verändert haben - und zwar so, dass kH am Ende absolut unauffällig und linear aussieht. Die gewaltigen Schwankungen von kG müssten durch "entgegengesetzte" gewaltige Schwankungen von kA sozusagen völlig "ausgleichen" werden, und das in jedem einzelnen Moment. Wir hätten zwei Kurven, die beiden absolut nicht linear verlaufen, die aber multipliziert zufälligerweise eine wunderschöne Gerade (kH) ergeben! Wenn sich beispielsweise die Gesamtzahl der Missbrauchsfälle verdoppelt, müsste sich zugleich das Verhältnis des Hellfeldes zur Gesamtheit (die Entdeckungsrate) halbieren (genau genommen mehr als dies, wenn wir haben es mit einer abfallenden Gerade zu tun). Nehmen wir einmal an, das wäre so. Nehmen wir des Weiteren an, die Wahrscheinlichkeit, dass ein Punkt (Jahr) der Hellfeld-Kurve genau so aussieht, wie er aussieht, und nicht ein wenig weiter oben oder unten liegt, betrüge 1/2. Das ist mit Sicherheit eine sehr großzügige Schätzung, denn es besteht nach Annahme kein erkennbarer Grund, wieso die Punkte der Hellfeld-Kurve gerade so verteilt sein sollen, wie sie es sind. Dann hätte man bei 20 Jahren (Punkten) eine Wahrscheinlichkeit von 2 hoch minus 20, dass alle Punkte liegen, wie sie liegen. Das ist etwas weniger als eins zu einer Million. Das kann man vergessen. Vielleicht war das jetzt wieder zu mathematisch, aber ich weiß einfach nicht, wie ich Dir vermitteln soll, dass es absolut unplausibel ist, dass gewaltige Schwankungen in der Gesamtheit der Fälle und in der Entdeckungsrate der Fälle sich über viele Jahre gerade so ausgleichen sollen, dass alles völlig unauffällig wirkt. Eventuell hilft ja eine Analogie: Nehmen wir an, die Anzahl der Katholiken in einem Land verändert sich relativ konstant über einen langen Zeitraum. Dann ist die einfachste Erklärung die, dass die Geburten- und Eintritts- und die Sterbe- und Austrittsraten relativ konstant sind. Es könnte natürlich auch sein, dass dass es in Wahrheit gewaltige Eintritts-Wellen gab, die nur nicht aus der Statistik erkennbar sind, weil es gleichzeitig jeweils genauso große Austritts-Wellen gab. Nur: Dass sich turbulente Eintritts-und Austrittswellen über Jahrzehnte hinweg im Hinblick auf Form und Ausschlag zufällig gerade so verhalten, dass alles so aussieht, als geschähe absolut nichts auffälliges, ist sehr unwahrscheinlich... Zitat In welchen Personalakten hätten diese ihren Niederschlag finden sollen? In gar keinen, aber dafür in den Kriminalakten. Die Dunkelziffer spielt dabei wie schon dargelegt keine Rolle, denn die gibt es immer. Die beeinflusst nur die "Höhe" einer Kurve, den Verlauf der Kurve aber nur bedingt, wenn die Relation von "Hellziffer" und Dunkelziffer einigermaßen stabil ist. Abgesehen davon habe ich Dich schon darauf hingewiesen, dass laut den kirchlichen Akten viel weniger Diakone als Priester schuldig geworden sind (auch in Relation zur Gesamtzahl). Deine implizite Vermutung scheint nun derart zu sein, dass das Verhalten der Bevölkerung weit eher dem Verhalten der Priester als demjenigen der Diakone gleicht. Wieso sollte das aber so sein? Am 6.3.2023 um 08:50 schrieb Inge33: Nein. Die zunehmende Liberalisierung führte gesamtgesellschaftlich meiner Annahme nach erst zu einer Erhöhung der Tatzahlen. Es gibt aber keine Kurven (ähnlich den kirchlichen Kurven), die das belegen könnten. Du musst halt, um Deine These "halten" zu können, eine Reihe extrem weit hergeholter Annahmen machen. Unter anderem: - Du musst annehmen, dass die sexuelle Revolution jene Taten ausgelöst hat, obwohl die sexuelle Revolution und ernsthaftere pädophile Bestrebungen ja erst Ende der 60er und Anfang der 70er richtig losgingen - zu einem Zeitpunkt, wo ein Großteil des kirchlichen Missbrauchs bereits gelaufen war bzw. zurückging. - Du muss behaupten, dass die Kriminalstatistik, die den Verlauf des Hellfeldes abbildet, nicht einmal vage Rückschlüsse auf den Verlauf das Dunkelfeldes zulässt. - Und dass stattdessen die Relation von Hellfeld und Dunkelfeld monströsen und merkwürdigen Schwankungen unterliegt, die - großer Zufall - dazu führen, dass die Hellfeld-Kurve am Ende wie eine Gerade aussieht. - Auch musst Du annehmen, dass die restliche männl. Bevölkerung Deutschlands sich weit eher wie kath. Priester verhält als wie kath. Diakone, denn Diakone haben ja nur sehr selten Missbrauch betrieben. Am 6.3.2023 um 09:14 schrieb Inge33: Aber um das alles beurteilen zu können, müsste man die Zeit haben, dem im Detail nachzugehen. Für mich sieht es, mit Verlaub, nach Zitatitis aus. Könntest Du den Vorwurf kritisieren? Ich verweise doch in aller Regel auf einzelne Feststellungen oder Grafiken aus seriöser Quelle, die für sich stehen und leicht nachprüfbar sind, oder nicht? bearbeitet 9. März 2023 von iskander Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Gerhard Ingold Geschrieben 1. April 2023 Melden Share Geschrieben 1. April 2023 https://correctiv.org/aktuelles/missbrauch-in-der-katholischen-kirche/2023/03/29/missbrauch-wie-die-katholische-kirche-den-deutschen-papst-schuetzte/?fbclid=IwAR3a6-ZHFz9nTbsN99krQthAe-CbZa6OwYgyFiBIj-j1nqdfucltu5aQtdo "Missbrauch: Wie die katholische Kirche den deutschen Papst schützte Das Erzbistum München und Freising verschwieg die Verantwortung des verstorbenen Papstes für einen Missbrauchstäter – auch während der Aufarbeitung durch Gutachter. Ein Brief von Joseph Ratzinger zeigt so deutlich wie nie, dass die interne Aufarbeitung des Missbrauchs durch die katholische Kirche gescheitert ist. Hoffnung für Missbrauchsopfer bietet nun die Klage vor einem staatlichen Gericht." Unfassbar. Vertuschen einer Straftat, ist selbst eine Straftat. Da haben sich nicht nur Ratzinger sondern auch Ermittler schuldig gemacht. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
nannyogg57 Geschrieben 2. April 2023 Melden Share Geschrieben 2. April 2023 (bearbeitet) Natürlich isses eine Sauerei. Und Ratzinger hat sich da immer fein rausgehalten, sowohl als Bischof als auch als Präfekt der Glaubenskongregation. Vertuscht wurde, um es zu präzisieren, der Vorfall in Essen, bzw. die Vorfälle. Nicht der in Grafing, der wurde ja gerichtsmassig. Aber den Garchingern verheimlicht, so dass die Straftaten in Garching möglich wurden. Die wurden dann von Soden vertuscht und im weiteren Sinn von Wetter. Niemand wollte genau hinschauen, der Benedikt schon gar nicht. Lieber die Nase in Bücher stecken und sich darauf verlassen, dass andere für ihn den Kopf hinhalten. Oder ihn decken. Weil, man ist ja Papst. bearbeitet 2. April 2023 von nannyogg57 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
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