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Fürwahrhalten in der Religion


KevinF

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40 minutes ago, Marcellinus said:

Das ist der Unterschied zwischen Philosophie und Wissenschaft. Philosophie kann nicht überprüft werden, weil sie sich nicht auf beobachtbare Tatsachen bezieht.

 

Eben darum halte ich die philosophischen Lösungsversuche bezüglich des "schwierigen Problems des Bewusstseins" nicht für fruchtbar, wie eben im Qualia-Thread beschrieben.

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On 11/4/2024 at 8:09 AM, SteRo said:

Komisch, dass du von "religiösem Erleben" sprichst. Warum "religiös"?

 

Weil es um das geht, was mich "unbedingt angeht" (Tillich).

Das, wofür ich im Zweifel bereit wäre, in die Hölle zu gehen.

 

Du erinnerst Dich vielleicht, wie ich mal auf Deine Höllendrohung reagiert habe?

 

" Mein Anspruch auf intellektuelle Redlichkeit verbietet es mir, an die Existenz Deines Gottes zu glauben.  Alle anderen Aspekte meiner moralischen Integrität verbieten es mir, mich ihm zu unterwerfen.  Wenn ich dafür in die Hölle komme, dann ist es mir das wert."
(Quelle und Kontext: https://www.mykath.de/topic/36199-um-gottesbilder-und-religion-streiten-oder-sich-gegenseitig-anregen/?do=findComment&comment=2560967 )

 

Das ist nach meiner Definition von Religiösität, die der von Tillich folgt, ein religiöser Akt.

 

Und das wäre auch dann der Fall, wenn der Inhalt der Aussage nichts mit Übernatürlichem zu tun hätte.

 

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vor 1 Stunde schrieb KevinF:

Du erwähnst ja auch öfters das Stichwort "Induktion".

 

Ich sehe nicht, wo hier ein Problem sein soll. Logisch ist der induktive Schluss selbstverständlich ungültig.

Betrachtet man die entsprechenden Aussagen hingegen als vorläufige, falsifizierbare Hypothesen, dann verschwindet das Problem.

 

Na, das erzähl mal @Marcellinus oder auch Elias, die es Popper ausgesprochen verübeln, genau diese Position zu vertreten, obwohl die Wissenschaften in der Praxis induktiv vorgehen! ;)

 

Zuerst einmal würde ich meinen, dass die Behauptung, dass das Induktionsprinzip nicht gerechtfertigt werden kann, bereits philosophisch ist, denn dahinter steht ja nicht nur die These, dass ein Induktionsschluss formal-logisch ungültig ist, sondern auch die, dass es keine anderen Rechtfertigungen geben kann. (Popper diskutiert noch kurz Kants Rechtfertigungsversuch.) Und eine "begründungstheoretische" Aussage dazu, ob eine bestimmte Art des Schließens, die nicht einfach deduktiv gilt, anders gerechtfertigt werden könnte, scheint doch nicht in die Physik oder Soziologie zu gehören, und auch nicht in die mathematische Logik, sondern in die Philosophie.

 

Ich glaube allerdings, dass es nicht möglich ist, auf Induktion zu verzichten, und zwar aus Gründen, die ich hier dargelegt habe. (Und dann stellt sich auch die Frage einer Begründung des Prinzips.)

 

Zitat

Aus logisch Falschem folgt Beliebiges. Das reicht als Geltungsanpruch.

 

Das kommt aber darauf an, wie man die Logik konstruiert (innerhalb einer parakonsistenten Logik gilt dieses Prinzip ja nicht). Und dass Beliebiges nicht folgen sollte oder dass Widersprüche inakzeptabel sind, ist keine rein formale Schlussfolgerung aus einem Kalkül, sondern eine inhaltliche Einsicht. Eine sehr grundlegende, geradezu triviale - aber doch eine Einsicht.

 

Zitat

Den Realitätscheck kann man außerdem jederzeit machen.

 

Der ist aber nur dann von Bedeutung, wenn man etwa ein "ontologisches" Kontradiktionsprinzip akzeptiert, welches besagt, dass das, was der Fall ist, nicht nicht der Fall sein kann.

 

Aber ich denke, ich verstehe was Du meinst - oder was man jedenfalls zu Gunsten Deiner Position anführen könnte: Das ist alles so elementar, dafür braucht man bestenfalls ein Minimum an Philosophie.

Das mag man so sein, wobei die Sache vielleicht doch nicht ganz so einfach ist, wenn man bedenkt, dass es lange den Psychologismus gab, der logische Gesetze von psychologischen Gesetzen ableiten wollte, oder auch wenn man berücksichtigt, dass die Position des Dialetheismus existiert, welche davon ausgeht, dass es ganz spezielle Fälle gibt, in denen Widersprüche wahr sein können.

 

Dennoch möchte ich ein Beispiel anführen, das vielleicht geeigneter ist. Es richtet sich auch an @Marcellinus, der sich allerdings für einen Moment die Augen zuhalten muss. Ich hoffe, dass das Exempel zum einen aufzeigt, dass wir immer schon von bestimmten philosophischen Annahmen ausgehen und dass Philosophie in diesem Sinne kaum vermeidbar ist. Und dass es durchaus sichere Erkenntnisse in der Philosophie gibt - und zugleich, wieso es dennoch Uneinigkeit gibt bzw. wieso sichere Erkenntnisse mitunter ignoriert werden.

 

Es geht im folgenden darum, dass wir, selbst wenn wir im Alltag etwas ganz Banales erkennen, immer über die Sinneserfahrung hinausgehen. Um mir Arbeit zu ersparen, darf ich hier beispielhaft J. de Vries (Grundfragen der Erkenntnis) zitieren:

 

"Gehen wir einmal von einem Beispiel aus: Wir sagen etwa: Durch dieses Fenster dringt das Tageslicht in das Zimmer hinein und dieses Tageslicht läßt das Zimmer hell werden, es erhellt das Zimmer; am Abend wird es dann die Lampe sein, die das Zimmer erhellt. Was heißt das: Die Lampe erhellt das Zimmer? Es heißt: Die Lampe macht, bewirkt, daß es im Zimmer hell ist. Der Lampe wird also ein »Wirken« zugeschrieben. Kann man dieses Wirken sehen? Man wird zugeben müssen, daß dies nicht möglich ist. Das einfache Beispiel zeigt, daß wir in unserer Aussage mehr behaupten als das, was sich uns in der Wahrnehmung zeigt. Die Wahrnehmung kann im besten Falle zeigen: Das Licht wird angezündet, und dann wird es hell, das heißt, es besteht ein zeitliches Nacheinander; das Wirken selbst aber nehmen wir nicht wahr. In unserem Denken fügen wir also zu dem, was wir wahrnehmen, etwas hinzu, was durch die Wahrnehmung, jedenfalls durch die Wahrnehmung allein, nicht »gedeckt« ist. [...]"

 

(Wir schließen also in diesem Fall von der zeitlichen Abfolge auf einen Ursache-Wirkungszusammenhang.)

 

Es wird dann sinngemäß ausgeführt, dass uns in der Wahrnehmung allein noch kein "Tisch" im Sinne eines Dinges mit Bestimmungen gegeben ist.

 

"Auch hier sehen wir, daß sogar in so einfachen Sätzen [wie 'der Tisch ist rechteckig'] mehr gesagt wird, als wir wahrnehmen. Was wir wahrnehmen, ist die rechteckige Gestalt, die Farbe, die Härte usw., und das alles an derselben Raumstelle. So müßte ich mich also ausdrücken, wenn ich nicht mehr sagen wollte, als das, was ich wahrnehme. In Wirklichkeit sagen wir aber, daß da ein Ding mit Eigenschaften ist; und das können wir nicht wahrnehmen.

Noch ein drittes Beispiel, bei dem die Sache am kritischsten wird: Es könnte jemand sagen: Gut, ich nenne das da nicht mehr »Tisch«, oder ich verstehe unter »Tisch« nicht mehr ein Ding mit Eigenschaften, sondern ich will nichts anderes sagen als nur dies: An dieser Raumstelle ist zugleich eine rechteckige Gestalt, braune Farbe, Härte usw. Kann man nicht wenigstens das mit den Sinnen wahrnehmen? Aber auch hier müssen wir sagen: Nein, auch hier sagen wir mehr als wir wahrnehmen. Das ist vielleicht nicht ohne weiteres einsichtig. Aber wenn ich sage: Diese Gestalt, diese Farbe ist an dieser Raumstelle, so schreibe ich dieser Farbe, dieser Gestalt Dasein zu, »Sein an sich«. So versteht jedermann diesen Satz. Er will sagen: Dieses Rechteckige ist da, ob ich es nun sehe oder nicht, d. h., unabhängig von meinem Sehen, »an sich«. Gerade das aber kann uns die Sinneswahrnehmung nicht zeigen. Der Sinn kann mir nur zeigen: Es erscheint mir jetzt diese Gestalt, diese Gestalt ist als gesehene da; ihre Unabhängigkeit von den Sinnen kann der Sinn selber nicht feststellen. Dasselbe kann auch eine andere Überlegung zeigen. Genau denselben Eindruck, den ich jetzt von diesem Tisch habe, könnte ich auch im Traum haben. Und da ist das Gesehene wirklich nicht da, es besteht »an sich« nicht. Daraus geht hervor, daß alle Aussagen, die aufgrund der Sinneseindrücke das An-sich-Sein der gesehenen Dinge behaupten, sich nicht auf die Sinneswahrnehmung allein stützen; es kommt etwas anderes hinzu."

 

Es geht mir hier nicht darum, die "Außenwelt" in Zweifel zu ziehen, und auch de Vries nicht. Das sei speziell @Marcellinus versichert. Es geht einfach darum zu analysieren, wie Erkenntnis stattfindet, und dass wir nicht bei dem bleiben, was unsere Sinne uns sagen, sondern dass wir geistig etwas "hinzufügen" müssen.

 

Das wäre aus meiner Sicht ein einfaches Beispiel für eine philosophische Erkenntnis: Dass wir auch schon bei ganz alltäglichen Wahrnehmungen über das sinnlich Gegebene hinausgehen und etwas hinzufügen.

"Empirisch prüfbar" im Sinne eines Experimentes ist diese Erkenntnis nicht. Aber sie stellt dennoch keine "Fantasie" dar, sondern beruht durchaus auf "Wirklichkeit" und "Erfahrung" - in diesem Fall auf der "Erfahrung", die wir mit basalen Wahrnehmungsakten haben. Sie gründet auf einer Analyse und Reflexion solcher alltäglicher Wahrnehmungen.

Eine solche Analyse ist auch nicht der Versuch, Fragen der empirischen Wissenschaften mit ungeeigneten Mitteln zu beantworten. Und es ergäbe hier offensichtlich auch keinen Sinn, behaupten zu wollen, dass die Philosophie sich in eine empirische Wissenschaft "verwandeln" solle. Das würde nur dazu führen, dass entsprechende Fragestellungen gar nicht mehr beachtet werden, denn sie gehören weder zum Gegenstandsbereich der empirischen Wissenschaften wie Physik oder Soziologie, noch sind sie deren Methoden zugänglich.

Es ist aber doch eine legitime Frage, was denn nun ganz basal unserem Wissen durch Wahrnehmung zugrundeliegt, und ob es allein aus den Sinnen stammt, und wenn nicht, woher sonst noch. (Und diese Frage stellt sich übrigens auch unabhängig davon, dass wir Wissen von anderen Menschen übernehmen.)

 

Dass viele unserer Überzeugungen in der Tat nicht allein durch die Sinne gerechtfertigt werden können, ist so offensichtlich, dass es m.W. auch von so gut wie niemandem bestritten wird. Auch der radikale Empirismus und der radikale Positivismus gestehen durchaus zu, dass wir vieles (etwa Kausalität und die Realität der Dinge um uns herum) nicht sinnlich wahrnehmen können; aber gleichzeitig meinen sie, dass wir nur das wissen können, was wir sinnlich wahrnehmen (und was rein formal-logisch ableitbar ist). Daraus wird dann die radikale Konsequenz gezogen, dass wir eben nur unsere Sinneseindrücke in unserem Bewusstsein und ihre Regelmäßigkeit haben, aber keinen Zugang zu einer darüber hinausgehenden Welt, die "dahinter steht". (Kants Lösung ist auch problematisch, aber anders.)

 

Und damit kämen wir zum nächsten Punkt: Warum es so viele Diskrepanzen in der Philosophie gibt. Es hat allem Anschein nach damit zu tun, dass nicht wenige Denker von einem eigentlich nicht wirklich überzeugend begründeten Prinzip ausgehen und es konsequent durchziehen, auch wenn die Folgerungen, die sich daraus ergeben, abenteuerlich sind. Sie verfangen sich im Irrgarten ihrer eigenen Analysen und kommen nicht mehr hinaus. Sie vernachlässigen die Frage: "Kann das eigentlich überhaupt sein?" Das wäre zumindest eine Teil-Erklärung, von der ich ausgehe.

 

Gleichzeitig stellt sich aber die Frage, was daraus folgt. Was sollen wir daraus lernen, dass es keinen generellen Konsens in Philosophie zu Frage gibt, ob es eine Wirklichkeit "hinter" unseren sinnlichen Empfindungen gibt? Dass wir eben nicht wissen können, ob es eine solche Wirklichkeit gibt? Nun, das wäre doch offenkundig unvernünftig. Es kann hier eben doch keinen ernsthaften Zweifel an einer realistischen Weltauffassung geben. Der fehlende Konsens in der Philosophie sollte hier doch offenbar nicht zu der Position führen, dass es unmöglich ist zu sagen, ob die Auffassung, dass eine Welt jenseits unserer Wahrnehmung liegt, berechtigt ist.

 

Vielleicht wird man auch sagen wollen: "Was interessiert mich ein fehlender Konsens in der Philosophie? Dass es eine wirkliche Welt hinter unseren Sinnesempfindungen gibt, das ist gar keine philosophische Aussage!"

 

Aber das ist ein Irrtum. Unser übliches "realistisches" Weltverständnis ist eine Auffassung, die "metaphysisch" in dem Sinne ist, dass sie sich jeder empirischen Prüfung entzieht (wobei das eigentlich nicht der offiziellen Verwendung des Begriffs "Metaphysik" entspricht). Es gibt keine wie auch immer geartete Möglichkeit, eine Beobachtung anzustellen oder ein Experiment durchzuführen, um diese unsere "realistische" Auffassung zu prüfen; um sie zu verifizieren oder zu falsifizieren. Diese Auffassung ist dezidiert nicht empirisch.

 

Insofern ist die Frage, ob es eine Welt jenseits der Sinneserfahrung gibt, eben gerade auch keine naturwissenschaftliche. Es ist daher auch kein Widerspruch, wenn ein bedeutender Naturwissenschaftler wie Ernst Mach einen radikalen Positivismus vertritt, den die Wikipedia wie folgt zusammenfasst.

 

"1. Die Quelle aller menschlichen Erkenntnis ist das „Gegebene“.

2. Gegeben ist nur eine Mannigfaltigkeit von Sinneseindrücken (Empfindungen).

3. Nicht gegeben ist alles, was zusätzlich zu den Inhalten der sinnlichen Wahrnehmung die „Welt“ konstituiert.

4. Die Unterscheidung zwischen Ich und Welt ist haltlos.

5. Es gibt keine metaphysische Erkenntnis über außersinnliche Realität."

https://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Mach#Sinnespsychologie_und_Philosophie

 

Natürlich kann man sich auf den Standpunkt stellen, dass es einfach eine Sache des gesunden Menschenverstandes sei, dass eben eine reale Welt außerhalb des sinnlich "Gegebenen" existiert. Das ist legitim, ändert aber nichts daran, dass wir hier von Überzeugungen ausgehen, die sich einer empirischen Untersuchung prinzipiell entziehen und in diesem Sinne "metaphysisch" sind (wenn man den Begriff "metaphysisch" im Sinne von "empirisch nicht prüfbar" nimmt). Dann muss man eben sagen, dass es Überzeugungen des gesunden Menschenverstandes gibt, die sich nicht empirisch überprüfen lassen.

 

Abgesehen davon ist aber ist es aber doch eine vielleicht nicht unbedingt notwendige, aber dennoch legitime Frage, warum uns der gesunde Menschenverstand sagt, dass es jenseits der sinnlichen Wahrnehmung eine wirkliche Welt gibt, die zumindest in ihren fundamentalen Strukturen wohl auch einigermaßen unserem grundlegenden Verständnis entspricht (was nicht heißt, dass unsere komplexen wissenschaftlichen Theorien "wahr" sein müssten).

Ein psychologischer oder soziologischer Ansatz würde uns vielleicht dabei helfen zu verstehen, warum wir faktisch dazu neigen, von einer realen Welt außerhalb unserer selbst auszugehen; etwa, weil eine solche Überzeugung einem psychologischen Bedürfnis entgegenkommt oder weil sie sozial erwünscht ist und sozial bestärkt wird. Hier wären wir auf dem Feld der "sachfremden" Ursachen. Wir wollen ja aber darüber hinaus doch auch wissen, aus welchen "sachgemäßen" Gründen das Urteil des gesunden Menschenverstandes als berechtigt anzusehen ist. Und eine solche "geltungstheoretische" Frage ist eben eine philosophische. (Ein Antwort-Ansatz findet sich etwa hier.)

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vor 1 Stunde schrieb KevinF:
vor 2 Stunden schrieb Marcellinus:

Das ist der Unterschied zwischen Philosophie und Wissenschaft. Philosophie kann nicht überprüft werden, weil sie sich nicht auf beobachtbare Tatsachen bezieht.

 

Eben darum halte ich die philosophischen Lösungsversuche bezüglich des "schwierigen Problems des Bewusstseins" nicht für fruchtbar, wie eben im Qualia-Thread beschrieben.

 

Wie in meinem letzten Beitrag ausgeführt, würde ich da widersprechen wollen. Ich habe dort am Beispiel der philosophischen Analyse alltäglicher Wahrnehmungs-Akte aufzuzeigen versucht, dass sich eine philosophische Reflexion durchaus auf die infragestehende Wirklichkeit beziehen kann und muss. Dasselbe gilt für mein anderes Beispiel (ein paar Beiträge vorher), wo es um die Analyse einer simplen Falsifikation ging, und darum, welche Art von Wissen man für sie braucht und wie dieses Wissen zu rechtfertigen ist. (Um "beobachtbare Tatsachen" handelt es sich bei Wahrnehmungs-Akten oder einer Falsifikation streng genommen zwar nicht, aber dennoch um "Tatsachen" bzw. um etwas "Wirkliches".)

 

Aber auch Beispiele aus ganz anderen Bereichen können. So wird in der Philosophie etwa diskutiert, wie Kausalität zu verstehen ist, und ob man sie logisch im Sinne von notwendigen und hinreichenden Bedingungen beschreiben kann. Zwar kann man nun nicht experimentell prüfen, ob eine Theorie der Kausalität richtig oder falsch ist, aber man kann sich natürlich reale und sogar fiktive Beispiel ansehen, in denen wir eindeutig von Kausalität sprechen, und man kann eine solche Theorie der Kausalität an ihnen messen. Ein Exempel wäre dieses Modell:

 

"Die INUS-Bedingung wurde von dem australischen Philosophen John Mackie eingeführt. Sie soll im Rahmen einer Regularitätstheorie der Kausalität den Begriff der Ursache genauer explizieren. INUS steht für „insufficient, but necessary part of an unnecessary but sufficient condition“,[1] zu deutsch etwa ‚nicht hinreichender, aber notwendiger Teil einer nicht notwendigen, aber hinreichenden Bedingung‘. [...]

Als anschauliches Beispiel führt Mackie einen Hausbrand an, der durch einen elektrischen Kurzschluss verursacht, aber insgesamt erst durch das Zusammenspiel von Kurzschluss und benachbartem brennbaren Material bedingt wird. Er zeigt darin, wie die Aussage „der Kurzschluss ist die Ursache für die Brandwirkung“ nach der INUS-Bedingung zu verstehen ist:

  • Der Kurzschluss ist ein nicht hinreichender Teil der Bedingung „Kurzschluss und brennbares Material“, weil er allein nicht zwangsläufig die Bedingung erfüllt.
  • Der Kurzschluss ist ein notwendiger Teil der Bedingung „Kurzschluss und brennbares Material“, weil ohne ihn die Bedingung nicht erfüllt werden kann.
  • „Kurzschluss und brennbares Material“ ist eine nicht notwendige Bedingung für den Hausbrand, weil sie auch durch andere Bedingungen (z. B. „Blitzeinschlag und brennbares Material“ oder „Brandstiftung“) ersetzbar ist.
  • „Kurzschluss und brennbares Material“ ist eine hinreichende Bedingung für den Hausbrand, weil sie zwangsläufig zu der Brandwirkung führt.

Dieses Beispiel lässt sich enorm erweitern, je mehr Faktoren und vor allem potentielle Faktoren berücksichtigt werden. Zu der Bedingung lässt sich etwa „keine Sprinkleranlage“, „kein Blitzableiter“ oder „kein löschbefähigter Mensch im Haus“ hinzufügen. Eine Ursache ist nach Mackie also immer eine Teil-Bedingung, damit eine oder mehrere Wirkungen zustande kommen.

Voraussetzung der INUS-Bedingung ist stets auf Erfahrung beruhende Regelmäßigkeit. Erst wenn mehrmals beobachtet wurde, dass die Bedingung „elektrischer Kurzschluss und brennbares Material“ zu der Wirkung „Hausbrand“ geführt hat, kann man nach Mackie vom Kurzschluss als Ursache sprechen und mit genügender Wahrscheinlichkeit prognostizieren, Kurzschlüsse in Verbindung mit brennbarem Material werden zu einem Hausbrand führen."

https://de.wikipedia.org/wiki/Kausalität

 

Wir können uns nun eben Situationen ansehen, die unserem Begriff der Kausalität, wie wir ihn im Alltag und der Wissenschaft) verwenden, entsprechen oder nicht entsprechen; und wir können "schauen", wie das INUS-Modell sich zu ihnen verhält. Erklärt es alles, was es erklären soll, aber auch nicht zu viel? Wir beziehen uns dabei also durchaus auf den Gegenstand, über den wir sprechen - in diesem Fall also eben das Phänomen der Kausalität.

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7 hours ago, iskander said:

Aber ich denke, ich verstehe was Du meinst - oder was man jedenfalls zu Gunsten Deiner Position anführen könnte: Das ist alles so elementar, dafür braucht man bestenfalls ein Minimum an Philosophie.

 

Ja und bisher hast Du noch nichts beschrieben, was mich vom Gegenteil überzeugt hätte 🙂 :

 

Zur Ablehnung des Solipsismus:

 

Ist bei mir eine Form des Pragmatismus.

 

Zum Realismus:

 

Zu Kants Zeit mag es für den von ihm konzipierten "transzendentalen Idealismus" (heute würden wir es wohl "Konstruktivismus" nennen) gute Gründe gegeben haben, durch den Zuwachs an naturwissenschaftlichem Wissen benötigen wir das Konzept aber nicht mehr.

 

Zu den unterschiedlichen Konzepten der Kausalität:

 

Fällt bei mir unter "konzeptionelle Modellierung" und das können nicht nur Philosophen.

Das Konzept der interventionalistischen Kausalität zum Beispiel kann nützlich sein, um empirisch herauszufinden, was Ursache ist und was Wirkung in Fällen, in denen dies nicht offensichtlich ist.

 

Basis für alles ist natürlich wieder die Physik. Und hier gibt es durchaus offene Fragen, zum Beispiel, ob Retrokausalität existiert und/oder indefinite kausale Strukturen.

 

Das Thema fällt bei mir also unter "konzeptionelle Modellierung + Empirie" und damit letztlich in Mathematik/empirische Wissenschaft.

 

Zur Induktion:

 

Ich kenne niemanden, der bestreitet, dass Induktion als logischer Schluss ungültig ist. Ich kenne auch niemanden, der das Prinzip der Falsifikation bestreitet.

 

Bleibt die Frage nach der Theoriebildung und diese beantworten die empirischen Wissenschaften schon selbst.

 

Und Geltung? Nun, Hypothesen, Theorien und Methoden gelten solange und inwieweit sie funktionieren.

 

Sorry, aber verstehe das Problem, das Philosophen hier haben, wirklich nicht.

 

Zu "Aus logisch Falschem folgt Beliebiges":

 

7 hours ago, iskander said:

Das kommt aber darauf an, wie man die Logik konstruiert (innerhalb einer parakonsistenten Logik gilt dieses Prinzip ja nicht).

 

Stimmt. Ich lese mich da bei Gelegenheit vielleicht mal ein, dieser Artikel hier scheint mir interessant zu sein:

 

https://plato.stanford.edu/entries/logical-pluralism/

 

  Aber insgesamt verstehe ich immer noch nicht, wo bei diesen ganzen Geltungsfragen eigentlich ein echtes Problem sein soll, weil

 

7 hours ago, iskander said:

Aber ich denke, ich verstehe was Du meinst - oder was man jedenfalls zu Gunsten Deiner Position anführen könnte: Das ist alles so elementar, dafür braucht man bestenfalls ein Minimum an Philosophie.

 

🙂

bearbeitet von KevinF
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vor 10 Stunden schrieb iskander:

Dennoch möchte ich ein Beispiel anführen, das vielleicht geeigneter ist. Es richtet sich auch an @Marcellinus, der sich allerdings für einen Moment die Augen zuhalten muss. Ich hoffe, dass das Exempel zum einen aufzeigt, dass wir immer schon von bestimmten philosophischen Annahmen ausgehen und dass Philosophie in diesem Sinne kaum vermeidbar ist. Und dass es durchaus sichere Erkenntnisse in der Philosophie gibt - und zugleich, wieso es dennoch Uneinigkeit gibt bzw. wieso sichere Erkenntnisse mitunter ignoriert werden.

 

Es geht im folgenden darum, dass wir, selbst wenn wir im Alltag etwas ganz Banales erkennen, immer über die Sinneserfahrung hinausgehen. 

[...]

Es geht mir hier nicht darum, die "Außenwelt" in Zweifel zu ziehen, und auch de Vries nicht. Das sei speziell @Marcellinus versichert. Es geht einfach darum zu analysieren, wie Erkenntnis stattfindet, und dass wir nicht bei dem bleiben, was unsere Sinne uns sagen, sondern dass wir geistig etwas "hinzufügen" müssen.

 

„Zur Metaphysik kommt man […], indem man beim Nachdenken über eine Sache dem Denken selbst den Vorrang vor der Sache gibt.“

(Rolf Helmut Foerster)

 

Wir sehen diese Welt nicht wie sie ist, sondern wie unser Gehirn sie uns sehen läßt. Da wird einiges von unserem Gehirn hinzugefügt, und vieles weggelassen, eben so, wie es sich im Laufe der Evolution für's Überleben als nützlich herausgestellt hat. Das hat aber mit Philosophie nichts zu tun, sondern mit den Eigentümlichkeiten unseres Gehirns. 

 

Das ist das Problem der Philosophie, so wie du sie betreibst. Du gehst von einem einzelnen Menschen aus, alterslos, zeitlos. Du ignorierst, daß dieser Mensch so nicht existieren würde, wäre er nicht von anderen Menschen geboren, aufgewachsen und erzogen worden. Alles, was du hier als philosophisch begründungsbedürftig erklärst, haben wir in unserer Kindheit von älteren Menschen erlernt, zu sehen, zu sprechen und zu denken. Und wie wir denken, hat sich über Generationen entwickelt. Irgendwann haben Menschen begonnen, Tische zu bauen, und damit den Begriff eines Tisches entwickelt, wie man ihn herstellt und benutzt. Dazu hat es keinen Philosophen gebraucht. 

 

Philosophen braucht es erst, wenn sich jemand mitten in ein Zimmer stellt (was ist eigentlich ein Zimmer?), und sich fragt, was das für ein merkwürdiges Ding ist. Nur daß der Philosoph das eigentlich weiß. Philosophie ist also, das Selbstverständliche zu vergessen, und daraus ein Problem zu konstruieren, das es gar nicht gibt. Kein Wundert, daß Philosophen zu nichts kommen.

 

Natürlich zieht man durch eine solche Diskussion die Außenwelt in Zweifel, und braucht dann eine Glaubensvorstellung, "philosophische Annahme" genannt, um zu dem Punkt zu kommen, an dem man ohne Philosophie längst ist. 

 

Denn man könnte natürlich wissen, woher unsere Vorstellungen von dieser Welt im allgemeinen, und diesem Tisch im besonderen kommen. Sie haben sich mit uns Menschen über Generationen entwickelt, und wenn du noch weiter zurückgehst, mit den Lebewesen allgemein. Nirgendwo auf dem langen Weg hat es Philosophen gegeben, oder Metaphysik, aber Erkenntnis ohne Ende. 

 

Philosophie (jedenfalls wie du sie betreibst) ist also, wenn man die tatsächliche Entwicklung menschlichen Wissens ignoriert, sich eine Fiktion konstruiert, die des einzelnen, beziehungs-, geschichts- und herkunftslosen Philosophen, der nur mit seinen "logischen Verstand" ausgestattet, der Welt gegenübersteht, von der er nichts weiß und in der er versucht sich zu orientieren. Nur eine Frage mußt du dann noch beantworten. Wenn man in der Tradition von Descartes alles außer dem eigenen Denken zur Illusion erklärt, warum dann nicht auch dieses Denken selbst? Was übrigens das einzige wäre, an dem Zweifel wirklich angebracht sind. 

 

Deine "Voraussetzungsmetaphysik" setzt vor allem voraus, all das zu ignorieren, was über die Entwicklung der Menschen, ihrer Gesellschaften und ihr Wissen bisher bekannt ist, um an die Stelle eine Fantasiegeschichte zu setzen, die an Absurdität nicht zu überbieten ist. Zum Verständnis dieser Welt ist dies Art von Philosophie nicht nur überflüssig, sondern Zeitverschwendung.

 

Nun ist es natürlich dein gutes Recht, deine Zeit wie auch immer zu verbringen, nur verstehst du hoffentlich, daß das nicht für jeden gilt. Daher mein Interesse, eine Abgrenzung vorzunehmen zwischen Philosophie und Wissenschaft. Meiner Ansicht nach beginnt Philosophie da, wo Fragen diskutiert und Behauptungen aufgestellt werden, die sich durch Tatsachenbehauptungen nicht belegen lassen, eben alles das, was wir mit dem Wort "Metaphysik" beschreiben. Oder, um noch einmal das Zitat vom Anfang aufzugreifen, wenn "man beim Nachdenken über eine Sache dem Denken selbst den Vorrang vor der Sache gibt."

 

 

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1 hour ago, Marcellinus said:

Philosophie ist also, das Selbstverständliche zu vergessen, und daraus ein Problem zu konstruieren, das es gar nicht gibt.

 

👍

 

Zumindest bei den angesprochenen Kernfragen, inklusive des "schwierigen Problems des Bewusstseins" (siehe Qualia-Thread) scheint dies tatsächlich der Fall zu sein.

 

Oder, um es mit Wittgenstein zu sagen:

 

 „Der Philosoph behandelt eine Frage, wie eine Krankheit.“


PU, § 255

 

(zitiert nach Wikipedia)

 

 

Auf diese Weise lösen sich die Probleme dann wieder auf.

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Wobei ich betonen möchte, dass ich die Diskussion mit @iskander durchaus als gewinnbringend betrachte.

 

Also lass Dich nicht entmutigen durch unsere Kritik an der Philosophie 🙂

 

Und wie gesagt, philosophische Logik finde ich durchaus interessant.

 

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vor 20 Minuten schrieb KevinF:

Wobei ich betonen möchte, dass ich die Diskussion mit @iskander durchaus als gewinnbringend betrachte.

 

Daran besteht keine Frage. Nur wenn die eigene Position in Frage gestellt wird, kann man erkennen, wo sie unklar oder nicht zu Ende gedacht ist.

 

vor 20 Minuten schrieb KevinF:

Also lass Dich nicht entmutigen durch unsere Kritik an der Philosophie 🙂

 

Auch wenn es manchmal so aussehen mag, mir geht es nicht um Kritik an der Philosophie, nur an ihrem Anspruch. 

 

 

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vor 10 Stunden schrieb KevinF:

Ja und bisher hast Du noch nichts beschrieben, was mich vom Gegenteil überzeugt hätte 🙂 :

 

An dieser Stelle bin ich zugegeben etwas ratlos. ;) Vielleicht einmal dies: Ich habe ja teilweise recht einfache Beispiele gebracht, weil ich hoffe, dass sie möglichst offensichtlich sind und man sie ohne größere Einarbeitung diskutieren kann. Vielleicht liegt es auch daran?

Nimm meine Aussage, dass wir, wenn wir etwas wahrnehmen, über das sinnlich Gegebene hinausgehen. Das wäre aus meiner Sicht eine sehr basale, aber doch wichtige Erkenntnis (an die sich dann zahlreiche, durchaus anspruchsvollere Erkenntnisfragen anschließen lassen). Sie scheint mir eindeutig philosophisch zu sein; ich wüsste jedenfalls nicht, wie man eine solche Erkenntnis auch nur in den Begriffen der Physik ausdrücken und mit ihren Mitteln beweisen sollte.

 

vor 10 Stunden schrieb KevinF:

Zur Ablehnung des Solipsismus:

 

Ist bei mir eine Form des Pragmatismus.

 

Ich bin mir nicht sicher, was Du hier mit "Pragmatismus" meinst. Rein pragmatisch gesehen macht es doch gar keinen Unterschied, ob man an eine reale Welt glaubt oder nur an bewusste Erfahrungen, die eine reale Welt vorspiegeln. Die Konsequenzen wären dieselben: Will ich mich nicht verbrennen, fasse ich nicht an die Herdplatte. Ob die Herdplatte und meine Hand dabei jenseits meiner Sinneserfahrung in der "Außenwelt" existieren oder nicht, ist für mein Schmerzgefühl egal.

 

Sobald man zudem eine inhaltliche Überzeugung im Hinblick auf die Wirklichkeit ausbildet, wäre diese aus den erläuterten Gründen eine philosophische. Und es dürfte nur sehr wenige Leute geben, die keine entsprechende Überzeugung ausbilden und sich stattdessen sagen: "Pragmatisch funktioniert es besser, wenn ich den Solipsismus ablehne [warum?]; ob es meine Familie und den Tisch vor mir gibt, habe ich keine Ahnung und es ist mir auch egal."

 

vor 10 Stunden schrieb KevinF:

Zu Kants Zeit mag es für den von ihm konzipierten "transzendentalen Idealismus" (heute würden wir es wohl "Konstruktivismus" nennen) gute Gründe gegeben haben, durch den Zuwachs an naturwissenschaftlichem Wissen benötigen wir das Konzept aber nicht mehr.

 

Ich bin sicher kein Anhänger des transzendentalen Idealismus - aber mit dem Stand des naturwissenschaftlichen Wissens hat seine Plausibilität bzw. fehlende Plausibilität m.E. wenig zu tun. 

 

vor 10 Stunden schrieb KevinF:

Fällt bei mir unter "konzeptionelle Modellierung" und das können nicht nur Philosophen.

 

Das liegt aber doch großteils auf einer anderen Ebene. Beginnen wir mit der folgenden, vermutlich recht unstrittigen Wikipedia-Definition:

 

"Die Physik (bundesdeutsches Hochdeutsch: [fyˈziːk],[1] österreichisches Hochdeutsch: [fʏˈsɪk],[2] Schweizer Hochdeutsch: auch [fɪˈziːk][3]) ist eine Naturwissenschaft, die grundlegende Phänomene der Natur untersucht. Um deren Eigenschaften und Verhalten anhand von quantitativen Modellen und Gesetzmäßigkeiten zu erklären, befasst sie sich insbesondere mit Materie und Energie und deren Wechselwirkungen in Raum und Zeit."

 

Während beispielsweise nun materielle Dinge, die zueinander in einer kausalen Beziehung stehen, Teil der der natürlichen Welt sind, gilt das für die "Kausalität" als solche aber nicht. Deshalb ist es eine sinnvolle physikalische Frage, ob das physikalische Phänomen X das physikalische Phänomen Y verursacht - und mag man im konkreten Fall eine bestimmte Modellierungs-Methode anwenden, um herauszufinden, ob X Y tatsächlich verursacht. Anders steht es jedoch um die Frage, was Kausalität überhaupt ist (und ob beispielsweise ein bestimmtes Modell ihr ganz allgemein gerecht wird).

 

Natürlich können sich Physiker gerne auch mit Fragen der letzteren Art befassen - und auch Psychologen und Soziologen, die Kausalitäts-Begriffe nutzen mögen, von denen übrigens zumindest nicht a priori klar ist, ob sie (vollständig) auf einen physikalischen Kausalitäts-Begriff reproduzierbar sind. Aber es ist dann so, als wenn man von der Frage "Welche Eigenschaften hat ein Wasserstoffatom?" zu der Frage "Was ist überhaupt eine Eigenschaft - was ist beispielsweise das Verhältnis einer Eigenschaft zu ihrem 'Träger'?" übergeht: Man befasst sich dann mit einer neuen Klasse von Objekten (zumindest im Sinne eines neuen Formaltobjekts); man hat es mit einer neuen Abstraktionsstufe zu tun. Und diese neuen Objekte lassen sich dann nicht mit den Methoden der Physik untersuchen. Welche Eigenschaften das Wasserstoffatom hat, mag man mithilfe von Experiment und Berechnungen klären; was eine Eigenschaft überhaupt ist, hingegen kaum.

 

Das heißt, dass ein Physiker, der klassische philosophische Fragen beantwortet, am Ende ziemlich genau das gleiche tun wird wie ein Philosoph. Er wird also beispielsweise im Fall der Kausalität reale, aber auch fiktive Szenarien betrachten, bei denen wir intuitiv von "Kausalität" sprechen würden bzw. nicht sprechen würden, und dann anhand solcher Beispiele überlegen, ob eine bestimmte Definition der Kausalität unserem "impliziten" Konzept der Kausalität gerecht wird oder nicht; und wenn ja, warum bzw. warum nicht. Das hat mit Physik im üblichen Sinne dann doch eher weniger zu tun, würde ich meinen - sowohl was die Fragestellung wie auch die Methodik angeht.

 

vor 10 Stunden schrieb KevinF:

Und hier gibt es durchaus offene Fragen, zum Beispiel, ob Retrokausalität existiert und/oder indefinite kausale Strukturen.

 

Das sind aber womöglich auch einfach empirische Fragen - so wie die Frage, ob manche physikalischen Objekte die physikalische Eigenschaft E haben.

 

vor 10 Stunden schrieb KevinF:

Zur Induktion:

 

Ich kenne niemanden, der bestreitet, dass Induktion als logischer Schluss ungültig ist.

 

Das dürfte so sein. Dennoch gibt es Kritik an der Ablehnung der Induktion durch Popper, etwa durch Marcellinus und Elias. Um den letzteren zu zitieren:

 

"Für einen Soziologen, der sich mit den Wissenschaften befaßt, wäre es eine durchaus lösbare und in der Tat eine notwendige Aufgabe zu bestimmen, ob zum Beispiel
die physikalischen Wissenschaften induktiv oder deduktiv verfahren. Wenn eine solche Untersuchung durchgeführt würde, käme man aller Wahrscheinlichkeit
nach zu dem Ergebnis, daß de facto beide Operationen eine Rolle spielen und im Lauf eines wissenschaftlichen Prozesses nicht voneinander zu trennen sind. Popper hingegen, wenn ich ihn recht verstehe, geht es nicht um die Frage, wie Wissenschaftler tatsächlich verfahren, sondern darum, wie sie verfahren sollen. Dementsprechend betrachtet er es als sein Recht, wie er sich ausdrückt, das Induktionsprinzip zu „verwerfen“.
Nach seiner Ansicht ist die Tatsachenfrage, ob Wissenschaftler in ihren realen Forschungen zuweilen induktiv Vorgehen oder nicht, philosophisch ohne Belang. [...] Man trifft hier sofort auf den Kern des Problems. Ein Soziologe, der sich die Aufgabe stellt, das reale Vorgehen von Wissenschaftlern zu erforschen, und der versucht, ein theoretisches Modell eines solchen Vorgehens zu entwerfen, ist durch die von ihm entdeckten Belege gebunden. Ein Wissenschaftsphilosoph ist es offenbar nicht. Er kann, was er als Faktum vorfindet, verwerfen und nach eigenem Gutdünken beschließen, wie er ein philosophisches Modell der Wissenschaften aufbauen will."

 

(N. Elias: Das Credo eines Metaphysikers, S. 94, hier.)

 

Das ist übrigens auch im Gesamt-Kontext durchaus so kritisch gemeint, wie es hier klingt.

 

Elias geht auf die Gründe, die Popper zur Ablehnung des Induktionsprinzips bewogen haben, nicht ein (bzw. er schreibt Popper anderen Gründen zu). Er geht auch nicht darauf ein, wie induktives Schließen als ein mit Unsicherheiten behafteter, nicht-deduktiver Schluss gerechtfertigt werden kann. Für ihn geht es darum, was die Wissenschaften faktisch tun, und damit sind für ihn erkennbar alle relevanten Fragen beantwortet.

 

Dessen ungeachtet bin ich der Überzeugung, dass wir ohne Induktion nicht auskommen. Um aus meinem schon verlinkten Beitrag zu zitieren:

 

"Man sieht das Problem mit der Ablehnung der Induktion - hier verstanden insbesondere als der Schluss von der vergangenen Erfahrung auf die Zukunft - vielleicht besonders einfach, wenn es um Mess-Verfahren geht (welche für die Wissenschaft ja unverzichtbar ist).

Nehmen wir als einfaches Beispiel den Lackmus-Test: "Bei pH-Werten kleiner als 4,5 (Säuren) erscheint Lackmus rot, bei Werten größer als 8,3 (Basen) blau und dazwischen violett."

Wir gehen natürlich davon aus, dass das auch jetzt noch so ist, weil es ja schließlich bisher in der Vergangenheit so war. Genau das ist aber ein induktiver Schluss: Was bisher immer der Fall war, wird auch in der Zukunft immer - oder wenigstens in der Regel - der Fall sein. Dahinter steht die Überzeugung, dass die Zukunft in entscheidender Weise der Vergangenheit gleicht.

 

Wo stünden wir im konkreten Fall ohne Induktion? Was wäre, wenn wir aus den vergangenen Erfahrungen nichts für die Zukunft lernen könnten? Wenn sich nun bei der nächsten Untersuchung der Lackmus blau verfärbt, dann könnte es gerade so gut sein, dass wir es mit einer Base wie mit einer Säure zu tun haben! Oder die Farbe könnte durch Eigenschaften der untersuchten Substanz bedingt sein, die gar nichts mit ihrem pH-Wert zu tun haben. Wir wüssten nicht mehr, was unser Test misst und was er nicht misst!

Kurz: Der Lackmus-Test wäre wertlos. Und wir könnten ihn auch nicht an anderen Tests validieren, denn auch diese stünden ja genau vor ganz analogen Problemen. Und wir könnten die Validität von Tests auch nicht aus Naturgesetzen herleiten, denn ohne Induktion sind Naturgesetze bestenfalls "noch nicht widerlegte" Annahmen und damit völlig unsicher.

 

Selbst wenn man unter solchen Bedingungen Wissenschaft betreiben könnte, wären ihre Ergebnisse jedoch für die Zukunft wertlos, und das gilt auch für Falsifizierungen. Nehmen wir an, es hätte gerade jemand das geozentrische Weltbild widerlegt. Wenn wir nicht (wenigstens mit Wahrscheinlichkeit) wissen, dass die Zukunft der Vergangenheit grundsätzlich einigermaßen gleicht, dann könnte es sein, dass schon fünf Minuten später plötzlich doch die Sonne um die Erde kreist und das geozentrische Weltbild also auf einmal richtig ist!

 

Auf diese Weise ließe sich natürlich überhaupt keine Naturwissenschaft betreiben in dem Sinne, dass man sich durch Widerlegung des Falschen der Wahrheit [oder für Marcellinus: der Wirklichkeit] allmählich nähert. Man stünde immer bei der Stufe null."

 

vor 10 Stunden schrieb KevinF:

Bleibt die Frage nach der Theoriebildung und diese beantworten die empirischen Wissenschaften schon selbst.

 

Das verstehe ich jetzt nicht ganz. Dass die Wissenschaften ihre Theorien selbst entwerfen, würde ich nie bestreiten. Höchstens würde ich anmerken, dass "Theorien", "Beobachtungen", "Erklärungen" etc. selbst nicht in den Gegenstandsbereich beispielsweise der Physik gehören; aber das war hier nicht mein Thema.

 

vor 10 Stunden schrieb KevinF:

Und Geltung? Nun, Hypothesen, Theorien und Methoden gelten solange und inwieweit sie funktionieren.

 

Auch hier bin ich mir nicht ganz sicher, worauf Du Dich beziehst. Mir ging es nicht um die Geltung wissenschaftlicher Theorien, sondern darum, dass beispielsweise die Rechtfertigung eines realistischen Weltbildes (was in die Philosophie gehört) nicht dadurch erfolgen kann, dass man erklärt, warum Menschen faktisch ein realistisches Weltbild haben, sondern dadurch, dass man erklärt, warum sie berechtigterweise ein solches Weltbild haben. (Damit habe ich mich implizit auch auf Elias bezogen, der das erkenntnistheoretische Problem, wie unsere Begriffe der Wirklichkeit gerecht werden, augenscheinlich durch den Hinweise lösen will, dass wir diese Begriffe sozial erlernt haben. Siehe N. Elias: Wissenschaft oder Wissenschaften?)

 

vor 10 Stunden schrieb KevinF:

Stimmt. Ich lese mich da bei Gelegenheit vielleicht mal ein, dieser Artikel hier scheint mir interessant zu sein:

 

https://plato.stanford.edu/entries/logical-pluralism/

 

Den kenne ich noch nicht, aber die gleiche Quelle hat auch einen Artikel zum Dialetheismus ("dialetheism").

 

vor 10 Stunden schrieb KevinF:

  Aber insgesamt verstehe ich immer noch nicht, wo bei diesen ganzen Geltungsfragen eigentlich ein echtes Problem sein soll, weil

 

Vielleicht reden wir hier aneinander vorbei, weil ich zu wenig Kontext geliefert habe. Ich beziehe mich vor allem auf Texte von Elias, der zu glauben scheint, dass man alle relevanten wissenschaftstheoretischen Fragen dadurch klären kann, indem man empirisch beobachtet und analysiert, wie die Wissenschaften sich de facto verhalten - wobei dies seiner Meinung nach Aufgabe der Soziologie ist. ( @Marcellinus verstehe ich ähnlich.)

 

Wenn Dir meine bisherigen philosophischen Beispiele zu banal sind, würde ich, um nicht vom Hundertsten ins Tausendste zu kommen, hier zwei Punkte machen wollen:

a) Wenn ich recht habe (siehe oben) brauchen wir die Induktion dringend, obwohl sie rein logisch nicht zu rechtfertigen ist; dies scheint mir kein völlig triviales Problem zu sein. Und ein empirisches (physikalisches, soziologisches) Problem ist es sicher auch nicht.

b) Zumindest die meisten Leute dürften auch die inhaltliche Überzeugung haben, dass ein realistisches Weltverständnis angemessen ist; diese Überzeugung kann man so hinnehmen, aber auch näher begründen. Und die Begründung ist m.E. dann auch nicht so trivial (siehe den verlinkten Text).

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vor 10 Stunden schrieb Marcellinus:

Wir sehen diese Welt nicht wie sie ist, sondern wie unser Gehirn sie uns sehen läßt. Da wird einiges von unserem Gehirn hinzugefügt, und vieles weggelassen, eben so, wie es sich im Laufe der Evolution für's Überleben als nützlich herausgestellt hat. Das hat aber mit Philosophie nichts zu tun, sondern mit den Eigentümlichkeiten unseres Gehirns. 

 

Das sind Probleme, die teilweise natürlich auch für die Philosophie eine Rolle spielen - aber viele erkenntnistheoretischen Fragen sind basaler. Denn über Evolution und Gehirn können wir natürlich erst etwas wissen, wenn wir bereits viel anderes wissen haben, das wir rechtfertigen können.

 

vor 10 Stunden schrieb Marcellinus:

Das ist das Problem der Philosophie, so wie du sie betreibst. Du gehst von einem einzelnen Menschen aus, alterslos, zeitlos. Du ignorierst, daß dieser Mensch so nicht existieren würde, wäre er nicht von anderen Menschen geboren, aufgewachsen und erzogen worden. Alles, was du hier als philosophisch begründungsbedürftig erklärst, haben wir in unserer Kindheit von älteren Menschen erlernt, zu sehen, zu sprechen und zu denken. Und wie wir denken, hat sich über Generationen entwickelt.

 

Ähnliche Kritik äußert ja Elias (etwa in "Wissenschaft oder Wissenschaften"). Sie geht aber in der Sache vorbei. Ich zitiere erneut aus meinem noch unfertigen Konzept. Elias schreibt:

 

"Schon David Hume hatte erkannt, daß es unmöglich sei, den Begriff einer Kausalverknüpfung von Naturereignissen aus der Erfahrung eines einzelnen Menschen zu erklären."

 

Dies ist schlichtweg falsch. Es ging Hume keineswegs darum, wie es zu erklären sei, dass der (einzelne) Mensch einen Begriff der Kausalverknüpfung hat. Er entwickelt dazu zwar eine Hypothese – die übrigens absolut damit vereinbar ist, dass der einzelne Mensch den Begriff von seiner sozialen Umwelt her hat.

Humes eigentlicher Punkt war aber ein ganz anderer: Kausalverknüpfungen sind nicht sinnlich wahrnehmbar. Sinnlich wahrnehmbar ist nur das Nacheinander von Ereignissen und ihre Regelmäßigkeit. Und da Hume ein entschiedener Empirist war, der nur gelten ließ, was sinnlich wahrnehmbar ist oder logisch zu rechtfertigen ist, hatte er an dieser Stelle ein Problem. Das hat rein nichts damit zu tun, ob der Mensch als Einzelwesen oder als Teil der Gemeinschaft auftritt - denn auch eine große, generationenübergreifende Gemeinschaft von Menschen kann Kausalität sinnlich genauso wenig wahrnehmen wie das isolierte Individuum.

 

"Kant glaubte die Antwort auf Humes Problem gefunden zu haben. Da es unmöglich war, die Idee einer Kausalverknüpfung aus der Erfahrung eines einzelnen Menschen zu erklären, so schloß er, könne man sie nur als eine vor aller Erfahrung in jedem Menschen angelegte Beziehungsform des menschlichen Bewußtseins erklären. Hume und Kant hatten den Begriff der Kausalverknüpfung schon als Kinder in der Sprache ihrer Gesellschaft vorgefunden. Sie lernten früh im Leben, von mechanischen Ursachen und Wirkungen zu sprechen. Es war ihre individuelle Leistung, daß sie darüber reflektierten, wie sie zu diesem Begriff und zu vielen anderen von gleicher Synthesenhöhe gekommen seien. Daß sie diese Begriffe in ihrer Gesellschaft von anderen Menschen gelernt hatten, vergaßen sie in Rechnung zu stellen."


Auch das ist unrichtig. Hume und Kant hätten ganz sicher nichts dagegen einzuwenden gehabt, dass sie den "Begriff der Kausalverknüpfung schon als Kinder in der Sprache ihrer Gesellschaft vorgefunden" haben (wenn sie etwas ähnliches nicht vielleicht sogar irgendwo gesagt haben). Das Problem war für sie ein ganz anderes:

Besitzt dieses unser begriffliches Konzept der Kausalität (welches man schon als Kind vorgefunden haben mag!) eine Entsprechung in der Wirklichkeit? Ist die Annahme, dass es in der Welt tatsächlich Kausalität gibt, rational zu rechtfertigen, und gegebenenfalls wie? Oder gibt es vielleicht doch nur eine beobachtbare Regelmäßigkeit und das ist alles, was wir wirklich wissen können?

Damit, ob unser Begriff der Kausalität und andere fundamentale Begriffe sozial erlernt sind, haben diese Fragen erst einmal nichts zu tun - Konzepte und Überzeugungen, die wir von anderen Menschen übernommen haben, können schließlich gerade so unangemessen bzw. falsch sein wie solche, die wir autonom entwickelt haben.


Sowohl Esser wie auch Albert haben Elias' erstem Text ("Credo") vorgehalten, den Unterschied von Genese und Geltung zu übersehen - und hier, so scheint es, kann man die Berechtigung dieser Kritik mit Händen greifen:

Elias deutet die (philosophische) Frage, ob bestimmte menschliche Vorstellungen über die Wirklichkeit zutreffend sind, zu der völlig verschiedenen (soziologischen) Frage um, ob wir diese Vorstellungen über die Wirklichkeit autark entwickelt oder gesellschaftlich erlernt haben!

 

vor 10 Stunden schrieb Marcellinus:

Philosophie ist also, das Selbstverständliche zu vergessen, und daraus ein Problem zu konstruieren, das es gar nicht gibt. Kein Wundert, daß Philosophen zu nichts kommen.

 

Natürlich zieht man durch eine solche Diskussion die Außenwelt in Zweifel, und braucht dann eine Glaubensvorstellung, "philosophische Annahme" genannt, um zu dem Punkt zu kommen, an dem man ohne Philosophie längst ist. 

 

Ich ziehe die Realität der Außenwelt nicht in Zweifel, stelle aber fest, dass bereits unsere basale Erkenntnis durch Wahrnehmung mehr beinhaltet als das, was uns die Sinne selbst sagen. "Gegenständlichkeit", "Realität", "Kausalität" usw. werden weder mit den Augen gesehen noch mit den Händen ertastet. Und doch sagen wir, dass wir es mit einem Gegenstand zu tun haben, der existiert und vielleicht etwas verursacht. Wir fügen das sozusagen zur reinen Sinneserfahrung hinzu. Wenn man das zugibt - und ich wüsste nicht, wie man das abstreiten könnte - stellt sich ganz natürlich auch die folgende Frage: Wie können wir wissen, dass wir das, was wir zur Sinneserfahrung hinzufügen, ihr auch zurecht hinzufügen? Wie sollte sie sich eine solche Frage denn nicht stellen?

 

Im Gegenteil führt allerdings gerade Deine Position zwingend zu einer fundamentalen Skepsis im Hinblick auf die Außenwelt. Hier der Schluss:

 

1. Wir wissen nur das, was wir empirisch prüfen können.

2. Ob hinter unserer sinnlichen Erfahrung eine externe Wirklichkeit steht, lässt sich nicht empirisch überprüfen.

3. Also wissen wir nicht, ob hinter unserer Sinneserfahrung eine reale Außenwelt steht.

 

Solltest Du das als unfreundliche Unterstellung von Dir weisen, müsstest Du schon sagen, was an dem Schluss falsch sein soll - denn die Konklusion ergibt sich aus den Prämissen logisch zwingend. Prämisse 1 ist Deine Position, die Du oft geäußert hast, und Prämisse 2 ist unbestreitbar: Wir können mit unseren Sinnen nicht wahrnehmen, ob es etwas gibt, was jenseits unserer sinnlichen Wahrnehmung liegt.

Und hier hilft auch kein Verweis auf eine soziale Umwelt, von der wir etwas gelernt haben. Denn ob unserer Sinneserfahrung einer sozialen Umwelt auch eine reale Umwelt entspricht, lässt sich durch keine Beobachtung und kein Experiment der Welt prüfen. Es ist gerade Deine empiristische/positivistische Position, die zu großen Problemen führt.

 

vor 10 Stunden schrieb Marcellinus:

Wenn man in der Tradition von Descartes alles außer dem eigenen Denken zur Illusion erklärt, warum dann nicht auch dieses Denken selbst? Was übrigens das einzige wäre, an dem Zweifel wirklich angebracht sind. 

 

Es liegt mir fern, alles außer dem eigenen Denken zur Illusion zu erklären, und auch Descartes Zweifel war methodischer Natur. Aber natürlich sind wir - um ein Beispiel zu nennen - nur im unmittelbaren Besitz unserer Sinneswahrnehmung eines Baums, und nicht des Baums selbst. Wir haben den Zugang zum Baum durch unser Sehen und Tasten usw. (und eben dem, was wir im Denken hinzufügen). Es könnte aber sein, dass unserem Sehen und Tasten kein realer Gegenstand entspricht - dass also eine Illusion vorliegt.

 

Diesen Unterschied zwischen Bewusstsein einerseits und externem Gegenstand des Bewusstseins andererseits scheint übrigens auch Elias zu sehen, wenn er in Wissenschaft oder Wissenschaften" sagt (in "Wissenschaft oder Wissenschaften"):

 

"Als gelegentliche Phantasie eines Menschen ist die Ungewißheit über die Existenz einer Welt außerhalb seiner oder ihrer selbst nicht unbekannt. Aber die Tradition der Metaphysik, in der Popper steht, stellt die Phantasie von der Scheidewand zwischen „Innenwelt“ und „Außenwelt“, „Subjekt“ und „Objekt“ als etwas höchst Reales, tatsächlich Existierendes hin."

 

Der erste Satz ergibt nur dann einen Sinn, wenn wir zu unserem Erleben (etwa unserer Wahrnehmung eines Baums) einen unmittelbareren Zugang haben als zur "Außenwelt" (also etwa dem Baum selbst). Ansonsten ist die Bemerkung von Elias aber problematisch: Fast alle von ihm genannten Philosophen (einschließlich Popper) gehen von einer Außenwelt aus, und für die meisten nimmt dieses Problem auch keinen großen Raum ein. Was die Begründung einer (zumindest teilweisen) Entsprechung unseres Denkens und der wirklichen Welt angeht, so wirft Elias dieses Problem auf und kritisiert verschiedene Philosophen für ihre Herangehensweise und ihre Lösungsansätze, bietet aber selbst keine begründete Lösung. Dass wir unsere Begriffe von anderen Menschen lernen, ist zwar wahr, aber es ist eine Antwort auf eine ganz andere Fragestellung.

 

vor 10 Stunden schrieb Marcellinus:

Deine "Voraussetzungsmetaphysik" setzt vor allem voraus, all das zu ignorieren, was über die Entwicklung der Menschen, ihrer Gesellschaften und ihr Wissen bisher bekannt ist, um an die Stelle eine Fantasiegeschichte zu setzen, die an Absurdität nicht zu überbieten ist. Zum Verständnis dieser Welt ist dies Art von Philosophie nicht nur überflüssig, sondern Zeitverschwendung.

 

Ich weiß nicht was "Voraussetzungsmetaphysik" sein soll. Der Begriff ist mir unbekannt, und ich weiß auch in der Sache nicht, was das sein soll. Inhaltlich beruht Seine Auffassung auf einem fehlenden Verständnis, welches wiederum auf fehlender Kenntnis beruht. Ganz nebenbei ist übrigens die Auffassung von Elias weniger radikal, wenn er im Credo schreibt:

 

"Im 17. und 18. Jahrhundert, als die Wissenschaft noch relativ jung war und über ihre Eigenart, Organisation und Funktion eine weit geringere Klarheit herrschte als heute, hatten Philosophen, wenn sie die riesigen Lücken im Verständnis der Natur wissenschaftlicher Erkenntnis füllten, eine wirkliche Funktion."

 

Allerdings irrt er sich, wenn er meint, dass heutzutage die Philosophie durch die Soziologie zu ersetzen sei, weil wir mehr Tatsachenwissen haben. Ich habe es immer wieder gesagt und an vielen Beispielen und mit Verweisen auf seriöse Texte erläutert: Die Philosophie stellt schlichtweg andere Fragen als die Soziologie. Die Soziologie (oder auch die Wissenschaftshistorie) mögen beispielsweise fragen, ob die Naturwissenschaften de facto das Induktionsprinzip anwenden; die Philosophie würde fragen, ob und wie induktive Schlüsse rational zu rechtfertigen sind, obwohl es streng genommen logisch nicht gültig ist. Und auch das ist eine sinnvolle Frage, wenn wir davon ausgehen, dass Wissenschaft zumindest unter günstigen Bedingungen (auch) ein rationales Unternehmen ist, welches (auch) mit rational begründbaren Methoden arbeitet.

 

Es ist genug Platz für beide da: Für Soziologie und Philosophie (und natürlich auch für viele andere Disziplinen). Und mir ist kein einziger Philosoph bekannt, der die Daseinsberechtigung der Soziologie infragestellen würde der sie sozusagen der Philosophie einverleiben wollte.(Und es ist mir auch kein Philosoph bekannt, der meinen würde, dass die Naturwissenschaft auf die Philosophie angewiesen sei, um große Erkenntnisse zu gewinnen.) Im Gegenteil sind es Du und Elias, die der Philosophie die Daseinsberechtigung absprechen und sie in der Sache durch die Soziologie ersetzen wollen - wobei Du inhaltlich wie auch im Ton noch einmal deutlich eine Schippe drauflegst. Das ist auch Dein Recht. Nur verwundert es mich dann etwas, wenn Du der Philosophie andauernd eine geradezu krankhafte Anmaßung, Arroganz, Intoleranz und Herrschsucht vorhältst.

 

vor 10 Stunden schrieb Marcellinus:

Meiner Ansicht nach beginnt Philosophie da, wo Fragen diskutiert und Behauptungen aufgestellt werden, die sich durch Tatsachenbehauptungen nicht belegen lassen, eben alles das, was wir mit dem Wort "Metaphysik" beschreiben. Oder, um noch einmal das Zitat vom Anfang aufzugreifen, wenn "man beim Nachdenken über eine Sache dem Denken selbst den Vorrang vor der Sache gibt."

 

Ich kann nicht mehr als verschiedenen konkreten Beispielen (und Verweisen auf Texte) aufzuzeigen, dass und warum das unhaltbar ist. Wenn Du diese Beispiele ignorierst, kann ich auch nichts tun. ;)

 

Nur zahlst Du einen Preis dafür, dass Du einerseits sehr oft Thesen äußerst, die außer Dir jeder kundige Mensch auf dieser Welt, jedes Lexikon und jedes Fachbuch als "philosophisch" klassifizieren würde und Dich andererseits aber weigerst, Dich entsprechend zu informieren. Zu diesem Preis gehört eben beispielsweise, dass Du eine These vertrittst, aus der zwingend eine radikale Skepsis über die Außenwelt folgt - ohne dass Dir dies offenbar auch nur bewusst wäre.

bearbeitet von iskander
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vor 11 Stunden schrieb iskander:

Ich ziehe die Realität der Außenwelt nicht in Zweifel, stelle aber fest, dass bereits unsere basale Erkenntnis durch Wahrnehmung mehr beinhaltet als das, was uns die Sinne selbst sagen. "Gegenständlichkeit", "Realität", "Kausalität" usw. werden weder mit den Augen gesehen noch mit den Händen ertastet. Und doch sagen wir, dass wir es mit einem Gegenstand zu tun haben, der existiert und vielleicht etwas verursacht. Wir fügen das sozusagen zur reinen Sinneserfahrung hinzu. Wenn man das zugibt - und ich wüsste nicht, wie man das abstreiten könnte - stellt sich ganz natürlich auch die folgende Frage: Wie können wir wissen, dass wir das, was wir zur Sinneserfahrung hinzufügen, ihr auch zurecht hinzufügen? Wie sollte sie sich eine solche Frage denn nicht stellen?

 

Ich bekomme vor lauter Kopfschütteln noch ein Schleudertrauma! :D Man kann "Kausalität" nicht mit Augen sehen noch mit Händen greifen? Ein Ziegel löst sich vom Dach, und droht, Oma Hilde auf den Kopf zu fallen, wenn du ihn nicht vorher greifst. Du siehst die Kausalität, und du kannst sie greifen, wenn du nur schnell genug bist; wenn nicht (wieder Kausalität), dann haben wir einen Erbfall.

 

Ursache und Wirkung sind beliebig reproduzierbar (solange die Oma mitspielt). Kann es sein, daß du vollkommen absurde Vorstellungen von Realität und Kausalität hast? Wenn deine Erkenntnistheorie dir solche Fragen stellt, würde ich mir Gedanken machen. 

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@Marcellinus

 

Was Du mit Deinen Augen sehen kannst und mit Deinem Kopf fühlen, sind bestimmte Ereignisse, die in einer bestimmten Reihenfolge auftreten, vielleicht auch in einer bestimmten Regelmäßigkeit. ;) Du siehst den Ziegel und die Beule auf Oma Hildes Kopf; aber egal wie genau Du hinsiehst, wirst Du nirgendwo am Ziegel sehen, dass er eine Ursache ist, und nirgendwo an der Beule, dass sie eine Wirkung ist. Eine Ursache, eine Wirkung oder eine Kausalrelation zu sein: das sind ja keine sichtbare Eigenschaft wie etwa das Eckigsein.

Dass es hier ein Ursache-Wirkungs-Verhältnis geben muss, schlussfolgern wir mit unserer Vernunft aus den beobachtbaren Tatsachen, weil das im konkreten Fall die einzige sinnvolle Erklärung für die beobachtbaren Tatsachen darstellt. 

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19 hours ago, iskander said:

Ich bin sicher kein Anhänger des transzendentalen Idealismus - aber mit dem Stand des naturwissenschaftlichen Wissens hat seine Plausibilität bzw. fehlende Plausibilität m.E. wenig zu tun. 

 

Er hat (fast) alles  mit dem Stand des naturwissenschaftlichen Wissens zu tun.
Ich habe das kürzlich kurz beschrieben:
 
"Kant hatte zweifellos recht damit, dass unsere alltäglichen Vorstellungen von Raum und Zeit "Formen der Anschauung" sind (Bedingungen der Möglichkeit von anschaulichen Vorstellungen), die im menschlichen Erkenntnisvermögen liegen und dass Probleme entstehen, wenn man davon ausgeht, dass sie 1:1 in der vom Subjekt unabhängigen Realität existieren.
 
 
Er konnte nur nicht erklären, wie die Realität dann tatsächlich aussieht und wie diese Formen der Anschauung in unser Erkenntnisvermögen kommen.
 
 
Heute haben wir mit Evolutionstheorie und Allgemeiner Relativitätstheorie Antworten auf beides.
Auch die Quantenphysik könnte man noch dazunehmen."
https://www.mykath.de/topic/36234-bewusstes-erleben-qualia/?do=findComment&comment=2569144

 
Wüsste ich nicht um die moderne Physik und Biologie, wäre ich vielleicht transzendentaler Idealist (Konstruktivist).
Da ich aber darum weiß, bin ich Realist.

 

 

19 hours ago, iskander said:

Ich bin mir nicht sicher, was Du hier mit "Pragmatismus" meinst. Rein pragmatisch gesehen macht es doch gar keinen Unterschied, ob man an eine reale Welt glaubt oder nur an bewusste Erfahrungen, die eine reale Welt vorspiegeln. Die Konsequenzen wären dieselben: Will ich mich nicht verbrennen, fasse ich nicht an die Herdplatte. Ob die Herdplatte und meine Hand dabei jenseits meiner Sinneserfahrung in der "Außenwelt" existieren oder nicht, ist für mein Schmerzgefühl egal.

 

Ich meine durchaus, dass es einen Unterschied macht, ob ich davon ausgehe, dass meine Mitmenschen existieren oder nicht.
 
Solipsismus ist hinderlich für die Orientierung in der Welt. Darum (und da nicht falsifizierbar) entscheide ich mich dagegen.

Und ich weiß nicht so ganz, warum wir darüber überhaupt sprechen müssen...

 

 

19 hours ago, iskander said:

b) Zumindest die meisten Leute dürften auch die inhaltliche Überzeugung haben, dass ein realistisches Weltverständnis angemessen ist; diese Überzeugung kann man so hinnehmen, aber auch näher begründen. Und die Begründung ist m.E. dann auch nicht so trivial (siehe den verlinkten Text).

 

Siehe oben.

 

 

19 hours ago, iskander said:

a) Wenn ich recht habe (siehe oben) brauchen wir die Induktion dringend, obwohl sie rein logisch nicht zu rechtfertigen ist; dies scheint mir kein völlig triviales Problem zu sein. Und ein empirisches (physikalisches, soziologisches) Problem ist es sicher auch nicht.

 

Wenn ich Dich richtig verstehe, bleibt bei Dir nach dem bisher  Gesagten immer noch die Frage übrig, warum unsere Annahme berechtigt ist, dass die Naturgesetze morgen auch noch gelten?
 
Nun, wenn wir Pläne für die Zukunft machen wollen, müssen wir davon ausgehen, dass irgendetwas konstant ist.
 
Und unser Wissen über die Naturgesetze gehört eben zum fundamentalsten Wissen, das wir haben.
 
Darum gehen wir so lange davon aus, dass es gilt, bis es widerlegt wurde.
 
Es ist nützlich, so vorzugehen.
 
Realitätscheck:
 
Möchtest Du wetten, dass die Naturgesetze morgen nicht mehr gelten?
 
Eben ;)

 

Zum Rest Deines Beitrags schreibe ich vielleicht später noch etwas.

bearbeitet von KevinF
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vor 24 Minuten schrieb iskander:

Dass es hier ein Ursache-Wirkungs-Verhältnis geben muss, schlussfolgern wir mit unserer Vernunft aus den beobachtbaren Tatsachen, weil das im konkreten Fall die einzige sinnvolle Erklärung für die beobachtbaren Tatsachen darstellt. 

 

Nein, dafür brauchen wir nun wirklich unsere Vernunft nicht. Das können schon Tiere, Primaten allenthalben (dazu gibt's auch Versuche des Max-Planck-Instituts in Leipzig) und Menschen wachsen damit auf. 

 

Menschen haben zu allen Zeiten Ereignisse, die sie sich nicht erklären konnten, mit übernatürlichen Mächten verbunden. Das gilt besonders für Krankheiten, wo eben Ursache und Wirkung nicht so einfach zusammenzubringen sind. Aber ich kenne keinen Fall, in dem sich Menschen zB. einen Knochenbruch magisch erklärt hätten. 

 

Das ist mein Vorwurf gegen deine Art von Philosophie: du konstruierst Probleme, wo bei nüchterner Betrachtung keine sind, und bietest dann deine Metaphysik als Antwort auf Fragen an, bei denen sich einfachere Antworten anbieten. 

 

Nur daß (diese Art von) Philosophie eben keine Antworten liefert, die auf etwas anderem beruhen als auf Glaubensvorstellungen. Dabei ist es ganz einfach: jenseits von nachprüfbarem Wissen beginnt Nichtwissen. Dieses durch religiöse oder philosophische Spekulationen auffüllen zu wollen, ergibt nichts anderes als Scheinsicherheit, die dem Erkenntnisfortschritt eher im Wege steht. 

 

Wie in diesem Falle: Natürlich sind wir nicht nur in der Lage, Objekte und deren Eigenschaften zu sehen, sondern auch Zusammenhänge oder Abfolgen von Ereignissen, besonders, wenn sie so einfach und nachvollziehbar sind wie in diesem Fall. Du machst daraus einen metaphysischen Vorgang und hättest du Recht, wäre nicht einmal zu erklären, wie eine Katze eine Maus fängt. Ich kann dir aber vertrauensvoll versichern, sie können es! Und zwar vollkommen ohne spekulative Vernunft. ;)

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Am 8.11.2024 um 16:19 schrieb KevinF:

Wenn eine Gruppe von Schülern keinen Konsens bezüglich der Lösung einer Mathematikaufgabe finden kann, heißt das noch lange nicht, dass keine eindeutige Antwort möglich ist.

 

Wenn hingegen eine gesamte akademische Disziplin über einen längeren Zeitraum hinweg zu keiner Übereinkunft kommen kann, dann liegt die Vermutung nahe, dass es an einer objektiven Überprüfbarkeit der entsprechenden Aussagen mangelt.

 

Dazu doch noch einmal etwas. Ich glaube nicht, dass dies den inneren Widerspruch auflöst. Denn Philosophen - oder, wenn man die für zu befangen hält, auch beispielsweise Naturwissenschaftler, die sich mit philosophischen Fragen gründliche befassen - werden in vielen philosophischen Fragen  keinen Konsens erzielen, ob sie beantwortbar sind oder nicht.

Wenn es nun zum einen keinen Konsens gibt, ob die Lösung A oder die Lösung B wahr ist, müsste man nach Deinem Prinzip folgern, dass es nicht entscheidbar ist, ob A oder B wahr ist. Wenn es aber gleichzeitig auch keinen Konsens darüber gibt, ob die Frage ob A oder B gilt unbeantwortbar ist, dann müsste man nach Deinem Prinzip folgern, dass es nicht entscheidbar ist, ob A oder B wahr ist. Beides kann aber nicht sein. Wenn eine Frage unentscheidbar ist und wir das wissen, dann ist es entscheidbar, dass sie unentscheidbar ist.

 

In der Sache meine ich, dass ein weiterer Grund für die Uneinigkeit in der Philosophie auch darin besteht, dass oft Analysen nicht gründlich und elementar genug sind und man sozusagen ein Haus baut, ohne das Fundament angemessen bestellt zu haben.

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vor 8 Minuten schrieb KevinF:

Ich meine durchaus, dass es einen Unterschied macht, ob ich davon ausgehe, dass meine Mitmenschen existieren oder nicht.
 
Solipsismus ist hinderlich für die Orientierung in der Welt. Darum (und da nicht falsifizierbar) entscheide ich mich dagegen.

Und ich weiß nicht so ganz, warum wir darüber überhaupt sprechen müssen...

 

Solipsismus"Nur das eigene Ich existiert. Nichts außerhalb des eigenen Bewusstseins existiert, auch kein anderes Bewusstsein." Wenn es für einen Solipsisten niemand anderen gibt, dann gibt es auch diese Diskussion nicht. Der Solipsismus kann prinzipiell nicht Gegenstand einer Debatte sein, weil ihm das Gegenüber fehlt. So einfach ist das! Außerdem, wenn man an allem zweifelt, warum nicht auch am eigenen Bewußtsein. Da hätte man übrigens am meisten Grund. ;)

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vor 4 Minuten schrieb iskander:

In der Sache meine ich, dass ein weiterer Grund für die Uneinigkeit in der Philosophie auch darin besteht, dass oft Analysen nicht gründlich und elementar genug sind und man sozusagen ein Haus baut, ohne das Fundament angemessen bestellt zu haben.

 

Dann bist du bei Wittgenstein und der Erkenntnis, daß diese Analyse nicht nur Begriffe umfassen müßte, sondern auch die Sprachen, in denen diese Begriffe entstanden sind. 

 

Die richtige Methode der Philosophie wäre eigentlich die: Nichts zu sagen, als was sich sagen lässt, also Sätze der Naturwissenschaft – also etwas, was mit Philosophie nichts zu tun hat –, und dann immer, wenn ein anderer etwas Metaphysisches sagen wollte, ihm nachzuweisen, dass er gewissen Zeichen in seinen Sätzen keine Bedeutung gegeben hat. Diese Methode wäre für den anderen unbefriedigend – er hätte nicht das Gefühl, dass wir ihn Philosophie lehrten – aber sie wäre die einzig streng richtige.
(Ludwig Wittgenstein)

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vor 16 Minuten schrieb iskander:

In der Sache meine ich, dass ein weiterer Grund für die Uneinigkeit in der Philosophie auch darin besteht, dass ...

 

... ihre Philosophie nicht auf nachprüfbaren Tatsachen beruht, sondern auf subjektiven Überzeugungen der einzelnen Philosophen, also letztlich auf Spekulation. Keiner ihrer Schlüsse ist zwingend, weil es keine festen, allgemeinverbindlichen Regeln gibt, nach denen sie zu erfolgen hätten, und weil schon der Ausgangspunkt der jeweiligen Philosophie Glaubenssache ist. Und so kommt jeder Philosoph zu seinem ganz eigenen Ergebnis. 

 

Das mag ein spannendes Spiel sein, aber eben nur für die, die Spaß an so etwas haben. Aber eine objektive Bedeutung hat es über diesen Kreis hinaus nicht. Ganz besonders deutlich wird das, wenn so wichtige Probleme gewälzt werden wie die Frage, ob ein Tisch im Raum steht, oder ob zwischen Oma Hildes Loch im Kopf und dem Ziegelstein irgendein Zusammenhang konstruiert werden kann, und um welchen -ismus es sich dabei handelt. 

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vor 10 Minuten schrieb KevinF:

Wüsste ich nicht um die moderne Physik und Biologie, wäre ich vielleicht transzendentaler Idealist (Konstruktivist).
Da ich aber darum weiß, bin ich Realist.

 

Ich muss zugeben, dass mir nicht mehr genau präsent ist, warum Kant eigentlich ein realistisches Verständnis der Erkenntnis ablehnt (abgesehen von seinen Antinomien). Seine Ausführungen waren aber nicht allzu ausführlich, meine ich, und vor allem haben sie mich zumindest nicht überzeugt. Ich müsste es nachschauen. Trotzdem bin ich mir ziemlich sicher, dass seine Gründe unabhängig vom Stand der Wissenschaft waren und durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse kaum tangiert sein dürften. Und wenn man eine solche Haltung annimmt, dann werden einen die neueren Erkenntnisse der Wissenschaft auch kaum überzeugen, denn wenn - um in Deiner Terminologie zu bleiben - die menschliche Erkenntnis eine Konstruktion ist, von der man nicht weiß, ob sie etwas mit der Wirklichkeit zu tun hat, dann gilt das natürlich auch für unsere wissenschaftlichen Theorien. Wie gesagt bin ich selbst keineswegs ein Kantianer.

 

Ganz unabhängig davon allerdings wäre es ein interessantes Thema, was die Evolution tatsächlich erklärt; in vielen Fällen nach meinem Verständnis weniger, als es mitunter suggeriert wird. Die Erklärung "Es ist so, weil es evolutionär nützlich ist" ist m.E. häufig nicht viel informativer als wenn man auf die Frage, warum Flugzeuge fliegen, wie folgt antworten würde: "Es ist so, weil es dem Menschen nützlich ist, flugfähige Maschinen zu bauen". Allerdings müsste man das vielleicht zurückstellen, denn ich kann auch nicht zu viele philosophische Diskussionen gleichzeitig führen, jedenfalls nicht mit der Gründlichkeit, mit der ich sie eigentlich führen möchte. (Insofern bitte ich auch um Nachsicht, wenn ich im Moment nicht im Qualia-Thread antworte; vergessen ist er nicht.)

 

vor 10 Minuten schrieb KevinF:

Ich meine durchaus, dass es einen Unterschied macht, ob ich davon ausgehe, dass meine Mitmenschen existieren oder nicht.
 
Solipsismus ist hinderlich für die Orientierung in der Welt. Darum (und da nicht falsifizierbar) entscheide ich mich dagegen.

Und ich weiß nicht so ganz, warum wir darüber überhaupt sprechen müssen...

 

Was heißt "hinderlich für die Orientierung in der Welt"? Es gibt wenige Solipsisten, aber ich würde vermuten, dass sie mit der Prämisse "Meine Bewusstsein funktioniert so, als gäbe es eine reale Welt" genauso gut orientiert sind wie jeder andere auch. Das Stichwort "Solipsismus" hast Du aufgeworfen. ;) Mir ging es darum, dass es Fragestellungen gibt, die empirisch nicht beantwortbar sind, aber zu denen man dennoch etwas Sinnvolles, Philosophisches sagen kann. Eine dieser Fragen wäre eben, was für Überzeugungen des gesunden Menschenverstandes wie eine Welt jenseits der Sinneserfahrung spricht. 

 

vor 10 Minuten schrieb KevinF:

Wenn ich Dich richtig verstehe, bleibt bei Dir nach dem bisher  Gesagten immer noch die Frage übrig, warum unsere Annahme berechtigt ist, dass die Naturgesetze morgen auch noch gelten?

 

Ich bezweifle nicht, dass sie auch morgen gelten; ich glaube aber, dass es eine legitime Frage ist, wie wir wissen können, dass sie morgen gelten. Und ich glaube, dass es ohne die (implizite) Annahme einer gewissen Konstanz keine Naturwissenschaft geben könnte.

 

Zitat

Nun, wenn wir Pläne für die Zukunft machen wollen, müssen wir davon ausgehen, dass irgendetwas konstant ist.

 

Richtig; aber das setzt doch implizit schon voraus, dass es vernünftig ist, eine Konstanz anzunehmen. Sonst wäre das so, als würde man sagen: Wenn wir kein anderes Transportmittel haben und dennoch verreisen wollen, müssen wir eben unsere Besen herausholen und annehmen, dass wir mit ihnen fliegen können. Wir gehen doch offenbar aus, dass es vernünftig ist, anzunehmen, dass morgen noch die Sonne aufgeht, nicht aber, dass wir auf Besen durch die Luft fliegen können - obwohl beide Annahmen uns beim Erreichen unserer Ziele helfen würden, falls sie wahr sind/wären. Das kann also nicht das Kriterium sein.
 

Zitat

Und unser Wissen über die Naturgesetze gehört eben zum fundamentalsten Wissen, das wir haben.


Das bezweifle ich nicht. Aber die Frage ist eben warum. Und da kommt man m.E. an der Induktion oder einer (de facto äquivalenten) Gleichförmigkeit der Natur nicht herum. Und damit wird es auch legitim, über deren Rechtfertigung nachzudenken.

 

Zitat

Darum gehen wir so lange davon aus, dass es gilt, bis es widerlegt wurde.

 

Wenn es keine Induktion gäbe, die es wahrscheinlich macht, dass ein gut bewährter Satz (meistens) wahr ist, dann hätten wir keinen vernünftigen Grund, seine Richtigkeit bis zum Beweis des Gegenteils anzunehmen - nicht mehr als bei einem noch nicht widerlegten, beliebigen Satz. (Das ist auch eine Kritik an Popper.)
 

Zitat

Es ist nützlich, so vorzugehen.

 

Es ist nützlich, anzunehmen, dass morgen die Sonne aufgeht, weil morgen die Sonne höchstwahrscheinlich tatsächlich aufgeht. Würden wir nicht annehmen, dass morgen die Sonne vermutlich aufgeht, würden wir die Annahme, dass sie morgen aufgeht, auch nicht für nützlich halten. Womit wir wieder bei der Frage wären: Woher wissen wir, dass die Sonne morgen höchstwahrscheinlich aufgeht? Und hier müssen wir letztlich immer auf die Induktion verweisen.
 

Zitat

Möchtest Du wetten, dass die Naturgesetze morgen nicht mehr gelten?
 
Eben ;)

 

Nein - aber ich schließe mich an dieser Stelle grundsätzlich de Vries an:

 

"Als Voraussetzungen der exakten Wissenschaften haben sich im vorigen Kapitel ergeben: Das reale Dasein der Körperwelt, die Zuverlässigkeit der Erinnerung, die Möglichkeit sprachlicher Verständigung und einer Gewißheit aufgrund der Aussagen anderer Menschen, die Geltung der Induktion, die Möglichkeit geschichtlichen Wissens. [...] Je mehr die genannten Gewißheiten sich dem spontanen Denken aufdrängen, um so mehr drängt sich der erkenntnistheoretischen Reflexion die Frage auf, worauf diese so selbstverständliche Gewißheit beruhe."

 

Es geht mir also nicht darum, das Offensichtliche und Selbstverständliche zu leugnen - es geht mir einfach darum, dass es legitim (wenn auch nicht unbedingt notwendig) ist nachzufragen, worauf es beruht.

 

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vor 47 Minuten schrieb Marcellinus:

Wenn es für einen Solipsisten niemand anderen gibt, dann gibt es auch diese Diskussion nicht. Der Solipsismus kann prinzipiell nicht Gegenstand einer Debatte sein, weil ihm das Gegenüber fehlt.

 

Der Solipsist kann aber der Meinung sein, dass es wie in einem Traum eine Scheinwelt und ein Schein-Gegenüber und eine Schein-Debatte gibt.

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7 hours ago, Marcellinus said:

Man kann "Kausalität" nicht mit Augen sehen noch mit Händen greifen? Ein Ziegel löst sich vom Dach, und droht, Oma Hilde auf den Kopf zu fallen, wenn du ihn nicht vorher greifst. Du siehst die Kausalität, und du kannst sie greifen, wenn du nur schnell genug bist; wenn nicht (wieder Kausalität), dann haben wir einen Erbfall.. 

Anderes Beispiel, wo man etwas mehr Hilfe von einer Meta-Wissenschaft braucht um Kausalität zu verstehen: Oma Hilde ist früh verstorben. Sie hat auf einem Landgut gelebt, und der Klempner hat (absichtlich, um Geld zu sparen) ihre unterirdische Wasserleitung aus Bleirohren (statt aus Stahlrohren) installiert. Ihr Erbe, Cousin Egon, fragt sich nun, ob er den Klempner verklagen soll. Andererseits hat Oma Hilde auch jeden Tag eine Packung Zigaretten geraucht. Bei der Obduktion wurden zwar erhöhte Bleiwerte gefunden, aber sie ist schliesslich an Lungenkrebs gestorben.

 

So, und wie ist das jetzt mit der Kausalität? Hat das Blei Oma Hilde umgebracht? Das kann man nicht mehr mit Händen greifen, sondern es braucht ziemlich komplexe Logik. Und Logik ist ein Aufgabengebiet, dass historisch im Grenzbereich zwischen Mathematik und Philosophie angesiedelt ist.

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vor 26 Minuten schrieb Marcellinus:

... ihre Philosophie nicht auf nachprüfbaren Tatsachen beruht, sondern auf subjektiven Überzeugungen der einzelnen Philosophen, also letztlich auf Spekulation.

 

Doch, die Philosophen beziehen sich auf die Tatsachen - nur nicht in der gleichen Weise wie die empirischen Wissenschaften. Um ein simples Beispiel zu nehmen: Wenn ein Philosoph sich überlegt, ob eine bestimmte Kausalbeziehung mit einem bestimmten Modell übereinstimmt oder nicht, dann bezieht er sich natürlich auf die entsprechenden "Tatsachen" (d.h. die Kausalbeziehung, das infrage stehende Modell der Kausalität und ihr Verhältnis).

 

Oder wenn wir feststellen, dass die Frage, ob es eine Welt jenseits der Sinneswahrnehmung gibt, nicht durch die Sinneswahrnehmung selbst beantwortbar ist, dann beziehen wir uns natürlich ebenfalls auf "Tatsachen". (Wenn ich das feststelle, sage ich das nicht, um für einen Skeptizismus zu argumentieren; ich bin kein Skeptiker. Ich sagen, dass es dafür, dass es jenseits des Sinneswahrnehmung eine Welt gibt, andere Formen der Begründung geben muss als als die durch alleinige Sinneswahrnehmung.)

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