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Atheismus


Werner Hoffmann

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vor 18 Minuten schrieb Marcellinus:

 

Ich bin in der Zeit aufgewachsen, in der dieser Zwang der Kirchen nachließ, aber Reste noch spürbar waren. Ich weiß, wie es gemeint war, und wie es empfunden wurde. 

Wenn man gegen seinen Willen zum Gottesdienst mitgeschleppt wird, entwickelt sich natürlich eine nachvollziehbare Abneigung. Mir ging es mit dem Schulsport ähnlich. So entwickeln sich Ressentiments.

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vor 9 Minuten schrieb Merkur:
vor 31 Minuten schrieb Marcellinus:

Ich bin in der Zeit aufgewachsen, in der dieser Zwang der Kirchen nachließ, aber Reste noch spürbar waren. Ich weiß, wie es gemeint war, und wie es empfunden wurde. 

Wenn man gegen seinen Willen zum Gottesdienst mitgeschleppt wird, entwickelt sich natürlich eine nachvollziehbare Abneigung. Mir ging es mit dem Schulsport ähnlich. So entwickeln sich Ressentiments.

 

Nein, mit ging es nicht um Gefühle, schon gar keine persönlichen. Es ging um die Beobachtung auch, aber nicht nur, unserer kath. Nachbarn. An ihnen konnte man beobachten, wie erst der sonntägliche Kirchgang noch ganz normal war, einfach, weil die soziale Kontrolle der kath. Gemeinde noch intakt war. Dann verlagerte sich das zunehmend auf den Samstag Abend, einfach, weil zunehmend das Bedürfnis bestand, am Sonntag Morgen auszuschlafen. Da war der Kirchgang an sich noch Tradition, aber nicht mehr persönliches Bedürfnis. Damals nahm man das natürlich nur ungenau wahr. Für mich als Angehöriger einer lutherischen Familie war das alles fremd. Umgekehrt übrigens auch. So sagte mir Namenstag gar nichts, und die Tochter der Nachbarn war verblüfft, daß ich einen Vornamen hatte, für den sie keinen kath. Heiligen kannte.

 

So bekam ich auch mit, wie die kath. Traditionen langsam an Bedeutung verloren, weil die soziale Kontrolle nachließ. In meiner Familie war man da schon weiter. Kirchgang gab es praktisch nicht, nur zu Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen, und ja, während der Konfirmandenzeit. Da gab es dann auch Versuche der luth. Kirche, noch etwas Druck auf die Eltern auszuüben. Ein Pastor erschien daher bei den Eltern einer Bekannten mit dem Spruch: "Die Kinder sind in der Kirche, und die Eltern suhlen sich in den Betten!", und das war keineswegs humorvoll gemeint. Er hat sich prompt einen Platzverweis eingehandelt. 

 

So habe ich so nebenbei in den Jahrzehnten meines Lebens den Prozeß der nachlassenden Macht der Kirchen hautnah mitbekommen, besonders, als ich meinen Eltern mitteilte, ich sei aus der Kirchen ausgetreten. Meine Eltern waren, wie gesagt, nicht gläubig, aber die Kirche (in diesem Fall die lutherische) war für sie in bürgerliche Tradition. Sie gehörte irgendwie dazu, auch wenn man sie nur von außen sah. Ihre Reaktion auf meinen Kirchenaustritt war entsprechend entsetzt: "Junge, was sollen denn die Leute denken?" Mein Eltern waren Kaufleute, und entsprechende war die vorgetragene Befürchtung, "die Leute" würden nun nicht mehr bei uns kaufen. Aber die Zeit war längst vorbei, und das Geschäft hat unter meinem zur Schau getragenen Unglauben nicht gelitten. 

 

Der langen Rede kurzer Sinn. Der Machtverlust der Kirchen war und ist ein sozialer Prozeß, der vor allem darin seine Ursachen hat, daß die jeweilige Elterngeneration eine bestimmte Tradition noch bis zu einem gewissen Grade praktiziert, aber nicht mehr an ihre Kinder weitergibt, und entsprechend auch immer weniger darauf reagiert, wenn andere es nicht tun. Da hilft dann auch die persönliche Intervention des örtlichen Pastors nicht mehr, wenn die Menschen sich längst innerlich von der Kirche entfernt haben.

 

Die Macht der Kirchen bestand lange Zeit aus der unmittelbaren Verbindung mit der weltlichen Macht. Das ging mit dem 18. Jh. weitgehend zu Ende. Danach bestand diese Macht aus dem Einfluß, den die Menschen gegenseitig aufeinander ausübten, die soziale Kontrolle vom Kindergarten über die Schule bis in die Gemeinde. Spätestens mit den Umbrüchen im Zuge von Industrialisierung und Landflucht im 19. Jh, und die Flüchtlingsströme nach dem 2. Weltkrieg löste sich diese Kontrolle auf und die Menschen merkten, daß ihr Leben auch funktionieren konnte, wenn sie die Vorgaben der Kirchen ignorierten. Dazu gehört auch eine zunehmende Zahl von sogenannten "Mischehen", nicht Ehen zwischen Schwarz und Weiß, sondern zwischen Ev. und Kath. 

 

In meiner Jugend kamen dann noch die Auswirkungen der "Pillen-Enzyklika" dazu, die der Autorität besonders der kath. Kirche einen irreparablen Schaden zugefügt haben, lernten die Menschen doch, daß sie die direkten Anweisungen ihrer Kirche ignorieren konnten, ohne daß der Himmel einstürzte. Dann kann eines nach dem anderen. War es noch in meiner Jugend verbreitet, daß Paare heiraten mußten, wenn ein Kind unterwegs war (ein guter Freund von mir wurde sogar dafür vorzeitig für volljährig erklärt), so gingen nun immer mehr Eltern dazu über, ihren Kindern Empfängnisverhütung zu empfehlen, und ihnen zu raten, doch bitte nicht vor Ende der Ausbildung zu heiraten. 

 

Entschuldige, daß ich etwas ausführlicher geworden bin, aber diese Geschichte ist auch meine Geschichte, und ich habe so viele dieser Veränderung persönlich erlebt. Daher denke ich schon, daß ich weiß, wovon ich rede. 

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