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Fürwahrhalten in der Religion


KevinF

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vor 8 Stunden schrieb KevinF:

Es gibt zwei mögliche Auswahlverfahren: Eine Hypothese aus unendlich vielen logisch möglichen rein willkürlich wählen (W) oder sich dabei an empirischen Daten (D) orientieren.

 

Ich glaube, wir kommen dem springenden Punkt auf jeden Fall näher. Deine Aussage ist sicher dann richtig, wenn die These, dass die Zukunft der Vergangenheit entspricht, keine rein willkürliche Option unter unendliche vielen möglichen ist.

 

Das ist aber die Frage. In manchen Fällen ist es ja gerade nicht so, dass die Vergangenheit (bzw. die vergangene Erfahrung) eine Relevanz für die Zukunft hat. Im Fall des Lottos etwa haben wir ja keinen Grund anzunehmen, dass die Zukunft der Vergangenheit ähnelt. Daher kann man hier auch nicht sagen, dass die Entscheidung für jene Lotto-Zahlen, die das letzte mal erfolgreich waren, rationaler wäre als eine beliebige andere Entscheidung. Es wäre auch nicht sinnvoll, die Alternative "entweder man tippt wie das letzte mal, oder man muss sich willkürlich für eine extrem unwahrscheinliche Option entscheiden" aufzumachen. Eine solche Gegenüberstellung im Sinne von zwei Auswahlverfahren wäre arbiträr, da alle Optionen gleichermaßen willkürlich und unwahrscheinlich sind. Die empirischen Daten D (die bisherige Ziehungen) haben für die Zukunft hier also keine Relevanz.

 

Für unsere Diskussion käme meines Erachtens daher alles darauf an, ob unsere allgemeine Situation derjenigen beim Lotto entspricht oder nicht. Und das heißt doch: ob es irgendeinen wie auch immer gearteten Grund für die Annahme gibt, dass die Zukunft der Welt prinzipiell ihrer Vergangenheit gleichen wird. Gibt es einen solchen Grund, ist es rational, darauf zu wetten, dass die Zukunft der Vergangenheit entsprechen wird. Gibt es aber keinen solchen Grund, würde sich die Situation in Analogie zum Lotto darstellen - oder nicht?

 

Um es noch etwas näher aufzudröseln:

 

- Wenn jemand genau weiß, wie wahrscheinlich die Option G ist ("die Zukunft wird so sein wie die Vergangenheit") ist, und wie wahrscheinlich die Option X ist ("die Zukunft wird sich in genau dieser und jener spezifisch definierten Weise von der Vergangenheit unterscheiden"), dann ist es für so jemanden genau dann rational, G zu wählen, wenn die Wahrscheinlichkeit von G größer ist als die von X. Wenn hingegen die Wahrscheinlichkeit gleich ist, gibt es keinen Grund, eine der Optionen gegenüber der anderen zu präferieren.

 

- Wenn jemand nicht sicher weiß, wie wahrscheinlich G und X jeweils sind, dann hängt alles davon ab, ob ihm irgendwelche Gründe bekannt sind, die dafür sprechen, dass G wahrscheinlicher sein könnte als X. Sind ihm solche Gründe bekannt, ist die Wahl von G aus seiner Sicht rational. Sind ihm keinerlei solche Gründe bekannt, gibt es auch keinen Anlass G gegenüber X vorzuziehen.

 

Oder um es an der Erfahrung festzumachen: Wir gehen normalerweise davon aus, dass die Welt in Zukunft so sein wird wie sie jetzt ist (dass also G gilt). Der Induktionsskeptiker würde aber genau dies verneinen und sagen, dass die jetzige Erfahrung die Option G genauso wenig nahelegt wie sie die Option X nahelegt. Die Erfahrung, dass die Naturgesetze bisher gegolten haben, sei für die Frage, ob sie auch in Zukunft gelten werden, so irrelevant wie die Tatsache, dass ich heute Kaffee getrunken habe. Da es absolut keinen Grund für die Annahme gebe, dass die vergangene Erfahrung irgendetwas für die Zukunft bedeute, handle jemand, der sich von der Erfahrung überreden lasse, G gegenüber X vorzuziehen, so irrational wie jemand, der sich von meinem heutigen Kaffee-Konsum zur Akzeptanz von G (oder alternativ auch für X) motivieren lässt. Man könne daher sinnvollerweise auch nicht G einerseits und den ganzen Rest der Möglichkeiten andererseits einander gegeneinander stellen - so wenig wie man eben die Lotto-Zahlen aus der letzten Ziehung und den Rest aller anderen Möglichkeiten gegenüberstellen könne. 

 

Wenn man nun einwendet, dass wir zwar vielleicht keinen Grund für die Vermutung nennen können, dass die Zukunft der Vergangenheit entspricht, aber dass es ja dennoch sein könne, dass eine solche Entsprechung existiert, wird der Induktions-Skeptiker entgegnen: Genau das gleiche gilt auch für die These X! Wir können keinen Grund für die Vermutung nennen, dass die Zukunft im Sinne von X sich spezifisch von der Vergangenheit unterscheiden wird, aber es könnte ja dennoch so sein.

 

Er könne sogar hinzufügen: Aus einer uns unzugänglichen "göttlichen" Perspektive mag es sich womöglich sogar wirklich so darstellen, dass unsere bisherige Erfahrung nahelegt, dass die Welt auch morgen noch so sein wird, wie sie sich bisher dargestellt hat. Aus einer "göttlichen" Perspektive kann es aber genauso gut sein, dass unsere Erfahrung eigentlich dafür spricht, dass die Welt sich morgen im Sinne von X ändert. Uns nützt das aber aber nicht, weil wir diese Perspektive nicht haben - und weil wir auch nicht sagen können, dass das eine wahrscheinlicher als das andere ist.

 

Wenn wir das vermeiden wollen, müssen wir geltend machen, dass es eben doch irgendeinen Grund gibt, der für die Gleichförmigkeit der Natur spricht.

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@iskander

 

Stell Dir vor, Du bist in einem Haus eingeschlossen. Es brennt, Du musst raus.

Es gibt unendlich viele Türen, nur eine führt nach draußen. Du hast nur Zeit, eine zu probieren. Du hast den Hausherrn am Telefon. Er nennt Dir Tür 8 als die, die ins Freie führt. Du weißt nicht, ob er lügt.

 

Welche Tür nimmst Du?

 

Er würde sagen, Du kannst nur gewinnen, wenn der Hausherr die Wahrheit sagt.

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Und ja, ich weiß, das wird Dich nicht zufriedenstellen, weil Du eine andere Art von Sicherheit suchst. Nur würde ich behaupten, dass diese a) nicht existieren kann und b) ein emotional-existentielles Problem (im Sinne von "Existentialphilosophie") darstellt, kein theoretisches.

Aber dazu vielleicht ein anderes Mal mehr...

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vor 3 Stunden schrieb KevinF:

@iskander

 

Stell Dir vor, Du bist in einem Haus eingeschlossen. Es brennt, Du musst raus.

Es gibt unendlich viele Türen, nur eine führt nach draußen. Du hast nur Zeit, eine zu probieren. Du hast den Hausherrn am Telefon. Er nennt Dir Tür 8 als die, die ins Freie führt. Du weißt nicht, ob er lügt.

 

Welche Tür nimmst Du?

 

Er würde sagen, Du kannst nur gewinnen, wenn der Hausherr die Wahrheit sagt.

 

Stimmt zweifellos - aber in diesem Fall habe ich doch einen rationalen Grund zur Annahme, dass Tür 8 die richtige Tür ist. Der Grund liegt darin, dass die allgemeine Lebenserfahrung dafür spricht, dass die Wahrscheinlichkeit, dass der Hausherr in einer solchen Situation die korrekte Tür nennt, sehr viel größer ist als die Wahrscheinlichkeit, dass er irgendeine beliebige Tür nach dem Zufallsprinzip nennt oder bewusst lügt. [Ein (wesentlich auch) induktiver Schluss, by the way.]

 

Das ist kein zwingender Grund - aber doch ein guter Grund. Doch selbst wenn der Hausherr mit einer Wahrscheinlichkeit von 99% eine beliebige Tür nach dem Zufallsprinzip nennen würde und nur im verbleibenden einen Prozent mit Absicht die richtige Antwort gäbe, hätte ich immer noch einen Grund, durch Tür 8 zu gehen - wenn auch einen schwachen. Gleichzeitig hätte ich aber überhaupt keinen Grund dafür, eine beliebige andere Tür (wie etwa Tür 9) zu wählen. Und es ist vernünftig, das Begründete ceteris paribus selbst dann dem vollständig Unbegründeten vorzuziehen, wenn die Begründung schwach ausfällt.

 

Würde ich dagegen auf die Uhr schauen und sehen, dass der Stundenzeiger auf der 8 steht, wäre das für mich kein Grund, die Türe 8 zu wählen. Eben weil die Tatsache, dass der Stundenzeiger auf der 8 steht, keinen Grund - nicht einmal einen extrem schwachen - für die Annahme darstellt, dass die Türe 8 die richtige ist. Genauso wenig, wie die Tatsache, dass wir den 11. Monat im Jahr haben, für mich ein auch nur schwacher Grund wäre, durch Tür 11 zu gehen.

 

Alle Deine Ausführungen ergeben Sinn - scheinen mir aber von der Annahme abzuhängen, dass wir bereits irgendeinen Grund haben, die Gleichförmigkeit der Natur anzunehmen. (Mit Letzterem wäre ich für meinen Teil ja auch absolut einverstanden.)

 

Zitat

Und ja, ich weiß, das wird Dich nicht zufriedenstellen, weil Du eine andere Art von Sicherheit suchst.

 

Eine "absolute" Sicherheit kann es m.E. tatsächlich nicht geben, wenn es um Induktion geht. Was ich glaube ist, dass es zumindest in manchen Fällen ein erhebliches oder sogar gutes Maß an Sicherheit gibt (in anderen weniger, je nachdem).

 

Meine These ist hier jedoch nicht, dass wir "zwingende" induktive Schlüsse benötigen - und auch nicht, dass wir eine zwingende Rechtfertigung für die Gültigkeit induktiver Schlüsse brauchen. Sondern dass wir überhaupt einen Grund für die Induktion benötigen, um einer radikalen Skepsis zu entkommen. Ich weiß, ich wiederhole mich, aber ich sage es nochmals: Der gesunde Menschenverstand mag reichen, aber man kann m.E. noch näher hinsehen. ;)

bearbeitet von iskander
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Zitat

Aber dieses Wissen beruht nicht etwa auf Konvention oder einem Irrtum, sondern auf den Erfahrungen von Generationen mit Bergen der unterschiedlichen Art. 

 

Welches Wissen? Dass ein Berg nicht von einem Tag auf den anderen verschwindet? Sicher! Wenn ich von "Erfahrung" spreche, meine ich natürlich nicht nur meine persönliche, sondern auch die anderer Menschen. (Und gerne auch wissenschaftliche, in diesem Fall etwa primär geologische Forschungen über Berge.) 

 

Zitat

Daß ein Berg, oder ein Teil davon, morgen vielleicht nicht mehr da ist, ist auch eine dieser Erfahrungen. 

 

Gewiss. Aber mein Beispiel war ja (mit Absicht) nicht, dass ein Berg, den ich heute sehe, noch in hundert Jahren da sein muss, sondern dass er sehr wahrscheinlich auch am nächsten Tag noch da ist. Das gilt selbst dann, wenn man über Vulkan-Berge spricht (an die ich auch gedacht habe).

 

Zitat

Du gehst bei deinen Beiträgen immer von einer einzelnen Person aus, die sich ohne Vorwissen einer Situation ausgesetzt sieht. Aber das ist nicht die Wirklichkeit, das ist nur die philosophische Fiktion.

 

Nein, das tue ich nicht - ich gebe gerne zu, dass mein Wissen wesentlich von den Erfahrungen Dritter geprägt ist. ;) Ob ich nun von meiner eigenen persönlichen Erfahrung oder von der kollektiven Erfahrung der Menschheit auf die Zukunft schließe, ändert allerdings nichts an der Frage, wieso eine solche Schlusswiese berechtigt ist. Ich verneine hier nicht die Bedeutung der Erfahrung Dritter - ich abstrahiere nur davon, wer genau die Erfahrung gemacht hat, weil es im Kontext der spezifischen Fragestellung nicht wichtig ist.

 

Zitat

Im wirklichen Leben haben die Menschen Erfahrungen, die Generationen zurück reichen, mag ihnen das nun konkret bewußt sein, oder nicht. Was also die Eltern ihren Kindern erzählen, wenn die das Wort "Berg" benutzten, ist von diesen Erfahrungen geprägt, ist Wissen, das sich über Generationen bewährt hat. Das ist die einzige Begründung, die es braucht, und die einzige Rechtfertigung, die es gibt.

 

Aber wie? Der Unterschied ist, dass man in diesem Falle von einer breiteren Erfahrungsbasis auf die Zukunft schließt. Gerne, da habe ich nichts dagegen!

 

Aber die Frage bleibt, wieso diese Art des Schlusses berechtigt ist. Dass eine These "bewährt" ist, heißt ja nur, dass sie in der Vergangenheit mit der Erfahrung übereingestimmt hat. Darüber aber, ob die These auch in Zukunft mit der Erfahrung übereinstimmen oder ihr künftig widersprechen wird, schweigt die Erfahrung sich aus. Ich brauche also einen (induktiven) Schluss von der Vergangenheit auf die Zukunft im Sinne von: "Wenn es früher so war, wird es auch in Zukunft so sein."

 

Daher stellt sich die Frage, warum diese Art der Vorgehensweise beanspruchen kann, ein valides Verfahren zu sein, welches korrekte Ergebnisse hervorbringt - oder zumindest Ergebnisse, die empirisch bestätigt werden können. Warum gehen wir (mit Vernunft) davon aus, dass die Vergangenheit der Zukunft (grundsätzlich) entsprechen wird? Wieso halten wir es für höchst unwahrscheinlich, dass morgen all das, was gestern noch galt, falsch sein wird? Der direkte Schluss von der Vergangenheit auf die Zukunft ist wie gesagt zirkulär:

 

1. Bisher hat die Zukunft der Vergangenheit geglichen.

[2. ... ]

3. Also wird die Zukunft auch künftig der Vergangenheit gleichen.

 

Man sieht die Zirkularität sofort, wenn man die versteckte 2. Prämisse explizit macht.

 

1. Bisher hat die Zukunft der Vergangenheit geglichen.

[2. Wie es in der Vergangenheit war, so wird es auch in der Zukunft sein.]

3. Also wird die Zukunft auch künftig der Vergangenheit gleichen.

 

Die Konklusion (3.) wird hier bereits vorausgesetzt - sie entspricht der Prämisse 2. in eckigen Klammern, nur in anderen Worten. 

 

Wenn man nicht - oder jedenfalls nicht so einfach und direkt - von der vergangenen Erfahrung darauf schließen kann, dass die Zukunft der Vergangenheit gleichen wird, wie dann? Wenn wir berücksichtigen, dass nicht nur das Individuum Erfahrungen sammelt, sondern auch die Gemeinschaft, hilft uns dies nicht weiter. Denn es geht hier nicht um die Frage, was die Erfahrung uns lehrt - da ist es natürlich umso besser, je mehr Erfahrung zusammenkommen -, sondern darum, wie wir begründen, dass die Erfahrung uns überhaupt etwas lehrt. Die Frage lautet hier nicht: "Wie haben sich Berge erfahrungsgemäß in der Vergangenheit verhalten?", sondern: "Wieso sind wir berechtigt, von der vergangenen Erfahrung mit Bergen etwas über die Zukunft der Berge abzuleiten?"

 

vor 7 Stunden schrieb Marcellinus:

Entschuldige, aber das ist Blödsinn. Was ist ein Kupfer-Atom? Ein chemisches Element mit einem bestimmten, genau definierten atomaren Aufbau. Und damit auch mit genau definierten Eigenschaften, die aus diesem Aufbau folgen. Solange etwas ein Kupfer-Atom ist, hat es auch die Eigenschaften eines Kupfer-Atoms. Was ist daran verwunderlich, begründungsbedürftig oder eine Verallgemeinerung?

 

Ich kann natürlich per (Nominal-)Definition alles festlegen, was ich will. So kann ich auch den Begriff "Kupfer-Atom" so definieren, wie ich lustig bin - und wenn die realen Atome, die man in jenem Material findet, das man gemeinhin "Kupfer" nennt, meiner Definition nicht entsprechen, dann höre ich eben auf, hier von "Kupfer-Atomen" und von "Kupfer" zu sprechen.

 

Offensichtlich ergibt das aber wenig Sinn. Sinn ergibt es in Fällen wie diesem vielmehr, dass ich eine Real-Definition entwerfe, die sich dem Gegenstand, welcher allgemein als "Kupfer" bezeichnet wird, anpasst. Und dazu muss ich natürlich wissen, welche Eigenschaften der Gegenstand - hier also das Kupfer bzw. das Kupfer-Atom - hat, und welche nicht. Und weil nicht nur einige, sondern alle (typischen) Fälle von einer solchen Definition erfasst werden sollen, muss ich also erst einmal sichergehen, dass tatsächlich alle Atome jenes Materials, das man gemeinhin "Kupfer" nennt, die entsprechenden Eigenschaften auch tatsächlich besitzen.

 

Nun kann ich das aber unmöglich für jedes Kupfer-Atom und zu jedem Zeitpunkt untersuchen. Ich kann nur bei einer verschwindenden Teilmenge aller Kupfer-Atome dieses Universums feststellen, dass sie tatsächlich zu meiner Definition passen. Und woher weiß ich dann, dass auch der Rest zu meiner Position passt?

 

Nun, ich schließe von der kleinen Teilmenge auf die Allgemeinheit! Was für die untersuchten Kupfer-Atome gilt, das gilt auch für diejenigen Kupfer-Atome, die nicht untersucht wurden.

 

Und da ist er, der induktive Schluss:

 

"A generalization (more accurately, an inductive generalization) proceeds from premises about a sample to a conclusion about the population.[5] The observation obtained from this sample is projected onto the broader population.[5]"

https://en.wikipedia.org/wiki/Inductive_reasoning

 

Man kann das Wort "Induktion" vermeiden, wenn man möchte, aber an dem Schluss kommt man nicht vorbei. Wenn ich ein Experiment mache, welches entscheidend auf der Annahme beruht, dass Kupfer Strom leitet, dann muss ich mich darauf verlassen können, dass das Kupfer, das ich in meinem Versuch nutze, auch tatsächlich Strom leitet. Sonst ist der Versuch wertlos. Und da komme ich nicht ohne Induktion hin.

 

Eine Definition, die festlegt, was Kupfer ist, löst das Problem nicht. Entweder wir haben es mit einer Real-Definition zu tun, die sich auf die wirkliche Welt, in diesem Fall das wirkliche Kupfer bezieht - doch dann muss sie auf Empirie und Induktion beruhen. Oder wir haben eine Nominal-Definition, die absolut nichts darüber aussagt, wie die Welt (mit ihrem wirklichen Kupfer) beschaffen ist, sondern die nur festlegt, wie wir reden. Und eine Nominal-Definition, die einfach per Festsetzung bestimmt, dass mit dem Wort "Kupfer" nur das zu bezeichnen ist, was Strom leitet, und dass alles andere nicht als Kupfer zu bezeichnen ist, nutzt mir ungefähr so viel, wie einem Fallschirmspringer eine Definition nutzt, nach welcher nur das "Fallschirm" genannt werden soll, was stets problemlos und unfallfrei funktioniert, und nach welcher alles andere nicht als "Fallschirm" zu bezeichnen ist.

 

Wir kommen also keinesfalls um die Induktion herum.

 

Begründungsbedürftig ist also nicht, dass ein Kupfer-Atom die Eigenschaften eines Kupfer-Atoms hat. Begründungsbedürftig ist, dass wir von allen (oder nahezu allen) Kupfer-Atomen zu wissen glauben, dass sie diejenigen Eigenschaften haben, die wir ihnen zuschreiben - obwohl wir diese Eigenschaften nur bei einer winzigen Teilmenge der Kupfer-Atome untersucht haben. Und genau hier findest Du auch die Verallgemeinerung.

 

vor 7 Stunden schrieb Marcellinus:

Eine Verallgemeinerung wäre ein Schluß von einem chemischen Element auf ein oder mehrere andere. Das nennt man dann eine Theorie, und die gewinnt man aus den Einzelbeobachtungen nicht durch "Induktion", sondern durch wissenschaftliche Synthese.

 

Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was genau Du meinst und was nicht - und ob das viel mit der Induktion im obigen Sinne (die man in jedem Fall oft verwendet und unbedingt braucht) zu tun hat oder einfach eine andere Baustelle ist. Es gibt ja viele Formen des wissenschaftlichen Arbeitens - vielleicht hilft ein Beispiel weiter.

 

Zitat

Das ist anspruchsvolle Arbeit, die der anschließenden Begründung aufgrund von Tatsachenbeobachtungen bedarf, und auf eine wirklich neue erfolgreiche Theorie kommen viele Hypothesen, die scheitern.

 

Das klingt sehr nach Popper: Man kommt zu einer These und prüft diese dann - und entweder sie wird (vorläufig) bestätigt oder falsifiziert. Nur funktioniert das eben wie schon gesagt nicht, ohne gleichzeitig die Induktion vorauszusetzen. Ich habe es an den Beispielen mit den Messungen verdeutlicht. Es genügt nicht, dass die These, dass Lackmus sich bei Säure rot verfärbt oder dass Kupfer Strom leitet, noch nicht widerlegt wurde. Wenn meine experimentelle Falsifizierung einer Theorie auf der Annahme beruht, dass Lackmus sich bei Säure rot verfärbt und Kupfer Strom leitet, dann muss ich mit (erheblicher) Sicherheit wissen, dass Lackmus sich bei Säure tatsächlich rot verfärbt oder dass Kupfer tatsächlich Strom leitet - sonst ist meine Falsifikation für die Tonne. Eine Falsifikation, die von einer unsicheren Annahme abhängt, ist ebenfalls unsicher.

 

vor 7 Stunden schrieb Marcellinus:

Hier zeigt sich mal wieder, daß es ein Fehler ist, wenn eine Wissenstheorie, und so etwas versuchst du hier ja auszubreiten, nicht das theoretisch zu verarbeiten sucht, was bei der Entstehung von Wissen nachweislich passiert, sondern Behauptungen aufstellt, was bei der Entstehung von Wissen passieren SOLLTE, damit ein Philosoph zufrieden ist. ;)

 

Dann zeig mir mal eine empirische Wissenschaft, in welcher Induktion keine zentrale Rolle spielt. Beispiele aus der Physik, Chemie und Biologie hatten wir jedenfalls schon. ;)

bearbeitet von iskander
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vor 8 Stunden schrieb iskander:

Ich kann natürlich per (Nominal-)Definition alles festlegen, was ich will.

 

So wie du beim Begriff „Induktion“? Noch ein letztes Mal: Was du „Induktion“ nennst, ist keine, und was mit Recht Induktion genannt werden könnte, ist außerhalb der Mathematik einfach ein Sammelbegriff für Verallgemeinerungen, die richtig sein können oder auch nicht.

 

Wenn du meinst, es sei begründungsbedürftig, daß alle Kupferatome gleiche Eigenschaften haben, sagt das mehr über deine Philosophie als über Kupferatome. Aus meiner Sicht ist eine Diskussion mit dir über dieses Thema Zeitverschwendung.

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12 hours ago, iskander said:

Alle Deine Ausführungen ergeben Sinn - scheinen mir aber von der Annahme abzuhängen, dass wir bereits irgendeinen Grund haben, die Gleichförmigkeit der Natur anzunehmen.

 

Stimmt, bei der Analogie mit den Türen ist das so.

 

Aber im realen Leben kann ich mein Gehirn doch nicht in einen Zufallsgenerator umbauen.

 

Wenn G falsch ist, also besagte Invarianzen keinen Bestand haben, funktioniert doch die ganze unbewusste Steuerung nicht mehr.

 

Wenn es nur um irgendwelche unerwarteten Varianzen geht (so dass der Alltag noch funktioniert):

 

Hier gibt es dann eben keine Begründung mehr.

 

Ich hab mir mal den von Dir verlinkten Ansatz angeschaut:

 

https://plato.stanford.edu/entries/induction-problem/#NomoExplSolu

 

Er scheint hinauslaufen auf 

 

"For it seems to me that a law whose scope is restricted to some particular period is more mysterious, inherently more puzzling, than one which is temporally universal. (Foster 2004)" 

(zitiert nach der verlinkten Enzyklopädie) 

 

Was so viel bedeutet wie: "Wir bevorzugen es, weil es schöner ist." 

(ich selbst hatte ja mit "vermeidet unnötige Komplexität" argumentiert, was ja aber auch wieder auf einen Zirkel hinausläuft...)

 

Diese ganze Suche nach einer Begründung scheint mir nicht sinnvoll zu sein. Es kommt einfach nichts dabei heraus.

 

 

bearbeitet von KevinF
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vor 16 Minuten schrieb KevinF:

Diese ganze Suche nach einer Begründung scheint mir nicht sinnvoll zu sein. Es kommt einfach nichts dabei heraus.


Weil es die Begründung für etwas wäre, was wir sowieso schon wissen. Spannender wäre da schon die Suche nach den Ausnahmen von der Regel. Da hätte man dann wenigstens eine neue Erkenntnis. Um auf das Beispiel mit den Kupferturm zurückzukommen: Spannender wäre, ob es Bedingungen gibt, unter denen sich Kupferatome anders verhalten, als sie es normalerweise tun. Aber das wäre dann ein praktisches Problem, und daran haben offenbar Philosophen kein Interesse. ;)

bearbeitet von Marcellinus
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2 minutes ago, Marcellinus said:

Weil es die Begründung für etwas wäre, was wir sowieso schon wissen.

 

Nicht nur deswegen. Neue Beweise für eine bereits bewiesene mathematische Aussage können ja auch spannend sein.

 

Nur, wenn die Suche nach einem Beweis zuverlässig ins Nichts führt...

 

 

3 minutes ago, Marcellinus said:

Spannender wäre da schon die Suche nach den Ausnahmen von der Regel. Da hätte man dann wenigstens eine neue Erkenntnis.

 

Das definitiv 🙂

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3 hours ago, KevinF said:

Nicht nur deswegen. Neue Beweise für eine bereits bewiesene mathematische Aussage können ja auch spannend sein.

 

Wobei die fortdauernde Geltung der Naturgesetze natürlich gerade nicht beweisbar ist.

 

Aber ohne diese Annahme funktionieren weder Alltag noch Wissenschaft.

 

Daraus folgt nicht, dass sie a priori wahrscheinlicher ist als ihre Verneinung, aber mir reicht das trotzdem...

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vor 4 Stunden schrieb Marcellinus:

So wie du beim Begriff „Induktion“? Noch ein letztes Mal: Was du „Induktion“ nennst, ist keine, und was mit Recht Induktion genannt werden könnte, ist außerhalb der Mathematik einfach ein Sammelbegriff für Verallgemeinerungen, die richtig sein können oder auch nicht.

 

Entschuldige, aber sowohl die deutsche wie die englischsprachige Wikipedia sehen das anders als Du - sie betrachten "Induktion" bzw. "inductive reasoning" als den angemessenen Begriff. Was m.E. auch Sinn ergibt, denn wenn ich etwas schließe: "Bisher war alles Brot, das ich gegessen habe, nahrhaft, also wird auch das nächste Stück Brot nahrhaft sein", dann erscheint der Begriff "Verallgemeinerung" mit seinen Assoziationen eher als unpassend. Zudem scheint mir das Wort "Verallgemeinerung" eher den Prozess des Verallgemeinerns und sein Resultat zu treffen und der Begriff "Induktion" eher die "dahinterstehende Logik", die diese Verallgemeinerung rechtfertigen soll. Zudem eignet sich der Begriff "Induktion" als Kontrast zur "Deduktion" und das ganze Problem, um das es hier geht, wird traditionell als "Induktionsproblem" und nicht als "Verallgemeinerungs-Problem" bezeichnet.

 

Das sind aber alles rein pragmatische Erwägungen, was für unser Sprechen angemessener und nützlicher ist. In der Sache selbst hingegen ist es, solange man das gleiche meint, schnurzpiepsegal, welchen Ausdruck man vorzieht. Es ist genauso irrelevant wie die Frage, ob ich Kupfer-Atome im Sinne einer Real- oder Nominal-Definition fasse, in der Sache selbst bedeutungslos ist. Wenn ich von einer Real-Definition ausgehe, lautet das Problem so:

 

"Wenn ich nur einen winzigen Bruchteil aller Kupfer-Atome untersucht habe, woher weiß ich dann, dass auch diejenigen, die ich nicht untersucht habe, die Eigenschaften habe, die ich in meine Definition aufnehmen will?"

 

Wenn ich von einer Nominal-Definition ausgehe, lautet die Frage:

 

"Wenn ich nur einen winzigen Bruchteil all jener Atome untersucht haben, die zu demjenigen Material gehören, das man im Sinne der Allags-Sprache als 'Kupfer' bezeichnet, woher weiß ich dann, dass auch all die Atome, die ich nicht untersucht habe, Kupfer-Atome im Sinne meiner Definition sind?"

 

Ich halte an dieser Stelle die Real-Definition für pragmatisch sinnvoller, aber in der Sache ist es komplett egal, welchen Weg man geht, denn das Problem ist genau das gleiche, nur anders formuliert! In beiden Fällen muss ich von genau der gleichen kleinen Teilmenge induktiv/verallgemeinernd auf genau die gleiche Gesamtheit schließen, mit genau dem gleichen induktiven Schluss! Die Unterschiede bestehen nur in der Semantik. (Schlecht wäre es nur, wenn man glauben würde, Sachprobleme lösen oder zur Seite schieben zu können, indem man an Definitionen "rumschraubt".)

 

vor 4 Stunden schrieb Marcellinus:

Wenn du meinst, es sei begründungsbedürftig, daß alle Kupferatome gleiche Eigenschaften haben, sagt das mehr über deine Philosophie als über Kupferatome.

 

Nur ist es logisch gesehen absolut möglich, dass nicht alle Kupfer-Atome gleich sind. Wenn wir dennoch davon ausgehen, dass alle Kupfer-Atome gleich sind, dann ist das entweder eine begründete oder eine unbegründete Überzeugung. Wenn es eine begründete Überzeugung ist - woran ich nicht zweifle -, dann ist es auch legitim, nach dem Grund zu fragen.

 

Deine Position läuft entweder auf einen Irrationalismus hinaus ("Es mag keinen rationalen Grund für meine Überzeugung geben, aber ich halte dennoch an ihr fest"). Oder sie spiegelt einfach Desinteresse wieder ("Was meine Überzeugung begründet, interessiert mich hier nicht"). Kann man gerne so halten, aber wenn andere wissen wollen, was ihre Überzeugung zu begründeten Überzeugungen macht, ist daran nichts Verkehrtes.

 

Zitat

Weil es die Begründung für etwas wäre, was wir sowieso schon wissen.

 

Auch wenn wir etwas wissen, können wir sinnvollerweise fragen, welche sachlichen Gründe existieren, die unser Wissen zu Wissen machen und es von unbegründeter Meinung abgrenzen.

 

Zitat

Spannender wäre, ob es Bedingungen gibt, unter denen sich Kupferatome anders verhalten, als sie es normalerweise tun. Aber das wäre dann ein praktisches Problem, und daran haben offenbar Philosophen kein Interesse. ;)

 

In der Tat wäre das eine physikalische Frage. Warum induktive Schlüsse gelten, auch wenn sie deduktiv betrachtet falsch sind, ist eine philosophische Frage. Was man wie spannend findet, ist eine Angelegenheit der subjektiven Präferenz. ;)
 

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vor 4 Minuten schrieb KevinF:

Wobei die fortdauernde Geltung der Naturgesetze natürlich gerade nicht beweisbar ist.

 

Nun, sie "funktionieren" seit ca. 13 Mrd. Jahren, wenn mich nicht alles täuscht, und sie werden es, wie es aussieht, auch noch weiter tun.

 

vor 4 Minuten schrieb KevinF:

Aber ohne diese Annahme funktionieren weder Alltag noch Wissenschaft.

 

Nun, der Alltag funktioniert auch ohne diese Annahme. Meine Katzen haben zB noch nie was von den Naturgesetzen gehört, und sie scheinen ihnen nicht zu fehlen. Wenn man dann noch berücksichtig, daß es für sie keine Definition gibt, wüßte ich nicht einmal, worin diese "Annahme" bestehen sollte als in der Wirtshausweisheit "es is halt, wie's ist". :D

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4 minutes ago, Marcellinus said:

Nun, der Alltag funktioniert auch ohne diese Annahme. Meine Katzen haben zB noch nie was von den Naturgesetzen gehört, und sie scheinen ihnen nicht zu fehlen.

 

Aber auch deren Gehirne gehen davon aus, dass sich die Gravitation nicht ändert.

 

Wie sonst sollten sie ihre Bewegungen steuern?

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vor 6 Minuten schrieb iskander:
vor 5 Stunden schrieb Marcellinus:

Wenn du meinst, es sei begründungsbedürftig, daß alle Kupferatome gleiche Eigenschaften haben, sagt das mehr über deine Philosophie als über Kupferatome.

 

Nur ist es logisch gesehen absolut möglich, dass nicht alle Kupfer-Atome gleich sind. Wenn wir dennoch davon ausgehen, dass alle Kupfer-Atome gleich sind, dann ist das entweder eine begründete oder eine unbegründete Überzeugung. Wenn es eine begründete Überzeugung ist - woran ich nicht zweifle -, dann ist es auch legitim, nach dem Grund zu fragen.

 

Siehst du, das sehe ich genau anders. Kupfer ist ein chemisches Element mit einer genauen Definition. Wenn es Elemente gibt, die dieser Definition nicht entsprechen, ist es kein Kupfer. Wenn es Kupfer-Varianten gibt, ist das auch wieder keine Glaubensfrage, sondern eine der Wissenschaften. Sprich, man muß sie finden und untersuchen. Du kannst es drehen und wenden wie du willst. Für die "Erkenntnis", daß Kupfer Kupfer ist, braucht es weder einen Grund noch eine Überzeugung. Es ist einfach nur eine Tatsache. Du könntest aber auch behaupten, Kupfer gäbe es gar nicht. Bei dem Beweis wünsche ich dir viel Vergnügen. Wenn du dagegen meinst, daß es für die Tatsache, daß eine Tatsache eine Tatsache ist, eine Begründung brauchst, dann ist das dein Problem, nicht meins.

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vor 7 Minuten schrieb KevinF:
vor 13 Minuten schrieb Marcellinus:

Nun, der Alltag funktioniert auch ohne diese Annahme. Meine Katzen haben zB noch nie was von den Naturgesetzen gehört, und sie scheinen ihnen nicht zu fehlen.

 

Aber auch deren Gehirne gehen davon aus, dass sich die Gravitation nicht ändert.

 

Wie sonst sollten sie ihre Bewegungen steuern?

 

Es ist noch viel schlimmer. Sie könnten sich nicht bewegen, ja es gäbe sie überhaupt nicht, wenn es in ihrem Körper nicht eine unendliche Zahl von chemischen Reaktionen gäbe, die seit den Jahrmillionen, die es Katzen gibt, immer wieder gleich ablaufen. Und zwar ohne, daß je ein Philosoph dafür die Genehmigung erteilt hätte. Völlig unbegreiflich, nicht wahr? ;)

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vor 1 Stunde schrieb KevinF:

Daraus folgt nicht, dass sie [die fortdauernde Geltung der Naturgesetze] a priori wahrscheinlicher ist als ihre Verneinung, aber mir reicht das trotzdem...

 

Nun, wenn meine Überlegungen berechtigt sind, wäre, solange kein Grund für das Gegenteil bekannt ist, diese Option nicht einmal wahrscheinlicher als eine beliebige aus einem Pool von unendlich vielen Alternativ-Annahmen. ;)

 

Mir scheint eine Position wie die Deine aber darauf hinauszulaufen, dass man "theoretisch" eine Überzeugung annimmt, die man im Herzen nicht wirklich glauben kann.

Wenn beispielsweise jemand wetten würde, dass die Naturgesetze morgen anders sind, würden wir das doch alle als irrational betrachten - und zwar ausgehend nicht von der Annahme, dass die Konstanz der Naturgesetze a priori so wahrscheinlich ist wie ihre Nicht-Konstanz (oder gar wie eine beliebige, konkrete Veränderung), sondern dass sie extrem wahrscheinlich ist.

Wenn wir aber eigentlich wissen, dass die Naturgesetze höchstwahrscheinlich noch morgen gelten werden - und wie gesagt zweifelt daran doch niemand wirklich, wenn es ernst wird - lohnt es sich m.E. auch nach den Gründen zu fragen.

 

vor 5 Stunden schrieb KevinF:

Aber im realen Leben kann ich mein Gehirn doch nicht in einen Zufallsgenerator umbauen.

 

Wenn G falsch ist, also besagte Invarianzen keinen Bestand haben, funktioniert doch die ganze unbewusste Steuerung nicht mehr.

 

Ich bin mir nicht sicher, ob ich Dich richtig verstehe. Meinst Du, dass das Gehirn einfach faktisch so arbeitet, dass wir von G (der Gleichförmigkeit) ausgehen? Hier würde der Induktions-Skeptiker - und in diesem Fall mit Recht - geltend machen, dass das kein Argument dafür ist, dass G richtig ist. Selbst wenn es sich bisher bewährt hat, dass das Gehirn sich auf eine bestimmte Weise verhält, würde nur unter Voraussetzung von G folgen, dass sich daraus ergibt, dass sich die Vorgehensweise des Gehirns auch in Zukunft bewähren wird.

 

vor 5 Stunden schrieb KevinF:

Wenn es nur um irgendwelche unerwarteten Varianzen geht (so dass der Alltag noch funktioniert):

 

Hier gibt es dann eben keine Begründung mehr.

 

Wenn es sich hier aber nicht um eine unmittelbar einsichtige Wahrheit handelt, würde dies jedoch darauf hinauslaufen, dass unsere Überzeugung von der Gleichförmigkeit eine unbegründete Überzeugung unter vielen ist - und das scheint kaum ein Gedanke zu sein, den wir ernst nehmen können. 

 

vor 5 Stunden schrieb KevinF:

Er scheint hinauslaufen auf 

 

"For it seems to me that a law whose scope is restricted to some particular period is more mysterious, inherently more puzzling, than one which is temporally universal. (Foster 2004)" 

(zitiert nach der verlinkten Enzyklopädie) 

 

Was so viel bedeutet wie: "Wir bevorzugen es, weil es schöner ist." 

(ich selbst hatte ja mit "vermeidet unnötige Komplexität" argumentiert, was ja aber auch wieder auf einen Zirkel hinausläuft...)

 

Ganz so hart würde ich es nicht formulieren, aber wir berühren hier m.E. in der Tat einen schwachen Punkt. (Man muss dabei natürlich im Hinterkopf behalten, dass die Argumentation hier nur sehr grob dargestellt wird.)

 

Aus meiner Sicht ist hier eine Fallunterscheidung vonnöten: Dass ein Gesetz (im weitesten Sinne verstanden) zeitlich und räumlich unbegrenzt gelten muss, und nicht nur für eine bestimmte Periode, ist in der Tat kaum etwas, was gut begründbar ist. Selbst wenn wir keine moderne Physik hätten, wäre beispielsweise die These, dass die Sonne in 20 Milliarden Jahren noch existiert, kaum als sicher anzusehen. Die These hingegen, dass sie noch morgen existiert, erscheint als extrem sicher (wenn natürlich auch nicht als absolut sicher).

 

Warum ist das so? Offenbar hat es damit zu tun, dass die Annahme, dass es eine Grenze selbst für einen ausgedehnten Zustand geben könnte, keineswegs so unplausibel ist.

Die Annahme hingegen, dass dann, wenn es wirklich eine Grenze für einen ausgedehnten Zustand gibt, diese gerade vor mir liegt, erscheint als sehr unplausibel.

 

Um es an einem Beispiel zu verdeutlichen: Stell Dir vor, Du bewegst Dich durch ein riesiges Waldgebiet, wie es das bei uns gar nicht mehr gibt. Du weißt, dass es irgendwo endet, aber Du weißt nicht wo. Wenn Du nun 20 Tage lang durch den Wald gelaufen bist und Du kein Ende siehst, wirst Du es wohl für sehr unwahrscheinlich halten, dass das Ende gerade in 100 Metern oder früher kommt. (Die Analogie ist nicht perfekt, denn Du weißt ja immerhin, dass der Wald irgendwo endet. Wenn Du das aber nicht wüsstest, würdest Du sicher ebenfalls eher die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass der Wald mal irgendwo endet als gerade vor Deiner Nase.) 

 

Man könnte es auch so formulieren: Wenn es ein bestimmtes, zeitlich und räumlich begrenztes Muster gibt, das sehr ausgedehnt ist, dessen Grenzen wir aber nicht kennen, dann erscheint es uns als sehr unwahrscheinlich, dass das Muster gerade eine solche Form hat, dass wir uns ausgerechnet ganz am Rand befinden.

 

Ich glaube mit anderen Worten, dass wir uns sehr schwer tun, allgemeine Gesetze, die immer und überall gelten, zu begründen, während es durchaus möglich ist zu begründen, dass die Gesetze die Milliarden Jahre lang gegolten haben, wahrscheinlich auch noch morgen, in tausend Jahren und in einer Million Jahren Geltung haben werden.

 

Allerdings ist das natürlich nur der grundsätzliche Gedanke. Hier müsste man natürlich genauer betrachten, von welchen Voraussetzungen solche Überlegungen abhängen und wie überzeugend diese wiederum sind - und da wird es dann durchaus diffiziler.

 

Bei alledem müssen wir uns auch im Klaren sein, dass eine Begründungskette nicht ins Unendliche zurückgehen kann, sondern an einen Punkt gelangen muss, an dem wir etwas einsehen müssen. Eine Einsicht muss nicht unbedingt Sicherheit mit sich bringen. In manchen Fällen wird man es aber immerhin erreichen, dass wir eine Annahme für überzeugend genug halten, um sie als sehr vernünftig zu akzeptieren und einen Zweifel als unvernünftig zu betrachten. Und wir sollten m.E die Begründungskette nicht vorzeitig abbrechen, sondern sie zurückverfolgen, soweit wir das können.

bearbeitet von iskander
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vor 46 Minuten schrieb Marcellinus:

Siehst du, das sehe ich genau anders. Kupfer ist ein chemisches Element mit einer genauen Definition. Wenn es Elemente gibt, die dieser Definition nicht entsprechen, ist es kein Kupfer.

 

Es ist völlig egal, ob wir fragen:

 

"Ist das, was uns als Kupfer erscheint und was wir noch vor jeder exakten wissenschaftlichen Definition im Alltag als 'Kupfer' bezeichnen, und zwar schon seit Jahrhunderten, tatsächlich Kupfer im Sinne der entsprechenden wissenschaftlichen Definition? Wie können wir das in dieser Allgemeinheit wissen, wenn wir es nur in ganz wenigen Fällen empirisch prüfen können?" 

 

Oder ob wir fragen:

 

"Trifft unsere Kupfer-Definition wirklich auf Kupfer im allgemeinen zu, auch wenn wir sie nur in wenigen Fällen getestet haben?"

 

In dem ersten Fall gehen wir von einer fixen Nominal-Definition aus, im anderen von einer Real-Definition, die an das fragliche Phänomen anpassbar ist. Aber wie gesagt hat der Unterschied nur mit unserer Sprechweise zu tun, und nichts mit der wirklichen Welt! Der Sache nach ist das Problem genau das gleiche und lautet:

 

"Wie können wir wissen, dass eine Allgemein-Aussage berechtigt ist, wenn wir nur in einem (winzigen) Teil der Fälle getestet haben, ob sie zutrifft?"

 

Zitat

Für die "Erkenntnis", daß Kupfer Kupfer ist, braucht es weder einen Grund noch eine Überzeugung.

 

Für diese Erkenntnis in der Tat nicht! Und wenn ich "Kupfer" so definiere, dass alles, was Kupfer ist, die Eigenschaft E haben muss, dann kann ich natürlich sagen:

 

"Wenn etwas (im Sinne meiner Definition) Kupfer ist, dann hat es auch die Eigenschaft E."

 

Das ist aber eine nichts-sagende Tautologie. Wir sprechen dann nicht über die Welt, sondern nur über unsere gedanklichen Konstruktionen - und selbst da sagen wir dann nur Uninteressantes. 

 

Wenn wir etwas über die wirkliche Welt sagen wollen - also beispielsweise über jenes rötlich schimmernde Material, das wie gemeinhin als 'Kupfer' zu bezeichnen pflegen, und darüber, welche Eigenschaften es hat - dann müssen wir uns dieses Material auch empirisch ansehen. Und wenn wir Allgemein-Behauptungen über die Eigenschaften dieses Materials aufstellen wollen, brauchen wir eben induktive Verallgemeinerungen. Und dabei ist es wie gesagt völlig egal, ob wir fragen: "Ist dieses ganze Material Kupfer im Sinne unserer (Nominal-)Definition?", oder ob wir fragen: "Trifft unsere (Real-)Definition dieses Material?"

 

Nicht die folgende Frage ist von Interesse:

 

"Warum hat Kupfer die Eigenschaft E, wenn ich den Begriff 'Kupfer' so definiere, dass Kupfer die Eigenschaft E hat?"

 

Sondern folgende Frage ist von Interesse - und im Zusammenhang mit unserer Diskussion relevant:

 

"Woher weiß ich, dass das fragliche rötlich schimmernde Material, um das es hier geht und welches wir in der realen Welt finden, tatsächlich die Eigenschaft E hat - wo wir das doch nur in ganz wenigen Fällen nachgeprüft haben?"

 

Wundert mich etwas, dass ich das sagen muss - wo ich sonst doch immer der verkopfte Philosoph bin, der nur in seinem reinen Denken und seiner empiriefreien Logik lebt. ;)

 

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@iskander

Mann, komm einfach auf den Punkt, und sag, was du sagen willst! Wenn ich dich richtig verstanden habe, braucht man, um sich in dieser Welt orientieren zu können, irgendeine philosophische Idee, die erst garantiert, daß diese Welt so funktioniert wie sie funktioniert. Ich dagegen behaupte, daß das Funktionieren dieser Welt Beweis genug dafür ist, daß diese Welt in einer Weise strukturiert ist, die man durch theoretisch-empirische Modelle nachprüfbar beschreiben kann.

 

Nur weil diese Welt strukturiert ist, konnten sich in ihr Sonnen, Galaxien, Planeten und sogar Leben entwickeln. All das braucht nämlich über unendlich lange Zeiträume stabile Strukturen. Wenn du also nach einer Antwort auf die Frage suchen solltest, warum die theoretisch-empirischen Wissenschaften sich praktisch bewährt haben, hier ist sie. Wenn du stattdessen immer noch nach der Antwort auf die Frage suchst, warum ein Tisch für uns ein Tisch ist, und woran man erkennt, daß er überhaupt existiert, empfehle ich die Anmeldung im nächsten philosophischen Seminar. Ich kann dir jedenfalls nicht helfen. 

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@iskander

Daran, daß diese Welt strukturiert ist, kann es aus meiner Sicht keinen vernünftigen Zweifel geben. Wenn du allerdings nach einer Antwort auf die Frage suchst, WARUM diese Welt strukturiert ist, dann kann ich dich nur an die Religionen verweisen. Die wissen es zwar auch nicht, aber zumindest glauben sie, sie wüßten es. ;)

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3 hours ago, iskander said:

Ich glaube mit anderen Worten, dass wir uns sehr schwer tun, allgemeine Gesetze, die immer und überall gelten, zu begründen, während es durchaus möglich ist zu begründen, dass die Gesetze die Milliarden Jahre lang gegolten haben, wahrscheinlich auch noch morgen, in tausend Jahren und in einer Million Jahren Geltung haben werden.

 

A priori nicht. A priori kannst Du immer sagen "Es könnte auch anders sein".

Und der Verweis auf Erfahrung führt zu einem Zirkel.

 

 

3 hours ago, iskander said:

Mir scheint eine Position wie die Deine aber darauf hinauszulaufen, dass man "theoretisch" eine Überzeugung annimmt, die man im Herzen nicht wirklich glauben kann.

 

Ich weiß nicht, ich muss hier an Wittgensteins Gedanken bezüglich der Regeln zur Verwendung eines Wortes  denken. Nach Wikipedia:

 

"

 

Unser Paradox war dies: eine Regel könnte keine Handlungsweise bestimmen, da jede Handlungsweise mit der Regel in Übereinstimmung zu bringen sei“ (PU 201).  Wittgensteins Lösung für dieses Problem ist folgende: Die Tatsache, dass es eine Menge von Möglichkeiten gibt, die Regel fortzusetzen, heißt nicht, dass wir uns bewusst für eine dieser Möglichkeiten entscheiden. Sie drängt sich uns vielmehr unmittelbar auf: „Wenn ich der Regel folge, wähle ich nicht. Ich folge der Regel blind.“ (PU 219). Ein theoretisch möglicher Zweifel hat praktisch in dieser Situation keinen Platz. „Es war, unter Umständen, ein Zweifel möglich. Aber das sagt nicht, dass ich gezweifelt habe oder auch nur zweifeln konnte“ (PU 213).

 

"

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Philosophische_Untersuchungen

 

 

 

 

 

 

bearbeitet von KevinF
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4 hours ago, Marcellinus said:

 

Es ist noch viel schlimmer. Sie könnten sich nicht bewegen, ja es gäbe sie überhaupt nicht, wenn es in ihrem Körper nicht eine unendliche Zahl von chemischen Reaktionen gäbe, die seit den Jahrmillionen, die es Katzen gibt, immer wieder gleich ablaufen. Und zwar ohne, daß je ein Philosoph dafür die Genehmigung erteilt hätte. Völlig unbegreiflich, nicht wahr? ;)

 

Skandalös ;)

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vor 4 Stunden schrieb Marcellinus:

@iskander

Mann, komm einfach auf den Punkt, und sag, was du sagen willst! 

 

Das sage ich doch die ganze Zeit in aller Deutlichkeit. Es geht mir nicht darum, in Zweifel zu ziehen, dass wir bestimmte Dinge wissen; ich meine nur, dass man in manchen Fällen durchaus fragen kann, woher wir wissen, was wir wissen. Ist das so schlimm? ;)

 

Zitat

Nur weil diese Welt strukturiert ist, konnten sich in ihr Sonnen, Galaxien, Planeten und sogar Leben entwickeln. All das braucht nämlich über unendlich lange Zeiträume stabile Strukturen.

 

Sicher. Aber damit ist die Frage noch nicht beantwortet, woher wir wissen, dass diese Strukturierung auch noch in der Zukunft existieren wird. Der Gedanke geht sicher in die richtige Richtung geht. Aber eine vollständige Antwort ist doch etwas komplizierter.

 

Zitat

Es ist noch viel schlimmer. Sie [Katzen]könnten sich nicht bewegen, ja es gäbe sie überhaupt nicht, wenn es in ihrem Körper nicht eine unendliche Zahl von chemischen Reaktionen gäbe, die seit den Jahrmillionen, die es Katzen gibt, immer wieder gleich ablaufen. Und zwar ohne, daß je ein Philosoph dafür die Genehmigung erteilt hätte. Völlig unbegreiflich, nicht wahr? ;)

 

Nun, Katzen können sich allerdings auch bewegen, ohne dass ein Zoologe die Genehmigung dazu erteilt hätte - und chemische Prozesse laufen auch ab, ohne dass sie vorher einen Chemiker gefragt hätten. ;)

 

Du Du stellst es gerne so hin, als würden die Philosophen meinen, dass sie unentbehrlich seien und kein Mensch sich im Alltag zurechtfinden oder gar Wissenschaft betreiben zu können, ohne sich vorher von Philosophen eine Lizenz abgeholt zu haben. Seltsamerweise ist mir nur kein einziger Philosoph bekannt, der solches je behauptet hätte.

 

Dennoch schreibst Du Dich gerne in einen heiligen Zorn, wenn Du an die geradezu atemberaubende Überheblichkeit der Philosophen denkst, zumal angesichts ihrer frappierenden Inkompetenz.

 

Ich habe mich immer wieder gefragt, wie Du zu solchen Überzeugungen gelangst; denn mit Sachkenntnis haben sie - verzeih wenn ich das sage - wenig zu tun. Außer einem Hinweis auf Popper und ein paar wilde Behauptungen kam das bisher nicht viel.

Dann habe ich Elias' Credo eine Metaphysikers gelesen, wo in der Tat ähnliche Kritik anklingt. So heißt es bei ihm:

 

"Erneut  stößt  man  hier  auf  den  Sachverhalt, daß Philosophen nach der Stellung von Gesetzgebern trachten, ohne klar und explizit für die unerläßli­hen Sicherungen gegen die Möglichkeit von Will­kürurteilen  zu  sorgen.  Wie  in  anderen  Fällen  ist der Gesetzgeber, dessen legislative Befugnis allein auf  seinem Anspruch beruht, verdächtig. Sollte man nicht auch in bezug auf die Philosophen fra­gen: Quis custodiet custodes? Wer oder was schützt uns vor der Willkür der Gesetzeshüter? Wenn der Philosoph  für  sich  die  Kompetenz  eines  Richters über die Gültigkeit wissenschaftlicher Entdeckun­gen reklamiert, wer beurteilt dann die Gültigkeit der Machtsprüche des Philosophen, seiner Ablei­tungen und der Auswahl der Axiome, von denen sie abgeleitet sind? Wenn Tatsachenbelege dem Wissenschaftsphilosophen nicht als Gewähr der Sicherheit und als Kontrolle gegen Willkür dienen - denn damit würde er zum Wissenschaftler -, was ist dann die nachprüfbare Quelle der Sicherheit seiner Befunde?"

 

Würde ein Außerirdischer das lesen, der sonst wenig über unseren Planeten weiß, so müsste er zum Schluss gelangen, dass die Philosophie in eine ähnliche Rolle ausübt wie weiland die Heilige Inquisition - oder eine solche zumindest anstrebt. Die Philosophen haben, so müsste man meinen, wohl ein verbindliches Regelbuch veröffentlicht, in welchem steht, was Wissenschaftler tun dürfen und was nicht. Wer als Wissenschaftler seine Ergebnisse veröffentlichen will, würde man vermuten, muss sie zuerst einmal einem von Philosophen besetzten Wächter-Rat vorlegen, der über sie urteilt. Dabei nehmen die Philosophen offenbar willkürlich angenommene Axiome zum Maßstab, an denen sie die Resultate der Wissenschaft unsachgemäß beurteilen.

Und manch einer scheint diese Aussagen dann auch noch so zu verstehen, als würden Philosophen mit einer völlig ungeeigneten "axiomatischen" Methode das gleiche tun wollen wie die empirischen Wissenschaftler.

 

Kommen wir zum ersten Punkt: Wie sieht dieser "Machtanspruch" der Philosophen in der Praxis aus? Haben sie eine Art Zensurbehörde eingerichtet? Versuchen sie, Wissenschaftler, deren Ergebnisse nicht mit ihren Ansichten übereinstimmt, mundtot zu machen? Versuchen sie mit zielgerichteten Kampagnen, die Arbeit der Wissenschaften zu beeinflussen?

 

Nein, nichts von alledem. Nicht die Spur. Das Äußerste, was man einem Philosophen vorwerfen kann, ist, dass er eine fragwürdige Meinung zu Teilaspekten der Wissenschaft hat und diese auch äußerst.

 

Das also sind die "Machtansprüche", die die Philosophie in ihrem angemaßten Amt des "Gesetzgebers" und "Richters" gegenüber der Wissenschaft geltend macht. Das also macht Philosophen zu "Gesetzeshütern" - womit die Philosophie dann Legislative, Exekutive und Judikative in einem wäre (oder zumindest nach diesem Status trachtet). Hierin also wurzelt die die Gefahr durch "Willkür" der Philosophen - einer "Willkür", die zu der Frage Anlass gibt, wer die Philosophen denn genau so "bewacht", wie sie die Wissenschaftler "bewachen". All diese Übel, all diese Anmaßung und all diese Machtansprüche bestehen darin dass Philosophen  - Trommelwirbel - ihre persönlichen Meinungen kundtun. Meinungen, die ein jeder ganz nach Belieben und ohne den Hauch einer negativer Konsequenzen ignorieren kann.

 

Und ja, die Frage, ob bzw. wieso induktive Schlüsse gültig sind, wird von der Philosophie nicht einfach als empirisch zu klärende Tatsachenfrage aufgefasst. Wer meint, sie empirisch beantworten zu können, der mag seine Erkenntnisse der Welt mitteilen. Nur hat das bisher niemand (mit Erfolg) getan, auch in unserer Diskussion nicht. Und auch Elias tut das nicht. Elias stellt fest, dass eine empirische Analyse höchstwahrscheinlich ergeben würde, dass die Wissenschaft faktisch die Induktion benutzt. Das ist auch ein wichtiger Umstand, der zu denken geben sollte. Die Frage, ob induktive Schlüsse faktisch benötigt werden - oder gar die, und ob und sie zu rechtfertigen sind -, ist damit allerdings noch nicht beantwortet.

 

Und auch Popper setzt die Ablehnung der Induktion nicht einfach als willkürliches Axiom an, sondern begründet sie. In der Logik der Forschung schreibt er:

 

"Ein solches Induktionsprinzip kann keine logische Tautologie, kein analytischer Satz sein: Gäbe es ein tautologisches Induktionsprinzip, so gäbe es ja gar kein Induktionsproblem, denn die induktiven Schlüsse wären dann, genau wie andere logische (deduktive) Schlüsse, tautologische Umformungen. Das Induktionsprinzip muß demnach ein synthetischer Satz sein, ein Satz, dessen Negation nicht kontradiktorisch (logisch möglich) ist […]"

 

Und dann:

 

"Wir müßten ja, um das Induktionsprinzip zu rechtfertigen, induktive Schlüsse anwenden, für die wir also ein Induktionsprinzip höherer Ordnung voraussetzen müßten usw. Eine empirische Auffassung des Induktionsprinzips scheitert also daran, daß sie zu einem unendlichen Regreß fuhrt."

 

Zudem erläutert Popper, wieso er auch die Kantische Lösung verwirft. Popper begründet seine Überzeugung, dass die Induktion kein gültiges Verfahren sei, also damit, dass es für sie keine vernünftige Begründung gebe (und man die Induktion auch nicht benötige).

 

Wie dargelegt halte ich das für falsch, aber eine tragfähige Lösung ist nicht so offensichtlich. Und man wird Popper zugutehalten müssen, dass er nicht einfach aus einer philosophischer Willkür heraus das "Axiom" verkündet hat, dass die Induktion nicht zu rechtfertigen sei, sondern in einer Weise begründet hat, die auch sehr viele Naturwissenschaftler überzeugt hat. (Nicht, dass sie sich mit Popper selbst zwingend befasst hätten; es geht um die Argumente.)

 

Und auch ein gewisser Mr. Marcellinus scheint zumindest früher der Meinung gewesen zu sein, dass man die Induktion in dem Sinne, in dem Popper sie ablehnt und in dem Elias ihn für diese Ablehnung kritisiert, nicht brauche; so wie seine (zumindest damalige) Auffassung ohnehin der Popperschen sehr nahezukommen scheint:

 

Am 5.2.2024 um 11:00 schrieb Marcellinus:

Induktion als philosophisches Konzept als Schluß vom Speziellem auf Allgemeines ist gilt selbst in der Philosophie als nicht begründet. Was willst du also an dieser Stelle von mir? In den Wissenschaften gibt es Synthese und Analyse, einmal das Zusammenfassen von Einzelbeobachtungen zu einem Modell von Zusammenhängen, und zum anderen die Überprüfung, ob dieses Modell den Beobachtungen standhält. Das eine gibt es nicht ohne das andere, und hat mit Philosophieren nichts zu tun. 

 

Auf die Gründe, die Popper zur Ablehnung der Induktion veranlassen, geht Elias nicht ein. Für ihn stellt sich im Zusammenhang mit "Induktion" offenbar nur die empirisch entscheidbare Frage, ob die Wissenschaften tatsächlich mit der Induktion arbeiten oder nicht. Die Tatsache, dass es auch aus den Reihen der Philosophie genügend Kritik an Popper gab, kommt bei ihm nicht vor. Ebensowenig wie der Umstand, dass Popper - bei aller berechtigten Kritik - auch eine gewisse Nützlichkeit hat, oder dass jedenfalls viele Naturwissenschaftler das so zu sehen scheinen. Siehe etwa:

https://www.newscientist.com/people/karl-popper/

https://chadorzel.com/?p=341

 

Ich zweifle nicht an Elias' Redlichkeit, aber womöglich hat es ihm beim Thema "Popper" dann doch etwas an kritischer Distanz gefehlt. Ein Zeitzeuge berichtet:

 

"Norbert Elias hated Karl Popper. He hated him with an intensity that in most people would indicate some personal animosity arising from some unpleasant face-to-face encounter. [...] As we walked through freezing fog to a rural bus stop, I had one of my first experiences of Elias’s practice of peripatetic sociology. He and Joop and I fell into conversation about theories of science. I ventured to remark that perhaps the gulf between Norbert’s views and at least the later work of Karl Popper was not so great. There was a huge eruption from Norbert. This was the first time I saw him ‘go nuclear’. He was most offended."

 

Der Hauptbeweisgrund für Elias' These vom angeblichen Bestreben der Philosophen, sich als Gesetzgeber, Richter und Wächter der Wissenschaften in einem aufzuspielen, ist am Ende also die von Popper - ebenso wie vielen Wissenschaftlern - vertretene Meinung, dass die Induktion nicht gültig und auch nicht nötig sei. Das ist dann vielleicht doch etwas wenig... ;)

 

Und speziell zum Thema "Machtansprüche" sei noch angemerkt, dass es nicht die Philosophie ist, die meint, der Sache nach die Soziologie ersetzen zu können. Es ist Elias, der offenkundig glaubt, die Philosophie könne durch die Soziologie ersetzt werden. Dabei sind die Fragestellungen doch ganz andere, und genau das wird eben wie ausgeführt gerade bei der Lektüre von Elias' Texten klar.

bearbeitet von iskander
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54 minutes ago, KevinF said:

 

A priori nicht. A priori kannst Du immer sagen "Es könnte auch anders sein".

Und der Verweis auf Erfahrung führt zu einem Zirkel.

 

 

 

Ich weiß nicht, ich muss hier an Wittgensteins Gedanken bezüglich der Regeln zur Verwendung eines Wortes  denken. Nach Wikipedia:

 

"

 

Unser Paradox war dies: eine Regel könnte keine Handlungsweise bestimmen, da jede Handlungsweise mit der Regel in Übereinstimmung zu bringen sei“ (PU 201).  Wittgensteins Lösung für dieses Problem ist folgende: Die Tatsache, dass es eine Menge von Möglichkeiten gibt, die Regel fortzusetzen, heißt nicht, dass wir uns bewusst für eine dieser Möglichkeiten entscheiden. Sie drängt sich uns vielmehr unmittelbar auf: „Wenn ich der Regel folge, wähle ich nicht. Ich folge der Regel blind.“ (PU 219). Ein theoretisch möglicher Zweifel hat praktisch in dieser Situation keinen Platz. „Es war, unter Umständen, ein Zweifel möglich. Aber das sagt nicht, dass ich gezweifelt habe oder auch nur zweifeln konnte“ (PU 213).

 

"

https://de.m.wikipedia.org/wiki/Philosophische_Untersuchungen

 

 

 

 

 

 

 

Hume scheint dies übrigens ähnlich gesehen zu haben:
 
" Another option here is to think that the significance of the problem of induction is somehow restricted to a skeptical context. Hume himself seems to have thought along these lines. For instance he says:
 
    Nature will always maintain her rights, and prevail in the end over any abstract reasoning whatsoever. Though we should conclude, for instance, as in the foregoing section, that, in all reasonings from experience, there is a step taken by the mind, which is not supported by any argument or process of the understanding; there is no danger, that these reasonings, on which almost all knowledge depends, will ever be affected by such a discovery. (E. 5.1.2)
 
...The problem of induction then must be seen as a problem that arises only at the level of philosophical reflection."
 
 
https://plato.stanford.edu/entries/induction-problem/#LiviInduSkep

 

Streich die Philosophie und die Probleme verschwinden ;)

 

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