iskander Geschrieben 3. Oktober Melden Share Geschrieben 3. Oktober (bearbeitet) Am 25.9.2024 um 12:12 schrieb Marcellinus: Dagegen bin ich der Ansicht, daß nachprüfbares Wissen nur da entsteht, wo Theorien an der beobachtbaren Wirklichkeit getestet werden. Das bedeutet, daß ein Modell, für das es keine beobachtbaren Belege gibt, Spekulation, Fantasie ist. Wenn wir "nachprüfbar" nicht als "empirisch nachprüfbar" lesen sollen, dann stellt sich die Frage, wie diese Ansicht begründet sein soll. Denn bisher hast Du diese These zwar oft wiederholt - eine Begründung hast Du aber noch nicht geliefert. Mehr noch: Deine These scheint überhaupt nicht im empirischen Sinne begründbar oder auch nur prüfbar zu sein - so dass sie nach Selbstaussage nichts anderes wäre als Fantasie und Spekulation. Die Tatsache, dass Deine Aussage ein hohes Abstraktionsniveau besitzt - was übrigens auch auf viele philosophische Aussagen zutrifft - bedeutet ja nicht, dass sie selbstwidersprüchlich begründet sein dürfte. Daher folgende konkrete Fragen: 1. Wie begründet Du Deine Position? 2. Wie vermeidest Du den Selbstwiderspruch? (3. Zusatzfrage: Was unterscheidet Deine Position eigentlich grundsätzlich von inhaltlich ganz ähnlichen Positionen wie dem radikalen Empirismus oder logischen Positivismus, die von Philosophen geäußert wurden? Wenn die Antwort "nichts" oder "nicht viel" lautet, würdest Du ja gar nicht die Philosophie "in toto" kritisieren, sondern bestimmte philosophische Auffassungen im Namen konkurrierender philosophischer Auffassungen.) Am 25.9.2024 um 12:12 schrieb Marcellinus: Problematisch wird es, wenn ein Fach für sich in Anspruch nimmt, "wahre" Aussagen zu tätigen, die ausdrücklich ohne empirische Belege daherkommen. Das schafft sonst eigentlich nur die Theologie, die aber zumindest so ehrlich ist, zuzugeben, daß sie auf Glauben beruht. Erneut: Worin unterscheidet sich diese Deine erkenntnistheoretische Position von anderen erkenntnistheoretischen Positionen vom gleichen Abstraktionsgrad, wie sie in der Philosophie vertreten werden? Warum ist Deine eigene Auffassung offenbar mehr als "Glaube"? Deine erkenntnistheoretische Position lässt sich empirisch doch genauso so wenig testen wie (gleichlautende oder entgegengesetzte) erkenntnistheoretische Positionen, die von Philosophen geäußert werden, oder? Am 26.9.2024 um 15:43 schrieb Marcellinus: Die Philosophie, so wie sie hier dargestellt wird, kümmert sich seitdem um Fragen, die sich empirisch nicht belegen lassen. Diese Fragen, für die es keine empirischen Belege gibt, haben es daher an sich, daß sie sich mehr am Subjekt, der Person des Fragenden, seinen Wünschen und Bedürfnissen orientieren, also in hohem Maß (wenn nicht ausschließlich) subjektiv sind. Das Wörtchen "daher" im Satz "Diese Fragen, für die es keine empirischen Belege gibt, haben es daher an sich..." ist genau der springende Punkt: Warum gilt, dass aus dem Fehlen empirischer Belege die Unmöglichkeit von Wissen folgen soll? Wie lässt sich diese Unmöglichkeit begründen - ohne, dass man sie implizit schon wieder vorausgesetzt hat? Wieso gilt die mit dem Wörtchen "daher" nur behauptete Folge-Beziehung? Eine Begründung für Deine erkenntnistheoretische Überzeugung lieferst Du auch an dieser Stelle nicht, sondern Du wiederholst diese Überzeugung einfach in anderen Worten und erläuterst sie bestenfalls etwas näher. Zudem stellt sich erneut die folgende Frage: Falls Du recht hast, wieso soll das Gesagte dann nicht auch vollumfänglich für Deine eigene erkenntnistheoretische Position gelten - die sich ja auch nicht empirisch belegen lässt? Wieso ist Deine eigene Position dann mehr als als der rein subjektive Ausdruck Deiner Wünsche und Bedürfnisse? Denn es hat doch ganz den Anschein, dass Deine Äußerungen über das menschliche Erkenntnisvermögen mit seinen Möglichkeiten und Grenzen eine echte Einsicht darstellen soll, wie sich die Dinge tatsächlich verhalten - und nicht einfach nur eine Fantasie, die man ins Regal mit den Märchenbüchern stellen kann? (Zu Deinen philosophiehistorischen Äußerungen habe ich andernorts schon Stellung genommen, so dass ich das hier, um die Diskussion nicht zu sehr zu zerfasern, lassen möchte.) Am 26.9.2024 um 15:43 schrieb Marcellinus: Ihr Kritierium ist nicht die empirische Belegbarkeit, sondern die subjektive Glaubwürdigkeit, die allerdings ihrerseits auf den jeweiligen theoretischen, weltanschaulichen Grundannahmen beruht, letztlich eine Frage des, wenn auch nicht notwendig religiösen, Glaubens ist. Abgesehen erneut davon, dass das wieder keine Begründung Deiner These ist, sondern im Wesentlichen nur ihre Wiederholung in anderen Worten: Was ist dann das Kriterium Deiner erkenntnistheoretischen Position? Warum ist Deine Position allem Anschein nach entsprechend Deiner Überzeugung mehr als ein willkürlicher Glaube? Lässt sie sich empirisch besser beweisen als alternative (oder auch gleichlautende) philosophische Positionen? Falls nicht - hat sie einen Sonderstatus? Sollte Deine These beispielsweise auch ohne empirische Prüfung allein durch ein informiertes vernünftiges Nachdenken in ihrer Richtigkeit erkennbar sein - obwohl doch sonst ein solches Nachdenken zu nichts anderem führen soll als zu Illusion und Fantasie? Am 26.9.2024 um 15:43 schrieb Marcellinus: Um ein konkretes (aber eben nicht praktisches) Beispiel zu nennen: die "Philosophie des Geistes". Sie setzt eben voraus, daß man an so etwas wie einen "Geist" glaubt. Wenn nicht, sagt einem das alles nichts. Das ist nun tatsächlich ein gutes Beispiel - aber nicht für die Richtigkeit Deiner Überzeugungen über die Philosophie, sondern für meine These, dass ein Großteil Deiner Kritik an der Philosophie auf Missverständnissen beruht und sich bei gründlicherer Kenntnis auflösen würde. Die Wikipedia ist zwar nicht immer der Weisheit letzter Schluss, aber in diesem Fall darf ich sie mit relativ guten Gewissen zitieren: "Die Philosophie des Geistes ist ein Teilgebiet der Philosophie, das sich mit der Natur des Geistes und seiner Zustände, ihren Wirkungen und Ursachen beschäftigt. Zentral ist dabei die Frage nach dem Verhältnis von geistigen und körperlichen Zuständen. [...] In der modernen Fachsprache wird nicht zwischen „Geist“ und „Seele“ unterschieden. Vielmehr umfasst hier der Begriff Geist – wie englisch mind – sowohl Bewusstsein und Denken als auch emotionale und andere psychische Funktionen. Entsprechend sind die gleichbedeutenden Adjektive geistig und mental – wie englisch mental – nicht von seelisch (oder psychisch) zu trennen, sondern schließen dies mit ein." https://de.wikipedia.org/wiki/Philosophie_des_Geistes Und zum Geist: "Man kann grob zwischen drei Bedeutungen des Begriffs „Geist“ unterscheiden: Allgemeinsprachlich steht geistig für die kognitiven Fähigkeiten des Menschen, während Geist meist ein Synonym für die individuelle menschliche Psyche (Wahrnehmung, Gefühl, Bewusstsein, Denken, Erinnerung, Motivation, Konzentration, Kreativität, Träume und vieles mehr) ist. In Wissenschaft und Philosophie wird die Bezeichnung Geist unterschiedlich und oft im Sinne der allgemeinsprachlichen Bedeutung verwendet. Wenn es um das Verhältnis zum Körperlichen geht, handelt es sich oftmals um einen Oberbegriff für jegliche Formen subjektiver Innerlichkeit von Lebewesen oder – je nach philosophischer Denkrichtung – darüber hinaus. Mit religiösen Vorstellungen von einer Seele bis hin zu Jenseitserwartungen verknüpft, umfasst Geist die oft als spirituell bezeichneten Annahmen einer nicht an den leiblichen Körper gebundenen, nur auf ihn einwirkenden reinen oder absoluten, transpersonalen oder gar transzendenten Geistigkeit, die als von Gott geschaffen oder ihm gleich oder wesensgleich, wenn nicht sogar mit ihm identisch gedacht wird. Heiliger Geist wird in der christlichen Vorstellungswelt dagegen der „Geist Gottes“ genannt, der als Person der göttlichen Dreieinigkeit verstanden wird." So ist es: "Geist" im Sinne der Philosophie des Geistes ist erst einmal nichts anderes als das bewusste "mentale" Leben, das uns allen aus eigener Erfahrung her bekannt ist. Das ist die Ausgangsbasis von allem. Und die Frage lautet hier: Wie verhält sich dieses bewusste Leben zur Welt der Physik, zu der es offenkundig in enger Beziehung steht, von der er aber - zumindest prima facie - nicht einfach in der gleichen Weise ein Teil ist wie ein Gehirn(prozess)? bearbeitet 3. Oktober von iskander Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Marcellinus Geschrieben 3. Oktober Melden Share Geschrieben 3. Oktober vor einer Stunde schrieb iskander: Am 25.9.2024 um 12:12 schrieb Marcellinus: Dagegen bin ich der Ansicht, daß nachprüfbares Wissen nur da entsteht, wo Theorien an der beobachtbaren Wirklichkeit getestet werden. Das bedeutet, daß ein Modell, für das es keine beobachtbaren Belege gibt, Spekulation, Fantasie ist. Wenn wir "nachprüfbar" nicht als "empirisch nachprüfbar" lesen sollen, dann stellt sich die Frage, wie diese Ansicht begründet sein soll. Denn bisher hast Du diese These zwar oft wiederholt - eine Begründung hast Du aber noch nicht geliefert. Doch, habe ich! Und wenn du nicht liest, was ich schreibe, kann ich mir weitere Bemerkungen wohl sparen. Es sei denn, ich vergaß: du bist ja Philosoph, und als solcher heißt "begründet" wohl "philosophisch begründet". Da hast du natürlich Recht. Eine solche Begründung habe ich nicht geliefert, und werde ich auch nicht. Kleine Hausaufgabe: Überleg mal, woran das liegen könnte. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Marcellinus Geschrieben 3. Oktober Melden Share Geschrieben 3. Oktober Ein kleiner Nachtrag Zum Thema "Emergenz" und "Physikalischem Reduktionismus": Der Physiknobelpreisträger Robert B. Laughlin schreibt in seinem Buch "Abschied von der Weltformel": "Mein spezieller Wissenszweig, die theoretische Physik, befaßt sich mit den ersten Ursachen der Dinge. […] Ich habe den Verdacht, es handelt ich hier um ein atavistisches, vor langer Zeit in Afrika erworbenes Merkmal, daß dem Überleben in einer physischen Welt diente, in der es tatsächlich Ursachen und Wirkungen gibt […]. Wir sind dazu konstruiert, nach kausalen Zusammenhängen zwischen den Dingen zu suchen und tiefe Befriedigung dabei zu empfinden, wenn wir eine Regel mit einer Reihe daraus entspringender Implikationen entdecken." Von der Entstehung der ersten Wasserstoffatome über die Entwicklung der übrigen Elemente, die Entstehung von Sonne, Sonnensystemen und Galaxien bis zur Entstehung des Lebens auf unserem Planeten, immer entstanden neue Objekte durch die Anordnung vorhandener, und es entstanden neue Eigenschaften, die sich aus diesen Anordnungen ergaben und nicht vollständig auf die Eigenschaften der einzelnen Objekte zurückgeführt werden können, die sie bilden. "Leider sind dem Ausdruck Emergenz einige Bedeutungen zugewachsen, die für unterschiedliche Dinge stehen, darunter übernatürliche Erscheinungen, die physikalischen Gesetzen nicht unterworfen sind. […] Ich verstehe darunter ein physikalisches Ordnungsprinzip. […] Die Fähigkeit bestimmter Metalle, magnetische Felder genau dann abzustoßen, wenn man sie auf sehr tief Temperaturen abkühlt, fesselt […] unser Interesse, weil die einzelnen Atome, aus denen das Metall besteht, dazu nicht in der Lage sind." So stellt dieses Universum eine interdependente Hierarchie der Abstammung von Eigenschaften dar. Auf jeder Ebene bilden diese Objekte Eigenschaften, die wir in Modelle fassen können, ohne die Eigenschaften aller Bestandteile zu kennen, aus denen sie bestehen. So können Astronomen die Bahnen der Planeten wissenschaftliche berechnen, ohne genau zu wissen, woraus die einzelnen Planeten bestehen und Soziologen den abendlichen Stau in einer Großstadt, ohne die einzelnen Fahrer zu kennen, die diesen Stau bilden. "Demnach ist die Tendenz der Natur, eine hierarchische Gesellschaft physikalischer Gesetze zu bilden, weit mehr als ein Thema für akademische Debatten. Sie ist der Grund, weshalb die Welt erkennbar ist. Sie macht die grundsätzlichen Gesetze erster Ordnung, welche das auch sein mögen, bedeutungslos und bewahrt uns davor, von ihnen tyrannisiert zu werden. Aufgrund dieser Tendenz können wir leben, ohne die ultimativen Geheimnisse des Universums zu verstehen. […] Während wir in das Zeitalter der Emergenz übergehen, lernen wir, den gesunden Menschenverstand zu akzeptieren; wir lassen die Gewohnheit hinter uns, die organisatorischen Wunder der Natur zu trivialisieren, und wir akzeptieren, daß die Ordnung an und für sich bedeutsam ist.- in manchen Fällen sogar der bedeutsamste Sachverhalt. Die Gesetze der Quantenmechanik, die Gesetze der Chemie, die Gesetze des Stoffwechsels und die Gesetze der Häschen, die in den Innenhöfen meiner Universität vor Füchsen flüchten, gehen alle auseinander hervor, doch es sind die Gesetze der letzten Gruppe, die am Ende für das Häschen zählen.“ Auch wenn es manchen Philosophen nicht schmeckt, es gibt keine theoretisch-philosophischen "Axiome", auf denen die Wissenschaften beruhen, Glaubenssätze, die je nach persönlichem Geschmack auch ganz anders sein könnten. (Nein, auch der "methodische Naturalismus" ist keine ideologische Entscheidung, nur Ausdruck der Erfahrung, daß Supranaturalismus keine nachprüfbare Erklärung liefert.) Deshalb sind es auch nicht die Wissenschaftler, die miteinander über unterschiedliche "Ontologien" streiten. „Vom reduktionistischen Standpunkt aus ist physikalische Gesetzmäßigkeit der Impuls, der das Universum antreibt. Sie kommen von nirgendwoher und schließen alles in sich ein. Aus der Sicht der Emergenztheorie stellt physikalische Gesetzmäßigkeit eine Regel kollektiven Verhaltens dar.Sie ist eine Folge ursprünglicher, darunterlegender Verhaltensregeln (obwohl sie das nicht hätte sein müßen), und sie gibt einem die Möglichkeit, innerhalb eines beschränkten Rahmens von Bedingungen Vorhersagen zu treffen. Außerhalb dieses Rahmens wird sie bedeutungslos und durch andere Regeln ersetzt, die innerhalb einer Hierarchie der Abstammung entweder ihre Kinder oder ihre Eltern sind. Keine dieser Sichtweisen kann aufgrund von Fakten die Oberhand über die andere gewinnen, weil beide auf Tatsachen gegründet […] sind.“ (Abschied von der Weltformel, S. 126f) Es geht auch nicht um die Frage, ob man "Reduktionist" sei, oder nicht. Entscheidend ist, ob ein wissenschaftliches Modell die beobachtbaren Tatsachen besser als andere Modelle beschreibt. Wenn man dieses Modell auf eines niedrigerer Ordnung reduzieren kann, und es dabei einfacher und einsichtiger wird, umso besser. Notwendig für die wissenschaftliche Arbeit ist eine solche philosophische Debatte nicht (wie andere philosphische Debatten auch nicht). Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Marcellinus Geschrieben 3. Oktober Melden Share Geschrieben 3. Oktober Wo ich gerade mal so schön im Schwung bin: Ontologie als Weltanschauung Der Ausgangspunkt ist hier das Stichwort "Ontologie", die Vorstellung, man könne sich nur dann sachgerechte Aussagen über diese Welt machen, wenn man eine philosophische Grundlage habe, auf der diese Aussagen beruhen, meistens noch dekoriert mit der Vorstellung, jeder habe eine, ob eingestanden oder nicht. Diese Vorstellung wiederum ergibt sich aus der Suche danach, was wir sicher wissen können, eine Art archimedischen Punkt des Geistes. Exemplarisch können dafür René Descartes, David Hume, Immanuel Kant und Karl Popper stehen. Descartes, der die einzige Gewißheit im Zweifel am eigenen Denken fand. Hume, der feststellte, die Gewohnheit der Menschen, aus beobachteten Ursache-Folgen-Beziehungen auf eine allgemeine Kausalität zu schließen, sei nicht aus den Erfahrungen der Menschen zu rechtfertigen. Kant, der diese Gewohnheit der Menschen zu einem a priori der menschlichen Vernunft erklärte. Popper schließlich, der jede Form induktiver Beweise ablehnte, und nur zwischen falsifizierten und noch nicht falsifizierten Theorien unterschied, womit jeder Beweis auf rational nicht begründbaren Voraussetzungen beruhe, eben jener ominösen Ontologie. "Philosophie in der Tradition Descartes ist vor allem eine Philosophie des Zweifels."[1] Dieser Zweifel beherrscht die Philosophie der letzten mehr als 300 Jahre. Wie geht das zusammen mit der Tatsache, daß die Menschen genau in der gleichen Zeit einen sich stetig beschleunigenden Prozeß des Zuwachses an realistischem Wissen durchmachen? Nicht nur können die Menschen die Bahnen von Himmelskörpern berechnen, sondern im Falle des Mondes auch auf ihm landen und spazieren gehen. Ihr medizinisches Wissen erlaubt ihnen nicht nur, Krankheiten zu erklären, sondern wie zB im Falle der Pocken fast zum Verschwinden zu bringen. Sie verstehen nicht nur die Prinzipien der biologischen Evolution, sondern können sogar in die Entwicklung von Pflanzen und Tieren planmäßig eingreifen, mit allerdings oftmals ungeplanten Folgen. Das alles wäre ohne einen hohen Realitätsbezug dieses Wissens nicht möglich. Woher also die fortgesetzten, ja sogar zunehmenden Zweifel an der Möglichkeit realistischen Wissens überhaupt? Vielleicht liegt es einfach an der falschen Fragestellung? Hume, Kant wie Popper haben sich in der Tradition Descartes die Frage gestellt, wie "der" einzelne Mensch zu seinen Erkenntniskategorien und zu seinem Wissen, seinen Erkenntnissen kommt. Nur ist das Subjekt der Erkenntnis eben nicht "der" einzelne Mensch, sondern die Gesellschaften der Menschen. Es beginnt damit, daß wir nur denken können, wofür wir auch Worte, Begriffe und Symbole haben, und wir darauf angewiesen sind, sie von älteren Menschen zu erlernen, die diese Sprache schon sprechen, und ihrerseits als Kinder erworben haben. Wenn wir als Kind das Symbol "Wolf" erlernen, dann lernen wir nicht nur, diese Laute zu formen, sondern damit eben auch eine Bedeutung zu verbinden, und ein bestimmtes Gefühl, eine Einstellung, im Guten wie im Bösen und ein Maß an Engagement oder Distanzierung. Aus all den Symbolen, aus denen unsere jeweilige Sprache besteht, und ihrer inhaltlichen und gefühlsmäßigen Bedeutung bildet sich unser Habitus, unsere Einstellung zu dieser Welt. Unsere Sprache, unser Denken und damit unsere gedanklichen Vorstellungen, von denen unser Wissen ein Teil ist, beruhen auf den sprachlichen Symbolen, die die Menschheit als Ganzes im Laufe ihrer Entwicklung hervorgebracht und verändert hat. Das, was Kant als transzendentale Voraussetzung, das a priori unserer Erkenntnis nannte, die Suche nach unpersönlichen Ursache-Wirkungsbeziehungen in der außermenschlichen Natur, war ein Habitus seiner Zeit, den die Menschen sich mühsam genug hatten erarbeiten müssen, und der ihm nur deshalb so selbstverständlich erschien, weil er damit aufgewachsen war. Die Suche nach einer unbezeifelbaren Grundlage, einem a-priori unseres Denkens, ist einfach eine Fehltheorie, ein Irrtum, eine Illusion, weil es einen solchen absoluten Anfang nicht gibt, sowenig wie es einen absoluten Anfang der physikalischen Welt oder des biologischen Lebens gibt. Diese Suche nach einer absoluten Grundlage unserer Gedanken ist eigentlich nur die säkularisierte Version der Suche nach einem "Schöpfer", eine Weltanschauung, die zwar kein Problem löst und keine Frage beantwortet, aber offenbar ein gutes und sicheres Gefühl vermittelt, bzw. ein Gefühl der Unsicherheit, wenn es fehlt. Jedes a-priori ist ein a-posteriori der Menschen, die vor uns kamen. Dabei gibt es ja nicht eine Ontologie, eine Lehre vom „Sein“ und den „Grundstrukturen der Wirklichkeit“, sondern viele, viele. Diese Weltanschauung trägt offenbar überhaupt nicht zum Gewinn größerer Gewißheit bei, sondern die Vertreter unterschiedlicher „Ontologien“ stehen sich nur verständigungslos gegenüber. Und es gibt da noch ein Problem. Die Behauptung, es gäbe eine, universelle „Grundstruktur der Wirklichkeit“, ist eben nur das, eine Behauptung, die aber nicht mehr überprüfbar ist, wenn man sie zum weltanschaulichen a-priori erklärt. Wenn es dagegen stimmt, daß es gar kein a-priori unserer gedanklichen Bemühungen gibt, daß jede Generation ihre Symbole, mit denen sie sich in dieser Welt orientiert, von denen erlernt, die vor ihnen waren, sie mit diesen Symbolen in dieser Welt Erfahrungen machen, den Symbolgehalt an diese Erfahrungen anpassen, oder neue Symbole entwerfen, dann entsteht auf einmal ein ganz anderes, realistischeres Bild von der Entwicklung menschlicher Orientierungswerkzeuge. Dann sieht man auf einmal nicht mehr den einzelnen „Denker“, der beziehungslos gewissermaßen bei Null beginnt, und auf der Grundlage einer Ontologie, einer Weltanschauung von den Grundstrukturen dieser Welt, die man nur glauben kann oder nicht, wie vorher die Religionen, sein Bild von dieser Welt aufbaut, Hypothesen entwickelt, die er dann an der Wirklichkeit zu testen versucht, ohne dabei zu einem Ergebnis zu kommen, denn (Popper läßt grüßen) Theorien könne man nicht beweisen, sie höchstens falsifizieren. Stattdessen sieht man Menschen im Plural, die miteinander in bestimmten Erklärungsmodellen aufwachsen, auf dieser Grundlage Beobachtungen machen, die ihr Modelle entweder bestätigen, korrigieren oder widerlegen. Man sieht auf einmal leicht, daß keine Tatsachenbeobachtung ohne Theorie möglich ist, denn wir wachsen mit unseren Theorien auf, und andererseits Theorien, die weder auf Tatsachenbeobachtungen beruhen noch empirisch überprüfbar sich, sinnlos. Die Physiker und Astronomen zu Beginn der Neuzeit hielten die Induktion, die Ableitung von Theorien aus Tatsachenbeobachtungen, für die einzig wissenschaftliche Methode. Der Grund lag darin, daß nach Jahrhunderten der Priesterherrschaft, in der sich die Vorstellungen von der Wirklichkeit nach den Glaubenswahrheiten zu richten hatten, eine Fülle von unerklärlichen Tatsachenbeobachtungen angesammelt hatte, die nach Modellen von Zusammenhängen geradezu schrieen. Das ging so lange, bis mit Einstein und seiner Relativitätstheorie hypothetische Modellbildung in Mode kam, und so erfolgreich war, daß nun die Physik zur „stilbildenden“ Wissenschaft wurde, und die Deduktion zur einig anerkannten Methode. Auch hier haben wir es wieder mit einem Habitus zu tun, den die Betroffenen nur nicht bemerken, weil er ihnen so selbstverständlich ist. Da die Gründe für diese Entwicklung offenbar niemandem der Wissenschaftsphilosophen bewußt ist, seitdem im 20. Jh. jede historische Betrachtung in den Sozialwissenschaften unter dem Verdacht des Marxismus geriet, in der Philosophie sowieso in der Tradition der Religion der Versuch, das Wandelbare auf Unwandelbares zurückzuführen im Mittelpunkt steht, präsentiert uns die Philosophie ein vereinfachtes Modell der Physik als das Rollenmodell der Wissenschaften schlechthin. Dahinter steckt die Idee von der einen „Grundstruktur der Wirklichkeit“, zu der dann auch die eine wissenschaftliche Methode passen müsse. Schon beim Vergleich zwischen Physik und Biologie sieht man leicht, daß das eine Fantasievorstellung ist. Weder läßt sich die Biologie auf die Physik reduzieren, wie übrigens auch nicht sie Soziologie auf die Biologie, noch kann man in beiden Bereichen mit den gleichen Methoden arbeiten. Das liegt übrigens nicht (oder nicht nur) an den unterschiedlichen wissenschaftlichen Traditionen in diesen beiden akademischen Fächern, sondern an den Unterschieden in den Eigenschaften der Objekte, die Gegenstand dieser Forschungsbereiche sind.[2] Erschwert wird das Ganze dadurch, daß man es, auch hier wieder in der Tradition der Religion, für die Aufgabe der Wissenschaften ansieht, nach der „Wahrheit“ zu suchen. Aber was ist "Wahrheit"? Die Unterscheidung in "wahre" und "falsche" Aussagen macht in Bereichen wie der reinen Mathematik oder formalen Logik Sinn, wo es ausschließlich um die innere Ordnung menschengemachter Symbole geht, und man sich nicht mit der Frage zu plagen hat, in wie weit sich diese Symbole zur Darstellung empirischer Zusammenhänge eignen. Ob eine Aussage „wahr“ ist oder „falsch“, kann man schlicht „ausrechnen“. In den theoretisch-empirischen Wissenschaften dagegen geht es um Zusammenhänge, die sich zwar mehr oder weniger gut durch menschengemachte Symbole darstellen lassen, von ihrer Natur her aber keine Symbole sind. Im Unterschied zu dem eingleisigen, rein theoretischen Verfahren von Logik und Mathematik habe wir es hier mit einem zweigleisigen zu tun: der wechselseitigen Abhängigkeit zwischen der Erarbeitung von neuen Theorien auf der Basis vorhandener Tatsachenbeobachtungen und der Suche nach neuen Tatsachenbeobachtungen, um diese Theorien zu bestätigen oder zu widerlegen, kurz: um das Wechselspiel zwischen Theorie und Empirie. Zwar erweisen sich dabei gelegentlich Aussagen einfach als falsch, aber sobald Forschungsergebnisse wie ihre Gegenstandsbereiche nur etwas anspruchsvoller werden, ist ein so simples Gegensatzpaar wie "wahr/falsch“ ein vollkommen untaugliches Symbol zur Beurteilung eines möglichen Erkenntnisfortschritts. Was Forschungsergebnisse gerade in entwickelteren Wissenschaften von einander unterscheidet, ist nicht die Einteilung in "wahr/falsch", sondern in ein besser oder schlechter, ein mehr oder weniger an Sachgerechtigkeit, an Wirklichkeitskongruenz. Komparative Begriffe symbolisieren besser als polare die Stellung jedes Forschungsergebnisses als eines Schrittes in einer langen Reihe von Erkenntnis- und Wissensfortschritten. Jeder dieser Wissensfortschritte bedeutet, daß wir Teile dessen, was wir an Vorstellungen mit unseren Symbolen verbinden, heißen sie "Sonne", "Pocken" oder "Klimawandel", als Fantasievorstellung entlarfen, und durch realistischere Vorstellungen ersetzen. Während unsere Symbole oft über lange Zeit gleich bleiben, verändert sich das, was wir damit an Vorstellungen verbinden, wird realistischer oder wird von Fantasievorstellungen wieder überwuchert (auch das kommt vor). Während wir eine recht realistische Vorstellung davon zu haben scheinen, was es mit der Sonne oder den Pocken auf sich hat, scheinen die Modelle, die wir uns vom Klimawandel machen (oder dem, was wir so nennen), noch reichlich Mythen und Fantasievorstellungen zu enthalten. Noch mehr gilt das für unsere Vorstellungen von den Gesellschaften, die wir miteinander bilden, und von denen der Wissenschaftsbetrieb ein Teil ist. Der Realitätsgehalt unserer Symbole in den verschiedenen Gebieten unseres Wissens ist also durchaus unterschiedlich. Wir können also festhalten: Es gibt in der wissenschaftlichen Tätigkeit der Menschen, wie übrigens in den gedanklichen Bemühungen der Menschen überhaupt, keinen absoluten Anfang, damit auch kein a-priori, weder in weltanschaulicher noch in biologischer Art, um das gleich hinzuzufügen, falls jemand zum Soziobiologismus neigt. Eine notwendig aller Erkenntnisbemühung zugrundeliegende Ontologie ist also eine Fantasievorstellung. Es gibt auch keine einheitliche, dieser Welt zugrundeliegende Struktur. Vielmehr haben sich die Strukturen dieser Welt mit ihr zusammen entwickelt, und entwickeln sich vermutlich noch. Das ist der Grund, warum wir auf den verschiedenen Ebenen dieser Welt Modelle entwickeln können (früher nannte man sie „Gesetzmäßigkeiten“), die die dort beobachtbaren Zusammenhänge hinreichend gut beschreiben. Nur deshalb kann man übrigens überhaupt auf verschiedenen Ebenen Wissenschaft betreiben. Darwin brauchte für seinen Evolutionstheorie keine Elementarphysik. Deshalb gibt es auch nicht „die“ für alle verbindliche, wissenschaftliche Methode. Die Methoden der Wissenschaften entwickeln sich vielmehr in wechselseitiger Abhängigkeit von den Gegenständen, und daher ist es auch absurde Überheblichkeit von Philosophen, zu behaupten, die Philosophie könne den Wissenschaften "die eine" Methode vorschreiben. Einen Geltungsanspruch erhebe ich mit alledem übrigens nicht. Ich versuche nur ein realistischeres Modell von der Entwicklung menschlichen Wissens darzustellen, als es religiöse oder philosophische Erkenntnismodelle sind. ______________ [1] Norbert Elias 2001: Symboltheorie, S. 16 [2] Siehe dazu Robert B. Laughlin 2005: Abschied von der Weltformel Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Marcellinus Geschrieben 3. Oktober Melden Share Geschrieben 3. Oktober (bearbeitet) Und aller guten Dinge sind drei: Eine kleine Geschichte von Wissenschaft und Philosophie "Philosophie in der Tradition Descartes ist vor allem eine Philosophie des Zweifels." (Norbert Elias) „We have done so much with so little for so long that we are now qualified to do anything with nothing.“ (anonymous) Ich will einmal versuchen, eine kleine Geschichte von Wissenschaft und Philosophie der letzten Jahrhunderte zu schreiben, festgemacht an einigen ihrer hervorragendsten Vertreter. Die Wissenschaftler Nikolaus Kopernikus (1473-1543): wohlhabende, preußische Kaufmannsfamilie, Jurastudium, sowie Studium der Astronomie. Galileo Galilei (1564-1642), war ein italienischer Universalgelehrter, Physiker, Astrophysiker, Mathematiker, Ingenieur, Astronom, Philosoph und Kosmologe. Viele seiner Entdeckungen – vor allem in der Mechanik und der Astronomie – gelten als bahnbrechend. Er entwickelte die Methode, die Natur durch die Kombination von Experimenten, Messungen und mathematischen Analysen zu erforschen, und wurde damit einer der wichtigsten Begründer der neuzeitlichen exakten Naturwissenschaften. Johannes Kepler (1571-1630), war ein deutscher Astronom, Astrologe, Physiker, Mathematiker und Naturphilosoph. Er war von 1594 bis 1600 im Auftrag der steirischen Landstände als Lehrer für Mathematik in Graz tätig, wo er auch schon mit eigenen wissenschaftlichen Arbeiten begann. Isaac Newton (1643-1727): Familie von schafzüchtenden, englischen Landlords. Erst Jurastudium, dann Naturphilosophie, Physik, Optik und Mathematik Charles Darwin (1809-1882): Engländer, sein Vater war Arzt, sein Großvater Fabrikant, Studium der Medizin, Zoologie, Naturtheologie, Geologie. Alfred Russel Wallace(1823-1913): Waliser bürgerlicher Herkunft und autodidaktischer Naturforscher Albert Einstein (1879-1955): jüdische Fabrikantenfamilie aus Schwaben. Früher Kontakt zu den Naturwissenschaften. Die Philosophen René Descartes (1596-1650): niederer, französischer Amtsadel. Jesuitenschüler, Soldat, Philosoph. David Hume (1711-1776): Sohn eines verarmten, als Anwalt arbeitenden schottischen Adeligen. Mit 12 Jahren Beginn des Studiums von Latein, Griechisch, Logik und Metaphysik an der Universität Edinburgh. Ein Jurastudium dort brach er ab, da er „eine unüberwindliche Abneigung gegen alles außer gegen Philosophie und allgemeine Gelehrsamkeit“ verspürte. Immanuel Kant (1724-1804): Handwerkerfamilie aus Königsberg, mit 16 Jahren Beginn des Studiums der Theologie, später Philosophie. Karl Popper (1902-1994): wohlhabende Familie von zum Protestantismus konvertierten Juden aus Wien, eine Familie von Wissenschaftler, Ärzten und Musikern. Schon als 16jähriger Studium von Mathematik, Geschichte, Psychologie, Theoretischer Physik und Philosophie. Die zeitliche Abfolge ihrer Arbeiten Damit liegt das „ich denke, also bin ich“ Descartes 100 Jahre nach Kopernikus und seiner Grundlegung der modernen Astronomie, Humes Induktionsproblem und seine Beschäftigung mit der Kausalität über 50 Jahre nach Isaac Newtons klassischer Mechanik und Kant, der die Kategorien des Denkens zu einem a priori menschlicher Vernunft erklärte, sogar noch einmal 40 Jahre später. Popper schließlich veröffentlichte sein „Logik der Forschung“, in dem er schrieb wie Wissenschaften, die er „empirisch“ nannte, seiner Ansicht nach zu verfahren hätten, 75 Jahre nach Darwins Evolutionstheorie und sogar noch 20 Jahre nach Einsteins spezieller Relativitätstheorie. Man kann also mit einigem Recht sagen, daß fast 300 Jahre philosophischer Erkenntnistheorie immer den jeweiligen, bahnbrechenden Erkenntnissen ihrer Zeit gefolgt sind, nicht etwa ihnen vorausgingen. Die vier hier zitierten Philosophen betrieben alle in der Tradition Descartes eine Philosophie des Zweifels. Sie waren in der einen oder anderen Weise alle Nominalisten, überzeugt, daß die Strukturen dieser Welt nicht in den Dingen liegen, sondern im Denken der Menschen. Descartes vertraute noch darauf, daß seine Wahrnehmungen „wahr“ seien, weil Gott ihn schon nicht in die Irre führe würde. Hume, ehrlicher Kerl, der er war, sagte einfach nur, daß er nicht wisse, warum wir die Welt so wahrnähmen, wie wir es tun, Kant meinte Humes Problem zu lösen, indem er unsere Kategorien zu einem a priori der Vernunft erklärte, und nach Popper folgt das menschliche Denken den ewigen Gesetzen der Logik (oder sollte es zumindest tun). Sie alle hielten rationales Denken beim Erwerb und der Begründung von Wissen für vorrangig, verorteten Strukturen allein in ihrer eigenen Vernunft, während sie die Eigenschaften, Strukturen und manchmal sogar die Existenz der Außenwelt für nicht erkennbar hielten. Dabei begann schon spätestens hundert Jahre vor Descartes mit Kopernikus der Aufstieg der theoretisch-empirischen Wissenschaften, die wir Naturwissenschaften zu nennen uns angewöhnt haben. Während David Hume darüber nachdachte, ob ein Tisch noch da ist, wenn wir ihn aus den Augen verlieren, und wieso Menschen in ihrer Welt Ursache-Wirkung-Zusammenhänge sehen, waren Isaac Newtons Gravitations- und Bewegungsgesetze sowie seine zahlreichen Arbeiten zu Optik, Mechanik und Astronomie seit über 50 Jahren bekannt, alles Arbeiten über nachprüfbare Zusammenhänge in dieser Welt, allem philosophischen Skeptizismus zum Trotz. Selbst 90 Jahre nach Newton plagt sich Kant immer noch mit der Frage, woher eigentlich die Strukturen stammen, die die Naturwissenschaftler so erfolgreich unserer Welt abringen, und konnte offenbar zu keiner anderen Erkenntnis kommen, als daß sie im Inneren der menschlichen Vernunft a priori vorhanden seien. Popper schließlich hat mit der Evolutionstheorie von Darwin und der Relativitätstheorie von Einstein die bisher letzten Meilensteine theoretisch-empirischer Wissenschaften vor sich (bzw. hinter sich). Aber am Primat philosophischen Denkens wollte auch er nicht rütteln, an der Illusion des Gelehrten im Elfenbeinturm, der sich nicht vorstellen kann, daß es da draußen, außerhalb seines Denkens, seiner „Logik“, eine erkennbare Welt existiert. Viel schlimmer, eigentlich wußte Popper, daß die Wissenschaften nicht so vorgehen, wie er sich das wünschte, und es kann ihm nicht entgangen sein, daß sie dabei erfolgreich sind, und doch bestand er mit der ganzen Autorität, die er mit 300 Jahren abendländischer Philosophie beanspruchte, darauf, daß Wissenschaften wider besseres Wissen sich so verhalten sollten, wie er es für rational hielt. Ich denke, man kann spätestens jetzt sehen, daß die europäische, philosophische Erkenntnistheorie seit 300 Jahren viel Zeit und Mühe darauf verwendet, den theoretisch-empirischen Wissenschaften hinterherzulaufen. Die ganze vorgebliche „Voraussetzungsmetaphysik“ der Philosophen entpuppt sich so als nachträgliches Räsonieren von der Empore, während andere die Arbeit machen. Die leuchtendsten Vertreter der philosophischen Erkenntnistheorie haben sich, jeder auf seine Weise, nach Kräften bemüht, Zweifel zu schüren an der menschlichen Fähigkeit, sich realistische Modelle von dieser Welt zu machen, um in dieser vermeintlichen Lücke ihre eigene Unentbehrlichkeit zu behaupten, eine Unentbehrlichkeit, die nur in ihrer eigenen Einbildung besteht und verbunden war mit Anstrengungen, die einer besseren Sache wert gewesen wären. Seitdem hat der Begriff Realismus unter ihren Vertretern einen schlechten Klang, und was eigentlich eine fast 500jährige Erfolgsgeschichte der Wissenschaften ist, erscheint heute vielen ungewisser denn je. Zwar verlassen sie sich in ihrem täglichen Leben an allen Ecken und Enden auf die praktischen Auswirkungen dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse, aber in ihrem Kopf und ihren Reden sind sie sicher, daß das doch alles nur Schein, nur Lug und Trug ist, und Realismus ein naiver, metaphysischer Glaube. Daß in einer solchen Umgebung „Kontrafaktisches“, allerlei Aberglauben, Verschwörungstheorien und Esoterik immer wieder fröhliche Urstände feiert, wundert mich gar nicht. Was meiner Ansicht nach dringend nötig wäre, wäre der Übergang von einer philosophischen zu einer wissenschaftlichen Erkenntnis- und Wissenstheorie, einer, die nicht sagt, wie Erkenntnis zu sein habe, damit sie den Wunschträumen von Philosophen gerecht wird, sondern theoretisch zu verarbeiten sucht, wie Erkenntnis- und Wissenserwerb wirklich stattgefunden haben, noch stattfinden, warum sie so erfolgreich waren und sind und wo ihre Schwächen und Fehlentwicklungen liegen. Dann denke ich, würde es auch leichter fallen, zwischen Illusionen, Glauben und nachprüfbarem Wissen zu unterscheiden. Ein paar abschließende Gedanken Die ersten Naturwissenschaftler, namentlich Kopernikus, Galilei, und Kepler, lebten in einer Zeit, in der sich eine große Zahl von Beobachtungen angesammelt hatten, und durch die sich entwickelnde Technik immer neue hinzukamen, die durch die herrschenden Theorien nicht hinreichend erklärt werden konnte. Fast 1.000 Jahre hatte die Kirche und ihre Theologen bestimmt, welche Erklärungsmodelle „gültig“ waren, dh. wie man die Wirklichkeit wahrzunehmen habe, damit sie sich in Übereinstimmung mit dem herrschenden Glauben befanden. So hatte sich eine zunehmende Diskrepanz ergeben zwischen der kirchlichen Welterklärung und den beobachtbaren Tatsachen. Mit der nachlassenden Macht und Kontrolle durch die Kirche und die Unterstützung der sich entwickelnden Staaten bahnte sich langsam ein Perspektivwechsel an, weg von der theologischen Theorie, hin zu einer Orientierung an der beobachtbaren Wirklichkeit. In der Astronomie waren es die Arbeiten der oben genannten Kopernikus, Galilei, und Kepler, in der Kunst entdeckte man die Perspektive wieder, und die Malerei orientierte sich nicht mehr so sehr daran, den christlichen Glauben zu verkünden, sondern stellte die Menschen mit ihrem realistischen Aussehen in den Mittelpunkt. Es war eine Welt, in der die neu entstandenen Naturwissenschaften in großem Umfang Erfolge feierten, in die Descartes hineingeboren wurde. Ausgebildet von Jesuiten, erfolgreich als Soldat im beginnenden 30jährigen Krieg, besuchte er persönlich 1619 die Wirkungsstätten Tycho Brahe (1546–1601) in Prag und die von Johannes Kepler (1571–1630)in Regensburg. Descartes kannte also die Arbeiten von Kopernikus und Kepler. Aber statt sich zu fragen, wie diese bei ihrer erfolgreichen Wissenschaftlichen Arbeit vorgegangen seien, entwickelte er noch im selben Jahr die Idee (vorgeblich nach einer Vision der Jungfrau Maria), es müsse „eine universale Methode zur Erforschung der Wahrheit“ geben, und er sei berufen, sie zu finden. Er „fand“ sie , welch Wunder, in sich selbst und in der Ablehnung aller anderen Erkenntnisquellen, namentlich „äußerer Sinneswahrnehmungen“ oder „religiöser Offenbarung oder Überlieferung“. Nur was er selbst auf „Plausibilität“ und Logik geprüft habe, könne „Geltung begründen“, sollte „Gültigkeit“ als Erkenntnis haben und so zur „Wahrheit“ führen. Descartes gilt als der Begründer des neuzeitlichen Rationalismus, einer philosophischen Erkenntnistheorie, die das rationale Denken beim Erwerb und bei der Begründung von Wissen für vorrangig oder für allein hinreichend hält. Damit verbunden ist eine Abwertung anderer Erkenntnisquellen, etwa Sinneserfahrung (Empirie) oder religiöser Offenbarung und Überlieferung. Wohl gemerkt, es geht nicht darum, mit einer solchen Methode neue wissenschaftlicher Erkenntnisse zu gewinnen. Tatsächlich wurde der naturwissenschaftliche Fortschritt ja auch von anderen betrieben, nicht von Philosophen. Es ging darum, die Arbeiten anderer zu beurteilen, um ihnen „Gültigkeit“ zu verleihen, oder auch nicht. Descartes nahm für sich in Anspruch, mit seinem „Inneren“ die Rolle der Theologie als Hüterin der „Wahrheit“ zu übernehmen. Mangelndes Selbstvertrauen kann man ihm wohl nicht vorwerfen. Hier nimmt die philosophische Tradition ihren Anfang, von den Wissenschaften philosophische Begründungen für ihre Ergebnisse zu verlangen, und Philosophie die Aufgabe und Fähigkeit zuzusprechen, Methoden zu entwickeln, die die „Geltung“ wissenschaftlicher Erkenntnisse überprüfen und beurteilen können. Daß er damit ganz in der Tradition der Theologie steht, sieht man schon allein daran, daß er diese Methode vor allem verwenden wollte, um einen Gottesbeweis zu führen. Das gelang ihm zwar gerade nicht, dafür aber, den kirchlichen Institutionen weitgehend ihre Legitimation abzusprechen, was die gar nicht gut fanden und mit zahlreichen Verboten beantworteten. Wie überhaupt die Philosophie vor allem geneigt ist, das Wissen anderer in Frage zu stellen (und keineswegs das eigene), nicht eigenes, positives Wissen hervorzubringen. Die Naturwissenschaften sind in ein zweigleisiges Unternehmen. Sie beruhen auf einem Wechsel zwischen Tatsachenbeobachtung auf der einen und Theoriebildung auf der anderen Seite, wobei Theorien von Menschen geschaffene nachprüfbare, gedankliche Werkzeuge zur Orientierung in dieser Welt sind, die Zusammenhänge zwischen beobachtbaren Tatsachen beschreiben, während die Tatsachen zu einer Wirklichkeit gehören, die nicht von uns geschaffen wurde. Naturwissenschaftliches Wissen entsteht da, wo solche Theorien an der beobachtbaren Wirklichkeit getestet werden. Eine weitere „Begründung“ braucht es nicht. Die Philosophie in der Tradition von Descartes ist dagegen eingleisig, spielt sich nur in der Welt der Gedanken ab, in der in Sätzen formulierte Gedanken anderer (oder was man davon verstanden hat) auf ihre „Gültigkeit“ überprüft werden, wobei Logik, „Plausibilität“ und allgemein das eigenen „Innere“ des Philosophen als Maßstab genommen werden. "Die Philosophie unterscheidet sich einerseits von den Naturwissenschaften und andererseits von der Mathematik. Im Unterschied zu den Naturwissenschaften stützt sie sich nicht auf Experimente und Beobachtungen, sondern allein auf das Denken. Im Unterschied zu Mathematik kennt sie keine formalen Beweisverfahren. Man philosophiert einzig, in dem man fragt, argumentiert, bestimmte Gedanken ausprobiert und mögliche Argumente gegen sie erwägt, und darüber nachdenkt, wie unsere Begriffe wirklich beschaffen sind. […] Je grundlegender die Ideen sind, die wir zu erforschen versuchen, umso weniger Werkzeug haben wir hierfür zur Verfügung. Nur weniges darf angenommen oder vorausgesetzt werden. Die Philosophie ist daher eine etwas schwindelerregende Tätigkeit, und nur wenige ihrer Ergebnisse bleiben langfristig unangefochten.“ (Thomas Nagel 1987: Was bedeutet das alles?, S. 8f) Ich halte das für sehr wohlwollend formuliert. Die Philosophie als „Hüterin der Wahrheit“, in der Tradition der Theologie und damit der Kirche, ist mit ihr zusammen gescheitert. Es erscheint mir kein Zufall, daß der Begriff der „Wahrheit“ gerade in letzter Zeit immer wieder zu Legitimation autoritärer Herrschaft verwendet wird. Wissenschaft ist objektiv (an Objekten, Tatsachen orientiert) und damit vorläufig, weil unser Wissen immer unvollständig und vorläufig ist. „Wahrheit“ ist also kein Begriff der Wissenschaften, sondern dogmatisch und subjektiv, am Glauben des Subjekts orientiert. bearbeitet 3. Oktober von Marcellinus Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
KevinF Geschrieben 3. Oktober Autor Melden Share Geschrieben 3. Oktober 12 hours ago, iskander said: Hier zeigt sich m.E. allerdings eine Schwäche des Ansatzes von Dennett: Anstatt unsere grundlegenden menschlichen Erfahrungen von bewusstem Erleben (Lust und Schmerz, Denken und Fühlen) als unmittelbar gegebene, sichere und fundamentale Bestandteile unserer Existenz zu akzeptieren, scheint er sie als falsche vortheoretische "Intuitionen" entlarven zu wollen, im Sinne von "kommt mir intuitiv plausibel vor, ist aber gar nicht so". Damit werden Qualia ähnlich wie "Annahmen" oder "plausible Vorurteile" verstanden. Auch Chalmers, als Vertreter der Gegenseite, spricht von Intuition: "At a certain point, the debate between type-A materialists and their opponents usually comes down to intuition: most centrally, the intuition that consciousness (in a nonfunctionally defined sense) exists, or that there is something that needs to be explained (over and above explaining the functions). This claim does not gain its support from argument, but from a sort of observation, along with rebuttal of counterarguments. The intuition appears to be shared by the large majority of philosophers, scientists, and others; and it is so strong that to deny it, a type-A materialist needs exceptionally powerful arguments." ("Consciousness and its Place in Nature") Die Frage wäre nun, was bei der Forderung nach einer Erklärung eigentlich herauskommen soll. Damit kommen wir zu Deinem nächsten Beitrag: 12 hours ago, iskander said: On 10/2/2024 at 12:44 AM, KevinF said: -Bewusstsein (nicht seine neurologischen Korrelate) hat den Anschein, als sei es prinzipiell nicht auf die Physik reduzierbar (vgl. "schwieriges Problem des Bewusstseins", zum Beispiel in C). Hier wäre tatsächlich die Frage, ob das nur der Anschein ist oder nicht. Den Anschein hat es zweifellos. Eine darüber hinausgehende Aussage habe ich nicht gemacht. 12 hours ago, iskander said: Da wäre ich mir wie gesagt weniger sicher. Den reduktiven bzw. eliminativen Materialismus und alles, was darauf hinausläuft, würde ich wie gesagt für erweislich falsch ansehen. Und eine weitere - und kompliziertere - Analyse zu dem, was dann noch bleibt, würde dann womöglich doch mehr Klarheit bringen. Zudem würde ich auch nicht ausschließen wollen, dass die empirische Forschung zumindest "prinzipiell" zu manchen verbleibenden Fragen etwas Gewinnbringendes beitragen könnte. Das kann ich eben nicht wirklich nachvollziehen: Materialismus, dualistischer Epiphänomenalismus und Eigenschaftsdualismus sind, solange man davon ausgeht, dass die Physik kausal geschlossen ist, allesamt nicht falsifizierbare Hypothesen. Sie tragen auch nichts bei zur Orientierung in der Wirklichkeit. Mathematischer Natur sind sie auch nicht. Sie sind damit bedeutungslos für die gesamte empirische Wissenschaft, die Mathematik sowie für alle anderen Lebensbereiche mit Ausnahme von philosophischen Überzeugungen. 1 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
iskander Geschrieben 4. Oktober Melden Share Geschrieben 4. Oktober (bearbeitet) Am 26.9.2024 um 20:41 schrieb Marcellinus: Was ich an dem ganzen Qualia-Problem nicht verstehe: Es besteht meiner Ansicht nach kein Zweifel daran, daß Menschen (und vermutlich auch einige Tiere) über ein Bewußtsein verfügen. Man selbst ist einer davon. Zumindest bei mir weiß ich, wie es sich anfühlt. Meine Ich-Perspektive kenne ich. Und damit kenne ich indirekt auch die Ich-Perspektive der anderen. Alles gut und richtig. Das ist aber ja auch nicht die Frage; sondern die Frage lautet, wie Bewusstsein und Materie sich zueinander verhalten. Das ist eine Frage, die einem im Hinblick auf das Gehirn oder eine beliebiges anderes, komplexes Phänomen gar nicht in den Sinn käme. (Man könnte dort höchstens fragen, wie sich das materielle Gesamt-System konkret zu seinen Komponenten verhält). Siehst Du den Unterschied? Am 26.9.2024 um 21:34 schrieb Marcellinus: Was soll: „können wir logisch nicht ableiten“? Menschen haben ein Bewußtsein, und dieses Bewußtsein hat eine notwenige Funktion in unserem (vor allem, aber nicht nur) sozialen Leben. Da hast Du den kritischen Punkt nicht verstanden. Es geht darum, dass man zwar - zumindest prinzipiell - verstehen kann, wie Nerven- und andere Zellen (oder eine Stufe darunter: Atome und Moleküle) ein Gehirn konstituieren; aber eben nicht einmal prinzipiell, wie sie ein Bewusstsein "konstituieren" könnten. Oder wir können zwar auf der Grundlage rein physikalischer Gesetze zumindest grundsätzlich erklären und vorhersagen, wie ein physikalischer Zustand einen anderen physikalischen Zustand (etwa einen Gehirnzustand) verursacht - aber kein physikalisches Gesetz und keine physikalische Ausgangsbedingung ermöglicht uns den Schritt von einem physikalischen Zustand zum Bewusstsein. Damit ergibt sich ein Erklärungsproblem und die Frage, wie die Psyche konkret in die physikalische Welt "eingebettet" ist. (Diese Frage stellt sich im Hinblick auf Computer nicht - man kann diese vollständig physikalisch beschreiben. Außer natürlich man spricht ihnen postulatorisch ein bewusstes Erleben zu. Aber abgesehen von der Fragwürdigkeit dieser Annahme wäre das Rätsel damit nicht gelöst, sondern nur "ausgeweitet".) Zitat Ob wir eines Tages Roboter bauen können, die über echte Intelligenz und damit Bewußtsein verfügen (nicht so etwas Simuliertes wie KI), ist im Moment nicht zu entscheiden. Aber ob zB. Kernfusion jemals technisch nutzbar sein wird, wissen wir ja Stand jetzt auch noch nicht. Ob die Kernfusion funktioniert, lässt sich aber (aus Sicht eines Kernphysikers) relativ einfach feststellen. Wie aber würdest Du entscheiden wollen, ob ein Roboter Bewusstsein hat oder sich nur so verhält, als habe er es? Der Unterschied ist, dass Kernfusion ein physikalischer Prozess ist, der von der Physik beschreibbar ist, und der nach den Gesetzen der Physik bestimmte physikalische Effekte zeitigt, die wiederum beobachtbar sind - das alles gilt für das Bewusstsein so eben nicht. Wenn Du das anders siehst, könntest Du damit beginnen zu skizzieren, wie eine physikalische Theorie des Bewusstseins - nicht seiner neuronalen Korrelate! - überhaupt aussehen könnte und wie sie sich empirisch prüfen ließe. Am 26.9.2024 um 20:41 schrieb Marcellinus: Entscheidend ist doch nicht, ob ich direkt in den Kopf eines anderen schauen kann, um zu zeigen, daß es verschiedenen Bewußtseinszustände gibt. Das Qualia-Problem scheint mir eine Abwandlung des Descartschen Irrtums zu sein, der Fehlannahme, nur das eigene "Ich" sei real, alles andere müsse erst bewiesen werden. Erstens verwechselst Du hier offenkundig das Problem des "Fremdpsychischen" mit der Frage, in welchem Qualia zur physikalischen Welt stehen. Um die letztere geht es hier. Am 26.9.2024 um 20:41 schrieb Marcellinus: Ich weiß, ganze Generationen von Philosophen haben von dieser Fantasievorstellung gelebt (denn so irreal erschien ihnen die "Außenwelt" ja nun auch nicht, daß sie auf ihr Gehalt verzichtet hätten). Denn wenn ich an allem zweifle, warum dann nicht auch am eigenen "Ich"? Und dann ist man beim Solipsismus. Wenn man dagegen das eigenen "Ich" für real hält, dann muß man einfach zur Kenntnis nehmen, daß diese "Ich" nicht vom Himmel gefallen ist, sondern anderen "Ichs" aufgezogen und unterrichtet wurde. Wenn ich mein "Ich" für real halte, sind es all die anderen mehr oder weniger auch, wenn nicht, dann kann ich mir sowieso jeden Gedanken sparen. Zweitens - und nimm mir das bitte nicht übel - frage ich mich bei der Lektüre Deiner Texte oft, wo Deine Kenntnisse der bzw. Meinungen über Philosophie ihre Geschichte herrühren. Es entsteht bei mir häufig, wenn ich das so sagen darf, der Eindruck einer Oberflächlichkeit, die von sachlichen und historischen Irrtümern durchsetzt ist, und bei der die eigentliche Fragestellung unverstanden bleiben. Nur folgendes. Historisch: Das Problem der Außenwelt ist sicher für die meisten Philosophen - auch nach Descartes - nicht das zentrale Problem ihres Philosophierens. Sachlich: Unser Zugang zur Welt verläuft über das Fenster des Bewusstseins. Was wir wissen, wissen wir, weil es uns bewusst ist. Ich habe beispielsweise nur durch mein Bewusstsein einen Zugang zu dem Stein, der vor mir liegt. Käme der Stein in meinem Bewusstsein überhaupt nicht vor, in keiner Weise, dann wüsste ich auch nichts über ihn. Und zwar habe ich erkenntnimäßig ein visuelles "Bild" des Steins und eine taktile "Empfindung" von von ihm, oder auch einen Gedanken an ihn - aber ich "habe" nicht den Stein selbst. Der Stein als physikalisches Objekt befindet sich ja nicht in meinem Kopf - und noch weniger "in" meiner Psyche. In meinem Bewusstsein existiert nicht der Stein selbst, sondern nur das, was auf ihn hinweist. Mein Wissen über den Stein ist mir also durch mein Bewusstsein und seine Inhalte vermittelt. Und es ist nicht undenkbar, dass es den Stein gar nicht gibt, sondern nur mein Bild und mein Empfinden von ihm; dass der Stein also eine Einbildung ist. Der Stein würde dann nur als Vorstellung in meinem Bewusstsein, nicht aber real existieren. Und ich hätte - wenn ich meinem Instinkt folge - aus meinem bewussten Erleben, in welchem Bilder und Empfindungen auftauchen, falsche Schlussfolgerungen über eine bewusstseins-unabhängige Realität gezogen. Das mag unwahrscheinlich sein, aber es ist auch nicht auszuschließen - die Halluzination wäre solch ein Fall. Selbst wenn ich mich aber irren sollte, wenn ich glaube, dass ich tatsächlich einen realen Stein sehe, muss ich als das Subjekt, das diesen falschen Eindruck hat, immer noch existieren. Denn wer nicht existiert, der kann sich auch nicht irren. (So wie jemand, der nicht existiert, auch nicht von irgendwelchen Konstruktionen des Gehirns getäuscht werden kann.) Ein anderer Punkt ist einer, auf den ich bereits in der Vergangenheit aufmerksam gemacht habe: Dass die Richtung der Erkenntnis der Richtung der Verursachung und der Bedingungsverhältnisse oft entgegengesetzt ist. Beispielsweise würde ich ohne meine Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Großeltern nicht existieren, und auch nicht ohne Makromoleküle. Ich bin also durch beides bedingt. Trotzdem beginnt mein Wissen nicht mit meinen entfernten Vorfahren und auch nicht mit Makromolekülen, sondern mit dem, was durch sie bedingt ist: Mit mir selbst, meinem Erleben und mit meinen Erfahrungen mit meiner Umwelt (welche ebenfalls vielfältig bedingt ist). Die Bedingungen und Ursachen sind uns "erkenntnismäßig" oft viel indirekter gegeben als das Bedingte und als die Wirkung, und wir schließen auf sie oft erst mithilfe einer komplexen Schluss-Kette, wenn wir bereits vieles andere zuvor wissen. Was im Hinblick auf Ursache und Bedingung am Anfang steht, steht "erkenntnismäßig" also häufig erst am Schluss. Dasselbe gilt natürlich auch im Hinblick auf das individuelle Bewusstsein und die (gegenwärtige) Gesellschaft: Der Mensch hängt natürlich von anderen Individuen ab. Sie bedingen seine Existenz und seine Fähigkeiten. Das ist offenkundig. Trotzdem ist unser Zugang zu anderen Menschen - oder sogar zu unserem eigenen Gehirn - eben auch nur durch unser Bewusstsein vermittelt: Durch unser Sehen, Hören, Denken, Erinnern usw. Das ist aber ein indirekter Zugang als der, den wir zu uns selbst und zu unsere Bewusstseinsinhalten (Gedanken, inneren Bildern, Empfindungen etc.) haben. Und wie im Fall des Steins ist es auch hier nicht schlechterdings undenkbar, dass unseren Bildern, Empfindungen und Gedanken, die auf andere Menschen und auf die Welt um uns herum verweisen, nichts Wirkliches entspricht und wir es mit einer gigantischen, in sich kohärenten Illusion zu tun haben. Plausibel ist das nicht, aber es ist eben auch nicht schlechterdings undenkbar. Am 28.9.2024 um 18:57 schrieb Marcellinus: Das scheint mir ein interessanter Punkt! Wenn "hpb" außerhalb der Philosophie keine Bedeutung hat, dann drängt sich ja sofort die Frage auf, warum nicht, oder anders formuliert: Was ist eigentlich Philosophie? Das ist in der Tat eine interessante Frage. Um der Antwort näher zu kommen, wäre es aber sinnvoll, sich mit der Philosophie (und auch ihrer Geschichte) näher auseinanderzusetzen. Wenn man beispielsweise die gesamte "Philosophie des Geistes" in die Tonne treten möchte, wäre es gut zu wissen, was der Ausdruck überhaupt bedeutet - und was er nicht bedeutet; welche Fragen überhaupt zur Philosophie des Geistes gehören - und welche Fragen nicht zu ihr gehören; wie man überhaupt auf die entsprechenden Fragestellungen kommt usw. Im Übrigen gewinnt man zwar den Eindruck, dass Du Dich sehr an Comtes Drei-Stadien-Gesetz anlehnst, aber dort, wo Comte von "Metaphysik" sprach, "Philosophie" sagst. Das ist insofern denkwürdig, weil Comte nicht nur als Philosoph bezeichnet wird (etwa von der dt. und engl. Wikipedia), oder auch, weil er einen Teil seiner Werke "Philosophie" genannt hat - sondern weil viele seiner Thesen durchaus der Sache nach in die Philosophie gehören. Ich meine damit Thesen, die, selbst wenn sie einen Bezug zur empirischen Forschung haben, nicht einfach empirisch (etwa durch sozialwissenschaftliche Studien) belegbar sind. Insofern verschärfst Du Comtes - ohnehin problematisches - Drei-Stadien-Gesetz noch einmal, was es noch problematischer macht. bearbeitet 4. Oktober von iskander Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
iskander Geschrieben 4. Oktober Melden Share Geschrieben 4. Oktober Am 28.9.2024 um 22:11 schrieb Marcellinus: Damit sind die Grundlagen der Wissenschaften auch nicht philosophische Axiome, sondern einfach die Erkenntnisse und Vorstellungen, die vorher kamen. Niemand von uns ist ein absoluter Anfang, jeder von uns setzt nur fort, was er vorgefunden hat. Gleiches gilt für die Wissenschaften. Sie sind entstanden aus vorwissenschaftlichen Vorstellungen, und deren Scheitern an der beobachtbaren Wirklichkeit. So einfach ist es eben doch nicht. Ich hatte ja bereits darauf aufmerksam gemacht, dass beispielsweise das Induktionsprinzip - gegen Popper - nicht nur für die empirische Wissenschaft, sondern auch für den Alltag vollkommen unentbehrlich ist (siehe hier). Das Induktionsprinzip kann aber empirisch nicht zirkelfrei beweisen werden, und es ist auch nicht einfach "logisch wahr". Wenn es eine Begründung gibt, dann ist sie philosophisch (und ich denke es gibt sie, auch wenn sie etwas komplizierter ist). Du könntest nun inhaltlich Stellung nehmen und beispielsweise erklären, wieso meine Argumentation falsch ist und die empirische Wissenschaft kein Induktionsprinzip braucht, oder wieso es sich doch zirkelfrei empirisch begründen lässt, oder wieso es doch eine rein logische Wahrheit ist. Das tust Du aber leider nicht. Du ignorierst das konkrete Beispiel und versicherst einfach erneut, dass die Grundlagen der Wissenschaft nichts mit Philosophie zu tun haben. Damit drehen wir uns aber leider im Kreise. Am 29.9.2024 um 13:50 schrieb Marcellinus: Die richtige Methode der Philosophie wäre eigentlich die: Nichts zu sagen, als was sich sagen lässt, also Sätze der Naturwissenschaft – also etwas, was mit Philosophie nichts zu tun hat –, und dann immer, wenn ein anderer etwas Metaphysisches sagen wollte, ihm nachzuweisen, dass er gewissen Zeichen in seinen Sätzen keine Bedeutung gegeben hat. Diese Methode wäre für den anderen unbefriedigend – er hätte nicht das Gefühl, dass wir ihn Philosophie lehrten – aber sie wäre die einzig streng richtige. (Ludwig Wittgenstein) Nur ist diese Aussagen eben selbst keine naturwissenschaftliche, sondern eine philosophische! Wittgenstein hat das Problem auch in einem gewissen Sinne gesehen, konnte es aber nicht lösen. So wie die ganze These, dass philosophische Fragen aus einer reinen Verwirrung durch die Sprache entstehen, voraussetzt, dass der Mensch ein unglaublich naives und unsouveränes Verhältnis zu seiner Sprache hat. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Marcellinus Geschrieben 4. Oktober Melden Share Geschrieben 4. Oktober vor 1 Stunde schrieb iskander: Unser Zugang zur Welt verläuft über das Fenster des Bewusstseins. Was wir wissen, wissen wir, weil es uns bewusst ist. Ich habe beispielsweise nur durch mein Bewusstsein einen Zugang zu dem Stein, der vor mir liegt. Käme der Stein in meinem Bewusstsein überhaupt nicht vor, in keiner Weise, dann wüsste ich auch nichts über ihn. Und zwar habe ich erkenntnimäßig ein visuelles "Bild" des Steins und eine taktile "Empfindung" von von ihm, oder auch einen Gedanken an ihn - aber ich "habe" nicht den Stein selbst. Der Stein als physikalisches Objekt befindet sich ja nicht in meinem Kopf - und noch weniger "in" meiner Psyche. In meinem Bewusstsein existiert nicht der Stein selbst, sondern nur das, was auf ihn hinweist. Mein Wissen über den Stein ist mir also durch mein Bewusstsein und seine Inhalte vermittelt. Und es ist nicht undenkbar, dass es den Stein gar nicht gibt, sondern nur mein Bild und mein Empfinden von ihm; dass der Stein also eine Einbildung ist. Der Stein würde dann nur als Vorstellung in meinem Bewusstsein, nicht aber real existieren. Und ich hätte - wenn ich meinem Instinkt folge - aus meinem bewussten Erleben, in welchem Bilder und Empfindungen auftauchen, falsche Schlussfolgerungen über eine bewusstseins-unabhängige Realität gezogen. Das mag unwahrscheinlich sein, aber es ist auch nicht auszuschließen - die Halluzination wäre solch ein Fall. Selbst wenn ich mich aber irren sollte, wenn ich glaube, dass ich tatsächlich einen realen Stein sehe, muss ich als das Subjekt, das diesen falschen Eindruck hat, immer noch existieren. Denn wer nicht existiert, der kann sich auch nicht irren. Und es ist auch denkbar, daß dir der Stein auf den Kopf fällt. Ehrlich, als ich das hier gelesen hatte, hatte ich den Kaffee schon wieder auf! Das sind Probleme, die nur Philosophen haben! Wieso bist du nicht konsequent, und hältst dich selbst für eine Illusion? Dann könnten wir uns das hier sparen. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Marcellinus Geschrieben 4. Oktober Melden Share Geschrieben 4. Oktober vor 1 Stunde schrieb iskander: Da hast Du den kritischen Punkt nicht verstanden. Es geht darum, dass man zwar - zumindest prinzipiell - verstehen kann, wie Nerven- und andere Zellen (oder eine Stufe darunter: Atome und Moleküle) ein Gehirn konstituieren; aber eben nicht einmal prinzipiell, wie sie ein Bewusstsein "konstituieren" könnten. Oder wir können zwar auf der Grundlage rein physikalischer Gesetze zumindest grundsätzlich erklären und vorhersagen, wie ein physikalischer Zustand einen anderen physikalischen Zustand (etwa einen Gehirnzustand) verursacht - aber kein physikalisches Gesetz und keine physikalische Ausgangsbedingung ermöglicht uns den Schritt von einem physikalischen Zustand zum Bewusstsein. Du hast gar nicht gelesen, was ich da oben geschrieben habe, nicht wahr? Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Marcellinus Geschrieben 4. Oktober Melden Share Geschrieben 4. Oktober vor 2 Stunden schrieb iskander: Da hast Du den kritischen Punkt nicht verstanden. Es geht darum, dass man zwar - zumindest prinzipiell - verstehen kann, wie Nerven- und andere Zellen (oder eine Stufe darunter: Atome und Moleküle) ein Gehirn konstituieren; aber eben nicht einmal prinzipiell, wie sie ein Bewusstsein "konstituieren" könnten. Oder wir können zwar auf der Grundlage rein physikalischer Gesetze zumindest grundsätzlich erklären und vorhersagen, wie ein physikalischer Zustand einen anderen physikalischen Zustand (etwa einen Gehirnzustand) verursacht - aber kein physikalisches Gesetz und keine physikalische Ausgangsbedingung ermöglicht uns den Schritt von einem physikalischen Zustand zum Bewusstsein. Weil das Bewusstsein der Menschen auch kein physikalisches, sondern ein biologisches oder neurologisches, allemal aber ein menschenwissenschaftliches Problem ist. Das entsprechende Zitat, das ich dazu gebracht habe, hast du natürlich auch ignoriert. vor 22 Stunden schrieb Marcellinus: "Demnach ist die Tendenz der Natur, eine hierarchische Gesellschaft physikalischer Gesetze zu bilden, weit mehr als ein Thema für akademische Debatten. Sie ist der Grund, weshalb die Welt erkennbar ist. Sie macht die grundsätzlichen Gesetze erster Ordnung, welche das auch sein mögen, bedeutungslos und bewahrt uns davor, von ihnen tyrannisiert zu werden. Aufgrund dieser Tendenz können wir leben, ohne die ultimativen Geheimnisse des Universums zu verstehen. […] Während wir in das Zeitalter der Emergenz übergehen, lernen wir, den gesunden Menschenverstand zu akzeptieren; wir lassen die Gewohnheit hinter uns, die organisatorischen Wunder der Natur zu trivialisieren, und wir akzeptieren, daß die Ordnung an und für sich bedeutsam ist.- in manchen Fällen sogar der bedeutsamste Sachverhalt. Die Gesetze der Quantenmechanik, die Gesetze der Chemie, die Gesetze des Stoffwechsels und die Gesetze der Häschen, die in den Innenhöfen meiner Universität vor Füchsen flüchten, gehen alle auseinander hervor, doch es sind die Gesetze der letzten Gruppe, die am Ende für das Häschen zählen.“ [...] „Vom reduktionistischen Standpunkt aus ist physikalische Gesetzmäßigkeit der Impuls, der das Universum antreibt. Sie kommen von nirgendwoher und schließen alles in sich ein. Aus der Sicht der Emergenztheorie stellt physikalische Gesetzmäßigkeit eine Regel kollektiven Verhaltens dar.Sie ist eine Folge ursprünglicher, darunterlegender Verhaltensregeln (obwohl sie das nicht hätte sein müßen), und sie gibt einem die Möglichkeit, innerhalb eines beschränkten Rahmens von Bedingungen Vorhersagen zu treffen. Außerhalb dieses Rahmens wird sie bedeutungslos und durch andere Regeln ersetzt, die innerhalb einer Hierarchie der Abstammung entweder ihre Kinder oder ihre Eltern sind. Keine dieser Sichtweisen kann aufgrund von Fakten die Oberhand über die andere gewinnen, weil beide auf Tatsachen gegründet […] sind.“ (Abschied von der Weltformel, S. 126f) Um es kurz zu sagen: physikalische Gesetzmäßigkeiten sind prinzipiell ungeeignet, um Beobachtungen auf der biologischer oder psychosozialer Integrationsebene zu erklären, nicht weil diese Beobachtungen prinzipiell nicht erklärbar wären, sondern weil es einfach nicht Aufgabe der Physik ist. Stattdessen reitest du dieses Pferd immer noch. Steig ab, es ist tot! Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
iskander Geschrieben 4. Oktober Melden Share Geschrieben 4. Oktober vor 15 Stunden schrieb KevinF: Auch Chalmers, als Vertreter der Gegenseite, spricht von Intuition: "At a certain point, the debate between type-A materialists and their opponents usually comes down to intuition: most centrally, the intuition that consciousness (in a nonfunctionally defined sense) exists, or that there is something that needs to be explained (over and above explaining the functions). This claim does not gain its support from argument, but from a sort of observation, along with rebuttal of counterarguments. The intuition appears to be shared by the large majority of philosophers, scientists, and others; and it is so strong that to deny it, a type-A materialist needs exceptionally powerful arguments." ("Consciousness and its Place in Nature") Wie ich schon sagte, gibt es mehrere Begriffe der "Intuition". Und in der Tat beruht in einem fundamentalen Sinne alles auf "Intuition", wenn man damit jene grundlegende Kenntnis einer Sache oder jenes elementare Verständnis von ihr meint, welches man braucht, um überhaupt einen Begriff von ihr zu haben - und um sie dann im Folgenden gedanklich (oder je nach Fall auch empirisch) erforschen zu können. In diesem fundamentalen Sinne benötige ich natürlich ein intuitives Verständnis davon, was beispielsweise eine Gesamtheit und was ein Element ist, um Mathematik zu verstehen; und ich muss in diesem Sinne ein Verständnis haben, was eine Eigenschaft und was ein Prozess ist, um eine Real-Wissenschaft betreiben zu können; oder ich brauche ein intuitives Verständnis davon, was der Raum und seine Eigenschaften sind, um mich der Physik, Chemie oder eine beliebige andere Natur-Wissenschaft widmen zu können. (Auch wenn der physikalische Raum nicht einfach unserem "Anschauungsraum" entspricht.) Entsprechend werde ich beispielsweise ein intuitives Verständnis von "Möglichkeit", "Wirklichkeit", "Notwendigkeit" und "Unmöglichkeit" benötigen, um Ontologie - oder auch Modallogik - betreiben zu können. Mehr noch; ich brauche in all den genannten Punkten ein derartiges (basales) Verständnis sogar auch, um als Mensch im Alltag auf einem normalen Funktionsniveau zurechtzukommen. Dass man diesen "fundamentalen" Begriff von Intuition auch in der Philosophie des Geistes benötigt, ist völlig klar - sonst hätte man ja gar keinen Begriff beispielsweise von "Bewusstsein" oder "materiellem Ding". Aber das ist nicht dasselbe wie "Intuition" im Sinne einer nur mehr oder weniger ausgeprägten Plausibilität - obwohl eine solche natürlich auch existiert und auch eine Rolle spielt. Dass ich dann, wenn ich etwas erlebe - also beispielsweise Schokolade schmecke oder einen Schmerz spüre - tatsächlich etwas erlebe, stellt nach meiner Überzeugung keineswegs eine Intuition im Sinne von "scheint mir halt so, aber vielleicht irre ich mich ja" dar. Sondern das ist eine unmittelbar zugängliche Tatsache in ihrer Evidenz. Soweit hier Intuition im Spiel ist, besteht sie in einem grundlegendes Verständnis, welches beinhaltet, dass Erleben etwas Reales ist, und dass es nicht dasselbe ist wie etwa eine bloße Meinung über das Erleben. Ich glaube auch nicht, dass irgendein normaler Mensch das bezweifeln würde; bezweifeln werden das nur einige Philosophen. (Auch wenn @Marcellinus Kritik an den Philosophen in vielem übertrieben und viel zu pauschal ist - einen gewissen wahren Kern hat sie leider.) Wenn unser unmittelbares bewusstes Erleben geleugnet und beispielsweise mit einer Art falscher "Theorie" verwechselt wird, mit welcher Menschen ihr äußerlich beobachtbares Verhaltensweisen erklären möchten, dann liegt das sicher nicht daran, dass die Vertreter einer solchen Position eine andere "Intuition" hätten als der Rest der Menschheit - sondern daran, dass sie sich so sehr in ein artifizielles Denken verrannt haben, dass sie sich selbst den Weg zu ihrer eigenen vortheoretischen Erkenntnis, die unmittelbarer und sicherer ist als jede ihrer philosophischen Gedankengebäude, verstellt haben. (Normalmensch: "Ich habe Zahnschmerzen." Philosoph: "Du solltest erkennen, dass Deine irrige Meinung, Schmerzen zu erleben, auf einer falschen Theorie fußt. Mit dieser Theorie versuchst Du, Dein beobachtbares Verhalten - etwa Dein verzerrtes Gesicht - zu erklären. Das ist aber eine primitive volksspychologische Theorie, für die es in der modernen Wissenschaft keinen Platz gibt!" Normalmensch (schaut verwirrt rein): "Also, wenn ich aufhöre, an den Schmerz zu glauben, hört er auf?" Philosoph (lächelt, halb wohlwollend und halb mitleidig): "Die Frage ist falsch gestellt. Du hast gar keine Schmerzen im Sinne eines Erlebens, weshalb sie auch nicht aufhören können. Befreie Dich als moderner Mensch doch einfach von der antiquierten Annahme, dass Du irgendetwas erlebst oder empfindest. Derartige Vorstellungen beruhen nur auf irreführenden Intuitionen und sprachlichen Missverständnissen.") Auch die Auffassung, dass bewusstes Erleben etwas anderes ist als beispielsweise einfach nur ein funktionaler Zustand, beruht auf einer Intuition im starken und fundamentalen Sinne - so wie beispielsweise auch die Überzeugung, dass Rundheit etwas anderes ist als Eckigkeit, dass Einheit etwas anderes ist als Diversität, dass die Farbqualität Blau etwas anderes ist als die Farbqualität Rot, oder dass ein Glücks-Gefühl etwas anders ist als ein Stein. Es handelt sich hier um eine der fundamentalsten Formen der Erkenntnis, die man benötigt, um überhaupt etwas unterscheiden zu können - und somit auch um empirische Wissenschaft betreiben zu können. Man könnte das wie schon dargelegt weiter damit erläutern, dass dann, wenn zwei Dinge völlig verschieden erscheinen aber identisch sein sollen, wir entweder unterschiedliche Aspekte von ihnen erkennen oder uns zumindest in einem Fall täuschen müssen. vor 15 Stunden schrieb KevinF: Den Anschein hat es zweifellos. Eine darüber hinausgehende Aussage habe ich nicht gemacht. Ich weiß. Aber es scheint mir dennoch wichtig zu sein, die Möglichkeit, dass hier nur der Anschein der Verschiedenheit besteht - dass also eine Täuschung vorliegt -, genauer zu betrachten. Eine Täuschung im hier relevanten Zusammenhang bestünde nun doch darin, dass Erscheinung und Wirklichkeit auseinanderfallen. Im Fall des Bewusstseins würde das bedeuten, dass das Bewusstsein, so wie es uns erscheint, nicht existiert. Was es wirklich gäbe, wäre dann beispielsweise ein rein physikalisches System, welches sich rein physikalisch beschreiben ließe. Das letztere wäre von allem, was uns als Bewusstsein erscheint, aber nun derart verschieden, dass man hier kaum noch sagen könnte: "Die Erscheinung repräsentiert das Erscheinende weitgehend so, wie es ist - und nur ein wenig verfremdet." Sondern das hieße dann, dass das Bewusstsein, so wie es uns erscheint, gar nicht existiert. Was es dann wirklich gibt - und was den falschen Anschein erzeugt, dass es so etwas wie ein Bewusstsein im uns vertrauten Sinne gäbe - wäre etwas vollkommen anderes: eben ein rein physikalisches System, das mit Bewusstsein, so wie wir es verstehen, keinerlei Ähnlichkeit besitzt. Zu sagen, dass es das "Bewusstsein" gibt, dass dieses aber rein gar nichts mit dem zu tun hat, was wir normalerweise darunter verstehen, ist wie gesagt gleichbedeutend mit der Aussage, dass es überhaupt kein Bewusstsein gibt, sondern nur etwas ganz anderes, was bei uns die Illusion eines Bewusstseins verursacht. In der Tat wäre die letztere Formulierung sogar angemessener. Wenn wir durch ein Teleskop vermeintlich Elefanten beobachten würden, es sich aber herausstellen sollte, dass wir in Wahrheit Kanarienvögel sehen, und dass nur äußerst merkwürdige optische Störungen uns das falsche Bild von Elefanten vorgaukeln, dann könnte man vielleicht sagen: "Die Elefanten erscheinen uns nur so und so auszusehen, in Wahrheit haben sie aber alle Eigenschaften von Kanarienvögeln." Genauso gut - oder besser - könnte man aber auch formulieren: "Elefanten gibt es dort gar nicht. In Wahrheit gibt dort nur Kanarienvögel, die für uns wie Elefanten aussehen." (Dabei ist es wesentlich einfacher, Ähnlichkeiten zwischen Kanarienvögeln und Elefanten zu benennen als solche zwischen einem (beliebigen) bewussten Erleben und einem (beliebigen) Objekt der Physik.) Deine Aussage, die sinngemäß darauf hinausläuft, dass Bewusstsein womöglich nur dem Anschein nach nicht restlos darin aufgeht, ein rein physikalisches Geschehen darzustellen, und dass es in Wahrheit vielleicht doch ein rein physikalisch beschreibbares Phänomen darstellt, ist daher nach meinem Dafürhalten gleichbedeutend mit der Aussage, dass es Bewusstsein ("als Bewusstsein") womöglich nur dem Anschein nach gibt, in Wirklichkeit vielleicht aber doch nicht. Die hypothetische Antwort, dass es Bewusstsein auch im letzteren Fall geben könne, nur eben als ein durch und durch physikalischer Gegenstand mit reiner Dritter-Person-Ontologie, wäre aus meiner Sicht ein sprachlicher Klimmzug und vergleichbar mit der Aussage, dass es am beobachteten Ort durchaus Elefanten gebe, nur eben in Form von Kanarienvögeln. Es bliebe hier jeweils nur das Wort als Hülle, während der Inhalt verschwindet. Damit will ich Dir Deine Position nicht ausreden; ich möchte nur erläutern, welche Konsequenzen sie aus meiner Sicht hat. vor 15 Stunden schrieb KevinF: Das kann ich eben nicht wirklich nachvollziehen: Materialismus, dualistischer Epiphänomenalismus und Eigenschaftsdualismus sind, solange man davon ausgeht, dass die Physik kausal geschlossen ist, allesamt nicht falsifizierbare Hypothesen. Irgendwo begründet Chalmers, wie seiner Meinung Ansätze zu einer empirischen Unterscheidung aussehen könnten. Ich muss nochmals nachsehen wo, es kann aber sogar in einem auch von Dir verlinkten Artikel sein. Ich bin da sehr skeptisch, will die Möglichkeit ohne gründlichere Prüfung allerdings auch nicht komplett ausschließen. Zudem kann man die besagten Positionen womöglich philosophisch in einer fruchtbaren Weise genauer untersuchen (ich meine, man kann es) - auch wenn das dann spezieller wird. Ohne da jetzt ein großes Fass aufmachen zu wollen, kann man sich beispielsweise fragen, was es bedeutet, dass irgendetwas eine Eigenschaft hat; und was es konkret bedeuten würde, dass ein rein materielles Objekt eine explizit nicht-materielle Eigenschaft besitzt, und ob und wie das gehen könnte. vor 15 Stunden schrieb KevinF: Sie sind damit bedeutungslos für die gesamte empirische Wissenschaft, die Mathematik sowie für alle anderen Lebensbereiche mit Ausnahme von philosophischen Überzeugungen. Das mag wohl stimmen - aber das gilt auch für viele andere Fragen, die wir uns als Menschen stellen. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
Marcellinus Geschrieben 4. Oktober Melden Share Geschrieben 4. Oktober vor 4 Minuten schrieb iskander: Auch wenn @Marcellinus Kritik an den Philosophen in vielem übertrieben und viel zu pauschal ist - einen gewissen wahren Kern hat sie leider. Na, das ist doch mal ein Anfang! Meine Absicht ist eigentlich ganz einfach, und meine Kritik an der Philosophie, ähnlich wie übrigens an der Religion, bezieht sich gar nicht auf das, was sie inhaltlich zu sagen versuchen, sondern auf den Anspruch den sie damit verbinden (wenn sie es denn tun). Bei der Religion ist das mittlerweile (und hier) ziemlich einfach. Religion ist eine Weltanschauung, die auf dem Glauben an als übernatürlich gedachten Personen beruht. Wenn ich diesen Glauben nicht teile, hat er für mich auch keine Bedeutung. Wenn ich über Religion diskutiere, tue ich das immer als Außenseiter, und jeder weiß das auch. Ich spreche niemandem seinen Glauben ab, aber weise jede objektive Bedeutung religiöser Vorstellungen zurück. Religion ist aus meiner Sicht Privatsache. Philosophie ist ein ähnliches und doch etwas anderes Thema. Sie versteht sich als das Nachdenken über grundsätzliche Fragen, Fragen von existenzieller Bedeutung für die Fragenden, und gesucht werden autoritative, endgültige Antworten, "Wahrheit" genannt. Egal, ob die Fragen sich auf beobachtbare Tatbestände beziehen oder nicht, die Antworten sind nicht empirisch belegbar, sondern das Ergebnis von Denkprozessen, der Suche nach "Begründungen", der Suche nach "Axiomen", weshalb philosophische Fragen nie wirklich eine verbindliche Antwort finden; am Ende sind es Glaubensfragen. Das wäre an sich kein Problem. Wer philosophische Fragen und philosophische Diskussionen spannend findet, mag das betreiben, solange man sich klar macht, daß die Antworten auf diese Fragen, soweit man überhaupt welche findet, subjektiv sind. Mein Problem mit Philosophie entsteht da, wo Philosophen für ihre Ideen objektive Geltung beanspruchen oder behaupten, Philosophie sei die Grundlage jeder geistigen Tätigkeit; jeder müsse sich solchen Fragen also stellen, sich einer der philosophischen Schulen anschließen. Kurz, jeder habe eine Philosophie, eine gute oder eine schlechte. Hier setzt mein Widerspruch ein, und er ist umso heftiger, je unverblümter dieser Anspruch vorgetragen wird. Philosophie bringt kein nachprüfbares Wissen über diese Welt hervor, und ist dabei auch keine Hilfe. Ihre Fragen, aber vor allem ihre Antworten sind rein subjektiv, und daher für Nichtphilosophen ohne Bedeutung. Es gibt keinen außerphilosophischen Grund, Philosophie zu betreiben. So ist meine Einstellung gegenüber Religion, und so ist sie auch gegenüber Philosophie. Wem Religion wichtig ist, der mag sie betreiben. Das ist sein gutes Recht. Aber es gibt ihm keine Ansprüche mir gegenüber. Der aktuelle Papst scheint da anderer Meinung zu sein, sagte er doch einmal, wer nicht an "Gott" glaube, glaube an den "Teufel". Aber in der Öffentlichkeit begegnet man so jemanden mittlerweile selten. Die meisten Gläubigen, auch und vor allem in diesem Forum, kennen mittlerweile den Unterschied zwischen Glauben und Wissen. Glaube ist für den Gläubigen absolut und subjektiv, für den Nichtgläubigen dagegen ohne Bedeutung. Philosophie bedient sich zwar des Denkens, aber dort, wo sie Gewissheiten hervorbringen will, sind diese am Ende subjektiv, Glaubensfragen. Wissen dagegen, das nur da entsteht, wo Theorien an der beobachtbaren Wirklichkeit getestet werden, bringt die Philosophie nicht hervor, bestenfalls subjektive Gewißheiten, die aber für den Nichtphilosophen ohne Bedeutung sind. Das ist eben der Unterschied zwischen subjektiver Gewißheit und objektivem Wissen. „Das ummittelbar Erlebte ist subjektiv und absolut […] Die objektive Welt hingegen, welche die Naturwissenschaft rein herauszukristallisieren sucht, [..] ist notwendigerweise relativ […] Dieses Gegensatzpaar: subjektiv - absolut und objektiv - relativ scheint mir eine der fundamentalsten erkenntnistheoretischen Einsichten zu enthalten, die man aus der Naturforschung ablesen kann. Wer das Absolute will, muß die Subjektivität, die Ichbezogenheit, in Kauf nehmen; wen es zum Objektiven drängt, der kommt um das Relativitätsproblem nicht herum.“ (Hermann Weyl, Philosophie der Mathematik und Naturwissenschaft, 1966, S. 150f) Philosophie sucht nach absoluten Antworten, muß damit leben, daß diese Antworten immer subjektiv sind, am Ende eine Glaubensfrage. Wissenschaft sucht dagegen nach Wissen, nach Modellen, wie beobachtbare Tatsachen objektiv zusammenhängen, und dieses Wissen ist daher immer vorläufig. Wenn wir uns darauf einigen könnten, wären wir schon einen Schritt weiter. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
KevinF Geschrieben 4. Oktober Autor Melden Share Geschrieben 4. Oktober (bearbeitet) On 10/3/2024 at 9:25 PM, Marcellinus said: Selbst 90 Jahre nach Newton plagt sich Kant immer noch mit der Frage, woher eigentlich die Strukturen stammen, die die Naturwissenschaftler so erfolgreich unserer Welt abringen, und konnte offenbar zu keiner anderen Erkenntnis kommen, als daß sie im Inneren der menschlichen Vernunft a priori vorhanden seien. Oh, Kant hatte zweifellos recht damit, dass unsere alltäglichen Vorstellungen von Raum und Zeit "Formen der Anschauung" sind (Bedingungen der Möglichkeit von anschaulichen Vorstellungen), die im menschlichen Erkenntnisvermögen liegen und dass Probleme entstehen, wenn man davon ausgeht, dass sie 1:1 in der vom Subjekt unabhängigen Realität existieren. Er konnte nur nicht erklären, wie die Realität dann tatsächlich aussieht und wie diese Formen der Anschauung in unser Erkenntnisvermögen kommen. Heute haben wir mit Evolutionstheorie und Allgemeiner Relativitätstheorie Antworten auf beides. Auch die Quantenphysik könnte man noch dazunehmen. Kant hinkte den Naturwissenschaften seiner Zeit also nicht hinterher, sondern stellte Fragen, deren Beantwortung weit über den damaligen Kenntnisstand hinausging und die so schwierig waren, dass er sich vermutlich gar nicht vorstellen konnte, dass eine naturwissenschaftliche Antwort überhaupt möglich ist. bearbeitet 4. Oktober von KevinF Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
KevinF Geschrieben 4. Oktober Autor Melden Share Geschrieben 4. Oktober On 10/3/2024 at 9:25 PM, Marcellinus said: René Descartes (1596-1650): niederer, französischer Amtsadel. Jesuitenschüler, Soldat, Philosoph. Mathematiker. Er war auch Mathematiker. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
KevinF Geschrieben 4. Oktober Autor Melden Share Geschrieben 4. Oktober 2 hours ago, iskander said: (Normalmensch: "Ich habe Zahnschmerzen." Philosoph: "Du solltest erkennen, dass Deine irrige Meinung, Schmerzen zu erleben, auf einer falschen Theorie fußt. Mit dieser Theorie versuchst Du, Dein beobachtbares Verhalten - etwa Dein verzerrtes Gesicht - zu erklären. Das ist aber eine primitive volksspychologische Theorie, für die es in der modernen Wissenschaft keinen Platz gibt!" Normalmensch (schaut verwirrt rein): "Also, wenn ich aufhöre, an den Schmerz zu glauben, hört er auf?" Philosoph (lächelt, halb wohlwollend und halb mitleidig): "Die Frage ist falsch gestellt. Du hast gar keine Schmerzen im Sinne eines Erlebens, weshalb sie auch nicht aufhören können. Befreie Dich als moderner Mensch doch einfach von der antiquierten Annahme, dass Du irgendetwas erlebst oder empfindest. Derartige Vorstellungen beruhen nur auf irreführenden Intuitionen und sprachlichen Missverständnissen.") So einen Blödsinn hat Dennett aber nie erzählt. 2 hours ago, iskander said: Deine Aussage, die sinngemäß darauf hinausläuft, dass Bewusstsein womöglich nur dem Anschein nach nicht restlos darin aufgeht, ein rein physikalisches Geschehen darzustellen, und dass es in Wahrheit vielleicht doch ein rein physikalisch beschreibbares Phänomen darstellt, ist daher nach meinem Dafürhalten gleichbedeutend mit der Aussage, dass es Bewusstsein ("als Bewusstsein") womöglich nur dem Anschein nach gibt, in Wirklichkeit vielleicht aber doch nicht. Nicht zwangsläufig. Es müsste zum Beispiel nur ein Fehler in Chalmers Verwendung der zweidimensionalen Semantik gefunden werden und schon wäre der Materialismus wieder im Spiel. Außerdem war es Sinn meiner 5 Punkte zu zeigen, dass man die Sache gelassen angehen kann, weil es in der Praxis keinen Unterschied macht. Zwei gute Gründe, um so neutral wie möglich zu formulieren. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
KevinF Geschrieben 4. Oktober Autor Melden Share Geschrieben 4. Oktober 6 hours ago, iskander said: Irgendwo begründet Chalmers, wie seiner Meinung Ansätze zu einer empirischen Unterscheidung aussehen könnten. Ich muss nochmals nachsehen wo, es kann aber sogar in einem auch von Dir verlinkten Artikel sein. Ich bin da sehr skeptisch, will die Möglichkeit ohne gründlichere Prüfung allerdings auch nicht komplett ausschließen. Ich glaube das erst dann, wenn ich eine nachvollziehbare Vorhersage sehe. 6 hours ago, iskander said: On 10/4/2024 at 1:24 AM, KevinF said: Sie sind damit bedeutungslos für die gesamte empirische Wissenschaft, die Mathematik sowie für alle anderen Lebensbereiche mit Ausnahme von philosophischen Überzeugungen. Das mag wohl stimmen - aber das gilt auch für viele andere Fragen, die wir uns als Menschen stellen. Das heißt dann aber eben auch, dass diese philosophischen Fragen bei der empirischen Erforschung des Bewusstseins keine Rolle spielen. Privat kann ein Forscher Materialist oder Eigenschaftsdualist sein, seine Arbeit sollte dies nicht beeinflussen. Es gibt in der subjektunabhängigen Realität schlicht nichts, was mit dem Unterschied zwischen diesen metaphysischen Positionen begriffen werden könnte. Und darum ist imo auch die neutrale Formulierung richtig, dass es aus der Perspektive der ersten Person so scheint, als seien Qualia nicht-physikalisch. Diese ganze metaphysische Diskussion kann man sich somit komplett sparen. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
KevinF Geschrieben 5. Oktober Autor Melden Share Geschrieben 5. Oktober On 10/4/2024 at 8:30 PM, Marcellinus said: Es gibt keinen außerphilosophischen Grund, Philosophie zu betreiben. Das ist wohl so. Zumindest kann man die Philosophie bei der Erforschung des Bewusstseins getrost ignorieren. Ob man nun sagt, das Bewusstsein ist physikalisch oder ob man sagt, psychische Eigenschaften supervenieren über physikalischen Eigenschaften und die Physik ist kausal geschlossen, macht in der Praxis keinen Unterschied. 1 Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
SteRo Geschrieben 5. Oktober Melden Share Geschrieben 5. Oktober vor einer Stunde schrieb KevinF: Ob man nun sagt, das Bewusstsein ist physikalisch oder ob man sagt, psychische Eigenschaften supervenieren über physikalischen Eigenschaften und die Physik ist kausal geschlossen, macht in der Praxis keinen Unterschied. Mit Verlaub. Mir scheint, dass alles, was irgendwer über Bewußtsein/bewußtes Erleben sagt, in der Praxis keinen Unterschied macht. Stellt sich die Frage, was es ist, das die Frage über Bewußtsein/bewußtes Erleben überhaupt erst aufwirft. Es kann vermutlich nichts sein, was in der Praxis einen Unterschied machen könnte. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
iskander Geschrieben 6. Oktober Melden Share Geschrieben 6. Oktober Am 28.9.2024 um 22:11 schrieb Marcellinus: Wobei Philosophen spätestens an dieser Stelle mit der Behauptung kommen, jeder müsse notwendig eine Philosophie haben. Sie nennen es "Voraussetzungsmetaphysik", und sie sei (die gedankliche) Grundlage der Naturwissenschaften, gewissermaßen die Axiome, auf denen die Wissenschaften beruhten, vergleichbar der Mathematik. Ich erinnere mich nicht, je eine solch merkwürdige Behauptung und Begründung von Seiten eines Philosophen gelesen oder gehört zu haben; ich denke, hier verstehst Du etwas miss. Am 3.10.2024 um 20:29 schrieb Marcellinus: Von der Entstehung der ersten Wasserstoffatome über die Entwicklung der übrigen Elemente, die Entstehung von Sonne, Sonnensystemen und Galaxien bis zur Entstehung des Lebens auf unserem Planeten, immer entstanden neue Objekte durch die Anordnung vorhandener, und es entstanden neue Eigenschaften, die sich aus diesen Anordnungen ergaben und nicht vollständig auf die Eigenschaften der einzelnen Objekte zurückgeführt werden können, die sie bilden. Natürlich - beispielsweise haben einzelne Kohlenstoffatome nicht die Eigenschaften eines Diamanten. Oder die Komponenten einer Kuckucksuhr haben nicht die Fähigkeit, uns die Uhrzeit anzuzeigen. Trotzdem kann man zumindest grundsätzlich aus den Eigenschaften der Komponenten und ihrer Anordnung das Makrosystem verstehen. Diese ganz simple Form von "Emergenz" streite ich überhaupt nicht ab - nur bringt sie uns im Zusammenhang mit dem Bewusstseinsproblem leider nicht weiter. Wenn man unzählige Neuronen vernetzt, hat man einen Komplex von vernetzen Neuronen, und dieser Komplex hat andere Eigenschaften als das einzelne Neuron - das war es dann aber auch. Mache der Aussagen, die Du tätigst, sind in der Tat historischer oder soziologischer Natur, oder sie folgen einfach aus der allgemeinen Beobachtung. Das gilt insbesondere für einen Teil Deiner Erklärungen über die empirisch arbeitenden Wissenschaften - etwa wenn Du sinngemäß sagst, dass die Auffassungen im Lauf der Wissenschaftsgeschichte sich verändert haben, oder dass manche wissenschaftlichen Hypothesen die beobachtbaren Daten besser erklären als andere. Aber bereits wenn es darum geht, ob man mit Recht sagen kann, dass es durch die Wissenschaft an eine Annäherung an die "Wirklichkeit" und an die "Wahrheit" kommt oder nicht, und ob eine Annäherung an die Wahrheit und eine an die Wirklichkeit auf das gleiche hinauslaufen oder nicht, verlassen wir eindeutig den Bereich der Soziologie oder der Geschichtswissenschaften. Wie sollte man beispielsweise eine sozialwissenschaftliche Studie konzipieren, die solche Fragen beantwortet? Und das gilt nicht nur hier, sondern für viele Deiner Behauptungen: Weder thematisch gehören sie in die Sozial- oder Naturwissenschaften, noch lassen sie sich sozialwissenschaftlich oder naturwissenschaftlich begründen, noch lieferst Du einen entsprechenden Begründungsversuch. (Zu letzterem Punkt nachher noch mehr.) Solche Aussagen gehören vielmehr nach allen üblichen Definitionen - schau in einem Lexikon Deiner Wahl nach, oder in Fachbücher, oder wo immer - völlig unzweifelhaft in die Philosophie. Nimm beispielsweise folgende Positionen von Dir: 1) Logik sei nur ein von Menschen gemachtes System. Warum soll diese Behauptung nicht in die Metalogik gehören, sondern in die Sozialwissenschaften? Und worin unterscheidet sich diese Behauptung prinzipiell von ganz ähnlichen philosophischen Positionen? Soziologisch und historisch mag man feststellen, dass es menschgemachte logische Systeme gibt - mehr aber doch nicht. 2) Die Mathematik sei nur ein von Menschen gemachtes System. Viele Mathematiker gehen eher davon aus, dass mathematische Zusammenhänge entdeckt werden; aber das spielt hier keine Rolle. Warum sollten derartige Auffassungen aber in die Soziologie und nicht in die Philosophie der Mathematik gehören? Eine sozialwissenschaftliche Frage wäre es, was die Mathematiker dazu meinen und welche sozialen Faktoren ihre Meinungsbildung beeinflussen mögen - aber doch nicht was der "seinsmäßige" Status mathematischer Objekte ist! Und erneut: Warum ist eine bestimmte Position offenbar valide, wenn sie von Marcellinus vertreten wird, aber "Fantasie", wenn sie von Philosophen vertreten wird? Hat Marcellinus eine sozialwissenschaftliche Studie zur Natur mathematischer Entitäten Hand, die die Philosophen nicht haben? 3) Erkenntnis sei nur dort möglich, wo eine empirische Prüfung möglich ist. Erneut: Wie sollte man diese Behauptung sozialwissenschaftlich-empirisch entscheiden können? Warum soll sie nicht in die Erkenntnistheorie gehören? Und warum ist es eine wertlose Illusion, wenn Philosophen die Frage, ob es Erkenntnis ohne empirische Prüfung gibt, anders als Du - oder sogar genauso wie Du - beantworten, während Deine eigene Position offenbar eine echte Einsicht bietet? Was unterscheidet beispielsweise Deine Position oder Argumentation grundsätzlich von den Auffassungen des radikalen Empirismus? 4) Die Philosophie könne nur Kritik an (ideologischen) System üben, aber sie könne nichts positiv herausfinden. Warum soll eine solche das nun keine Aussage der Metaphilosophie sein? 5) Bewusstsein sei eine bestimmte Form der Materie. Dass Materie und Bewusstsein auf irgendeine Weise eng verbunden sind und zusammenhängen, ist Alltagswissen. Die Neurowissenschaften können zudem manche bewusste Erscheinungen mit bestimmten Hirnprozessen korrelieren. Das ist noch keine Philosophie. Wenn es aber beispielsweise um die Frage geht, ob Bewusstsein und Gehirn nun "identisch" sind und was genau das heißen könnte, dann ist das weder Alltagswissen noch Neurowissenschaft. Wieso sollte eine Behauptung wie die, dass das Bewusstsein eine Form der Materie ist, nicht zur Philosophie des Geistes gehören, sondern etwa in die Soziologie? Welche Studie aus der sozialwissenschaftlichen Feldforschung könnte belegen oder widerlegen, dass das Bewusstsein aus Materie besteht? Eine sozialwissenschaftliche Frage wäre doch etwa die, was die Leute über das Verhältnis von Bewusstsein und Materie denken, und welche sozialen Faktoren ihre Meinungen beeinflussen! Und was unterscheidet Marcellinus' fundierte Auffassung über das Verhältnis von Bewusstsein und Materie von absolut gleichlautenden Positionen innerhalb der unfundierten Philosophie des Geistes? Warum ist ein und dieselbe Aussage, wenn sie aus dem Mund von Marcellinus kommt, offenbar eine echte Erkenntnis, während die nur "Fantasy" ist, wenn jemand in der Philosophie des Geistes sie gerade so äußert? Welche empirischen Befunde aus den Neuro- oder Sozialwissenschaften hat Marcellinus seine Position nicht nur belegen, sondern die von Philosophen zudem ignoriert werden? 6) Das Bewusstsein lasse sich - wie andere Phänomene - mithilfe des Begriffs der Emergenz verstehen. Allein die Tatsache, dass ein auf eine bestimmte Weise strukturiertes System oft andere Eigenschaften hat als jedes seiner einzelnen Komponenten - oder auch als alle Komponenten, wenn man sie einfach wahllos verbindet - ist offensichtlich wahr und auch noch keine Philosophie. Es gilt ja schon auch schon für einen Rasenmäher, dass er in diesem Sinne emergente Eigenschaften hat. Aber bereits die These, dass das Bewusstsein auf die gleiche Weise per Emergenz aus der Materie erklärbar sei, ist nun keineswegs so offenkundig wahr. Denn während wir verstehen können, wieso ein Rasenmäher mit seinen Eigenschaften entsteht, wenn man seine Komponenten so und so anordnet, versteht man das im Fall von Neuronen und Bewusstsein nicht. Wie schon gesagt sieht man da nur, wieso eine komplexes System von Neuronen herauskommt. Und um eine sozialwissenschaftliche These handelt es sich hier auch nicht. Und erneut stellt sich die Frage, wieso Vertreter der Philosophie des Geistes, die schon lange vor Marcellinus das Bewusstsein als emergente Eigenschaft oder Funktion der Materie aufgefasst haben - gewöhnlich dann aber stärkere Formen der Emergenz im Auge haben - nichts als Schall und Rauch produzieren (bzw. produziert haben), während Marcellinus etwas Bedeutsames und Richtiges sagt, wenn er das gleiche oder jedenfalls etwas ähnliches sagt. Du meinst, wie ich Deinen Antworten entnehme, Du habest auf derartige Fragen durchaus eine (nicht-philosophische) Antwort gegeben, die ich nur nicht verstehen würde. Dann frage ich mich aber, worin diese Antwort besteht. Als ich Dich früher einmal ähnliches wiederholt gefragt habe, hast Du als Antwort wiederholt sehr genau erläutert, wie Naturwissenschaften Deiner Ansicht nach arbeiten - wobei ich das ja relativ ähnlich sehe. Insbesondere hast Du dargelegt, dass die Naturwissenschaften auf Experiment und Beobachtung angewiesen sind, um zu Erkenntnissen zu gelangen. Dem kann ich nur zustimmen. Aber daraus folgt eben noch nicht, dass auch jede andere Erkenntnisanstrengung ohne empirische Prüfung ins Leere laufen würde. Man bräuchte hierzu noch zusätzliche Annahmen. Schematisch: 1. Naturwissenschaft kann nur mithilfe empirischer Prüfung zu Erkenntnissen gelangen. 3. Auch jeder andere Versuch, Erkenntnisse zu gewinnen, kann nur mithilfe empirischer Prüfung zu Erkenntnissen gelangen. Man sieht sofort, dass hier eine zweite Prämisse fehlt. Diese könnte etwa lauten: "2. Was hier für die Naturwissenschaft gilt, das gilt auch ganz allgemein für jeden anderen Versuch, Erkenntnisse zu gewinnen." Nur findet sich, soweit ich sehe, nirgendwo eine Begründung für diese 2. Prämisse oder eine ähnliche. Es scheint mir, dass Du zwar von Annahmen ausgehst, die soweit durchaus richtig sind; dass Du aus ihnen jedoch Schlussfolgerungen ziehst, die durch sie nicht gedeckt sind. (Das wäre ein sog. "Non sequitur".) Und entsprechend finde ich auch nirgendwo eine (nicht-philosophische) Begründung dafür, wieso beispielsweise Deine Auffassungen über die Natur der Logik, über das genaue Verhältnis von Materie und Bewusstsein usw. zutreffend sein sollen. Wenn Du das anders siehst, wäre es vielleicht hilfreich, wenn Du die zentralen Sätze Deiner Argumentation zusammenfassen könntest - vielleicht ähnlich wie ich es gerade schematisch versucht habe. Nach meiner Überzeugung (ich lasse mich wie gesagt gerne korrigieren) vertrittst Du zahlreiche Positionen, die völlig eindeutig philosophisch sind, ohne dass eine philosophische, sozialwissenschaftliche, historische oder naturwissenschaftliche Begründung erfolgen würde. Der wesentliche Unterschied zur professionellen Philosophie scheint mir paradoxerweise darin zu bestehen, dass professionelle Philosophen in aller Regel versuchen, ihre Auffassungen zu begründen (mal besser und mal schlechter), während bei Dir in aller Regel eine Begründung fehlt. Viele Deiner Positionen scheinen sich zudem - falls ich das so sagen darf - vor allem dadurch auszuzeichnen, dass sie auf den ersten Blick plausibel sein mögen, sich aber bei genauerer Beschäftigung als keineswegs so einfach und unproblematisch herausstellen, wie sie anfangs erscheinen mögen. Zwei Beispiele mögen genügen: a) "Weil die "Gesetze der Logik" nichts sind, was gewissermaßen außerhalb der Menschen existiert, sondern selbst ein Produkt der gesellschaftliche Entwicklung, und nein, "Gesetze" im Sinne von Dogmen sind es auch nicht." https://www.mykath.de/topic/36085-logik-argumente-beweise-und-wissenschaft/?do=findComment&comment=2546665 Nur hat man mit dieser Position mehrere Probleme. Eines ist, dass man zwar formale logische Systeme erschaffen kann (die sich im allgemeinen übrigens nicht widersprechen, sondern verschiedene Aufgaben erfüllen - dazu bei Interesse gerne mehr). Aber wenn nicht etwas Absurdes herauskommen soll, etwa dass aus wahren Aussagen etwas Falsches folgt, oder dass man absolut alles beweisen kann, dann müssen die entsprechenden Regeln eben in einer bestimmten Weise beschaffen sein. Anders formuliert: Menschgemachte logische Systeme mit ihren Regeln müssen, wenn sie sinnvoll sein sollen, bestimmten Prinzipien folgen. Und diese Prinzipien nun sind offenbar nicht menschengemacht; gleichzeitig gelten sie aber offenbar in Chile genauso wie in Deutschland, und im alten Hellas genauso so wie im 3. Jahrtausend. Und schon hat man doch wieder etwas, was verdächtig nach "absoluten" und "ewigen" Wahrheiten riecht, die der Mensch nicht kreiert, sondern die ihm schlechterdings vorgegeben sind. b) Die These, dass es nur Erkenntnis geben könne, wo es eine empirische Prüfung, und dass der Rest Spekulation und Fantasie sei. Das mag sich erst mal überzeugend anhören, aber es stellt sich die Frage, wie man diese Aussage selbst begründen soll. Eine nicht-empirische Begründung führt zum Selbstwiderspruch, und eine empirische Begründung ist, wie ich anderswo schon dargelegt habe, unmöglich. Dasselbe gilt für zahlreiche andere Deiner Aussagen, die man normalerweise eindeutig der Philosophie zuordnen würde: Auch hier scheint es wie gesagt unmöglich zu sein, sie empirisch zu begründen, und doch hältst Du sie für offenbar für zutreffend. Wenn Du das anders siehst, bin ich wie gesagt gespannt, wie Deine Argumentation an dieser Stelle aussieht. Es bleibt bei mir zu diesem Zeitpunkt der folgende Eindruck: - Du stellst zahlreiche Behauptungen auf (und hältst diese allem Anschein nach für zutreffend und nicht für Fantasie), die zur Philosophie gehören. - Die allermeisten, wenn nicht alle Deiner Positionen, wurden auch schon von Philosophen vertreten. - Der Hauptunterschied ist, dass Du Deine entsprechenden Thesen nicht begründet. (Du tätigst zwar (zutreffende) soziologische, historische und ähnliche Aussagen, aber diese stellen für sich genommen noch kein schlüssiges, valides Argument für jene These von Dir da, um die es hier geht.) - Viele Deiner Thesen, die mir als eindeutig philosophisch erscheinen, zeichnen sich dadurch aus, dass sie auf den ersten Blick plausibler sind als auf den zweiten. - Gleichzeitig sprichst Du der professionellen Philosophie (nahezu) jede Daseinsberechtigung und jede Erkenntnismöglichkeit ab. Deine Kenntnisse von ihr scheinen doch eher begrenzt zu sein, weshalb Du aus meiner Sicht oft in die gleichen Fallen tappst, in die bereits Philosophen vor Dir getappt sind. Nochmals: Ich lasse mich gerne widerlegen. Aber dann bitte nicht im Sinne von "ich habe es doch geschrieben", sondern etwas Konzises im Sinne von "Es gilt erstens dies und zweitens das und drittens jenes - und somit gilt dann viertens auch diese meine Behauptung". Nur so lässt sich nämlich sagen, wie das eigentliche Herz Deiner Argumentation aussieht, und ob Deine Argumente das leisten, was sie leisten sollen. Ich habe übrigens ja schon öfter klargestellt, dass ich keineswegs der Auffassung bin, dass man sich erst mit der Philosophie befassen müsse, um dann Naturwissenschaft betreiben zu können. Allerdings habe ich darauf hingewiesen, dass die Philosophie manche Konzepte zu klären und manche Annahmen zu begründen versucht, die die Wissenschaft voraussetzt. Deine Kritik übersieht, dass ich das an konkreten Beispielen ausführe - die Induktion ist nur eines. Wenn Dich das nicht überzeugt, bist Du eingeladen, auf die konkreten Argumente einzugehen und zu sagen, wo ich falsch liege. Etwa: "Entgegen Deinen (iskanders) Ausführungen keine Induktion." Oder: "Induktion lässt sich empirisch begründen." Oder etwas anderes. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
iskander Geschrieben 6. Oktober Melden Share Geschrieben 6. Oktober (bearbeitet) Am 4.10.2024 um 18:14 schrieb Marcellinus: Wieso bist du nicht konsequent, und hältst dich selbst für eine Illusion? Dann könnten wir uns das hier sparen. Das habe ich schon beantwortet. Unsere bewusste Existenz ist die Voraussetzung dafür, dass wir etwas erleben und auch Illusionen haben können; ein realer Stein im Garten aber nicht! Am 4.10.2024 um 18:25 schrieb Marcellinus: Du hast gar nicht gelesen, was ich da oben geschrieben habe, nicht wahr? Doch! Am 4.10.2024 um 18:52 schrieb Marcellinus: Weil das Bewusstsein der Menschen auch kein physikalisches, sondern ein biologisches oder neurologisches, allemal aber ein menschenwissenschaftliches Problem ist. Dann versuche einmal, das Explanandum Bewusstsein physikalisch, biologisch oder neurologisch zu beschreiben, zu definieren oder zu operationalisieren, so dass eine entsprechende Forschung stattfinden kann. Am 4.10.2024 um 18:52 schrieb Marcellinus: Um es kurz zu sagen: physikalische Gesetzmäßigkeiten sind prinzipiell ungeeignet, um Beobachtungen auf der biologischer oder psychosozialer Integrationsebene zu erklären, nicht weil diese Beobachtungen prinzipiell nicht erklärbar wären, sondern weil es einfach nicht Aufgabe der Physik ist. Nur dass man biologische Vorgänge wie Du ja selbst schreibst, prinzipiell auch physikalisch beschreiben kann - psychische Vorgänge aber nicht. Wenn Du das anders siehst erneut die Einladung, es an einem Beispiel zu versuchen. Soziale Prozesse könnte man dann physikalisch beschreiben, wenn man alles, was mit Bewusstsein zu tun hat, wegließe, und sich allein an beobachtbares Verhalten und an Gehirnvorgänge hielte. bearbeitet 6. Oktober von iskander Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
iskander Geschrieben 6. Oktober Melden Share Geschrieben 6. Oktober (bearbeitet) Am 3.10.2024 um 20:42 schrieb Marcellinus: Der Ausgangspunkt ist hier das Stichwort "Ontologie", die Vorstellung, man könne sich nur dann sachgerechte Aussagen über diese Welt machen, wenn man eine philosophische Grundlage habe, auf der diese Aussagen beruhen, meistens noch dekoriert mit der Vorstellung, jeder habe eine, ob eingestanden oder nicht. Zeig mir eine halbwegs anerkannte Definition der Ontologie, die das beinhaltet! Aber gut: Wenn man beispielsweise die Überzeugung, dass die Welt eine gewisse Ordnung hat und sehr wahrscheinlich auch morgen noch eine gewisse Ordnung haben wird, als "philosophisch" bezeichnen wollte, dann könnte man das vielleicht so sagen. Professionelle Philosophen braucht man allerdings nicht, um solche Annahmen zu machen - wir alle machen sie. Am 3.10.2024 um 20:42 schrieb Marcellinus: Diese Vorstellung wiederum ergibt sich aus der Suche danach, was wir sicher wissen können, eine Art archimedischen Punkt des Geistes. Exemplarisch können dafür René Descartes, David Hume, Immanuel Kant und Karl Popper stehen. Hume und Popper eher nicht; die lehnen einen solchen archimedischen Punkt ab. Und es gibt viele Philosophen - auch solche, die sich mit Ontologie befasst haben, die ebenfalls keinen archimedischen Punkt annehmen. Zitat Dieser Zweifel beherrscht die Philosophie der letzten mehr als 300 Jahre. Wie geht das zusammen mit der Tatsache, daß die Menschen genau in der gleichen Zeit einen sich stetig beschleunigenden Prozeß des Zuwachses an realistischem Wissen durchmachen? Es dürfte wenige Philosophen geben, die im Hinblick auf die Wissenschaft eine bedeutend skeptischere Haltung als beispielsweise auch Du vertreten. Und Descartes etwa, der auf die grundsätzliche Möglichkeit des Irrtums hinweist, begründet durchaus, wie sein - methodischer - Zweifel trotz Wissenschaft funktionieren kann. Zitat Nur ist das Subjekt der Erkenntnis eben nicht "der" einzelne Mensch, sondern die Gesellschaften der Menschen. Das Subjekt der Erkenntnis im engeren Sinne ist schon der einzelne Mensch (eine Gesellschaft ist kein Subjekt im strengen Sinne), aber dieser ist von zahlreichen sozialen Bedingungen abhängig. Das ist richtig, aber das wussten auch die Philosophen. Die Frage "Wie können wir als Menschen etwas wissen?" ist aber eine andere Frage als die, wie sich Wissenszuwachs in der Gesellschaft historisch entwickelt hat oder wie soziale Strukturen und Prozesse das Wissen, das der einzelne hat, mitbestimmen und erst ermöglichen. Die Frage, warum es beispielsweise für eine Kamera möglich ist, Dinge im Bild festzuhalten, wird auch nicht durch den richtigen Hinweise beantwortet, dass nicht ein einzelner isolierter Mensch die Kamera erfunden hat, sondern dass diese Erfindung das Ergebnis eines langen wissenschaftlichen-technischen Prozesses ist, der innerhalb einer menschlichen Gesellschaft stattgefunden hat, und dass dabei Wissen und Fähigkeiten weitergegeben wurden. Zitat Die Suche nach einer unbezeifelbaren Grundlage, einem a-priori unseres Denkens, ist einfach eine Fehltheorie, ein Irrtum, eine Illusion, weil es einen solchen absoluten Anfang nicht gibt [...] Jedes a-priori ist ein a-posteriori der Menschen, die vor uns kamen. Da verwechselst Du nun aber nun das Vorausgehen in einem logischen bzw. begründungstheoretsichen Zusammenhang mit einem zeitlichen bzw. bedingungsmäßigen Sinne; Du verwechselst und Geltung und Genese. Wie eine Überzeugung sich historisch herausgebildet hat und wovon sie abhängt ist das eine; wie wir wissen können, dass sie zutreffend ist, ist das andere. Und dass sie zutreffend ist - oder dass sie zumindest mit einiger Wahrscheinlichkeit ungefähr zutreffend ist (und genau genommen sogar mehr) - müssen wir zumindest in manchen Fällen wissen können. Sonst wäre alles, was wir sagen - und auch alles, was Du hier sagst - nichts als eine völlig beliebige Fantasie, die in der Tat genauso beliebig wäre wie das Gegenteil. Wenn wir aber etwas wissen (selbst etwas Negatives), bedarf es auch einer Begründung in irgendeiner Form; und dann stellt sich die Frage nach dem "a priori". Und ein "a priori" bedeutet hier kein zeitliches "vor der Erfahrung" oder gar "vor der Gesellschaft", sondern dass etwas über den Einzelfall hinausgehend als gültig begriffen wird. Wenn wir beispielsweise meinen, dass es universal gilt, dass die Farbqualität Rot immer eine Ausdehnung voraussetzt; und wenn wir davon ausgehen, dass wir das nicht durch die Induktion aus vielen Einzelfällen schließen müssen, sondern durch ein Verstehen dessen, was eine Farbe ist, einzusehen vermögen (wofür eine einzelne Farbwahrnehmung ausreichend sein mag): Dann bezeichnet man das als ein "A-priori-Wissen". Damit wird aber natürlich nicht abgestritten, dass es den einzelnen Menschen, der eine solche Erkenntnis besitzt, ohne die Gesellschaft nicht geben würde; oder dass der einzelne Mensch durch die Gesellschaft lernt, bestimmte Farbwahrnehmungen als "rot" zu bezeichnen. Und keineswegs wird damit behauptet, dass dadurch ein bestimmbarer absoluter zeitlicher Anfang des Erkenntnisprozesses gegeben wäre - oder sonst etwas offenkundig Absurdes. Kurz: Eine Entwicklung von Ideen und Symbolen im Lauf der Geschichte und eine diesbezügliche Abhängigkeit des Individuums von der Gesellschaft wird hier gar nicht abgestritten. Deine Kritik scheint mir an dieser Stelle tatsächlich einfach auf einem Missverständnis zu beruhen. Du liest philosophische Aussagen soziologisch, als Negation von sozialen Prozessen und historischen Entwicklungen - obwohl sie gar nicht so gemeint sind. Zitat Weder läßt sich die Biologie auf die Physik reduzieren, wie übrigens auch nicht sie Soziologie auf die Biologie [...] Das mag man so sagen können, je nachdem, wie man das meint, aber die sich so ergebende Differenz ist sehr schwach. Chalmers dazu: "... In this sense, even biological fitness is not a physical property. But this sort of "dualism" is a very weak variety. There is nothing fundamentally ontologically new about properties such as fitness [...]" Von bewussten Eigenschaften hingegen vertritt er - sehr begründet - die Auffassung, dass sie "not even logically supervenient on microphysical properties" sind. Das ist der Punkt, den ich auch immer wieder zu machen versuche: Während sich biologische Systeme (wenn die moderne Biologie recht hat) vollständig auf grundlegendere physikalische Entitäten und ihre Anordnung zurückführen lassen, gilt das nicht für das Bewusstsein. Und deswegen kann auch die Soziologie dann nicht auf die Biologie reduziert werden (siehe meinen letzten Beitrag). Zitat Erschwert wird das Ganze dadurch, daß man es, auch hier wieder in der Tradition der Religion, für die Aufgabe der Wissenschaften ansieht, nach der „Wahrheit“ zu suchen. Aber was ist "Wahrheit"? In der modernen Wissenschaftstheorie ist der Zugang aber sehr viel differenzierter. Manche Autoren sprechen beispielsweise nur von "empirischer Adäquatheit". Zitat Deshalb gibt es auch nicht „die“ für alle verbindliche, wissenschaftliche Methode. Die Methoden der Wissenschaften entwickeln sich vielmehr in wechselseitiger Abhängigkeit von den Gegenständen, und daher ist es auch absurde Überheblichkeit von Philosophen, zu behaupten, die Philosophie könne den Wissenschaften "die eine" Methode vorschreiben. Aber wer will das? Die Frage lautet doch in aller Regel: Wie funktionieren Wissenschaften, wenn sie gut funktionieren? Und dass dabei unterschiedliche Wissenschaften ziemlich unterschiedliche Methoden haben, weiß auch die Wissenschaftstheorie. Zitat Zwar erweisen sich dabei gelegentlich Aussagen einfach als falsch, aber sobald Forschungsergebnisse wie ihre Gegenstandsbereiche nur etwas anspruchsvoller werden, ist ein so simples Gegensatzpaar wie "wahr/falsch“ ein vollkommen untaugliches Symbol zur Beurteilung eines möglichen Erkenntnisfortschritts. Das stimmt in einem gewissen Sinne, aber dazu würde ich allerdings ergänzen wollen, was ich schon in der Vergangenheit gesagt habe: Zitat Beginn Aber "Wahrheit" taucht hier eben dennoch an unterschiedlicher Stelle auf: - Man hat bestimmte Beobachtungen gemacht. - Bei Messungen ist (ungefähr) dieses und jenes herausgekommen. - Die Theorie X erklärt bisherige Beobachtungen gut bzw. sie ist "empirisch adäquat". - Die Theorie X ist konsistent. - Die Theorie X macht Vorhersagen, die sich bestätigen lassen. - Die Theorie X erklärt mindestens so viel wie die Theorie Y, kommt aber mit weit weniger Ad-hoc-Hypothesen aus. - ... In all diesen Fällen könnte man auch sagen: "Es ist wahr dass...". (Z.B: "Es ist wahr, dass die Theorie X Vorhersagen macht, die sich bestätigen lassen"). Nur redet man so eben gewöhnlich nicht - aber das liegt wie gesagt daran, dass Behauptungen ohnehin einen impliziten Wahrheitsanspruch beinhalten. Deshalb wäre es - sofern die Wahrheit nicht besonders betont oder in Zweifel gezogen werden soll - redundant, den Wahrheitsanspruch ständig explizit hervorzuheben. Dennoch meint jemand, der sagt, dass eine Theorie die Beobachtungen erklärt, dass es zutrifft, dass sie die Beobachtungen erklärt. Und Entsprechendes gilt auch für negierende Behauptungen oder Behauptungen mit einer gewissen Vagheit: Wer sagt, dass die Theorie die Beobachtungen nicht erklärt, meint damit, dass es zutrifft, dass die Theorie die Beobachtungen nicht erklärt. Und wer sagt, dass die Theorie die Erklärungen weitgehend erklärt, der meint, dass es zutrifft, dass die Theorie die Beobachtungen weitgehend erklärt. Und selbst wenn jemand sagt, dass eine empirische Theorie sich bisher gut bewährt habe, aber er nicht wissen, ob sie wahr sei, meint er doch genau dies: Dass es zutreffend/wahr sei, dass die Theorie sich bisher gut bewährt habe, dass es aber auch zutreffend/wahr sei, dass er nicht wissen, ob sie darüber hinaus wahr sei. Derartige Wahrheitsansprüche können natürlich durch ein "wahrscheinlich", "meine ich", "es spricht viel dafür" usw. abgeschwächt bzw. relativiert werden. Komplett aufgehoben werden können sie allerdings sinnvollerweise nicht - es sei denn, es ginge etwa darum, dass ein Aussagesatz einfach nur als Beispiel für eine gewisse grammatische Besonderheit vorgestellt wird, ohne dass mit ihm irgendetwas behauptet werden sollte. Daneben haben wir die Falsifikation, bei der es letztlich auch um "Wahrheit" geht. Schon der Begriff "falsch" ist eben auf den Begriff "wahr" bezogen und hat nur von ihm her seinen Sinn (während die Umkehrung so nicht gilt). Wenn ich weiß, dass eine Aussage falsch ist, weiß ich zudem, dass die Negation der Aussage wahr ist. Und das ist keine Formalität, denn auch das Wissen um einen "negativen" Sachverhalt ist ein Wissen. Wenn ich beispielsweise in Australien, dem Kontinent der Gifttiere, lebe und erfahre, dass die Spinne, die mich gerade gebissen hat, nicht giftig ist, dann habe ich etwas Wichtiges gelernt. Und wenn ein Kind lernt, dass es am Nordpol keine Pinguine gibt (sondern nur am Südpol), dann weiß es an dieser Stelle nun eben etwas, was ein anderes Kind vielleicht nicht weiß. (Abgesehen davon ist es in vielen Fällen ohnehin schwierig, "positive" und "negative" Sachverhalte so einfach gegeneinander abzugrenzen.) Zitat Ende Zitat Einen Geltungsanspruch erhebe ich mit alledem übrigens nicht. Ich versuche nur ein realistischeres Modell von der Entwicklung menschlichen Wissens darzustellen, als es religiöse oder philosophische Erkenntnismodelle sind. Das ist dann aber eine Geltungsanspruch zweiter Ordnung: Es gilt dann wenigstens, dass Deine Ausführungen dem Phänomen "Wissen" eher gerecht werden als religiöse oder philosophische Erkenntnismodelle. Aber wie gesagt scheinst Du philosophische Erkenntnistheorien anders zu verstehen, als sie eigentlich verstanden werden wollen. Soweit Du tatsächlich nur über die sozialen Bedingungen und historische Prozesse schreibst, gibt es keine Konkurrenz zur Erkenntnistheorie im engeren Sinne, weil diese sich mit unterschiedlichen Fragen befassen. Es gibt hier auch wenig Widerspruch zur realen Wissenschaftstheorie. Wie man von (bei aller Kritik) Popper lernen kann, glaubt keineswegs jeder Wissenschaftstheoretiker, dass die Wissenschaft "die Wahrheit" - noch dazu die "ganze Wahrheit" - erkennt oder gar mit Sicherheit erfassen könnte. Ich möchte sogar behaupten, dass es wenige Wissenschaftstheoretiker gibt, die derart undifferenzierte und simplistische Vorstellungen haben. Zudem wirst Du, wenn Du relevante Überzeugungen zur Wissenschaft begründen möchtest, zum Teil auch über das Historische und Soziale hinausgehen müssen. Denn es könnte jemand ja sagen, dass die Wissenschaft sich in der Vergangenheit so verhalten haben mag, wie Du es beschreibst, sich inzwischen oder spätestens in naher Zukunft aber vielleicht ganz anders verhält - dass sie uns dann beispielsweise die volle und sichere Wahrheit liefert. Und dann muss man sich überlegen, wieso die empirische Wissenschaft nicht nur bisher faktisch an gewisse Grenzen gestoßen ist, sondern wieso hier tatsächlich grundsätzliche Grenzen bestehen - Grenzen, die auch morgen und übermorgen noch da werden. Und spätestens dann ist man in der Philosophie. Zitat Dabei gibt es ja nicht eine Ontologie, eine Lehre vom „Sein“ und den „Grundstrukturen der Wirklichkeit“, sondern viele, viele. Das stimmt. Sehr viel ist leider umstritten. Allerdings gilt das auch für nahezu alle Deine Thesen, soweit ich sie als "philosophisch" einordnen würde (was ich wie gesagt nicht mit allen, aber mit etlichen Deiner Äußerungen tun würde - siehe etwa auch meinen letzten Beitrag). Manche, wenn nicht viele Deiner Überzeugungen würden auf erheblichen Widerspruch stoßen. Das gilt nicht allein für Philosophen, sondern beispielsweise auch für Soziologen oder Naturwissenschaftler. (Soweit sie sich mit solchen Fragestellungen überhaupt befasst haben - denn viele werden sich vermutlich nicht zuständig fühlen.) bearbeitet 6. Oktober von iskander Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
iskander Geschrieben 6. Oktober Melden Share Geschrieben 6. Oktober (bearbeitet) Am 3.10.2024 um 21:25 schrieb Marcellinus: Ich will einmal versuchen, eine kleine Geschichte von Wissenschaft und Philosophie der letzten Jahrhunderte zu schreiben, festgemacht an einigen ihrer hervorragendsten Vertreter. Ohne das jetzt in jedem Detail kommentieren zu wollen (obwohl ich in etlichen Punkten erheblich anderer Meinung bin), seien mir doch zumindest einige Anmerkungen dazu gestattet: Zitat Man kann also mit einigem Recht sagen, daß fast 300 Jahre philosophischer Erkenntnistheorie immer den jeweiligen, bahnbrechenden Erkenntnissen ihrer Zeit gefolgt sind, nicht etwa ihnen vorausgingen. Selbst wenn es so wäre: Erstens befasst sich Philosophie nicht nur mit der Naturwissenschaft. Zweitens ist es nur naheliegend, dass eine Disziplin, soweit sie die Erkenntnisse einer anderen Disziplin reflektieren und einordnen will, diesen Erkenntnissen zeitlich nachfolgt. Das gilt nicht nur für die Philosophie, sondern auch beispielsweise für Soziologie und Geschichtswissenschaften. Und drittens behauptet nun auch niemand, dass man zuerst Philosophie betrieben haben müsse, um Naturwissenschaft betreiben zu können (auch wenn die Philosophie zum Teil versucht, die Grundlagen von Wissenschaften zu beleuchten). Zitat Während David Hume darüber nachdachte, ob ein Tisch noch da ist, wenn wir ihn aus den Augen verlieren, und wieso Menschen in ihrer Welt Ursache-Wirkung-Zusammenhänge sehen, waren Isaac Newtons Gravitations- und Bewegungsgesetze sowie seine zahlreichen Arbeiten zu Optik, Mechanik und Astronomie seit über 50 Jahren bekannt, alles Arbeiten über nachprüfbare Zusammenhänge in dieser Welt, allem philosophischen Skeptizismus zum Trotz. Selbst 90 Jahre nach Newton plagt sich Kant immer noch mit der Frage, woher eigentlich die Strukturen stammen, die die Naturwissenschaftler so erfolgreich unserer Welt abringen, und konnte offenbar zu keiner anderen Erkenntnis kommen, als daß sie im Inneren der menschlichen Vernunft a priori vorhanden seien. Nur löst die Naturwissenschaft diese Probleme leider nicht, sondern sie sagt zu ihnen überhaupt nichts! Man kann derartige Fragen für uninteressant halten, aber das ist etwas anderes. (Und hier nochmals der Hinweis: Das philosophische "a priori" hat nichts mit sozialer Voraussetzungslosigkeit oder mit Ahistorizität zu tun.) Zitat Viel schlimmer, eigentlich wußte Popper, daß die Wissenschaften nicht so vorgehen, wie er sich das wünschte, und es kann ihm nicht entgangen sein, daß sie dabei erfolgreich sind, und doch bestand er mit der ganzen Autorität, die er mit 300 Jahren abendländischer Philosophie beanspruchte, darauf, daß Wissenschaften wider besseres Wissen sich so verhalten sollten, wie er es für rational hielt. Unter Naturwissenschaftlern wird Popper allerdings oft unkritischer und undifferenzierter gefeiert als unter Philosophen. Und inwiefern stütze er sich auf "300 Jahre abendländische" Philosophie bzw. ihren Anspruch? Zitat Die ganze vorgebliche „Voraussetzungsmetaphysik“ der Philosophen entpuppt sich so als nachträgliches Räsonieren von der Empore, während andere die Arbeit machen. Was ist "Voraussetzungsmetaphysik"? Die Reflexion darüber, wie wissenschaftliche Erkenntnis möglich ist? Welche Voraussetzungen sie hat? Warum sollte die Philosophie solche Fragen nicht stellen dürfen? Und erneut: Was ist daran kritikwürdig, dass man über etwas reflektiert, nachdem es bekannt ist, und nicht schon davor? Und inwiefern haben andere diese Arbeit bereits erledigt? Bei Dir hat man immer wieder den Eindruck, dass es der Ehrgeiz der Philosophen wäre, mit ungeeigneten Methoden Naturwissenschaften betreiben zu wollen! (Siehe auch das Folgende.) Zitat Die leuchtendsten Vertreter der philosophischen Erkenntnistheorie haben sich, jeder auf seine Weise, nach Kräften bemüht, Zweifel zu schüren an der menschlichen Fähigkeit, sich realistische Modelle von dieser Welt zu machen, um in dieser vermeintlichen Lücke ihre eigene Unentbehrlichkeit zu behaupten, eine Unentbehrlichkeit, die nur in ihrer eigenen Einbildung besteht und verbunden war mit Anstrengungen, die einer besseren Sache wert gewesen wären. Tatsächlich? War es nicht die Absicht von Descartes, Kant und letztlich auch Popper, Zweifel soweit wie möglich auszuräumen? Und welche Art von Unentbehrlichkeit hat welcher dieser Philosophen in welcher Weise beansprucht? Zitat Seitdem hat der Begriff Realismus unter ihren Vertretern einen schlechten Klang, und was eigentlich eine fast 500jährige Erfolgsgeschichte der Wissenschaften ist, erscheint heute vielen ungewisser denn je. Zwar verlassen sie sich in ihrem täglichen Leben an allen Ecken und Enden auf die praktischen Auswirkungen dieser wissenschaftlichen Erkenntnisse, aber in ihrem Kopf und ihren Reden sind sie sicher, daß das doch alles nur Schein, nur Lug und Trug ist, und Realismus ein naiver, metaphysischer Glaube. Daß in einer solchen Umgebung „Kontrafaktisches“, allerlei Aberglauben, Verschwörungstheorien und Esoterik immer wieder fröhliche Urstände feiert, wundert mich gar nicht. Ach? Dann schauen wir uns mal an, was man in der Wissenschaftstheorie unter "Realismus" versteht: "Der wissenschaftliche Realismus ist eine als realistisch bezeichnete Position in der Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie, die besagt, dass eine erkennbare Wirklichkeit existiert, die unabhängig vom menschlichen Denken ist, und dass die Bestätigung einer wissenschaftlichen Theorie die Annahme begründet, dass diese Wirklichkeit so aussieht, wie diese Theorie das aussagt. Insbesondere betrifft dies den Anspruch, dass die Entitäten, über die eine bestätigte Theorie spricht, objektiv existieren. [...] Der Wissenschaftliche Realismus sucht als Philosophie eine Begründung zu liefern dafür, dass die Meinung gerechtfertigt sei, dass wissenschaftliche Theorien in ihrer Anwendung eine praktisch brauchbare Beschreibung und Erklärung von Vorgängen und Strukturen liefern, wie sie in der Realität vorzufinden sind. Wenn eine wissenschaftliche Theorie gut bestätigt ist, dann rechtfertigt das die Annahme, dass die Realität so beschaffen ist, wie die Theorie es vorhersagt. Gegenteilige Annahmen würden wissenschaftliche Bestätigungen und wissenschaftlichen Fortschritt zu einem reinen Wunder machen, so das sog. (No-)Miracle-Argument (Keine-Wunder-Argument) für den wissenschaftlichen Realismus. Eine ähnliche Position ist der Kritische Realismus, der aber lediglich davon ausgeht, dass eine Theorie Aussagen darüber macht, wie die Wirklichkeit beschaffen ist, aber nicht, dass die Richtigkeit dieser Aussagen durch Bewährung begründet werden kann oder muss. [...] Der Wissenschaftliche Realist geht davon aus, dass empirische Adäquatheit einer Theorie ein Resultat ihrer Wahrheit und der Referenz ihrer zentralen theoretischen Terme ist. Nun gab es in der Vergangenheit Theorien, die anerkannterweise empirisch adäquat waren, jedoch nach heutigem Erkenntnisstand definitiv falsch waren. Zwei prominente Beispiele sind die sog. Phlogistontheorie der Chemie und der von Fresnel postulierte Äther zur Erklärung optischer Phänomene." https://de.wikipedia.org/wiki/Wissenschaftlicher_Realismus Auch wenn das vereinfacht ist, erhellt daraus doch zweierlei: Erstens gibt es in der Wissenschaftstheorie durchaus Realisten (allerdings sind diese dann auch nicht so naiv, wie es hier erscheinen mag); zweitens scheinst Du, wenn ich Dich nicht sehr falsch verstehe, selbst gerade keinen wissenschaftlichen Realismus im Sinne des gängigen Sprachgebrauchs zu vertreten. Dass zudem in der Öffentlichkeit eine weitgehende Ablehnung des Erkenntnisanspruchs der Wissenschaften herrschen würde, vermag ich schwerlich zu glauben. Dass Philosophen dafür maßgeblich wären, noch weniger. Und wenn Wissenschaftler selbst skeptischer sind, dürfte das vor allem mit intrinsischen Entwicklungen zusammenhängen: Etwa, dass man sich gezwungen sah, die Newtonsche Mechanik aufzugeben, die man lange für unumstößlich hielt, oder dass man im Fall der Quantenmechanik selbst nicht recht begreift, was man tut. Im Gegenteil ist es gerade so, dass lange Zeit in der Analytischen Philosophie, die den angelsächsischen Sprachraum dominiert, eine fast schon übertriebene Verehrung (eine gesunde Wertschätzung ist ja gut!) für die Naturwissenschaften herrschte, mit sehr bescheidenen philosophischen Ansprüchen. Auch das ist ein Teil der Philosophie und ihrer Geschichte - allerdings einer, der trotz seiner Relevant bei Deinen Darstellungen nirgendwo aufzutauchen scheint. Bei Dir hat man den Eindruck, dass nahezu die gesamte Philosophie in nahezu ihrer gesamten Geschichte darin besteht, von oben herab den Naturwissenschaften sagen zu wollen, was sie zu tun und was sie zu lassen haben. Zitat Descartes kannte also die Arbeiten von Kopernikus und Kepler. Aber statt sich zu fragen, wie diese bei ihrer erfolgreichen Wissenschaftlichen Arbeit vorgegangen seien, entwickelte er noch im selben Jahr die Idee (vorgeblich nach einer Vision der Jungfrau Maria), es müsse „eine universale Methode zur Erforschung der Wahrheit“ geben, und er sei berufen, sie zu finden. Er „fand“ sie , welch Wunder, in sich selbst und in der Ablehnung aller anderen Erkenntnisquellen, namentlich „äußerer Sinneswahrnehmungen“ oder „religiöser Offenbarung oder Überlieferung“. Nur was er selbst auf „Plausibilität“ und Logik geprüft habe, könne „Geltung begründen“, sollte „Gültigkeit“ als Erkenntnis haben und so zur „Wahrheit“ führen. Und: Zitat Tatsächlich wurde der naturwissenschaftliche Fortschritt ja auch von anderen betrieben, nicht von Philosophen. Es ging darum, die Arbeiten anderer zu beurteilen, um ihnen „Gültigkeit“ zu verleihen, oder auch nicht. Ich muss zugeben, dass mich diese Aussagen erstaunen. Nicht, weil ich sie für sehr falsch halte (obwohl ich das tue), sondern weil ich ihre zentralen Behauptungen in der Vergangenheit schon widerlegt habe. Ich darf bzw. muss mich wiederholen: Descartes ging es nicht darum, alles Wissen in seinem Inneren zu finden. Dass das absurd wäre, hätte er zweifellos eingeräumt (wenn er es nicht sogar expressis verbis getan hat, das weiß ich jetzt nicht mehr). Es ist schlicht nicht wahr, dass Descartes dort, wo es um Naturwissenschaften ging, die naturwissenschaftliche Methode ignoriert hätte und durch ungeeignete Philosophie hätte ersetzen wollen. Eher ist das Gegenteil der Fall. Descartes gilt tatsächlich aus gutem Grund als einer der Väter dieser naturwissenschaftlichen Methode. "Der Discours [de la méthode] bildet eine methodologische Vorrede zu drei naturphilosophischen Abhandlungen Descartes’, die gemeinsam mit ihm herausgegeben wurden: La Dioptrique[1], Les Météores[2] und La Géométrie[3]. Diese Untersuchungen, die Lichtbrechung, Himmelserscheinungen und Analytische Geometrie zum Gegenstand haben (in der Geometrie wird das cartesische Koordinatensystem vorgestellt), stellen bereits eine Anwendung dieses Verfahrens dar: Durch mathematische Modellierung werden die Naturphänomene mit Hilfe allgemeiner Regeln bestimmt, die nach Vermessung und durch schrittweise Berechnung und zwingende Schlüsse auf den Einzelfall angewendet werden." https://de.wikipedia.org/wiki/Discours_de_la_méthode "Im 2. Punkt spielte die Mathematik eine große Rolle. Es fand eine Mathematisierung der physikalischen Wissenschaften statt. Für Galileo Galilei (1564-1642) und Descartes (1596-1650) und für ihre Nachfolger war das Buch der Natur in der Sprache der Mathematik geschrieben. Das war neu. Sie hatten nur sehr wenige Vorläufer für diese mathematische Weltsicht." https://philarchive.org/archive/KOHANW-3v1 (Fettung i. Orig.) "[Descartes] was a French philosopher, scientist, and mathematician, widely considered a seminal figure in the emergence of modern philosophy and science. Mathematics was central to his method of inquiry, and he connected the previously separate fields of geometry and algebra into analytic geometry. [...] Current popular opinion holds that Descartes had the most influence of anyone on the young Isaac Newton, and this is arguably one of his most important contributions." https://en.wikipedia.org/wiki/René_Descartes (Fettung von mir) "Together, they [Descartes and Isaac Beeckman] worked on free fall, catenaries, conic sections, and fluid statics. Both believed that it was necessary to create a method that thoroughly linked mathematics and physics.[43] [...]" https://en.wikipedia.org/wiki/René_Descartes#Physics "Aristotle's [research] research program was first challenged during the 1630s by that of Descartes. Newton's program appeared during the 1680s as a rival to Descartes's, and the revolution ended in the defeat of both Aristotle and Descartes by Newton (Lakatos, 1978). The programs of both Descartes and Newton were, of course, progressive relative to that of Aristotle. Both could account for the motions of comets and the tides, whereas Aristotle's program could not, and each made new predictions not made by its contemporary rival. The Cartesians, for example, could explain why the moon always kept the same face toward the earth and why all planets revolved in the same direction, whereas the Newtonians could explain how the planets exerted forces on each other (Aiton, 1972). [...] Newton's program also included elements from the older Cartesian program, such as action by contact. This is an example of a fruitful exchange between programs, which would not be expected according to the incommensurability thesis." https://www.beniculturali.unipd.it/www/wp-content/uploads/2013/04/Gholson1985.pdf Ca. 50 Jahre vor Newton hatte Descartes also eine Physik entwickelt, die besser und neuer war als die aristotelische, und von der Newton dann Ideen übernommen hat. Dass Descartes' Physik nicht das Ende der Fahnenstange war, kann man ihm schlecht vorwerfen: Es ist oft so, dass fortschrittliche Theorien in der Wissenschaft dann durch noch bessere ersetzt werden, wie Du ja selbst immer wieder betonst (man denke auch an Newton und Einstein). Manche gehen, was Descartes' naturwissenschaftliche Leistungen betrifft, sogar noch weiter: "In this penultimate section, I will show that one of the giants whose shoulders Newton stood on was René Descartes. Not only can many of the concepts that make Newton seem ‘revolutionary’ to us already be found in Descartes’ work, I will argue that the view of the universe that Descartes espoused was the genuinely mechanistic view: it is Descartes, and not Newton, whose portrait should adorn every textbook on mechanics. [...] [W]e see that Newton’s famous ‘laws of motion’ are almost identical to Descartes’ three ‘Laws of Nature’. Conservation of momentum, force being proportional to acceleration, action/reaction equivalence – although sometimes in a very different guise, they can all be found in the laws of Descartes!" https://www.shellsandpebbles.com/2014/06/01/the-father-of-modern-science/ Wenn Du insinuierst, dass Descartes ein naturwissenschaftliche Dilettant gewesen sei, der naturwissenschaftliche Methoden ignoriert habe und durch philosophische habe ersetzen wollen, dann stellt das die Dinge geradezu auf den Kopf. Bei Descartes haben die philosophischen Methoden einfach einen anderen Gegenstand bzw. Anwendungsbereich als Mathematik und Sinneswahrnehmung. Was nun das spezifisch philosophische Anliegen von Descartes (oder auch von anderen) angeht, so habe ich ehrlich gesagt das Gefühl, dass Du es einfach nicht verstehst - vielleicht auch, weil Du mit einer Haltung, dass das ja eh alles prätentiöser Stuss sein müsse, rangehst. Auch Immanuel Kant gilt als begabter Naturwissenschaftler, und seine Arbeiten zur Entstehung des Planetensystems (40 Jahre vor Laplace) sind noch heute anerkannt: "Der Kant-Laplace-Theorie wird eine hohe philosophie- und wissenschaftshistorische Bedeutung zugesprochen, da in ihr die Entstehung des Planetensystems ohne Zuhilfenahme einer übernatürlichen Ordnungskraft zu erklären versucht wurde. Noch Isaac Newton hatte eine solche Erklärung für unmöglich gehalten und somit Gott als unverzichtbaren Teil jeder Kosmogonie angenommen. Kant und Laplace können daher als wichtige Vordenker heutiger Theorien zur Kosmogonie gelten." https://de.wikipedia.org/wiki/Kant-Laplace-Theorie Zudem könnte man auch @KevinFs Anmerkungen bedenken. Wenn Kant danach fragt, wie wissenschaftliche Erkenntnis möglich ist, dann ersetzt er nicht Naturwissenschaft durch Philosophie, sondern er stellt einfach eine andere Frage. Mich wundern Deine von mir zitierten philosophie-historischen Behauptungen, weil ich sie in der Vergangenheit ja schon längst widerlegt hatte. Natürlich magst Du meine Belege, die ich für meine Kritik anführe, gerne kritisieren und sagen, dass diese aus diesem und jenem Grund falsch seien; und ich bin gerne bereit, mich einer fundierten Kritik zu beugen. Aber genau das tust Du nicht. Du schreibst einfach in diesem Thread das gleiche wie zuvor in einem anderen, so als sei meine Kritik an Deinen historischen Ausführungen einfach nicht existent oder derart absurd, dass sich jedes Wort dazu erübrigen würde. Das verstehe ich nicht. Und wieder kann ich mich - bitte nimm es mir nicht übel - erneut des Eindruck nicht erwehren, dass ein Großteil Deiner Kritik an der Philosophie auf Missverständnissen über dieselbe und auch über ihre Geschichte beruht. Zitat Die Philosophie in der Tradition von Descartes ist dagegen eingleisig, spielt sich nur in der Welt der Gedanken ab, in der in Sätzen formulierte Gedanken anderer (oder was man davon verstanden hat) auf ihre „Gültigkeit“ überprüft werden, wobei Logik, „Plausibilität“ und allgemein das eigenen „Innere“ des Philosophen als Maßstab genommen werden. Und wie ich dargelegt habe, beruht allem Anschein nach ein großer Teil Deiner Thesen über Logik und Mathematik, über Erkenntnis und Wahrheit, über Philosophie und über Wissenschaft, über Bewusstsein und Emergenz etc. pp. auf genau den gleichen eingleisigen Grundlagen! Am 4.10.2024 um 20:30 schrieb Marcellinus: Philosophie ist ein ähnliches und doch etwas anderes Thema. Sie versteht sich als das Nachdenken über grundsätzliche Fragen, Fragen von existenzieller Bedeutung für die Fragenden, und gesucht werden autoritative, endgültige Antworten, "Wahrheit" genannt. Egal, ob die Fragen sich auf beobachtbare Tatbestände beziehen oder nicht, die Antworten sind nicht empirisch belegbar, sondern das Ergebnis von Denkprozessen, der Suche nach "Begründungen", der Suche nach "Axiomen", weshalb philosophische Fragen nie wirklich eine verbindliche Antwort finden; am Ende sind es Glaubensfragen. Zum einen sind viele Philosophen ja recht bescheiden; Du hast ja selbst schon entsprechende Äußerungen etwa von Beckermann zitiert. (Allerdings zitierst Du solche Äußerungen, so scheint es mir, leider nicht, um klarzustellen, dass die Philosophie gar nicht generell so anmaßend ist, wie Du sie oft hinstellst - sondern gewöhnlich nur, um Deine Auffassung von ihrem (sehr) begrenzten Wert zu untermauern. ) Zum Zweiten gründen genau diese Behauptungen von Dir über die Unmöglichkeit philosophischer Erkenntnis wie ausgeführt selbst auf Denkprozessen ohne empirische Prüfung. Sie wären demnach also selbst ein Glauben! Welchen Erkenntniswert aber haben Aussagen, die, wenn sie wahr sein sollten, unbegründeter Glauben wären? Natürlich kann man gewisse Thesen empirisch belegen; etwa die, dass der einzelne Mensch keineswegs unabhängig von seiner sozialen Umgebung von sich aus alleine die Welt begreift, oder dass die empirische Wissenschaft in dieser und jener Weise arbeitet. Aber die These, dass es ohne empirische Prüfung kein Wissen geben können - egal was der Gegenstandsbereich auch sei - folgt daraus nun nicht, so wenig wie auch etiche anderen Deiner Behauptungen. Und auch nicht aus anderen empirischen Erkenntnissen. (Erneut: Ich lasse mich gerne eines Besseren belehren.) Am 4.10.2024 um 20:30 schrieb Marcellinus: Wer philosophische Fragen und philosophische Diskussionen spannend findet, mag das betreiben, solange man sich klar macht, daß die Antworten auf diese Fragen, soweit man überhaupt welche findet, subjektiv sind. Wiederum würde ich darauf hinweisen, dass viele Deiner Thesen, die zumindest allem Anschein nach in die Philosophie gehören, nicht so klingen, als hieltest Du sie selbst nur für völlig unverbindliche Gedanken. Am 4.10.2024 um 20:30 schrieb Marcellinus: Mein Problem mit Philosophie entsteht da, wo Philosophen [...] behaupten, Philosophie sei die Grundlage jeder geistigen Tätigkeit; jeder müsse sich solchen Fragen also stellen, sich einer der philosophischen Schulen anschließen. Kurz, jeder habe eine Philosophie, eine gute oder eine schlechte. Wer behauptet das denn? Natürlich machen wir alle gewisse Grundannahmen über die Wirklichkeit; aber das ist deutlich von dem entfernt, was Du als angeblichen philosophischen Anspruch beschreibst. Am 4.10.2024 um 20:30 schrieb Marcellinus: Hier setzt mein Widerspruch ein, und er ist umso heftiger, je unverblümter dieser Anspruch vorgetragen wird. Philosophie bringt kein nachprüfbares Wissen über diese Welt hervor, und ist dabei auch keine Hilfe. Ihre Fragen, aber vor allem ihre Antworten sind rein subjektiv, und daher für Nichtphilosophen ohne Bedeutung. Es gibt keinen außerphilosophischen Grund, Philosophie zu betreiben. Erneut: Entweder handelt es sich bei diesen Aussagen um ein empirisch nachprüfbares Wissen. Dann würde ich gerne den empirischen Beweis sehen. Oder es gibt keinen empirischen Beweis. Dann ist die These laut Selbstaussage unbegründet und unergründbar. Am 4.10.2024 um 20:30 schrieb Marcellinus: „Das ummittelbar Erlebte ist subjektiv und absolut […] Die objektive Welt hingegen, welche die Naturwissenschaft rein herauszukristallisieren sucht, [..] ist notwendigerweise relativ […] Dieses Gegensatzpaar: subjektiv - absolut und objektiv - relativ scheint mir eine der fundamentalsten erkenntnistheoretischen Einsichten zu enthalten, die man aus der Naturforschung ablesen kann. Wer das Absolute will, muß die Subjektivität, die Ichbezogenheit, in Kauf nehmen; wen es zum Objektiven drängt, der kommt um das Relativitätsproblem nicht herum.“ (Hermann Weyl, Philosophie der Mathematik und Naturwissenschaft, 1966, S. 150f) Subjektivität kann kann nun vieles bedeuten. Ich darf der Einfachheit nochmals Searle ("Consciousness") zitieren, der wenigstens zwei Bedeutungen nennt: "Many philosophers and scientists also think that the subjectivity of conscious states makes it impossible to have a strict science of consciousness. For, they argue, if science is by definition objective, and consciousness is by definition subjective, it follows that there cannot be a science of consciousness. This argument is fallacious. It commits the fallacy of ambiguity over the terms objective and subjective. Here is the ambiguity: We need to distinguish two different senses of the objective-subjective distinction. In one sense, the epistemic sense (“epistemic” here means having to do with knowledge), science is indeed objective. Scientists seek truths that are equally accessible to any competent observer and that are independent of the feelings and attitudes of the experimenters in question. An example of an epistemically objective claim would be "Bill Clinton weighs 210 pounds". An example of an epistemically subjective claim would be "Bill Clinton is a good president". The first is objective because its truth or falsity is settleable in a way that is independent of the feelings and attitudes of the investigators. The second is subjective because it is not so settleable. But there is another sense of the objective-subjective distinction, and that is the ontological sense (“ontological” here means having to do with existence). Some entities, such as pains, tickles, and itches, have a subjective mode of existence, in the sense that they exist only as experienced by a conscious subject. Others, such as mountains, molecules and tectonic plates have an objective mode of existence, in the sense that their existence does not depend on any consciousness. The point of making this distinction is to call attention to the fact that the scientific requirement of epistemic objectivity does not preclude ontological subjectivity as a domain of investigation. There is no reason whatever why we cannot have an objective science of pain, even though pains only exist when they are felt by conscious agents. The ontological subjectivity of the feeling of pain does not preclude an epistemically objective science of pain. There is no reason whatever why we cannot have an objective science of pain, even though pains only exist when they are felt by conscious agents. The ontological subjectivity of the feeling of pain does not preclude an epistemically objective science of pain. Though many philosophers and neuroscientists are reluctant to think of subjectivity as a proper domain of scientific investigation, in actual practice, we work on it all the time. Any neurology textbook will contain extensive discussions of the etiology and treatment of such ontologically subjective states as pains and anxieties." Ich weiß nicht genau, wie Weyl seine Aussage meint, aber sinnvollerweise möchte man sie doch wie folgt verstehen: Das unmittelbar Erlebte ist im ontologischen Sinne subjektiv, im epistemischen Sinne absolut - es ist direkt und gewiss. Die Welt der physikalischen Dinge hingegen ist zwar ontologisch objektiv - aber in dem Sinne relativ, dass sie nicht in diesem absoluten Sinne gewiss ist und dass ihre Kenntnis relativ zum bewussten Erleben ist und von ihm abhängt. Das wäre aber dann genau das, was ich zu Deinem Missfallen schon zuvor gesagt hatte: Dass wir zu allen Dingen nur durch das Medium unseres bewussten Erlebens Zugang haben. Vielelicht meint Weyl es auch anders - und fast noch wichtiger: Vielleicht meinst Du es anders. Dann wäre das zu klären. Abschließend ansonsten noch folgende Zitate zu Comtes Drei-Stadien-Lehre, weil sie mir hier zu passen scheinen (zit. n. Horrigan, "Critique of Comte's Law of Three Stages") Mercier: "Today there are not many of the followers of Comte who hold by this celebrated law. Indeed, it is not very difficult to show by various historical facts that it is false. In the days of old the Greeks were by no means unfamiliar with the study of natural phenomena. Though Aristotle was a giant in metaphysical speculations, he was also the compiler of all the observations both in physics and politics of his times. And in mediaeval times the West, engrossed in theological speculations, has given us, besides such metaphysicians as St. Thomas and Duns Scotus, a physicist of the caliber of Roger Bacon." “Again, it is no less false to maintain that each individual passes through the three stages of theology, metaphysics and the positive sciences. The child by no means dreams of explaining the phenomena that attract his attention by the agency of divine beings. In this sense – and it is Comte’s – he is not at all naturally inclined to religion. Youth, in general, shows very little bent for metaphysical abstractions. On the contrary we meet with powerful minds for whom philosophical studies are the final stage of a career which has been devoted chiefly, if not entirely, to the study of the physical sciences. [...]" "This eulogy of positivism is due in great part to the confusion which Comte created between the positive method and the experimental method, which is the real source of the discoveries of modern times. This confusion is pure sophistry, as Pasteur showed in his celebrated Inaugural Address to the French Academy." "Finally we must remember that the dream of a positive science supplanting philosophy in every respect has already passed out of fashion. H. Poincaré, Duhem, Le Roy and other writers on the ‘critique of the sciences’ have done much to humble the proud claims made by scientists." Coffey: "Comte’s conception of the three stages in the mental development of the human race is a subjective and fanciful misreading of history, prompted by the needs of his own theory.19 Certain epochs have been characterized by a predominant interest in the problems of religion, or in metaphysical problems, or in the special problems of the positive sciences of observation and experiment, respectively. But the contention that these three preoccupations have been distinct, successive, and mutually exclusive, is not only a discredited travesty of history: it is no less a palpably prejudiced account of the interests, the efforts, and the aspirations of the human mind confronted with the problems of experience." Als Soziologe hat Comte sich zweifellos große Verdienste erworben; aber bei philosophischen oder philosophie-historischen Thesen sollte man eine gewisse Vorsicht walten lassen. bearbeitet 6. Oktober von iskander Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
KevinF Geschrieben 7. Oktober Autor Melden Share Geschrieben 7. Oktober On 10/4/2024 at 4:27 PM, iskander said: On 9/29/2024 at 1:50 PM, Marcellinus said: Die richtige Methode der Philosophie wäre eigentlich die: Nichts zu sagen, als was sich sagen lässt, also Sätze der Naturwissenschaft – also etwas, was mit Philosophie nichts zu tun hat –, und dann immer, wenn ein anderer etwas Metaphysisches sagen wollte, ihm nachzuweisen, dass er gewissen Zeichen in seinen Sätzen keine Bedeutung gegeben hat. Diese Methode wäre für den anderen unbefriedigend – er hätte nicht das Gefühl, dass wir ihn Philosophie lehrten – aber sie wäre die einzig streng richtige. (Ludwig Wittgenstein) Expand Nur ist diese Aussagen eben selbst keine naturwissenschaftliche, sondern eine philosophische! Wittgenstein hat das Problem auch in einem gewissen Sinne gesehen, konnte es aber nicht lösen. So wie die ganze These, dass philosophische Fragen aus einer reinen Verwirrung durch die Sprache entstehen, voraussetzt, dass der Mensch ein unglaublich naives und unsouveränes Verhältnis zu seiner Sprache hat. Sicher? Der Streit Inkompatibilismus versus Kompatibilismus (Thema: "freier Wille" und Determinismus) zum Beispiel scheint mir nichts als Semantik zu sein. Und auch der Streit um die Reduzierbarkeit des Bewusstseins auf die Physik ist bis auf empirische Fragestellungen sowie ein paar metaphysischer Feinheiten reine Semantik. Und da der Unterschied zwischen diesen Feinheiten in der Realität nicht feststellbar ist, könnte man auch sagen: Abgesehen von empirischen Fragestellungen reine Semantik. Besinnt man sich im Sinne Wittgensteins auf das, was sich sagen lässt, dann verschwinden die philosophischen Probleme. Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
iskander Geschrieben 7. Oktober Melden Share Geschrieben 7. Oktober (bearbeitet) Ergänzend noch dies. Ich habe Norbert Elias Artikel "Credo eines Metaphysikers" gelesen, in welchem er sich sehr kritisch mit Popper auseinandersetzt, und in gewisser Weise auch mit der (Wissenschafts)philosophie überhaupt. (Ich hatte mehrere Tabs geöffnet und weiß nicht mehr, ob @Marcellinus den Text kürzlich verlinkt oder ich ihn selbst gefunden habe.) Zum Artikel ein paar Anmerkungen: Zum einen hat Elias mit seiner Kritik an Popper in Teilen sicher nicht ganz Unrecht. Einen Teil dessen, was er sagt, würde ich jedoch kritisch beurteilen wollen. (Nachträglich habe ich noch einen Kommentar von Mennell sowie Repliken von Albert und Esser gefunden (s.u.), aber ich lasse meine eigenen Anmerkungen mit geringfügigen Ergänzungen so stehen.) Hier aus meiner Sicht ein paar relevante Punkte: - Elias zählt Descartes zu den Vertretern einer "nominalistischen" Haltung, die die Erkennbarkeit der Welt verneinen - was unrichtig ist. Er zählt auch Popper zu den Vertretern einer solchen Sichtweise, was ebenfalls sehr fraglich ist. (Popper sieht sich als Realist, auch wenn sein Realismus unzureichend begründet sein mag.) Er scheint auch nicht recht zu sehen, dass Philosophie mehr ist als Wissenschaftstheorie, und er scheint zu wenig zu sehen, dass die Wissenschaftstheorie mehr ist als Popper. - Auf der einen Seite wirft Elias der Philosophie und auch Popper vor, in der Wissenschaft letztlich noch immer nach ewigen Wahrheiten zu suchen – auf der anderen Weise ist ein solches Ansinnen dem erklärten Standpunkt Poppers natürlich völlig entgegengesetzt. Er unterstellt Püpper, dass er heimlich dem alten Ideal nachtrauere - aber das löst diesen Widerspruch nicht wirklich auf. - Elias scheint zu meinen, dass es Popper weniger um eine Überprüfung von Theorien an der Empirie als am Maßstab ihrer eigenen logischen Konsistenz gehe. Das scheint mir sehr fraglich zu sein, und ich habe zumindest den Verdacht, dass Elias hier Popper missversteht. (Nachtrag: Dass diese Kritik berechtigt ist, scheint Esser überzeugend zu belegen.) - Elias kritisiert nicht ganz zu Unrecht, dass Popper der Wissenschaft eine bestimmte Methode als Ideal zuspricht, ohne zu berücksichtigen, wie sie tatsächlich vorgeht.Er scheint aber das Kind mit dem Bade auszuschütten und nicht zu verstehen, dass neben einer rein deskriptiven Beschreibung dessen, wie die real existierende Wissenschaft tatsächlich verfährt, auch eine normative Betrachtung eine gewisse Berechtigung hat. Auch die Frage, was gute Wissenschaft zu guter Wissenschaft (und schlechte Wissenschaft zu schlechter Wissenschaft) macht, ist eine legitime Frage - und zwar nicht allein im Hinblick auf die sozialen Bedingungen, die gute Wissenschaft ermöglichen ("die Leute arbeiten konstruktiv zusammen"), sondern auch auf die sachlogischen Gesichtspunkte ("diese Art der Theoriebildung und des Experimentierens ist für diese Wissenschaft aus diesem und jenem Grund fruchtbar"). - Elias scheint klar der Meinung zu sein, dass sich die philosophische Wissenschaftstheorie im Grunde mit den gleichen Fragen befasst, mit denen eine soziologische Wissenslehre sich befassen sollte - nur mit einer schwächeren, unzugänglicheren Methode, weil eingleisig ohne empirisches Standbein verfährt. Philosophie wäre dann - auch wenn er das nicht explizit so sagt - ein zwar ein historisch legitimes und auch nicht völlig nutzloses, aber ein inzwischen durch die Soziologie überholtes Unternehmen. Die Fragen von Philosophie und Soziologie im Hinblick auf die Wissenschaft sind jedoch tatsächlich sehr verschieden; die Philosophie stellt viele Fragen, die für die Sozialwissenschaften ohne Belang sind. (Dieser Artikel zur Metaphysik der Wissenschaft nennt als Beispiele etwa folgende Themen: "Dispositions"; "Counterfactuals and Necessities"; "Laws of Nature"; "Causation"; "Natural Kinds"; "Reduction, Emergence, Supervenience and Grounding"; "Space and Time".) Es geht auch um die Klärung von Begriffen und die Rechtfertigung von Annahmen, die die Wissenschaft implizit voraussetzt. Das gehört definitiv nicht in die Soziologie – hat aber dennoch seine Berechtigung. - Seine Darstellung der Philosophie (und Philosophiegeschichte) ist sehr problematisch und gerät mitunter fast zur Karikatur: "Eng verbunden damit ist die Tatsache, daß die alte Philosophie alles in der Form statischer Begriffspolaritäten erfaßte, wie etwa Absolutismus und Relativismus, Deduktionismus und Induktionismus, Apriorismus und Positivismus. Gegebenheiten wie der Fortschritt der Wissenschaften fügen sich nicht in ein solches statisches Begriffsschema." Zum Vergleich ein Zitat von Friedrich Stadler: "Ever since Aristotle it has been accepted that there exists a combination of inductive and deductive reasoning and a sort of unified inductive-deductive methodology. [...] Aristotle's inductive and deductive procedure [...] is described in his Posterior Analytics, Physics and Metaphysics, where he viewed scientific inquiry as a progression from observations to general principles and back to observation." - Elias wirft der Philosophie vor, nur das Individuum zu sehen und die gemeinschaftliche Leistung zu vernachlässigen ("homo clausus"). In der philosophischen Wissenschaftstheorie geht es aber weder um das Individuum noch die Gemeinschaft, sondern es wird vom Menschen abstrahiert und es wird die Wissenschaft als "Leistung" in dieser Abstraktion betrachtet. Es mag der Philosophie beispielsweise etwa darum gehen, dass es sinnvoll ist, eine These, die im Widerspruch zu einem Experiment steht, in einer bestimmten Weise zu modifizieren. Ob nun aber ein und derselbe Wissenschaftler die entsprechende These aufgestellt und das Experiment durchgeführt hat oder ob es zwei Wissenschaftler waren, und ob im letzteren Fall die beiden Wissenschaftler Konkurrenten sind, blendet die Philosophie aus. Denn an der Validität des wissenschaftlichen Vorgehens ändert das nichts. Elias scheint sich schwer zu tun, die Eigenart philosophischen Vorgehens zu verstehen und gelten zu lassen. - Er schreibt: "Poppers These, daß Theorien durch empirische Belege nicht verifizierbar, sondern nur falsifizierbar seien, ist also, wie man sehen kann, lediglich ein Nebenprodukt seiner Auffassung, daß zwar empirische Beobachtungen durch Theorien mitbestimmt sind, die letzteren aber gleichsam einen Anfang darstellen." Das ist falsch. Popper Ablehnung beruht nicht auf jener angeblichen These. Seine Ablehnung der Induktion beruht vielmehr darauf, dass diese weder rein logisch noch empirisch begründbar ist und er offenbar auch keine andere Begründung für überzeugend hält. Hier macht Elias es sich zu leicht, und er ignoriert auch das Induktionsproblem. - Etliches von dem, was Elias sagt, geht sowohl über eine simple Konstatierung von empirisch auffindbaren Tatsachen wie auch über eine soziologische Analyse hinaus und gehört m.E. selbst in die Philosophie. Das gilt beispielsweise, wenn er bezugnehmend auf die Erkenntnisfortschritte der Wissenschaft gegen skeptische Haltungen argumentiert - wobei sein zentrales Argument letztlich ein Appell an die Vernunft ist. (Und diese Argumentation ist übrigens zwar plausibel, aber auch nicht zwingend; man kann eine Skepsis so formulieren, dass sie mit dem, was man empirisch in den Wissenschaften feststellen kann, vereinbar ist.) - Ein wichtiger Einwand, den ich erheben möchte, ist dieser: Elias spricht von einer anzustrebenden "Wissenschaft der Wissenschaften". Da Wissenschaft ein sozialer Prozess ist, scheint er anzunehmen, dass diese Meta-Wissenschaft ganz in die Domäne der Soziologie zu fallen habe. Das ist aber ein Trugschluss: Wenn ein Orchester ein Konzert gibt, dann ist das zwar auch ein sozialer Vorgang, aber die Soziologie ist sicher nicht dafür zuständig, die produzierte Musik zu beschreiben, einzuordnen oder zu bewerten. Auch der soziale Charakter der Wissenschaft ist nur ein Teilaspekt derselben. In den Zuständigkeitsbereich der Sozialwissenschaften fallen somit alle sozialen Prozesse, die mit der Wissenschaft zu tun haben. Die Ergebnisse der Wissenschaft hingegen, oder auch ihre Methoden, gehören nicht per se in die Soziologie. Sie sind für die Soziologie nur insofern relevant, als sie spezifisch sozialen Gesichtspunkten verbunden sind, welche einer soziologischen Beschreibung oder Analyse wert sind. Das heißt natürlich nicht, dass nun die Philosophie für alles zuständig sei. Soweit es um die rein deskriptive Beschreibung von Wissenschaft geht (ohne wesentlichen Bezug zu sozialen Bedingungen und Prozessen), mag eine solche Beschreibung durchaus nicht immer zur Philosophie gehören. Aber zur Soziologie gehört sie auch nicht. Interessant ist in jedem Fall, dass Elias das Zitat von Weyl über Subjektivität, Absolutheit, Objektivität und Relativität, welches sich bei Popper findet, als Beleg für Poppers von ihm kritisierte vermeintliche "nominalistische" Haltung wertet - während Marcellinus das Zitat positiv sieht. Nachdem ich diese eigenen kritischen Bemerkungen (weitgehend) niedergeschrieben hatte, habe ich noch einige bedenkenswerte Anmerkungen gefunden. Stephen Mennell: "Norbert Elias hated Karl Popper. He hated him with an intensity that in most people would indicate some personal animosity arising from some unpleasant face-to-face encounter. [...] No, so far as I can tell, Elias’s intense dislike was purely on intellectual grounds. [...] I ventured to remark that perhaps the gulf between Norbert’s views and at least the later work of Karl Popper was not so great. There was a huge eruption from Norbert. This was the first time I saw him ‘go nuclear’. He was most offended. [...] In his counter-critique, Esser claimed that Elias had not understood the basic principles of Popper’s theory of science, including the fundamental difference between ‘genesis’ and ‘validity’ (Geltung), and therefore the fundamental difference between the subject matter of a ‘theory of science’ and that of a sociology (or history) of science. [...] According to Esser, Elias had also misunderstood and exaggerated the significance attributed by Popper to the role of deductive inference in relation to role of the empirical examination of theories. [...] In this way, Elias arrived at a caricature of Popper’s critical rationalism and overlooked the fact that almost all of his own methodological principles were essentially shared by critical rationalists.[25] For example, the demand for ‘detachment’ or ‘value-neutrality’; the rejection of an unbridgeable gap between the research methods of the natural and social sciences; the quest for explanations (in the sense of causal explanations) in the social sciences; the call for building a unifying theory in the social and cultural sciences; and the demand for ‘objectivity’ or intersubjective comprehensibility. There was also a second, not dissimilar, reply to Elias’s critique of Popper from Hans Albert.[26]" https://quod.lib.umich.edu/h/humfig/11217607.0007.102/--elias-and-popper?rgn=main;view=fulltext (Mit den letzten Bemerkungen referiert Mennell nur Essers Position, ohne selbst direkt Stellung zu nehmen.) Albert kritisiert Elias unter anderem so: "... Nichtsdestoweniger polemisiert Norbert Elias mehrere Seiten lang (S. 103 ff.) gegen den angeblichen „Nominalismus“ Poppers, und zwar aufgrund einer Fehldeutung einiger Sätze in der „Logik der Forschung“. Er tut das teilweise mit Worten, die denen frappierend ähnlich sind, die Popper selbst in seiner Kritik antirealistischer Auffassungen zu verwenden pflegt. [...] Die Eliassche Kritik geht hier also buchstäblich ins Leere. [...] Die von Popper behandelten Probleme spielen innerhalb vieler Wissenschaften eine erhebliche Rolle. Es ist da eine wichtige Frage, ob und aus welchen Gründen man eine bestimmte Theorie einer anderen vorziehen oder sie verwerfen sollte, das heißt: welches Verfahren zweckmäßig im Sinne der Zielsetzungen der wissenschaftlichen Forschung ist. Das bedeutet keineswegs, daß man etwa an den Tatsachen der Wissenschaftsgeschichte desinteressiert ist, etwa an der Frage, in welcher Weise sich wissenschaftliche Durchbrüche verstehen lassen. Popper hat solche Fragen immer wieder behandelt [...] Die in diesem Zusammenhang jeweils interessanten „Tatsachen“ sind natürlich nicht einfach „gegeben“. Sie müssen durch eine angemessene Interpretation der Quellen erschlossen werden, wofür unter anderem theoretisches und methodisches Wissen heranzuziehen ist. Wenn man zum Beispiel feststellen will, ob Newton „induktiv“ vorgegangen ist, ist es nützlich, sich dabei an den Umstand zu erinnern, daß es keine gehaltserweiternden wahrheitskonservierenden Schlüsse gibt und keine solchen, die zu Konklusionen führen, die den Prämissen widersprechen, sofern die Prämissenmenge selbst widerspruchsfrei ist. Durch soziologische Untersuchungen wird man zu diesem Punkt kaum interessante Aufschlüsse erhalten können. Ich habe aufgrund seiner Ausführungen in diesem Aufsatz kein klares Bild darüber gewinnen können, wie Elias sich die Lösung methodologischer Probleme vorstellt. Mit der Ablehnung der Wissenschaftsphilosophie auf der Grundlage einer Karikatur dieser Disziplin ist es ja nicht getan." "Anscheinend erwartet er [Elias] selbst die Lösung aller methodologischen Probleme von soziologischen Untersuchungen über die Wissenschaft. Wenn das so ist, dann befinden sich seine Anschauungen wohl im Gegensatz nicht nur zu denen der meisten Philosophen, sondern auch zu denen der praktizierenden Wissenschaftler (einschließlich, so hoffe ich, der meisten Soziologen). Sollte etwa eine soziologische Untersuchung zu dem Resultat gekommen sein, daß Soziologen in den meisten Fällen falsche Konsequenzen aus empirischen Daten ziehen, weil sie die statistische Methodenlehre nicht verstanden haben, so wird die übliche Reaktion auch in dieser Wissenschaft kaum die sein, daß man eine Änderung dieser Lehre verlangt. Auch der normale Soziologe wird hier ein Geltungsproblem sehen, das nicht dadurch zu lösen ist, daß man sich den erwähnten Tatsachen beugt. [...] Daß es auch soziale Aspekte der wissenschaftlichen Methode gibt, die wichtig sind, braucht man, wie erwähnt, weder Popper noch anderen Vertretern der Wissenschaftslehre klar zu machen, die an seine Auffassungen anknüpfen. [...] Es geht nicht darum, daß sich Philosophen als „Gesetzgeber“ (S. 95) für die Wissenschaften aufspielen wollen. Sie können, ebenso wie Soziologen, nach der Qualität ihrer Beiträge zur Lösung der jeweiligen Probleme beurteilt werden. Zu den Problemen, die Popper in der „Logik der Forschung“ behandelt hat, findet man bei Elias, soweit ich sehe, keinen interessanten Beitrag." https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/zfsoz-1985-0402/html Esser wiederum meint: "Rückständigkeit, Borniertheit, ein tiefer Egozentrismus und mangelnde Selbstdistanz (wenngleich wenigstens nicht: betrügerische Absicht; 59) sind laut Elias die Triebfedern seines [Poppers] Tuns, das an institutionell prominenter Stelle (durch die Besetzung eines Lehrstuhls an der London School of Economics) inzwischen „viel Schaden gestiftet“ (114) habe. […] Wohl in belehrender oder richtigstellender Absicht schreibt Elias z. B., daß Fortschritte in der Wissenschaft keine absolute Wahrheit darstellen, daß es ganz irrig sei, Endgültiges für sie zu beanspruchen, d. h. eine endgültige und vollständige Übereinstimmung zwischen Wissen und Wissensobjekten zu erwarten (107). Genau dies ist aber auch die Position Poppers. Wieso man dann - nahezu im gleichen Atemzug - Popper als einen Vertreter der Ansicht darstellen kann, er lebe „immer noch mit dem Verlangen nach der endgültigen und absoluten Wahrheit einer endlichen Welt“ (107), muß unerfindlich bleiben. […] Basissätze werden über „Festsetzungen“ (Popper, 1973: 73), über Konventionen anerkannt, wobei diese Konventionen keine endgültigen, keine dogmatischen Festsetzungen, sondern jederzeit revidierbare Ergebnisse eines Einigungsprozesses von Wissenschaftlern sind. Wo bleibt hier der „homo clausus“? […] Poppers Vorschlag der „deduktiven Überprüfung der Theorien“ enthält genau das, was Elias für seine Konzeption (und vorher: für Comte) reklamierte: Die Interdependenz deduktiver Hypothesenbildung, induktiver Kontrolle und darauf wie der folgender Theoriebildung usw […]" Zur unterschiedlichen Herangehensweise von Philosophie und Soziologie äußert auch er sich: "Als analytische Disziplin befaßt sich die Wissenschaftstheorie eben nicht mit dem empirischen Prozeß (z. B. des Aufstellens von Theorien), sondern mit der Analyse der Struktur der Theorien und des Verhältnisses von Theorien und „Tatsachen“. Also: Es geht um die Frage der Bedingungen der Geltung von Aussagen, nicht darum, wie Wissenschaftler zu Aussagen kommen. Nur insoweit, als der empirische Prozeß der Genese von Theorien für deren Begründbarkeit bedeutungslos ist, interessiert sich Popper nicht für „Tatsachenfragen“ in diesem Zusammenhang. Anders gesagt: Wissenschaftssoziologie hat einen anderen Gegenstandsbereich als Wissenschaftstheorie. Wissenschaftssoziologie hat (u. a.) das Verhalten von Wissenschaftlern, Wissenschaftstheorie gewisse Eigenschaften bzw. die Struktur wissenschaftlicher Aussagen zum Gegenstand. […] Wer diese Unterscheidungen - die Elias durchaus im Prinzip zu kennen scheint - auch anzuwenden weiß, hat nicht die geringsten Probleme, Wissenschaft als empirischen Prozeß einerseits und die Analyse der Produkte von Wissenschaftlern als verschiedene Gegenstände verschiedener Meta-Wissenschaften andererseits verstehen zu können. [...] Und daß sich Popper dabei sehr wohl für die empirischen Prozesse des Wissenschaftsbetriebs und des Wissenschaftsfortschritts interessiert hat, hätte aus der Kenntnis anderer, nicht völlig unzugänglicher Beiträge Poppers dazu (z. B. in der „Offenen Gesellschaft“, in der „Objektiven Erkenntnis“ oder im „Elend des Historizismus“) ebenfalls nicht übergangen wer den dürfen. […]" Dazu, dass Elias Popper viel näher stehe, als er zugebe: "Da Elias an anderer Stelle (Elias, 1970: 78, u. a.) sein fundamentales Interesse an adäquaten Erklärungen und prognose- und praxisfähigen Theorien äußert, müßte er im Grunde den analytischen Erkenntnissen von Poppers „Logik der Forschung“ nicht nur problemlos zustimmen können, sondern auch müssen. Faktisch tut Elias dies auch an zahllosen Stellen seines Werkes, freilich ohne zu realisieren, daß er damit Positionen übernimmt, die er in Fehldeutung Poppers an anderer Stelle als „metaphysisch“ bezeichnet oder als seine eigene, innovative Entdeckung ausgibt (vgl. zu den noch nicht einmal verborgenen Parallelitäten von Popper und Elias auch den Beitrag von Heyt, 1979). Norbert Elias hat in seinen diversen Schriften immer schon methodologische Ausführungen getan, die bei demjenigen, der sich mit wissenschaftstheoretischen Fragestellungen etwas näher befaßt hat, eine gewisse Ratlosigkeit hinterlassen konnten." Albert wiederum beschließt seinen Text mit folgenden Bemerkungen: "Damit will ich meinen Kommentar abschließen, in dem ich nur einige der gravierendsten Mißverständnisse erörtert habe, die ich im Popper-Kommentar von Norbert Elias identifiziert habe. Da ich das Werk dieses bedeutenden Kultursoziologen außerordentlich schätze, bedauere ich sehr, daß er mir Anlaß zu dieser Kritik gegeben hat. Meine Zurückweisung seines Popper-Kommentars bedeutet selbstverständlich nicht, daß es keine schwierigen (und auch ungelösten) Probleme in der Philosophie Karl Poppers gibt. Aber wenn man zu ihnen vordringen will, ist ein Minimum von Verständnis notwendig." Soweit ich mir anhand eines einzelnen Texten von Elias ein Urteil bilden kann, komme ich zum Schluss, dass ein Großteil der Kritik berechtigt ist. Auch wo Elias plausible Kritik an Popper übt (etwa, was den unbefriedigenden Charakter der Anerkennung von Basissätzen auf Grundlage von Konventionen betrifft), bietet er keine eigene bessere Lösung und anerkennt auch das an dieser Stelle aufscheinende Problem nicht explizit, sondern er ignoriert es. Besonders erstaunlich ist jedoch, dass Elias der Philosophie einerseits eine anmaßende Haltung vorwirft, andererseits für die Soziologie jedoch selbst einen merkwürdigen Absolutheitsanspruch erhebt, wie er wohl wenigen Philosophen in den Sinn käme. Das geht so weit, dass er die Soziologie zumindest implizit als die einzige sinnvolle Meta-Wisssenschaft ausgibt. Dabei geht er auf mindestens zweierlei Weise vor: - Zum einen begrenzt er das Feld legitimer meta-wissenschaftlicher Thmen implizit auf solche Fragen, die darauf abzielen, wie die Wissenschaften sich in der (sozialen) Praxis tatsächlich verhalten. Eine Betrachtung, bei der die Ergebnisse der Wissenschaft als solche analysiert werden - auch im Hinblick auf die Frage, was ihnen ihre Geltung verleiht - scheint bei ihm keinen Platz zu haben. - Zum anderen stellt er die Soziologie so dar, als ob sie zuständig für alle möglichen Fragen sei - auch solche, die nun wirklich erst mal nichts mit sozialen Fragestellungen zu tun haben. So etwa, wenn er über die Rolle von Theorie und Praxis, von Deduktion und Induktion spricht und Comtes Konzeption lobt; und zwar unter methodischen Gesichtspunkten und im Wesentlichen auch losgelöst von spezifisch sozialen Aspekten. Und hier scheinen mir dann klandestin auch wieder Gesichtspunkte der Geltung zurückgebracht zu werden: Es geht doch wohl nicht allein darum, ob Wissenschaftler faktisch die von Elias gepriesene Methodik anwenden, sondern auch darum, dass diese sachgemäß und zielführend ist. bearbeitet 7. Oktober von iskander Zitieren Link zu diesem Kommentar Auf anderen Seiten teilen More sharing options...
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