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42 und die Frage nach Marcellinus’ Weltbild


Marcellinus

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2 minutes ago, Marcellinus said:

 

Das ist Metaphysik in Reinkultur! Muß ich mehr sagen? :D

 

Oh, wirklich?

 

Ich dachte immer, das sei auch mit einem Physikalismus kompatibel.

 

Aber okay, vielleicht habe ich das einfach falsch verstanden, ich habe Popper nicht gelesen.

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Am 5.8.2024 um 19:57 schrieb Marcellinus:

 

Das ist Metaphysik in Reinkultur! Muß ich mehr sagen? :D

 

Nur mal so als Hinweis: Die Ablehnung von Metaphysik (oder von Philosophie generell) und der Rückzug auf reine Empirie macht einen nicht zum Erleuchteten, sondern zum (Halb-)blinden. Rückschritt vom Mensch zur Analysemaschine. Degeneration vom Verstand zur KI.

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vor 24 Minuten schrieb Katholikos:

 

Nur mal so als Hinweis: Die Ablehnung von Metaphysik (oder von Philosophie generell) und der Rückzug auf reine Empirie macht einen nicht zum Erleuchteten, sondern zum (Halb-)blinden. Rückschritt vom Mensch zur Analysemaschine. Degeneration vom Verstand zur KI.

 

Du mußt es ja wissen! ;)

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vor 6 Minuten schrieb Studiosus:

Unter den Blinden ist der Einäugige König! 


Macht es Sinn, daß ich @Katholikos versuche zu erklären, daß es „reine Empirie“ nicht gibt?

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Gerade eben schrieb Marcellinus:


Macht es Sinn, daß ich @Katholikos versuche zu erklären, daß es „reine Empirie“ nicht gibt?

 

Hört hört, und das aus deinem Mund.

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vor 16 Minuten schrieb Marcellinus:


Macht es Sinn, daß ich @Katholikos versuche zu erklären, daß es „reine Empirie“ nicht gibt?

 

Ob es im konkreten Fall Sinn macht, kann ich nicht sagen. Aber man kann es eigentlich nie oft genug erklären. 

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@Katholikos

Du liest normalerweise nicht, was ich schreibe? Also für dich noch mal in kurz:

 

Wissenserwerb ist ein immerwährender, wechselseitiger Prozeß von Tatsachenbeobachtung und Theoriebildung. So wie jede Tatsachenbeobachtung auf einer Theorie beruht (selbst wenn die sich hinterher als falsch erweist), sollte jede Theorie auf Tatsachenbeobachtungen beruhen. Selbst unsere Augen sind Materie gewordene Theorie über die Sichtbarkeit dieser Welt, sonst gäbe es keine optischen Täuschungen. "Reine Empirie" ist eine Illusion. Wissenschaftliche Theorien sind Modelle beobachtbarer Zusammenhänge. Metaphysisch ist daran gar nichts. „Zur Metaphysik kommt man […], indem man beim Nachdenken über eine Sache dem Denken selbst den Vorrang vor der Sache gibt.“ (Rolf Helmut Foerster) Metaphysik ist also nichts anderes als wildlaufende Fantasie. 

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Tatsächlich lese ich deine Beiräge immer, da die mich aufgrund ihrer Engstirnigkeit stets köstlich amüsieren. Theorie muss nicht ausschließlich auf Tatsachenbeobachtungen beruhen, sondern kann über diese hinaus gehen. Wie schon MEHRFACH von mir erwähnt, nutzt z.B. der ca. 50% aller physikalischen Forschung umfassende Bereich der Theoretischen Physik diesen Ansatz. Und natürlich ist der ganze Wissenschaftsbereich Philosophie nicht per se nur innerhalb der Empirie verankert. Der menschliche Verstand kann eben mehr als ein Computer. Und das darf man gerne in guter antiker Tradition metaphysisch nennen. Dein Versuch, Metaphysik als Schimpfwort zu etablieren, ist ne olle Kamelle aus dem 18. Jhdt.

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vor 17 Minuten schrieb Katholikos:

Theorie muss nicht ausschließlich auf Tatsachenbeobachtungen beruhen, sondern kann über diese hinaus gehen.

 

Du weißt schon, was "beruhen" bedeutet?

 

vor 17 Minuten schrieb Katholikos:

Wie schon MEHRFACH von mir erwähnt, nutzt z.B. der ca. 50% aller physikalischen Forschung umfassende Bereich der Theoretischen Physik diesen Ansatz.

 

Ja, genau das passiert, wenn man sich zu weit von der Empirie entfernt! Ein besseres Beispiel kenne ich auch nicht, wenn man mal den gesamten Bereich der Sozialwissenschaften außen vor läßt. Und ja, von zeitgenössischer Philosophie möchten wir auch lieber schweigen. 

 

vor 20 Minuten schrieb Katholikos:

Und das darf man gerne in guter antiker Tradition metaphysisch nennen.

 

Das ist zwar richtig, und auch wieder nicht. Die Antike konnte nichts dafür, daß sie unser theoretisch-empirisches Wissen noch nicht besaßen. Ihnen blieb über weite Strecken nur die Fantasie. Aber eben nicht nur. Die erste, weitgehende genaue Bestimmung des Erdumfangs stammt von Eratosthenes (240 v.u.Z.) Realistischer ging's mit damaligen Mitteln kaum noch.

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vor 47 Minuten schrieb Marcellinus:

 

Ihnen blieb über weite Strecken nur die Fantasie. Aber eben nicht nur. Die erste, weitgehende genaue Bestimmung des Erdumfangs stammt von Eratosthenes (240 v.u.Z.) Realistischer ging's mit damaligen Mitteln kaum noch.

 

Interessantes Beispiel. Spannend wäre jetzt zu wissen, was zuerst da war: Die metaphysische Idee ("Fantasie") von der Erde als Kugelform oder empirische Hinweise.

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vor 28 Minuten schrieb Katholikos:
vor einer Stunde schrieb Marcellinus:

Ihnen blieb über weite Strecken nur die Fantasie. Aber eben nicht nur. Die erste, weitgehende genaue Bestimmung des Erdumfangs stammt von Eratosthenes (240 v.u.Z.) Realistischer ging's mit damaligen Mitteln kaum noch.

 

Interessantes Beispiel. Spannend wäre jetzt zu wissen, was zuerst da war: Die metaphysische Idee ("Fantasie") von der Erde als Kugelform oder empirische Hinweise.

 

Für ein seefahrendes Volk wie die Griechen war die Idee von der Kugelgestalt der Erde wenig metaphysisch, sahen sie doch täglich, wie Schiffe hinter dem Horizont verschwanden und andere wieder auftrauchten. Unter Metaphysik versteht man gemeinhin etwas anderes. Für metaphysische Fantasien, die zu wissenschaftlich-technischen Erkenntnissen geführt haben, gibt es treffendere Beispiele: Johann Friedrich Böttger, der auf der alchemistischen Suche nach Gold (eine nun wirklich metaphysische Idee) ein Herstellungsverfahren für weißes Porzellan fand. Wie heißt es so schön:

 

Irrtümer haben ihren Wert, jedoch nur hier und da.

Nicht jeder, der nach Indien will, entdeckt Amerika. :D

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vor 44 Minuten schrieb Marcellinus:

 

Für ein seefahrendes Volk wie die Griechen war die Idee von der Kugelgestalt der Erde wenig metaphysisch, sahen sie doch täglich, wie Schiffe hinter dem Horizont verschwanden und andere wieder auftrauchten.

 

Das ist ja eine beliebte Story, aber nenne mir mal einen Beweis, dass diese Beobachtung auch wirklich zu einem bestimmten Zeitpunkt der Menschheitsgeschichte zu dieser Schlussfolgerung führte. Die wird ja je nach Belieben für die alten Griechen bis zu Columbus von jedem erzählt. Wenn ich am Meer ein Schiff beobachte, sehe ich meistens Luftflimmern, Wellen, Lichtreflexionen etc., die den Rumpf vor dem Rest des Schiffes immer undeutlicher erscheinen lassen, da er näher an der verschwommenen Horizontlinie ist. Die tatsächliche Beobachtung eines Absinkens hinter dem Horizont konnte ich persönlich noch nie daraus sicher feststellen. Geschweige denn das ganze dann auch noch in einer gedanklichen Situation, dass ich beim Beobachten des Schiffes von einer flachen Erde ausgehen würde und von der Kugelgestalt noch gar keine Idee hätte.

 

 

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Ich möchte hier nicht tiefer einsteigen, aber bereits in der empirischen Wissenschaft selbst kommen Überzeugungen/Maximen "zur Anwendung", welche nicht empirisch (zirkelfrei) prüfbar sind und die dem Gegenstandsbereich der Philosophie (wenn nicht "Metaphysik") zugerechnet werden.

 

Ein einfaches Beispiel wäre die Induktion. (Wikipedia: "Induktion (lateinisch inducere ‚herbeiführen‘, ‚veranlassen‘, ‚einführen‘) bedeutet seit Aristoteles die abstrahierende Schlussfolgerung aus beobachteten Phänomenen auf eine allgemeinere Erkenntnis, etwa einen allgemeinen Begriff oder ein Naturgesetz.")

 

Wenn wir beispielsweise nicht von der Annahme ausgehen würden, dass das, was wir in der Vergangenheit stets beobachtet haben, wahrscheinlich auch jetzt gilt, könnten wir keine Wissenschaft betreiben - nicht einmal eine falsifikationistische im Sinne Poppers. Und auch im normalen Leben gebrauchen wir die Induktion auf Schritt und Tritt: Wir essen frisches Brot, aber keine Tollkirschen, weil frisches Brot in der Vergangenheit bekömmlich war, nicht aber die Tollkirsche. 

bearbeitet von iskander
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Am 5.8.2024 um 19:52 schrieb KevinF:

 

Was hältst Du eigentlich davon?

 

Ich stehe darauf, die 3-Welten-Nummer. Ich würde sie nur nicht Theorie nennen, eher ein Modell,das emanente soziologische Phänomene beschreibt. Also durchaus etwas, das über das Individuum hinausgeht und dennoch eine Realität für selbiges schafft.

 

Ansonst, zum Strang-Titel: 43 ist übrigens eine Primzahl.

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On 8/13/2024 at 9:34 PM, GermanHeretic said:

Ich stehe darauf, die 3-Welten-Nummer. Ich würde sie nur nicht Theorie nennen, eher ein Modell,das emanente soziologische Phänomene beschreibt. Also durchaus etwas, das über das Individuum hinausgeht und dennoch eine Realität für selbiges schafft.

 

Also ein Werkzeug zur konzeptionellen Modellierung innerhalb einer naturalistischen Weltanschauung?

 

Wo wären virtuelle Konzepte wie Geld in diesem Modell angeordnet?

 

Ich meine, wenn morgen alle Menschen und Computer vergessen würden, was Geld ist, würde Geld aufhören zu existieren, oder?

 

Hätte Geld Anteile in allen drei "Welten"?

 

Wozu genau verwendest Du das Modell?

 

 

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Hier, @KevinF, der Post, den ich dir versprochen hatte (das Wochenende ist noch nicht rum!) :D

 

 

Über den Begriff „Wahrheit“

 

Es ist paradox. Der Begriff „Wahrheit“, der wie kein anderer für den Wunsch nach Erkenntnis, Eindeutigkeit, Gewissheit und Sicherheit seht, hat wie kein anderer Begriff für Unklarheit, Dissens und Verwirrung gesorgt (höchstens noch übertroffen vom Gottesbegriff).

 

„Wahrheit“ ist ein von Menschen geschaffenes, sprachliches Symbol, ein Begriff, und was man damit zu begreifen versucht, das ist die Frage. Was immer man unter „Wahrheit“ versteht, es ist verbunden mit denn Begriffspaar „wahr/falsch“. Ob es sich um eine Aussage, Theorie oder sonstige Vorstellung handelt, immer ist sie entweder definitiv und absolut „wahr“ oder eben nicht.

 

Nun gibt es viele Fälle des täglichen Lebens, in denen das scheinbar unproblematisch ist. Der Wahrheitsgehalt von Aussagen wie „Ich hab mir den Arm gebrochen“, „Hier regnet es gerade“ oder „Caesar hatte eine Glatze“ ist prinzipiell kein erkenntnistheoretisches Problem, auch wenn der letzte Fall vielleicht nach 2000 Jahren in der Praxis schlecht zu recherchieren ist. Nur hat das eben nichts mit der „Wahrheit™“ zu tun, und auch im täglichen Leben kommen auf jeden Fall, den ich nach einem schwarz-weiß-Schema beurteilen kann, hundert andere, bei denen das nicht geht.

 

In der Mathematik oder Logik dagegen ist Existenz wie Bestimmbarkeit des Wahrheitswertes einer Aussage nicht die Ausnahme, sondern die Regel, allerdings nicht, weil die Fragen immer einfach zu beantworten wären, sondern weil Mathematik wie Logik als menschengemachte Symbolsysteme eben so eingerichtet sind, daß Problemstellung wie Lösung nur aus eben diesen Symbolen bestehen und nur eine wahre oder falsche Antwort zulassen. (Ja, ich weiß, daß es mittlerweile so etwas wie Fuzzy-Logik gibt, aber das ist ein anderes Thema). Mathematik und Logik, so könnte man sagen, sind eingleisige Forschungsgebiete, im denen Fragestellung wie Lösung gewissermaßen auf dem gleichen Gleis fahren, aus der gleichen Menge an Symbolen genommen sind.

 

Auch unsere Vorstellungen, unser Wissen über diese Welt besteht aus menschengemachten Symbolen, aus Wörtern, Zahlen und Begriffen. Aber sie sollen etwas beschreiben, was nicht aus menschengemachten Symbolen besteht, sondern aus Atomen, Molekülen, Zellen, Lebewesen und Menschen. Da gibt es keine einfache Entsprechung, keine logische Operation, die eins ins andere verlustfrei überführt. Vielleicht hilft es, das Problem zu verdeutlichen, wenn wir uns anschauen, wie Menschen sich ein Bild von dieser Welt machen.

 

Wir sehen diese Welt nicht, wie sie ist, sondern immer nur Bilder von ihr, zuerst die, die unser Gehirn produziert, dann die, die wir selbst entwerfen, gemeinhin Theorien genannt. Immer aber sind es Bilder von Zusammenhängen, nicht die Welt selbst. Es sind, grob gesagt, Vereinfachungen, Modelle.

 

Nun erschließen sich manche Zusammenhänge von selbst. Ich kenne jedenfalls keine "Erklärung" sagen wir von Knochenbrüchen, die irgendwie von etwas anderem erzählen als eben von gebrochenen Knochen. Aber bei anderen Zusammenhängen taten sich die Menschen von Anfang an schwerer. Diese Welt wurde nun mal ohne Gebrauchsanweisung geliefert. 

 

Die ersten Erklärungsmodelle (Vorsicht, massive Vereinfachung!) übertrugen die Erklärungen, die Zusammenhänge, die die Menschen aus ihrer nächsten Umgebung kannten, auf die gesamte Natur und den Rest erklärte man sich mit purer Fantasie. Alles, was passierte und die Menschen direkt betraf, war von jemandem verursacht. Tiere, der Berg, der Fluß, das Feuer, alles konnte handeln, hatte Absichten und Ziele. 

 

Erst mit der Zeit lernten die Menschen, das Feuer zu beherrschen, Tiere zu zähmen, den Fluß einzudeichen, und aus magischen Erklärungen wurden realistischere. Je mehr man lernte, umso mehr Ideen scheiterten, und mußten durch realistischere ersetzt werden. Der Komparativ ist hier entscheidend. Oder wie Karl Popper so treffend sagte: „Wir sind mit der Wirklichkeit immer genau in den Momenten in Kontakt, in denen unsere Theorien an ihr scheitern."

 

Krankheiten betrachtete man ursprünglich als von Geistern verursacht. Aber man konnte die Geister noch so viel beschwören, manche Krankheiten kamen immer wieder. Bis jemand die Beobachtung machte, daß Fieber häufig in der Nähe von Sümpfen auftrat. Dort stank es erbärmlich. Also mußte der Gestank die Krankheiten verursachen. Man legte den Sumpf trocken und Gestank und Fieber verschwanden. Die Miasmentheorie war geboren. In unserem heutigen Verständnis war sie falsch, aber realistischer als die Geistertheorie war sie allemal und sie bestätigte sich in der Wirklichkeit. Man könnte auch sagen: die Menschen hatten einen Teil der fantastischen Gehalte ihrer Vorstellungen durch realistischere ersetzt. Sie war realistischer. Sie war ein Fortschritt.

 

Bis man im 19. Jh in London der Cholera-Epidemie nicht Herr wurde. London war wie alle großen Städte im Europa der damaligen Zeit eine schmutzige Stadt und es stank erbärmlich. Also versuchte man den krankmachenden Gestank zu beseitigen, indem man die Abwässer in die Themse leitete - aus der die Menschen ihr Trinkwasser nahmen. Der Gestank war weg!

 

Aber die Krankheit wütete schlimmer als zuvor. Erst an diesem Widerspruch zur Wirklichkeit erkannte man seinen Irrtum. Man hatte sich, um mit Popper zu sprechen, an der Wirklichkeit den Kopf gestoßen und erst da kam man auf die Idee, es könnte etwas mit dem verunreinigten Wasser zu tun haben, nicht mit dem Gestank.

 

Der praktische Erfolg stellte sich sofort ein, die theoretischen Bestätigung kam erst sehr viel später mit der Beobachtung von Bakterien.

 

Man sieht hier exemplarisch, wie Wissen entsteht, aus einer ununterbrochenen, wechselnden Abfolge von Tatsachenbeobachtung und Theoriebildung. Oder mit anderen Worten: Wissen entsteht da, wo Theorien an der beobachtbaren Wirklichkeit getestet werden, um sie durch neue, realistischere Theorien zu ersetzen. Wissen ist immer vorläufig, weil unsere Beobachtungen immer unvollständig sind. Sicheres Wissen haben wir eigentlich nur da, wo wir empirisch belegen können, was nicht stimmt.

 

Theoretisch-empirische Wissenschaften sind gewissermaßen zweigleisige Forschungsgebiete. Das eine Gleis sind die Modelle, die aus menschengemachten Symbolen, Worten, Sätzen, Zahlen und Formeln bestehen, und das andere Gleis, das ist die Wirklichkeit, mit der wir nur punktuell über empirische Untersuchungen in Kontakt kommen.

 

Das bedeutet aus meiner Sicht: Gemessen an einem binären Bewertungschema können wir höchstens sagen, unser Modell ist falsch, wenn es an der Wirklichkeit scheitert. Positiv als „wahr“ bestätigen können wir es dagegen kaum je, denn alle unsere Modelle leiden an den drei Mängeln von Information, Zeit und unseren kognitiven Fähigkeiten. Alle unsere Modelle sind notwendig unvollständig, oder zumindest können wir das Gegenteil nicht beweisen. Wir können, so meine ich daher, keines unserer Modelle mit Recht als „wahr“ bezeichnen. Was möglich ist, ist zu belegen, ob es gegenüber unseren älteren Vorstellungen ein Fortschritt ist. „Wahrheit“ ist eine Fantasievorstellung.

 

Und das führt zu einem letzten Gedanken: Wissenserwerb ist ein sozialer Prozeß, und wie alle Prozesse ohne definitiven Anfang oder Ende. Unsere heutigen wissenschaftlichen Modelle sind entstanden aus vorwissenschaftlichen, wie man am obigen Beispiel sehen konnte. Dieser Prozeß menschlichen Wissenserwerbs ist strukturiert, aber absichts- und ziellos. Niemand von uns übersieht ihn insgesamt, und kein Mensch hat ihn geplant, und  wissen wir auch nicht, wohin er führt, oder ob er je zu Ende ist.

 

Damit hat selbst die Formulierung „Annäherung an die Wahrheit“, die manchmal für die Wissenschaften in Anspruch genommen wird, keine Berechtigung, denn wie will man die Annäherung an etwas bestimmen, das man nicht kennt, von dem man sogar annehmen muß, daß es nicht existiert.

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@Marcellinus

 

Nur in aller Kürze (und unter dem Vorbehalt, dass ich Dich richtig verstehe).

 

- In Deinem Sprachgebrauch scheint "Wahrheit" zugleich auch schon die Erkenntnis der Wahrheit zu implizieren.

- Du verwendest den Begriff "Wahrheit" nicht für "Banalitäten".

 

Der "übliche" Wahrheitsbegriff weicht hiervon in beiden Punkten ab: "Die Wahrheit wird wohl nie rauskommen." "Doch, es ist wahr, dass ich gestern Überstunden gemacht und nicht mit meinen Kollegen feiern war."

 

Wenn man anerkennt, dass es Theorien gibt, die "falscher" sind als andere, dann scheint es auch Sinn zu ergeben, dass manche Theorien der Wahrheit näherkommen als andere; denn Wahrheit und Falschheit sind Gegenpole.

Je falscher eine thematische Theorie ist, desto entfernter wäre sie von der Wahrheit; und je weniger falsch, desto näher dann an der Wahrheit. ("Wahrheit" hier verstanden Sinne im alltäglichen Sinne, wo ein (vollständiges) Erkennen der Wahrheit unnötig ist, damit von "Wahrheit" die Rede sein kann.)

 

Zum Thema Logik ein Zitat von Ludwig Neidhard (hier S.17, f.):

 

"Warum gilt das Kontradiktionsprinzip?

Die sprachorientierte moderne Logik formuliert das Prinzip lediglich für Aussagen: Eine Aussage ist entweder wahr oder falsch, und die Aussagen A und nicht A haben stets verschiedene Wahrheitswerte. Vom Standpunkt der modernen Logik her gesehen sind diese Feststellungen pure Selbstverständlichkeiten. Man betrachtet hier nämlich Aussagen als Zeichenreihen, denen man nach festen Regeln eines von zwei Objekten w und f zuordnet, die man als Repräsentanten der beiden „Wahrheitswerte“ auffasst, und nennt eine Aussage falsch bzw. wahr, wenn man ihr w bzw. f zugeordnet hat. Dabei ordnet man der Aussage „nicht A“ stets genau dann w bzw. f zu, wenn man zuvor der Aussage A das Objekt f bzw. w zugeordnet hat. Dass in dem so konstruierten System die genannten Prinzipien gelten, ist nicht verwunderlich, weil die logische Sprache gerade so aufgebaut wird, dass sie gelten. Man kann genauso gut alternative Logik-Systeme entwerfen, z.B. eine dreiwertige Logik mit den drei Wahrheitswerten w,f und u (für „unentschieden“), und dann legt man die Semantik so fest, dass vorgenannte Prinzipien jetzt nicht mehr gelten. Und damit, so meinen manche, sind diese alten und verstaubten Prinzipien keine wirklich „ewig gültigen“, die uns vorgegeben wären und nach denen wir uns richten müssten.
Aber: Ganz so einfach ist das nicht. Damit nämlich die Festlegungen des Logikers (egal ob er eine zwei- oder mehrwertige Logik aufbauen will) einen wirklich feststehenden Sinn haben, muss er sich auf die Gültigkeit eines tiefer liegendes Kontradiktionsprinzip verlassen können, das nicht mehr auf der Aussage-Ebene, sondern auf der Sachverhaltsebene liegt. Denn bei seinen „Festlegungen“ greift der Logiker ja auf Sachverhalte von der Art zurück,
dass einer bestimmten Zeichenreihe A der Wahrheitswert w oder f oder u zugeordnet worden ist. Dass aber diese Sachverhalte ebenfalls den beiden Kontradiktionsprinzipien unterliegen, ist eine vorgegebene ontologische Tatsache, welche die Logik nicht geschaffen hat, sondern voraussetzen muss. Denn es wäre für die Logik fatal, könnte der Logiker sich nicht a priori darauf verlassen, dass es einer bestimmten Aussage entweder w als Wahrheitswert zugeordnet hat oder dies nicht getan hat, und dass der Sachverhalt, dass er dieser Aussage w zugeordnet hat, entweder zutrifft oder nicht, d. h. entweder wahr oder falsch ist.
Das Kontradiktionsprinzip ist also
Bedingung der Möglichkeit logischen Redens."

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vor 13 Stunden schrieb iskander:

@Marcellinus

 

Nur in aller Kürze (und unter dem Vorbehalt, dass ich Dich richtig verstehe).

 

- In Deinem Sprachgebrauch scheint "Wahrheit" zugleich auch schon die Erkenntnis der Wahrheit zu implizieren.

- Du verwendest den Begriff "Wahrheit" nicht für "Banalitäten".

 

Der "übliche" Wahrheitsbegriff weicht hiervon in beiden Punkten ab: "Die Wahrheit wird wohl nie rauskommen." "Doch, es ist wahr, dass ich gestern Überstunden gemacht und nicht mit meinen Kollegen feiern war."

 

Wie heißt es so schön: Jede Wahrheit braucht einen, der sie ausspricht. :D Banalitäten mögen unterhaltsam sein, aber führen nicht weiter. 

Der "übliche" Wahrheitsbegriff ist der der Umgangssprache, den ich auch selbst erwähnt, und unproblematisch genannt habe, der aber erkenntnistheoretisch unergiebig ist. 

 

vor 13 Stunden schrieb iskander:

Wenn man anerkennt, dass es Theorien gibt, die "falscher" sind als andere, dann scheint es auch Sinn zu ergeben, dass manche Theorien der Wahrheit näherkommen als andere; denn Wahrheit und Falschheit sind Gegenpole.

Je falscher eine thematische Theorie ist, desto entfernter wäre sie von der Wahrheit; und je weniger falsch, desto näher dann an der Wahrheit. ("Wahrheit" hier verstanden Sinne im alltäglichen Sinne, wo ein (vollständiges) Erkennen der Wahrheit unnötig ist, damit von "Wahrheit" die Rede sein kann.)

 

Entschuldige, aber ab hier liest sich das für mich wie eine Ausrede.

 

Erstens, wenn eine Theorie falsch ist, ist sie falsch. Punkt.

Zweitens, ob eine Idee "der Wahrheit näherkommt", kann man nur beurteilen, wenn man die Wahrheit kennt. Ebenfalls Punkt. 

 

Was man sagen kann, ist, ob eine Theorie besser, realistischer als die vorhergehende war. Das kommt nämlich ohne apriori aus, ohne die Annahme von etwas, was man nicht wissen kann. Ausgangspunkt ist die alte Theorie (in meinem Beispiel oben die Miasmentheorie). Die hat sich als falsch erwiesen, weil sich herausgestellt hat, das der Gestank nicht Ursache der Krankheiten war, sondern nur eine gelegentliche Begleiterscheinung. Damit verschwand die Krankheitsursache nur dann, wenn mit dem Gestank auch die Ursache beseitigt wurde, in dem Falle das Trockenlegen des Sumpfes, was den Mücken den Garaus machte. Der eigentlich realistische Gehalt der Miasmentheorie war seinen Anwendern nämlich nicht bekannt. Das ist häufig so bei vorwissenschaftlichen Theorien; sie funktionieren, obwohl seine Anwender sie nicht genau durchschauen. 

 

Erst als die Menschen begriffen, daß im Wasser etwas sein mußte, was krank macht, auch wenn sie noch nicht wußten, was es war, hatten sie ein Modell, daß gegenüber der Miasmentheorie ein echter Fortschritt war, und zwar ohne das man hätte sagen können, wie die "Wahrheit" aussehen würde. Insofern wäre es Unsinn gewesen, von einer Annäherung an "die Wahrheit" zu sprechen. Entscheidend war und ist nur das "Besser", der Komparativ. Das ist es, was ich sagen wollte. 

 

vor 13 Stunden schrieb iskander:

Denn es wäre für die Logik fatal, könnte der Logiker sich nicht a priori darauf verlassen, dass es einer bestimmten Aussage entweder w als Wahrheitswert zugeordnet hat oder dies nicht getan hat, und dass der Sachverhalt, dass er dieser Aussage w zugeordnet hat, entweder zutrifft oder nicht, d. h. entweder wahr oder falsch ist.
Das Kontradiktionsprinzip ist also
Bedingung der Möglichkeit logischen Redens."

 

Ich sag mal ganz ehrlich: Was Logiker als "fatal" empfinden, ist mir ziemlich egal, denn Logik ist im theoretisch-empirischen Forschungsprozeß eh nur ein Hilfsmittel, kein Mittel der Erkenntnis. Philosophen im allgemeinen und Logiker im besonderen sind im Wissenschaftsprozeß längst nicht mehr Akteure, sondern eher wie die grantelnden Alten auf der Empore. ;)

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Ein kleiner Nachtrag noch:

 

Wir sehen diese Welt nicht wie sie sind, wir konstruieren unsere Vorstellungen aus Beobachtungen und bilden unsere Modelle von Zusammenhängen auf der Basis von Empirie und Fantasie. Fantasie ist absolut notwendig, wo empirisches Wissen fehlt. Leider entdecken wir unsere Fantasievorstellungen oft erst dann, wenn sie an der Wirklichkeit scheitern.

 

Alle unsere Vorstellungen haben realistische wie fantastische Gehalte und der Prozeß unseres Wissenserwerbs ist ein wechselseitiger Prozeß von Tatsachenbeobachtung und Theoriebildung.

 

Dazu ein Zitat von Auguste Comte, der nicht nur das Wort „Soziologie“ erfunden hat, sondern eigentlich auch die dazugehörige Wissenschaft:

 

„Denn wenn auch auf der einen Seite jede positive Theorie notwendigerweise auf Beobachtungen fundiert sein muß, so ist es auf der anderen Seite nicht weniger richtig, daß unser Verstand eine Theorie der einen oder anderen Art braucht, um zu beobachten. Wenn man bei der Betrachtung von Erscheinungen diese nicht unmittelbar in Beziehung zu gewissen Prinzipien setzen würde, wäre es nicht nur unmöglich für uns, diese isolierten Beobachtungen miteinander in Verbindung zu bringen ... wir würden sogar völlig unfähig sein, uns an die Tatsachen zu erinnern; man würde sie zum größten Teil nicht wahrnehmen.“ (Auguste Comte, Cours de Philosophie Positive, Band 1, Paris 1907)

 

Wissenschaftlicher Fortschritt entsteht dadurch, daß wir Theorien aufstellen, die besser als die vorherigen die beobachtbaren Zusammenhänge erklären, und dadurch die Fantasiegehalte unserer Vorstellungen verringern, und die realistischen Gehalte vergrößern. Der Komparativ ist hier entscheidend.

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