Shubashi Geschrieben 18. Mai 2023 Melden Share Geschrieben 18. Mai 2023 Im Zuge mehrer anderer Threads hier fielen auch einige Bemerkungen zum sogen. „Sedisvakantismus“, der Idee, dass es aus verschiedenen Gründen und Ursachen keinen gültig gewählten Papst gäbe bzw. sogar die Vorstellung, der Stuhl Petri sei „unbesetzt“, was die wörtliche Übersetzung des Begriffs wäre. Zur Einleitung ist der entsprechende Wikipedia-Artikel verlinkt. Für mich als Diaspora-Katholiken ist das erstmal eine ziemlich alberne Verschwörungstheorie, aber nachdem ich ein bisschen nachgelesen und nachgedacht habe, scheint mir das ganze etwas verständlicher und eigentlich auch aufschlussreich für ein bestimmtes Kirchenverständnis, dass auch für einige Diskussionen hier von Relevanz scheint. Was ich allerdings überhaupt nicht weiss oder verstehe, ist die Bedeutung, die diese Ideen für die Kirche insgesamt heute noch haben. Albern ist die Theorie für mich, weil sie aus dem Papst, einem gewählten, absolut regierendem Wahlmonarchen, eine Art „Geisterbahnonkel“ macht, der sein Amt „wirklich“ nur in Abhängigkeit irgendwelcher kruder theologischer Theorien innehätte, die sich zudem auch noch tlw. widersprechen. Allerdings hat dieses Verständnis seine Wurzeln u.a. auch in einem irrationalen Wahrheitsverständnis, das für die katholische Kirche quasi einen besonderen „Wahrheitszugang“ postuliert, der zwar völlig unbeweisbar ist, aber trotzdem so behandelt wird, als hätte er sogar über die Kirche hinaus irgendeine Bedeutung. Da bilden sich dann eben die tlw. diskreten Verbindungen ins Land der Fantasien und Verschwörungstheorien, die schlicht nicht in eine moderne Welt passen und die ich mich mir nur schwer erklären kann. Meine Fragen dazu ist also: -Inwieweit beeinflussen solche Theorien vom „unbesetzten Stuhl“ heute noch ernsthaft die innerkirchliche Diskussion? Wäre so etwas auch heute noch mögliche Ursache eines Schismas, insbes. wenn z.B. bei der nächsten Papstwahl die Franziskuskritiker wieder einem eher weltoffenen Nachfolger konfrontiert würden? -Könnte nicht ein allgemein nüchterneres „soziologischeres“ Verständnis von der Kirche als Institution diese seltsame Form von Verschwörungstheorie nicht etwas entschärfen? Insbes. da die radikaleren Formen dieses Denkens ja auch politisch-extremistische Gestalt annehmen können, wenn ich Wikipedia richtig verstehe? Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Studiosus Geschrieben 18. Mai 2023 Melden Share Geschrieben 18. Mai 2023 (bearbeitet) Da Hochfest ist, nur zwei sehr kurze Bemerkungen zu den Fragen: - Ich glaube gar nicht, dass die sedisvakantistische Theorie jemals besonders merklichen Einfluss auf die kirchenpolitische Gemengelage im Großen hatte oder hat. Das war meines Erachtens schon immer eine Position, die nur von winzigen Gruppen, nochmal um vieles kleiner als etwa die Piusbruderschaft, vertreten wurde. - In meinen Augen ist der Sedisvakantismus vor allem die Folge von Kirchenreformen, die zu schnell, zu einschneidend und theologisch nicht ganz passgenau durchgeführt wurden. Wann flammten denn die maßgeblichen sedisvakantistischen Theorien auf? Nun, im 20. Jhd. hauptsächlich im Kontext des Zweiten Vatikanischen Konzils. Wenn man den Gläubigen gewissermaßen "über Nacht" eine neue Art zu glauben und zu beten vorsetzt, die nicht so recht zu dem passen will, was vorher galt, dann ist das eine radikale, aber in Grenzen auch nachvollziehbare Reaktion. Ich vereinfache das ein wenig: Wenn nach dem Konzil gewisse Lehrstücke des Modernismus, den Pius X. noch als den Inbegriff der Häresie deklariert hat, "rehabilitiert" wurden, dann ist das ein Reibungspunkt. Wenn sich die liturgischen Formen in der Wahrnehmung mancher Gläubiger sowohl dem Text als auch dem Ritus nach protestantischen Gottesdiensten angenähert haben, dann bleibt das nicht ohne Reaktion. Wenn die Kirche ihr Verhältnis zu den anderen Konfessionen und Religionen plötzlich ganz neu bestimmt und zusammen mit diesen betet, dann kann das für manche nach Apostasie aussehen (siehe Weltgebetstreffen in Assisi). Der Beispiele wären noch mehr. In der Person des Papstes kristallisiert sich diese Entwicklung. Wenn das alles geschehen kann, obwohl das Petrusamt doch der Garant der Orthodoxie der Kirche schlechthin ist, dann liegt - wenn man in diesem Denkmuster bleibt - doch ganz logisch nachvollziehbar die Frage nahe, ob dieses Amt noch handlungsfähig und von einem Inhaber besetzt ist, der dem katholischen Glauben anhängt. Wenn man das verneint, dann landet man auf geradem Wege beim Sedisvakantismus. Im Übrigen ist der Sedisvakantismus zwar tatsächlich anfällig für einen gewissen ekklesiologischen Tunnelblick, aber es ist weiß Gott nicht so, dass nur Naivlinge und Spinner diesem System anhängen. In der, wie ich es nennen will, ersten Phase des Sedisvakantismus waren das durchaus ernsthafte Theologen, die sich dazu verleiten ließen, z. B. an päpstlichen Universitäten lehrende Dominikaner. Es gibt da ein gewisses Paradox: Je mehr man die Theologie der maßgeblichen Theologen der Kirchengeschichte und die Lehrtradition der Kirche in ihrer Gesamtheit wirklich gut kennt, desto mehr müssten einem eigentlich die gewissen Reibungspunkte auffallen. In bestimmter Weise ist der Sedisvakantismus die anspruchsvollere Position: Nur zu sagen, im Konzil stehe es aber so und der Papst macht es ja auch und das dann verbissen zu verteidigen, erfordert keine größere intellektuelle Leistung. Das ist der objektiv orthodoxe, aber auch leichtere Weg des geringeren Widerstands. bearbeitet 18. Mai 2023 von Studiosus Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Shubashi Geschrieben 18. Mai 2023 Autor Melden Share Geschrieben 18. Mai 2023 6 hours ago, Studiosus said: Wann flammten denn die maßgeblichen sedisvakantistischen Theorien auf? Nun, im 20. Jhd. hauptsächlich im Kontext des Zweiten Vatikanischen Konzils. Wenn man den Gläubigen gewissermaßen "über Nacht" eine neue Art zu glauben und zu beten vorsetzt, die nicht so recht zu dem passen will, was vorher galt, dann ist das eine radikale, aber in Grenzen auch nachvollziehbare Reaktion. Das ist interessant: für mein kirchenpolitisch eher schlichtes Gemüt hätte so eine Theorie doch schon zu Zeiten auftauchen müssen, als sich mehrere „Päpste“ um das Amt stritten. Kann es nicht sein, dass so eine Theorie eigentlich in der „Mystifizierung“ des Papstamtes im 19. Jh. wurzelt, als die reale politische Macht des Stuhles Petri auf eine symbolische reduziert wird, diese aber innerhalb der Kirche verabsolutiert? Begründung: zuvor waren Auseinandersetzungen um das Papstamt oft das Ergebnis ganz handfester politischer Machtkämpfe, d.h. für eine kirchenpolitisch umstrittene Linie gab es nachvollziehbare Motive, und um eine andere Linie durchzusetzen, musste eben die konkurrierende Fraktion schlicht beim nächsten Papst erfolgreicher agieren. Eine „geistliche“ Übersteigerung der Bedeutung des Amtes war nicht nötig, es herrschte eine realpolitisch-pragmatische Sicht vor. Ab dem 19.Jh. wird die politische Kabale dann durch die theologische ersetzt. 2 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Shubashi Geschrieben 19. Mai 2023 Autor Melden Share Geschrieben 19. Mai 2023 Ich würde gerne einen weiteren Beleg anführen, dass der „Sedisvakantismus“ eine Theorie ist, die erst durch den politischen Bedeutungsverlust des Papsttums relevant wurde. Der klassische Vorläufer der bloß theologisch behaupteten „Sedisvakanz“ war der „Gegenpapst“, was eigentlich jeder Papst einer multipapalen Periode war, denn der Begriff war ja lediglich auf den jeweiligen Prätendenten der Gegenpartei gemünzt. Man selbst war stets der einzig gottgewollte „Papst“. Wer von diesen allen der „wirkliche“ Papst war, ergab sich letztlich im nachhinein aus staatspolitischen Notwendigkeiten und Machtambitionen der Päpste selbst - Theologie war dafür lediglich die ideologische Bemäntelung des dann Faktischen. 1 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Studiosus Geschrieben 19. Mai 2023 Melden Share Geschrieben 19. Mai 2023 (bearbeitet) Den Konnex zur politischen Dimension des Papstamtes sehe ich nicht. Und wie neulich richtig angemerkt wurde, sind Gegenpäpste oder unterschiedliche Obödienzen nicht mit der Theorie des Sedisvakantismus zu verwechseln. Nach meinem Dafürhalten ist der Sedisvakantismus ein rein theologisches, innerkirchliches, konkret innerkatholisches Problem, das sich auf zwei Fragen zuspitzen lässt: Kann der Papst fehlen? Und wenn der Papst fehlt, fehlt dann auch die Kirche? [Fehlen bitte im Sinne von irren] Diese historisch-politische Diskussion, mag sie auch reizvoll sein, lenkt etwas von diesem eigentlichen Kern des Problems ab. bearbeitet 19. Mai 2023 von Studiosus Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Flo77 Geschrieben 19. Mai 2023 Melden Share Geschrieben 19. Mai 2023 vor 56 Minuten schrieb Studiosus: Fehlen bitte im Sinne von irren Gerne, aber wieso schreibst Du das dann nicht direkt? Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Werner001 Geschrieben 21. Mai 2023 Melden Share Geschrieben 21. Mai 2023 Am 19.5.2023 um 17:25 schrieb Flo77: Gerne, aber wieso schreibst Du das dann nicht direkt? Weil dann das Wortspiel verloren geht Werner 1 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
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