Jump to content

Fürwahrhalten in der Religion


KevinF

Recommended Posts

@Marcellinus

 

Ich habe vor, noch etwas zu Elias zu schreiben (was zu kommentieren jeder eingeladen, aber niemand verpflichtet ist), aber an diesem Punkt nur so viel: Das stimmt so schlichtweg nicht.

 

In aller Kürze: Man braucht keine endlosen Argumentationsketten, bei denen man Argumente von anderen Argumenten ableitet - diese würden natürlich ins nichts führen. Ich vermute, Deine Meinung beruht auf einer Kritik von Elias am vermeintlichen Popperschen a priori. Die Kritik geht aber so, dass Popper laut Elias ein a priori annimmt, das über die formale Logik hinausgeht (und welches von Elias abgelehnt wird). Dass Popper oder andere Philosophen allein mithilfe formaler Logik etwas begründen wollen, unterstellt auch Elias nicht. Tatsächlich ist das auch nicht so.

 

Ein gültiges Argument stützt sich auf Erfahrung und/oder Einsicht, inklusive Selbsterfahrung. Und Gültigkeit in diesem Sinne braucht man überall, auch in der empirischen Wissenschaft. Ich hatte das anderswo an folgendem Beispiel illustriert:

 

"Nehmen wir an, ich wollte die These, dass alle Schwäne weiß sind, mithilfe der in Australien beheimateten schwarzen Schwäne durch eigene Beobachtung falsifizieren. Damit das funktioniert, muss ich, sobald ich denn einem geeigneten Schwan begegne, zumindest das Folgende wissen:

 

a) Der Schwan hier vor mir ist tatsächlich schwarz.

b) Wenn ein Schwan schwarz ist, ist er nicht weiß.

c) Falls es schwarze Schwäne gibt und falls zudem Schwäne, die schwarz sind, nicht zugleich weiß sein können, dann ist die Aussage, dass alle Schwäne weiß seien, widerlegt. (Dieser Satz beschreibt weitgehend eine formal-logische Beziehung.)

(Eigentlich bräuchte ich noch einen vierten Satz: Dass das "Ding" vor mir überhaupt ein Schwan ist!)

 

Wenn ich von allen diesen Sätzen absolut nicht wissen kann, ob sie wahr sind - nicht einmal im Sinne einer Wahrscheinlichkeit -, dann habe ich auch keine Ahnung, ob der Schwan, der vor mir steht, die All-Aussage, dass alle Schwäne weiß seien, (vorläufig) bestätigt oder widerlegt."

 

(Anmerkung: Die Sätze a) und b) bzw. die von ihnen ausgedrückten Sachverhalte müssen letztlich eingesehen werden.)

 

Auch in der Wissenschaft hat man es also andauernd mit Argumenten/Schlüssen zu tun, und sie müssen zumindest in dem erläuterten Sinne gültig sein. Die Philosophie benutzt im Prinzip die gleiche Grund-Arten von Rechtfertigung, wenn auch andere Arten von Behauptungen begründet werden sollen.

 

Dessen ungeachtet wäre meine Frage diese. Solle ich Dein Argument wie folgt verstehen?

 

1. Eine Erkenntnis ohne Empirie würde voraussetzen, dass es gültige Argumente gibt, die in einer endlosen Kette oder mit einem willkürlichen Abbruch von anderen gültigen Argumenten abgeleitet werden müssen.

2. Dies ist nicht möglich.

3. Also gibt es keine Erkenntnis ohne Empirie.

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

On 11/6/2024 at 6:27 PM, Marcellinus said:

Es braucht keine weitergehende "Begründung", keine Ableitung aus irgendwelchen Axiomen, keine Rückgriff auf irgendwelche Ontologien oder sonstige -ismen. Das sind alles philosophische Konzepte und Fragen, mit denen sich Philosophen beschäftigen mögen. Für die Orientierung in dieser Welt sind sie überflüssig, wie @KevinF sagen würde.

 

Ja 🙂

 

@iskander

 

Meine Sicht auf die Philosophie ist ganz einfach:

 

Wenn man mal von der Logik absieht, die man auch zur Mathematik zählen könnte, dann gilt:

 

Dort, wo in der Philosophie ein Konsens besteht, sind die Erkenntnisse trivial. Dort, wo es nicht trivial ist, besteht kein Konsens.
Und dies ist ein Dauerzustand.

 

Philosophie ist daher als Methode zum Gewinn von nicht trivialen Erkenntnissen über die Welt ungeeignet.

 

Man kann die unterschiedlichen philosophischen Schulen erörtern, wie man in der Literaturwissenschaft verschiedene Interpretationen eines Textes erörtern kann.

 

Sich einer dieser Schulen anzuschließen, scheint hingegen gleichbedeutend mit dem Annehmen eines philosophischen Glaubens zu sein.

Davon würde ich abraten.

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Am 3.11.2024 um 18:40 schrieb Marcellinus:
Am 3.11.2024 um 15:56 schrieb KevinF:
Am 2.11.2024 um 12:55 schrieb Marcellinus:

, oder etwas ganz einfaches: „Der Naturalismus ist die Auffassung, dass die Welt als ein rein von der Natur gegebenes Geschehen zu begreifen ist. Er geht davon aus, dass alles natürliche Ursachen hat und dass es nichts Übernatürliches gibt.“ (Wiki)

 

Wobei man dies als eine Art von philosophischem Glauben missverstehen könnte.

 

Was es aber nicht ist. Es ist einfach eine Erfahrung seit mindestens 500 Jahren, und die Grundlage all der unbestreitbaren Erfolge, die wir im Verständnis der beobachtbaren Wirklichkeit gemacht haben. Das als "schlechte Philosophie" zu diffamieren (was mir schon häufig passiert ist), ist einfach nur die Unfähigkeit der Philosophen geschuldet, die nicht damit fertig werden, ihre gedanklichen Bemühungen keinerlei positive Erkenntnisse hervorgebracht haben, und am Ende selbst nur auf Glauben beruhen. 

 

Der Naturalismus ist allerdings nun so unstrittig eine philosophische Auffassung (ob gut oder schlecht sei dahingestellt), wie etwas nur eine philosophische Auffassung sein kann. ;)

Kein Lexikon, keine Enzyklopädie und kein Fachbuch wird das bestreiten. Es sei hier nur beispielhaft aus dem von Dir zitierten Wikipedia-Artikel eine weitere Passage zitiert:

 

"In einer generellen Klassifikation naturalistischer Positionen wird häufig zwischen einem ontologischen (auch metaphysischen) und einem methodischen Naturalismus unterschieden. Während der ontologische Naturalismus eine These über die Natur der Welt formuliert (etwa: Die Welt besteht allein aus physischen Teilchen und ihren Eigenschaften), betrachtet der methodische Naturalismus die Orientierung an den Methoden der Naturwissenschaften als zentrales Merkmal des Naturalismus."

https://de.wikipedia.org/wiki/Naturalismus_(Philosophie)

 

Und natürlich argumentieren Philosophen, die einen Naturalismus vertreten, ähnlich wie Du: Dass die Naturwissenschaften großen Erfolg hatten, die Wirklichkeit natürlich zu erklären und dass es unnötig ist, da noch mehr zu postulieren usw.

 

Es kommt immer wieder vor, dass Du Positionen im Hinblick auf erkenntnistheoretische, wissenschaftstheoretische, metalogische und ontologische Fragestellungen vertrittst, die nicht nur nach allen Definitionen zum Gegenstandsbereich der Philosophie gehören, sondern die auch so von eminenten philosophischen Schulen seit alters her vertreten werden - zum Teil mit ganz ähnlichen Argumenten. "Empirismus" und "Naturalismus" wären hier zwei Schlagworte.

 

Du gehst aber von einem Begriff der Philosophie aus, der mit der tatsächlichen Philosophie, mit der Arbeitsweise von Philosophen und mit philosophischen Argumenten oft wenig zu tun hast. Für Dich ist die Philosophie einfach eine unsinnige Phantasterei ohne Realitätsbezug. Und daher denkst Du offenbar, dass eine Position oder Argumentation, die Dir als vernünftig und insbesondere als auf der Erfahrung basierend erscheint, unmöglich etwas mit Philosophie zu tun haben könne.

 

Das ergibt jedoch nicht mehr Sinn, als wenn ich eine Position vertreten würde, die nach allen Definitionen als geschichtswissenschaftlich gilt, die von manchen Historikern auch vertreten wird, und zwar sogar mit den gleichen Argumenten wie von mir - aber es dabei aufgrund eines sehr eigenwilligen Begriffs von "Geschichtswissenschaften" von mir weise, wenn jemand sagt, dass meine Überzeugungen in den Bereich Geschichtswissenschaft gehören.

 

Die Position des Naturalismus ist übrigens nicht selbst eine Erfahrung und folgt auch nicht ganz so direkt aus der Erfahrung, sondern verlangt Zusatz-Annahmen. Zuerst einmal wäre da das Prinzip, dass dann, wenn die Wissenschaft bisher erfolgreich war, ohne etwas Übernatürliches zu postulieren, es vermutlich auch überhaupt unnötig ist, etwas Übernatürliches zu postulieren. (Das ist ein induktiver Schluss.)

Das zweite Prinzip wäre, das man etwa so ausformulieren könnte: "Wenn es unnötig ist, die Existenz von X zu postulieren, um unsere Erfahrung zu erklären [und wenn außerdem auch sonst nichts für X spricht], ist es bis zum Beweis des Gegenteils unvernünftig, von X auszugehen." Das entspräche in etwa "Ockhams Rasiermesser".

 

Tatsächlich ist diese Argumentation aber hier nur bedingt überzeugend. Bei "Übernatürlichem" (oder gar "Transzendenz") denkt man in unserem Kulturkreis ja am ehesten an einen empirisch gerade nicht erfahrbaren Gott, der die Welt zwar erschaffen hat, in sie aber entweder gar nicht sichtbar eingreift oder doch nur äußerst selten. Eine solche Vorstellung steht mit der Naturwissenschaft, die ja nicht erklären will, wieso es überhaupt etwas gibt, sondern nur wie Prozesse in dieser Welt funktionieren, erst einmal schwerlich in einem Gegensatz. Die Tatsache, dass man alle möglichen natürlichen Phänomene - Blitze, Stürme, Gezeiten, die Bewegung der Planeten usw. - natürlich erklären kann, hat erst einmal wenig Relevanz für die Frage nach einer möglichen Transzendenz. Denn diese wurde ja gar nicht postuliert, um derartige Phänomene zu erklären.  

Eher stehen die Naturwissenschaften in einem Konkurrenzverhältnis mit einem Glauben, nach welchem immanente Götter selbst Teil der natürlichen Welt sind und in dieser Welt - prinzipiell beobachtbar - wirken sollen wie etwa ein Zeus, der Blitze schleudert oder wie ein Helios, die mit einem Feuerwagen über den Himmel zieht. Einem (deistischen) Glauben, nach welchem Gott die Welt geschaffen hat, aber sich nicht mehr um sie kümmert, mag man hingegen zwar vielleicht vorhalten, überflüssig zu sein - aber mit der wissenschaftlichen Erfahrung kollidiert er kaum, einfach weil er zu dieser auch kaum in Bezug steht. (Anders sieht es natürlich aus, wenn eine religiöse Anschauung zwar von einer transzendenten Wirklichkeit ausgeht, aber konkrete und nachprüfbare Behauptungen über deren Verhältnis zu unserer erfahrbaren Welt tätigt - so etwa die Behauptung, dass Gott die Welt in sechs Tagen erschaffen habe.)

 

Selbst wenn man aber annimmt, dass ein Gott in seltenen Ausnahmefällen in die Welt eingreift, stünde das nicht zwingend im Widerspruch zur wissenschaftlichen Erkenntnis und würde auch wissenschaftliches Arbeiten nicht verunmöglichen. Die Wissenschaft würde weiterhin funktionieren und hätte es höchstens mit seltenen Anomalien zu tun, die sie nicht erklären kann. Methodisch ist es zwar sinnvoll, alles nach Möglichkeit natürlich erklären zu wollen; aber wenn dieses methodische Prinzip in seltenen Einzelfällen nicht zum Erfolg führt, wäre das kein Beinbruch. Aus methodischen Gründen ist man gewiss nicht gezwungen, die Möglichkeit des Supernaturalismus zu negieren.

 

Auch das spezifische Argument, dass bisher nichts gefunden worden sei, was auf das Eingreifen einer transzendenten Macht in die Welt hindeutet, ist weniger stark, als es scheinen mag: Denn diese dieser Befund ist mit der Annahme, dass es nur sehr wenige Eingriffe einer übernatürlichen Macht in die Welt gibt, ähnlich gut vereinbar wie mit der Annahme, dass es überhaupt keine solchen Eingriffe gibt.

 

Was bleibt ist der Einwand, dass es keinen positiven Grund für den Supernaturalismus gebe und also Ockhams Rasiermesser den Naturalismus als die plausiblere Position erscheinen lasse. Hier ist der Supernaturalist, der nicht allein aus persönlichen Gründen an etwas Übernatürliches glaubt, sondern für seine Überzeugung werben will, in der Tat in der Pflicht. (Wobei sich Supernaturalisten und Naturalisten vielleicht schwer darauf einigen werden, was ein tragfähiges Argument ist.)

Mir geht es hier aber tatsächlich nur um diesen Punkt: Es ist doch zweifelhaft, ob die wissenschaftliche Erfahrung der letzten Jahrhunderte per se ein überzeugendes Argument gegen den Supernaturalismus darstellt.

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

vor einer Stunde schrieb KevinF:

Ja Wenn man mal von der Logik absieht, die man auch zur Mathematik zählen könnte, dann gilt:

 

Spätestens die semantische Analyse und Rechtfertigung logischer Prinzipien gehört allerdings nicht mehr in die Mathematik, wo es ja nur um Kalküle geht, sondern in die Philosophie. Und eine solche inhaltliche Betrachtung der Logik ist spätestens dann entscheidend, wenn es darum geht, dass logische Schlüsse auch "tatsächlich" gültig sind - und nicht nur etwa reine Konventionen innerhalb willkürlich kreierter formaler Systeme (siehe etwa hier).

 

(Und auch wenn manche Äußerungen von @Marcellinus auf mich den Eindruck machen, dass er die Bedeutung der Logik nicht immer in ihrer vollen Tragweise anerkennt, ist die Logik mit ihren Prinzipien doch entscheidend für alles. Das scheint übrigens auch Norbert Elias so zu sehen, wenn er im Credo eines Metaphysikers, S. 106, schreibt, "daß jeder wissenschaftliche Fortschritt, gewöhnlich über mehrere Wissenschaftlergenerationen hin, auf ein ständiges Ineinandergreifen von Induktion und Deduktion zurückgeht" [mit der entsprechenden Beteiligung der Empirie].)

 

vor einer Stunde schrieb KevinF:

Dort, wo in der Philosophie ein Konsens besteht, sind die Erkenntnisse trivial. Dort, wo es nicht trivial ist, besteht kein Konsens.
Und dies ist ein Dauerzustand.

 

Philosophie ist daher als Methode zum Gewinn von nicht trivialen Erkenntnissen über die Welt ungeeignet.

 

Und die implizite Prämisse lautet: "Wenn es irgendwo keinen (weitgehenden) Konsens gibt, dann gibt es auch keine klare Erkenntnis, sondern nur Beliebigkeit, ein Herumstochern im Neben und subjektive Meinung."

 

Das mag auf den ersten Blick überzeugend klingen, aber ich meine, dass es bei näherem Hinsehen doch weniger besticht.

 

Zuerst betrachte man einmal folgende, durchaus nicht ganz unrealistische Situation an: 70% aller Philosophen und aller Personen, die sich eingehend mit einer Fragestellung befasst haben, meinen, dass die Position A mit einem erheblichen Maß an Sicherheit als wahr erkennbar sei; 20% meinen, dass B mit einem gediegenen Maß an Sicherheit als wahr erkennbar sei; und 10% glauben, dass man kein wirklich begründetes Urteil fällen kann, ob A oder B richtig ist.

Wenn man jetzt dem obigen Prinzip folgt (wo kein Konsens, da keine Erkenntnis), dann muss man zum Schluss kommen, dass die 10% recht haben. Es ist nun natürlich keineswegs unmöglich, dass die 10% recht haben - aber es ist doch merkwürdig, dass ein Prinzip, das gerade den Konsens zum Kriterium der Erkenntnis macht, zum Resultat führen soll, dass die Position, die am wenigstens konsensfähig ist, die richtige sein soll.

 

Wir können die Sache aber auch wie folgt analysieren: Manche in diesem Beispiel meinen, dass man zu einer fundierten Entscheidung in der Sache gelangen könne und manche (hier 10%) negieren es. Beide Positionen - dass Erkenntnis in der entsprechenden Sache möglich sei und dass sie nicht möglich sei - erzielen keinen allgemeinen Konsens, sondern sind umstritten. Wenn man nun den 10% folgt, läuft das darauf hinaus, dass man stets die "pessimistische" Sichtweise für richtig und die "optimistische" für falsch erklärt, ohne nähere inhaltliche Prüfung oder Begründung. Das läuft auf eine dogmatische Skepsis hinaus: Egal wie die Sache auch aussieht, stets und ausnahmslos muss der Zweifler a priori recht haben.

 

Der dritte Punkt ist dieser: Das Prinzip, dass es dort keine fundierte Erkenntnisse geben könne, wo etwas umstritten ist, und immer nur dort, wo Konsens herrscht, ist ist selbst höchst umstritten und stellt selbst eben gerade keinen Konsens dar. Nach seinen Selbstaussage darf dieses Prinzip daher eben gerade nicht akzeptiert werden.

 

Mein vierter Einwand wäre, dass selbst Positionen, die offenkundig unvernünftig sind, mitunter nicht in einem allgemeinen Konsens abgelehnt werden - so etwa die im Qualia-Thread erwähnte Position, dass es Bewusstsein und Erleben im uns vertrauten Sinne gar nicht gebe. Sollte das aber ein Grund sei, zu negieren, dass die Existenz von Bewusstsein und Erleben klar erkennbar ist?

 

Aus diesen Gründen halte ich die Annahme, dass fundierte Erkenntnis nur dort zu finden ist, wo es einen weitestgehenden Konsens gibt, auf den zweiten Blick nicht für überzeugend, auch wenn sie es auf den ersten Blick als einleuchtend erscheinen mag. Ob Philosophie in der Sache selbst zu fundierten Aussagen führen kann, die mehr sind als Trivialitäten, muss sich daher nach meinem Dafürhalten in der konkreten Sachdiskussion selbst zeigen - wir diskutieren ja aktuell im Qualia-Thread manches, was in diesem Zusammenhang relevant ist, und werden da vielleicht ja auch noch weiter kommen. ;)

bearbeitet von iskander
Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

vor 12 Stunden schrieb iskander:

Und auch wenn manche Äußerungen von @Marcellinus auf mich den Eindruck machen, dass er die Bedeutung der Logik nicht immer in ihrer vollen Tragweise anerkennt, ist die Logik mit ihren Prinzipien doch entscheidend für alles. Das scheint übrigens auch Norbert Elias so zu sehen, wenn er im Credo eines Metaphysikers, S. 106, schreibt, "daß jeder wissenschaftliche Fortschritt, gewöhnlich über mehrere Wissenschaftlergenerationen hin, auf ein ständiges Ineinandergreifen von Induktion und Deduktion zurückgeht" [mit der entsprechenden Beteiligung der Empirie].

 

Ich hatte schon mal darauf hingewiesen, daß es wenig sinnvoll ist, wenn du Norbert Elias zitierst, ohne je auch nur ein Buch von ihm gelesen zu haben. (ich meine, du kannst natürlich tun und lassen, was du willst, nur sind Missverständnisse deinerseits dann vorprogrammiert). Elias weiß hier auf die Position von Popper hin, der in der wissenschaftlichen Arbeit ausschließlich Deduktion gelten läßt. 

 

„Die erste Hälfte dieser Tätigkeit [sc. des wissenschaftlichen Forschers], das Aufstellen von Theorien, scheint uns einer logischen Analyse weder fähig noch bedürftig zu sein: An der Frage, wie es vor sich geht, daß jemandem etwas Neues einfällt - sei es nun ein musikalisches Thema, ein dramatischer Konflikt oder eine wissenschaftliche Theorie -, hat wohl die empirische Psychologie Interesse, nicht aber die Erkenntnislogik. Diese interessiert sich nicht für Tatsachenfragen (Kant: quid facti), sondern nur an Geltungsfragen (quid juris) -das heißt an Fragen von der Art: ob und wie ein Satz begründet werden kann; ob er nachprüfbar ist; ob er von gewissen anderen Sätzen logisch abhängt oder mit ihnen in Widerspruch steht usw.“(Karl Raimund Popper, Logik der Forschung, Tübingen 1984 S. 41)

 

Poppers Fragestellung ist mit anderen Worten die nach der Arbeitsweise eines einzelnen Wissenschaftlers, und da auch nur nach dem Teil der Arbeit, nachdem er seine Theorie formuliert hat. Alles andere, woher er die Fragestellung seiner Theorie hatte, welche anderen Forscher ihn beeinflußt haben, usw. sind alles Tatsachenfragen, die Popper nicht interessieren.

 

Streng genommen interessiert ihn die tatsächliche Arbeit der Wissenschaftler und der Wissenschaften überhaupt nicht.

 

Wir nennen das gewöhnlich Metaphysik, der Versuch, unbekannte Zusammenhänge und ungelöste Problem allein durch Fantasie, durch Spekulation zu erklären, zwar ohne Bezug zu übermenschlichen Mächten wie in der Religion, aber eben auch ohne Rückgriff auf beobachtbare Fakten oder nachprüfbares Wissen. Ursprünglich hatten die Philosophen keine Wahl, da ihnen Wissen über die Gegenstände ihrer Betrachtungen nicht zur Verfügung standen. Heute wäre das Wissen schon da; um trotzdem zur Metaphysik zu kommen, muß man es also ignorieren. Und so schreibt Popper:

 

„Wir glauben auch nicht, daß es möglich ist, mit den Mitteln einer empirischen Wissenschaft Streitfragen von der Art zu entscheiden, ob die Wissenschaften ein Induktionsprinzip anwenden oder nicht.“ (Popper a.a.O. S. 25)

 

Und noch deutlicher:

 

„Und nicht aus diesem Grund verwerfen wir es [das Induktionsprinzip], nicht weil in der Wissenschaft ein solches Prinzip tatsächlich nicht angewendet wird, sondern weil wir seine Einführung für überflüssig, unzweckmäßig, ja, für widerspruchsvoll halten.“

 

"Wir geben also offen zu, daß wir uns bei unseren Festsetzungen in letzter Linie von unserer Wertschätzung, von unserer Vorliebe leiten lassen."

(am gleichen Ort)

 

Elias geht es im diese Position von Popper. Mit der setzt er sich auseinander. In einem zweiten Artikel für die Zeitschrift für Soziologie, in dem es wieder um Popper und seine Logik der Forschung geht, schreibt er dann in einer Anmerkung zu einem Artikel von Hans Albert:

 

"Er [H. Albert] glaubt, daß ich Popper mißverstehe, und drückt das in einer philosophischen Sprache aus, deren Bedeutung nicht immer ganz klar ist. Ich glaube, daß ich Popper recht gut verstehe, und drücke das in der mir wohlvertrauten Sprache eines Soziologen aus. So kann es wohl sein, daß wir etwas aneinander vorbeireden. Ich glaube, wir sollten uns darauf einigen, daß wir uns nicht einig sind."

(Norbert Elias, Zeitschrift für Soziologie, 14. Jg. 1985, H. 4, S. 268-281)

 

Was du oben als "ständiges Ineinandergreifen von Induktion und Deduktion" zitierst, nennt Elias selbst die "Interdependenz von Beobachtung und Theorie", ein Motiv, das sich schon bei Auguste Comte findet: 

 

„Denn wenn auch auf der einen Seite jede positive Theorie notwendigerweise auf Beobachtungen fundiert sein muß, so ist es auf der anderen Seite nicht weniger richtig, daß unser Verstand eine Theorie der einen oder anderen Art braucht, um zu beobachten. Wenn man bei der Betrachtung von Erscheinungen diese nicht unmittelbar in Beziehung zu gewissen Prinzipien setzen würde, wäre es nicht nur unmöglich für uns, diese isolierten Beobachtungen miteinander in Verbindung zu bringen ... wir würden sogar völlig unfähig sein, uns an die Tatsachen zu erinnern; man würde sie zum größten Teil nicht wahrnehmen.“ (Auguste Comte, Cours de Philosophie Positive, Band 1, Paris 1907)

 

Mit Philosophie hat das nichts zu tun, auch wenn zu seiner Beschreibung in der Auseinandersetzung mit Philosophen Begriffe gebraucht werden, die Philosophen offenbar exklusiv für sich in Anspruch nehmen. 

 

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

vor 13 Stunden schrieb iskander:

Der Naturalismus ist allerdings nun so unstrittig eine philosophische Auffassung (ob gut oder schlecht sei dahingestellt), wie etwas nur eine philosophische Auffassung sein kann. ;)

 

Ach komm, etwas mehr sprachliche Sensibilität hätte ich dir schon zugetraut. "Naturalismus" IST nicht, manche philosophische Auffassungen nennen sich nur so. "Naturalismus" ist erstmal nur ein Begriff, den ich allerdings anders verwende als du. 

 

Auf meinen wesentlichen Gedanken bist du aber nicht eingegangen. Vielmehr versuchst du schon wieder, mir Philosophie zu unterstellen. Ich muß daraus schließen, daß du entweder nicht willens oder nicht in der Lage bis, zwischen Philosophie und Wissenschaft zu unterscheiden. Aber das ist dein Problem, nicht meins. 

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

vor 14 Stunden schrieb iskander:

Mir geht es hier aber tatsächlich nur um diesen Punkt: Es ist doch zweifelhaft, ob die wissenschaftliche Erfahrung der letzten Jahrhunderte per se ein überzeugendes Argument gegen den Supernaturalismus darstellt.

Auguste Comte hat an einer Stelle einmal geschrieben, es sei die Aufgabe der Philosophie, von der Religion zu Wissenschaft zu führen, oder ihr Schicksal, in die Religion zurückzufallen.
 

Ich habe den Eindruck, du bist auf letzterem Wege schon ziemlich weit. ;)
 

Der Grund ist ziemlich einfach: wer den Wahrheitbegriffs der Religion übernimmt, landet zwangsläufig bei so etwas wie Religion.


P.P.S.: ich habe trotzdem (oder vielleicht gerade deswegen?) den Eindruck, dass mir deine Posts helfen bei dem Verständnis dessen, was der Unterschied ist zwischen Philosophie und Wissenschaft. Dazu nachher mehr.

bearbeitet von Marcellinus
Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

14 hours ago, iskander said:

Und die implizite Prämisse lautet: "Wenn es irgendwo keinen (weitgehenden) Konsens gibt, dann gibt es auch keine klare Erkenntnis, sondern nur Beliebigkeit, ein Herumstochern im Neben und subjektive Meinung."

 

 

14 hours ago, iskander said:

Der dritte Punkt ist dieser: Das Prinzip, dass es dort keine fundierte Erkenntnisse geben könne, wo etwas umstritten ist, und immer nur dort, wo Konsens herrscht, ist ist selbst höchst umstritten und stellt selbst eben gerade keinen Konsens dar. Nach seinen Selbstaussage darf dieses Prinzip daher eben gerade nicht akzeptiert werden.

 

Ich behaupte kein streng allgemeines Prinzip.

 

Vielmehr kommt es auf den Kontext an:

 

Wenn eine Gruppe von Schülern keinen Konsens bezüglich der Lösung einer Mathematikaufgabe finden kann, heißt das noch lange nicht, dass keine eindeutige Antwort möglich ist.

 

Wenn hingegen eine gesamte akademische Disziplin über einen längeren Zeitraum hinweg zu keiner Übereinkunft kommen kann, dann liegt die Vermutung nahe, dass es an einer objektiven Überprüfbarkeit der entsprechenden Aussagen mangelt.

 

Und genau dies ist bei der Philosophie  der Fall:
Philosophische Probleme sind solche, für deren Bearbeitung man nicht eine anerkannte Methodik wie die der empirischen Wissenschaften oder die der Mathematik verwenden kann.

 

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

15 hours ago, iskander said:

Was bleibt ist der Einwand, dass es keinen positiven Grund für den Supernaturalismus gebe und also Ockhams Rasiermesser den Naturalismus als die plausiblere Position erscheinen lasse. Hier ist der Supernaturalist, der nicht allein aus persönlichen Gründen an etwas Übernatürliches glaubt, sondern für seine Überzeugung werben will, in der Tat in der Pflicht. (Wobei sich Supernaturalisten und Naturalisten vielleicht schwer darauf einigen werden, was ein tragfähiges Argument ist.)

 

Wie passt dies zusammen mit

 

 

15 hours ago, iskander said:

Mir geht es hier aber tatsächlich nur um diesen Punkt: Es ist doch zweifelhaft, ob die wissenschaftliche Erfahrung der letzten Jahrhunderte per se ein überzeugendes Argument gegen den Supernaturalismus darstellt.

 

?

 

Mein Punkt ist einfach, dass das naturwissenschaftliche Weltbild keine Ergänzung durch die Annahme der Existenz von Übernatürlichem bedarf.

 

Damit ist der Supernaturalismus zur Orientierung in der Welt überflüssig.

 

Wenn das kein Argument gegen ihn ist, dann weiß ich auch nicht mehr.

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

vor 4 Stunden schrieb Marcellinus:

"Naturalismus" IST nicht, manche philosophische Auffassungen nennen sich nur so. "Naturalismus" ist erstmal nur ein Begriff, den ich allerdings anders verwende als du. 

 

Wie verwendest Du den Begriff denn? Zumindest aus Deinen Beiträgen sah es für mich so aus, als würdest Du die Position vertreten, dass es wahrscheinlich nichts Übernatürliches gebe - was inhaltlich dem klassischen ontologischen Naturalismus entspräche.

 

Oder vertrittst Du nur einen rein methodischen Naturalismus? Der wäre aber auch mit der Position, dass es Übernatürliches gibt, bestens vereinbar. Jemand mit einer entsprechenden Überzeugung würde durchaus anerkennen, dass die Wissenschaft versuchen soll, alles natürlich zu erklären, aber er wäre zugleich überzeugt, dass sie damit an ihre Grenzen kommt, weil sie dann eben grundsätzlich nicht alles erklären kann. Vielleicht irre ich mich, aber ich hatte Dich bisher so verstanden, dass Du mehr vertrittst als einfach nur einen methodischen Naturalismus.

 

vor 5 Stunden schrieb Marcellinus:

Ich hatte schon mal darauf hingewiesen, daß es wenig sinnvoll ist, wenn du Norbert Elias zitierst, ohne je auch nur ein Buch von ihm gelesen zu haben. (ich meine, du kannst natürlich tun und lassen, was du willst, nur sind Missverständnisse deinerseits dann vorprogrammiert). Elias weiß hier auf die Position von Popper hin, der in der wissenschaftlichen Arbeit ausschließlich Deduktion gelten läßt. 

 

Ich meine durchaus, Elias Position aus seinen ausführlichen Artikeln doch recht gut verstanden zu haben, und was Du zitierst, steht dazu auch nicht im Widerspruch. ;)

 

vor 5 Stunden schrieb Marcellinus:

Was du oben als "ständiges Ineinandergreifen von Induktion und Deduktion" zitierst, nennt Elias selbst die "Interdependenz von Beobachtung und Theorie", ein Motiv, das sich schon bei Auguste Comte findet:

 

Mir ging es keineswegs darum abzustreiten, dass für Elias die Empirie eine entscheidende Rolle spielt - deswegen hatte ich auch ein "mit der entsprechenden Beteiligung der Empirie" in eckigen Klammern eingefügt. Mir ging es hier allein darum, dass auch Elias anerkennt, dass logische Schlüsse für die Wissenschaft auch unabdingbar sind.

 

Zitat

Mit Philosophie hat das nichts zu tun [...]

 

In der Tat nicht. Es geht hier um empirische Wissenschaft, auf die Elias sich bezieht. Mein Ziel war zu zeigen, dass Elias anerkennt, dass empirische Wissenschaft nicht ohne logische Schlüsse funktioniert (auch wenn diese wie gesagt alleine nicht genügen).

 

vor 5 Stunden schrieb Marcellinus:

Poppers Fragestellung ist mit anderen Worten die nach der Arbeitsweise eines einzelnen Wissenschaftlers, und da auch nur nach dem Teil der Arbeit, nachdem er seine Theorie formuliert hat. Alles andere, woher er die Fragestellung seiner Theorie hatte, welche anderen Forscher ihn beeinflußt haben, usw. sind alles Tatsachenfragen, die Popper nicht interessieren.

 

Das stimmt, ist aber nun auch für die wissenschaftstheoretische Frage, welche Methode die Wissenschaft nutzt und nutzen sollte, nicht unmittelbar relevant. Ob eine Theorie von demselben Wissenschaftler, der sie ursprünglich aufgestellt hatte, später widerlegt wird, oder aber von einem Kollegen, der zudem so und so beeinflusst wurde, spielt für die Gültigkeit der Widerlegung keine Rolle. Entweder die Widerlegung ist gültig, oder sie es nicht. Und genau darum geht es Popper. Der Rest ist zwar auch interessant, aber er gehört vor allem in die Wissenssoziologie und die Wissenschaftshistorie.

 

vor 5 Stunden schrieb Marcellinus:

Streng genommen interessiert ihn [Popper] die tatsächliche Arbeit der Wissenschaftler und der Wissenschaften überhaupt nicht.

 

Das ist zwar in dieser Pauschalität wohl übertrieben, aber man kann ihm zurecht vorwerfen, das Prinzip der Induktion ohne hinreichende Begründung abgelehnt zu haben. Elias' Kritik ist in Teilen schon berechtigt, das streite ich nicht ab.

 

vor 5 Stunden schrieb Marcellinus:

„Wir glauben auch nicht, daß es möglich ist, mit den Mitteln einer empirischen Wissenschaft Streitfragen von der Art zu entscheiden, ob die Wissenschaften ein Induktionsprinzip anwenden oder nicht.“ (Popper a.a.O. S. 25)

 

Und noch deutlicher:

 

„Und nicht aus diesem Grund verwerfen wir es [das Induktionsprinzip], nicht weil in der Wissenschaft ein solches Prinzip tatsächlich nicht angewendet wird, sondern weil wir seine Einführung für überflüssig, unzweckmäßig, ja, für widerspruchsvoll halten.“

 

Ich antworte hierzu einmal, was ich in meinem noch nicht fertiggestellten Beitrag zu Elias' Kritik an Popper und der Philosophie in einem entsprechenden Zusammenhang sage. Elias selbst sagt:

 

"Ein Soziologe, der sich die Aufgabe stellt, das reale Vorgehen von Wissenschaftlern zu erforschen, und der versucht, ein theoretisches Modell eines solchen Vorgehens zu entwerfen, ist durch die von ihm entdeckten Belege gebunden. Ein Wissenschaftsphilosoph ist es offenbar nicht. Er kann, was er als Faktum vorfindet, verwerfen und nach eigenem Gutdünken beschließen, wie er ein philosophisches Modell der Wissenschaften aufbauen will."

 

Das ist einer der zentralen Kritikpunkte an Popper und der Wissenschaftstheorie im allgemeinen, wenn nicht der ganzen Philosophie. Popper verwirft das Induktionsprinzip ohne Rücksicht darauf, ob die empirischen Wissenschaften es nutzen oder nicht. Und natürlich ist an der Kritik von Elias etwas Wahres dran: Zu ignorieren, wie die Wissenschaften faktisch vorgehen, ist bedenklich, und die Verwerfung des Induktionsprinzips unglücklich. Das dürften auch die weitaus meisten Philosophen so sehen. Bei aller berechtigten Kritik an Popper zieht Elias aber aus einem wichtigen Sachverhalt nicht ausreichend die Konsequenzen: Wissenschaften sind nicht einfach da, so wie Steine oder Planeten einfach da sind. Sie sind vielmehr menschliche Unternehmen, die ein bestimmtes Ziel verfolgen - insbesondere den Gewinn von Erkenntnis. Und daher kann natürlich auch gefragt werden, ob die Mittel, die eine Wissenschaft einsetzt, zweckdienlich sind; ob also eine wissenschaftliche Methode in diesem Sinne brauchbar bzw. "gut" ist oder nicht. Das läuft aber natürlich auf dasselbe hinaus wie die normative Frage, wie eine Wissenschaft, die ihr Ziel erreichen will, vorgehen soll. Und eine solche "Geltungsfrage" lässt sich nicht mehr einfach an den Tatsachen, die man vorfindet, prüfen – also etwa daran, wie Wissenschaftler sich faktisch verhalten.
Hans Albert gibt das fiktive Beispiel, dass die Soziologen ihre empirischen Befunde falsch interpretieren, weil sie die statistische Methodenlehre nicht verstanden haben. Es ist hier offensichtlich, dass es nicht allein legitim ist, zu beschreiben, wie die Soziologen in so einem Fall faktisch vorgehen würden, sondern auch, wie sie im Sinne einer guten Wissenschaft vorgehen sollten – und dass man dabei die Tatsachen, die man vorfindet, eben gerade nicht einfach zum Maßstab machen darf.

 

Da die Philosophie sich mit der Frage befasst, wie valide Erkenntnis zustandekommt, geht es ihr in erster Linie nicht darum, was Wissenschaft faktisch tut, sondern was gute Wissenschaft tut. Natürlich hat auch jede Einzelwissenschaft ihre Methodenlehre, aber es stellt sich etwa die Frage, ob es bei allen Differenzen auch Prinzipien gibt, die in allen empirischen Wissenschaften einen sinnvollen Einsatzbereich finden. Deduktive und induktive Schlüsse wären ein Beispiel. Zum anderen sind eben beispielsweise das Induktionsprinzip und das deduktive Schließen weder physikalische noch biologische noch soziologische Phänomene - sie gehören nicht wirklich zum Gegenstandsbereich solcher Wissenschaften. Fragen wie die, wie solche Schlüsse zu verstehen oder zu rechtfertigen ist, oder was ganz allgemein eine wissenschaftliche "Erklärung" ausmacht, sind weder physikalischer noch soziologischer Natur. Sie können auch nicht durch physikalische Experimenten oder soziologischen Analysen beantwortet werden. Legitim sind sie dennoch.

 

vor 4 Stunden schrieb Marcellinus:

Auf meinen wesentlichen Gedanken bist du aber nicht eingegangen. 

 

Welches wäre denn Dein wesentlicher Gedanke?

 

vor 4 Stunden schrieb Marcellinus:

Der Grund ist ziemlich einfach: wer den Wahrheitbegriffs der Religion übernimmt, landet zwangsläufig bei so etwas wie Religion.

 

Inwieweit unterscheidet sich denn der (oder mein) "philosophischer Wahrheitsbegriff" von dem ganz alltäglichen Wahrheitsbegriff im Sinne von "Es gibt nicht nur weiße, sondern auch schwarze Schwäne"?

 

vor 5 Stunden schrieb Marcellinus:

Wir nennen das gewöhnlich Metaphysik, der Versuch, unbekannte Zusammenhänge und ungelöste Problem allein durch Fantasie, durch Spekulation zu erklären, zwar ohne Bezug zu übermenschlichen Mächten wie in der Religion, aber eben auch ohne Rückgriff auf beobachtbare Fakten oder nachprüfbares Wissen. Ursprünglich hatten die Philosophen keine Wahl, da ihnen Wissen über die Gegenstände ihrer Betrachtungen nicht zur Verfügung standen. Heute wäre das Wissen schon da; um trotzdem zur Metaphysik zu kommen, muß man es also ignorieren.

 

Abgesehen davon, dass das nicht der übliche Metaphysikbegriff ist, ist genau das ein Missverständnis. Du scheinst zum einen zu glauben, dass die Philosophie die gleichen Probleme lösen will wie die Naturwissenschaft (nur auf ungeeignete Weise) - und dass zweitens ein Unternehmen zur Erkenntnisgewinnung, das nicht mit Experimenten arbeitet, sich überhaupt nicht auf Wirklichkeit und Erfahrung stützen kann.

 

Lass es mich an einem Beispiel erklären. Wenn ein Biologe nach Australien kommt und feststellt, dass es dort auch schwarze Schwäne gibt und dass also doch nicht alle Schwäne weiß sind, dann betreibt er Biologie, nicht Philosophie. Er stellt Beobachtungen an und zieht aus ihnen entsprechende Schlussfolgerungen.

Philosophisch kann man nun aber analysieren, was hier eigentlich auf der Erkenntnis-Ebene passiert. Was ist, wenn man es ganz grundlegend betrachtet, die sachliche Rechtfertigung dafür, dass der Biologe die Auffassung, dass alle Schwäne weiß sind, als widerlegt betrachtet?

 

Im ersten Moment mag die Antwort simpel sein: Der Biologe sieht es doch einfach mit seinen Augen. Aber ganz so einfach ist es nicht. Er sieht ja erst mal nur einen schwarzen Schwan, mehr nicht. Wenn man nun genauer hinsieht, stellt man fest, dass das Wissen, dass nicht alle Schwäne weiß sind, mehrere Wurzeln hat, die alle zusammenkommen müssen (ich vereinfache hier):

 

a) Die simple Tatsachenfeststellung, dass der Schwan, der dort steht, schwarz ist.

 

(Eigentlich ist es an dieser Stelle schon nicht mehr so simpel und man muss schon für eine Feststellung wie "Dies ist ein Schwan" gewisse Annahmen über eine gewisse Gleichförmigkeit der Natur treffen, die man nicht empirisch belegen kann; man beachte, was hier zum Zusammenhang mit der Test-Problematik und der Induktion dargelegt wird.) 

 

b) Das Wissen darum, dass ein schwarzer Schwan nicht weiß ist.

 

Das mag trivial klingen, aber auch da kann man fragen: Woher weiß man das? Eine Tautologie (wie etwa "Ein nicht-weißer Schwan ist nicht weiß") ist das nicht. Ein induktiver Schluss aus der Erfahrung ("Weil bisher kein schwarzer Gegenstand weiß war, wird es auch diesmal so sein") scheint auch nicht die richtige Antwort zu sein. Wir sehen offenbar einfach unmittelbar ein, dass etwas, was komplett schwarz ist (normale Sichtbedingungen etc. vorausgesetzt), nicht weiß sein kann. Wir haben es hier also augenscheinlich mit einer einfachen, aber doch basalen Einsicht zu tun, die nicht weiter begründet werden kann und auch nicht weiter begründet werden muss.

 

c) Das Verständnis, dass dann, wenn mindestens ein nicht-weißer Schwan existiert, nicht alle Schwäne weiß sind.

 

Diese logische Schlussfolgerung kann man als eine triviale "tautologische Umformung" (wie Popper sich ausdrückt) verstehen. Aber auch dann muss man - so basal das ist - zumindest verstehen, dass Tautologien wahr sind.

(Und selbst spielen dann auch weitere Fragestellungen mit hinein. Wenn beispielsweise logische Zusammenhänge wie eben der hier infragestehende einfach nur auf Konvention beruhen würden - auf willkürlich festgesetzten "Spielregeln" -, dann würde auch die Widerlegung der Behauptung, dass es nur weiße Schwäne gibt, nur auf einer Konvention beruhen und damit keine wirkliche Erkenntnis darstellen.)

 

Zusammenfassend kann man also formulieren: Die empirische Falsifizierung einer Aussage wie hier derjenigen, dass alle Schwäne weiß sind, beruht zum einen auf durch Beobachtung gewonnenem Tatsachenwissen und zum anderen auf elementaren Einsichten - zum einen in einen bestimmten "materialen" Sachverhalt und zum anderen in grundlegende "formale" logische Zusammenhänge.

 

Und diese Feststellung ist keine Biologie mehr, sondern Philosophie (wenn auch eine relativ elementare). Sie entstammt aber nicht einer beliebigen "Fantasie", sondern der Reflexion auf den konkreten Erkenntnisprozess, den der Biologe vollzieht. Es handelt sich um eine höhere Abstraktionsstufe. Der Biologe sieht einen schwarzen Schwan; der Philosoph stellt fest, dass es sich um einen Tatsachenfeststellung handelt. Der Biologe schließt aus der schwarzen Farbe des Schwans, dass nicht alle Schwäne weiß sind; der Philosoph analysiert, welches Wissen für eine solche Schlussfolgerung neben dem Wissen aus der Tatsachenbeobachtung noch benötigt wird und wie es begründet werden kann.

 

Und auch, wenn entsprechende philosophischen Aussagen nicht selbst experimentell "prüfbar" sind, beruhen sie natürlich auf der Erfahrung der Wirklichkeit; sie setzen eine Kenntnis und ein Verständnis der entsprechenden Erfahrung voraus.

 

Und an diesem Beispiel sieht man auch, dass die Philosophie eben nicht versucht, naturwissenschaftliche Fragen zu beantworten, während sie die geeignete, die naturwissenschaftliche Methode ignoriert. Das wäre in der Tat albern, um nicht zu sagen: lächerlich. Die Philosophie will aber eben nicht herausbekommen, ob alle Schwäne weiß sind oder nicht - und erst recht will sie das nicht durch Spekulation und Fantasie (anstatt Beobachtung) ergründen. Die Beantwortung dieser Frage überlässt sie gerne der Biologie mit ihren spezifischen Methoden. Sondern die Philosophie fragt sich, auf welchem Wissen, auf welchen Prinzipien, die gültige Falsifikation der Annahme, dass alle Schwäne weiß seien, beruht, welche vom Biologen vorgenommen wird.

 

Das wäre wie gesagt ein einfaches (bzw. vereinfachtes Beispiel), aber es veranschaulicht hoffentlich das Prinzip.

 

Über den Grad der Sicherheit philosophischer Erkenntnisse ist damit übrigens noch nichts gesagt. (Ich würde ohnehin argumentieren, dass unterschiedliche philosophische Erkenntnisse mit unterschiedlichen Graden an Sicherheit verbunden sind.)

Und natürlich muss damit auch nichts Fragwürdiges oder Umstrittenes über unsere wissenschaftliche Erkenntnis behauptet werden wie etwa, dass die Wissenschaft "die Wahrheit" erkennt, oder auch nur, dass ein methodisch geeignetes wissenschaftliches Vorgehen zu unumstößlichen Ergebnissen führen müsste.

Es muss auch keinesfalls abgestritten werden, dass Wissenschaft ein dynamischer Prozess ist, oder dass Wissenschaftler in soziale Prozesse und Strukturen eingebunden sind, die ihr Arbeiten erst ermöglichen usw.

 

(Bei mancher berechtigten Kritik irrt an dieser Stelle auch Elias, wenn er Popper vorhält, dass dieser eigentlich nach ewigen Wahrheiten in der empirischen Wissenschaft suche oder wenn er meint, dass die Prüfung der Theorie an der Empirie eigentlich ein Fremdkörper in Poppers System darstelle. Das entspricht nicht den von Poppers deutlichen Ausführungen, und Elias ist auch der einzige mir bekannte Autor, der Popper in diesem Sinne interpretiert.)

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

vor 27 Minuten schrieb iskander:

Da die Philosophie sich mit der Frage befasst, wie valide Erkenntnis zustandekommt, geht es ihr in erster Linie nicht darum, was Wissenschaft faktisch tut, sondern was gute Wissenschaft tut. Natürlich hat auch jede Einzelwissenschaft ihre Methodenlehre, aber es stellt sich etwa die Frage, ob es bei allen Differenzen auch Prinzipien gibt, die in allen empirischen Wissenschaften einen sinnvollen Einsatzbereich finden.

 

So, und woher wollen Philosophen die Kompetenz haben, zu sagen, was "gute" Wissenschaft tut? Wohlgemerkt, in den letzten Jahrhunderten, in den sich die Naturwissenschaften entwickelt und bahnbrechende Entdeckungen gemacht haben, die einen dauerhaften Wert besitzen, hat die Philosophie nichts, aber auch gar nichts an nachprüfbarem Wissen hervorgebracht, und ihre übrigen "Erkenntnisse" sind nach kurzer Zeit von anderen Philosophen wieder zerrissen worden. 

 

Das ist übrigens auch der Einwand von Elias gegen die Philosophie, daß sie sich mit Themen beschäftigt, von denen sie erkennbar keine Ahnung hat, und Behauptungen aufstellt, die durch keinerlei Beobachtungen zu belegen sind. Mit anderen Worten, Philosophen erklären nicht, wie diese Welt ist, sondern wie sie sie gern hätten, oder besser noch: wie die Welt ihrer Ansicht nach sein sollte. Offenbar ein hübsches Hobby, aber zur Orientierung in dieser Welt vollkommen ungeeignet. 

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

vor 43 Minuten schrieb iskander:

Bei mancher berechtigten Kritik irrt an dieser Stelle auch Elias, wenn er Popper vorhält, dass dieser eigentlich nach ewigen Wahrheiten in der empirischen Wissenschaft suche oder wenn er meint, dass die Prüfung der Theorie an der Empirie eigentlich ein Fremdkörper in Poppers System darstelle. Das entspricht nicht den von Poppers deutlichen Ausführungen, und Elias ist auch der einzige mir bekannte Autor, der Popper in diesem Sinne interpretiert.

 

Ich sag ja, du verstehst ihn nicht, weil du kein einziges seiner Werke gelesen hast. Ihn aus Zeitungsartikeln beurteilen zu wollen, übersieht die simple Tatsache, daß Elias sich dabei an ein soziologisch gebildetes Publikum richtete, die im Gegensatz zu dir seine Bücher selbstverständlich kannten. 

 

Zu deinem inhaltlichen Einwand: Popper sucht nach "gültigen Sätzen", so schreibt er selbst, findet sie aber nur in persönlichen Glaubensüberzeugungen. Daher ja auch seine Position, daß es in den Wissenschaften kein positives Wissen geben könne, nur noch nicht falsifiziertes. 

 

„Das alte Wissenschaftsideal, das absolut gesicherte Wissen (episteme), hat sich als Idol erwiesen. Die Forderung der Wissenschaftlichen Objektivität führt dazu, daß jeder wissenschaftliche Satz vorläufig ist. Er kann sich wohl bewähren - aber jede Bewährung ist relativ, eine Beziehung, eine Relation zu anderen, gleichfalls vorläufigen Sätzen." 
(Karl Raimund Popper, Logik der Forschung, Tübingen 1984, S. 225)

 

Wer nach absolut gesichertem Wissen strebt, landet früher oder später beim Glauben.  Wie schreibt Popper so schön im Anschluß an das obige Zitat: 

„Nur in unseren subjektiven Überzeugungserlebnissen, in unserem Glauben können wir absolut sicher sein.“

 

bearbeitet von Marcellinus
Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

vor 6 Stunden schrieb KevinF:

Wenn hingegen eine gesamte akademische Disziplin über einen längeren Zeitraum hinweg zu keiner Übereinkunft kommen kann, dann liegt die Vermutung nahe, dass es an einer objektiven Überprüfbarkeit der entsprechenden Aussagen mangelt.

 

Damit gelangen wir dann aber wieder zu folgendem Punkt: Wenn die meisten Leute, die sich mit einem philosophischen Problem befasst haben, dieses für lösbar halten, auch wenn sie unterschiedliche Lösungen für richtig halten, und wenn nur eine deutliche Minderheit das Problem für unlösbar hält: Warum muss dann die Minderheit automatisch (mindestens sehr wahrscheinlich) recht haben? Ist es wirklich plausibel, dass wir dann, wenn wir den Konsens zum Kriterium der Erkenntnis erheben, genau diejenige Position unbesehen zur Erkenntnis erklären, die in vielen Fällen den geringsten Konsens erzielen wird?

 

Und nochmals: Wenn wir so vorgehen, heißt das auch, dass man das fragliche Prinzip, nach ein fehlender Konsens Unentscheidbarkeit impliziert, nicht auf die Frage anwenden dürfen, ob es Konsens dazu gibt, ob das Problem tatsächlich unlösbar ist; denn wenn es keinen solchen Konsens gibt, müssten wir, wenn wir das Prinzip anwenden, zum Schluss gelangen, dass es unentscheidbar ist, ob das Problem unentscheidbar ist. Vielmehr müssen wir das Prinzip aussetzen und immer der einen Seite zustimmen, und zwar wie gesagt ohne Prüfung. Das scheint mir einigermaßen inkonsequent und willkürlich zu sein, und schwer zu begründen.

 

Des Weiteren würde ich die Situation innerhalb der Philosophie doch auch nicht ganz soooo pessimistisch einschätzen. Ich zitiere hier einmal, was ich schon an Marcellinus gerichtet geschrieben habe:

 

In etlichen Fragen sind sich fast alle Philosophen einig; mit Sicherheit in der, dass es reale Stühle gibt.

 

Zudem gibt es auch Entwicklungen. Nimm die Wissenschaftstheorie: Zu Anfang bis etwa zur Mitte des 20. Jhs. war der "logische Empirismus/Positivismus" sehr einflussreich. Dann hat man allgemein gemerkt, dass er einfach nicht stimmen kann, und das dürfte heutzutage so gut wie unbestritten sein. Entsprechend konnte der Philosoph John Passmore dann sagen: "Der [logische] Positivismus ist so tot, wie eine philosophische Bewegung es überhaupt nur sein kann." [Korrektur: Ursprünglich hatte ich das Zitat Popper zugeschrieben, aber wohl zu Unrecht.]

Das ist in diesem Fall auch keine Frage der Mode, sondern die Schwächen dieser Position traten im Laufe der Diskussion so deutlich hervor, dass selbst die wichtigsten Köpfe dieser Denkschule das Scheitern ihres Projekts eingestehen mussten. Beispielsweise antwortete Alfred J. Ayer, ein führender Vertreter des logischen Empirismus, als er zu den Mängeln seines eigenen grundlegendes Buch befragt wurde: "I suppose the most important [defect]…was that nearly all of it was false."

 

Aber auch Popper wird in seiner ursprünglichen Reinform in der Wissenschaftstheorie nur noch wenige Anhänger haben. Womöglich kommt es auch in der Philosophie in einem gewissen Umfang auch dadurch zu Fortschritten, dass das Falsche sukzessive ausgesondert wird.

(Wenn trotzdem viele Naturwissenschaftler in unveränderter Weise an Popper "in Reinform" festhalten, ist das kaum die Schuld der Philosophen - und es verdeutlicht auch, dass es vielleicht doch einen Unterschied gibt, ob man empirische Wissenschaft treibt oder auf die Methoden der eigenen Wissenschaft reflektiert.)

 

vor 6 Stunden schrieb KevinF:

Philosophische Probleme sind solche, für deren Bearbeitung man nicht eine anerkannte Methodik wie die der empirischen Wissenschaften oder die der Mathematik verwenden kann.

 

Das scheint damit zu tun zu haben, dass es dem Menschen oft schwer fällt, das "Grundlegende" zu erfassen. Nimm mein obiges, an @Marcellinus adressiertes Beispiel. Wir sind uns doch sicher einig, dass die klare, deutliche und reproduzierbare Beobachtung eines schwarzen Schwans die These, dass alle Schwäne weiß sind, falsifiziert. Das ist leicht zu verstehen; selbst ein kleines Kind wird das begreifen (auch wenn es mit Begriffen wie "Falsifikation" nichts anfangen kann). Wir werden uns auch sicher darauf einigen können, dass wir nicht mit unseren Sinnen unmittelbar beobachten können, dass die Auffassung, dass alle Schwäne weiß sind, falsch ist. (Auch viele Tiere können schwarz und weiß unterscheiden und einen schwarzen Schwan sehen - ein Wissen davon, dass damit die These, dass alle Schwäne weiß sind, widerlegt wurde, besitzen sie allerdings wohl kaum.)

Es muss also Gründe geben - und zwar offenbar mehrere, die zusammenkommen - welche uns erst zu dem Schluss berechtigen, dass die These vom Weiß-Sein aller Schwäne falsifiziert wurde. Die Beobachtung ist hier einer der Gründe unserer Erkenntnis, aber nicht der einzige. Aber schon diese Feststellung und eine Analyse, was nun die Quellen unserer Erkenntnis sind, ist anspruchsvoller und diffiziler als die Erkenntnis selbst, dass dieser Schwan vor mir schwarz ist und also nicht alle Schwäne weiß sein können. Dabei ist klar, dass diese Erkenntnis eben auf andere, banalere Erkenntnisse zurückzuführen sein muss und nicht sicherer sein kann als diese selbst.

 

Oder nimm die Logik: Wir können mühelos verstehen, dass dann, wenn Herr Müller zwei Töchter hat, Laura und Sabine, und eines der beiden Kinder fünf Jahre ist, Laura aber sieben Jahre, Sabine fünf Jahre alt sein muss. Aber sobald es um den Status jener logischen Prinzipien geht, die wir hier benutzen, scheint alles plötzlich schwieriger zu werden. Was sind solche logische Prinzipien? Ewige Wahrheiten? Reine konventionelle Festlegungen? Oder etwas anderes? Dabei ist uns klar, dass der obige Schluss mit Laura und Sabine von der Geltung logischer Schlüsse abhängt und nicht sicherer sein kann als diese selbst.

 

Das Grundlegendere, auf dem alles andere aufbaut, scheint für uns also oft schwerer zugänglich zu sein als das, was eigentlich aus dem Grundlegenden erst abgeleitet ist. (Es gibt ja das Wort von Aristoteles: "Wie sich die Augen der Nachteule zum Tageslicht verhalten, so die Vernunft unserer Seele zu dem was, seiner Natur nach am offenbarsten ist.")

 

vor 6 Stunden schrieb KevinF:

Mein Punkt ist einfach, dass das naturwissenschaftliche Weltbild keine Ergänzung durch die Annahme der Existenz von Übernatürlichem bedarf.

 

Mein Beitrag bezog sich auch nicht darauf, sondern auf die weiterreichende und oftmals These, dass es einen direkten Widerspruch zwischen dem Erfolg der Wissenschaft und dem Supernaturalismus gebe in dem Sinne, dass der Naturalismus den gut begründeten Naturgesetzen widerspreche. Mein Punkt wäre hier einfach, dass das zu weit geht, weil die empirischen Befunde mit einer weitreichenden Geltung der Naturgesetze ähnlich gut vereinbar sind wie mit ihrer ausnahmslosen Geltung. Zudem wollte ich anmerken, dass allein aus einem methodischen Naturalismus kein ontologischer folgt.

 

Das Prinzip, dass dann, wenn das naturwissenschaftliche Weltbild keiner Ergänzung bedarf und es auch sonst keine Argumente für den Supernaturalismus gibt, der Supernaturalismus als unbegründet abzulehnen ist, will ich damit nicht infragestellen. Dass das rein naturwissenschaftliche Weltbild genügt, würde ich jedoch bezweifeln - allerdings nicht unter dem Stichwort "Supernaturalismus" (siehe unsere Diskussion im Qualia-Thread).

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

vor 30 Minuten schrieb iskander:
vor 7 Stunden schrieb KevinF:

Philosophische Probleme sind solche, für deren Bearbeitung man nicht eine anerkannte Methodik wie die der empirischen Wissenschaften oder die der Mathematik verwenden kann.

 

Das scheint damit zu tun zu haben, dass es dem Menschen oft schwer fällt, das "Grundlegende" zu erfassen. Nimm mein obiges, an @Marcellinus adressiertes Beispiel. Wir sind uns doch sicher einig, dass die klare, deutliche und reproduzierbare Beobachtung eines schwarzen Schwans die These, dass alle Schwäne weiß sind, falsifiziert.

 

Ich diskutieren schon seit vielen Jahren mit Philosophen. @iskander, du bist doch ein kluger Philosoph. Kannst du mir erklären, warum ihr immer, wenn ihr mir euer Wahrheitskonzept verkaufen wollt, mit derartig unterkomplexen Beispielen kommt? Niemand, außerhalb der erlauchten, philosophischen Kreise, würde auf die Idee kommen, bei schwarzen Schwänen, weißen Schimmeln, oder der Frage, ob Sokrates einen Bart, oder Caesar eine Glatze hatte, den Begriff "Wahrheit" zu bemühen. Wollt ihr mich veralbern, ist das so eine Art von Insider-Joke, oder wißt ihr, daß euer Wahrheitskonzept außerhalb solch schwachsinniger Beispiele nicht funktioniert, und spekuliert nur darauf, daß der tumbe Marcellinus das nicht merkt?

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

vor 2 Stunden schrieb Marcellinus:

So, und woher wollen Philosophen die Kompetenz haben, zu sagen, was "gute" Wissenschaft tut?

 

Ich meine das nicht so, dass Philosophen eigenständig "feststellen" sollen, ob eine bestimmte Wissenschaft gut ist oder nicht; sie sollen vielmehr vor allem analysieren, was eine Wissenschaft, die anerkanntermaßen erfolgreich ist, erfolgreich macht. Und zwar nicht unter sozialen, sondern grundsätzlichen methodischen Aspekten.

 

Was Philosophen dazu qualifiziert? Die Befassung mir entsprechenden methodischen Fragen (und, in einem gewissen Maße, den entsprechenden Wissenschaften selbst). Wissenschaftler benutzen beispielsweise oft den Begriff der Kausalität ("Korrelation ist nicht Kausalität"), aber sie analysieren selten, was Kausalität ist und in welchem Verhältnis sie beispielsweise zur Logik (hinreichende und notwendige Bedingung) steht. Das sind schlichtweg andere Fragestellungen.

Die Kompetenz, ein guter Wissenschaftler zu sein - einschließlich der Verwendung methodischer Prinzipien - ist nicht unbedingt das gleiche wie ein explizites methodisches Wissen und Verständnis, das man bewusst reflektiert. (Ein Hinweis darauf könnte ja schon sein, dass Popper mit seiner Ablehnung der Induktion unter Naturwissenschaftlern wesentlich beliebter ist als unter Philosophen.)

 

Du übernimmst zu unkritisch fragwürdige Positionen von Elias. Bei ihm klingt es so, als wollten die Philosophen sich als "Gesetzgeber" der Wissenschaft aufspielen. Bei Popper mag dieser Eindruck ein Stück weit entstehen, aber im allgemeinen ist er einfach falsch. Es geht den Philosophen - soweit sie Wissenschaftsphilosophen sind - darum, zu analysieren, was valide wissenschaftliche Methodik ausmacht. Mir ist kein Fall bekannt, in dem Philosophen Briefe mit "Forderungen" an empirisch arbeitende Wissenschaftler geschrieben hätten. Auch ist mir kein Philosoph bekannt, der meint, dass die Wissenschaften die philosophische Wissenschaftstheorie "bräuchten", um sinnvoll arbeiten zu können. Du scheint allerdings die Vorwürfe von Elias zu unkritisch zu rezipieren und daher den Philosophen eine extreme Arroganz und eine Mischung aus Unfähigkeit und Anmaßung zu unterstellen, die es gar nicht gibt.

 

Zitat

Das ist übrigens auch der Einwand von Elias gegen die Philosophie, daß sie sich mit Themen beschäftigt, von denen sie erkennbar keine Ahnung hat, und Behauptungen aufstellt, die durch keinerlei Beobachtungen zu belegen sind. Mit anderen Worten, Philosophen erklären nicht, wie diese Welt ist, sondern wie sie sie gern hätten, oder besser noch: wie die Welt ihrer Ansicht nach sein sollte. Offenbar ein hübsches Hobby, aber zur Orientierung in dieser Welt vollkommen ungeeignet.

 

Auch hier übernimmst Du anscheinend ein Zerrbild von Elias, der es tatsächlich so darstellt, als wolle die Philosophie im Prinzip das gleiche leisten wie die Naturwissenschaften, nur mit ungeeigneten Methoden. Nun habe ich ja immer wieder versucht, diesse Missverständnis zu korrigieren (und auch darauf hingewiesen, dass die Philosophie natürlich durchaus Wirklichkeit in den Blick nimmt, wenn sie ihre Aussagen auch nicht im Experiment überprüft). Ich habe das ja recht oft und detailliert dargelegt, auch an konkreten Beispielen. Allerdings musst Du mir nichts glauben; und so habe ich beispielsweise auch Fachartikel aus der Wissenschaftsphilosophie verlinkt, oder Beiträge aus Quellen mit Reputation wie der Internet Encyclopedia of Philosophy. Entsprechend sollte es für Dich möglich sein, Deine Vorstellungen zu überprüfen. Allerdings bist Du bisher nie auf entsprechende Texte eingegangen, auch nicht kritisch. Ich kann Dir Informationen - auch solide Informationen - zur Verfügung stellen; die Bereitschaft, sie zur Kenntnis zu nehmen, muss indes von Dir kommen. ;)

 

vor 2 Stunden schrieb Marcellinus:

Ich sag ja, du verstehst ihn nicht, weil du kein einziges seiner Werke gelesen hast. Ihn aus Zeitungsartikeln beurteilen zu wollen, übersieht die simple Tatsache, daß Elias sich dabei an ein soziologisch gebildetes Publikum richtete, die im Gegensatz zu dir seine Bücher selbstverständlich kannten. 

 

Die Artikel von ihm sind keine "Zeitungsartikel", sondern Fachartikel, die in der Zeitschrift für Soziologie entstanden sind. Sie sind sehr ausführlich und gut verständlich, und in ihnen geht es wenig um spezifisch soziologische Fragestellungen, sondern vorwiegend um solche, die man üblicherweise zu den Gebieten der Erkenntnistheorie, Wissenschaftstheorie, Ontologie, Metaphilosophie usw. rechnen würde. Und ich sehe nichts, was bei mir den Eindruck erwecken würde, dass ich Elias missverstanden hätte.

 

vor 2 Stunden schrieb Marcellinus:

„Das alte Wissenschaftsideal, das absolut gesicherte Wissen (episteme), hat sich als Idol erwiesen. Die Forderung der Wissenschaftlichen Objektivität führt dazu, daß jeder wissenschaftliche Satz vorläufig ist. Er kann sich wohl bewähren - aber jede Bewährung ist relativ, eine Beziehung, eine Relation zu anderen, gleichfalls vorläufigen Sätzen." 
(Karl Raimund Popper, Logik der Forschung, Tübingen 1984, S. 225)

 

Und, ist das so wesentlich anderes als das, was Elias sagt? So heißt es bei ihm im Credo:

 

"Denn Fortschritte in der Wissenschaft sind keine absolute Wahrheit. Es wäre ganz irrig, Endgültigkeit für sie zu beanspruchen, d. h. eine endgültige und vollständige Übereinstimmung zwischen Wissen und Wissensobjekten. [...] Die Frage ist nicht einfach: „Ist es wahr oder falsch?“, sondern: „Wie verhält sich dieser Befund zu unserem bisherigen Wissen? Stellt er eine Erweiterung unseres bisherigen Wissens dar? Widerspricht er unserem bisherigen Wissen oder den vorhandenen Theorien anderer? Bestätigt er sie?“ usw."

 

Sowohl Popper wie auch Elias verneinen, dass die Wissenschaft und ewige und und endgültige Wahrheiten bietet; beide gehen aber davon aus, dass wir durch die Wissenschaft eine Annäherung an die wirklichen Verhältnisse erreichen. (Beide scheinen auch darin übereinstimmen, dass man neue Erkenntnisse nicht isoliert betrachten kann, sondern in Bezug zu anderem Wissen setzen kann, auch wenn sich ihre Ansätze im Detail unterscheiden mögen.)

bearbeitet von iskander
Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

vor einer Stunde schrieb Marcellinus:

Ich diskutieren schon seit vielen Jahren mit Philosophen. @iskander, du bist doch ein kluger Philosoph. Kannst du mir erklären, warum ihr immer, wenn ihr mir euer Wahrheitskonzept verkaufen wollt, mit derartig unterkomplexen Beispielen kommt? Niemand, außerhalb der erlauchten, philosophischen Kreise, würde auf die Idee kommen, bei schwarzen Schwänen, weißen Schimmeln, oder der Frage, ob Sokrates einen Bart, oder Caesar eine Glatze hatte, den Begriff "Wahrheit" zu bemühen. Wollt ihr mich veralbern, ist das so eine Art von Insider-Joke, oder wißt ihr, daß euer Wahrheitskonzept außerhalb solch schwachsinniger Beispiele nicht funktioniert, und spekuliert nur darauf, daß der tumbe Marcellinus das nicht merkt?

 

Ich bin ein wenig verwirrt, denn ich habe den Begriff "Wahrheit" hier doch gar nicht benutzt - und verwirren will ich sicher niemanden. Mir ging es in diesem Beispiel doch einfach darum, dass wir Menschen uns oft mit Erkenntnissen, die eigentlich "abgeleitet" sind, schwerer tun als mit den Grundlagen, auf denen diese Erkenntnisse beruhen und ohne die wir sie nicht hätten. Da kommt der Begriff "Wahrheit" ja erst einmal nicht vor. (Ich würde zwar meinen, dass er implizit in jeder Behauptung vorkommt, aber das gilt dann allgemein.)

 

Ansonsten würde ich meinen, dass wir im Alltag sehr häufig für ganz triviale Aussagen den Begriff "wahr" verwenden: "Er hat gesagt, dass das so und so ist - meinst Du, er hat die Wahrheit gesagt?" "Du behauptest also X? Das ist doch nicht wahr!" Wir sagen nur deswegen von einer Behauptung normalerweise normalerweise, dass sie wahr sei, weil das redundant wäre.

 

Ähnlich sieht es auch die Wikipedia:

 

"Der Begriff der Wahrheit wird in verschiedenen Zusammenhängen gebraucht und unterschiedlich gefasst. Gemeinhin wird die Übereinstimmung von Aussagen oder Urteilen mit einem Sachverhalt,[1][2] einer Tatsache oder der Wirklichkeit im Sinne einer korrekten Wiedergabe als Wahrheit bezeichnet."

https://de.wikipedia.org/wiki/Wahrheit

 

Zumindest "mein" Wahrheitskonzept ist im Übrigen grundsätzlich genauso simpel: Unter Wahrheit verstehe ich die Übereinstimmung einer Überzeugung oder Aussage mit der Wirklichkeit - und zwar unabhängig davon, ob die entsprechende Wirklichkeit trivial oder komplex ist. Was auch bedeutet, dass wir entsprechend diesem Begriff von vielen Behauptungen nicht wissen, ob sie "wahr" sind oder nicht.

 

Oder lautet Deine Kritik, wenn man einmal von semantischen Fragen absieht, dass wir zwar in solch einfachen Fragen wie der nach der Farbe eines Schwans eine sichere Erkenntnis erlangen können, nicht aber in vielen anderen Fragen - dass ich aber so tue als ob?

 

Mir ging es aber wie schon gesagt nur um ein (simples) Beispiel dafür, wie die Philosophie versuchen kann, eine zugegeben einfache, alltägliche Erkenntnis dahingehend zu untersuchen, auf welchen Prinzipien sie eigentlich beruht; wie eine solch alltägliche Erkenntnis, wenn man genauer hinsieht, sachlich gerechtfertigt werden könnte; und dass die Philosophie an dieser Stelle eben nicht versucht, eine empirische Vorgehensweise zu ersetzen, sondern sie analysieren möchte.

 

Damit will ich aber erst mal nichts weiter behaupten. Insbesondere nicht, dass wissenschaftliche Erkenntnisse im allgemeinen so simpel wären, oder dass sie mit der gleichen Sicherheit zutreffen wie die Aussage, dass es schwarze Schwäne gibt. Auch will ich damit nicht abstreiten, dass eine simple Unterscheidung in "wahr" und "falsch" dem wissenschaftlichen Fortschritt oft nicht gerecht ist, sondern dass es auf andere Dinge ankommen kann, etwa ob ein Befund zu einer Annäherung an die Wirklichkeit oder zu besseren Vorhersagen führen kann. 

 

Ich bin mir - und das meine ich wirklich so - nicht sicher, was genau von dem, was ich gesagt habe oder gemeint habe (oder gemeint haben soll?) von Dir kritisiert wird.

 

bearbeitet von iskander
Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

vor 20 Stunden schrieb iskander:

Zumindest "mein" Wahrheitskonzept ist im Übrigen grundsätzlich genauso simpel: Unter Wahrheit verstehe ich die Übereinstimmung einer Überzeugung oder Aussage mit der Wirklichkeit - und zwar unabhängig davon, ob die entsprechende Wirklichkeit trivial oder komplex ist. Was auch bedeutet, dass wir entsprechend diesem Begriff von vielen Behauptungen nicht wissen, ob sie "wahr" sind oder nicht.

 

Oder lautet Deine Kritik, wenn man einmal von semantischen Fragen absieht, dass wir zwar in solch einfachen Fragen wie der nach der Farbe eines Schwans eine sichere Erkenntnis erlangen können, nicht aber in vielen anderen Fragen - dass ich aber so tue als ob?

 

Genau das ist aber das Problem. Die Modelle, mit denen wir die Wirklichkeit beschreiben, bestehen aus menschengemachten Symbolen, Wörtern, Zählen und Sätzen, die aus beiden gebildet werden. Die Wirklichkeit, mit der sie übereinstimmen sollen, besteht aber nicht aus solchen Symbolen, sondern ist in der Regel weit komplexer, und, noch schlimmer, uns meistens auch nicht vollständig bekannt. Zumindest können wir da nicht sicher sein. Übereinstimmung kann es da schon prinzipiell nicht geben.

 

Was unsere Modelle können, ist die Beschreibung beobachtbarer Eigenschaften und im Alltagsleben reicht das, um sich zurechtzufinden. Da haben wir dann die schwarzen Schwäne oder den glatzköpfigen Caesar. Aber in den theoretisch-empirischen Wissenschaften sind unsere Modelle weder vollständig noch endgültig, und um das auszudrücken, und nicht falsche Vorstellungen von Gewissheit hervorzurufen, sollten wir auf den Begriff Wahrheit verzichten. 

 

Aber es gibt noch einen zweiten Grund. Der Begriff Wahrheit erweckt die Illusion eines Endzieles, eines Punktes absoluter Gewissheit, den wir vielleicht noch nicht erreicht haben, aber dem wir uns ständig annähern. Aber genau das ist ein Irrtum. Unsere Modelle mögen besser sein als ihre Vorgänger, aber ob sie sich einen vermeintlichen Ziel nähern, oder letztlich einen Irrweg darstellen, das können wir einfach nicht wissen. Also sollten wir auch nicht versuchen, diesen Eindruck zu erwecken, nicht vor anderen, und auch nicht, erst recht nicht vor uns selbst. 

 

Der Verzicht auf den Wahrheitsbegriff ist also ein Ausdruck intellektueller Redlichkeit, die nicht versucht, vor sich oder anderen einen Anspruch zu erheben, den er nicht einlösen kann. Denn ob etwas "wahr" ist oder nicht, ist entweder trivial, wie das Beispiel mit den Schwänen, oder nicht durch Tatsachenbeobachtungen belegbar, wie in den allermeisten wissenschaftlichen Fällen. Was dagegen nachprüfbar ist, ist, ob ein Modell besser ist als sein Vorgänger (wobei dieses "besser" übrigens in jedem Fach etwas anderes bedeuten kann. Soviel zum Thema allgemeiner wissenschaftlicher Methoden).

 

Nach meiner Beobachtung ist dieser Komparativ auch allgemeiner Standard in den Naturwissenschaften. Das Wort "Wahrheit" kommt dort höchstens noch im umgangssprachlichen Sinne vor. Kein Wissenschafter würde heute seine Arbeit als "wahr", im Sinne von vollständig oder endgültig bezeichnen, dafür aber ausführlich darstellen, warum er sie für besser hält als konkurrierende Modelle. Das, und nur das, ist es, worum es mir bei der Ablehnung des Wahrheitsbegriffes geht. (Habe ich aber auch gefühlt schon hundertmal geschrieben).  

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

22 hours ago, iskander said:

Und nochmals: Wenn wir so vorgehen, heißt das auch, dass man das fragliche Prinzip, nach ein fehlender Konsens Unentscheidbarkeit impliziert, nicht auf die Frage anwenden dürfen, ob es Konsens dazu gibt, ob das Problem tatsächlich unlösbar ist; denn wenn es keinen solchen Konsens gibt, müssten wir, wenn wir das Prinzip anwenden, zum Schluss gelangen, dass es unentscheidbar ist, ob das Problem unentscheidbar ist. Vielmehr müssen wir das Prinzip aussetzen und immer der einen Seite zustimmen, und zwar wie gesagt ohne Prüfung. Das scheint mir einigermaßen inkonsequent und willkürlich zu sein, und schwer zu begründen.

 

Darauf könnte ich 1:1 den von Dir zitierten Beitrag nochmals posten 🙂

 

Damit wir uns nicht im Kreis drehen, gehe ich stattdessen gleich zu Deinen inhaltlichen Beispielen (wobei ich die Debatte um den logischen Positivismus bewusst mal ignoriere, denn dies würde uns zu Wittgenstein führen und das wäre noch einmal eine separate Diskussion):

 

 

Zu der Sache mit den Schwänen:

 

Du erwähnst ja auch öfters das Stichwort "Induktion".

 

Ich sehe nicht, wo hier ein Problem sein soll. Logisch ist der induktive Schluss selbstverständlich ungültig.

Betrachtet man die entsprechenden Aussagen hingegen als vorläufige, falsifizierbare Hypothesen, dann verschwindet das Problem.

Dies sowie die Theoriebildung kann man einfach den empirischen Wissenschaften überlassen.

(Und ja, es funktioniert nicht in allen Bereichen, wie es sollte, aber das wäre auch nochmal eine separate Diskussion und hat imho eher soziale und psychologische Gründe...)

 

 

 

23 hours ago, iskander said:

Oder nimm die Logik: Wir können mühelos verstehen, dass dann, wenn Herr Müller zwei Töchter hat, Laura und Sabine, und eines der beiden Kinder fünf Jahre ist, Laura aber sieben Jahre, Sabine fünf Jahre alt sein muss. Aber sobald es um den Status jener logischen Prinzipien geht, die wir hier benutzen, scheint alles plötzlich schwieriger zu werden. Was sind solche logische Prinzipien? Ewige Wahrheiten? Reine konventionelle Festlegungen? Oder etwas anderes? Dabei ist uns klar, dass der obige Schluss mit Laura und Sabine von der Geltung logischer Schlüsse abhängt und nicht sicherer sein kann als diese selbst.

 

Aus logisch Falschem folgt Beliebiges. Das reicht als Geltungsanpruch.

Den Realitätscheck kann man außerdem jederzeit machen.

 

Damit will ich aber nicht sagen, dass alles, was Philosophen im Bereich der Logik tun, sinnlos ist.

 

Ich hätte vermutlich auch Freude dabei, mich näher damit zu beschäftigen.

 

Die Sache mit der zweidimensionalen Semantik hat mir ja auch gefallen 🙂

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

45 minutes ago, Marcellinus said:

Unsere Modelle mögen besser sein als ihre Vorgänger, aber ob sie sich einen vermeintlichen Ziel nähern, oder letztlich einen Irrweg darstellen, das können wir einfach nicht wissen.

 

Naja:

 

Die Newtonsche Physik ist nicht vollständig, ist aber garantiert kein Irrweg.

Weil sie im Rahmen ihrer Grenzen funktioniert.

 

Wir wissen auch, dass die aktuellen Fundamente der Physik nicht der Weisheit letzter Schluss sein können, trotzdem sind sie garantiert kein Irrweg.

 

Aber darüber haben wir ja auch schon gesprochen und ich glaube nicht, dass wir hier einen großen Dissens haben:

 

https://www.mykath.de/topic/36212-42-und-die-frage-nach-marcellinus’-weltbild/?do=findComment&comment=2567717

 

Ich glaube nicht einmal, dass @iskander und Du hier einen großen Dissens habt.

Aber ich mag mich täuschen.

 

bearbeitet von KevinF
Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

vor 4 Minuten schrieb KevinF:

Die Newtonsche Physik ist nicht vollständig, ist aber garantiert kein Irrweg.

Weil sie im Rahmen ihrer Grenzen funktioniert.

 

Gilt das auch für die String-Theorie? ;)

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

23 hours ago, iskander said:

Dass das rein naturwissenschaftliche Weltbild genügt, würde ich jedoch bezweifeln - allerdings nicht unter dem Stichwort "Supernaturalismus" (siehe unsere Diskussion im Qualia-Thread).

 

Das scheint mir der Kern von unserem Dissens zu sein.

 

Wir sehen uns im Qualia-Thread (sobald ich dazu komme) 🙂

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Just now, Marcellinus said:

 

Gilt das auch für die String-Theorie? ;)

 

Nein, die zählte nie zu den Fundamenten der Physik.

 

Die aktuellen Fundamente sind Allgemeine Relativitätstheorie und das Standardmodell der Teilchen.

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Aber "Stringtheorie" ist natürlich ein gutes Beispiel dafür, was auf sozialer und psychologischer Ebene alles schieflaufen kann in den Wissenschaften.

bearbeitet von KevinF
Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

vor 37 Minuten schrieb KevinF:

Ich glaube nicht einmal, dass @iskander und Du hier einen großen Dissens habt.

Aber ich mag mich täuschen.

 

Der Dissens zwischen @iskander und mir liegt aus meiner Sicht darin, daß es ihm um die Gültigkeit von einzelnen Sätzen geht, mir dagegen um den Prozeß des Wissenserwerbs. Ihm geht es um die Aussagen Einzelner, während für mich der Wissenserwerb ein sozialer Prozeß ist. 

 

Für ihn steht jede Theorie oder Hypothese gewissermaßen allein, während für mich jedes wissenschaftliche Modell nur zu verstehen ist, wenn man es im Kontexte der Modelle betrachtet, aus denen es sich entwickelt hat, und in seinem gesellschaftlichen Zusammenhang.

 

So kann für ihn, mag es noch so unwahrscheinlich sein, morgen eine supranaturalistische Theorie auftauchen, die man unvoreingenommen überprüfen muß und nicht von vornherein verwerfen kann. 

 

Für mich ist dagegen die Zeit der supranaturalistischen Welterklärung einfach abgelaufen. Sie hat ihre Zeit und ihren sozialen Umstände gehabt, die sind vorbei, und, was noch viel wichtiger ist: der Supranaturalismus ist gescheitert. Dagegen war der Naturalismus, wohl gemerkt nicht als Philosophie, sondern schlicht als Methode, die Voraussetzung für den Wissenszuwachs der letzten Jahrhunderte. 

 

Das ist der Unterschied zwischen Philosophie und Wissenschaft. Philosophie kann nicht überprüft werden, weil sie sich nicht auf beobachtbare Tatsachen bezieht. Damit sind Fragen auch nie entschieden. Jede Generation ist verdammt, sich wieder damit zu beschäftigen, und das Urteil erfolgt à la mode. Wissenschaftlicher Wissen dagegen entsteht da, wo Theorien an der beobachtbaren Wirklichkeit getestet werden.

Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

@Marcellinus

 

Ich gehe auf Deinen Beitrag (bzw. Deine Beiträge) vielleicht besser im Thread über Dein Weltbild ein (weil es da thematisch besser passt), aber hier nur die Anmerkung, dass meine hier gemachten Ausführungen doch eigentlich gut mit der Auffassung vereinbar sind, dass (etwas komplexere) Modelle in der Wissenschaft nicht den Anspruch erheben sollten, "wahr" zu sein. Wie gesagt hatte ich hier ja gar nicht über "Wahrheit" gesprochen.

bearbeitet von iskander
Link zu diesem Kommentar
Auf anderen Seiten teilen

Join the conversation

You can post now and register later. If you have an account, sign in now to post with your account.

Gast
Auf dieses Thema antworten...

×   Du hast formatierten Text eingefügt.   Formatierung jetzt entfernen

  Only 75 emoji are allowed.

×   Dein Link wurde automatisch eingebettet.   Einbetten rückgängig machen und als Link darstellen

×   Dein vorheriger Inhalt wurde wiederhergestellt.   Clear editor

×   You cannot paste images directly. Upload or insert images from URL.

×
×
  • Neu erstellen...