Dies ist ein beliebter Beitrag. Shubashi Geschrieben 16. Mai Dies ist ein beliebter Beitrag. Melden Share Geschrieben 16. Mai (bearbeitet) Ich sehe hier seit einiger Zeit der in meinen Augen etwas fruchtlosen Debatte um Gewissensentscheidungen im Zusammenhang mit den jüngsten Kriegen zu. Da es dabei erwartungsgemäß keinen Konsens gibt, wäre es vielleicht sinnvoll, einfach mal Gründe zu sammeln, warum das so ist? Ich sehe verschiedene Gründe, von denen mir zwei besonders interessant erscheinen. 1. Erstmal ist Deutschland das Land des „Kategorischen Imperativs“, was uns meiner Meinung nach zu einer gewissen Rechthaberei verleitet. Wir neigen hierzulande sehr dazu, aus einer moralischen Einzelfall- oder Gewissensentscheidung eine allgemeine Gesetzmäßigkeit ableiten zu wollen. Obwohl dieses Verfahren zu schwer erträglichen Widersprüchen führt, hängt unser Herz anscheinend sehr an der Gewissheit absolut gültiger Regeln. (Das ist jetzt nicht gegen Kant gerichtet, er liefert hervorragendes analytisches und logisches Instrumentarium, aber ich bezweifle halt die völlige Vernünftigkeit des Menschen.) 2. Eine echte Gewissensentscheidung ist für den oder die, welche sie treffen, elementar, sie muss nicht logisch oder vernünftig auflösbar sein - auch wenn wir oft glauben, sie wäre es. Deswegen enthält sie meiner Meinung auch zwei Elemente - sie kann grundsätzlich irrig sein, auch wenn ich das nicht wahrhaben will, und sie kann auch unvernünftig transzendent sein - ich kann z.B. im Krieg unvernünftig die Vernichtung aller in Kauf nehmen, indem ich z.B. eine andere Wirklichkeit annehme, in welcher diese dann gerechtfertigt sind. Solche Entscheidung wäre z.B. dann logisch für einen Hitler, der sein eigenes Volk untergehen läßt, weil es sich als „schwächer“ im Überlebenskampf erwiesen hat - das „richtige“ Prinzip vom Überleben der Stärkeren bleibt so gewahrt. Oder ein Christ oder Buddhist sieht diese Welt nicht als die entscheidende an, werden hier alle geopfert, dient es dem „Heil“ in der nächsten. Solche gigantomanischen Gewissensentscheidungen sind aber nicht die Regel - meist geht es nur um uns einzelne, die meinen aus bestimmten, für uns elementaren Gründen der Mehrheit oder dem allgemeinen Gesetz widersprechen zu müssen. Diese Entscheidung muss weder objektiv gut, noch richtig sein, sie sollte aber sehr ernsthaft und sorgfältig überlegt sein, dass ich evtl. auch gravierende Konsequenzen für mich damit ertrage. Ich lege damit ein Zeugnis für meine unverfügbare Freiheit ab. Damit ergibt sich aber eine Folge: ich kann niemals eine Gewissensentscheidung für andere treffen, denn dann spreche ich ihnen das ab, was ich für mich selbstverständlich in Anspruch nehme. Und verletze so den Gleichheitsgrundsatz. bearbeitet 16. Mai von Shubashi 2 2 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
SteRo Geschrieben 17. Mai Melden Share Geschrieben 17. Mai Ich empfehle als ersten Schritt eine mit dem Glauben konsistente Begriffsbildung zum Wort "Gewissen". Der vierte Teil "conscience" (Seiten 305 bis 327) dieses Kommentarwerkes sei hierzu anempfohlen. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Shubashi Geschrieben 17. Mai Autor Melden Share Geschrieben 17. Mai 2 hours ago, SteRo said: Ich empfehle als ersten Schritt eine mit dem Glauben konsistente Begriffsbildung zum Wort "Gewissen". Der vierte Teil "conscience" (Seiten 305 bis 327) dieses Kommentarwerkes sei hierzu anempfohlen. Diese Art theoretischer und casuistischer Ausarbeitungen sind sicherlich nützlich, ich denke aber, dass sie oftmals nicht die Schärfe des Gewissenskonfliktes abbilden. In Deutschland ist generell interessant, dass die Gewissensbindung an religiöse Autorität schon deshalb schwierig ist, weil sich eben aus Gewissensgründen zwei verschiedene herausgebildet haben, eine protestantische und eine katholische. Generell mag es also nützlich sein, Gewissenserforschung mittels über Jahrhunderte entwickelter Kriterien zu praktizieren, wir leben aber auch jetzt in Zeiten, in der das Vertrauen in die Kirchen fundamental erschüttert ist. Dazu kommt aktuell, dass die Stellungnahmen des Papstes zwar von einem fundamentalpazifistischen Standpunkt her überzeugend erscheinen mögen, aber auch die Frage nach der Gerechtigkeit etwas unbefriedigend offen lassen - wie sollen sich Länder gegen ungerechter Aggression schützen? Nimmt man noch die Russisch-Orthodoxe Kirche dazu, ist das Überfallen der Nachbarn und Unterstützung des Mafia-Regimes geradezu religiöse Pflicht. Und in den USA behaupten Fundamentalisten, es sei heilswirksam, sich für einen verlogenen rassistischen Betrüger einzusetzen. Mir scheint also, eine mit „DEM Glauben“ konsistente Gewissensbildung könnte gerade sehr widersprüchliche Ergebnisse erbringen, und alle würden behaupten, „christlich“ zu sein. 1 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
rorro Geschrieben 17. Mai Melden Share Geschrieben 17. Mai vor 6 Stunden schrieb Shubashi: Diese Art theoretischer und casuistischer Ausarbeitungen sind sicherlich nützlich, ich denke aber, dass sie oftmals nicht die Schärfe des Gewissenskonfliktes abbilden. In Deutschland ist generell interessant, dass die Gewissensbindung an religiöse Autorität schon deshalb schwierig ist, weil sich eben aus Gewissensgründen zwei verschiedene herausgebildet haben, eine protestantische und eine katholische. Generell mag es also nützlich sein, Gewissenserforschung mittels über Jahrhunderte entwickelter Kriterien zu praktizieren, wir leben aber auch jetzt in Zeiten, in der das Vertrauen in die Kirchen fundamental erschüttert ist. Dazu kommt aktuell, dass die Stellungnahmen des Papstes zwar von einem fundamentalpazifistischen Standpunkt her überzeugend erscheinen mögen, aber auch die Frage nach der Gerechtigkeit etwas unbefriedigend offen lassen - wie sollen sich Länder gegen ungerechter Aggression schützen? Nimmt man noch die Russisch-Orthodoxe Kirche dazu, ist das Überfallen der Nachbarn und Unterstützung des Mafia-Regimes geradezu religiöse Pflicht. Und in den USA behaupten Fundamentalisten, es sei heilswirksam, sich für einen verlogenen rassistischen Betrüger einzusetzen. Mir scheint also, eine mit „DEM Glauben“ konsistente Gewissensbildung könnte gerade sehr widersprüchliche Ergebnisse erbringen, und alle würden behaupten, „christlich“ zu sein. Wenn Du das so siehst (was ich nachvollziehen kann), warum hast Du dann dieses Unterforum gewählt? Das suggeriert nämlich eine christliche Basis als Diskussionsgrundlage. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Shubashi Geschrieben 17. Mai Autor Melden Share Geschrieben 17. Mai (bearbeitet) In der Diskussion im allgemeinen Forum, auf die ich mich beziehe, wurde explizit keine christliche Basis angesprochen. Ich halte es aber für implizit zur „Gewissensentscheidung“ möglicherweise mit gemeint, ich z.B. bezog mich zur Wehrdienstverweigerung jedenfalls darauf. Ich würde deshalb gerne darauf abheben, was sich z.B. seit den 80er Jahren, in denen diese Art der Gewissensentscheidung sozusagen noch für viele „Boomer“ Alltag war, verändert hat. In meinen Augen jedenfalls fehlt inzwischen einerseits das gesellschaftlich-moralische Gewicht des Christentums überhaupt, in anderer Hinsicht hat sich möglicherweise sogar der Prozess der Gewissensbildung selbst verändert. Ich denke daher, dass auch so ein bedeutender vorkonziliarer Theologe wie Garrigou-Lagrange heute keinesfalls mehr so ein Gewicht wie vielleicht noch vor 50, 60 Jahren hat, weshalb ein so kurzer Verweis auf eine seiner Schriften dann zu lapidar ist. Zumindest scheint mir so ein Text heute deutlich begründungsbedürftiger. (Ich erinnere mich noch, dass ich selbst Anfang der 80er vorgeschlagen hatte, Thomas von Aquin im Religionsunterricht zu lesen. Heute wäre das vermutlich sehr schräge?) bearbeitet 17. Mai von Shubashi Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
SteRo Geschrieben 18. Mai Melden Share Geschrieben 18. Mai (bearbeitet) vor 19 Stunden schrieb Shubashi: Diese Art theoretischer und casuistischer Ausarbeitungen sind sicherlich nützlich, ich denke aber, dass sie oftmals nicht die Schärfe des Gewissenskonfliktes abbilden. In Deutschland ist generell interessant, dass die Gewissensbindung an religiöse Autorität schon deshalb schwierig ist, weil sich eben aus Gewissensgründen zwei verschiedene herausgebildet haben, eine protestantische und eine katholische. Generell mag es also nützlich sein, Gewissenserforschung mittels über Jahrhunderte entwickelter Kriterien zu praktizieren, wir leben aber auch jetzt in Zeiten, in der das Vertrauen in die Kirchen fundamental erschüttert ist. Dazu kommt aktuell, dass die Stellungnahmen des Papstes zwar von einem fundamentalpazifistischen Standpunkt her überzeugend erscheinen mögen, aber auch die Frage nach der Gerechtigkeit etwas unbefriedigend offen lassen - wie sollen sich Länder gegen ungerechter Aggression schützen? Nimmt man noch die Russisch-Orthodoxe Kirche dazu, ist das Überfallen der Nachbarn und Unterstützung des Mafia-Regimes geradezu religiöse Pflicht. Und in den USA behaupten Fundamentalisten, es sei heilswirksam, sich für einen verlogenen rassistischen Betrüger einzusetzen. Mir scheint also, eine mit „DEM Glauben“ konsistente Gewissensbildung könnte gerade sehr widersprüchliche Ergebnisse erbringen, und alle würden behaupten, „christlich“ zu sein. Mein Hinweis bezog sich weder auf "Gewissenskonflikte", noch auf "Gewissensbindung an religiöse Autorität", noch auf "Gewissenserforschung", noch auf "Stellungnahmen des Papstes". Und warum "Fundamentalisten" in den USA bzgl. meines Hinweises relevant sein sollten ist mir schleierhaft. Und mein Hinweis hat nichts zu tun mit "eine mit „DEM Glauben“ konsistente Gewissensbildung", denn ich schrieb ja "Ich empfehle als ersten Schritt eine mit dem Glauben konsistente Begriffsbildung zum Wort "Gewissen"." Mir scheint, dir ist der Unterschied zwischen "Gewissensbildung" und "Begriffsbildung zum Wort "Gewissen"" nicht klar. Ich für meinen Teil habe statt des Wortes "Glaubenslehre", das Wort "Glauben" verwendet, das bedauere ich, weil das Wort "Glauben" höchst multivalent ist und "Glaubenslehre" (Lehre = Doktrin) im Kontext der "Begriffsbildung zum Wort "Gewissen"" sicherlich besser, weil präziser, ist. Also, ich denke, egal was einen umtreibt im Kontext "Gewissen", und v.a. wenn man so "verkopft" ist, dann solle man in einem Forumsabteil Bibel, Glaube und Leben Glaubensfragen Lehramt Heilige Schrift & Exegese Gebete & Bibelteilen das Wort "Gewissen" auch in Übereinstimmung mit der Glaubenlehre verwenden, der man folgt, und welche man auch benennen sollte. Folgt man gar keiner Glaubenslehre, dann halte ich es für problematisch in diesem Forumsabteil irgendwelche Fragen bzgl. "Gewissen" aufzuwerfen oder irgendwas bzgl. "Gewissen" zu behaupten. bearbeitet 18. Mai von SteRo Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Moriz Geschrieben 22. Mai Melden Share Geschrieben 22. Mai Am 18.5.2024 um 05:38 schrieb SteRo: dann solle man in einem Forumsabteil [...] das Wort "Gewissen" auch in Übereinstimmung mit der Glaubenlehre verwenden Nein. Es reicht das allgemeine Sprachverständnis des Begriffs "Gewissen". Sollte es da zu Unklarheiten oder Missverständnissen kommen, dann kann man immer noch Nachfragen und andere Modelle referieren. Ein alleiniger Verweis auf einen mehr oder weniger überholten Theologen ist dagegen nicht hilfreich. Und die Forderung nach 'katholischer Sprachpolizei' ist unverschämt! Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
SteRo Geschrieben 25. Mai Melden Share Geschrieben 25. Mai (bearbeitet) Am 22.5.2024 um 13:57 schrieb Moriz: Nein. Es reicht das allgemeine Sprachverständnis des Begriffs "Gewissen". Nein, in einem Forumsabteil "Bibel, Glaube und Leben", welches inhaltlich bestimmt wird mit Glaubensfragen Lehramt Heilige Schrift & Exegese Gebete & Bibelteilen reicht ein allgegemeines Sprachverständnis zum Wort "Gewissen" sicherlich nicht. Der Duden führt bereits mehrere Synonyme auf: - ethisches/sittliches Bewusstsein - innere Stimme - Verantwortungsbewusstsein - bildungssprachlich: Ethos D.h. wenn jemand ganz "allgemein" und ohne sich auf eine Glaubenslehre zu beziehen, in der "Gewissen" definiert wird, von "Gewissen" redet, kann er all dies (und vermutlich nocht mehr) meinen. Wie sollte da dann eine sinnvolle Kommunikation über Glaubensfragen und/oder Lehramt und/oder Heilige Schrift & Exegese im Kontext von "Gewissen" zustandekommen können? Für Selbstgespräche aber ist dies natürlich irrelvant. Am 22.5.2024 um 13:57 schrieb Moriz: Sollte es da zu Unklarheiten oder Missverständnissen kommen, dann kann man immer noch Nachfragen und andere Modelle referieren. Nachfragen wird man auch müssen, wenn man mit der Glaubenslehre, die der Gespächspartner präferiert, nicht vertraut ist. Am 22.5.2024 um 13:57 schrieb Moriz: Ein alleiniger Verweis auf einen mehr oder weniger überholten Theologen ist dagegen nicht hilfreich. Wenn ein User ganz offensichtlich nicht klarmacht, wovon er redet, wenn er von "Gewissen" schreibt, dann halte ich eine Empfehlung angebracht, um die Meinungsbildung zu unterstützen. Und empfehlen wird man vermutlich das, was man selbst präferiert. Aber egal wo, irgendwo muss man mit der Meinungsbildung anfangen und also ist jede Empfehlung angemessen. Ich halte Theologen niemals für "überholt", auch wenn sie den aktuellen Zeitgeist nicht widerspiegeln. Am 22.5.2024 um 13:57 schrieb Moriz: Und die Forderung nach 'katholischer Sprachpolizei' ist unverschämt! Ist mir hier eigentlich noch nie begegnet. bearbeitet 25. Mai von SteRo Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Werner001 Geschrieben 26. Mai Melden Share Geschrieben 26. Mai Am 16.5.2024 um 08:27 schrieb Shubashi: 1. Erstmal ist Deutschland das Land des „Kategorischen Imperativs“, was uns meiner Meinung nach zu einer gewissen Rechthaberei verleitet. Der kategorische Imperativ lautet allerdings: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ und nicht etwa „erkläre das, was du für richtig hältst, zum allgemeinen Gesetz.“ Er richtet sich an das Individuum, er ist kein Grundsatz für die Erstellung gesellschaftlicher Regeln Werner 1 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
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