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Sexueller Mißbrauch von Kindern


Moonshadow

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Ich unterrichte ab Herbst Psychiatrie in einer Krankenpflegeschule und muß mit meiner Klasse auch in eine Forensische Klinik fahren und mit ihnen über die Notwendigkeit einer psychiatrischen Therapie für Triebtäter diskutieren. Mich würde interessieren, was Ihr da so drüber denkt.

 

Liebe Grüße,

 

Moonshadow

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Liebe Moonshadow,

 

meine Antwort kommt vielleicht weniger aus christlicher Sicht als aus professioneller - ich war Rechtsanwalt und Strafverteidiger und habe auch in Fällen von sexuellem Mißbrauch von Kindern verteidigt.

 

Ein entscheidender Unterschied ist für mich zunächst zwischen einer psychiatrischen Behandlung und anderen Arten von Therapie (psychologischer Begleitung, Psychotherapie etc.) zu machen.

 

Ich assoziiere den Begriff "Psychiatrie" (insbesondere, weil Du die forensische Klinik erwähnt hast) mit einer schweren seelischen Erkrankung, die wiederum das Vorliegen einer dadurch begründeten Verminderung oder eines Ausschlusses der Schuldfähigkeit hervorruft. Solche sind aber nur bei wenigen Fällen von sexuellem Mißbrauch (von Kindern oder Erwachsenen) gegeben. In diesen Fällen ist oft eine Unterbringung notwendig; in jedem Fall aber sind  Therapiebemühungen zwingend.

 

Die weit überwiegende Mehrzahl von Mißbrauchsverbrechen werden aber nicht aufgrund einer so tiefgreifenden Störung begangen. In aller Regel treten neben einer neurotisch gestörten Sexualität (die aber an sich selbst noch nicht therapiebedürftig sein muß) andere Ursachen hinzu, die die Entscheidung außerordentlich schwierig machen - und die wegen ihrer Vielschichtigkeit oft nur schwer für eine Therapie greifbar sind. Ob die Täter therapiert werden sollten, ergibt sich aus zwei Überlegungen: Ob das Verhalten therapiebedürftig ist und ob die Täter therapiefähig sind.

 

Der Sexualtrieb bestimmt das Verhalten von Menschen in außerordentlich starkem Maß. Dabei ist dieser in keiner Weise auf Fortpflanzung ausgerichtet, sondern steht völlig allein. Er hat zwei Komponenten: zum einen das Streben nach dem Höhepunkt, zum anderen die Kommunikation mit einem anderen. Entscheidend ist hier der zweite Aspekt.

 

Kommunikation - um das klarzustellen - bedeutet ja nicht allein den freiwilligen Austausch zwischen Gleichrangigen. Kommunikation liegt auch (wenngleich natürlich prinzipiell abzulehnen) in der Vermittlung eines Machtverhältnisses vor, ebenso darin, wenn die "Botschaft" der Kommunikation auf einem Fehlverständnis beruht, etwa dem, daß der "Partner" in einer Weise angesprochen wird, die dieser nicht verstehen kann und daß dessen "Signale" fehlinterpretiert werden.

 

Sexueller Mißbrauch von Kindern beruht meinem Eindruck nach stets auf einem dieser Aspekte (meist je zu Teilen auf beiden).

 

So kann der Mißbrauch dadurch entstehen, daß der Täter das Kind als schwächeres Gegenüber unterwerfen will. Diese Tendenz als solche ist auch in der Sexualität zwischen gleichrangigen, einvernehmlichen Partnern immer wieder anzutreffen. Solange beide Partner faktisch gleichrangig und gleich stark sind, solange vor allem jeder der Beteiligten frei ist, sich an einem "Machtspiel" zu beteiligen oder einfach auszusteigen, ist das auch nicht therapiebedürftig. Erst wenn die Beteiligten das nicht können (bei Erwachsenen, wenn z.B. wirtschaftliche Machtverhältnisse ein Ungleichgewicht bedingen oder blanke körperliche Gewalt ausgeübt wird - und selbstverständlich immer, wenn das unvermeidliche Machtverhältnis zwischen Erwachsenem und Kind sich auswirkt), ist ein Eingreifen erforderlich.

 

Meinem Eindruck nach ist das, was den Täter dazu bringt, solche Machtverhältnisse auszunutzen, nicht auf das Sexualverhalten beschränkt. Es mag zwar sein, daß sich das Problem vor allem auf sexuellem Gebiet äußert, prinzipiell aber beruht das Problem auf der Unfähigkeit des Täters, sich auf gleichrangige Verhältnisse einzulassen, wozu auch gehört, Autorität und Autonomie einerseits zu akzeptieren, andererseits aber auch verantwortlich auszuüben.

 

Die andere Ursache für den Mißbrauch kann darin liegen, daß der Täter fälschlich meint, der andere sei zu sexueller Annäherung willens und bereit. Zwischen gleich alten und sexuell reifen Partnern ist das natürlich trivial, kann höchstens Anlaß für Peinlichkeit sein. Dagegen erscheint es unvorstellbar, daß ein Erwachsener im Verhältnis zu einem Kind zu der Meinung kommen könnte, es wolle sexuelle Annäherung, verstehe sein Verhalten auf diese Weise und signalisiere tatsächlich Einverständnis. Es ist m.E. daher davon auszugehen, daß das Problem dabei weniger in einem einfachen Mißverständnis bei der Interpretation der Signale des anderen beruht.

 

Dazu kommt wohl das fehlende Gespür für die "Rolle" als Erwachsener bzw. als Kind. Auch das ist an sich noch nicht problematisch. Jeder kennt wohl Erwachsene, die sich im Verhältnis zu Kindern "kindisch" benehmen, bzw. die Kinder fälschlich wie Erwachsene behandeln. Ein solches Verhalten mag man als verschroben empfinden; an sich ist es noch nicht problematisch. Zum Problem wird es erst, wenn beide Aspekte zusammenkommen, also das Ignorieren der "Rollen" von Kind und Erwachsenem einerseits und das Unvermögen, die "Signale" des anderen richtig einzuschätzen.

 

Es stellt sich nun die Frage, inwieweit die Täter therapiefähig sind.  

 

Wie ich zuvor festgehalten habe, sind die Täter nur in seltenen Ausnahmefällen für ihre Handlungsweise aufgrund eines tiefgreifenden psychischen Erkrankung nicht verantwortlich. Das bedeutet, daß es einem Menschen, auch wenn er die zuletzt beschriebenen Störungen aufweist, durchaus abverlangt werden kann, seiner Tendenz nicht nachzugeben - und daß es offenbar auch Menschen geben muß, die diese Tendenzen haben und ihnen nicht nachgeben.

 

Eine Therapie muß also zum Ziel haben, demjenigen entweder diese Tendenz zu nehmen, oder ihn dazu zu bringen, ihr nicht mehr nachzugeben.

 

In Bezug auf den ersten von mir geschilderten Aspekt - Mißbrauch von Machtstrukturen - mag eine tiefenpsychologisch ausgerichtete Therapie dazu geeignet sein, bei dem Täter das Bewußtsein für Autorität und Autonomie zu schärfen. Da aber eine Abgrenzung zwischen einer "gesunden" Machtausübung und dem Mißbrauch schwierig und die Einflußmöglichkeiten unscharf sind, bin ich eher skeptisch, ob dies in mehr als Einzelfällen gelingen kann.

 

In Bezug auf den zweiten Aspekt - Unvermögen, die eigene "Rolle" und die des Gegenüber zu erkennen und die jeweiligen Äußerungen richtig zu verstehen - rührt das an so grundlegende Probleme, daß ich schon skeptisch bin, ob dies überhaupt therapeutisch erreicht werden kann. Auch hier werden höchstens einzelne therapiefähig sein.

 

Somit bleibt für den Regelfall nur, die Tendenz des Täters so zu belassen, wie sie ist und lediglich sein Verhalten zu beeinflussen. Dazu wäre es notwendig, entweder seine Fähigkeit und Bereitschaft zur Selbstkontrolle zu stärken oder ihn durch äußere Kontrolle zu lenken.

 

Dazu gibt es (z.B. in den Niederlanden) verschiedene verhaltenstherapeutische Projekte, die sich insbesondere an die Täter bei sexuellem Mißbrauch von Kindern richten. So sinnvoll solche Bemühungen auch sind, so bewußt sind sich auch deren Initiatoren, daß hiervon nur ein geringer Teil der Täter erreichbar ist. Therapiefähigkeit - gerade im Rahmen einer Verhaltenstherapie - setzt in der Regel zunächst das Bewußtsein voraus, selbst therapiebedürftig zu sein, darüber hinaus aber auch die Fähigkeit, sich mit den eigenen Problemen in einem Mindestmaß auseinanderzusetzen, da die Therapie von der Mitwirkung des zu Therapierenden abhängt.

 

Leider ist ein Hauptgrund für den sexuellen Mißbrauch an Kindern aber oft schlichte Verkommenheit. Das meine ich nicht als menschliches Werturteil, sondern als soziale oder psychologische Tatsache. Oft findet sich sexueller Mißbrauch von Kindern in Zusammenhang mit Alkoholismus, wirtschaftlicher Verelendung und so oder anders hervorgerufener Desintegration, oft auch mit schlichter Demenz.

 

Gelegentlich kann dann eine Therapie, die mit dem sexuellen Mißbrauch als solchem kaum zu tun hat, sondern nur die soziale Integration fördert (also eine Suchttherapie oder auf das einfache soziale "Funktionieren" ausgerichtete Verhaltenstherapie) eine Stabilisierung hervorrufen - schon allein, weil der integrierte Täter wieder stärker der externen sozialen Kontrolle unterworfen wird.

 

Es bleibt aber ein erheblicher Teil nicht therapiefähiger Täter - entweder weil sie sich der Therapie entziehen oder weil sie aufgrund ihrer beschränkten Fähigkeiten nicht zugänglich sind. Diesen gegenüber kann lediglich versucht werden, sie durch die Drohung mit Strafe abzuschrecken - so wenig Wirkung ich mir hiervon auch verspreche.

 

Da aber vorab kaum beurteilt werden kann, ob sie tatsächlich nicht therapiefähig sind, muß m.E. stets auch versucht werden, durch therapeutische Maßnahmen auf sie einzuwirken - nicht anstelle einer Strafe (die ohnehin folgen muß), sondern zusätzlich, um keine Möglichkeit auszulassen, zukünftige Opfer zu schützen.

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Zitat von Moonshadow am 19:33 - 2.Juli.2001

Ich unterrichte ab Herbst Psychiatrie in einer Krankenpflegeschule und muß mit meiner Klasse auch in eine Forensische Klinik fahren

 

Liebe Moonshaddow!

 

Ohne deinen zukünftigen Schülern was unterstellen zu wollen, muss ich dazu schnell was erzählen. Meine Klasse fuhr auch mal in so eine Forensische Klinik - das Resultat war ein Fiasko: Die angeblich so gebildetetn Schüler zerrissen sich fast vor Lachen über die "blöden" Patienten. Und das waren keine 13jährigen mehr, sondern schon im "aufgeklärten" Alter von 16/17!

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Zitat von EXPLORER am 13:21 - 3.Juli.2001


Zitat von Moonshadow am 19:33 - 2.Juli.2001

Ich unterrichte ab Herbst Psychiatrie in einer Krankenpflegeschule und muß mit meiner Klasse auch in eine Forensische Klinik fahren

 

Liebe Moonshaddow!

 

Ohne deinen zukünftigen Schülern was unterstellen zu wollen, muss ich dazu schnell was erzählen. Meine Klasse fuhr auch mal in so eine Forensische Klinik - das Resultat war ein Fiasko: Die angeblich so gebildetetn Schüler zerrissen sich fast vor Lachen über die "blöden" Patienten. Und das waren keine 13jährigen mehr, sondern schon im "aufgeklärten" Alter von 16/17!


 

 

Lieber Explorer,

 

Ich danke Dir für Deine Sorgen. Meine Klasse besteht aus 11 Krankenpflegeschüler aus dem Oberkurs und sind zwischen 19 und 25 Jahre alt (damit mitunter auch älter als ich). Alle müssen in der Ausbildung mindestens 4 Wochen in der Psychiatrie arbeiten, vielleicht werden einige dorthin übernommen, vielleicht wird der ein oder andere auch in der Forensik arbeiten.

Was mich interessiert: Welche Eindrücke hast Du bei Deinem Besuch in der Forensik gewonnen? Was war das komische an den "Blöden" Patienten?

 

Liebe Grüße,

 

Moonshadow

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Zitat Sven:

So kann der Mißbrauch dadurch entstehen, daß der Täter das Kind als schwächeres Gegenüber unterwerfen will. (...)

Erst wenn die Beteiligten das nicht können (bei Erwachsenen, wenn z.B. wirtschaftliche Machtverhältnisse ein Ungleichgewicht bedingen oder blanke körperliche Gewalt ausgeübt wird - und selbstverständlich immer, wenn das unvermeidliche Machtverhältnis zwischen Erwachsenem und Kind sich auswirkt), ist ein Eingreifen erforderlich.

 

Meinem Eindruck nach ist das, was den Täter dazu bringt, solche Machtverhältnisse auszunutzen, nicht auf das Sexualverhalten beschränkt. Es mag zwar sein, daß sich das Problem vor allem auf sexuellem Gebiet äußert, prinzipiell aber beruht das Problem auf der Unfähigkeit des Täters, sich auf gleichrangige Verhältnisse einzulassen, wozu auch gehört, Autorität und Autonomie einerseits zu akzeptieren, andererseits aber auch verantwortlich auszuüben.

 

Die andere Ursache für den Mißbrauch kann darin liegen, daß der Täter fälschlich meint, der andere sei zu sexueller Annäherung willens und bereit. Zwischen gleich alten und sexuell reifen Partnern ist das natürlich trivial, kann höchstens Anlaß für Peinlichkeit sein. Dagegen erscheint es unvorstellbar, daß ein Erwachsener im Verhältnis zu einem Kind zu der Meinung kommen könnte, es wolle sexuelle Annäherung, verstehe sein Verhalten auf diese Weise und signalisiere tatsächlich Einverständnis. Es ist m.E. daher davon auszugehen, daß das Problem dabei weniger in einem einfachen Mißverständnis bei der Interpretation der Signale des anderen beruht.

 

Dazu kommt wohl das fehlende Gespür für die "Rolle" als Erwachsener bzw. als Kind. Auch das ist an sich noch nicht problematisch. Jeder kennt wohl Erwachsene, die sich im Verhältnis zu Kindern "kindisch" benehmen, bzw. die Kinder fälschlich wie Erwachsene behandeln. Ein solches Verhalten mag man als verschroben empfinden; an sich ist es noch nicht problematisch. Zum Problem wird es erst, wenn beide Aspekte zusammenkommen, also das Ignorieren der "Rollen" von Kind und Erwachsenem einerseits und das Unvermögen, die "Signale" des anderen richtig einzuschätzen.

 

 

Lieber Sven,

 

vielen Dank für Deinen guten Beitrag.

Wichtig erscheint mir noch, die Opferperspektive zu beleuchten.

Das fängt bereits mit der Wortwahl an: Besser als den Begriff „Missbrauch“ zu verwenden, ist es die Gewalt beim Namen zu nennen: sexualisierte Gewalt (dies ist der Fachterminus). Oder sexuelle Gewalt gegen Kinder bzw. Vergewaltigung.

Denn der Begriff Missbrauch impliziert wie Alkohol- und Medikamentenmissbrauch ja auch den regulären Gebrauch. Einen „Gebrauch“ von Kindern (schon gar keinen sexuellen) kann es aber nicht geben.

Gerade in pädophilien Kreisen wird nämlich gerne behauptet, dass Kinder ihren Gefallen daran fänden – dass dies nicht so ist, hat Sven gut beschrieben.

 

Zur Prävention:

In der Kindererziehung ist es vor allem wichtig, dass die Kinder zu selbstbestimmten Menschen werden, die auch Erwachsenen widersprechen. Natürlich kann man Kindern Grenzen setzen, diese sollten aber auch nachvollziehbar sein. Solche Kinder sind bei Tätern nicht sehr begehrt, denn sie können die richtigen Signale setzen - also Erwachsen widersprechen. Eine partnerschaftliche Beziehung zu den Eltern führt auch dazu, daß sich Kinder gegenüber ihren Eltern offenbaren können.

 

In der Ausbildung von Krankenpflegern ist es auch wichtig, daß die Signale der Opfer verstanden werden. Gleiches gilt auch für Lehrer/innen.

 

Liebe Grüße,

 

Matthias

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Zitat von Matthias am 15:49 - 4.Juli.2001

Das fängt bereits mit der Wortwahl an: Besser als den Begriff „Missbrauch“ zu verwenden, ist es die Gewalt beim Namen zu nennen: sexualisierte Gewalt (dies ist der Fachterminus). Oder sexuelle Gewalt gegen Kinder bzw. Vergewaltigung.

Denn der Begriff Missbrauch impliziert wie Alkohol- und Medikamentenmissbrauch ja auch den regulären Gebrauch. Einen „Gebrauch“ von Kindern (schon gar keinen sexuellen) kann es aber nicht geben.

(...)


Im Prinzip gebe ich Dir recht. Der Begriff "Mißbrauch" ist streng genommen im Zusammenhang mit Menschen nie richtig - denn, wie Du schon richtig sagst, darf man Menschen (nicht nur Kinder, obwohl deren Wehrlosigkeit natürlich besonderen Schutz verlangt), nie "gebrauchen", also als einfaches Mittel zum Zweck verwenden.

 

Gleichzeitig habe ich mit dem Begriff "sexuelle Gewalt" aber meine Probleme. In einer Fachterminologie mag der in Ordnung sein, so zum Beispiel in der juristischen. Da gilt als "Gewalt" jede Einflußnahme auf einen anderen, die körperliche Auswirkungen hat. Das führt aber vom allgemeinen Sprachgebrauch teilweise weit weg. Ein Beispiel: Wer einen anderen durch dichtes Auffahren auf der Straße bedrängt, übt im juristischen Sinne bereits Gewalt aus, wenn die dadurch erzeugte Angst körperliche Auswirkungen (Schweißausbruch, erhöhte Kreislauftätigkeit) hat. Ein anderes: Wer eine Straße durch einfaches Hinsetzen blockiert, übt ebenfalls "Gewalt" aus, weil er rein körperlich den anderen an der Fortbewegung ohne Umwege hindert.

 

Das ist im Rahmen der Terminologie unproblematisch, führt aber zu Schwierigkeiten, wenn das mit dem allgemeinen Sprachgebrauch verwechselt wird, weil dadurch die Abgrenzung zu "offenkundigeren" Arten von Gewaltausübung verwischt werden kann.

 

In Bezug auf Sexualdelikte ist das m.E. problematisch, weil so zwei Begehungsarten gleichgesetzt werden, die beide gleich schlimm sind, aber sehr unterschiedlich auf die Opfer wirken und die bei den Tätern auf unterschiedlichen Gründen beruhen.

 

Das hat auch mit der Ansprechbarkeit potentieller Täter zu tun. Du sagst selbst, daß bei Teilen der Täter (den sog. "Pädophilen" ) die Vorstellung vorliegt, daß die Kinder einverstanden seien. Daher werden die Kinder von solchen Tätern nicht mit augenscheinlicher körperlicher Gewalt, sondern mit Überredung, Bestechung und anderen Mitteln dazu bewegt, an den Handlungen teilzunehmen. Das ändert natürlich nichts, aber auch gar nichts an der Verwerflichkeit eines solchen Verhaltens. Das Problem sehe ich baer darin, daß ein solcher Täter gerade in der Vorstellung handelt, keine Gewalt auszuüben - was mit dem allgemeinen Sprachgebrauch in Bezug auf "Gewalt" wohl auch übereinstimmen dürfte. Verwendet man nun nur den Begriff "sexuelle Gewalt", befürchte ich den Effekt, daß nicht die Tat auch als Gewalt verstanden wird, sondern daß die nicht als gewalttätig empfundene Tat für den Täter verharmlost wird.

 

(Geändert von sstemmildt um 23:08 - 4.Juli.2001)

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Ich erinnere mich daran, dass wir dieses Problem der Benennung vor längerer Zeit schon einmal besprochen haben. Anlass war seinerzeit die Bezeichnung "Schändung", die aber mit dem Wort Schande das verletzte Kind belegt. Damals kamen wir zu keiner zufriedenstellenden Bezeichnung.

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Es fällt mir schwer, mir vorzustellen, daß ein Mann, der ein Kind oder eine Frau vergewaltigt, verletzt, vielleicht tötet, nicht einen extremen psychischen Schaden hat. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein psychisch Gesunder zu solchen Taten fähig sein sollte.

 

Liebe Grüße,

 

Moonshadow

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Mir ist gottseidank in meiner anwaltlichen Praxis ein so brutales Sexualverbrechen nicht vorgekommen, allerdings hatte ich mit einigen grausigen Sachen zu tun, die einfach nur mit der Lust an der Gewalt einfacher Verrohung zu tun hatten. So habe ich einmal einen jungen Mann verteidigt, der gemeinsam mit drei anderen einen Schulkameraden über vier Stunden lang geschlagen, getreten, verbrüht und endlos gedemütigt haben. Als ich die Akte durchgearbeitet hatte, bin ich nach Hause gegangen und habe mich systematisch besoffen. "Motiv" des ganzen war, daß das Opfer angeblich dazu gebracht werden sollte, einem der Täter zu verraten, mit wem dessen Exfreundin inzwischen zusammen war. Nach der Tat brachte mein Mandant das Opfer dann sogar noch nach hause, verabschiedete sich mit einem Handschlag und war offenbar der Meinung, daß damit alles in Ordnung sei.

 

Letztendlich verstehen lassen sich solche Taten nicht. Natürlich gibt er Erklärungsansätze: Die Täter waren stark betrunken, mein Mandant insbesondere war darüber hinaus fast debil und wohl schon seit längerem deshalb gehänselt worden, weshalb er sich wohl beweisen wollte. Auch ganz allgemein gibt es in den Biographien von Gewaltstraftätern immer wieder bestimmte Übereinstimmungen. Aber das kann eine solche Explosion von Unmenschlichkeit nicht erklären. Man kann höchstens im Einzelfall Hypothesen aufstellen, die manchmal auch Ansätze für Therapien bieten können.

 

Ich habe mich vor Jahren einmal mit den Auschwitz-Prozessen befaßt. Dabei fällt einem insbesondere auf, daß Menschen, die ansonsten völlig normal erscheinen, liebevolle Familienväter und -mütter waren, aus normalen Familien stammten etc. in einer bestimmten Situation zu wahren Bestien werden konnten. Danach und nach meinen eigenen Erfahrungen bin ich inzwischen zu der Auffassung gekommen, daß in jedem Menschen die Fähigkeit zur Bestialität ruht - und daß es in den meisten Fällen schlicht ein Glück für uns alle ist, daß diese im Zaum gehalten werden.

 

Manchmal kann sich die Fähigkeit der Täter, mit ihren inneren Bestien umzugehen, verbessern. Ein Hauptpunkt ist dabei nach meiner Erfahrung schlicht der Alkohol (oder eine andere Sucht), der das Böse entfesselt, so daß oft schon die Alkoholtherapie und die soziale Wiedereingliederung (vor allem durch eine Arbeitsstelle) dazu beitragen können, daß der Täter nicht rückfällig wird - wer arbeitet, kann zumindest acht Stunden am Tag wenig verbrechen, ist am abend aufgepowert und ist durch Kollegen etc. einem gewissen Mindestmaß an sozialer Kontrolle unterworfen. Bei männlichen jugendlichen Straftätern ist es nach meiner Erfahrung schlicht das Auftreten einer festen Freundin, das viele zur Räson bringt. Das Mädel will einen präsentablen Versorger - dann ist Schluß mit Saufen und Abhängen.

 

Ich bin also recht pessimistisch. Man kann m.E. den Menschen ihre Bestien nicht "austreiben". Ihre Fähigkeit - auch ihre Bereitschaft -, sie im Griff zu behalten, kann sich aber verbessern. Ich verstehe davon recht wenig, aber anscheinend kann das auch durch bestimmte therapeutische Ansätze gefördert werden. Diese Ansätze stützen sich nicht darauf, daß man genau versteht, wie es zu dem Fehlverhalten kommt. Es ist wie teilweise bei der Naturheilkunde: Man weiß nicht wieso, aber manchmal hilft es. Da es ja darum geht, spätere Straftaten zu verhindern, muß man m.E. alles versuchen.

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>> Ich bin also recht pessimistisch. Man kann m.E. den Menschen ihre Bestien nicht "austreiben". Ihre Fähigkeit - auch ihre Bereitschaft -, sie im Griff zu behalten, kann sich aber verbessern. Ich verstehe davon recht wenig, aber anscheinend kann das auch durch bestimmte therapeutische Ansätze gefördert werden. << (sstemmildt)

 

 

Ich teile Deinen Pessimismus, Sven,

 

denn großartige Erfolge stehen bis auf weiteres nicht zu erwarten.

 

Gestern abend sah ich zufällig einen zum Thema „Bestie Mensch“ passenden Beitrag über Gehirnuntersuchungen im Fernsehen. Ein amerikanischer Wissenschaftler hatte die Gehirne von Gewaltverbrechern und Normalbürgern miteinander verglichen und dabei festgestellt, daß bei den „Normalos“ das limbische System immer in Verbindung mit bestimmten Teilen des Großhirns Aktivitäten entfaltet, während bei den Verbrechern nur das limbische System ohne die Gegenkontrolle durch das Großhirn aktiv ist (ich drücke mich hier sehr laienhaft aus). Vereinfacht gesagt sind die Kontrollzellen im Großhirn des Gewaltverbrechers abgestorben. Es handelt sich um einen Gehirnschaden. Da das Gehirn abgestorbene Zellen regenerieren kann, ist grundsätzlich eine Therapie möglich. Wie man das Gehirn gezielt veranlaßt, in bestimmten Bereichen neue Zellen zu bilden, ist jedoch weitgehend ungeklärt. Sicher ist, daß es sich um einen sehr langwierigen Vorgang handelt, so daß die Therapie frühzeitig einsetzen müßte.

 

Im jetzigen Forschungsstadium läßt sich anhand von Gehirnstrommessungen im Grunde nur mit einer relativ hohen Trefferquote prognostizieren, daß jemand zum Gewaltverbrecher wird bzw. daß jemand mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere Gewaltverbrechen begehen wird.

 

Cano

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Zitat von Ute am 23:55 - 4.Juli.2001

Ich erinnere mich daran, dass wir dieses Problem der Benennung vor längerer Zeit schon einmal besprochen haben. Anlass war seinerzeit die Bezeichnung "Schändung", die aber mit dem Wort Schande das verletzte Kind belegt. Damals kamen wir zu keiner zufriedenstellenden Bezeichnung.


Liebe Ute, lieber Sven,

es gibt wohl wirklich keine angemessene Bezeichnung für dieses Verbrechen.

 

Liebe Grüße,

Matthias

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Lieber Cano,

 

Daß Nervenzellen überhaupt regenerationsfähig sind, weiß man erst seit wenigen Jahren. Es ist sehr unwahrscheinlich, daß der Untergang einer Nervenzelle ohne Defekt wieder verheilt - trotz Therapie. Was einer Therapie sehr gut zugänglich ist, sind Funktionsstörungen von Zellen, auch von Nervenzellen. Diese Therapie ist dann überwiegend eine Pharmakotherapie, unterstützt von verhaltensmodulatorischen Veränderungen wie bei einer Psychotherapie (v.a. kognitive Verhaltenstherapie).

 

Liebe Grüße,

 

Moonshadow

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Hallo Leute,

 

nach längerer Babypause möchte ich mich gelegentlich wieder mal melden.

 

Ich hatte gerade mal wieder in der Mittagspause eine hitzige Debatte mit meinen Kollegen über Sexualmorden an Kindern.  

Ich war mal wieder der einzige, der gegen die Todesstrafe argumentiert hat.

 

Mich würde mal interessieren, wer in diesem Forum ist für oder gegen die Todesstrafe und warum ?

 

Grüße Harry

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Hallo, Harry!

 

- sorry, die großschreibetaste ist defekt -

 

Es war zwar eigentlich nicht meine Absicht, über sinn oder unnsinn der todesstrafe zu diskutieren, ich möchte aber trotzdem darauf antworten.

 

gerade eben haben wir in den nachrichten von dem mord an einem kleinen mädchen in hessen, vermutlich die verschwundene julia, gehört. ich kann durchaus verstehen, daß eltern, deren kind auf solch grausame weise ums leben kommt, einen unbändigen hass auf den7die täter spüren und sich nichts sehnlicher wünschen, als diesem menschen die größtmöglihe strafe anzutun und v.a. die restliche öffentlichkeit vor einer wiederholung der tat zu schützen. und was scheint geeigneter als die todesstrafe - täter tot, weg, alles sicherer. trotzdem bin ich dagegen. ich halte es für grundfalsch, für ein verbrechen gegen die menschheit, einen anderen menschen zu töten. niemand hat das recht, in den tod eines anderen menschen einzugreifen, auch die nicht, die sich in dieser situation vermeintlich auf der 'rechten' seite fühlen. ein weiterer mord macht das geschehene nicht ungeschehen. es führt nicht zu weniger schmerz bei den betroffenen und nicht zu weniger unrecht. außerdem soll es gelegentlich ja mal vorgekommen sein, daß gerichte sich irren und der falsche jahrelang im knast gesessen hat. das ist schon eine katastrophe, wenn es um jahrelange haftstrafen geht, denn es zerstört das leben des unschuldigen.  wenn der falsche stirbt bzw. im rahmen der todesstrafe ermordet wird, ist es ein nicht wieder rückgängig zu machender fehler. der tod hat etwas irreversibles - und das sollte zu besonderem umgang mit dem leben führen. außerdem macht sich meiner meinung nach derjenige schuldig, der die todesstrafe ausführt. er ist nicht besser als derjenige, den er richtet, vielleicht noch schlechter, denn er tötet für geld, für sein gehalt, ohne bezug zu dem menschen zu haben, den er umbringt.

 

liebe grüße,

 

moonshadow

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Zitat von Cano am 8:27 - 5.Juli.2001

Im jetzigen Forschungsstadium läßt sich anhand von Gehirnstrommessungen im Grunde nur mit einer relativ hohen Trefferquote prognostizieren, daß jemand zum Gewaltverbrecher wird bzw. daß jemand mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere Gewaltverbrechen begehen wird.


 

Hierzu nur eine kurze Anmerkung. Ich weiß nicht, inwieweit diese Untersuchungen neu sind; das Thema kommt aber in der neurologischen Literatur wohl immer mal wieder auf. Nach meiner Kenntnis ist aber eine für eine Prognose ausreichende Wahrscheinlichkeit aus solchen Messungen nicht zu entnehmen. Außerdem ist es wohl nur so, daß bei Gewaltverbrechern eine insoweit bestimmte Häufung auftritt; da aber immer noch eine erhebliche Zahl von Gewaltverbrechern solche Defekte nicht aufweist, ist dies auch kein allein tragfähiger Erklärungsansatz.

 

Das bedeutet, solche Forschungen sind wertvoll, aber wohl doch noch eher als grundlagenforschung - von einer Anwendung weit entfernt - anzusehen.

 

(Wie gesagt, es sei denn, da wäre jetzt etwas neues herausgekommen, das ich noch nicht kenne)

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Hallo harry,

 

Moonshadows Beitrag stimme ich umfassend zu. Nur zur Ergänzung:

 

1. Die Todesstrafe führt nicht zu weniger schweren Delikten, sondern erhöht höchstens die Gewaltbereitschaft.

 

2. Das Sühnen der Schuld ist ein Prozeß, der im Täter ablaufen muß. Seine Tötung kann den höchstens abbrechen.

 

3. Wenn man den Satz, daß jeder Mensch seine unverlierbare Würde hat, ernst nimmt, dann darf ein Mensch niemals nur Mittel zu einem Zweck sein, sondern muß immer auch Zweck einer bestimmten Maßnahme sein. Bei der Todesstrafe wird der Mensch Täter (und Mensch ist er ja nach wie vor, so verabscheuungswürdig auch das ist, was er getan hat) aber nur noch zum Objekt, zum Mittel der Rache, der (fragwürdigen) Abschreckung etc.

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Zum Thema Todesstrafe ist soeben ein neuer Thread in der Gladiatoren-Arena eröffnet worden. Ich rege an, diesen Teil der Diskussion dort fortzuführen.

 

Ich erlaube mir, die Beiträge von Moonshadow und mir dahin zu kopieren.

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