Domingo Geschrieben 29. Oktober 2023 Melden Share Geschrieben 29. Oktober 2023 In diesem Thread ist die Diskussion sehr zerfasert; deswegen versuche ich, die Wahrheitsdebatte hier fortzuführen. Diese Debatte fiel mir neulich wieder ein, indem ich einen neuen Aufsatz über die Urheimat und das Zeitalter des Urindogermanischen (hier) las. Ich versuche noch, die Argumentation ganz zu kapieren (Wahrscheinlichkeitstheorie und Bayes'sche Mathematik ist nicht gerade mein Spezialgebiet), die Hauptthesen sind aber klar, darunter, dass die Autoren davon ausgehen, dass es um 6000 v. Chr. anfing, sich in verschiedene Sprachgruppen aufzuspalten. Dies ist sehr umstritten, unter anderem, weil zu den rekonstruierten Ur-ig. Wörtern dasjenige für "Rad" und das für "Bronze" oder jedenfalls ein Metall gehören, wofür nach dem, was wir heute "wissen" (?), 6000 V. Chr. viel zu früh ist. Daher vermuten die Autoren, die betreffenden Wörter hätten im IG was anderes bedeutet und später habe sich ihre Bedeutung in allen Tochtersprachen gleich entwickelt, so dass sie dann in ihnen allen "Rad" oder "Bronze" bedeuten 🤯 Das Protoindogermanische existierte mMn gewiss. Die Ähnlichkeiten zwischen all den Sprachen wie Sanskit, Latein, Russisch, Persisch usw. usf. sind zu groß, um Zufall zu sein. Also können wir doch behaupten, "Diese Sprachen [Liste einfügen] stammen von einer nicht mehr existierenden und nirgendwo schriftlich belegten Ursprache." Das ist dann wohl Wissen und eine Wahrheit, die durchaus positiv ist. Wie könnte sie als "negativ" beschrieben werden? Einfach die Aussage umzuformulieren in "Diese Sprachen sind nicht ohne Verwantschaftsbeziehungen untereinander" oder sowas und dann zu behaupten, das sei eine negative Wahrheit, käme mir als albern vor. Also existieren doch positive Wahrheiten, und wir haben zumindest eine mit Bezug auf die ig. Sprachen, obwohl alles andere über sie umstritten und unklar ist? Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Marcellinus Geschrieben 30. Oktober 2023 Melden Share Geschrieben 30. Oktober 2023 vor 11 Stunden schrieb Domingo: Also können wir doch behaupten, "Diese Sprachen [Liste einfügen] stammen von einer nicht mehr existierenden und nirgendwo schriftlich belegten Ursprache." Das ist dann wohl Wissen und eine Wahrheit, die durchaus positiv ist. Wissen ja, Wahrheit nein, weil zur „Wahrheit“ das Attribut „endgültig“ gehört, und davon kann man bei einer solch schwammigen Aussage wohl nicht reden. Was steckt also wirklich dahinter? Die „negative Gewißheit“, daß all diese Sprachen sich wohl nicht unabhängig von einander entwickelt haben. Das ist zumindest ziemlich sicher (auch von einer „Wahrheit“ weit entfernt). Wie diese Abhängigkeit dagegen ausgesehen hat, weiß man nicht. Da betreten wir das Reich der Vermutungen. Ich bin kein Sprachforscher, nur Historiker, und als solcher weiß ich, daß kaum etwas nur eine Quelle hat, und Theorien, wie etwas entstanden ist, auch Moden unterliegen. Wenn ich allein überlege, wieviele Theorien es für die Entsteheung der Buchstabenschrift gegeben hat. Jede Theorie wird zu ihrer Zeit für die Wahrheit gehalten, nur um dann durch neue Entdeckungen entthront zu werden. "One of the greatest tragedies in life is the murder of a beautiful theory by a gang of brutal facts." (Benjamin Franklin) Der Begriff „Wahrheit“ steht für ein klares, binäres wahr-falsch Schema, und hat seine Berechtigung in Mathematik und Logik, von Menschen geschaffene Symbolsysteme, so geschaffen, daß Frage und Antwort aus genau diesen Symbolen bestehen. 2 + 2 = 3. Eine solche Aussage ist genau entweder wahr oder falsch. Unsere theoretisch-empirischen Wissenschaften dagegen versuchen mit menschengemachten Symbolen (egal ob Zahlen oder Worte) eine Wirklichkeit zu beschreiben, die nicht aus menschengemachten Symbolen besteht, sondern weit komplexer ist. Daher leiden wir und damit unsere Theorien an (mindestens) drei Mängel: dem Mangel an Informationen, Zeit und kognitiven Fähigkeiten. Das ist der tiefere Grund, warum alle unsere Vorstellungen von dieser Welt vorläufig, unvollständig oder (aus späterer Sicht betrachtet) falsch sind. Das Einzige, was wir feststellen können, ist, ob eine Theorie besser ist als die vorhergehende, weniger Widersprüche enthält, auf mehr und besser belegten Tatsachenbeobachtungen beruht, was immer im jeweiligen Fachgebiet von Bedeutung ist. Und wir können feststellen, ob eine Theorie endgültig tot ist. Darauf, dem Ausschließen endgültig falscher Vorstellungen, und der Entwicklung neuer, mehr und besser empirisch belegter Theorien besteht der wissenschaftliche oder technische Fortschritt. „Wahr“ werden diese Vorstellungen, Modelle und Theorien dadurch nicht. Kein Vergleich mit 2 + 2 = 3! Dazu fehlt ihnen das Entgültige (und sicherlich auch die Einfachheit und Schlichtheit einer mathematischen Aussage); dazu sind sie zu vorläufig. Aber sie sind ein Fortschritt (oder können es doch zumindest sein). Nicht eine Annäherung an die „Wahrheit“ (denn wie will man eine Annäherung an etwas bestimmen, das man nicht kennt?), sondern die Entfernung von möglichst vielen Irrtümern, die unsere Fantasie mangels Informationen beim Nachdenken über diese Welt hervorgebracht hat. Damit ist die Aufgabe der theoretisch-empirischen Wissenschaften nicht die Suche nach der „Wahrheit“, sondern das Aufspüren von Irrtümern. Wissenschaftler sind Mythenjäger, auf der Jagd nach Irrtümern, um sie durch besser empirisch belegte Vorstellungen zu ersetzen. 1 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Soulman Geschrieben 30. Oktober 2023 Melden Share Geschrieben 30. Oktober 2023 (bearbeitet) Hi Marcellinus, die Wahrheit ist: Diesen Beitrag hattest Du für Copy-Paste weggelegt. , Martin bearbeitet 30. Oktober 2023 von Soulman Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Marcellinus Geschrieben 30. Oktober 2023 Melden Share Geschrieben 30. Oktober 2023 vor 11 Minuten schrieb Soulman: Hi Marcellinus, die Wahrheit ist: Diesen Beitrag hattest Du für Copy-Paste weggelegt. , Martin Nein, den habe ich eben geschrieben. Aber ich sollte ihn speichern. 1 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Marcellinus Geschrieben 30. Oktober 2023 Melden Share Geschrieben 30. Oktober 2023 Natürlich habe ich einen Artikel mit der Überschrift „was ist Wahrheit?“ In meinem Archiv (eigentlich sind es sogar drei!). Aber damit einer von Ihnen als Antwort auf @Domingos Post hätte gelten können, hätte ich ihn zu sehr verändern müssen. Da fand ich es einfacher, zu schreiben, was mir den Kopf kam. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Soulman Geschrieben 30. Oktober 2023 Melden Share Geschrieben 30. Oktober 2023 vor 11 Minuten schrieb Marcellinus: Natürlich habe ich einen Artikel mit der Überschrift „was ist Wahrheit?“ In meinem Archiv (eigentlich sind es sogar drei!). Aber damit einer von Ihnen als Antwort auf @Domingos Post hätte gelten können, hätte ich ihn zu sehr verändern müssen. Da fand ich es einfacher, zu schreiben, was mir den Kopf kam. Ich hab den "Was ist Würde?" in meiner ewigen Bestenliste. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Marcellinus Geschrieben 30. Oktober 2023 Melden Share Geschrieben 30. Oktober 2023 vor 14 Minuten schrieb Soulman: Ich hab den "Was ist Würde?" in meiner ewigen Bestenliste. Auch so ein hübsch wolkiger Begriff, dessen Inhaltslosigkeit in merkwürdigem Kontrast steht zu seiner behaupteten Bedeutung. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Weihrauch Geschrieben 30. Oktober 2023 Melden Share Geschrieben 30. Oktober 2023 (bearbeitet) Meine Münze hat zwei andere Seiten: Fehler- vs. Wahrheitsgehalt. Beides kann in einer Aussage stecken. "Die Sonne bewegt sich um die Erde." Der Fehler ist "um die Erde" der Wahrheitsgehalt ist, dass sich wenigstens eines von beiden oder beides bewegt. Die Bewegung verstehe ich als positiven Wahrheitsgehalt in der Aussage. Da bin ich auf der Seite von Domingo, weil ich keine Idee habe, wie man das sinnvoll negativ formulieren könnte. Da ist kein Stillstand, käme mir komisch vor, weil Stillstand irgendwie auch eine positiv erkanntes Etwas, oder eine positiv erkannte Eigenschaft von Etwas ist. Oder so ähnlich oder was weiß ich? bearbeitet 30. Oktober 2023 von Weihrauch 1 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Moriz Geschrieben 30. Oktober 2023 Melden Share Geschrieben 30. Oktober 2023 vor 19 Minuten schrieb Weihrauch: Meine Münze hat zwei andere Seiten: Fehler- vs. Wahrheitsgehalt. Beides kann in einer Aussage stecken. "Die Sonne bewegt sich um die Erde." Der Fehler ist "um die Erde" der Wahrheitsgehalt ist, dass sich wenigstens eines von beiden oder beides bewegt. Die Bewegung verstehe ich als positiven Wahrheitsgehalt in der Aussage. Da bin ich auf der Seite von Domingo, weil ich keine Idee habe, wie man das sinnvoll negativ formulieren könnte. Da ist kein Stillstand, käme mir komisch vor, weil Stillstand irgendwie auch eine positiv erkanntes Etwas, oder eine positiv erkannte Eigenschaft von Etwas ist. Oder so ähnlich oder was weiß ich? Kein Fehler, sondern korrekt!* Zum Einen ist es einfach eine Frage des Bezugssystems. Naheliegend ist das Bezugssystem Erde, und um dieses bewegt sich die Sonne. Erst zur Erklärung so spezieller Dinge wie der Planetenbahnen (wer braucht die schon im Alltag?) ist das heliozentrische Bezugssystem besser geeignet. * Laut Newton bewegen sich Sonne und Erde umeinander. Wobei der gemeinsame Schwer- und Drehpunkt nur unwesentlich vom Sonnenmittelpunkt abweicht. Aber nach @Marcellinus exaktem Wahrheitsbegriff sind die eben nicht identisch. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Weihrauch Geschrieben 30. Oktober 2023 Melden Share Geschrieben 30. Oktober 2023 Ich verstehe nicht, was du damit meinst, bzw worauf du das beziehst: vor 5 Minuten schrieb Moriz: Kein Fehler, sondern korrekt!* Selbst der Fehlergehalt der Aussage "Die Sonne bewegt sich um die Erde" erlaubt nützliche technische Anwendungen: Sonnenuhr und Sonnenkompass im täglichen Gebrauch. So steckt selbst im Fehlergehalt noch ein anwendbarer Wahrheitsgehalt. vor 6 Minuten schrieb Moriz: Zum Einen ist es einfach eine Frage des Bezugssystems. Schon klar, wählt man als Bezugsystem die Galaxie, bewegt sich die Sonne um das Gravitationszentrum der Galaxie und zieht die Erde auf ihrem Weg hinter sich her. Wobei auch hier wieder ein gewissen Fehler- und Wahrhaitsgehalt in der Aussage steckt. In Bezug zur Andromedagalaxis sieht es wieder anders aus. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Soulman Geschrieben 30. Oktober 2023 Melden Share Geschrieben 30. Oktober 2023 Trennt Wahrheit von Wissen und die Demut kommt von ganz alleine. 3 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Weihrauch Geschrieben 30. Oktober 2023 Melden Share Geschrieben 30. Oktober 2023 Das Ist jetzt so ein katholisches Kirche Ding, nich!? Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Domingo Geschrieben 31. Oktober 2023 Autor Melden Share Geschrieben 31. Oktober 2023 vor 12 Stunden schrieb Marcellinus: Wissen ja, Wahrheit nein, weil zur „Wahrheit“ das Attribut „endgültig“ gehört, und davon kann man bei einer solch schwammigen Aussage wohl nicht reden. Was steckt also wirklich dahinter? Die „negative Gewißheit“, daß all diese Sprachen sich wohl nicht unabhängig von einander entwickelt haben. Also doch, was ich vermutete und wovor ich gewarnt habe: Du formulierst einen positiven Satz in einen negativen um und behauptest, jetzt verhalte es sich mit dem Wissensgehalt ganz anders. Außerdem ist Deine Formulierung mMn genauso schwammig wie die meinige. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Weihrauch Geschrieben 31. Oktober 2023 Melden Share Geschrieben 31. Oktober 2023 @Marcellinus Was kommt dabei heraus, wenn du den Satz "Die Sonne bewegt sich um die Erde." negativ umformulierst? Wenn du das z.B. so machen würdest "Die Sonne bewegt sich nicht um die Erde." dann hat der Satz zwar keinen Fehlergehalt, aber auch überhaupt keinen nachvollziehbaren Wahrheitsgehalt mehr. Bewegt sich dann noch irgend etwas? Beides könnte sich nicht bewegen, weder die Sonne noch die Erde. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Marcellinus Geschrieben 31. Oktober 2023 Melden Share Geschrieben 31. Oktober 2023 vor 11 Stunden schrieb Domingo: vor 23 Stunden schrieb Marcellinus: Wissen ja, Wahrheit nein, weil zur „Wahrheit“ das Attribut „endgültig“ gehört, und davon kann man bei einer solch schwammigen Aussage wohl nicht reden. Was steckt also wirklich dahinter? Die „negative Gewißheit“, daß all diese Sprachen sich wohl nicht unabhängig von einander entwickelt haben. Also doch, was ich vermutete und wovor ich gewarnt habe: Du formulierst einen positiven Satz in einen negativen um und behauptest, jetzt verhalte es sich mit dem Wissensgehalt ganz anders. Außerdem ist Deine Formulierung mMn genauso schwammig wie die meinige. Ist das wirklich so? Deine Aussage war, daß die Indogermanischen Sprachen sich aus einer einzigen entwickelt hätten, für die es allerdings keine Belege gäbe. Meine Aussage, die sich auf das bezieht, was du als Hinweise angegeben hast, war, daß diese Sprachen sich nicht unabhängig entwickelt haben. Das ist, soweit ich die deutsche Sprache verstehe, ein inhaltlicher Unterschied. Es gibt zahlreiche historische Beispiele für Sprachen, die Gemeinsamkeiten aufweisen, ohne aus einer gemeinsamen Vorgängersprache entstanden zu sein. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Marcellinus Geschrieben 31. Oktober 2023 Melden Share Geschrieben 31. Oktober 2023 vor einer Stunde schrieb Weihrauch: @Marcellinus Was kommt dabei heraus, wenn du den Satz "Die Sonne bewegt sich um die Erde." negativ umformulierst? Wenn du das z.B. so machen würdest "Die Sonne bewegt sich nicht um die Erde." dann hat der Satz zwar keinen Fehlergehalt, aber auch überhaupt keinen nachvollziehbaren Wahrheitsgehalt mehr. Bewegt sich dann noch irgend etwas? Beides könnte sich nicht bewegen, weder die Sonne noch die Erde. Schau dir einfach die historische Entwicklung des astronomischen Wissens an. Da gab es das Ptolemäische Weltbild mit der Erde im Mittelpunkt, und das funktionierte lange Zeit ziemlich gut. Aber mit der Entwicklung der Himmelsbeobachtung, auch mit Hilfe von Fernrohren, sammelten sich zunehmend Beobachtungsdaten an, die mit dem Ptolemäischen Modell nicht mehr in Einklang zu bringen waren. Das war die negative Erkenntnis, übrigens keineswegs sofort von allen Astronomen. Einige versuchten noch eine Zeit lang das Ptolemäische Modell zu halten. Das heliozentrische Modell war von Anfang an viel einfacher, allerdings im Bezug auf die astronomischen Beobachtungen mindestens genauso falsch. Erst mit der Zeit rückte man von der Fantasievorstellung von Kreisbahnen ab, und fand mit Elipsen ein Modell, das besser paßte. Genau ist es übrigens bis heute nicht, weil immer noch Einflüsse zB auf die Erdbahn entdeckt werden, von denen Kopernikus und seine Zeitgenossen noch keine Ahnung hatten. Endgültig falsifiziert ist damit seit langem das Ptolemäische Weltbild. Das ist tot, aus, Ende. Das heliozentrische Modell war und ist eindeutig besser, aber „wahr“ im Sinne von endgültig ist es nicht, was man daran sieht, daß auch noch nach Jahrhunderten daran gebastelt wird. Aber, und das ist die gute Nachricht, jede dieser Verbesserungen seitdem hat das Modell nicht für falsch erklärt, sondern verfeinert und verbreitert. Damit war die Entwicklung des heliozentrischen Modells Grundlage und Beginn der Astronomie als moderne theoretisch-empirische Wissenschaft. Gleiches gilt für die Theorien Isaac Newtons für die Physik und die Evolutionstheorie von Darwin und Wallace für die Biologie. Jedesmal handelt es sich um grundlegende Theorien über Zusammenhänge in einem Fachgebiet, die zwar nicht endgültig waren, aber ein Ausgangspunkt, hinter den man nicht mehr zurück konnte. Jede dieser Theorien beendete in seinem jeweiligen Fachgebiet den Zustand, daß immer wieder grundlegende Theorien miteinander konkurrierten, und die jeweils nächste die vorhergehende ersetzte. Von nun an hatte die jeweilige Wissenschaft einen theoretische Rahmen von nachprüfbaren Tatsachenbeobachtungen, der von neuen Erkenntnissen nicht mehr ersetzt, sondern ergänzt und verbessert wurde, und damit den wissenschaftlichen Fortschritt in dem jeweiligen Fach beförderte. Theoretisch-empirisches Wissen ist immer die Verbindung von Tatsachenbeobachtungen und Modellen, wie diese Beobachtungen nachprüfbar zusammenhängen könnten. Solange diese Modelle von Zusammenhängen ständig ersetzt werden, oder gänzlich fehlen, mag man in einem Fach wohl empirische Fakten sammeln, aber es fehlt die Einordnung, und jede Generation von Forschern schreibt die Fachbücher neu. Harald Lesch hat das mal treffend „Inventurwissenschaft“ genannt. Der gesamte Bereich der Geschichts- und Sozialwissenschaften findet sich bis heute in diesem Stadium. Hier werden bis heute Zusammenhänge weitgehend aufgrund von Glaubensbekenntnisse komstruiert. Dementsprechend vorläufig bis zweifelhaft sind die Ergebnisse. 1 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Domingo Geschrieben 31. Oktober 2023 Autor Melden Share Geschrieben 31. Oktober 2023 (bearbeitet) vor 2 Stunden schrieb Marcellinus: Es gibt zahlreiche historische Beispiele für Sprachen, die Gemeinsamkeiten aufweisen, ohne aus einer gemeinsamen Vorgängersprache entstanden zu sein. Das ist es eben nicht, sondern wirklich, dass es eine Ursprache gegeben haben muss. bearbeitet 31. Oktober 2023 von Domingo Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Domingo Geschrieben 31. Oktober 2023 Autor Melden Share Geschrieben 31. Oktober 2023 Ein Sprachbund reicht nicht aus, um Gemeinsamkeiten im Kernwortschatz zu erklären. Die typischte Gemeonsamkeit zwinschen ig. Sprachen ist das Verb "sein", das zentraler nicht sein könnte. Also nein, es muss schon eine Ursprache gegeben haben. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Marcellinus Geschrieben 31. Oktober 2023 Melden Share Geschrieben 31. Oktober 2023 vor 1 Minute schrieb Domingo: Ein Sprachbund reicht nicht aus, um Gemeinsamkeiten im Kernwortschatz zu erklären. Die typischte Gemeonsamkeit zwinschen ig. Sprachen ist das Verb "sein", das zentraler nicht sein könnte. Also nein, es muss schon eine Ursprache gegeben haben. Da bist du der Fachmann. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Moriz Geschrieben 31. Oktober 2023 Melden Share Geschrieben 31. Oktober 2023 vor 3 Stunden schrieb Marcellinus: Es gibt zahlreiche historische Beispiele für Sprachen, die Gemeinsamkeiten aufweisen, ohne aus einer gemeinsamen Vorgängersprache entstanden zu sein. Zum Bleistift zwei Vorgängersprachen? Ist das Englische nicht im Wesentlichen aus dem Lateinischen und dem Germanischen entstanden? 1 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Moriz Geschrieben 31. Oktober 2023 Melden Share Geschrieben 31. Oktober 2023 vor 2 Stunden schrieb Marcellinus: Schau dir einfach die historische Entwicklung des astronomischen Wissens an. Da gab es das Ptolemäische Weltbild mit der Erde im Mittelpunkt, und das funktionierte lange Zeit ziemlich gut. Aber mit der Entwicklung der Himmelsbeobachtung, auch mit Hilfe von Fernrohren, sammelten sich zunehmend Beobachtungsdaten an, die mit dem Ptolemäischen Modell nicht mehr in Einklang zu bringen waren. Doch, waren sie, da gab es Hilfskonstruktionen. vor 2 Stunden schrieb Marcellinus: Das heliozentrische Modell war von Anfang an viel einfacher, Das ist der entscheidende Punkt! Man kommt ohne Hilfskonstruktionen aus. vor 2 Stunden schrieb Marcellinus: Endgültig falsifiziert ist damit seit langem das Ptolemäische Weltbild. Das ist tot, aus, Ende. Nein. Es ist für den Alltag immer noch nützlich. Wir sprechen weiterhin von 'Sonnenaufgang' und 'Sonnenuntergang'. vor 2 Stunden schrieb Marcellinus: Das heliozentrische Modell war und ist eindeutig besser, Sagen wir mal so: Es ist für die Erklärung weiterer Aspekte besser geeignet, weil 'einfacher'. vor 2 Stunden schrieb Marcellinus: jede dieser Verbesserungen seitdem hat das Modell nicht für falsch erklärt, sondern verfeinert und verbreitert. Und das ist der Fortschritt der (Natur-)Wissenschaft: Die Modelle werden umfangreicher; die alten Modelle können darin als Grenzfall erhalten bleiben. vor 2 Stunden schrieb Marcellinus: Theoretisch-empirisches Wissen ist immer die Verbindung von Tatsachenbeobachtungen und Modellen, wie diese Beobachtungen nachprüfbar zusammenhängen könnten. Solange diese Modelle von Zusammenhängen ständig ersetzt werden, oder gänzlich fehlen, mag man in einem Fach wohl empirische Fakten sammeln, aber es fehlt die Einordnung, und jede Generation von Forschern schreibt die Fachbücher neu. Harald Lesch hat das mal treffend „Inventurwissenschaft“ genannt. Der Begriff gefällt mir! 2 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Domingo Geschrieben 31. Oktober 2023 Autor Melden Share Geschrieben 31. Oktober 2023 vor einer Stunde schrieb Moriz: Ist das Englische nicht im Wesentlichen aus dem Lateinischen und dem Germanischen entstanden? Es ist aus dem Urgermanischen entstanden. Später sind Unmengen lateinischer Wörter in die Sprache aufgenommen worden, doch die Grundlage ist 100% germanisch und auch der Wortschatz ist bis zur Invasion Englands durch die Normannen weitestgehend germanisch geblieben. Um auf die Sache mit dem Grundwortschatz zurückzukommen: Die häufigsten englischen Wörter sind selbst heute ganz und gar germanisch: and, is. to, usw. usf. Daher ist das Englische kein Gegenbeispiel. 1 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Weihrauch Geschrieben 31. Oktober 2023 Melden Share Geschrieben 31. Oktober 2023 vor 4 Stunden schrieb Marcellinus: Schau dir einfach die historische Entwicklung des astronomischen Wissens an. Warum sollte mir die nicht bekannt sein? Trotzdem danke, dass du dir die Mühe gemacht hast, das zu rekapitulieren, was niemand vergessen hat. Eine Gegenargument darauf, was du von mir zitierst hast ... vor 6 Stunden schrieb Weihrauch: @Marcellinus Was kommt dabei heraus, wenn du den Satz "Die Sonne bewegt sich um die Erde." negativ umformulierst? Wenn du das z.B. so machen würdest "Die Sonne bewegt sich nicht um die Erde." dann hat der Satz zwar keinen Fehlergehalt, aber auch überhaupt keinen nachvollziehbaren Wahrheitsgehalt mehr. Bewegt sich dann noch irgend etwas? Beides könnte sich nicht bewegen, weder die Sonne noch die Erde. ... konnte ich darin nicht entdecken. Vielleicht ist der der Unterschied von "der Wahrheit" und "dem Fehler- und Wahrheitsgehalt" auf meiner Medaille nicht klar geworden? Trotz des Satzes, der das Verständnis der damaligen Zeit zum Ausdruck bringt "Die Sonne bewegt sich um die Erde" funktioniert eine Sonnenuhr und ein Sonnenkompass als empirischer Beweis, für diese Aussage. Mit dem Satz "Die Sonne bewegt sich nicht um die Erde" kann niemand etwas konkretes anfangen, keine Sonnenuhr, Sonnenkompass oder einen Kalender machen. Etwas negativ zu formulieren, annuliert unter Umständen zu viel, nämlich nicht nur den Fehlergehalt, sondern auch den Wahrheitsgehalt einer Aussage, selbst wenn sie unterm Strich falsch ist. Der Satz "Die Sonne bewegt sich nicht um die Erde" enthält keine positive Aussage mehr, widerlegt auch nicht "Die Sonne bewegt sich um die Erde". Es bedeutet nichts mehr, als die Existenz von Sonne und Erde, und dass sich etwas, die Sonne, die Erde oder beides nicht bewegt, obwohl der Satz unterm Strich richtiger ist als "Die Sonne bewegt sich um die Erde". Warum nicht? Weil im Satz "Die Sonne bewegt sich nicht um die Erde" kein Bezugspunkt mehr vorhanden ist. Im positiv formulierten Satz steckt das Wissen um einen Bezugspunkt drin. Das alles hat mit der oder einer Wahrheit überhaupt nichts zu tun, mir der ich nichts zu tun haben will. Manchmal habe ich das Gefühl, dass du mit manchen deiner abstracten, alles Konkrete vermeidenden Aussagen aus einem Paralleluniversum platonischer Ideen heraus argumentierst, und die sensorische Bodenhaftung verloren hast, die sowohl Grundlage der Natur- wie auch der Geisteswissenschaften ist. Der Begriff Inventurwissenschaft passt sowohl auf die Naturwissenschaften wie auch die Geisteswissenschaften. Selbst Newton und die Mathematik kommen beim beobachten und zählen nicht um den "Apfel" am Baum der Erkenntnis des Guten und Schlechten herum. 6:37 sehr unterhaltsame Minuten, die und auch wieder zu Domingos Thema zurückführen: Pecha Kucha: Von der Apfeligkeit des Apfels - oder Verirrungen im weiten Feld der Philosophie 1 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
iskander Geschrieben 1. November 2023 Melden Share Geschrieben 1. November 2023 Am 30.10.2023 um 00:36 schrieb Domingo: In diesem Thread ist die Diskussion sehr zerfasert; deswegen versuche ich, die Wahrheitsdebatte hier fortzuführen. Diese Debatte fiel mir neulich wieder ein, indem ich einen neuen Aufsatz über die Urheimat und das Zeitalter des Urindogermanischen (hier) las. Ich versuche noch, die Argumentation ganz zu kapieren (Wahrscheinlichkeitstheorie und Bayes'sche Mathematik ist nicht gerade mein Spezialgebiet), die Hauptthesen sind aber klar, darunter, dass die Autoren davon ausgehen, dass es um 6000 v. Chr. anfing, sich in verschiedene Sprachgruppen aufzuspalten. Dies ist sehr umstritten, unter anderem, weil zu den rekonstruierten Ur-ig. Wörtern dasjenige für "Rad" und das für "Bronze" oder jedenfalls ein Metall gehören, wofür nach dem, was wir heute "wissen" (?), 6000 V. Chr. viel zu früh ist. Daher vermuten die Autoren, die betreffenden Wörter hätten im IG was anderes bedeutet und später habe sich ihre Bedeutung in allen Tochtersprachen gleich entwickelt, so dass sie dann in ihnen allen "Rad" oder "Bronze" bedeuten 🤯 Das Protoindogermanische existierte mMn gewiss. Die Ähnlichkeiten zwischen all den Sprachen wie Sanskit, Latein, Russisch, Persisch usw. usf. sind zu groß, um Zufall zu sein. Also können wir doch behaupten, "Diese Sprachen [Liste einfügen] stammen von einer nicht mehr existierenden und nirgendwo schriftlich belegten Ursprache." Das ist dann wohl Wissen und eine Wahrheit, die durchaus positiv ist. Wie könnte sie als "negativ" beschrieben werden? Einfach die Aussage umzuformulieren in "Diese Sprachen sind nicht ohne Verwantschaftsbeziehungen untereinander" oder sowas und dann zu behaupten, das sei eine negative Wahrheit, käme mir als albern vor. Also existieren doch positive Wahrheiten, und wir haben zumindest eine mit Bezug auf die ig. Sprachen, obwohl alles andere über sie umstritten und unklar ist? Ich bin mit dieser Diskussion im Hintertreffen, aber vielleicht so viel dazu. Das hört sich natürlich alles vage an. Aber wie wäre es mit Erkenntnissen wie denen, dass es überhaupt eine indogermanische Sprachfamilie mit bestimmten, beschreibbaren Gemeinsamkeiten gibt? Das ist keine Trivialität: Vielen Leuten dürfte diese Tatsache gar nicht bewusst sein. Um sie zu erkennen, bedarf es einiger Forschungsarbeit. Das wäre dann wohl eine echte "positive" Wahrheit. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Marcellinus Geschrieben 1. November 2023 Melden Share Geschrieben 1. November 2023 vor 44 Minuten schrieb iskander: Ich bin mit dieser Diskussion im Hintertreffen, aber vielleicht so viel dazu. Das hört sich natürlich alles vage an. Aber wie wäre es mit Erkenntnissen wie denen, dass es überhaupt eine indogermanische Sprachfamilie mit bestimmten, beschreibbaren Gemeinsamkeiten gibt? Das ist keine Trivialität: Vielen Leuten dürfte diese Tatsache gar nicht bewusst sein. Um sie zu erkennen, bedarf es einiger Forschungsarbeit. Das wäre dann wohl eine echte "positive" Wahrheit. Und diese Erkenntnis, diese Tatsache ist endgültig, nicht falsifizierbar (womit sie übrigens noch der Ansicht Poppers gar keine wissenschaftliche Theorie ist)? Ihr treibt eine Menge Aufwand, um einen Begriff zu retten, der aus meiner Sicht in den Wissenschaften nichts verloren hat, denn wissenschaftliches Wissen zeichnet sich doch gerade dadurch aus, daß es nicht endgültig, sondern vorläufig ist, bis man etwas besseres gefunden hat. Das, und nur das ist der Grund, warum ich den Begriff "Wahrheit" in den theoretisch-empirischen Wissenschaften für einen Fehlbegriff halte, weil er eine Gewißheit und Endgültigkeit vortäuscht, die es in dieser Welt nicht gibt. Welchen Grund habt ihr, diesen Begriff zu verteidigen? Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
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