Merkur Geschrieben 30. August 2023 Melden Share Geschrieben 30. August 2023 vor 1 Stunde schrieb Studiosus: Der katholische Christ oder auch die Kirche in ihrer Selbstbeschreibung würde nun sagen, dass sie, vielleicht nicht als einzige, aber doch in umfassenderem, wenn auch noch vollkommenen Sinne erkannt hat, was ein Elefant sei. Und das nicht nur durch ihren Tastsinn, sondern vor allem auch weil der Elefant ihr selbst mitgeteilt hat, was er ist. Das nennt man als Theologe dann Offenbarung oder Selbstoffenbarung Gottes. Als ob ein Elefant wüßte und mitteilen könnte, was ein Elefant ist. Dazu fällt mir ein Zitat von Marcel Reich-Ranicki ein: "Die meisten Schriftsteller verstehen von der Literatur nicht mehr als die Vögel von der Ornithologie.“ So wie Schriftsteller nicht beurteilen können, ob ihre Literatur "wahr" ist, können auch Priester oder Theologen dies nicht ohne weiteres sinnvoll von ihrer Religion behaupten. Das wäre vielleicht eher ein Thema für Religionswissenschaftler. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Studiosus Geschrieben 30. August 2023 Melden Share Geschrieben 30. August 2023 (bearbeitet) @Merkur Dein Beitrag lässt in mir die Frage aufsteigen, ob hier überhaupt derselbe Wahrheitsbegriff zugrunde gelegt wird? Oder um es auf die Frage des Pilatus zuzuspitzen: Was ist Wahrheit? Aber das Problem besteht natürlich und ich finde, das Reich-Ranicki-Zitat macht das gut anschaulich. Vom ihm stammt auch, allerdings nur zitiert, glaube ich, folgendes Bonmot über den Literaturkritiker: "Der Kritiker nimmt eine Kartoffel und schnitzt sie solange zurecht, dass sie aussieht wie eine Birne. Dann beißt er rein und sagt: 'Das schmeckt ja gar nicht wie eine Birne'." Wen der Literaturkritiker in unserem Zusammenhang vertritt, den Religionskritiker oder den Theologen oder jemand anderen, dem müsste man nachgehen. bearbeitet 30. August 2023 von Studiosus Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Werner001 Geschrieben 30. August 2023 Melden Share Geschrieben 30. August 2023 Jesus sagt zu Thomas: „weil du gesehen hast, glaubst du. selig, die nicht sehen und doch glauben.“ In Kategorien von subjektiv/objektiv heißt das: weil du das objektiv Erkennbare erkannt hast, hältst du es für wahr, das ist aber nichts besonderes. Eine Leistung ist es, das nicht objektiv Erkennbare subjektiv für wahr zu halten. Ich habe noch nie verstanden, warum viele Gläubige es nicht akzeptieren können, das ihr Glaube subjektiv ist. Nach christlichem Glauben ist ja der Glaube wesentliche Erlösungsvoraussetzung. Welchen Wert hätte aber denn ein Glaube, der lediglich darin besteht, etwas objektiv Wahres für wahr zu halten? Die Glaubensleistung besteht doch darin, „nicht zu sehen und doch zu glauben“. Werner Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Studiosus Geschrieben 30. August 2023 Melden Share Geschrieben 30. August 2023 (bearbeitet) vor 11 Minuten schrieb Werner001: Eine Leistung ist es, das nicht objektiv Erkennbare subjektiv für wahr zu halten. Eine noch größere Leistung (bzw. keine eigene Leistung, die man sich selbst attestiert; siehe zweiter Absatz) ist es, nicht objektiv Erkennbares sogar für objektiv wahr anzuerkennen. Das nennt sich übernatürlicher Glaube (fides supernaturalis; nicht zu verwechseln mit dem Glauben an Übernatürliches). Dieser übernatürliche Glaube geht dem Glaubensakt als rationalem Vorgang voraus und hat seinen Ankerpunkt in der eingegossenen Gnade (gratia infusa), die Gott umsonst (gratis) vermittelt, und welche die Voraussetzung des Glaubens überhaupt ist. bearbeitet 30. August 2023 von Studiosus Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
iskander Geschrieben 30. August 2023 Melden Share Geschrieben 30. August 2023 Und da es keinen Beweis für die Wahrheit einer bestimmten Religion oder Konfession gibt - jedenfalls keinen, der intersubjektive Überzeugungskraft beanspruchen könnte oder eine gewisse allgemeine Anerkennung finden würde - stellt sich natürlich die Frage, warum eine religiöse Person glaubt, was sie glaubt. Dass sie einfach nur ihrer Tradition folgt, mag aus einer sozialwissenschaftlichen Perspektive die naheliegendste Antwort sein. Aber beispielsweise für einen Katholiken, der sich das Wahrheits- und Glaubensverständnis seiner Kirche zueigen macht, ist das natürlich keine gute Antwort. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
iskander Geschrieben 30. August 2023 Melden Share Geschrieben 30. August 2023 (bearbeitet) vor 2 Stunden schrieb Studiosus: Eigentlich wäre mir keine Religion bekannt - ich kenne nicht alle, irgendwelche universalistischen Gemeinschaften tun das vielleicht -, die ihren eigenen Wahrheitsanspruch sozusagen systemimmanent relativieren würde. Das ist doch ein sehr progressiv-katholisches Ding, wie ich finde. Wenn man von "Religionen" weggeht und religiöse Schulen/Bewegungen ins Auge fasst, fiele mir spontan Ramakrishna ein. Dass das folgende Zitat von ihm nicht "katholisch" ist, ist dabei klar: "Ich habe alle Religionsbräuche geübt: den Hinduismus, den Islam, das Christentum, und ich bin auch die Wege der verschiedenen Sekten des Hinduismus gegangen, und ich habe gefunden, dass es derselbe Gott ist, zu dem sie alle streben, wenn auch auf verschiedenen Wegen ... Ihr müsst diese verschiedenen Wege gehen und einmal jede Glaubensform wirklich durchproben. Ich sehe überall Menschen, die sich im Namen der Religion streiten: Hindus, Muslime, Brahmos, Vishnuiten usw. Sie bedenken aber nicht, dass Der, der Krishna genannt wird, ebenso Shiva heißt, und ebenso gut kann er Urkraft, Jesus oder Allah genannt werden und ebenso gut der eine Rama mit seinen tausend Namen. Ein Teich mit vielen Badetreppen. Auf einer schöpfen die Hindus das Wasser in Krügen und nennen es Jal; auf einer anderen schöpfen die Muslime das Wasser in ledernen Schläuchen und nennen es Pani; auf einer dritten die Christen und nennen es Water. Können wir uns denn vorstellen, dass dieses Wasser nicht Jal ist, sondern Pani oder Water? Das wäre doch lächerlich! Der Urgrund ist Einer unter verschiedenen Namen, und ein jeder sucht nach demselben Urgrund; nur Klima, Naturanlage und Benennung schaffen die Unterschiede." bearbeitet 30. August 2023 von iskander 1 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Werner001 Geschrieben 30. August 2023 Melden Share Geschrieben 30. August 2023 vor 25 Minuten schrieb Studiosus: Eine noch größere Leistung (bzw. keine eigene Leistung, die man sich selbst attestiert; siehe zweiter Absatz) ist es, nicht objektiv Erkennbares sogar für objektiv wahr anzuerkennen. Das nennt sich übernatürlicher Glaube (fides supernaturalis; nicht zu verwechseln mit dem Glauben an Übernatürliches). Das schrieb ich bereits weiter oben. Aber wenn du oder ich oder die Kirche oder sonst jemand etwas „anerkennt“, ist das ein subjektiver Vorgang. Es gibt keinen Glauben ohne Subjektivität Werner 1 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Marcellinus Geschrieben 30. August 2023 Melden Share Geschrieben 30. August 2023 vor 2 Stunden schrieb Studiosus: Dass man sozusagen praktisch den absoluten Wahrheitsanspruch seiner Religion nicht dazu verwendet, andere Menschen unter sein Joch zu zwingen oder sie als Menschen zweiter Klasse zu betrachten, das ist die Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben der Religionen, wofür man - dort, wo es funktioniert - nur dankbar sein kann. Es muss allerdings nicht dazu führen, dass man den Wahrheitsanspruch seiner Religion negiert oder subjektivistisch relativiert. Nur ist die Relativierung des Wahrheitsanspruches von Religionen die Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Weltanschauungen. Die mögen für sich glauben, daß sie im Besitz der Wahrheit™ sind, nur müssen sie damit leben, daß das andere anders sehen. Und - es tut mir leid - zu erkennen, daß der eigene Wahrheitsanspruch nur für einen selbst gilt, ist, ich muß es so deutlich sagen, "subjektivistische Relativierung". Wenn man das nämlich nicht tut, nährt man bei allen anderen die Vermutung, der Gläubige, und vor allem seine Glaubensgemeinschaft, würde bei Gelegenheit versuchen, dem eigenen Wahrheitsanspruch wieder Geltung zu verschaffen. Und da wir das schon mal hatten (wenn es auch zum Glück schon eine Zeit her ist), wollen wir das nicht wieder. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Studiosus Geschrieben 30. August 2023 Melden Share Geschrieben 30. August 2023 (bearbeitet) vor 21 Minuten schrieb Marcellinus: Wenn man das nämlich nicht tut, nährt man bei allen anderen die Vermutung, der Gläubige, und vor allem seine Glaubensgemeinschaft, würde bei Gelegenheit versuchen, dem eigenen Wahrheitsanspruch wieder Geltung zu verschaffen. Und da wir das schon mal hatten (wenn es auch zum Glück schon eine Zeit her ist), wollen wir das nicht wieder. Ist das wirklich so? Ich sehe das nicht als zwingende Konsequenz. Ich bin - was jetzt keine allzu große Überraschung sein wird - so ein Gläubiger, der von der absoluten, nicht der relativen oder subjektiven Wahrheit seiner Religion überzeugt ist. Und deshalb gehe ich auch davon aus, dass alle anderen Religionen und natürlich auch Atheisten nach unterschiedlichen Graden irren oder schlicht Unrecht haben. Aber ich käme beispielsweise nicht auf die Idee, deshalb - weder im Großen noch im Kleinen - einen Kreuzzug zu starten, um der Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen, auch gegen den Willen anderer Menschen. Ich gebe zu, dass ich privatim für die Bekehrung der Menschen bete, aber darin erschöpfen sich meine Ambitionen dann auch schon. Ich bin relativ bequem (und ungefährlich). Ich hielte schon deshalb nichts von einer katholischen Reconquista, weil ich - wie ich oben angedeutet habe - davon ausgehe, dass Glaube neben dem äußeren Akt auch Gnade voraussetzt. Und die kann ich, grob gesprochen, niemandem in den Kopf hämmern, sondern die kommt, wenn sie kommt, von oben. Weshalb Gewalt für mich in religiösen Zusammenhängen prinzipiell ausscheidet. Wünschte ich, vor allem auch im Interesse dieser Menschen, dass alle Welt katholisch wäre? Ja, das tue ich durchaus. Würde ich deshalb Menschen zum Glauben mit Feuer und Schwert zwingen? Nein, das schließe ich aus. bearbeitet 30. August 2023 von Studiosus 2 1 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Werner001 Geschrieben 30. August 2023 Melden Share Geschrieben 30. August 2023 vor 55 Minuten schrieb Studiosus: Ich bin - was jetzt keine allzu große Überraschung sein wird - so ein Gläubiger, der von der absoluten, nicht der relativen oder subjektiven Wahrheit seiner Religion überzeugt ist. Das ist doch völlig ok. Aber „ich bin überzeugt“ beschreibt etwas Subjektives. Nur darauf will ich hinaus Werner 1 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Marcellinus Geschrieben 30. August 2023 Melden Share Geschrieben 30. August 2023 vor 2 Minuten schrieb Werner001: vor 59 Minuten schrieb Studiosus: Ich bin - was jetzt keine allzu große Überraschung sein wird - so ein Gläubiger, der von der absoluten, nicht der relativen oder subjektiven Wahrheit seiner Religion überzeugt ist. Das ist doch völlig ok. Aber „ich bin überzeugt“ beschreibt etwas Subjektives. Nur darauf will ich hinaus Das scheint ein bißchen schwer verständlich zu sein: daß die Überzeugung, die eigene Weltanschauung eine absolute Wahrheit darstelle, auch nur eine subjektive ist. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Studiosus Geschrieben 30. August 2023 Melden Share Geschrieben 30. August 2023 (bearbeitet) Das ist nicht schwierig, sondern eine sprachliche Finesse. Das ist ähnlich wie beim Genitivus subiectivus und obiectivus. Natürlich ist die Entscheidung, den absoluten Wahrheitsanspruch der Kirche zu teilen, eine subjektive, soweit es Subjekte, einzelne, individuierte Personen braucht, die diese Entscheidung treffen. In dieser Hinsicht könnte man das subjektiv nennen. Der Glaube als solcher aber, der objektiv wahr ist, bleibt natürlich auch dann wahr, wenn es niemanden geben sollte, der ihm anhängt. Die Wahrheit ist unabhängig vom rezipierenden oder eben nicht rezipierenden Subjekt. Außer wir schließen uns hier geschlossen dem Protagoras an. Dann sind wir aber unmittelbar bei einer Art konstruktivistischer Weltdeutung, welche die Beschaffenheit der Dinge von der Wahrnehmung des einzelnen Menschen abhängig macht. Dann dürfte, ob gläubig oder säkular, allerdings auch niemand mehr am Selbstbestimmungsgesetz rummaulen. bearbeitet 30. August 2023 von Studiosus 1 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
iskander Geschrieben 30. August 2023 Melden Share Geschrieben 30. August 2023 (bearbeitet) vor 3 Stunden schrieb Werner001: Das ist doch völlig ok. Aber „ich bin überzeugt“ beschreibt etwas Subjektives. Nur darauf will ich hinaus Werner Man müsste hier tatsächlich klären, was "subjektiv" in diesem Kontext bedeutet. Wenn ich überzeugt bin, dass der Baum draußen eine Buche ist, dann gehört diese Überzeugung zwar in einem gewissen Sinne zu mir, einem denkenden "Subjekt". Die Überzeugung selbst richtet sich jedoch auf einen Sachverhalt, der nicht von mir als Subjekt abhängt. In diesem Punkt hat Studiosus schon recht. Ich bin überzeugt, dass der Baum draußen tatsächlich eine Buche ist. "Tatsächlich" heißt hier auch: Unabhängig von meinem subjektiven Empfinden oder meiner Meinung. Ich bin überzeugt, dass der Baum auch dann noch eine Buche wäre, wenn ich - hypothetisch gesprochen - eine entgegengesetzte Meinung hätte oder mir gar nie Gedanken zum Thema gemacht hätte. (Schließlich glaube ich nicht, dass ich durch meine Meinungen über diese Welt erst erschaffe, oder dass ich die Welt umgestalten könnte, einfach indem ich meine Meinung über sie ändere. Eine Buche bliebe auch dann eine Buche, wenn ich anfangen würde, sie für eine Eiche zu halten.) Und wenn jemand nun eine abweichende Meinung hat - also etwa glaubt, der fragliche Baum sei gar keine Buche, sondern vielmehr eine Tanne - dann halte ich seine Auffassung für falsch und "muss" sie auch für falsch halten, sofern ich logisch denken will. Ich würde also zugeben, dass wir dann unterschiedliche Meinungen haben (ich halte den Baum für eine Buche, der andere für eine Tanne), aber nicht, dass beide Meinungen wahr wären (dass der Baum sowohl eine Buche wie auch eine Tanne sei; oder dass er eine Buche sei und zugleich keine Buche sei). Denn eine Überzeugung oder Meinung haben und sie (wenigstens mit einem gewissen Grad an Zuversicht) für wahr halten ist ein und dasselbe, und widersprechende Meinungen für falsch zu halten ergibt sich mit etwas Logik sozusagen von selbst. Entsprechend zielen die Aussagen von Religionen und Konfessionen wie etwa dem Katholizismus ebenfalls auf die Wirklichkeit. Das heißt die Kirche glaubt etwa, dass es tatsächlich einen ewigen und allmächtigen Gott gibt, der alles geschaffen hat und die Kirche leitet - und dass jemand, der das abstreitet, sich irrt. (Insofern verhält es sich wie mit dem Baum aus meinem Beispiel. Allerdings lässt sich bei einem Baum halt im Zweifel normalerweise relativ einfach und zudem intersubjektiv nachprüfen, ob er eine Buche ist oder nicht, während das für religiöse Überzeugungen nicht gilt.) Eine Überzeugung muss auch nicht zwingend mit Intoleranz einhergehen. Selbst wenn ich vollkommen überzeugt bin, dass der Baum draußen eine Buche ist (und vielleicht hervorragende Argumente habe), muss ich jemanden, der meint, der Baum sei eine Tanne, deshalb nicht unbedingt totschlagen. Bei Religionen ist die entsprechende Gefahr sicher größer, aber auch hier impliziert ein Wahrheitsanspruch nicht zwingend Intoleranz. Wer beispielsweise glaubt (es für wahr hält), dass sein Gott Zwangsbekehrungen hasse und die menschliche Freiheit liebe, wird wohl niemandem seinen Glauben aufzwingen wollen. bearbeitet 30. August 2023 von iskander 1 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
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